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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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FOUR LIONS (Chris Morris/UK 2010)


"That's what jihad's really about!"

Four Lions ~ UK 2010
Directed By: Chris Morris

Mit diesem Quartett auf seiner Seite ist der Jihad von vornherein im Arsch: Die vier selbsternannten, in Sheffield beheimateten Islamritter und Weltenretter Omar (Riz Ahmed), Waj (Kayvan Novak), Barry (Nigel Lindsay) und Faisal (Adeel Akhtar) sind nämlich dämlicher als die Polizei erlaubt. Omar, Vater einer netten, kleinen Familie (Preeya Kalidas, Mohammad Aqil), ist vom Fanatismus so geblendet, dass er die wesentliche Zufriedenheit, die sein Leben ihm bietet, glatt übersieht. Waj ist ein imbeziler Kindskopf, der ohne "Bro' Omar" noch nichtmal den Gang zur nächsten Toilette meistern kann. Barry ist ein eingeborener Soziopath und Paranoiiker, der sich für den islamischen Terrorismus entschieden hat, weil er anderswo nicht Fuß fassen kann und Faisal ist, nun ja, eben Faisal. Ergänzt durch den nicht minder belämmerten Rapper Hassan (Arsher Ali), den Barry bei einer Islam-Debatte aufreißt, planen die "vier Löwen" einen (nicht autorisierten!) terroristischen Anschlag auf irgendein verdientes imperialistisches Ziel. Als dieses wählt man schließlich den London-Marathon...

Brillante Satire, die den Topos "blinder Fundamentalismus und seine Folgen" in einer Weise verhandelt, die ich als die denkbar adäquateste bezeichnen möchte. (Nicht allein im Zeichen der Religiosität auftretenden) Gewaltverbrechern den Spiegel vorzuhalten, sie lächerlich zu machen und ihnen und der Welt zu demonstrieren, dass sie, zumindest in der Dimension des Irdischen, weder als Helden noch als Märtyrer verdienen, abgefeiert zu werden, sondern bloß als geistig beschiedene Dummköpfe bedauert werden können, scheint mir bei jeder weiteren Reflexion als eine grandios-wirkungsvolle Methode. Seinen an sich sehr sensiblen, höchst tragischen Themenkomplex versieht Chris Morris mit einer Gagdichte von Allahs höchsten Gnaden. An die alten "Flying Circus"-Sketche reicht die erfrischende Komik zuweilen heran und selbst, wenn sich am Ende die bittere Konsequenz aller Himmelskrieger einlöst, kann man das irgendwie noch als tiefschwarzen Brithumor verbuchen. Grandios, wie der Film seine Antihelden zugleich als "Opfer" okzidentaler Kultur auf der einen und Opfer ihres Fanatismus' auf der anderen Seite charakterisiert. Ausgerechnet was sie verachten (oder zu verachten glauben), bestimmt nämlich ihre Persönlichkeiten: modische Klamotten und Frisuren, iPhones, X-Box, Counterstrike, Tupac Shakur, Walt Disney, Coverversionen von Seventies-Schnulzen, cockney accent etc.pp. Sie können nicht mit - aber ohne genauso wenig.
Einzig um Omars Familie tut es einem am Ende wirklich leid, speziell um sein putziges Söhnchen, das künftig als Halbwaise aufwachsen muss, nachdem sein Märtyrerpapi sich in einer Woge tückischer Emotionalität für die dunkle Seite entschieden, dem Filius die Saat des Verderbens zuvor per geflissentlich umgedichteter "Lion King"-Gutenachtgeschichte allerdings noch (mutmaßlich) erfolgreich eingeimpft hat. Der Hass stirbt nie - die höchst bittere Konsequenz des wahrscheinlich witzigsten Films des letzten Jahres.

10/10

Sheffield Terrorismus Pakistan Chris Morris Satire Groteske London


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SUBURBIA (Penelope Spheeris/USA 1983)


"I hate buses."

Suburbia ~ USA 1983
Directed By: Penelope Spheeris

Ein kleiner besetzter Bungalow in irgendeiner südkalifornischen Vorstadt bildet für eine Gruppe junger Punks die letzte Zuflucht aus gewalttätigen, verspießten oder schlicht desinteressierten Elternhäusern. Von der bürgerlichen Gesellschaft gemieden und verabscheut, steigert sich das Verhalten der Jugendlichen ins zunehmend Rebellische - bis zwei vordergründig um die Sicherheit ihrer Familien besorgte Vietnamveteranen (Lee Frederick, Jeff Prettyman) eine Katastrophe herbeiführen.

Ausgerechnet Roger Corman, dessen filmische Konnexion mit amerikanischen Subkulturen vor allem durch die Produktion diverser, teils sensationalistischer Biker-Filme in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern bestimmt ist, produzierte dieses sensible Porträt der Punkkultur - einen der bis heute maßgeblichen, weil raren Filme zum Thema. Penelope Spheeris, die mit "The Decline Of The Western Civilzation" einen bis dato dreiteiligen, fast zwei Dekaden umfassenden Abriss über alternative Bereiche der US-Musikszene, bereits geraumes Interesse an und für Jugendbewegungen beweist, tat jedoch offensichtlich wohl daran, sich Corman als Finanzverwalter für ihr Werk zu halten. So konnte der Film seine ehrliche, authentische Erscheinung beibehalten und bleibt, insbesondere für die Verhältnisse seines Produzenten, stets in einem moderaten Rahmen. Dennoch bewegt sich "Suburbia" in bedrückenden emotionalen Breitengraden: Als narrative Klammer wählt Spheeris jeweils den gewaltsamen Tod eines Kleinkindes, jeweils herbeigeführt durch einen tragischen Unfall infolge erwachsener Unachtsamkeit. Ihre Punks, zudem symbolisch analogisiert mit verwilderten Straßenkötern, stammen aus der Post-Vietnam-Generation - traumatisiert durch traumatisierte Eltern bleibt ihnen nurmehr der offensive Widerstand gegen das Establishment, hier: Die Hölle der Vorstädte. Dass am Ende dieser Westentaschenrevolution nichts anderes wartet als Verlust und Unterlegenheit, liegt in der sozialen Natur der Dinge und ist die härteste zu lernende Lebenslektion.

9/10

Teenager Subkultur Musik Penelope Spheeris Punk Kalifornien Roger Corman Coming of Age Hund


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THE KING'S SPEECH (Tom Hooper/UK 2010)


"Timing isn't my strong suit."

The King's Speech ~ UK 2010
Directed By: Tom Hooper

England in den Dreißigern: Nach dem Tode König George V (Michael Gambon) wird zunächst dessen älterer Sohn Edward (Guy Pearce) zum Monarchen der Nation; die Affäre und für später datierte Hochzeit mit einer noch verheirateten Frau (Eve Best) macht ihn jedoch unmöglich für seinen verantwortungsvollen Stand. Also übernimmt Edwards jüngerer Bruder Albert (Colin Firth) als König George VI den Thron. Dessen großes Handicap besteht jedoch in seiner Stotterei. Erst der Sprachtherapeut Lionel Logue (Geoffrey Rush) vermag es, "Berti", wie Albert von seinen Freunden gerufen wird, aus seiner royalen Misere herauszuhelfen Georges über Funk ausgestrahlte Reden während der Kriegsjahre werden schließlich zu legendären rhetorischen Kabinettstücken.

Die allgemeine Faszination, die "The King's Speech" auf die meisten seiner Zuschauer auszuüben scheint, entzieht sich mir leider. Sicherlich kein schlechter Film, eben gehobenes "Qualitätskino", aber nicht umsonst gilt jene Bezeichnung in mancherlei Kreisen bereits als Schimpfwort. Wenn es tatsächlich so etwas wie den "typischen Instant-Oscarfilm" gibt, dann dürfte Hoopers Werk jedenfalls genau ein solcher sein. Die Initiationsgeschichte eines liebenswerten Dickkopfes, der zum König der Herzen avanciert, knackte schon je die Nüsse des gepflegten Kinobesucher-Establishments (am liebsten pärchenweise, bitt'scheen) und dass jener König in diesem Falle gleich auch mal auf dem Papier ein König ist, kann natürlich als besonders neckischer Schachzug seiner authentischen Geschichte gewertet werden. Ansonsten erweist sich der Zweite Weltkrieg einmal mehr als dramaturgisch gewinnbringender historischer Hintergrund, besonders, da er als Projektionsfläche für das Charisma seines Protagonisten herhalten muss.
Die Oscar-Geschichte hat, unabhängig davon, was man von ihr oder dem Verleihprocedere halten mag, wahrhaft schöne, große, einmalige, prachtvolle Filme hervorgebracht. Dieser, ein netter, jedoch durchaus verzichtbarer Gewinner, gehört nicht dazu.

5/10

Biopic London Tom Hooper WWII period piece England Historie Freundschaft Best Picture


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WITHNAIL & I (Bruce Robinson/UK 1987)


"Free to those that can afford it, very expensive to those that can't."

Withnail & I ~ UK 1987
Directed By: Bruce Robinson

London, Ende 1969: Die swingende Dekade geht zur Neige und suhlt sich in Katerstimmung, während die beiden arbeits- und mittellosen, in einer Zweier-WG hausenden Schauspieler Marwood (Paul McGann) und Withnail (Richard E. Grant) den Absprung nicht bewältigen können. In ihrer zugemüllten Bude kreist alles um einen möglichst ungesunden Lebensstil, der nun, in der kalten Jahreszeit, einer zumindest mittelfristigen Veränderung bedarf. Raus aufs Land heißt die Devise und den buchstäblichen Schlüssel dazu hält Withnails so exzentrischer wie stockschwuler, reicher Onkel Monty (Richard Griffiths) in Händen. Nachdem Withnail Onkel Monty also die Erlaubnis zum Aufenthalt in seinem Landhaus aus den wohlbeleibten Rippen geleiert hat, geht es ab ins Blaue, pardon, Graue. Schlechtes Wetter und die argwöhnische Landbevölkerung stellen sich auch nicht al das Gelbe vom Ei heraus und als noch Monty hinterherkommt und Marwood zu verführen versucht, ist Schluss mit Lustig: Zurück nach London, wo Marwood endlich die Chance, Mitglied des Establishments zu werden, winkt.

Da habe ich so ganz mirnichts-dirnichts und ohne damit zu rechnen doch tatsächlich einen neuen Lieblingsfilm entdeckt. Eigentlich wollte ich mich "nur mal schnell" mit dem überschaubaren Regiewerk von Bruce Robinson vertraut machen, bevor in Kürze seine Thompson-Adaption "The Rum Diary" anläuft, und dann sowas: Kaputte Typen vor heimeliger Kulisse, garantiert nicht pharmazeutikainteressenlos. Dachte immer, mir ist längst alles Wesentliche aus dieser von mir heißgeliebten Sparte Film bekannt, aber nein; der wahrhaft große "Withnail & I" war mir bis dato schändlicherweise völlig durchgegangen. Mit wunderbarstem, zynischem Weltverstehen nimmt sich Robinson seiner kleinen, unspektakulären Coming-of-Age-Story an, die im besten Sinne eigenwillig daherkommt, sich jedweden erhobenen Zeigefinger verkneift und die Verschrobeheit zum obersten Daseinsprinzip erklärt. Ohne ethische Dogmen, allerhöchstens denkanstoßend, zeichnet Robinson das Ende einer Ära, den Umsturz einer Dekade der Sorglosigkeit. Dass der Kater umso schlimmer ist, je rauschender sich die Party gestaltete, ist ein Existensprinzip, das Marwood und besonders Withnail (noch) nicht ganz verinnerlicht haben. Nach der Devise "fight fire with fire" hören sie nicht auf, sondern machen einfach weiter. Dass das Ganze nichtmal didaktisch, sondern ungeheuer witzig gestaltet wurde, macht "Withnail & I" erst zu diesem Meisterwerk des Slackertums, "all along the watchtower" eingerahmt von "vodoo chile" Hendrix.
Cheech und Chong in der bildungsbürgerlichen Version, von jetzt an häusliches Pflichtprogramm bei mir.

10/10

Coming of Age Bruce Robinson Provinz London Freundschaft Herbst Homosexualität Drogen Alkohol Marihuana


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SCHAMLOS (Eddy Saller/AT, BRD, F 1968)


"Porca miseria!"

Schamlos ~ AT/BRD/F 1968
Directed By: Eddy Saller

Als die lebenslustige Nutte Annabella (Marina Paal) umgebracht wird, verdächtigt alle Welt zunächst den homosexuellen Altschauspieler Hohenberg (Louis Soldan). Als dieser jedoch vor Gericht freigesprochen wird, lässt der eherne, italienisch-katholische Vater (Vladimir Medar) des Mädchens ein Femegericht von dem Unterwelt-Zampano Pohlmann (Udo Kier) inszenieren, der schon bald seinen Konkurrenten Kovalski (Rolf Eden) als den wahren Schuldigen auszumachen glaubt.

Deftige Reaktionärskost fürs Bahnhofskino gestreckt mit betagtem, moralinsaurem Pathos, das alte Herren mit hochgeschlagenem Mantelkragen ob seiner Kritik heuchelnden Perspektive ihrerzeit zumindest halbwegs guten Gewissens wieder in die graue Alltagsrealität der späten Wirtschaftswunderwelt entlassen haben dürfte. Zwar weidet sich "Schamlos" seinem Titel gemäß, wenn auch mit gewisser Zügelung, am wirklich ansehnlichen Leib der schönen Marina Paal, betont jedoch zugleich die verbotene Atmosphäre des Halbwelt-Milieus. Kier und Eden als Rotlicht-Gegenspieler sind natürlich eine erwartungsgemäße Schau; der eine, jung und gutaussehend, wird im Laufe der Geschichte aus seiner Delinquentenrolle zum Retter der Gerechtigkeit hochgejubelt, während der andere, froschäugig und gemein, wie man ihn eden, äh, eben kennt, den finalen Triumph des Bösen markiert. Und noch weitere Weisheiten bietet Sallers Schickflick auf: Schummrige Beatschuppen mit wuschelhaarigen Bands sollten besser gemieden werden, darin gibt's nämlich bestenfalls behaschte Studenten und versoffene Sittenstrolche, italienische Migranten haben alle irgendwie Dreck am Stecken, sexuell emanzipierte, junge Frauen erwartet in Prä-Aids-Zeiten die göttliche Bestrafung auf Umwegen und schwule Outcasts mögen zwar kultiviert erscheinen, sind aber prinzipiell kokainsüchtig und langfristig zum Verzweiflungssuizid verdammt. Für die Scriptautoren, darunter Saller selbst, waren denn auch merklich die skandalösen (und völlig unzurechnungsfähigen) Wendungen seiner Geschichte zweitrangig, vielmehr ging es um die bloße Schilderung sittlicher Unhaltbarkeiten. Wunderbar, mit welch augenzwinkernder Genussbarkeit sich dergleichen heutzutage bestaunen lässt.

6/10

Kiez Sleaze Europloitation Eddy Saller Rolf Eden


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DEEP END (Jerzy Skolimowski/UK, BRD 1970)


"I love her." - "You perverted little monster!"

Deep End ~ UK/BRD 1970
Directed By: Jerzy Skolimowski

Der fünfzehnjährige Londoner Mike (John Moulder-Brown) nimmt einen Job in einer Badeanstalt in Fulham an. Dort lernt er die ein paar Jahre ältere Angestellte Susan (Jane Asher) kennen, auf die sich bald Mikes geballte adoleszente, erotische Phantasien projizieren. Allerdings wurmt speziell die Tatsache, dass Susan, die Mikes verzehrende Gefühle durchaus wahrnimmt und ihn damit neckt, sich zum einen mit einem fatzkenhaften Verlobten (Christopher Sandford) und zum anderen mit Mikes früherem, wesentlich älteren Sportlehrer (Karl Michael Vogler) abgibt, den jungen Mann immens. Durch ein umständliches taktisches Manöver kann Mike Susan schließlich zu einem eher hektischen Beischlaf bewegen, der für ihn enttäuschend ausfällt. Und so einfach will er seine Eroberung dann doch nicht ziehen lassen...

Sozusagen die naturalistische, europäische Antwort auf Nichols' "The Graduate" ist "Deep End" eine besondere cinematographische Ausnahmeerscheinung. Ein in London spielendes Coming-of-Age-Drama, von einem Jungregisseur der polnischen Nouvelle Vague zum Teil in den Bavaria-Studios inszeniert - sowas gab's selbst damals nicht alle Tage. Ein Glücksfall des dekadenwechselnden Kinos zwischen den Sechzigern und Siebzigern war die Folge, der das besondere Kunststück bewerkstelligt, sich gänzlich in das Gefühlschaos eines Heranwachsenden fallen lassen zu können, sozusagen kompromisslos. Heute wird "Deep End" häufig in einem Atemzug genannt mit "Blowup" und "Repulsion", die jeweils das "Swingin' London" jener Tage aus der unbestechlichen Sicht junger internationaler Filmemacher karikierten und in einen albtraumhaften Kontext einbetteten. So falsch ist diese Analogie nicht, aber auch kaum gänzlich zutreffend. Skolimowski weidet sich nicht groß an urbanen Ansichten, sondern verharrt ganz in seinen zwei, drei Schauplätzen, als da wären: das halbverfallene Schwimmbad, ein Stück Rotlichtmeile und der winterliche Stadtpark (freilich im Englischen Garten abgefilmt) und konzentriert sich auf seinen omnipräsenten Hauptcharakter und dessen sich zunehmend irrational gestaltendes Innenleben. Einer der wichtigsten, repräsentativsten Filme seiner Zeit ist die verpflichtende Folge, mit einem aus Songs von Cat Stevens und Can kompilierten Wahnsinns-Soundtrack.

9/10

London Jerzy Skolimowski Kiez Coming of Age


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TOYS IN THE ATTIC (George Roy Hill/USA 1963)


"Just a few amounts..."

Toys In The Attic (Puppen unterm Dach) ~ USA 1963
Directed By: George Roy Hill

Der Glücksritter Julian Berniers (Dean Martin), der sich stets auf seine beiden altjüngferlichen Schwestern Carrie (Geraldine Page) und Anna (Wendy Hiller) verlassen konnte, kehrt mit seiner jungen Frau Lily (Yvette Mimieux) zurück nach New Orleans. Carrie und Anna befürchten das übliche Angepumpe, doch Julian überhäuft sie stattdessen mit teuren Geschenken und der Eröffnung, er sei reich geworden. Tatsächlich hat er den reichen Geschäftsmann Cyrus Warkins (Larry Gates) mithilfe von dessen frustrierter Gattin (Nan Martin) bei einem übervorteilenden Immobilienhandel eine größere Summe aus der Tasche leiern können. Carrie, deren merkwürdige Empfindungen für Julian deutlich über rein geschwisterliche Zuneigung hinausgehen, reagiert höchst eifersüchtig und neurotisch auf die neue Unabhängigkeit ihres Bruders und auf Lily. Als sie die naive junge Frau für eine Intrige missbraucht, kommt es zum großen Knall.

Beziehungsreich-typologisch inszenierter Südstaatenkitsch, in dem, ganz so, wie man es von dieser Art Drama durch Williams und Faulkner gewohnt ist, lange schlummernde, schwelende Familiengeheimnisse aufgebrochen und zur Ader gelassen werden, um dann ihrer Heilung harren können. Dean Martin, der, was leider nur Wenige wissen und glauben wollen, gerade infolge seines Luftikus-Image regelmäßig ganz toll war in dramatischen Parts, geht am Ende als geläuterter Antiheld aus der Sache hervor, wer indes mal wieder richtig genüsslich hassen will, kann sich "Toys In The Attic" wegen der alles überragenden Geraldine Page zu Gemüte führen, eine wahre Louisiana-Pomeranze, der sich mit einiger Gewissheit eine ähnliche Zukunft prophezeien lässt, wie sie Bette Davis in "Hush...Hush Sweet Charlotte" vorlebt. Das New Orleans der großen amerikanischen Dramatiker und Romanciers zeigt sich überhaupt selten von touristischer Attraktivität; in die aus inzestuösen Emotionen, traditionellem Rassismus und verfilzten, altgeldadeligen Dynastien (in "Toys" ist gerne von "old money" die Rede) zusammengehaltene Patina des schwülen Südens traut man sich als Fremder ja kaum herein. Es sei denn als Leinwandbesucher, und dann umso lieber.

7/10

George Roy Hill Lillian Hellman Familie based on play New Orleans Südstaaten


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THE MOLLY MAGUIRES (Martin Ritt/USA 1970)


"I am what you think!"

The Molly Maguires (Verflucht bis zum jüngsten Tag) ~ USA 1970
Directed By: Martin Ritt

Pennsylvania, 1876: In einer kleinen, aus Briten und Iren bestehenden Bergmannskolonie begehren einige der Arbeiter gegen die inhumanen Bedingungen auf, unter denen sie dort arbeiten müssen. Da sie dabei in höchstem Maße gewalttätig und gesetzeswidrig vorgehen, sind sie nicht nur den Industriebossen, sondern auch der Polizei ein Dorn im Auge. Der Polizist James McParlan (Richard Harris) lässt sich unter falschem Namen in die engmaschig strukturierte Gesellschaft der Arbeiter eingeschleusen, um die sich selbst "Molly Maguires" nennenden Werkssaboteure von innen sprengen zu können.

Undercover-Storys sind stets ein dankbarer Stoff für große Gefühle und altmodische Schuld-und-Sühne-Geschichten. Zumeist wird jemand aus einer mit strengem Ehrenkodex geführten Ethnie zum Verräter oder Denunzianten, weil er irgendwann die Seiten gewechselt hat und nun für die Obrigkeit tätig ist. Ähnlich verhält es sich auch in "The Molly Maguires": Jamie McParlan, der sich kurzum in McKenna umbenennt, kennt die insulanischen Gepflogenheiten noch von der Pike auf und lässt sich von Jack Kehoe (Sean Connery), dem Kopf der Maguires, immer wieder auf seine Seite ziehen, auch wenn er es später nicht zugeben wird. Ferner gilt es zu bedenken, dass die hier untergrabene Vereinigung sich bestenfalls indirekt als 'kriminell' kategorisieren lässt: Die Molly Maguires betreiben lediglich Arbeitskampf in Guerilla-Form, eine Notwendigkeit angesichts der sie uimgebenden, kapitalistischen Willkür. Für sein rußgeschwärztes Drama findet Ritt herrlich nostalgische Bilder (James Wong Howe) und kann mit Henry Mancini einen Komponisten vorweise, der sich auch hervorragend auf irische Folkklänge versteht.

8/10

Bergarbeit Martin Ritt Pennsylvania ethnics Gewerkschaft Working Class Historie period piece


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DIE VORSTADTKROKODILE (Wolfgang Becker/BRD 1977)


"Habter gesehen, wie man's macht?"

Die Vorstadtkrokodile ~ BRD 1977
Directed By: Wolfgang Becker

Die "Vorstadtkrokodile" sind zehn Kinder, die sich zu einer Bande mit strengem Ehrenkodex zusammen geschlossen haben. Der an den Rollstuhl gebundene Kurt (Birgit Komanns) rettet dem neuesten Mitglied Hannes (Thomas Bohnen) das Leben, als dieser bei einer Mutprobe fast vom Dach einer Ziegelei fällt. Wegen Kurts schneller Reaktion kann die Feuerwehr Hannes in letzter Sekunde aus seiner misslichen Lage (er hängt an einer Regenrinne) befreien. Kurt, der von den Krokodilen wegen seiner Behinderung stets gemieden wurde, kann sich nun langsam das Vertrauen und die Freundschaft der anderen Kinder sichern. Brenzlig wird es wiederum, als Kurt einem Trio (Martin Semmelrogge, Thomas Naumann, Hans-Gerd Rudolph) jugendlicher Einbrecher auf die Spur kommt, von denen einer der ältere Bruder des Krokodils Frank (Heiner Beeker) ist...

Sehr liebenswerte, erste Verfilmung des berühmten Kinderbuchs von Max von der Grün, das ja bereits seit einigen Jahren zum Kanon der Schulliteratur zählt. Der pädagogische Nährwert hält sich dabei relativ geschickt getarnt unter der zumindest halbwegs authentischen Schilderung vorstädtischen Kinder-Milieus. Buch und Film bilden eine Lehrstunde in Sachen Toleranz, ohne dabei jemals auch nur ansatzweise Gefahr zu laufen, kitschig oder pathetisch zu werden. Darin liegt überhaupt das große Geschick des Stoffes, den behinderten Kurt, der seinen Spitznamen "Rennfahrer" ganz flugs weghat, zum einen als Protagonisten und Identifikationsfigur einzuführen und ihn trotz seiner körperlichen Einschränkung als mindestens genauso mutig und clever wie seine neuen Freunde zu charakterisieren. Im Film übernahm diese Rolle ein Mädchen (Birgit Komanns), das dann später von Oliver Rohrbeck nachsynchronisiert wurde. Diese Parallele ist ganz interessant, war doch Rohrbeck in den siebziger und achtziger Jahren Stammsprecher mehrer Kinderserien des Hörspiellabels 'Europa', die sich oftmals als stark von von der Grüns Geschichte beeinflusst präsentierten. Die Kinder wurden allesamt von Laien gespielt, was sich bezüglich Beckers Authentizitätsanspruchs als hervorragende Entscheidung erwies. Der supereklig aufspielende Martin Semmelrogge als böser Egon ist aus dem Film nicht wegzudenken. Überhaupt wirken die Menschen hier allesamt vollkommen "original": Es wird - heute in einem nominellen Kinderfilm undenkbar - geraucht und gesoffen, selbst die Kinder versetzen sich einmal in einen lustigen Weinrausch. Der tolle Eberhard Feik, als Kurts Vater zu sehen, darf sich in einer Szene auf einem Schulfest richtig gehörig einen reintun, wohlgemerkt, ohne gleich als pathologischer Trinker denunziert zu werden. Die unumwundene Darstellung solch gelebter Entspanntheit würde uns heute auch mal wieder guttun...
Die ebenfalls auf der aktuell erschienen DVD enthaltene, vier Jahre später entstandene Dokumentation "Bleibt knackig, Freunde" entzaubert den Film dann recht stark, denn die Kids sind mittlerweile um die 16, 17 Jahre alt, trinken vor der Kamera unverhohlen ihr Schnäpschen und sind gerade dabei, sich eine kleinbürgerliche Existenz zu schaffen. Das ist zwar recht interessant und spaßig zu betrachten, wirkt unmittelbar nach dem Genuss des Hauptfilms aber auch ziemlich entromantisierend. Aber kann man ja auch weglassen und stattdessen lieber noch ein wenig die starken, sehr symbolbehafteten Finalbilder der "Krokodile" nachwirken lassen. Besser ist das.

8/10

TV-Film Kinderfilm Wolfgang Becker Max von der Grün Coming of Age


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UNDER CAPRICORN (Alfred Hitchcock/UK 1949)


"What kind of love is this?"

Under Capricorn (Sklavin des Herzens) ~ UK 1949
Directed By: Alfred Hitchcock


Australien, um das Jahr 1835: Der irische Ex-Sträfling Sam Flusky (Joseph Cotten) hat es in der Kolonie zwar zu Reichtum gebracht, sein gesellschaftliches Renommee und seine Akzeptanz durch die anderen emigrierten Großbürger in Sidney ist aufgrund seiner Vergangenheit jedoch praktisch nichtig. Hinzu kommt, dass Fluskys Gattin, die Aristokratin Henrietta (Ingrid Bergman), unter einer heftigen Depression zu leiden scheint. Als mit dem lebensfrohen Charles Adare (Michael Wilding), dem Neffen des neuen Gouverneurs (Cecil Parker), ein alter Bekannter von Henrietta nach New South Wales kommt, scheint sich ein Lichtstrahl für das Ehepaar Flusky anzukündigen...

Rückkehr nach England für zwei Filme. "Under Capricorn" bedeutete für Hitch die letzte Zusammenarbeit mit der Bergman, die hier ihre vermutlich stärkste und mutigste Rolle für den Regisseur spielt. Alkohol- und Medikamentensucht, speziell bei depressiven, jungen Frauen stellte natürlich ein gewisses Tabuthema in diesen Jahren dar und konnte vermutlich bloß deshalb akzeptiert werden, weil "Under Capricorn" als period piece und Kostümfilm verkauft wurde. Ähnlich wie "Rebecca" steht der Film im Zeichen feministischer Initiation - allerdings mit vertauschten Rollen. Um eine nicht standesgemäße Ehe glücklich führen zu können, müssen zunächst die Schranken und Unbill der Vergangenheit nebst irreparabel scheinender Schuldkomplexe ausgeräumt werden. Hier wie dort legt eine intrigante, böse Haushälterin (eine wunderbar hassenswerte Margaret Leighton) dem Glück der Ehepartner unerkannt schwere Steine in den Weg. Am Ende wartet dann die viel zu lange aufgeschobene, gemeinsame Erlösung auf das Paar Cotten/Bergman, das sich - eine behagliche Parallele - ja noch gut von Cukors "Gaslight" her kannte.
Das blasse, edle Technicolor des Films ist zwar höchst gekonnt eingesetzt und macht den ohnehin schönen "Under Capricorn" noch umso schöner - aber es half alles nichts. Der Film fiel allerorten durch und die Transatlantic machte nach diesem Projekt wieder dicht. Hitchcock nahm einen Vertrag bei Warner an, die bereits seine letzten beiden Filme international verliehen hatten, und kehrte, mittelmäßig frustriert, zunächst für drei Filme zum Schwarzweiß seiner großen Erfolge zurück.

8/10

period piece Kolonialismus Alfred Hitchcock Australien Standesduenkel Ehe Jack Cardiff





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