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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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A CHRISTMAS STORY (Bob Clark/USA, CA 1983)


"You'll shoot your eye out."

A Christmas Story (Fröhliche Weihnachten) ~ USA/CA 1983
Directed By: Bob Clark

Ralphie Parker (Jean Shepherd) erinnert sich an sein schönstes Weihnachtsfest, das er dereinst im leuchtenden Alter von acht Jahren (Peter Billingsley) erleben durfte: Damals, in den Spätvierzigern, waren Radio Serials noch die vornehmliche Abendunterhaltung, die Familie mit Mutter (Melinda Dillon), leidenschaftlich fluchendem Vater (Darren McGavin) und kleinem Bruder (Ian Petrella) als Oberhäuptern in geregelten Bahnen. Zum endgültigen Glück fehlte da nurmehr das absolute Herzenswunsch-Geschenk: Ein Red-Ryder-Luftgewehr mit 200 Metern Schussreichweite. Wie Ralphie es schlussendlich fertigbringt, seinen Eltern dieses wider Erwarten aus den Rippen zu leiern und ganz nebenbei noch entscheidende Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden vollzieht, davon berichtet diese Geschichte.

Bob Clarks zweiter Weihnachtsfilm nach dem neun Jahre älteren Prä-Slasher "Black Christmas" ist ein deutlich anders gelagertes, weitaus versöhnlicheres Werk. In der Romanadaption nach Jean Shepherd reichen verklärende Nostalgie und pittoreske Satire sich in jeweils schwereloser Schwebe mühelos die Hände, der stets fein kadrierte Humor äußert sich teils slapstickartig (Ralphies Phantasien gleichen hier und da 16fps-Stummfilmkomödien), teils poetisch. Ähnlich wie Woody Allens etwas später entstandener, meisterhafter "Radio Days" (der, so möchte ich behaupten, "A Christmas Story" eine ganze Menge zu verdanken hat) wirft Clarks Film somit einen ebenso liebevollen wie belustigten Blick auf "unschuldigere" Jahre, wobei jene Unschuld sich hauptsächlich aus der kindlichen Protagonisten-Perspektive rekrutiert.
Ein hinreißend schöner Weihnachtsklassiker, hierzulande leider nicht von der eigentlich hochverdienten Popularität.

9/10

Bob Clark Weihnachten period piece Kinder Familie


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GONE GIRL (David Fincher/USA 2014)


"We caused each other pain." - "That's marriage."

Gone Girl ~ USA 2014
Directed By: David Fincher

Als Amy (Rosamund Pike), die als Buchautorin immens populäre Gattin des Kleinstadtkneipiers Nick Dunne (Ben Affleck) verschwindet, gerät der Ahnungslose ins Kreuzfeuer von Justiz, Medien und Gesellschaft. Weil er eine Affäre mit der Studentin Andie (Emily Ratajkowski) verschweigt, hält ihn plötzlich alle Welt für einen Lügner und bald auch für den Mörder seiner offenbar schwangeren Frau. Ein bald auftauchendes Tagebuch Amys räumt alle verbliebenen Zweifel aus. Doch Amy ist mitnichten tot; sie hat ihr eigenes Verschwinden inszeniert, um sich an Nick für seinen von ihr längst entdeckten Betrug zu rächen und ihm einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Eine Ansprache via TV stimmt sie jedoch wieder um: Jetzt heißt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen...

"In guten wie in schlechten Zeiten" heißt es im christlichen Ehe-Sakrament und für die Dunnes sind nun letztere angebrochen. Aber volle Lotte. Dem mittelständischen Musterehepaar geht es genau so lange gut in seiner trauten Zweisamkeit, bis er sich in ein Abwechslung versprechendes Abenteuer mit einer drallen, jüngeren Schönheit verrennt. Damit nimmt die - vorübergehende - Zäsur innerhalb ihrer gemeinsamen Existenz ihren verhängnisvollen Ausgang. Denn anders als andere gehörnte Gattinnen besitzt Amy Dunne nicht nur eine vorbildliche, literarisch scharfe Phantasie, sondern verfügt zudem über Ausdauer, Bosheit und, das Wichtigste, eine gehöroge Portion Irrsinn. Die sich als nicht wenig psychopathische Zeitgenossin exponierende Lady weiß, zu instrumentalisieren, besonders fatzkenhafte, reiche Männer, die ihr über ihren Stolz hinaus verfallen. Dass sie am Ende doch bloß eine ordinäre Frau mittlerer Jahre ist, die geliebt werden will, bevor sie nichts mehr vom Leben zu erwarten hat, darf allerdings nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen.
Abgesehen von dessen eindeutiger formaler Identifizierbarkeit erinnerte mich an "Gone Girl" motivisch betrachtet erstmal wenig an David Finchers Werk. Andererseits ist sein Œuvre mittlerweile wohl heterogen genug, um vordergründige rote Fäden ausmachen zu können. "Gone Girl" jedenfalls nimmt die Institution Ehe aufs Korn und beobachtet, was diese mit ihren Protagonisten bisweilen anzustellen pflegt. Besonders die Dame kommt dabei wenig schmeichelhaft davon, wenngleich die Bemühung des Begriffs 'misogyn' wohl etwas weit aus dem Fenster gelehnt wäre. Dennoch; man entwickelt einen recht leidenschaftlichen Hass auf diese Amy Dunne und ihr zunehmend ausuferndes Ränkespiel, tatsächlich erwartete ich nach dem gezeigten Rosenkrieg noch ein blutiges Finalduell mit umherfliegenden Vasen und Küchenmessern. Doch Fincher belewhrt uns buchstäblich eines Besseren. Zum Ende hin wird "Gone Girl" dann doch nochmal ungeheuer smart, weil so erschreckend wahrhaftig.

8/10

David Fincher Südstaaten Missouri Madness Satire


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DREI MÄNNER IM SCHNEE (Kurt Hoffmann/BRD 1955)


"Noch einen Cognac für mich!"

Drei Männer im Schnee ~ BRD 1955
Directed By: Kurt Hoffmann

Der reiche Unternehmer Schlüter (Paul Dahlke) gönnt sich den Luxus, sein von ihm selbst gestelltes Preisausschreiben unter falschem Namen ("Schulze") und getarnt als armer Schlucker zu gewinnen und ihm winterlichen 'Grand Hotel' abzusteigen, seinen Diener Johann (Günther Lüders), der seinerseits als Großaktionär auftreten soll, in unmittelbarer Nähe. Dabei geht die "Rettungsaktion" von Schlüters Töchterchen Hilde (Nicole Heesters) schwer nach hinten los: Diese kündigt telefonisch im Grand Hotel an, dass ein wohlhabender Sonderling, der sich als bettelarm ausgibt, vor Ort als Gast residieren wird und dass man ihm den dortigen Aufenthalt doch bitte möglichst komfortabel gestalten möge. Der überemsige Hoteldirektor (Hans Olden) hält jedoch den Zweitgewinner des Preisausschreibens, den wirklich armen Dr. Hagedorn (Claus Biederstaedt) für den angekündigten Millionär und Schlüter/Schulze für einen aufdringlichen Schmarotzer. Die beiden ungleichen Männer entwickeln derweil eine innige Freundschaft.

Grundgutes Wirtschaftswunderkino der etwas gescheiteren Sorte, nämlich, ganz kästner-like, als charmante Gesellschaftssatire, in der einmal mehr die Oberklasse als wunderliches, dennoch liebenswertes Exzentrikervölkchen exponiert wird und der arme, aber aufrechte Bildungsbürger als grundsolider, brav-bescheidenre Sozialverlierer, der dann im weiteren Verlaufe seine Chance zum Aufstieg bekommt durch die Bekanntschaft mit einem Vertreter vom anderen Ende des Verdienstspektrums. Über ein solch simplifiziertes Weltbild muss man weder länger sinnieren, noch sich an ihm reiben, zumindest nicht für die Dauer von Lektüre oder Betrachtung. Kästner war ein moderner Märchenerzähler, der es verstand, schnittigen Humor zu liefern ohne zynisch zu sein und seine Charaktere in all ihrer unperfekten Phänotypie liebenswert zu gestalten. Darum lachen die Protagonisten vermutlich auch mehr als das Publikum - man ist fröhlich um des Frohsinns Willen, wenngleich Paul Dahlkes Lachanfälle hier und da schon etwas gestellt anmuten. Immerhin saufen und qualmen die drei Herrschaften, dass es eine wahre Freude ist. Zu jeder Gelegenheit wird ein Gläschen Cognac gereicht oder eine Zigarre angezündet und auf die Gesundheit zugunsten von ein paar Genussminuten geschissen. Vor sechzig Jahren ging das noch, ganz reuelos.

8/10

Kurt Hoffmann Erich Kästner Hotel Freundschaft Satire Standesdünkel Alkohol


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PLANES, TRAINS & AUTOMOBILES (John Hughes/USA 1987)


"You're fucked!"

Planes, Trains & Automobiles (Ein Ticket für Zwei) ~ USA 1987
Directed By: John Hughes

Der in Manhattan tätige Werbekreative Neal Page (Steve Martin) möchte gern rechtzeitig zum Thanksgiving-Truthahn bei seiner Familie in Chicago sein und müht sich daher mit allen Mitteln, pünktlich zum Flughafen zu kommen. Doch bereits auf der 5th Avenue gerät er im Zuge der Jagd nach einem Taxi mit dem übergewichtigen Duschvorhangringverkäufer Del Griffith (John Candy) aneinander - der Beginn einer überaus fruchtbaren Hassliebe, die sich in den nächsten 48 Stunden stärkstens intensivieren wird. Denn die beiden ungleichen Männer werden immer wieder durch sich selbst oder das Schicksal zusammengeführt auf ihrer höchst stressintensiven Heimreise, die sich in immer abstrusere, halsbrecherischere Aktionen verläuft.

Ein Evergreen, passend zum Pilgerväter-Feiertag geschaut. Wie alle Filme John Hughes, wobei dieser der erste ist, der sich nicht mit der Bestandsaufnahme von Achtiger-Jahre-Mittelklasse-Teenagern befasst, ist auch "Plains, Trains & Automobiles" eine herrlich spitzfindige Satire mit einem brillanten Blick für komödiantisches Timing und exzellenter Darstellerführung. Dazu gibt es immer wieder pointierteste Musikeinsätze und, neben all den wunderbar skurrilen Nebenfiguren von Kevin Bacon als arrogantem Yuppie bis Dylan Baker als ekligem Kansas-Hillbilly, schließlich zwei große Humoristen in jeweiliger Höchstform; ferner nicht zu vergessen wunderhübsche Regieeinfälle wie der immer wieder großartige Moment, in dem Steve Martin während eines Unfalls John Candy als Teufel herbeiphantasiert. Soweit ein starker Film, wahrscheinlich eine der besten und klügsten Komödien ihres Jahrzehnts gar.
Allein die fürchterlich melancholische Conclusio als Siedepunkt diverser jeweils im Vorhinein gelegter Bindfäden, die den in dieser Form doch liebgewonnen, seinem Mitreisenden in vielerlei Hinsicht doch so sehr überlegenen Charakter des Del Griffith gewissermaßen über den Haufen werfen und zu einer im Grunde rein tragischen Figur machen, die von der nunmehr erstarkten Figur des Superspießers Neal Page "gerettet" werden muss, nimmt dem Film wieder eine Menge weg, beschädigt ihn sogar ein Stück weit. Es hat mich immer schon gestört, dieses süßliche Feiertagsschmelz-Ende auf den Spuren von "It's A Wonderful Life", wobei ich ehrlich gesagt auch keine rechte Alternative wüsste. Vielleicht hätte man Griffith einfach nicht zum Witwer machen und stattdessen am Ende eine Art Familienzusammenführung herbeidichten können oder Ähnliches. Dieser märchenhafte Schluss, der letztlich auch keine dauerhafte Lösung für Griffiths Probleme beinhaltet (soll er jetzt bei den Pages einziehen? wird dann später eine Sitcom draus??), zu dem fürderhin ein ziemlich ätzendes Paul-Young-Cover intoniert wird, markiert allerdings die einzige echte Kerbe in einem ansonsten über weite Strecken makellosen Film.

9/10

John Hughes Road Movie Freundschaft New York St. Louis Kansas Chicago Reise Satire Thanksgiving


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SÜPERSEKS (Torsten Wacker/D 2004)


"Sisse, Wichsleitungen gehen wieder."

Süperseks ~ D 2004
Directed By: Torsten Wacker

Weil er beim Altonaer Paten, seinem Onkel Cengiz (Meray Ülgen) mit einer Menge Patte in der Kreide steht und ihm als Garantie das Haus seiner in der Türkei lebenden Mutter (Sevgi Özdamar) verpfändet hat, braucht der Taugenichts Elviz (Denis Moschitto) dringend eine zündende Idee. Die kommt ihm, durch eine ehefrustrierte Aktion seines älteren, ihn aushaltenden Bruders Tarik (Hilmi Sözer): Zusammen mit seinem in Comuterfragen beflissenen Kumpel Olaf (Martin Glade) zieht er eine ausschließlich für türkische Anrufer konzipierte Telefonsex-Hotline auf. Das entsprechende Kapital stammt von dem etwas eigenen Porno-Schneyder (Peter Lohmeyer). Die Sache lässt sich auch tatsächlich super an, bis Elviz' Schwarm Anna (Marie Zielcke) in dem Laden anfängt und den eifersüchtigen Schwerenöter völlig durcheinanderbringt. Am Ende erfährt die türkische Gemeinde von dem ganzen versauten Geschäft und reagiert höchst ungehalten. Alles scheint verloren, doch ausgerechnet Olaf hat noch ein letztes Ass im Ärmel...

Ich geb's zu: Ein guilty pleasure. Ich käme ja nie auf die Idee, mir eine dieser mich schon von Weitem abstoßenden RomComs von und mit Till Schweiger oder Matthias Schweighöfer anzusehen und mache mich im Gegenteil nur allzu vorliebig über den Pöbel lustig, der sich mit derlei abgibt. Weil ich aber Marie Zielcke so schön finde und sie, ganz nebenbei, noch immer vom Fleck weg heiraten täte, und diese hier als Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe antritt, habe ich mir damals "Süperseks" angeschaut. Und fand ihn wider Erwarten superwitzig, denn sowohl die Darstellung der als auch die Seitenhiebe auf die in Deutschland lebende, türkische Gemeinde sind von einiger hellsichtiger Brillanz und Wahrheit.
"Süperseks" ist darüberhinaus heute vielleicht sehr viel politischer als noch vor zehn Jahren, denn er zeigt auf ebenso ironische wie liebenswerte Weise falsche Wege auf: Forcierte Selbstghettoisierung, Selbstverleugnung, Bigotterie, religiöse Verlogenheit und die Wahrung eines längst obsolet gewordener Traditionen. Natürlich sind die Türken, die Süperseks zeigt, fast durchweg Klischeetypen: Der junge Deutschtürke zwischen den Welten, der fleißige, etwas bldungsferne Arbeiter, der insgeheim unter dem Omatriarchat steht (die Büyükanne, die Großmutter ist tatsächlich das heimliche Oberhaupt und graue Eminenz vieler türkischer Familien) und auf kitschige, anatolische "Heimatfilme" aus den Siebzigern steht, die insgeheim längst emanzipierte, türkische Ehefrau, der studierte Emporkömmling, der mit allen Mitteln westeuropäisch wirken möchte; dazu der altbekannte, uns Deutsche so befremdende Tand um Plüsch und Glitzerzeug. Klischees werden jedoch benötigt, um Satire machen zu können und sind damit probat.
Das Schöne an dem Film ist aber vor allem, dass er bei aller analytischen Freude keine didaktische, tendenziöse Allgemeinlösung propagiert, sondern für freie Entscheidung, Toleranz und ein friedfertiges Miteinander wirbt. Damit ist er ein kleines Original und mit einer Nasenlänge vorn, heute vielleicht mehr denn je.

8/10

Torsten Wacker Hamburg Telefonsex Brüder Satire


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MASH (Robert Altman/USA 1970)


"Goddamn army."

MASH ~ USA 1970
Directed By: Robert Altman

Im Koreakrieg, 1951: Die beiden Chirurgen und (unfreiwilligen) Offiziere Hawkeye Pierce (Donald Sutherland) und Duke Forrest (Tom Skerritt) sind neu im Sanitätscamp MASH 4077. Als gnadenlose Zyniker und Hedonisten leisten die beiden zwar hervorragende medizinische Arbeit nach Kräften, vertreiben sich die übrige Zeit jedoch mit heillosen Besäufnissen, Sex und liebenswerten bis gemeinen Streichen gegenüber dem Restpersonal. Als der sie in all diesen Dingen noch übertreffende Trapper John McIntyre (Elliott Gould) zu ihrer Truppe stößt, ist ein lustiges Chaos vorprogrammiert.

Mit dem so inflationär missbrauchten Attribut "genial" in Bezug auf die qualitative Einordnung von Film gehe ich bekanntermaßen alles andere als häufig hausieren, in diesem Falle jedoch, Altmans dritter Langfilmregie, gibt es kein treffenderes.
Es existieren ja ganz unterschiedliche Möglichkeiten, protestträchtiges, humanistisch geprägtes Antikriegskino zu machen. Speziell der Vietnamkrieg, der sich ereignete in einer Ära, als Hollywood sich im wichtigsten Umbruch befand von seiner tradierten hin zu seiner intellektualisierten Phase, bot dafür gewissermaßen eine eminente Vorlage. Zuvor gab es betreffs dieses zeitgenössischen, weltumspannenden Topos lediglich den erzreaktionären und hurrapatriotisch angelegten "The Green Berets", wenn man so will einen der finalen Grabsteine des alten Studiosystems, der eindrucksvoll aufzeigte, wie überkommen selbiges zu funktionieren pflegte. Unverhohlen bis offen geäußerte Kritik am derzeit stattfindenden Fernost-Engagement der USA war dennoch ein zu heißes Eisen für kommerziell angelegtes Entertainment. So gab es den das Massaker von My Lai als pro-indianischen Western verklausulierenden "Soldier Blue" und, neben Mike Nichols etwa zeitgleich entstandener Heller-Adaption "Catch-22" eben Altmans "MASH", der, anders als sein Komplementärwerkden Zweiten Weltkrieg, den Koreakrieg als symbolischen Subtext für Vietnam nutzte. Der hierin favorisierte Ansatz, einen Antikriegs- und sogar einen Antiimperialismus-Film zu schaffen, liegt im intellektuell vielleicht tragfähigsten, nämlich im Satirischen, in der Farce. Die wundervolle Konsequenz jener berühmten Einstellung, in der vor dem Bild einer wehenden US-Flagge eine japanische Sängerin aus dem Lautsprecher ertönt mit einem Schmalzstück namens "It's Time For Us To Say 'Sayonara'" ist wohl bis heute unerreicht.
Während also "drüben" an der Front Männer zerschossen werden, müssen unsere drei Helden/Chirurgen diese wieder zusammenflicken. Solchen Widersinn ertragen weitsichtigere Zeitgenossen freilich nur durch eine umfassend existenzkultivierte "Leck-mich-am-Arsch"-Attitüde, die Hawkeye, Trapper John und Duke Forrest beherrschen wie keine anderen. Man könnte auch behaupten, dass sie ihre Operationen zwischen zwei Martinis durchführen; inmitten all der nicht zuletzt selbstzerstörerischen Schlachten ihrer bedauernswerten Frontkameraden bleibt für sie, die etwas cleverere Hinterhand, immerhin hinreichend Zeit zum Golfspielen, sowie dazu einheimische Jungs zu Barkoryphäen zu erziehen, bigotte Kollegen in die Zwangsjacke zu treiben, den Suizid eines an seiner Potenz zweifelnden Dentisten-Kollegen (John Schuck) zu verhindern oder eine Schamhaarrevue zu veranstalten - alles fein episodisch und in höchster Brillanz vorgetragen und gekrönt von einem slapstickartig inszenierten Football-Spiel. Parallel dazu hat es allenthalben wirre Gestalten wie den Camp-Kaplan Mulcahy (Rene Auberjonois), den ewig vor sich hin plappernden Corporal Radar (Gary Burghoff) oder die verpeilte Stimme aus dem Camp-Lautsprecher, die im Original David Arkin gehört. Womit wir dann abschließend bei der deutschen Sychronfassung wären, die die ungeheure Leistung erbringt, Altmans komplexe, nuschelige Querdialoge vollkommen kongenial ins Deutsche zu übertragen und die eines der vordringlichen, ja, unerreichten Meisterstücke ihrer Kunst darstellt. Eine Versammlung einiger der größten Könner ihrer Zunft gibt es da zu bestaunen und zu beklatschen, die alles herausholen, was drin ist und noch mehr.
"Suicide is painless": "MASH" ist nicht nur ein großes, wahrhaftig formuliertes "Nein" zum Krieg, er ist der weit ausgestreckte Mittelfinger.

10*/10

Robert Altman Korea Koreakrieg Farce Ensemblefilm Medizin Militär New Hollywood


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PAPER MOON (Peter Bogdanovich/USA 1973)


"I got scruples too, you know. You know what that is? Scruples?" - "No, I don't know what it is, but if you got 'em, it's a sure bet they belong to somebody else!"

Paper Moon ~ USA 1973
Directed By: Peter Bogdanovich

Damit hätte der schlitzohrige Trickbetrüger und Bibel-Vertreter Moses Pray (Ryan O'Neal) nicht gerechnet: Als er bei der Beerdigung einer Verflossenen vorbeischaut, drückt man ihm die neunjährige Addie Loggins (Tatum O'Neal) aufs Auge; er möchte sie doch mit nach Kansas nehmen, zu ihrer Tante Billie (Rosemary Rumbley) in St. Joseph, die sich von nun an um das Kind kümmern werde. Und dann ist da ja noch so eine seltsame, physiognomische Ähnlichkeit zwischen Moses und der kleinen Addy. Die beiden werden nach einigen Startschwierigkeiten jedenfalls ein hervorragendes Team, wenn es um das (gerechte) Abzocken naiver ZeitgenossInnen geht, landen einmal sogar fast im Gefängnis, als sie einen Bootlegger (John Hillerman) hereinlegen wollen und können sich doch kaum eingestehen, was sie eigentlich längst wissen: Dass sie zusammengehören wie Pech und Schwefel.

Fast wäre ich ja geneigt, nach dieser jüngsten Betrachtung (die letzte liegt vermutlich zwölf Jahre zurück) "Paper Moon" als Peter Bogdanovichs unumwundenes Meisterstück zu verorten, und wahrscheinlich ist er dies auch wirklich. Meine persönliche Beziehung zu "The Last Picture Show" ist, ähnlich der des Regisseurs vermutlich, jedoch eine etwas engere und auch tiefere, so dass ich dieses bis in minimalste Details vor formaler Perfektion strotzende Werk in meiner persönlichen Bogdanovich-Hitlist unter einiger Pein "lediglich" an Platz 2 setzen mag. Dabei hat er so unendlich viel Herz und Humor, dieser Film, und man möchte gar nicht, dass er aufhört, würde Moses und Addy auf dieser infiniten Straße ins Reich der Mythen und weiterer Abenteuer, kurz: des Film-Nirwana, am liebsten nacheilen und sie nie mehr aus den Augen verlieren. Das ist Kinopersonal für die Ewigkeit, ebenso übrigens, wie die diversen, vortrefflich ausgefeilten Nebencharaktere. Vater und Tochter O'Neal kann man nirgends in besserer Form antreffen, besonders Tatum, noch zigmal abgewichster und ausgebuffter als ihr liebenswerter, aber etwas unbedarfter Dad ist eine Offenbarung und straft jeden Lügen, der Kinder im Film par tout als Nervensägen und Ballast verdammt. Hätte die Academy nur ein wenig mehr Arsch in der Hose, die Kleine hätte nicht als Neben- sondern als Hauptdarstellerin nominiert werden und den Preis als solche erhalten müssen. So ein Töchterlein kann jedem Jungvater nur zur Ehre gereichen, wie ein solcher Film jeden Regisseur zum unangefochtenen Spitzenkönner deklariert.

10/10

Peter Bogdanovich Road Movie Great Depression Vater & Tochter period piece Missouri Kansas Freundschaft New Hollywood


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IL MIO NOME È NESSUNO (Tonino Valerii/I, F, BRD 1973)


Zitat entfällt.

Il Mio Nome È Nessuno (Mein Name ist Nobody) ~ I/F/BRD 1973
Directed By: Tonino Valerii

Jack Beauregard (Henry Fonda) ist einer der letzten, legendären Gunmen des Alten Westens. Da er sein Gnadenbrot in Ruhe und möglichst unbehelligt einnehmen möchte, plant er eine Reise nach Europa. Doch es gibt noch alte, offene Rechnungen - so den Tod seines Bruders Nevada, der in krumme Geschäfte mit dem Goldmieneneigner Sullivan (Jean Martin) verstrickt war. Dieser würde Beauregard am Liebsten in einen Maßsarg stecken und hat neben ein paar anderen, gedungenen Killern bereits die legendäre "Wilde Horde" angeheuert - 150 Männer, die reiten und schießen wie 1000. Zu Beauregards Glück kreuzt allenthalben der schlitzohrige Nobody (Terence Hill) seinen Weg, eine Art Wildwest-Eulenspiegel, der seinen Colt nur bei sich trägt, um ungewinnbare Wetten zu gewinnen und sich ansonsten mit Backpfeifen und Ohrlaschen Resapekt verschafft. Nobody rettet Beauregard immer wieder das Leben und entwickelt sich langsam zu dessen Schutzengel - mit manch prophetischem Hintergedanken...

Dass Sergio Leone unkreditierter Co-Regisseur dieses Spät-Spätwesterns war, sieht man dem Resultat in vielen seiner elegischen Szenen unschwer an, wie der Meister des operesken Staub- und Stiefelkinos eigentlich dem ganzen Film seine Signatur aufgedrückt hat. Sei es ein enevierend lautes Uhrenticken, das einen Barbier-Besuch akustisch untermalt oder Morricones gar nicht mal ausgesprochen parodistisch gemeinte, musikalische Selbstzitate aus "C'Era Una Volta Il West".
Natürlich konnte und musste "Il Mio Nome È Nessuno" einzig als italienische Co-Produktion entstehen, zeigt er doch vor allem - und eigentlich schon etwas zu spät - das Weiterreichen der Erfolgsfackel. Vom klassischen Genrekino, wie die Italiener es sich kontinental zu eigen gemacht hatten, gesäumt von lauten Schnellschüssern und vielen Leichen hin zum damals in Europa so beliebten Spaß- und Prügelwestern um Bud Spencer und Terence Hill, der sich mit diesem Film hinreichend von seinem ewigen Duettpartner emanzipieren konnte. Die Generationen treffen aufeinander in der Person Henry Fondas, einer großen Gattungs-Ikone, der stoischen Ernst und ruhige Gelassenheit über die Dekaden trefflich präserviert hat (und nach "C'Era Una Volta Il West" wieder weg ist vom Schweinhündischen) sowie in der Hills, jenes buchstäblich spitzbübischen Chilibohnen-Fanatikers und Streichespielers, der sich anschickt, die mittlerweile auf Sehhilfen angewiesene Väterlein-Generation nicht nur zu beerben, sondern ihr gleichfalls noch einen adäquaten Abgang von der nach immer weiteren Legenden gierenden Öffentlichkeitsbühne zu verschaffen.
Heraus kam dabei ein ganz besonders unikaler Film, wahrscheinlich gar der einzige, der es fertigbrachte, eine wohlfeil abgemischte Schnittmenge aus klassisch-amerikanischem, klassisch-mediterranem und Neo-Spaß-Western samt gleichmäßig dargebrachten Anteilen zu kredenzen. Dass die deutsche, von Rainer Brandt erstellte Sprachfassung keine Gefangenen macht und die üblichen, verbalen Nonsenssegel setzt, gehört ebenso zur Geschichte dieses Films wie Morricones ohrwurmgarantierender, grauselig verzerrter Walküren-Ritt.

9/10

Sergio Leone Tonino Valerii Italowestern Freundschaft Hommage Parabel


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LOVE ETERNAL (Brendan Muldowney/IE 2013)


"I'm a disordered human being."

Love Eternal ~ IE 2013
Directed By: Brendan Muldowney

Ian (Robert de Hoog) findet sich im Leben nicht zurecht. Der Tod ist sein ständiger Begleiter und seine einzigen sonstigen Interessen liegen in der Laien-Astronomie. Ansonsten fühlt Ian sich als existenziell fehl am Platze. Allenthalben setzt er zum Selbstmord an, doch immer wieder scheitern seine Versuche aufgrund obskurer Wendungen. Ian ist einsam und findet keine Erfüllung; selbst der Versuch einer nekrophilen Beziehung mit der in seiner Gegenwart gestorbenen Tina (Amanda Ryan) scheitert kurzfristig: Rigor mortis und dessen unästhetische Folgen sind dann auch nicht wrklich Ians Hausnummer. Dann die ihm immer wieder begegnende Naomi (Pollyanna McIntosh) - sie hat ihren kleinen Sohn durch einen Unfall verloren, sich von ihrem Mann (Aiden Condron) getrennt und schöpft nun durch Ians Interventionen neue Kraft. Auch Ian profitiert von dieser Freundschaft, und endlich wartet seine bestimmende Aufgabe auf ihn.

Eine mir zufällig aufgefallene Tendenz: Nach dem erst letzthin geschauten "Last Kind Words" handelt es sich auch bei "Love Eternal" um einen Film, der seine grundierende, tiefe Morbidität beinahe zwanglos zum Ethos erhebt und dabei förmlich zu predigen scheint: "Suicide's an alternative!" Der Protagonist Ian, in stiller Schönheit begeisternd von Robert de Hoog dargeboten, wähnt sich als Berglöwen im Körper eines Menschen; er sei schlicht im falschen Körper zur Welt gekommen und könne in seiner menschlichen Form kein zufrieden stellendes Leben führen. Sämtliche Versuche, sich der Welt und auch deren Negierung, anzunäheren, scheitern. Erst die platonische Beziehung zu der tieftraurigen, sich jedoch mit aller Macht gegen die Depression stemmenden Naomi führt ihm Alternativen vor Augen. Das Leben kann schön sein, man muss nur seine Nische finden. Ein dann doch noch impulsiv herbeigeführter Selbstmordversuch Naomis schlägt fehl - ausgerechnet, weil Ian ihr rechtzeitig das Leben rettet. Danach findet sie wieder zu ihrem Mann und somit zurück ins Leben; Ians "Radikaltherapie" ist erfolgreich, sein Lebenssinn erfüllt, er wieder allein, aber zufrieden. Seiner letzten Reise steht nun endgültig nichts mehr im Wege. Das ist "Amélie", bloß gehüllt in tiefstes Schwarz!
Das selbstzufriedene, freie Aus-dem-Leben-Scheiden buchstabiert Muldowneys wirklich wunderbarer Film nun also mit einem dermaßenen Selbstverständnis, dass ihm die FSK trotz wirklich kaum prekärer Visualisierungen wie bereits "Last Kind Words" ein 18er-Siegel verabreichte - man möge labile Jugendliche mit solcher Nekromantisierung doch bitte nicht auf falsche Ideen bringen. Eine wahrhaftig tragfähige Ausgangsbasis zur Hervorrufung eines um sich greifenden Neo-Werther-Effekts! Andererseits: Brächte man sich nach dem Genuss von "Love Eternal" einfach um, man könnte solch grandioser Filme wie diesem (oder auch seiner selbst) nie mehr ansichtig werden und das wäre wiederum doch verdammt schade.

9/10

Brendan Muldowney Irland Tod Suizid Biopic


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MAD CITY (Constantin Costa-Gavras/USA 1997)


"A line has been crossed."

Mad City ~ USA 1997
Directed By: Constantin Costa-Gavras

Ausgerechnet der als sensationsgieriger Enthüllungsjournalist berüchtigte Max Brackett (Dustin Hoffman) ist zugegen, als der gefeuerte Sicherheitsmann Sam Baily (John Travolta) mit Schrotflinte und Dynamit seinen früheren Arbeitsplatz, das städtische Museum, betritt und eine zufällig vor Ort befindliche Schulklasse als Geiseln nimmt. Brackett wittert sofort großes Nachrichtenentertainment und lenkt von Anfang an die Aktionen des leicht unterbelichteten Kidnappers in seine gewünschte Richtung. Doch nicht nur Brackett, auch sein Sender und das bald heranrückende FBI manipulieren Bailey mal mehr, mal weniger, provozieren sein verlängertes Ausharren im Museum und beeinflussen die öffentliche Meinung.

Dass "gut gemeint" in aller Regel das Gegenteil von "gut" darstellt, lässt sich anhand Costa-Gavras' bis dato letzter Hollywood-Produktion "Mad City" zumindest ansätzlich klar verifizieren. So eine Massenmediensatire hier und da ist ja eigentlich nie verkehrt und erreicht grundsätzlich ihre Adressaten (in der Regel nämlich die, die sich ohnehin weitgehend "medienkompetent" schimpfen). Mit Dustin Hoffman befindet sich ein garantiert brillanter Schauspieler an Bord, mit John Travolta zumindest einer, der etwas Kohle in die Kassen holt. Dennoch enthebt all das "Mad City" nicht seines penetranten Reißbrett-Charakters, der seines Regisseurs vermittels dieser einfach gestrickten Art der Darbietung, die sicherlich bereits infolge oberflächlicher Script-Lektüre absehbar war, weder würdig ist noch ihn überhaupt sonderlich gereizt haben sollte. Vermutlich ging es in diesem Falle auch einfach mal um einen ausgedehnten Sommerurlaub. Ist ja auch okay. Man kann nicht permanent große Würfe vollziehen und wird schließlich auch abgeklärter mit dem Alter. Dann möge man als Urheber aber bitte auch Verständnis für die entsprechenden Reaktionen aufbringen: "Mad City" lässt sich über weite Strecken anschauen, ohne dass er allzu heftige Koliken verursachte, vermeidet es aber ebenso penibel, Wagnisse jedweder Art einzugehen; sei es in gedanklicher oder auch nur in inszenatorischer Hinsicht. Für Costa-Gavras' Œuvre stellt "Mad City" keine ausgesprochene Schande dar, aber er würde darin auch nicht wirklich vermisst werden.
Als Travolta als Sam Baily in letzter, sympathiebekundender Regung gegenüber Brackett dazu ansetzt, ihm, wie es in "Face/Off" ja sein "Erkennungszeichen" war, freundschaftlich mit der Handfläche übers Gesicht zu fahren, musste ich heuer allerdings beinahe speien. Der Typ kann einfach nicht anders, als den Großkotz zu markieren, selbst wenn er bloß einen verblödeten Trottel spielen soll.

5/10

Constantin Costa-Gavras Journalismus Fernsehen Satire Kidnapping Museum Kleinstadt Kalifornien





Filmtagebuch von...

Funxton

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