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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE LOST (Chris Sivertson/USA 2006)


"I'm losin' patience here."

The Lost ~ USA 2006
Directed By: Chris Sivertson

Der geisteskranke Ray Pye (Marc Senter) attackiert im Beisein seiner Freunde Jennifer (Shay Astar) und Tim (Alex Frost) mit einer Schusswaffe völlig ungeplant zwei campende Mädchen im Wald, ermordet eines davon und verletzt das andere so schwer, dass es nach vierjährigem Koma ebenfalls stirbt. Für den seinerzeit ermittelnden Beamten Schilling (Michael Bowen) liegt der Fall nach wie vor sonnenklar - nur, dass Ray damals nicht verhaftet werden konnte, weil die Belastungszeugen fehlten. Noch immer versucht Schilling nun, Ray dingfest zu machen, bevor er ein weiteres Verbrechen begehen kann, doch dieser verhält sich für seine Verhältnisse ruhig. Bis zu dem Tag, als sowohl seine Liebschaft Katherine (Robin Sidney) als auch seine Freundin Jennifer ihm unabhängig voneinander den Laufpass geben. Ein furchtbarer Amoklauf ist die Folge.

"The Lost" war 2006 die erste Adaption eines Jack-Ketchum-Romans und beschließt nun ironischerweise meine mit dem explosiven "The Woman" begonnene Retrospektive von Ketchum-Aufbereitungen. Wie die anderen vier Filme möchte ich auch diesen als praktisch nahtlose atmosphärische Transponierung des kaputten Amerikabilds Ketchums in die Zelluloidwelt bezeichnen; einen so unbequemen wie mutigen Ausflug in einen pathologischen Geist, begleitet von nicht minder extravaganten Nebenerscheinungen im mittelbaren sozialen Umfeld des Protagonisten. In dieser oberflächlich beschaulichen Kleinstadt mit ihren Motels und Drive-Ins ist so manches faul, da ist der wahnsinnige Ray Pye nur die Spitze des Eisbergs; ja, vielleicht sogar ein längst überfälliger Katalysator, als er am Ende sein letztes festes Schräublein einbüßt und alles niedermacht, was sich ihm in den stark bekoksten Weg stellt. Eine überaus innovative filmische Narration, ein furioser Hauptdarsteller, die toll ausbalancierte Song-Kompilation und veredelnde Auftritte der Genre-Legenden Dee Wallace und Ed Lauter machen schließlich "The Lost" zu einer durchweg sehenswerten Ketchum-Adaption.
Get Lost! (man verzeihe mir diese zugegebenermaßen dämliche, aber zwanghafte Paraphrase)

8/10

Chris Sivertson Jack Ketchum Massenmord Amok Madness Lucky McKee Independent


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THE BLACK SLEEP (Reginald Le Borg/USA 1956)


"Odo is gipsy for 'cat' Cat has nine lives!"

The Black Sleep (Die Schreckenskammer des Dr. Thosti) ~ USA 1956
Directed By: Reginald Le Borg

London, in den 1870ern: Kurz bevor der unschuldig wegen Mordes zum Tode verurteilte Dr. Ramsay (Herbert Rudley) hingerichtet werden kann, verabreicht ihm der Gehirnchirurg Dr. Cadman (Basil Rathbone) bei einem Besuch etwas von seinem indischen Spezial-Narkotikum, genannt "Schwarzer Schlaf". Dessen Einnahme sorgt für einen kurzfristigen Scheintod, so dass Ramsay, für tot und begraben erklärt, von Cadmans Partner Odo (Akim Tamiroff) rechtzeitig wieder ausgebuddelt werden kann. Dass Ramsay bei Cadmans Versuchen als Assistent dienen soll, empfindet dieser zunächst als schmeichelhaft, dann kommt er jedoch hinter das Geheimnis des wahnsinnigen Wissenschaftlers: Um seine im Koma liegende Frau (Louanna Gardner) zu retten, führt Cadman wahllose Hirnoperationen an unfreiwilligen Probanden durch, die dann, geschädigt und entstellt, in seinem hauseigenen Verlies landen...

Ein prachtvolles Horror-Happening hat der günstig, aber versiert arbeitende Reginald Grobel alias Reginald Le Borg da in die Bahn geworfen. Neben dem erwähnten Basil Rathbone sind in kleineren Rollen (zumeist als hirn-teilamputierte Mutanten) zu sehen: Lon Chaney Jr., John Carradine, Tor Johnson und Bela Lugosi in seiner vorletzten Rolle als stummer Cadman-Lakai Casimir. Besonders bei seinen Auftritten packt einen die Wehmut, denn Lugosi, schwer gezeichnet von seiner Morphiumsucht, wirkt in etwa wie ein klassisches Pendant des zu seinen Lebzeiten gern von Helge Schneider eingesetzten Laienakteurs Helmut Körschgen. Keine Spur mehr von der alten Vampirgrafen-Grandezza des einst so stolzen Schauspielers; stattdessen hat es nur mehr einen zittrigen Greis, dessen Engagement wohl eher auf einen Gefallen und den Zuschuss ein paar Extradollars zurückzuführen ist denn auf seine verblichene Klasse. Ähnliches gilt für Lon Chaney Jr., der zwar noch ein paar Jahre vor sich hatte, zu dieser Zeit aber bereits hoffnungslos dem Suff anheim gefallen war und einen ebenfalls dialoglosen Part als von Dr. Cadman zwangsderangierter Arzt mit dem schönen Namen 'Mungo' gab. Zu Tor Johnson muss man wohl kaum mehr etwas sagen. Wirklichen Glamour gibt es allerdings trotzdem noch - solchen bringen der nach wie vor fürstlich aufspielende Rathbone sowie der heimliche Hauptdarsteller Akim Tamiroff mit ein, wobei letzterer mit genau der Mischung aus Professionalität und subtiler Satire zu Werke geht, wie sie ein Werk wie dieses benötigt.
Ein für Connaisseure im Grunde unverzichtbarer Film.

7/10

Reginald Le Borg Mad Scientist England London period piece Trash


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IL MULINO DELLE DONNE PIETRA (Giorgio Ferroni/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Il Mulino Delle Donne Pietra (Die Mühle der versteinerten Frauen) ~ I/F 1960
Directed By: Giorgio Ferroni

Irgendwann um die vorletzte Jahrhundertwende kommt der Student Hans von Arnim (Pierre Brice) auf die abgelegene Windmühle des Bildhauers Professor Gregorius Wahl (Herbert Böhme), um eine Abhandlung über dessen Lebenswerk zu schreiben. Professor Wahl unterrichtet zugleich selbst an der Kunstakademie und bewirtschaftet aus Tradition seine alte Mühle, in der er eine makabre Drehbühne voll mit Skulpturen gefolterter und hingerichteter Frauenfiguren vorführt. Als Hans sowohl Professor Wahls Tochter Elfie (Scilla Gabel) als auch den ebenfalls in der Mühle lebenden Dr. Bohlem (Wolfgang Preiss) kennenlernt, überschlagen sich die Ereignisse. Nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht und späteren Aussprache stirbt die an einer seltenen Krankheit leidende Elfie in seinen Armen. Der sich Vorwürfe machende Hans irrt durch die Straßen und weiß später nicht mehr, ob ihm seine Einbildung nur Streiche gespielt hat: Elfie jedenfalls ist mitnichten tot und Professor Wahl und Dr. Bohlem bescheinigen ihm Anflüge von Irrsinn. Doch wer war dann die rothaarige, gefesselte Frau in der Mühle? Und warum ist ein paar Tage später Hansens Verlobte Liselotte (Dany Carrel) spurlos verschwunden?

Ein höchst atmosphärischer Gruselfilm guter alter Schule, noch ganz ohne die späteren typischen Exploitationelemente der Gattung auskommend und sich allein auf seine beklemmenden Bilder und deren Wirkung verlassend. Augenscheinlich manch Unpassendes kommt zusammen in Ferronis Film; die italienisch-französische Produktion, die holländischen Provinzdrehorte, die aus unterschiedlichen Ländern stammende Besetzung. Schließlich gibt es die sich auf sehr geschickte Weise erst nach und nach entblätternde Geschichte, die nach einigen scheinbar unerklärlichen Wendungen ihre Schlüssigkeit demonstriert: Hinter seinen mysteriösen Erlebnissen binnen einer Nacht und eines Tages, die Hans wahlweise als Medikamentenrausch oder als körpereigene Halluzination interpretieren muss, die eine nicht vorhandene Leiche in einer Gruft sowie eine offenbar eingebildete Aussprache beinhalten, verbirgt sich eine ganz nüchterne, vielfach bekannte Auflösung: Professor Wahls Tochter Elfie verfällt immer wieder in todesähnliche Starrzustände und kann nur durch das Blut anderer junger Mädchen wiederbelebt werden. Nach einer solchen Prozedur wächst Wahls Drehkabinett jeweils immer wieder um eine neue Skulptur. Damit entkräftet sich zwar die herrlich mystische Atmosphäre der nebelverhangenen, herbstlichen Grachtenlandschaft etwas und die Geschehnisse erscheinen plötzlich alles andere als verschwurbelt - man erinnere sich nur an den bloß ein Jahr älteren "Les Yeux Sans Visage" - was diesem ausgesprochen schönen Film jedoch keinen Schaden zufügt.
"Il Mulino Delle Donne Pietra" hätte, dessen bin ich mir sicher, auch einen Mario Bava stolz auf sich gemacht.

8/10

Giorgio Ferroni Mad Scientist period piece Niederlande Fin de Siècle Serienmord


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THE CAR (Elliot Silverstein/USA 1977)


"I don't believe it, I don't accept it!"

The Car (Der Teufel auf Rädern) ~ USA 1977
Directed By: Elliot Silverstein

Die kleine verschlafene Wüstengemeinde Santa Ynez, Utah wird aus heiterem Himmel von einem dämonischen Auto heimgesucht, das ein eigenes Bewusstsein zu haben scheint und diverse Menschen tötet, bevor es von dem angeschlagenen Deputy Wade Parent (James Brolin) zurück zur Hölle geschickt wird.

Wenngleich die Storyprämisse auf das erste Hinhören etwas dämlich klingt, kann man "The Car" bescheinigen, ein überaus sauber und akkurat inszenierter Horrorfilm zu sein, der in bester Tradition der Monster-, Tierhorror- und/oder Katastrophen-Welle steht, die die Universal mit Filmen wie "Earthquake" und "Jaws" selbst entfacht und bedient hat. Das titelgebende, dämonische Objekt ist ein eigens für den Film konstruiertes Phantasiefabrikat, klein, flach und wendig, ohne Griffe an den Türen, mit rot getönten Scheiben und - natürlich - ohne (erkennbaren) Fahrer. Einen so ordinären, industriellen Gebrauchsgegenstand wie ein Auto nun tatsächlich dazu zu bringen, auch beim Publikum eine solch satanische Wirkung zu hinterlassen, dazu gehört, wie ich meine, schon einiges an Kunst und Können. Elliot Silverstein, der sich als spärlich arbeitender Regisseur so unikaler Western wie "Cat Ballou" und "A Man Called Horse" einen kleinen Namen machen konnte, wusste ganz bestimmt genau, was er tat, als er die Hupe und den röhrenden Motor dieses Zweitürers unerklärlichen Ursprungs zum Klingen brachte. Dafür tragen auch die hervorragend atmosphärisch ausgeführten Jobs seiner Mitarbeiter Gerald Hirschfeld (dp) und Leonard Rosenman (Score) ihre Verantwortung. Einer rasanten Fahrt in diesem höllischen KFZ ist von meiner Seite jedenfalls sehr zuzuraten!

7/10

Elliot Silverstein Utah Auto Dämon Monster


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LOS MONSTRUOS DEL TERROR (Tulio Demicheli/E, BRD, I 1970)


Zitat entfällt.

Los Monstruos Del Terror (Dracula jagt Frankenstein) ~ E/BRD/I 1970
Directed By:Tulio Demicheli

Da ihre eigenen Ressourcen erschöpft sind, plant eine Gruppe menschenähnlicher Aliens eine Invasion auf der Erde, mittels eines besonders ausgefuchsten Planes: Der Wissenschaftler Odo Warnoff (Michael Rennie) soll Frankensteins (im Film: Farancksalans) Monster (Ferdinando Murolo), einen Vampirgrafen (Manuel De Blas), den Werwolf Waldemar Daninsky (Paul Naschy) und eine ägyptische Mumie (Gene Reyes) studieren, um dann mit deren Hilfe sämtliche Menschen zu ähnlichen, untoten Monstren zu machen. Der wackere Provinzpolizist Inspektor Tobermann (Craig Hill) versalzt den Außerirdischen jedoch das intrigante Süppchen.

Hübsch zusammengeprötschelter Euro-Trash-Eintopf, der sich wohl in der Tradition der alten Universal-Filme, speziell deren drei, vier Happening-Produktionen aus den Vierzigern sieht, jenen nostalgischen Charme jedoch mit geradezu unheimliche Treffsicherheit verfehlt. "Los Monstruos Del Terror" ist nicht nur der perfekte Film zu Karneval, sondern zudem ein barbrüstig dargebotener Offenbarungseid des monströsen Schwachsinns; dabei durchaus professionell sowie schick hergestellt und mit illustren Namen wie denen von Karin Dor, Paul Naschy und Michael Rennie (in seiner Abschiedsvorstellung) aufwartend. Der Score groovt ordentlich von hinnen, die Laborlämpchen leuchten, die Schlossmauern wackeln. Dazu gibt's eine flotte Synchronregie von Karlheinz Brunnemann.
Für Naschy aka Jacinto Molina Álvarez, den ich trotz angeblicher fünfzehn Jahre Altersunterschied ja schon seit langem für den illegitimen Zwillingsbruder John Belushis halte, war dies der dritte von zu Lebzeiten nicht weniger als zwölf Auftritten als spanischer Werwolf Waldemar Daninsky. Zu Lebzeiten, weil sich wohl niemand ernstlich wunderte, käme Naschy nochmal für einen weitere Lykanthropie-Saga aus seiner Gruft gestiefelt. Am Ende wurde mir jedenfalls mal wieder schmerzlich bewusst, dass ich von seinem monumentalen Werk leider noch viel zu wenig kenne.

6/10

Europloitation Trash Frankenstein Werwolf Mumie Vampire Aliens Invasion Crossover Tulio Demicheli Paul Naschy Hugo Fregonese Mad Scientist Waldemar Daninsky


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HOW TO GET AHEAD IN ADVERTISING (Bruce Robinson/UK 1989)


"The world is one magnificent fucking shop."

How To Get Ahead In Advertising (Kopf an Kopf) ~ UK 1989
Directed By: Bruce Robinson

Der in einem genialischen Ruf stehende Londoner Werbe-Crack Denis Bagley (Richard E. Grant), bestückt mit einem großzügigen Gehalt und einer schönen Frau (Rachel Ward), ist mit sich und seinem zynischen Leben zufrieden. Bis ihn eine geplante Kampagne bezüglich einer neuen Anti-Pickel-Creme in eine tiefe Schaffens- und Lebenskrise stürzt. Nach einigen absonderlichen Verhaltensausbrüchen wächst Denis, der sich vornimmt, die egomanische Werbebranche hinter sich zu lassen und stattdessen etwas für die globale Entspannung zu tun, auf der rechten Schulter ein Pickel. Nach einigen Tagen fängt dieser an zu sprechen, entwickelt ein Gesicht nebst Schnurrbart, wird immer größer und dabei Denis' Antlitz immer ähnlicher. Schließlich entwickelt sich die Wucherung zu einem zweiten, von intriganten Gedanken beseelten Kopf, der die Rolle mit Denis' ursprünglichem Haupt tauscht und selbiges an seiner Statt entfernen lässt, um dann den Part des früheren Denis zu übernehmen.

Robinsons zweite bizarre Komödie unterstreicht den bereits mit "Withnail & I" von ihm geprägten Eindruck des grenzverrückten Filmkünstlers mit Botschaft. "How To Get Ahead In Advertising" zu kategorisieren erweist sich als praktisch unmöglich; er karikiert gleichermaßen das sich bereits der Dämmerung hingebende Yuppie-Zeitalter der Achtziger, liefert eine kluge Analyse des eine immer unerlässlichere ökonomische Rolle einnehmenden Werbewesens und ist eine freche Horrorkomödie und Jekyll/Hyde-Variation, deren eigenartige Ästhetik vielleicht ein wenig beeinflusst ist von Henenlotters "Basket Case", in dem es im Prinzip ja auch um ein böses Eigenleben entwickelnde Geschwüre geht. "How To Get Ahead" mit seinem wunderbar zweideutigen Titel erklärt uns den Großverdiener seiner Ära als zwangsläufig korruptes Monster, macht mit seiner irrwitzigen Symbolik deutlich, dass jedes Gewissen und jeder Rest Menschlichkeit gnadenlos ausgelöscht werden müssen, wenn man in der Hochfinanz überleben will und kann sich dabei auf einen förmlich berserkernden Richard E. Grant verlassen, der es bewundernswerterweise - wenngleich man darüber wenig verwundert ist - bis heute geschafft hat, ausschließlich in Rollen aufzutreten, denen er selbst etwas abgewinnen kann. Wahnsinnstyp. Der Schlussmonolog gehört mit zum Großartigsten, was gesellschaftskritische Drehbuchkultur in den achtziger Jahren aufzubieten wusste.

8/10

Werbung Bruce Robinson Satire Groteske Parabel London Yuppie


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WILLARD (Daniel Mann/USA 1971)


"You made me hate myself!"

Willard ~ USA 1971
Directed By: Daniel Mann

In Willard Stiles (Bruce Davison), einem introvertierten jungen Mann, schlummert die Aggression. Seine Mutter (Elsa Lanchester) belästigt ihn permanent mit irgendwelchen Reparaturwünschen und deren Freunde und Freundinnen sind ausnahmslos unangenehme Speichellecker. Derweil leitet der fiese Emporkömmling Mr. Martin (Ernest Borgnine) ausgerechnet die Firma, die einst Willards Vater gehörte und in der Willard nurmehr als Martins kleiner Laufburche arbeiten darf. Eines Tages soll Willard die Ratten im Garten ausmerzen, bringt dies jedoch nicht übers Herz und freundet sich stattdessen mit ihnen an. Besonders zwei von ihnen, eine sehr zutrauliche, weiße Ratte, die Willard "Sokrates" tauft und eine graue, verschlagene, die er "Ben" nennt, haben es ihm angetan. Willard beginnt sie zu dressieren und als ständige Begleiter überall mit hin zu tragen. Als Willards Mutter stirbt, Martin immer unverschämter wird und schließlich sogar den armen Soktrates tötet, sind die letzten Bande gebrochen: Willard benutzt die mittlerweile riesige Rattenschar als Racheinstrument. Doch Ben hegt längst eigene Pläne...

Ein schöner, mit sanfer Ironie operierender New-Hollywood-Tierhorrorfilm, der sich in ein ähnliches Szenario begibt wie "Harold And Maude": Verblassender Kleinstadtadel, ein einen psychisch ungesunden Jungen heranzüchtendes Matriarchat, Einsamkeit, Protest, Rückschlag. Was in Ashbys Film allerdings schließlich als inner struggle auf internalisierter Ebene gelöst werden kann, führt in "Willard" zur Katstrophe. Willards einzige Freunde, die sich natürlich unkontrolliert fortpflanzende und somit rasend schnell anwachsende Rattenschar, entwickeln bald ein unkontrollierbares Intelligenzpotenzial, das ihr Boss Ben, ein hyperintelligenter Vertreter seiner Spezies, vortrefflich zu nutzen weiß. Als der weiße weise Mastermind und Regulator Sokrates ausfällt, heißt es dann irgendwann endgültig Deus-ex animalis und die von Willard im Keller gehaltenen und zu seinen Zwecken benutzten Tiere wenden sich, bevor er ihnen nach erfolgtem Rachefeldzug den Garaus machen kann, gegen ihren vermeintlichen Herrn und Meister.
Durchzogen von einer sanft-melancholischen Note ist "Willard" damit noch ein unspektakulärer Vertreter seiner Subgattung, die ja im sich anschließenden Jahrzehnt bisweilen regelrecht megalomanische, exploitative Züge annehmen sollte.

7/10

Daniel Mann Ratten Rache Satire Tierhorror


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OFFSPRING (Andrew van den Houten/USA 2009)


"Baby!"

Offspring (Jack Ketchums Beutegier) ~ USA 2009
Directed By: Andrew van den Houten

Eine verwilderte Kannibalensippe macht bereits seit vielen Jahren den gesamten Küstenstreifen Neuenglands unsicher. Vor elf Jahren schienen die Unholde, nachdem sie entdeckt und von Sheriff George Chandler (Art Hindle) dezimiert wurden, von der Bildfläche verschwunden. Jetzt tauchen sie jedoch wieder auf - auf der Suche nach Menschenfleisch für die Vorratshöhle und insbesondere nach zarten Babys. Als George Chandler vom Wiederauftauchen der Kannibalen erfährt, macht er sich erneut auf die Jagd.

Mit "Offspring" wurde ausgerechnet und letztlich unsinnigerweise der zweite Teil von Jack Ketchums bisher drei Romane umfassenden Kannibalensaga erstadaptiert. Im Gegensatz zum letztjährig verfilmten Zweitsequel "The Woman", in der die letzte Überlebende (Polyanna McIntosh) des Stammes gefangen und ausgerechnet von einer nicht minder barbarischen Zivilisationsabordnung domestiziert werden soll, erscheint mir "Offspring", der Film, momentan leider einigermaßen leer und gleichgültig. Dennoch teile ich die überwiegend negativen Stimmen nicht so ganz, denn der überaus raue Ton der Geschichte erscheint wiederum wenig selbstzweckhaft, sondern als gegebenes Faktum, was wohl auch der Mitwirkung Ketchums himself an dem Projekt zuzuschreiben ist. Man wird ziemlich gnadenlos in die Story der marodierenden Menschenfresser hineingeschubst und rasch wird bereits der erste Oberschenkel abgenagt. Natürlich flößt auch hier wiederum ein vordergründig respektiertes Gesellschaftsmitglied (Erick Kastel), das förmlich nach Bestrafung schreit, dem Betrachter einen wesentlich subtileren Schrecken ein als die "lediglich" ihrer autoevoultionären Natur folgenden Kannibalen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die seltsam unbeteiligte Inszenierung des Regisseurs vielleicht doch eher als positiv angesichts des grellen Stoffes werten soll. Irgendwie gehe ich jedenfalls mit dem unwillkürlichen Gefühl schwanger, mit "Offspring" noch nicht ganz fertig zu sein. Werde ich mir bald nochmal anschauen und den Eintrag dann vielleicht überarbeiten oder entgegen meinen üblichen Gewohnheiten einen zweiten schreiben.

6/10

Andrew van den Houten Kannibalismus Jack Ketchum Maine Wald Splatter


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THE GIRL NEXT DOOR (Gregory Wilson/USA 2007)


"They've got cures these days."

The Girl Next Door (Jack Ketchum's Evil) ~ USA 2007
Directed By: Gregory Wilson

Der wohlsituierte Manager David Moran (William Atherton) denkt immer wieder an eine furchtbare Begebenheit in seiner Kindheit zurück, die er nie überwinden konnte. Als David mit zwölf Jahren (Daniel Manche) ein, wie sich herausstellen soll, nur augenscheinlich beschauliches Vorstadtleben führt, zieht eines Tages das Schwesternpaar Meg (Blythe Auffarth) und Susan (Maddie Taylor) bei seinen Nachbarn, den Chandlers, ein. Nachdem die Eltern der beiden Schwestern einen tödlichen Autounfall hatten, müssen sie zu ihren nächsten Verwandten ziehen. Die alleinerziehende Ruth Chandler (Blanche Baker) ist bei den Kindern der Straße sehr beliebt. Die Jungs dürfen bei ihr rauchen und Bier trinken und sie macht gern derbe Scherze. Meg und Susan erleben die Realität im Hause Chandler jedoch anders und David bekommt das immer öfter mit. Angefangen mit kleinen Demütigungen und Übergriffen sehen sich die Mädchen bald offenem, immer schlimmer werdendem, physischem und psychischem Missbrauch gegenüber. Besonders Meg hat unter den Quälereien unter Ruths Ägide schwer zu leiden. David nimmt sich vor, die beiden zu befreien, macht damit jedoch alles nur noch schlimmer.

Nachdem ich erst kürzlich via "The Woman" auf Jack Ketchum gestoßen bin und meinen ersten Roman von ihm gelesen habe, steht nun eine kleine Reihe mit den vorherigen Filmadaptionen seiner Werke an. "The Lost" befindet sich noch in der postalischen Pipeline, daher habe ich mir erlaubt, mit "The Girl Next Door" zu beginnen. Zunächst mal muss gesagt werden, dass Wilsons Film eine fast durchweg hervorragende Buchadaption ist, in der von einer Ausnahme abgesehen lediglich Kleinigkeiten modifiziert wurden, die ansonsten jedoch stets überdicht, praktisch dialoggetreu, an der Vorlage bleibt. Dabei pflegt Wilson bei aller Härte, die der Stoff bereits thematisch impliziert, eine relative visuelle Dezenz; er entgeht der verlockenden Falle, die unter den Argusaugen der Matriarchin immer wieder nackt im Keller angebundene, befummelte und schließlich vergewaltigte Meg zum voyeuristischen Objekt des Zuschauers verkommen zu lassen. Von Exploitation keine Spur. Auch darin begegnen Film und Buch sich auf Augenhöhe, denn wenngleich Ketchums verbale Schilderungen einen deutlich intensiveren Effekt hinterlassen, so geht es ihm nie darum, Leser-Obsessionen zu bedienen. Der Topos behält stets genau jene unangenehme Konnotation, die ihm gebührt. Dennoch konnte ein gewisses Gefühl der filmischen Blässe, dem ich allerdings nicht zur Gänze Ausdruck verleihen kann, nie ganz von meiner Seite weichen. Möglicherweise hätte ich mir noch etwas eingehender aufspielende Akteure gewünscht. Vor allem Daniel Manche, der den jungen Daniel Moran spielt, scheint mir keine besonders glückliche Wahl für diese Rolle gewesen zu sein. Im Roman kann selbst er sich anfänglich jener diabolischen Faszination angesichts der erniedrigten Meg nicht entziehen und ist durch ihre erzwungene Blöße latent erregt. Dies ist der Punkt, den der Film nicht (mehr) mitspielen mag. Bei Wilson wird aus dem nicht ganz rechtzeitig erstickten Keim der Perversion mitsamt dem dräuenden, schlechten Gewissen der Folge eine unterlassene Hilfeleistung aus purer Angst vor Repressalien. Keine mutige Entscheidung.

7/10

Gregory Wilson Jack Ketchum Kleinstadt Freundschaft Independent Sexueller Missbrauch Folter


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SCREAM AND SCREAM AGAIN (Gordon Hessler/UK 1970)


"Fastest transition in the world: from human to corpse."

Scream And Scream Again (Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse) ~ UK 1970
Directed By: Gordon Hessler

Während sich im Geheimen eine faschistische Militärorganisation anschickt, demnächst die Herrschaft über Großbritannien zu übernehmen, kreiert der Wissenschaftler Dr. Browning (in der deutschen Fassung Dr. Mabuse, Vincent Price) zusammengestoppelte, bärenstarke Frankenstein-Monster. Der Prototyp (Michael Gothard) dieser Homunculi läuft Amok und saugt seinen aus Discos abgeschleppten, weiblichen Opfern das Blut aus. Superintendent Bellaver (Alfred Marks) und der Pathologe Sorel (Christopher Matthews) haben verständlicherweise alle Mühe, die Zusammenhänge zu entwirren.

Wilder Horror-Sci-Fi-Hybrid aus den späten Swinging Sixties, der sich allerlei Beklopptheiten erlauben kann, ohne sich je eine besondere Blöße zu geben und dem man all seine Dummheiten nur zu gern abkauft. Das Niveau sowie die inhaltliche Struktur der Story bewegen sich in etwa in den Bahnen der vor einigen Dekaden erschienen "Larry Brent"-Groschenromane, falls sich der eine oder andere noch an diese erinnern kann. Vincent Price, der jedem noch so klammen Schmarrn eine Goldkante zu verleihen wusste, ist mal wieder göttlich; derweil es für seine groß angekündigten Grauensgenossen Peter Cushing und Christopher Lee jeweils nur für Cameos reicht. Sonst ist aber alles toll: Die set pieces sind von ausgesuchter britischer Noblesse, die gezeigten Beat-Clubs lassen einen innigst wünschen, dass bald endlich die Zeitmaschine erfunden wird und es tritt eine dufte Glam-Rock-Band namens The Amen Corner auf, die unter anderem den großartigen Titelsong zum Besten gibt. Ganz toll ist auch das Filmplakat, das ich mir gern zum nächsten Geburtstag schenken ließe. Auf welchem Mist der "Dr. Mabuse" aus dem deutschen Titel bzw. der deutschen Synchronfassung gewachsen ist, weiß ich nicht, ist aber auch völlig unerheblich. Hesslers greller Film mundet selbst so noch außerordentlich.

7/10

Gordon Hessler London mad scientist Madness Militär Frankenstein





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Funxton

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