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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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BOYZ N THE HOOD (John Singleton/USA 1991)


"Man your pops is like, mothafuckin, Malcolm... Farrakhan."

Boyz N The Hood ~ USA 1991
Directed By: John Singleton

South Central Los Angeles, 1984. Schon als Kind kommt der intelligente, aber nicht minder renitente Tre Styles (Desi Arnez Hines II) zu seinem Vater Furious (Laurence Fishburne), einem strengen, selbstbewussten Mann, der seinem Sohn zwar Freiräume lässt, ihm aber auch kluge Lebensweisheiten vermittelt. Sieben Jahre später steht Tre kurz davor, das College zu besuchen, um Betriebswirtschaft zu studieren. Sein gleichaltriger, bester Freund und Nachbar Ricky (Morris Chestnut), bereits Vater eines kleinen Sohnes, bekommt ein Stipendium. Rickys Bruder Doughboy (Ice Cube) indes wandert bereits durch die Drehtüren der Gefängnisse, dealt Crack und hängt den ganzen Tag nur ab, ebenso wie die meisten anderen Kids im Viertel. Von der Polizei, die mit Verachtung und Desinteresse die verwahrlosenden Straßen bepatrouilliert, ist keine Unterstützung zu erwarten und jede falsche Geste in benachbarten Stadtteilen kann einen Kleinkrieg hervorrufen. Als Ricky wegen einer Lappalie von einer gegnerischen Gang erschossen wird, steht Tre vor der Entscheidung, zusammen mit Doughboy und den anderen den Tod des Freundes zu vergelten oder der Gewalt ein für allemal abzuschwören.

Vor allem in zweierlei Hinsicht ist "Boyz N The Hood", ein monolithisches, noch immer zutiefst mitreißendes Werk, das für eine Studioproduktion seiner Entstehungszeit ungewöhnlich wagemutig daherkommt, bemerkenswert: Er stellt vermutlich nicht nur einen der besten Debütfilme überhaupt dar, sondern ist noch dazu einer der wenigen Filme, die man um ihre kompromisslos-offensive didaktische Haltung bewundern muss, wo ansonsten meist Aufdringlichkeit, Klischee und Sujetfremde walten.
Singletons folienhaft anmutendes Figurenkaleidoskop hält zwischen seinen zwei Hauptpolen eine stattliche Bandbreite afroamarikanischer Befindlichkeit bereit, die erschreckenderweise kaum an Aktualität eingebüßt hat. Es gibt zum einen den autodidaktisch geprägten, schwarzen Intellekt des Furious - nomen est omen - Styles: Ein Produkt seines sozialen Umfelds zwar und aufgrund seiner muslimischen Wertmaßstäbe kein ultimatives Vorbild, ein Mann jedoch immerhin, der die gezielten Benachteiligungsstrukturen der Ära Reagan/Bush bedingungslos durchschaut und mit friedlichen Mitteln gegen sie ankämpft. Ihm Gegenüber Doughboy, der urbane Albtraum mit Automatik in Griffweite: Bildungsfern, gewaltbereit, misogyn, in seinem privaten Mikrokosmos aus drei Blocks gefangen, in denen Armut, Alkohol, Drogen, Fernsehrealitäten, das dickste Auto und die größte Klappe regieren. Man vergleiche hernach den nunmehr 23 Jahre alten "Boyz N The Hood" mit der Gegenwart und dann einen thematisch auch nur halbwegs ähnlich angelegten Film (findet man den überaupt?) von 1968 mit "Boyz N The Hood": Der Unterschied im Hinblick auf die zeitbedingte Realitätsabbildung zwischen damals und jetzt und damals und damals muss zwangsläufig gewaltig und erschreckend ausfallen.
Natürlich ist "Boyz N The Hood" auch ein zutiefst wütender Film, ansonsten wäre er ja kaum glaubwürdig. Im Gegensatz zu seinem - keineswegs weniger bewegenden, jedoch bitter-resignierenden - Quasi-Nachfolger "Menace II Society" verzichtet Singleton nicht auf eine klar formulierte Botschaft: "Increase The Peace!" heißt es am Ende, das einen nunmehr endgültig erwachsen gewordenen Tre zeigt, der begriffen hat, was wahre Stärke und Kraft bedeuten. Und anders als Doughboy, für den es längst zu spät ist, und dessen Konturen sich passend zur schriftlichen Information, dass auch er in zwei Wochen der Gewalt zum Opfer fallen wird, auflösen. Eine derart aufrichtig und intensiv auf der Leinwand formulierte Mischung aus Traurigkeit und Hoffnung bildet bis heute und wahrscheinlich auf ewig eine Rarität.

9/10

John Singleton Los Angeles ethnics Slum Coming of Age Freundschaft Vater & Sohn


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THE BUTTERFLY EFFECT (Eric Bress, J. Mackye Gruber/USA 2004)


"You can't play God, son."

The Butterfly Effect ~ USA 2004
Directed By: Eric Bress/J. Mackye Gruber

Der Student Evan Treborn (Ashton Kutcher) blickt auf eine Vergangenheit mit vielen schlimmen Erlebnissen zurück, die seltsamerweise stets mit einem Blackout bei ihm verbunden sind. Sein Vater (Callum Keith Rennie) sitzt schon seit Evans Geburt in einer geschlossenen, psychiatrischen Anstalt. Als Evan sich seiner Jugendliebe Kayleigh (Amy Smart) erinnert und sie aufsucht, endet dies mit Amys Selbstmord. Durch Zufall entdeckt Eva in der Folge Unglaubliches: Er besitzt die Fähigkeit, bei der Lektüre seiner alten Tagebücher in seiner eigenen Geisteswelt zurück in die Vergangenheit zu reisen und zwar just in jene Momente, in denen er seinerzeit einen seiner Blackouts hatte. Dies gelingt allerdings jeweils nur einmal, dann ist die entsprechende Erinnerungslücke gefüllt. Evan versucht, die diversen Fehler in seiner Vergangenheit nach und nach wieder gutzumachen, ruft dadurch jedoch jedesmal prompt eine neuerliche Katastrophe hervor, die mit seiner Biographie in Verbindung steht. Zudem bleibt jedes seiner alternativ gelebten Leben in seinem Geist bestehen, was einen ähnlichen Wahnsinn hervorzurufen droht, wie ihm sein Vater aufsitzt; Evans Fähigkeit entpuppt sich als Familienfluch. Am Ende bleibt Evan lediglich die insgeheim längst offensichtliche, einzig logische Schlussfolgerung: Um die Menschen in seinem Umfeld zu schützen, darf er nie exististiert haben...

What if...?
Ich hab's ja sonst nicht so mit Ashton Kutcher und empfand den jungen Herrn (zumal aufgrund seiner physiognomischen Ähnlichkeit mit einem alten Schulkameraden) umwillkürlich immer als ein bisschen beschränkt. Mit der Rollenauswahl betreffs "The Butterfly Effect" hat er jedoch wirklich einmal ein großes Los gezogen. Der Film ist, zumindest im Director's Cut, der glaube ich, einige konsequente Modifikationen gegenüber der komplexitätsreduzierten, versöhnlicheren Kinofassung aufweist, eine fesselnde, an Capras "It's A Wonderful Life" gemahnende Moritat mit einem für Hollywood-Verhältnisse ungewöhnlich philosophisch-diskursivem Überbau: Welche Funktion erfüllt der Einzelne im globalen, sozialen Gefüge; was würde sich ändern, hätte er in bestimmten Situation wohlweislicher gehandelt, was gar, hätte es ihn nie gegeben? Capras Klassiker fand für letztere Frage noch eine versöhnliche, eben weihnachtliche Antwort: Ohne George Bailey würde Bedford Falls zum Teufel gehen, er ist Herz und Seele der Stadt, wird gebraucht. Anno 2004 sieht die Sache da schon wesentlich düsterer aus: Evan Treborn muss die furchtbare Erfahrung machen, dass er ein Mensch ohne Lebenslinie und ohne Seele ist, einer, der nie dazu bestimmt war, auf die Welt zu kommen, einer, der all jene, die mit ihm zu tun haben, wenn auch unwillkürlich, verletzt und langfristig verdammt. So bleibt ihm, anders als George Bailey, nur eine Alternative: Er muss aus dem Gefüge des Schicksals verschwinden, sich selbst aus der Welt tilgen, bevor es ihn überhaupt geben kann. Durch sein Opfer fügt sich dann tatsächlich alles zum Guten. Eine starke, nicht unböse Lebensreflexion der beiden Autoren Bress und Gruber, fein, geschickt und durchdacht inszeniert, wenngleich mit der allzu sehr in die Länge gezogenen, klischierten Knastsequenz etwas übers Ziel hinausschießend und somit nicht ganz perfekt. Dennoch einer der nachhaltigsten US-Filme der letzten Dekade.

9/10

Eric Bress J. Mackye Gruber Zeitreise D.C. Gefängnis College Freundschaft


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NICHT MEIN TAG (Peter Thorwarth/D, NL 2014)


"Mann, do!"

Nicht mein Tag ~ BRD/NL 2014
Directed By: Peter Thorwarth

Der Bankangestellte Till Reiners (Axel Stein) ist eigentlich tiefunglücklich. Für ein angepasstes Leben als Familienvater hat er seinen einstigen großen Traum einer Musikkarriere aufgeben müssen. Die wilden Jugendjahre haben sich in eine geregelte Existenz als Anzugträger verwandelt, mit seiner Frau Miriam (Anna Maria Mühe), die eine Karriere als Handtaschendesignerin anstrebt, reicht sich Till nach der Arbeit die Klinke in die Hand, um tagtäglich daheim auf Sohnemann Nico (Emilian Markgraf) aufpassen zu dürfen.
Das alles ändert sich, als Till dem soeben aus dem Knast entlassenen Kleingangster Nappo (Moritz Bleibtreu) begegnet. Dieser nimmt den zunächst verdutzten Banker im Zuge eines Überfalls als Geisel, ahnt jedoch nicht, dass er sich damit mehr Probleme ins Haus holt als sie gut für ihn sind. Denn als Till nach Jahren wohlweislicher Abstinenz wieder zum Alkohol greift, weil seine Ehekrise ihn schwer frustriert, steht urplötzlich nicht nur Nappos Leben Kopf, sondern auch halb Amsterdam.

Ganze acht Jahre hat man nach "Goldene Zeiten" auf eine neue Regiearbeit Peter Thorwarths warten müssen - nun kann man diese dankbar in Empfang nehmen. Dankbar, weil Thorwarth zu alter Stärke zurückfindet, indem er sich, paradox, paradox, just auf diese besinnt. Eine ganze Menagerie schräger Typen an allen Ecken und Enden bekommt man da präsentiert; diverse Selbstreferenzen, ob in Form von Artefakten wie einem wohlbekannten Dortmunder Nummernschild, oder in personeller Variante (Christian Kahrmann kehrt für einen Gastauftritt als Mark Kampmann zurück, Till Schweiger bekommt einen zumindest schmunzlerischen Cameo) sind Ehrensache. Das Schönste an "Nicht mein Tag" aber ist neuerlich Thorwarths spezielle Brillanz bezüglich der Schauspielerführung: Jede ( r ) der Darsteller und Darstellerinnen gibt eine großartige Vorstellung, die jeweils besonders vergnüglich ist, weil sie ganz viel gestalterischen Freiraum erhält und den Leuten die Möglichkeit gibt, immens viel von sich selbst in ihre Rollen zu legen. Weitere personelle Höhepunkte finden sich erwartungsgemäß in Ralf Richters unverzichtbarer appearance nebst der von seinem Kompagnon Maxwell Richter als "Langer" und "Kurzer" sowie in Axel Steins monumentaler Sauf- und Drogentour durch das Amsterdamer Nachtleben mitsamt anschließender Fluchtfahrt. Hier gibt es massig und herzhaft zu lachen. Daher alles sauber und adrett und daher auch bitte ab jetzt keine acht Jahre Wartezeit mehr bis zum nächsten Werk, werter Herr Thorwarth.

8/10

Peter Thorwarth Buddy Movie Freundschaft Road Movie Amsterdam Kidnapping


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MANDELA: LONG WALK TO FREEDOM (Justin Chadwick/UK, SA 2013)


"People learn to hate. They can be taught to love, for love comes more naturally to the human heart."

Mandela: Long Walk To Freedom (Mandela - Der lange Weg zur Freiheit) ~ UK/SA 2013
Directed By: Justin Chadwick

Der Lebensweg Nelson Mandelas (Idris Elba) von seinen Anfängen als Anwalt der entrechten, schwarzen Bürger von Johannesburg über seine erste, scheiternde Ehe, seinen Eintritt in den ANC und gezielte Sabotageakte gegen das Apartheids-Minoritätssystem, seine zweite Ehe mit Winnie (Naomie Harris), die sich selbst zu einer radikalen Vorkämpferin entwickelt, über seine insgesamt fast 26 Jahre der Inhaftierung bis hin zu seiner Freilassung und seiner Präsidentschaft im neuen Südafrika.

Kein ungewöhnliches Biopic, das Justin Chadwick da basierend auf Mandelas Autobiographie erstellt hat - eher ein typisches, gefälliges Kinoepos über einen großen Weltpolitiker, der sich nie durch systemische Repression brechen ließ, sondern stattdessen ehern seine Linie verfolgte und der wachsenden, äußeren Repression umgekehrt proportional mit zunehmender Milde und offensiver Friedfertigkeit begegnete. Darüber zu spekulieren, ob Idris Elba mit seiner Athletenphysis der bestgeeignete Darsteller für Mandela war, erweist sich spätestens nach dem Genuss des Films als müßig. Der Spirit gibt ihm Recht.
Gewaltvoller Aktionismus, so die stete, begleitende Kadenz von Chadwicks formal überraschungsarmem Film, ist etwas für junge, wütende Männer, ungestüm und ohne rechte Lebenserfahrung; derweil eine kluge, langfristig wirkende Revolution einzig auf intellektuellem Wege - besonnen, gemächlich und gezielt von innen heraus - stattfinden kann. Mandelas Ziel eines freien Südafrika lässt Jahrzehnte auf sich warten; Qual, Entbehrung und Ungerechtigkeit gehen ihm voraus, bis "Madiba", wie ihn seine Anhänger liebevoll bei seinem Clannamen rufen, erste Erfolge im Kleinen erreicht. Lange Hosen für die schwarzen Gefängnisinsassen von Robben Island, die Weigerung, sich vom Direktor Badenhorst (David Butler) zermürben, oder auch nur provozieren zu lassen, bis er ihn schließich vor Ort "überlebt". Stets ist Mandela zu Verhandlungsgesprächen mit Regierungsrepräsentanten bereit, die nach langer Zeit und wachsendem internationalen Protest endlich gewahr werden, dass ihr so heißgeliebter Rassistenstaat längst zu den meistverachteten Ländern des Globus zählt. Dabei weicht der mittlerweile ergraute Mann nie von seiner Linie ab: Einen Status halber Freiheit, einen der großzügig offerierten "Mitbestimmung", kann und darf es nicht geben. Am Ende siegt der vormalige Verlierer, weil er am beharrlichsten ist. Natürlich werden auch Mandelas frühe "Irwege" nicht ausgespart; dass er dereinst ein flotter Feger war, der trotz vormaliger Familiengründung kein hübsches Mädchen von der Bettkante stieß, bleibt ebensowenig ein Geheimnis wie sein zwischenzeitlicher Aufruf zu gewalttätiger Gegenwehr. Das Schlussbild jedoch ist jener großen Eminenz des Freiheitskampfes gewidmet, wie die Welt sie in Erinnerung hat und haben soll.

7/10

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THE PUBLIC EYE (Howard Franklin/USA 1992)


"Everybody loves to have their picture taken."

The Public Eye (Der Reporter) ~ USA 1992
Directed By: Howard Franklin

Im New York der frühen vierziger Jahre gibt es einen, der immer zur richtigen zeit am richtigen Ort ist: Leon Bernstein (Joe Pesci), freier Fotograf und Paparazzo, der vor allem Sensationsfotos von Tod und Elend schießt und diese dann gegen ein mittelprächtiges Entgelt an die Presse verscherbelt. Der einsame Leon sieht sich selbst als kunstbeflissener Großstadtchronist, vielleicht auch ein wenig, um seine schmutzige Profession abzuleugnen, weniger sensible Zeitgenossen bezeichnen ihn als "Blitzlichtratte". Als ihn Kay (Barbara Hershey), die Witwe des Nachtklubbesitzers Lou Levitz kontaktiert, um ihr Informationen über einen sie bedrängenden, angeblichen Partner (David Gianopoulos) ihres verblichenen Gatten zu geben, ist dies für Leon nur die erste Spur einer bis in höchste Politikerkreise reichende Schwarzbenzin-Affäre, in der der Mafiaboss Spoleto (Dominic Chianese) die Fäden zieht und sich unliebsamer Konkurrenten zu entledigen plant. Eine perfekte Möglichkeit, Leons Arbeit etwas aktionsnäher auszurichten...

Ein feiner neo noir, der, angesiedelt im klassischen Gangsterambiente, ausnahmsweise keinen ausgewiesenen Schnüffler, sondern einen weitflächig verachteten Zeitgenossen vom äußeren Bildrand zum Protagonisten deklariert. Die aufdringlichen, sensaionsgeilen Fotografen mit ihren riesigen Blitzlichtern nimmt man üblicherweise eher als mehr oder weniger lästiges Komparsengeschmeiß wahr - umso fälliger vielleicht eine wie in "The Public Eye" stattfindende Teilrehabilitierung ihres keineswegs belastungsarmen Berufsstandes im Kino. Joe Pesci hat hier ausnahmsweise die Möglichkeit, frei von Cholerik und explosivem Irrsinn zu agieren als ein eher schüchterner, sich nach Zuneigung sehnender Schmutzfink, der sich seine im Halblichtmilieu abspielende Arbeit schön redet und sie nur allzu gern als teuren Bildband ediert sähe. Den für eine solche Story unerlässlichen, glamourösen Faktor bringt eine großzügig dekolletierte Barbara Hershey mit ein, als nicht ganz durchsichtige Kay Levitz einen guten Kopf größer als der zudem schlecht gekleidete Leon Bernstein, die jedoch als einzige seinen Kern durchschimmern sieht. Das Ende bildet in seiner an "Taxi Driver" erinnernden Moralverkehrung einen passgenauen Abschluss für diesen kleinkalibrigen, jedoch wirklich sehenswerten Film.

8/10

New York period piece Howard Franklin Fotografie Mafia Verschwörung film noir neo noir


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THE KING OF MARVIN GARDENS (Bob Rafelson/USA 1972)


"It's you that behaves like a three-year-old!"

The King Of Marvin Gardens (Der König von Marvin Gardens) ~ USA 1972
Directed By: Bob Rafelson

David Staebler (Jack Nicholson), ein einsamer, verschrobener Intellektueller, der einmal die Woche seine Biographie in einer essayistischen Radiosendung Revue passieren lässt, erhält eine Einladung von seinem älteren Bruder Jason (Bruce Dern), nach Atlantic City zu kommen, wo große Pläne auf ihn warteten. David findet seinen Bruder vor Ort im Knast sitzend vor und erfährt, nachdem Jason auf Kaution draußen ist, von dessen angeblichem Großprojekt: Jason will eine kleine hawaiianische Insel kaufen, sich dorthin absetzen, ein Spielcasino eröffnen und es sich gut gehen lassen, seine beiden Mätressen Sally (Ellen Burstyn) und Jessica (Julia Anne Robinson) im Schlepptau. Sein Bruder soll als sein Geschäftspartner fungieren. Der sogleich skeptische David findet bald heraus, was wirklich hinter Jasons Plänen steckt: In Wahrheit fehlen ihm auf ganzer Linie die finanziellen Mittel sowie einige notwendige Unterschriften, um das Ganze stemmen zu können, außerdem kann Jason keinen Schritt tun ohne die Erlaubnis seines heimlichen Bosses Lewis (Scatman Crothers). Hinzu kommt noch, dass sich die Dreiecksbeziehung um Jason und die beiden Frauen als höchst wurmstichig erweist.

Wenngleich diese Chronik eines erwartungsgemäßen Todes doch etwas anders schließt, als man es noch kurz zuvor hätte vermuten wollen, bleibt sie eines der Hauptwerke und ein Motor New Hollywoods. Als fünfte (und vorletzte, wesentliche) Produktion der kurzlebigen BBS, deren Filme von Columbia vertrieben wurden, erschließt sich bereits die Maßstäblichkeit dieses cineastischen "Familienunternehmens". Mit Nicholson, Dern und Burstyn gibt es drei darstellerische Gallionsfiguren der Bewegung zu sehen; der Schauplatz Atlantic City - mehr Ostküste geht kaum - bietet in all seiner maroden, salzigen Herbstlichkeit in perfekt-intimes Endzeitszenario. Die Figurenkonstellation ist mittlerweile hinlänglich bekanntes und gebrauchtes Kinogut: Zwei Brüder, der eine still und vernünftig, der andere ein großschnäuziger Bonvivant voller Selbstillusionen treffen eines der wenigen Male in ihrem Erwachsenenleben aufeinander und entfachen allzuviel Reibungshitze, als dass ihre Begegnung gesund enden könnte. Was dem einen Träume und Hoffnungen, sind dem anderen Realismus und Bodennähe eine wahrhaft bipolare Beziehung. Durch die beiden merkwürdigen Frauen, deren Leben seltsam verfahren scheint (sie sind zum einen Stiefmutter und -tochter, pflegen jedoch parallel dazu ein erotisches Liebesverhältnis mit wechselndem Zuneigungsgrad hinsichtlich Jason; auch Hinweise auf Prostitution und Prostituierung gibt es), spitzt sich die Situation noch mehr zu. David zeigt Interesse an Jessica, ist jedoch zu schüchtern, um weitere Schritte zu unternehmen. Am Ende reißen alle Bänder und David landet wieder bei seinen Mikrofonmonologen. New Hollywood war eben oft unerbittlich.

9/10

Bob Rafelson New Hollywood Atlantic City New Jersey Philadelphia Brüder


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VIOLENT SATURDAY (Richard Fleischer/USA 1955)


"The Lord will prevent it."

Violent Saturday (Sensation am Sonnabend) ~ USA 1955
Directed By: Richard Fleischer

Ein Gangsterquartett (Stephen McNally, Lee Marvin, J. Carroll Naish, Robert Adler) hat sich für seinen nächsten Coup die Bank von Bradenville, einer Kleinstadt in Arizona, ausgesucht. Dabei haben die Leute von Bradenville, dessen Bruttosozialprodukt vornehmlich von dem unglücklich verheirateten Minen-Unternehmer Fairchild (Richard Egan) abhängig ist, bereits genug Sorgen: Fairchilds Manager Shelley Martin (Victor Mature) hadert mit seinem Ältesten (Billy Chapin), der ihn für einen Feigling hält, der Bankier Harry Reeves (Tommy Noonan) stellt der Krankenschwester Linda (Virginia Leith) nach, die Bibliothekarin Elsie Braden (Silvia Sidney) kommt mit ihren Wechseln nicht nach und Fairchilds Frau (Margaret Hayes) zieht über die Dörfer. Als ausgerechnet diese Scheinidylle von den vier Verbrechern aufs Korn genommen wird, stehen einige mehr oder weniger glückliche Renovierungen des lokalen Sozialgefüges ins Haus.

Eines seiner großen Meisterwerke ist ausgerechnet dieser wenig beleumdete Film Richard Fleischers, in jeder Hinsicht exzellent, irgendwo im gattungshistorischen Niemandsland zwischen film noir und den melodramatischen Kleinstadtstudien eines Douglas Sirk ersonnen und es sich darin vortrefflich bequemmachend. Technisch und narrativ höchst virtuos erzählt Fleischer seine Caper-Story unter Verwendung vieler kleiner Subplots und etlicher charakterisiernder Klein- und Kleinstdetails, was trotz der strengen Erzählzeit ein vollkommen tragfähiges Figurenkaleidoskop ermöglicht. Die beliebte Floskel des "Seiner Zeit Voraus"-Seins habe ich schon lange nicht mehr als so eklatant empfunden wie im Falle "Violent Saturday".
Freundschaft, Vertrauen, Obsession, Verzweiflung, Gewalt, Ethik und Liebe, all diese großen Emotionen und Lebensumtriebe bringen Fleischer und der Autor Sydney Boehm ("The Big Heat") wie beiläufig und doch höchst vital mit in ihr fabulöses Werk ein, das sich auf 48 angespannte Stunden erzählter Zeit kapriziert. Dabei habe ich den vielleicht tragischsten Charakter des Films bisher noch nicht einmal erwähnt: Ernest Borgnine als Amish-Farmer Stadt (ein rundes Vierteljahrhundert später wird er in einer ähnlich gelagerten Rolle in Wes Cravens "Deadly Blessing" zu sehen sein) weigert sich standhaft, auf die Gewalt der ihn und seine Familie in Geiselhaft nehmenden Gangster zu reagieren, bis er am Schluss zur Rettung seines Retters Martin zur Heugabel greift und damit durch einen instinktiven Streich seine gesamte Lebensüberzeugung verrät.

10/10

Richard Fleischer Arizona Kleinstadt Ensemblefilm Heist Vater & Sohn film noir


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COTTAGE COUNTRY (Peter Wellington/CA 2013)


"You can't be serious, Toddles."

Cottage Country ~ CA 2013
Directed By: Peter Wellington

Eine wunderbar romantische Woche soll's werden: Todd Chipowski (Tyler Labine) will seiner Freundin Cammie Ryan (Malin Akerman) endlich den langerwarteten Heiratsantrag machen. Dazu fährt man man extra ins romantisch an einem See gelegene Cottage von Todds Eltern (Kenneth Walsh, Nancy Beatty). Doch entern, schockschwerenot, zeitgleich Todds nichtsnutziger Bruder Salinger (Dan Petronijevic) und dessen debile Freundin Marsha (Lucy Punch) das Häuschen und verderben Todd und Cammie sämtliche traute Zweisamkeit. Zudem hat Salinger auch noch seine aus Drogenfreaks bestehende Kumpel-Baggage zu ein paar Partytagen eingeladen. Der zu erwartende Streit zwischen Todd und Salinger eskaliert und endet mit einer Axt in Salingers Hals. Nun muss auch Marsha weg, deren Abgang Cammie übernimmt. Die Leichen werden zerteilt und im See versenkt. Als Salingers Freunde eintreffen, schöpft vor allem der naseweise Dov sogleich (Benjamin Ayres) Verdacht, dass Salingers Ausbleiben kein Zufall sein kann. Ergo muss auch Dov dran glauben. Der Druck der ermittelnden Polizei kitzelt es schließlich aus Todd heraus: Eigentlich hat er Cammie nie geliebt und sich zu stellen ist die letzte Option...

Urkomischer Fun-Splatter, der seine Antriebsrädchen allesamt ganz sicher nicht neu erfindet, sie aber vortrefflich in Gang zu halten weiß. Wellington liefert eine herzhafte Satire gegen verspießbürgerte Establishment-Pärchen, die ihre Individualität und Träume zugunsten gesellschaftlicher Anpassung irgendwann in die Wüste geschickt haben. Im Leben Todd Cipowskis spielt nurmehr zweierlei eine Rolle: Ein guter, erfolgreicher Angestellter zu sein nämlich und die baldige Legalisierung der Beziehung zu seiner überaus vorzeigbaren Freundin Cammie. Cammie indes ist kaum minder verlogen: Als zweifelsohne dominantes Frauenzimmer braucht sie einen bärigen Pantoffelhelden wie Todd, den sie vollends manipulieren und beherrschen kann. Als es dann aus dem armen Todd herausexplodiert, kommt es gleich so richtig dicke: Zu spüren bekommt dies sein komplett diametral befindicher Bruder, ein ungepflegter Bohèmien und Nervensäge aus Überzeugung. Natürlich, das kennt man aus diversem ähnlich gelagerten Kinogut, muss ein einmal begonnener Amoklauf, und sei er auch noch so impulsiv, konsequent weitergeführt werden - Zeugen und Neugiereige verlangen nach Beseitigung. Dass Menschen sich in der Regel nicht so einfach umbringen lassen, müssen nunmehr auch Todd und Cammie feststellen, doch während der Eine sich, wenngleich viel zu spät, besinnt, dreht die Andere erst recht auf. Ein herrlich geschmackloses, böses Ende, das allen Illusionen nebst der unabwendbaren Verlogenheit arrangierter, trauter Zweisamkeit die rote Karte zeigt setzt ein leuchtendes Finish unter diesen überraschend gelungenen, köstlichen Film.

8/10

Peter Wellington Splatter Groteske Familie Brüder


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TO SIR, WITH LOVE (James Clavell/UK 1967)


"If you apologize because you are afraid, then you're a child, not a man."

To Sir, With Love (Herausgefordert) ~ UK 1967
Directed By: James Clavell

Der ausgebildete Ingenieur Mark Thackeray (Sidney Poitier) nimmt aus finanzieller Not einen Job als Lehrer an der North Quay Secondary School im Londoner East End an. Pädagogisch völlig unerfahren, dafür in Lebensdingen und Existenzfragen höchst bewandert, stößt Mark auf eine Klasse pubertierender Rotzgören, die den baldigen Schulabschluss lediglih benötigen, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen oder arbeiten zu gehen, sich jedoch einen Kehrricht um Bildung und Sozialität scheren. Zunächst der Verzweiflung nahe, gelingt es Mark binnen der nächsten Woche, trotz immer wieder auftretender Probleme mit Authentizität, Aufrichtigkeit gerechter Strenge und lebensweltlich gefärbtem Unterricht das unbedingte Vertrauen seiner Klasse, den tiefen Respekt der Elternschaft und sogar die Bewunderung seines bereits teilresigniertem Kollegiums zu erringen. Als sich ihm zum Schuljahresende schließlich eine lang ersehnte Stelle als Techniker darbietet, muss Mark eine Entscheidung treffen, wie es weitergehen soll...

Wunderbarer, zutiefst humanistischer Film, der trotz seiner mittlerweile fast fünfzig Jahre auf dem Buckel noch immer ganz viel Wahrheit enthält und einem jedem Lehrer, der seinen Beruf noch liebt, wie Balsam die Seele herunterläuft.
Mark Thackeray, gespielt von einem phantastischen Sidney Poitier, der zwölf Jahre nach "The Blackboard Jungle" die Bankseite gewechselt hat, personifiziert das, was wir alle sein wollen in höchster professioneller Reinkultur. Besonnen, klug, stark, aufrecht, kultiviert ist er; eine fast symbolisch gezeichnete Leitfigur. Wie er es schafft, die aus schwierigen Verhältnissen stammenden Kids bis zum Letzten auf seine Seite zu ziehen, das hat hier und da natürlich etwas Utopisches, verdeutlicht jedoch unser aller großes Wunschziel, am Ende eine Truppe aufrecht gehender Menschen, die man durchweg positiv geprägt hat, ins Leben zu entlassen.
Natürlich sind auch defätistisch gefärbte Filme zum Sujet wie "Class Of 1984", "One Eight Seven" oder zuletzt der nachhaltig erschütternde "Detachment" mit ihrem harten, teils krassen, illusionslosen Naturalismus von außerordentlicher Wichtigkeit, aber ist Konstruktives, Aufbauendes, meinethalben auch gepflegt Romantisierendes wie Clavells schönes Werk nicht manchmal ebenso weltbewegend? Ich meine, ganz bestimmt.
Prädikat: unendlich wertvoll.

10/10

James Clavell London Schule Lehrer Slum


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NEIGHBORS (Nicholas Stoller/USA 2014)


"Let's make a baby!" - "Yes, that will solve all our problems."

Neighbors (Bad Neighbors) ~ USA 2014
Directed By: Nicholas Stoller

Ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr - und noch mehr, als rechts von Mac (Seth Rogen) und Kelly Radner (Rose Byrne) die Studenten-Bruderschaft Delta Psi Beta Quartier bezieht. Jede Nacht exzessive Partys mit allem dazugehörigen Blödsinn, pausenloser Lärm und idiotische Aktionen rauben Mac und Kelly, die zunächst noch versuchen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, bald Schlaf und Nerven. Und das Schlimmste: Von den Nachbrn, der Dekanin und selbst von der Polizei, die samt und sonders mit den Rabauken zu sympathisieren scheinen, ist keinerlei Hilfe zu erwarten. Also schreitet man höchstselbst zum nachbarschaftlichen Kleinkrieg, was der Delta-Psi-Vorsitzende Teddy (Zac Efron), der ohnehin ein neues Fanal für seinen Traditionsverein im Auge hat, höchst persönlich nimmt...

Viel Unerwartetes offenbart sich einem mit "Neighbors" nicht - das Ding entspricht im Gegenteil ziemlich exakt seinen antizipatorischen Vorgaben. Seth Rogen spielt, was er am Besten beherrscht - nämlich sich selbst, mit zunehmendem Alter weg von dem drogenaffinen Waschbären natürlich in Richtung Spießerschwelle tendierend. Ein bisschen geht es natürlich auch um die Grenzauslotung des hippen Mittdreißigers zwischen wildem Exzess und trautem Heim; welche Institution am Ende auf ganzer Linie die Oberhand gewinnt, muss kaum weiter eruiert werden. Stoller und seine Autoren sind höchst bewandert in der postmodernen Nerd-Kultur und lassen allenthalben entsprechende, generationsbeflissene Gags fahren. Naturgezüchtete Halluzinogene und deren Konsum sorgen für einige gelungene Gags, wie der ganze Film sich recht wacker über die Runden trägt. Mit den großen Kinokomödianten Sandler und Ferrell nebst ihren so wundderbar installierten, filmischen Pararealitäten kann "Neighbors" es jedoch zu keinem Zeitpunkt aufnehmen; dazu ist er, trotz Kondom- und Brustmelkwitzen einfach zu normiert. Außerdem geht mir der musikalische Unterbau dieser Humorgeneration (s. auch "This Is The End") bei aller sonstigen Sympathie fürchterlich auf den Zwirn. Flo Rida, Ke$ha, Jumbo Shrimp, GoodFellaz et al. up yours. Da kann auch ein verballhorntes Ozzy-Intro nix dran ändern, so'n Sound macht mich ganz einfach krank und sauer. Ansonsten aber, wie eben konstatiert, durchaus ganz lustig.

6/10

Nicholas Stoller Vorstadt Nachbarn Los Angeles Duell Drogen





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Funxton

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