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Gernguckers Filmtagebuch


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Giulia geht abends nie aus


Giulia geht abends nie aus (Giuseppe Piccioni)

Schon der Filmtitel deutet auf einen etwas geheimnisvollen Film hin und führt dennoch auf die falsche Fährte. Denn anfangs ist es nicht Giulias sondern Guidos Film, ein für einen Preis nominierter Schriftsteller, dessen neue Ideen bald nicht nur von seinen Gedanken sondern auch vom Film Besitz ergreifen. Seine eigene Begegnung mit der Schwimmlehrerin seiner Tochter ist von seinen Inspirationen zunächst kaum zu unterscheiden. Erst später weitet Piccioni die Erzählperspektive auf ebenjene Giulia aus und dankenswerterweise gelingt es ihm, nicht alles in zu viele Worte zu fassen, zu überraschen, einige der Geheimnisse zu bewahren und für seine Figuren zu vereinnahmen (mit Ausnahme des altklug puberitären Freundes von Giudos Tochter). Viele bekannte Gesichter aus Italiens Filmszene tragen zu diesem wunderbaren Schauspieler-Film bei. Gut gefallen hat mir auch, wie die um den Preis rankende Verleger- und Medienwelt vorgeführt wurde.


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How I Ended This Summer


How I Ended This Summer (Alexej Popogrebskij)

In erster Linie großartig fotografiertes Kino. Die Bilder sind echt aufregend und wunderbar und drängen sich am Ende sogar ein wenig zu sehr in den Vordergrund. Darunter leidet in der zweiten Hälfte die Psychologisierung der beiden Protagonisten. Zumindest blieben mir einige ihrer Verhaltensweisen und Reaktionen suspekt und nicht nachvollziehbar. Der russische Film ist bedächtig und lässt sich auf seinen exotischen Schauplatz am Ende der Welt ein. Was als moderne Robinsonade beginnt wandelt sich später in ein existentielles Drama, das in meinen Augen aber leider einen sehr unbefriedigenden Verlauf und Ausgang nimmt.


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Swansong - Story of Occi Byrne


Swansong - Story of Occi Byrne (Conor McDermottroe)

Ein wirklich kleiner irischer Film, der den Leidensweg eines jungen Mannes schildert, der seit seiner Geburt als Außenseiter verdammt ist, den das Leben und seine Umwelt immer wieder nach unten drücken, und der sich immer wieder dagegen stemmt und sich wieder aufzurichten weiß. Seine Geschichte ist ebenso deprimierend wie ermutigend und McDermottroe erzählt sie nicht ganz makellos aber dafür sehr persönlich auf seinen Protagonisen zugeschnitten, den Martin McCann ganz bravourös verkörpert. Den Nebenfiguren wird wenig Raum gelassen, was ich mir an manchen Stellen doch etwas vertiefender gewünscht hätte. Ebenso wie die Kritik an der Gesellschaft (sehr gelungen, das nahezu beiläufige Dekonstruieren katholischer Moral).


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Geständnisse


Geständnisse (Tetsuya Nakashima)

Ein spannender, perfider Rachethriller, der mich ein wenig an die Filme des Koreaners Chan-wook Park erinnerte. Nakashi erzählt seine schockierende Geschichte samt seiner nahezu beiläufig eingeflochtenen Grausamkeiten in raffinierten Verschachtelungen, hochästhetischen Bildern, mit einer sanften, lieblichen Off-Stimme. Gestaltungskomponenten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen wollen, verbinden sich zu einem erschütternd schönen Film, dessen Sujet mich eigentlich weniger anspricht und mir persönlich ein klein wenig zu übersteigert war, aber ich muss gestehen, dass der Film in sich sehr stimmig ist.


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Midnight in Paris


Midnight in Paris (Woody Allen)

Ich sehe jeden Film von Woody Allen gern an und mag sie fast alle, auch die etwas schwächeren Werke. "Midnight in Paris" hat mir so gut gefallen, dass ich ihn unbedingt zu seinen schönsten Filmen zählen möchte. "Midnight in Paris" hat den Charme eines nostalgisch verklärten Rückblicks auf die guten alten Zeiten, denen wiederum andere gute alten Zeiten vorausgegangen sind. Nur das Heute will dem Protagonisten weniger gefallen und darin konnte ich mich auch ein wenig wiedererkennen. Woody Allen scheint sich sehr in seine in der Tat ganz wunderbare Idee zu "Midnight in Paris" verliebt zu haben, denn ich spürte förmlich das Vergnügen von Woody Allen, als ich als Zuschauer seinem Gil auf dessen Reise folgte, um all die liebevollen Details zu entdecken, die der Regisseur und Autor versteckte. Wobei ich sicherlich manche Details noch gar nicht richtig verstanden habe, da mir einige Bezüge und Wissen um andere Künstler fehlten. Insofern dürfte "Midnight in Paris" ein schöner Film zum späteren erneuten Sehen und Wiederentdecken sein. Woody Allen punktet dieses Mal vor allem mit seiner Idee und ihren Details und der Ausstattung, weniger mit bissig-zynischen Dialogen wie in vielen anderen seiner Filme.
Für mich der beste Woody Allen-Film seit "Bullets over Broadway" und "Match Point".


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Kurosawa: Engel der Verlorenen und Rashomon


Engel der Verlorenen
Yoidore Tenshi (Akira Kurosawa, 1948)

Das Nachkriegsjapan dieses Filmes ist ein trister und trüber namensloser Ort, an dem ordnendes Recht und Gesetz abwesend und die Menschen auf sich selbst gestellt sind. Ein guter Nährboden für Gangster, die sich auf Kosten der Armen bereichern und als Herren des Ortes betrachten. Der alkoholsüchtige Arzt Sanada, der trotz Laster inmitten der vorherrschenden sozialen Not ein hohes Ansehen genießt, ist der Engel der Verlorenen, der die Not seiner Mitmenschen lindert. So wie auch des geschwächten Yakuza Matsunaga. Zwischen Arzt und Gangster, der sich in Rivalitäten mit einem Mächtigeren verstrickt, entsteht eine zaghafte, sich respektierende Freundschaft. Die beiden tollen Stammschauspieler Kurosawas, Takashi Shimura und Toshiro Mifune, verkörpern die gebrochenen Antihelden sehr gut in einem ungeschminkten Alltag eines gefallenen Landes, in den Kurosawa kleine Gesten von aufopfernder Humanität einflechtet und damit die Trostlosigkeit vorsichtig aufbricht. "Engel der Verlorenen" hat mir gut gefallen.


Rashomon - Das Lustwäldchen
Rashomon (Akira Kurosawa, 1950)

Ein filmisches Meisterwerk, das am Vertrauen in die Menschheit rüttelt, das die gleiche Geschichte aus unterschiedlichen, sich widersprechenden Perspektiven neu erzählt und damit am Wahrheitsgehalt der Worte zweifeln lässt. Jeder der Erzähler findet eine neue Variation des Geschehens, in der er seine eigene Position positiv herauszustellen versucht. Die Motivationen der drei Menschen, die sich im Wald begegnen und einen Toten zurücklassen, wechseln dabei nicht nur leicht, sondern grundlegend, als hätte jeder der Beteiligten etwas völlig anderes erlebt. Häufig sitzen die Figuren frontal zur Kamera gewandt und sprechen zu einem unsichtbaren Gericht, dessen Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden, uns als Zuschauer übertragen wird und wir damit ausweglos scheitern müssen. Die Kamera arbeitet in diesen Gesprächsszenen mit großer Tiefenschärfe über mehrere Bildebenen hinweg, bleibt statisch auf sein Gegenüber gerichtet. In den Szenen im Wald jedoch wird die Kamera unglaublich agil und beweglich, um seinen Figuren und ihren Auseinandersetzungen zu folgen. Von den darstellerischen Leistungen muss unbedingt die von Toshiro Mifune als energiegeladener, aufbrausender Räuber herausgestellt werden. "Rashomon" ist ein Film, der seinen Schauspiel-Ruhm begründete.


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Der Albaner


Der Albaner (Johannes Naber)

Die Geschichte über einen jungen Mann, einem Grenzgänger zwischen den ärmsten und reichsten Ländern Europas, sieht auf dem Papier viel interessanter aus, als Naber sie in seinem Film zu erzählen weiß. Der starke Kontrast zwischen der einfachen, traditionsstarken Bergwelt Albaniens und der modernen, eher oberflächlichen deutschen Großstadt hätte viel mehr Reibungsflächen besessen. Zu viele Gegensätze bleiben ungenutzt, zu viele mich interessierende Details wurden im Film übergangen und ignoriert. Naber breitet seine Geschichte aber nicht nur erzählerisch zu glatt aus, auch ästhetisch sah mir der Film zu aufpoliert aus, was zu einem gewissen Teil aber auch an der digitalen Kinovorführung liegen könnte. Dennoch war mir der Film bildgestalterisch zu gewollt, zu schön und an manchen Stellen im Schnitt zu künsterlisch ambitioniert, um seine Geschichte authentisch und nicht nur politisch engagiert werden zu lassen. Die Katharsis am Ende wollte mir letztlich kaum nahegehen. Der Hauptdarsteller Nik Xhelilaj hat seine Sache gut gemacht und hat mich immer wieder an seinen Auftritt im tollen Film "Alive!" erinnert.


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Die anonymen Romantiker


Die anonymen Romantiker (Jean-Pierre Ameris)

Das behutsame Liebes- bzw. besser: Romantikmärchen ist ein durchweg schöner, sympathischer Film, der viel Verständnis für seine beiden Protagonisten zeigt und seine im Grunde tragikomische Geschichte über die Schwierigkeit des Zueinanderfindens zweier hochsensibler Menschen angenehm leicht und humorvoll erzählt. Isabelle Carre und Benoit Poelvoorde spielen wunderbar und öffnen ihre Figuren. Gemeinsam tragen sie den Film, denn ihnen zuzusehen, war mir eine Freude. Ameris vermeidet große dramatische Szenen, sondern sucht sich einen kleinen, hindernisreichen Weg, den er mit einem sehr schönen Ende krönt. "Größer" hätte der Film nach meinem Empfinden nicht ausfallen dürfen, um den nötigen Respekt vor seinen Figuren nicht zu verlieren. Kein Film für die Ewigkeit, aber ein schöner leichter Film für den Sommer.


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Die Vaterlosen


Die Vaterlosen (Marie Kreutzer)

Welche Lebenswege nehmen die Kinder einer ehemaligen Hippie-Kommune? Das scheint sich, aus welchem Grund auch immer, die Filmemacherin gefragt zu haben und bringt einen Flickenteppich an Patchwork-Familie auf die Landwand. Sie folgt ihrem gedanklichen Konstrukt vor allem in der ersten Hälfte leider etwas steif, die Chemie zu den Figuren wollte sich bei mir nicht einstellen. Dennoch waren die Gedanken, denen das Drehbuch nachging, durchweg interessant, aber für mich halt nicht immer lebendig und intensiv genug, um da voll mitgehen zu können. Ausgerechnet "der Hans", der alle anderen prägte, blieb eine zu wenig greifbare Figur, auch die Mutter mit der vermutlichen Flucht zum bürgerlicheren Nachbarn war mir nicht "tief" genug angelegt. Gegen Ende des Filmes, wenn die unscheinbarsten Randfiguren ein kleines Eigenleben finden, Marie Kreutzer auch ein paar schöne Bilder für die Erinnerungen findet und sich die Kindergeneration zum Glück nicht in Wohlgefallen vereint, wurde ich milder gestimmt.


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Einsamkeit der Primzahlen, Blue Valentine, Angèle und Tony


Die Einsamkeit der Primzahlen (Saverio Costanzo)
Blue Valentine (Derek Cianfrance)
Angèle und Tony (Alix Delaporte)

"Die Einsamkeit der Primzahlen" ist eine zeitgenössische Romanverfilmung. Als Nichtkenner des Buches blieben mir einige Andeutungen zu vage, die sich dem Kenner sicher besser erschließen. Die Geschichte handelt von zwei stillen Außenseiten, zu denen sie durch Kindheitstraumatas geworden sind, und ihrer Schwierigkeit zueinander zu finden. Costanzo arbeitet mit vielen Zeitebenen und Rückblenden, die mir mitunter eine Spur zu überambitioniert waren, und einer tollen Filmmusik, die die wirren Aufbruchsgefühle gut wiedergeben. Vereinzelt ergeben sich daraus richtig toll inszenierte Szenen. Weniger geglückt ist die Besetzung der Protagonistin in den einzelnen Zeitebenen, die nicht so recht zusammenpassen. Jede für sich, natürlich allen voran Alba Rohrwacher als die erwachsene Figur, spielt aber sehr gut, wie auch der komplette Cast gut agiert. Ein guter aber nicht absolut überzeugender Film über das Suchen und Finden der Liebe.

"Blue Valentine" erzählt ebenfalls mittels Rückblenden vom Zusammenfinden zweier junger Liebender und der tollen Zeit der Schmetterlinge im Bauch. Der vollkommen entromantisierte Hauptteil der Geschichte, also die Gegenwart, erzählt jedoch vom Auseinanderdriften und der Trennung dieses Paares. Williams und Gosling machen durch ihr bewegendes Spiel das Hoffen und Leiden ihrer Figuren und damit den Zusammensturz ihres gemeinsamen Glücks erfahrbar. Cianfrance erzählt nüchtern beobachtend und doch so, als wäre die Beziehungsmüdigkeit seines Paares etwas ganz besonderes. Leise lässt er auch anklingen wie der von der Gesellschaft aufdiktierte Alltag (Stress, Geld, Job, Haus, etc.) das Glück junger Familien vergiftet. Am Ende balanciert Cianfrance die Ernüchterung mit schönen Erinnerungen aus und formt daraus einen sehr schönen Abspann.

"Angèle und Tony" erzählt seine raue Liebesgeschichte am klassischsten und verhehlt dabei nicht das Streben nach einem bewegenden Happy End, welches ich hier auch dankbar angenommen habe. Der Film der jungen Französin ist kurz und ohne Längen angelegt, vielleicht sogar für eine so emotionale Geschichte ein klein wenig zu hastig. Dennoch nimmt sie sich die Zeit, die Geschichte als auch die Bilder voller romantischer Stimmungen und Sehnsüchte anzureichern, die sich ihren hindernisreichen Weg aus einer anfangs reinen Zweckbeziehung heraus finden müssen. Clotilde Hesme spielt ihre geheimnisvolle, unangepasste, verwundete und verzweifelt kämpfende Angèle absolut toll und macht aus ihrer angestrengten Suche nach einem Neuanfang einen schlichtweg ergreifenden Film. Clotilde Hesmes Angéle hat mich dabei angenehm an Martina Gusmans kämpferische Löwin erinnert.





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Gerngucker
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