Zum Inhalt wechseln


Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen

Foto

Der Kontrakt des Zeichners


Eine weitere meiner Kritiken aus alten Zeiten:

Die Geburt des Films aus dem Geist der Malerei


Im Verlauf der Filmgeschichte ist es immer wieder bedeutenden Regisseuren gelungen, schon mit ihren Erstlingswerken atemberaubende Meisterwerke vorzulegen, die häufig Klassikerstatus errungen haben: zu nennen wären in diesem Zusammenhang solche Filme wie Orson Welles' Citizen Kane, John Hustons Die Spur des Falken, Jean-Luc Godards Außer Atem oder David Lynchs Eraserhead. Ein solches Werk ist aber auch Peter Greenaways erster langer Spielfilm Der Kontrakt des Zeichners.
Greenaways Historienfilm spielt im England des Jahres 1694: Der Zeichner Mr. Neville (Anthony Higgins) wird auf dem Herrensitz Compton Anstey von Mrs. Herbert (Janet Suzman), der Ehefrau des Eigentümers, beauftragt, während dessen zweiwöchiger Abwesenheit zwölf Zeichnungen von dem prachtvollen Garten anzufertigen: Mrs. Herbert will so ihrem Mann eine freudige Überraschung bereiten, um die Ehe steht es offenbar nicht zum besten. Neville zeigt sich nur wenig interessiert und nimmt den Auftrag nur zu einem ungewöhnlich hohen Preis an: er läßt einen Kontrakt aufsetzen, in dem Mrs. Herbert ihm neben seiner Bezahlung sowie Kost und Logis auch noch die Bereitschaft zusichert, „seinen Wünschen zu entsprechen betreffs seines Vergnügens mit ihr“.
Greenaways Film ist eine außerordentlich vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Wesen visueller Künste, dem Verhältnis zwischen dem Kunstwerk selbst und der Interpretation, die es findet, sowie auch mit dem Verhältnis zwischen dem Künstler selbst und der Gesellschaft. Dabei gelingt Greenaway in seltener Vollkommenheit der Einklang von Inhalt und Form, indem er die Geburt des Films aus dem Geist der Malerei vollzieht: die Zeichnungen, die Neville anfertigt (und die in Wirklichkeit von Greenaway selbst stammen), stehen im Mittelpunkt des Films. Das Format der Zeichnungen gibt auch das Format des Films selbst (1:1,66) vor, und immer wieder nimmt die Kamera die Perspektive des Zeichners ein und sieht durch Nevilles Zeichnerrahmen hindurch. So streng wie die wohlkalkulierte Geometrie des Gartens, den Neville zeichnen soll, wirkt auch die Form des Films selbst: zumeist bleibt die Kamera unbewegt (wodurch sich der Film abermals der Malerei annähert), eine Ausnahme stellen mehrere lange Einstellungen (zumeist Essensszenen) dar, in denen sie immer wieder langsam von links nach rechts und umgekehrt fährt. Dabei gehen die prachtvollen Bilder mit Michael Nymans vortrefflicher Filmmusik, die sich stilistisch an Henry Purcells Werke anlehnt und so auch das Barockzeitalter, in dem Der Kontrakt des Zeichners spielt, beschwört, eine Symbiose ein und verschmelzen mit ihr zu einem Gesamtkunstwerk von betörender (aber auch sehr verstörender) Schönheit. Der Film betont durch die strenge, artifizielle Inszenierung seine Künstlichkeit, wird aber zu keinem Zeitpunkt prätentiös; so ist er auch als Zeitbild überzeugend, geht aber weit über Darstellung und Kommentierung eines bestimmten historischen Rahmens hinaus: Thema und Aussage des Films sind allgemeingültig und zeitlos.

Wer den Film noch nicht kennt, sollte lieber nicht weiterlesen!

Im Zentrum des Films steht dabei die Diskrepanz zwischen reiner Abbildung und künstlerischer Überhöhung, sowie zwischen dem Kunstwerk selbst und seiner möglichen Interpretation. Neville betrachtet seine Zeichnungen als reine Abbildungen, wird aber mit z.T. allegorischen Auslegungen konfrontiert: einige auf dem Herrensitz sehen die Bilder als mögliche Beweise eines Verbrechens an, eine Möglichkeit, die an Brisanz gewinnt, als im Teich die Leiche Mr. Herberts gefunden wird. Der arrogante Mr. Talmann (Hugh Fraser) hingegen, mit dessen Frau Mr. Neville (auf deren Initiative hin!) einen weiteren, dem ersten ähnlichen Kontrakt geschlossen hat, wird durch Spott und Tuscheleien davon überzeugt, daß die Bilder den Ehebruch seiner Frau in allegorischer Form darstellen. Neville selbst dagegen scheint eher irritiert, schließlich überfordert - zunächst von den Interpretationen, die seine Zeichnungen auslösen, zuletzt auch von der mörderischen Erbintrige, in die er immer mehr hineingezogen wird, ohne sie zu durchschauen. Die Frage, was an einem Bild reine Abbildung einer Beobachtung, was gewollte Allegorie und bewußte Anspielung, was künstlerische Überhöhung ist, gibt der Film an den Zuschauer weiter, indem er sie auf eine höhere Ebene überträgt. In einer Szene betrachtet Mr. Neville ein Gemälde, das sich auf dem Anwesen befindet und fragt Mrs. Herbert, was für eine Geschichte es erzähle, und was für verborgene Bedeutungen es womöglich enthalte - ohne eine Antwort darauf zu bekommen. Ganz ähnlich ist auch die Geschichte des Films angelegt: viele Einzelheiten des Verbrechens, das sich ereignet hat, bleiben im Unklaren, der Film gewährt dem Zuschauer nur Zeichen, ähnlich den Spuren in den Zeichnungen Nevilles. So überträgt Greenaway den Diskurs, inwiefern durch die Abbildung von Erscheinungen die hinter den Erscheinungen verborgenen Bedeutungen sichtbar gemacht werden können, auf die Filmkunst selbst, indem er seinen Film dem gleichen Spannungsverhältnis aussetzt wie Nevilles Bilder.
Ähnlich bedeutsam ist der damit verbundene Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Künstler und der Gesellschaft, wobei auch hier die Übertragung auf die Filmkunst zum Teil möglich ist. So wirkt Neville im ersten Drittel des Films wie ein Filmregisseur am Set, der alleiniger Herr des Geschehens ist. Dies kehrt sich im Verlauf des Films jedoch immer mehr um: wie schon erwähnt, geht die Initiative zum zweiten Kontrakt mit Mrs. Talmann (Anne Louise Lambert) von dieser aus, und der zweite Kontrakt entscheidet sich vom ersten entscheidend dadurch, daß es diesmal Mr. Neville ist, der zur Verfügung stehen muß. Vollends radikalisiert wird diese Umkehr am Ende des Films, als Mr. Neville zunächst erfährt, daß er kaum mehr als eine Marionette in dem Plan Mrs. Herberts und Mrs. Talmanns, einen männlichen Erben zu sichern, war, und wenig später brutal ermordet wird: zum einen, um zu verhindern, daß er einen weiteren Kontrakt mit Mrs. Herbert - den Ehevertrag nämlich - abschließt, zum anderen, weil die (höhere) Gesellschaft nun im kalten Genuß ihrer Macht die Rache am Künstler vollzieht. So beurteilt der Film letztlich auch die Möglichkeiten der Kunst, die Wahrheit ans Licht zu bringen, pessimistisch. Gerade das Ende zeigt aber auch, wie brillant Der Kontrakt des Zeichners konstruiert ist: die kalte Förmlichkeit, mit der die Mörder Mr. Nevilles Todesurteil verkünden und vollziehen, fügt sich nahtlos ein in die formale Strenge, die das Werk auszeichnet: die wohlgeordnete Geometrie des Gartens (und des Films) stellt sich nun als die Geometrie der Gesellschaft selbst heraus, die keine Verstöße gegen ihre starren Regeln duldet: Geld und Macht sind ihre Pole, um die alles kreist, ihr Ordnungsprinzip ist die Gewalt. Für den Künstler, der es unternimmt, diese Ordnung zu gefährden, ist darin kein Platz; insofern ist Greenaways Meisterwerk fraglos auch hochaktuell.
Der Kontrakt des Zeichners ist ein faszinierendes Gesamtkunstwerk, daß sich durch strengen Formwillen und eine ästhetisierte, distanzierte Darstellungsweise auszeichnet und trotzdem in vollkommen überzeugender Weise auf die Realität (und keineswegs nur die historische!) verweist, wobei gerade die Diskrepanz zwischen der audiovisuellen Schönheit des Films und dem grausamen Ende, das er nimmt, die Wirkung in besonderer Weise steigert. Vieles an Greenaways distanziert-ironischem, überhöhten Ansatz erinnert an Kubrick; doch so gut war Kubrick nur ganz selten. Für solche Filme ist das Kino erfunden worden.

(Veröffentlicht auf kino.de im Jahr 2006)

kino.de


Foto

Solaris


Hier ein weiterer meiner alten kino.de-Texte, diesmal zu Tarkowskis Solaris:


Heimkehr


Zu Tarkowski habe ich ein etwas kompliziertes Verhältnis, das sich über die Zeiten hinweg auch gewandelt hat. Es ist nun über 13 [inzwischen sogar mehr als 16] Jahre her, daß ich erstmals (in einem Programmkino, das es schon lange nicht mehr gibt) einen Tarkowski-Film sah: es war Solaris. Der Film interessierte mich vor allem wegen meiner Affinität zum Science-Fiction-Genre (also zog mich genau das zu ihm, was Tarkowski selbst daran wohl am wenigsten interessiert hatte); ich fand ihn zwar durchaus nicht schlecht, aber äußerst anspruchsvoll und schwer zugänglich. Dennoch blieb Solaris lange Zeit meine fruchtbarste Begegnung mit Tarkowski, während ich seinen anderen Filmen, die ich nach und nach zu sehen bekam, in der Regel nur wenig abgewinnen konnte.
Trotzdem kehrte ich immer wieder zu Tarkowski zurück, spürte, daß seine Filme auf eine Weise nachwirkten, über die man sich vielleicht zunächst gar nicht klar wird. Am deutlichsten bewußt wurde mir dies, wenn ich Filme anderer Regisseure sah, die mir gefielen, die mich aber auch auf irgendeine Weise an Tarkowski erinnerten, schon dies ein Grund, sich auch mit Tarkowski selbst abermals auseinanderzusetzen. So las ich auch seine filmtheoretischen Ausführungen, die ich auf der einen Seite sehr interessant fand, bei denen ich andererseits aber ständig das Bedürfnis hatte, dem Meister zu widersprechen. Denn daß ich es mit einem Meister zu tun hatte - zumindest das war mir nun ganz deutlich klar geworden. Ein Meister aber auch, der mir als Person nicht besonders sympathisch ist und dessen konservativ-religiöse Weltsicht mit meiner eigenen kaum kompatibel ist. Und doch: man kann auch die Filme von solchen Regisseuren lieben...
Andrej Rubljow war dann der endgültige Wendepunkt, ein atemberaubendes, kraftvolles Meisterwerk, das mich auf Anhieb mehr als überzeugte. Einige Zeit danach sah ich zum zweiten Mal Solaris, und einerseits war es so, als ob ich einen neuen, ganz anderen Film sehen würde. Andererseits war es aber auch so etwas wie eine Heimkehr.
Nicht zu allen Werken Tarkowskis habe ich wirklich Zugang gefunden, besonders die beiden letzten Filme mag ich immer noch nicht, zum einen, weil Tarkowskis zur extremen Langsamkeit neigender Stil in diesen Filmen seine drastischste Ausprägung erfährt, zum anderen aber auch, weil die von mir angesprochene Weltsicht des Meisters in diesen Filmen ganz besonders deutlich zu Tage tritt.
Doch Solaris ist mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen, jener Film, mit dem meine Reise durch das Tarkowski-Universum einst begonnen hat und mich inzwischen immer daran erinnert, daß es auch für mich einen Platz in diesem Filmkosmos gibt.

War das als Vorrede zu lang? Gewiß. Aber Tarkowski ist eben auch kein gewöhnlicher Regisseur, noch nicht einmal ein gewöhnlicher Meister. Seine Filme lassen sich nicht konsumieren. Er kommt seinen Zuschauern nirgends entgegen, nicht mit inszenatorischen Kabinettstückchen oder populären Zutaten. Seine Filme muß man erfahren. Das klappt nicht bei jedem, und es klappt vielleicht auch nicht bei jedem Film. Doch im günstigsten Fall kommen Tarkowski-Filme, die sich so souverän im Grenzbereich von Traum und Wirklichkeit bewegen (was Ingmar Bergman besonders bewundert hat), einer Art von Trancezustand gleich, und wenn ein solcher Film vorbei ist, dann ist man wacher als zuvor. Für mich ist zumindest Solaris im Lauf der Jahre zu einem solchen Film geworden.

Dabei gibt es auch durchaus Kritik an Tarkowskis Film, zum einen von Stanislaw Lem, dem Verfasser des gleichnamigen, zugrundeliegenden Romans, und auch von Bewunderern des Romans. Lem selbst war schon von der ersten Drehbuchversion alles andere als begeistert und mochte auch den fertigen Film nicht. Das ist aus seiner Sicht sogar nachvollziehbar, denn Tarkowski hat mit der Verfilmung durchaus einen Paradigmenwechsel vollzogen; die erkenntnistheoretische Seite des Buches hat im Film weniger Gewicht. Auch die Schriftstellerin Ursula K. Le Guin schreibt in ihrem Vorwort zu Lems Roman über den Film: "Es ist ein kluger und schöner Film, doch ich glaube nicht, daß er der intellektuellen Spannweite und moralischen Komplexität des Romans gerecht wird." Das ist nicht ganz verkehrt, und trotzdem mag ich persönlich den Film sogar lieber, denn Lems Roman, der sich durch einen recht akademischen, spröden Stil auszeichnet, spricht vor allem den Intellekt an - Tarkowskis Film hingegen erreicht auch andere Bereiche des Bewußtseins und des Unterbewußtseins.

Dabei hat Tarkowski etliche für ihn typische inhaltliche und visuelle Motive im Film untergebracht: das zeigt schon das erste Viertel des Films, das auf der Erde spielt, und so im Roman gar nicht vorkommt (bis auf den Berton-Bericht, der im Roman aber viel später vorkommt, wobei Tarkowski diesen schriftlichen Bericht sinnvollerweise ins filmische Medium übertragen hat): Bilder von Wasserpflanzen in einem Fluß beginnen den Film, ein Pferd kommt wenig später ins Bild - dies ist typisch für Tarkowski und scheint eher der Traum von einer (verlorenen?) Vergangenheit als eine Zukunftsvision zu sein. Schon dieser lange Prolog führt mehr in eine Innenwelt hinein, wie sie Tarkowski in seinen späteren Filmen visualisiert hat, als daß ein äußeres Geschehen gezeigt würde; dieser Trend sollte sich im weiteren Werk fortsetzen. Solaris ist in dieser Hinsicht ein Film des Übergangs, des stilistischen Umbruchs, was man aber nicht als Schwäche verstehen sollte: vielleicht ist es sogar gerade einer der Gründe, daß ich den Film so mag. Auch an religiösen Motiven mangelt es nicht, am deutlichsten ist wohl die Anspielung auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Lukas-Evangelium am Ende des Films; doch Solaris ist thematisch vielschichtiger und weniger einseitig als die späten Filme, vielleicht deshalb, weil es eben immer noch ein Stoff von Lem ist, dem wir durch die Augen Tarkowskis gesehen begegnen.

Daß Tarkowski sich überhaupt einen Science-Fiction-Stoff aussuchte, war seinerzeit ohnehin eine Überraschung; fraglos hat ihn vor allem auch die moralische Dimension der Geschichte, die Beschäftigung mit dem eigenen Gewissen, daran interessiert. Tarkowski wollte aber zugleich auch einen Gegenfilm zu Kubricks 2001 drehen, der ihm mißfallen hatte. Wie so oft, wenn ein Meister einen "Gegenfilm" zu einem Meisterwerk drehen will, ist man auch im Fall von 2001 und Solaris viel mehr geneigt, die Filme nebeneinanderzustellen, als sie gegeneinander auszuspielen. Kubricks Film ist in handwerklicher und technischer Hinsicht eindeutig überlegen (Tarkowski interessierte sich auch kaum für die tricktechnische Komponente und überließ etwa die Gestaltung des "Solaris"-Ozeans wohl einem Labor, das sich darum kümmerte); dafür besitzen die Figuren in Solaris mehr Tiefe, und es ist wohl auch der hoffnungsvollere Film. Großartig sind sie beide.

Doch mit solchen Vergleichen will ich mich auch gar nicht lange aufhalten, sondern lieber gleich zu Solaris zurückkehren. In Tarkowskis Film betritt der Psychologe Kris Kelvin die Raumstation, die sich in der Umlaufbahn des Planeten Solaris, auf dem es einen möglicherweise intelligenten Ozean gibt, befindet, ohne zu ahnen, was er dort finden wird: nicht nur eine Konfrontation mit den Grenzen menschlicher Erkenntnis, sondern vor allem auch die Begegnung mit sich selbst. Auf der Station nehmen Gedanken und Schuldgefühle ihrer Bewohner materielle Gestalt an, sie werden "Gäste" genannt - und so steht auch Kelvin bald seiner toten Frau Harey gegenüber, die vor zehn Jahren (seinetwegen) Selbstmord begangen hat. Die erste Harey, die auftaucht, schießt Kelvin mit einer Rakete kurzerhand mit den Weltraum, und gerade auch bei dieser Szene habe ich mich gefragt: was täte ich in einer vergleichbaren Situation, zumal ich mir ganz gut vorstellen kann, was für ein "Gast" mich besuchen würde? Wie verhielten wir uns, wenn die Toten, die wir vermissen, plötzlich vor uns stünden? Wären wir erfreut, erschrocken oder womöglich entsetzt?
Harey erscheint schon bald nach einer erneuten Materialisierung, sie, die anfangs nur eine Erinnerung Kelvins ist, die Gestalt angenommen hat, wird immer mehr zur eigenständigen Persönlichkeit, zum Menschen - eine Situation, die schließlich unerträglich wird. Was macht es aus, ein Mensch zu sein? Auch um diese Frage geht es in Solaris - und darum, wie der Mensch wieder zu sich finden kann. Denn der Kybernetiker Snaut sagt in einer Szene sehr treffend, der Mensch wolle doch gar nicht den Kosmos erobern, sondern nur die Erde bis an seine Grenzen ausdehnen. Das Universum bleibt letztlich ungreifbar, vielleicht sogar schon der andere, der nächste Mensch. Doch man kann zumindest zu sich selbst finden, in einen Spiegel sehen, und so vielleicht immerhin den eigenen Platz in der Welt erkennen. Am Ende steht das Erwachen Kelvins aus einer Art von Fieber und schließlich seine Rückkehr - und sei es nur eine innere. Doch Solaris läßt uns an dieser Erfahrung teilhaben; wer als Zuschauer bereit ist, in diesen Traumspiegel hineinzusehen, findet vielleicht zumindest den Weg, an dessen Ende die Begegnung mit dem eigenen Ich und die ganz persönliche Auseinandersetzung mit der Frage, was es eigentlich ausmacht, auf der Welt zu sein, steht. Auch in dieser Hinsicht ist es vielleicht eine Art von Heimkehr, Andrej Tarkowskis Solaris zu sehen.

(Zuerst veröffentlicht auf kino.de im Jahr 2009)

kino.de


Foto

Ikiru (Einmal wirklich leben)


Und hier der nächste von meinen noch vorhandenen kino.de-Texten (wobei ich leider vorwegnehmen muß, daß wohl keiner der Texte, die ich noch anzubieten habe, an die Qualität der Vertigo-Rezension herankommen sollte), zu Kurosawas Ikiru. Auch in diesem Text werden wesentliche Details der Handlung preisgegeben, als Hinweis für Leser, die den Film noch nicht kennnen und möglicherweise Anstoß daran nehmen könnten (obwohl Ikiru eigentlich nicht zu den Filmen gehört, wo solche Warnungen unbedingt nötig wären).



Der Beamte Kanji Watanabe, Leiter der Beschwerdeabteilung in seiner Behörde, erfährt, daß er an Magenkrebs leidet und nur noch ein halbes Jahr zu leben hat. Die niederschmetternde Nachricht wirft ihn aus der Bahn, er geht nicht mehr zu Arbeit und beginnt sich in Lokalen und Striptease-Bars herumzutreiben, bis er sich schließlich an einen schon so gut wie abgelehnten Antrag auf den Bau eines Spielplatzes, der in seinem Amt von einer Abteilung zur anderen weitergereicht wird, erinnert und eine Erfüllung darin findet, die Fertigstellung dieses Spielplatzes durchzusetzen, auf dem er schließlich seiner Krankheit erliegt.
Mit diesen knappen Sätzen könnte man die Handlung von Akira Kurosawas meisterlichem Ikiru (Einmal wirklich leben) zusammenfassen und hätte doch nichts gesagt. Tatsächlich ist Kurosawas Film ein sowohl inhaltlich als auch formal herausragender Film, der sich zudem durch seine thematische Vielschichtigkeit auszeichnet:er erzählt nicht allein das private Drama des alternden Beamten Watanabe, sondern macht auch die Absurdität und Leblosigkeit einer bis zum äußersten getriebenen, kafkaesken Bürokratie sichtbar, spricht schonungslos die innere Leere einer sinnentleerten Arbeitswelt an (was in der japanischen Gesellschaft besonders zu beachten ist) und knüpft zum Teil thematisch auch an Rashomon an, der unter anderem von der Diskrepanz zwischen dem Selbstbild und der Wirklichkeit handelte.
Dabei versteht es Kurosawa immer wieder, durch den Aufbau und die Inszenierung des Films außergewöhnliche Wirkung zu erzielen. Deutlich wird das etwa an der Szene, in der Watanabe von seiner tödlichen Erkrankung erfährt: die meisten Regisseure hätten hier sicherlich gezeigt, wie ein Arzt dem Protagonisten mitteilt, daß seine Tage gezählt sind. Das wäre dann eine Szene, die sicherlich nicht ohne Kraft, aber doch konventionell ist. Kurosawa geht anders vor: er läßt Watanabe im Wartezimmer einen Mann treffen, der ihm erzählt, daß die Ärzte den hoffnungslosen Fällen niemals die Wahrheit sagen, sondern nur eine harmlose Gastritis diagnostizieren würden und beginnt dann damit, die Symptome eines fortgeschrittenen Magenkrebs zu schildern, zur Bestürzung Watanabes, dem sie alle schon vertraut sind. Als er wirklich vom Arzt aufgerufen wird und zu hören bekommt, er leide an einer Magenschleimhautentzündung, weiß er, daß damit in Wahrheit sein Todesurteil ausgesprochen ist.
Ähnliches gilt für das letzte Drittel des Films: statt Watanabes schließlich erfolgreichen Kampf um den Kindergarten geradlinig zu zeigen, führt Kurosawa den Zuschauer nach etwa zwei Dritteln des Films unmittelbar auf die Trauerfeier und zeigt Watanabes Bemühungen in Rückblenden; auf diese Weise entlarvt er zugleich (und hier gibt es eine Verwandtschaft mit Rashomon), wie diejenigen, allen voran der Bürgermeister, die wenig oder nichts dazu beigetragen haben, sich nun nachträglich mit fremden Federn zu schmücken versuchen.
Dabei verdankt der Film einen großen Teil seiner Eindringlichkeit Kurosawas souveränem Einsatz filmischer Mittel und seiner kraftvollen Bildersprache. In einer vorzüglichen Montagesequenz wird der Weg eines Antrags durch die verschiedenen Abteilungen eines Amtes gezeigt, womit die grotesken Kreisläufe innerhalb der Bürokratie deutlich werden; am Ende des Films zieht Kurosawa in einer Einstellung die Kamera allmählich in solcher Weise nach unten, daß die Beamten hinter ihren Aktenstapeln regelrecht verschwinden - so wird am Schluß auch deutlich, daß Watanabe zwar einen einzelnen Erfolg errungen hat, daß sich aber grundsätzlich gar nichts geändert hat. Es gibt eine Fülle von Bildern, die haften bleiben, so in einer wundersamen Einstellung, die Watanabe auf dem fertigen Spielplatz auf einer Schaukel sitzend zeigt, durch ein Klettergestell hindurch gefilmt - und doch fehlt dieser Bilderflut, die manchmal an die Werke von Orson Welles erinnert, alles manieristische oder gar narzißtische.
Die Darsteller sind wunderbar, besonders Takashi Shimura versteht zu überzeugen: er wirkt müde, vereinsamt und verzweifelt, fast ausgebrannt, und verleiht seinem Kanji Watanabe doch eine Würde, die ihm niemals abhanden kommt.
Ikiru ist ein stilles Meisterwerk Kurosawas, das einen Vergleich mit seinen herausragenden Samuraifilmen nicht fürchten muß, ein anrührender, bewegender Film, der von individuellen Problemen wie Sinnentleerung und Vereinsamung handelt, darüber hinaus aber auch eine gesellschaftliche Dimension besitzt und von einer zwar resignativen, doch nicht zynischen, sondern sehr menschlichen Sicht geprägt ist.

(Zuerst veröffentlich bei kino.de im Jahr 2008)

kino.de


Foto

Vertigo (alter Text von kino.de)


Ich folge einfach dem Beispiel meines hochgeschätzten Kollegen The Critic und stelle einige meiner in der Vergangenheit bei kino.de veröffentlichten Kritiken hier in meinem Filmtagebuch ein. Nun sind von meinen schätzungsweise 150 Kritiken, die ich seinerzeit verfaßt habe, mehr als 90% verloren (was sicherlich nicht in allen Fällen einen wirklichen Verlust bedeutet...), einige habe ich aber retten können oder fand sie noch auf meiner Festplatte vor. Ich fange mit dem folgenden Text zu Hitchcocks Vertigo an; weitere texte werden in Kürze folgen.

Hinweis: Der Text verrät die wichtigsten Details der Handlung und richtet sich daher an Leser, die Hitchcocks Film bereits gesehen haben.

Los geht's:


Der schönste und traurigste Film über die Liebe


Alfred Hitchcock gilt - natürlich auch zu Recht - als Meister des Suspense und des Thriller-Genres. Dennoch würde es Hitchcocks Werken nicht gerecht werden, wenn man sie nur als raffiniert konstruierte Spannungsfilme betrachten würde, da die besten unter ihnen immer noch weitere, mitunter sehr tiefe Ebenen besitzen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist Vertigo, der (wie wohl alle Meisterwerke Hitchcocks) als Thriller gilt, meiner Ansicht aber vielleicht noch mehr ein Liebesfilm ist.
Natürlich funktioniert Vertigo hervorragend als Thriller, und es gibt auch eine ausgeklügelte Kriminalstory, in der es um ein diabolisches Mordkomplott geht:
John „Scottie“ Ferguson (James Stewart), ein früherer Polizist, der seinen Dienst wegen einer Akrophobie quittiert hat, wird von seinem alten Freund Gavin Elstar gebeten, seine Frau Madeleine (Kim Novak) zu beobachten, da sie offenbar auf rätselhafte Weise die Persönlichkeit ihrer Urgroßmutter, die in dem Alter, das Madeleine jetzt hat, Selbstmord begangen hat, annimmt. Scottie beschattet Madeleine zunächst, lernt sie kennen und verliebt sich in sie, kann jedoch nicht ihren Tod an einem Glockenturm verhindern, da er wieder von seiner Höhenangst überwältigt wird. Er gerät in eine schwere persönliche Krise, muß sogar behandelt werden und kehrt nur langsam ins Leben zurück: dann lernt er Judy Barton kennen, die Madeleine ähnelt. Tatsächlich ist sie die vermeintlich Tote, denn die wirkliche Mrs. Elstar hat er nie kennengelernt, sondern Judy hat ihre Rolle gespielt: Ferguson sollte als Zeuge des angeblichen Selbstmords dienen, bei dem es sich in Wahrheit um die Ermordung Mrs. Elstars handelte. Scottie und Judy beginnen eine Beziehung, doch schließlich durchschaut er das Komplott, fährt mit Judy nochmals zum Glockenturm und zwingt sie, mit ihm hinaufzusteigen, um so ihr Geständnis zu erwirken. Dabei stürzt sie diesmal wirklich in den Tod.
Hitchcocks Film basiert auf einem Roman der französischen Autoren Pierre Boileau und Thomas Narcejac, die bereits die (nach einem ähnlichen Muster ablaufende) Vorlage zu Henri-Georges Clouzots Die Teuflischen geschrieben hatten und beim Verfassen des Romans schon auf eine Verfilmung durch Hitchcock spekulierten. Hitchcock nahm aber gegenüber dem Roman eine entscheidende Änderung vor: während der Leser erst am Ende des Romans erfährt, was sich wirklich abgespielt hat, weiht Hitchcock den Zuschauer schon kurz nach Judys Auftreten ein, also etwa 40 Minuten vor dem Ende des Films. Gerade der Vergleich mit Clouzots Film zeigt die Vorteile von Hitchcocks Konzept deutlich: denn Die Teuflischen weiß zwar durch eine wahrhaft teuflische Schlußwendung zu überzeugen, ist aber wohl auch nur beim ersten Sehen wirklich interessant, während Vertigo beim erneuten Sehen noch gewinnt. Hitchcock selbst sprach davon, daß sein Ansatz einen stärkeren Suspense bedeutet, was auch stimmt, doch vor allem sorgt sein Kunstgriff dafür, daß im zweiten Teil des Films das Seelendrama in den Vordergrund tritt. Denn Vertigo ist nur auf den ersten Blick ein Psychothriller, auf den zweiten dagegen ein, um mit François Truffaut zu sprechen, „lyrischer Kommentar zu den Beziehungen von Liebe und Tod“.
Herausragend ist die formale Gestaltung des Films, bei der fast jedes Element eine Doppelfunktion erfüllt, wie schon das Motiv der Höhenangst zeigt: das Schwindelgefühl ist einerseits ein handlungstragender Bestandteil des Thrillers, es steht aber auch für das emotionale Chaos, das in Scottie herrscht, für den schwankenden Boden, auf dem sein Innenleben ruht. Dieses Gefühl der Verunsicherung, des verlorengegangenen Halts, vermittelt schon der grandiose (von dem brillanten Künstler Saul Bass gestaltete) Vorspann, den man wohl als die schönste Titelsequenz der Filmgeschichte bezeichnen kann. Dieser Auftakt findet später eine Fortsetzung im Film selbst in Gestalt von Scotties Alptraum, in dem wieder das Motiv des Fallens vorkommt (und vielleicht kann die Szene kurz vor dem Ende in Blue Velvet, in der Dorothy Vallens beim Abtransport ins Krankenhaus „I’m falling!“ sagt, auch als Hommage an Vertigo betrachtet werden). Zu diesem Fehlen eines sicheren Grundes paßt natürlich auch, daß der Film in der Hügellandschaft von San Francisco spielt; auch Bernard Herrmanns eindringliche Musik (eine seiner besten Kompositionen für Hitchcock) trägt viel zum Taumel bei, in dem Scottie sich befindet, und der auch auf den Zuschauer übergreift.
Dabei lassen sich Liebe, Schuld, Verlust und Obsessionen als die zentralen Themen von Vertigo bezeichnen, wobei sie alle in eine Richtung driften: den Tod. Was den Film so bewegend macht, ist zum einen das ungeheuer starke Gefühl der Sehnsucht, daß ihn durchzieht: man spürt diese Sehnsucht im ersten Teil des Films in fast jeder Szene, in der Scottie „Madeleine“ beobachtet; sehr deutlich ist das etwa in einem Moment, in dem er sie in der Kirche beobachtet und die Kamera in einer typisch Hitchcockschen Einstellung (Donald Spoto führt in seiner Biographie etliche Beispiele für solche Einstellungen an) lange auf ihrem Hinterkopf, ihrem Haar verweilt. Beide Hauptfiguren werden von solcher Sehnsucht getrieben: nicht nur Scottie, sondern auch Judy, die seine Nähe sucht und sich von ihm in Madeleine verwandeln läßt, obwohl sie weiß, daß sie damit Gefahr läuft, von ihm entlarvt zu werden.
Doch diese Liebe hat keine Chance, sie scheitert an der Vergangenheit, an Schuld und an Obsessionen. Scottie vermag Judy nicht wirklich als Judy zu lieben, sondern er formt sie um, um die verlorene Frau seiner Träume (stärker noch als die meisten anderen Hitchcock-Filme wirkt Vertigo wie ein Traum, durch die Musik, die Verwendung der Farben, durch viele Spiegel, wobei hier Wunsch- und Alptraum ineinander übergehen) wiederzuerschaffen. Dadurch wird Vertigo zu Hitchcocks persönlichstem Film, denn Scotties Obsession ist seine Obsession: immer wieder und wieder hat der Regisseur versucht, aus seinen Darstellerinnen seine persönliche Traumfrau zu machen. Nur wenige Filmkünstler haben ihre eigenen Träume, Phantasien, geheimen Wünsche und Obsessionen so unmittelbar thematisiert in Alfred Hitchcock in Vertigo; und noch weniger haben über sich selbst ein so strenges Urteil ausgesprochen, denn Scotties Besessenheit erweist sich als zerstörerisch für die Liebe.
So zerstörerisch wie auch die Vergangenheit und die in ihr vergrabene Schuld, die wieder an die Oberfläche drängt. Scottie leidet nach dem Verlust Madeleines unter Schuldgefühlen, wird aber wirklich schuldig dadurch, daß er Madeleine zu erneutem Leben erwecken will; Judy hat ihrerseits ganz real begründete Schuldgefühle. Insofern läßt sich die weitgehend erfundene Carlotta-Story auch im übertragenen Sinn deuten: so wie angeblich Madeleine von einer Toten aus der Vergangenheit übernommen wird, so wird auch Judy tatsächlich in ihre schuldhafte Vergangenheit zurückgeführt, was am Ende ihren Tod bedeutet. Schuld und Vergangenheit sind in Vertigo weitgehend identisch. Und an die Vergangenheit, aber auch die Vergänglichkeit des Menschen erinnert fast alles in der ersten Filmhälfte: Dies wird an den Schauplätzen deutlich, zu denen ein Friedhof gehört, aber auch ein Wald mit uralten Mammutbäumen.
Fantastisch ist an dem Film auch die Farbdramaturgie, an deren Entschlüsselung ich mich kaum herantraue. Aber ich will einen zaghaften Versuch wagen: die beiden widerstrebenden Kräfte, zum einen die Sehnsucht, die Scottie und Judy/Madeleine zueinander zieht und doch unerfüllt bleibt (und wohl auch bleiben muß), und zum anderen die schuldbeladene Vergangenheit, die sich nicht überwinden läßt, lassen sich womöglich in den Farben wiederfinden. Das geisterhafte Grün, das sich durch den Film hindurchzieht, dürfte wohl für die Vergangenheit stehen (sehr deutlich, wenn Judy durch eine Leuchtreklame in grünes Licht getaucht und so zu Madeleine wird); die Farbe der Sehnsucht könnte jenes heimelige Rot sein, daß ebenfalls immer wieder auftaucht: so in dem Lokal, in dem Scottie Madeleine erstmals sieht (und sie trägt übrigens ein grünes Brokatkleid!), und das rote Tapeten hat, oder sehr eindringlich in seinem Alptraum.
Weiterhin ist Vertigo ein sehr tiefsinniger Film über Illusionen und Verlust. Scottie kann seine Traumfrau niemals wirklich erreichen, weil sie nie existiert hat; sie war nur ein Kunstprodukt, ein Phantom, das er durch den Versuch, es neu zu erschaffen, zerstört und endgültig verliert. Dabei wird auch der tragische Charakter der Geschichte, die unerbittlich ihrem Ende entgegensteuert, an vielen Details sichtbar: Madeleine spricht von einem Korridor in einem Traum, an dessen Ende sie sterben müsse; Scotties Freundin Midge geht in der letzten Einstellung, der sie zeigt, resigniert einen Korridor entlang, der durch eine langsame Abblende in der Dunkelheit verschwindet; als Scottie Judy (wieder) entdeckt, befindet er sich in einer Einbahnstraße.
Auch die innere Zerrissenheit der Figuren findet im Film ihren Widerhall, etwa durch die vielen Dopplungen, die ja auch Spiegelungen sind: auf die Ähnlichkeiten zwischen Vorspann und Alptraum hatte ich schon hingewiesen, mehrmals ist Kim Novak in grünes Licht getaucht, zweimal taucht das Lokal mit den roten Tapeten auf, und natürlich gibt es zwei Szenen am Glockenturm. Darüber hinaus ist die Rolle, die Judy zu spielen hat, auch eine Doppelrolle: als Madeleine und als Carlotta.
Daß der Film so eindringlich, so bewegend ist, verdankt er zum großen Teil auch seinen beiden Hauptdarstellern: es ist nahezu unbestritten, daß Kim Novak in Vertigo die beste Leistung ihrer Karriere zeigte; meiner Meinung kann man das gleiche von James Stewart behaupten. Novak ist wunderbar als Madeleine, wobei diese Madeleine ja selbst nur eine gespielte Kunstfigur ist, und doch spürt man, daß sie Scotties Liebe erwidert (gerade auch, wenn man den Film zum wiederholten Mal sieht) und dennoch aus ihrer Rolle nicht ausbrechen kann; großartig ist dann auch ihr Widerstand gegen die Rückverwandlung in Madeleine, der allmählich in sich zusammenbricht. Und James Stewart hat wohl niemals etwas so intensiv gespielt wie Scotties Getriebenheit, seine Sehnsucht, die zur Besessenheit wird, und seine Leere im Moment des Verlusts; allein seine Blicke sind unvergeßlich. Beide Leistungen wären Oscarwürdig gewesen, so wie Hitchcocks Regie, so wie Robert Burkes Kameraarbeit, so wie Bernard Herrmanns ruhelose Musik. Doch Vertigo wurde zu seiner Entstehungzeit von Publikum und Kritikern gleichermaßen übersehen; seinen wirklichen Siegeszug trat der Film erst mit der Wiederaufführung in der Mitte der 80er Jahre an, als Hitchcock schon mehrere Jahre tot war. Heute freilich steht man in Bewunderung vor diesem Film, der wohl Hitchcocks lyrischste Schöpfung ist; Hitchcock hat hier zu einer wundervollen Form der filmischen Poesie gefunden, einer Poesie des Schmerzes freilich: Vertigo ist ein Werk von ungeheurer Traurigkeit.

(Erstmals veröffentlich bei kino.de im Jahr 2004, das Datum weiß ich nicht mehr...)

kino.de


Foto

Die Verachtung


Mit den Filmen Jean-Luc Godards stehe ich normalerweise ein wenig auf Kriegsfuß - sie sind mir in der Regel zu verkopft, oft auch zu dezidiert politisch, und während ich Filme liebe, die eine Art Sogwirkung ausüben und somit den Zuschauer in sich hineinzuziehen scheinen, scheint Godard es zu lieben, seine Zuschauer aus einem Film wieder rauszuwerfen (besonders häufig hatte ich dieses Gefühl in Elf Uhr nachts).
Es gibt allerdings auch einige Ausnahmen, und zu diesen gehört auch Die Verachtung (wobei ich den Roman Alberto Moravios nicht kenne und daher nichts dazu sagen kann, wie Godards Film als Literaturverfilmung einzuschätzen ist). Erstmals drehte Godard eine Großproduktion mit Starbesetzung, wobei Einmischungen des Produzenten Carlo Ponti nicht ausblieben: er wollte einen Film für ein großes Publikum haben, und natürlich wollte er Nacktaufnahmen von Brigitte Bardot. Faszinierend an Die Verachtung ist dabei, daß der Film einerseits in dem Spannungsfeld von Kunst und Kommerz entstanden ist, eben dieses Spannungsfeld zugleich thematisiert. Godard machte so aus der Not eine Tugend, und gerade auch, wie er Pontis Forderung nach Nacktaufnahmen nachkam, ist ein gutes Beispiel: er filmte sie, verwendete dabei aber stellenweise Rot- und Blaufilter, so daß sie im Ergebnis verfremdet und "künstlerisch" aussahen, anstatt die männlichen Zuschauer zum Sabbern zu bringen, wie es Ponti vermutlich im Sinn hatte. Und so ist Die Verachtung im Ergebnis zwar tatsächlich zugänglicher als andere Godard-Filme, aber nicht unbedingt gefälliger - und eben doch ein typischer Godard- und Autorenfilm. Für mich sogar sein vielleicht bester.
Der Film verknüpft zwei Handlungsstränge so eng , daß sie kaum voneinander zu lösen sind: zum einen geht es um Paul und Camille, ein anfangs offenbar glücklich verheiratetes Ehepaar, deren Ehe in eine tiefe Krise gerät und scheitert, und zum anderen geht es darum, daß Paul im Auftrag eines amerikanischen Produzenten das Drehbuch für einen Odyssee-Film, den Fritz Lang (der sich selbst spielt) dreht, im Sinn des Produzenten umschreibt. Paul tut dies auch, eigentlich gegen seine künstlerischen Überzeugungen - doch diese Handlungsweise und sein ganzes sonstiges Gebaren dem Produzenten gegenüber (besonders, insofern es Camille betrifft) wird dann auch zum Auslöser jener Verachtung, mit der Camille ihm fortan begegnet. Dabei sind die Szenen, welche die Auseinandersetzungen des Ehepaars zeigen, sicherlich interessant und haben auch so manches hinreißende Detail zu bieten, wie etwa Brigitte Bardot, die in der Badewanne ein Buch über Fritz lang liest (der früh verstorbene Michael Althen hat davon in seinem schönen Buch Warte, bis es dunkel ist ausgiebig geschwärmt); trotzdem halte ich die Teile des Films, die über das Filmgeschäft reflektieren, für die noch stärkeren - sie beinhalten Kritik an kommerziellen Zwängen und sind zugleich auch Hommage an das filmische Medium selbst, und so ist es sicher kein Zufall, daß im Hintergrund auch Filmplakate für Hawks' Hatari! oder Hitchcocks Psycho zu sehen sind. Durch die Gestalt Fritz Langs, der sich bei den Diskussionen im Film immer wieder auch auf klassische Kulturgüter bezieht (und somit eine weitere Ebene in den Film hineinbringt) und dessen Ansatz für den Odysseus-Film man als "konzeptionelle Reinheit" bezeichnen könnte, gibt der Film zugleich auch eine Antwort, wie das ambitionierte Filmemachen unter den Bedingungen einer kommerziellen Filmindustrie überhaupt möglich ist: Lang kann bei dem Film im Film nicht alle Einmischungen verhindern, bewahrt aber trotzdem seine Würde und dreht auch am Ende seinen Film weiter. Auch in der Gestalt des Fritz Lang, wie er im Film auftritt, verschwimmen Film und Wirklichkeit, denn Lang konnte von seinen Erfahrungen mit Produzenten und Rechten an Filmen so manches Liedchen singen. An die Zusammenarbeit mit Godard dachte er übrigens (so etwa im Gespräch mit Peter Bogdanovich) gern zurück, und fraglos ist es erfreulich, daß diese Zusammenarbeit zustande kam, denn Die Verachtung ist der letzte Film, an dem Fritz Lang beteiligt war, der sich so - Godard sei Dank - mit einem wirklich großen Film vom Kino verabschieden konnte.


Foto

Fontane Effi Briest


Rainer Werner Fasbinder gehört zwar nicht unbedingt zu meinen Lieblingsregisseuren, sicherlich aber zu den bedeutendsten deutschen Regisseuren, und wenn eine solche Größe sich dann noch eines Meisterwerks des von mir hoch geschätzten Theodor Fontane annimmt, dann ist das natürlich ein Film, den ich sehen mußte; dies um so mehr, weil ich bisher nur eine Verfilmung von Effi Briest zu sehen bekommen habe, ein 50er-Jahre-Filmchen mit Ruth Leuwerik, das sogar noch kitschiger ist als es der Titel Rosen im Herbst schon befürchten läßt und Fontane überhaupt nicht gerecht wird - da hoffte ich natürlich, daß Fassbinder es deutlich besser gemacht hat.
Und ich hoffte nicht vergebens.Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen ist eine sehr werkgetreue, wenn auch nicht leicht zugängliche Verfilmung: eigentlich sollte man gar nicht so sehr von Verfilmung sprechen, sondern eher von einem "visuellen Lesen", das Fassbinder mit dem Roman betreibt, denn er verzichtet nicht nur auf dramaturgische Zuspitzungen, sondern arbeitet auch mit einem Off-Erzähler, von dem man Sätze hört, die direkt aus dem Roman übernommen sind, mit Inserts und Weißblenden. An sich alles Dinge, die ich bei Romanverfilmungen nicht besonders schätze. Aber das erstaunliche daran - und daran zeigt sich eben auch die Größe Fassbinders - ist der Umstand, daß das funktioniert. Es funktioniert z.B. deshalb, weil oftmals die Sätze des Erzählers eben nicht einfach das Bild beschreiben, sondern zu diesem oft sogar in einem Spannungsverhältnis stehen. Es funktioniert aber auch, weil das Thema der einengenden gesellschaftlichen Konventionen großartig im Bild umgesetzt wird, die Figuren (nicht nur Effi, auch Instetten und die anderen Charaktere) wirken wie in einem Käfig Eingesperrte, und daher ist in diesem Film auch nur wenig Raum für Bewegungen der Kamera. So zeigt Fassbinder seine Protagonistin als Opfer der Verhältnisse, aber eben auch, daß ihr die Kraft fehlt, wirklich aus diesen auszubrechen (wobei sie darin freilich nicht die einzige ist). Es sei eingestanden: Fontane Effi Briest ist durch seinen Stil ein sperriger Film, der es dem Zuschauer nicht gerade einfach macht. Das sehe ich aber durchaus positiv, denn Effi Briest ist kein gefälliger Roman. Eine Verfilmung darf es daher auch nicht sein.


Foto

This Is Not a Film


Der iranische Regisseur Jafar Panahi, dessen Filme den iranischen Machthabern wohl schon seit Jahren ein Dorn im Auge sind, wurde 2010 zusammen mit anderen Dissidenten verhaftet und schließlich im Dezember desselben Jahres zu sechs Jahren Gefängnis und zwanzig Jahren Berufsverbot verurteilt.

In This Is Not a Film (bzw. Dies ist kein Film) reflektiert Panahi über seine Situation wie auch über das Filmemachen generell. Der Film, der keiner sein darf, wirkt zunächst wie eine Art Videotagebuch: eine starre Kamera beobachtet Panahi in seiner Wohnung bei seinen verschiedenen Tätigkeiten bzw. der erzwungenen Untätigkeit. Der Zuschauer wird Zeuge nur scheinbar harmloser, alltäglicher Momente, aber auch eines Gespräches, das Panahi mit seiner Anwältin führt, wobei es um sein Berufungsverfahren geht: sie warnt ihn schin vor, daß in solchen Berufungsverfahren die Urteile der ersten Instanz bestätigt oder abgemildert, aber nie vollständig aufgehoben würden.

Später spricht Panahi dann mit seinem Kollegen Mojtaba Mirtahmasb (der dann wohl auch hinter der Kamera steht) über die Filmarbeit, wobei Ausschnitte aus seinen Filmen gezeigt werden, und erzählt das Drehbuch eines geplanten Films, an dessen Realisierung er vom Regime gehindert wurde. Schließlich unterhält er sich noch mit einem jungen Mann, der in dem Wohnblock die Mülltüten wegbringt und hält am Ende einige Momente auf der Straße, wo offenbar gerade Ausschreitungen stattfinden, fest.

This Is Not a Film ist mit einfachsten Mitteln realisiert und wirkt - was bei einem solchen Film, mit dem Panahi natürlich auch versucht, sein Berufsverbot geschickt zu unterlaufen, in der Natur der Sache liegt - recht improvisiert und unstrukturiert, vielleicht auch unausgewogen. Dabei fängt er sehr direkt Panahis zwischen verhaltener Hoffnung und Verzweiflung schwankende Stimmung fest, wobei der Film aber trotz der bedrückenden Situation, aus der heraus er entstanden ist, niemals wehleidig wirkt. Wenn Panahi freilich den nicht gedrehten Film beschreibt, dann verlangt das dem Zuschauer ein recht hohes Maß an Konzentration und Imagination ab; sofern das gelingt, sind diese Schilderungen fraglos recht interessant. Letztlich ist This Is Not a Film zum einen ein (Selbst-)Porträt, ein Film über das Filmemachen an sich, vor allem aber ein Dokument über gesellschaftliche Repression und ihre zerstörerischen Auswirkungen - aber auch über die Auflehnung dagegen durch ein kreatives künstlerisches Schaffen. Indem man als einfacher Filmzuschauer diesen Film sieht und darüber spricht, kann man - vielleicht - ein wenig die künstlerischen und demokratischen Kräfte in ihrem niemals endenden Kampf mit den repressiven Kräften unterstützen.

(Im Oktober 2011 hat das Berufungsgericht sowohl die sechsjährige Haftstrafe als auch das 20jährige Berufsverbot bestätigt.)


Foto

The Life and Death of Colonel Blimp


"Colonel Blimp" ist, um dies für Leser, deren Vertrautheit mit dem Englischen ebenso gering ist wie die meine, gleich vorwegzunehmen, ein englischer Ausdruck für einen alten Oberst, eine Person dieses Namens kommt im Film keineswegs vor. Dieser erzählt vielmehr die Lebensgeschichte des englischen Offiziers Clive Wynne-Candy, der 1902 nach Berlin fährt, um dort (auf eigene Faust) etwas gegen anti-britische Propaganda zu unternehmen, wobei er sich so in Schwierigkeiten bringt, daß er sich duellieren muß, weil sich ein Ulanenregiment von ihm beleidigt fühlt; dabei geht das Duell mit dem ihm als Gegner zugeteilten Offizier Theo Kretschmar-Schuldorff jedoch nicht nur recht glimpflich über die Bühne, sondern begründet sogar eine Freundschaft mit Kretschmar-Schuldorff, die über die Jahrzehnte hinweg Bestand hat.
Der Film hat bei mir einen etwas ambivalenten Eindruck hinterlassen. Die erste Stunde des (rabiat gekürzten und nun erstmals seit Jahrzehnten wieder in seiner vollständigen Länge zu sehenden) Films zog sich für mich elend in die Länge, was vor allem an einer Erzählweise lag, die ich als unnötig weitschweifig, um nicht zu sagen, umständlich empfand, auch wenn es durchaus manche gelungene Szenen gab. Außerdem fand ich Wynne-Candy als Figur nicht interessant genug, um einen Film von über zweieinhalb Stunden Länge zu tragen.
Die zweite Hälfte gefiel mir allerdings deutlich besser. Die Freundschaft der beiden Männer, die besonders am Ende des Ersten Weltkriegs einer schweren Bewährungsprobe ausgesetzt ist, als Kretschmar-Schuldorff tiefe Verbitterterung über die deutsche Niederlage empfindet, rückt nun stärker ins Zentrum des Films, und mit ihr auch Kretschmar-Schuldorff, den ich als Figur deutlich interessanter fand und dem auch die meisten der wirklich eindringlichen Szenen zufallen.
In seiner Haltung und Aussage wirkt der Film dabei auch ein wenig ambivalent. Einerseits betont er die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Nazis (und er läßt dies Kretschmar-Schuldorff aussprechen, der seinem alten Freund sagt, daß dies kein Gentleman-Krieg sei, sondern ein Überlebenskampf, der um jeden Preis gewonnen werden müsse), stellt andererseits aber gerade einen Deutschen vor, der durchaus Sympathieträger (und entschiedener Hitlergegner) ist, zeichnet also ein differenziertes Bild von "den Deutschen" (was Churchill gar nicht gern sah, er fand, der Film schade der Moral der britischen truppen) - und er macht deutlich, daß Wynne-Candy mit seinen Vorstellungen von einem mit geradezu sportlicher Fairness geführtem Krieg von der Zeit überholt worden ist, ohne aber seine Sympathie für diese Haltung zu verleugnen.
Letztlich also ein interessanter Film, wie bei Powell und Pressburger gewohnt gut fotografiert, der meine sehr hohen Erwartungen aber doch nicht so recht einlösen konnte, dafür verlor er sich für meinen Geschmack auch zu oft in Nebensächlichkeiten. Irgendwo las ich kürzlich, der Film gelte als "der britische Citizen Kane"; also das ist nun wirklich maßlos übertrieben, denn er bleibt sowohl von der inhaltlichen Komplexität als auch der Bilderfülle und dem formalen Einfallsreichtums des Welles-Meisterwerks weit entfernt (obwohl ich die Übergangsszenen, die das Vertreichen der Jahre darstellen, filmisch sehr gelungen fand). Alles in allem doch eine leichte Enttäuschung, was aber auch mit den sehr hohen Erwartungen meinerseits zusammenhängt.


Foto

Osterprogramm


Ein kurzer Überblick darüber, was ich vom Osterprogramm (einschließlich Karfreitag) im Fernsehen mitgenommen habe:

Henri 4
Heinrich Mann hat das Leben des französichen Königs Henri IV., der im Verlauf seines Lebens insgesamt fünfmal (!) die Konfession wechselte, wobei seine letzte Konversion zugleich die wichtigste war, in einem zweiteiligen Roman von insgesamt 1500 Seiten Länge dargestellt. Dabei hat Mann zum einen ein komplexes Porträt vom Charakter Henris und seiner Zeit gezeichnet; sein Roman hat aber noch eine zweite Ebene, die auf die (damalige) Gegenwart verweist: so erinnert der Terror der Katholischen Liga im ersten Teil des Romans durchaus gewollt an den nationalsozialistischen Terror, und gegen Ende des zweiten Bandes entwirft Mann die Vision eines friedlich vereinten Europas.
Die Verfilmung eines so vielschichtigen und umfassenden Werkes kann eigentlich gar nicht gutgehen. Insofern ist es wenig überraschend, daß Henri 4 als Literaturverfilmung nicht überzeugt: von der Komplexität und den verschiedenen Ebenen der Vorlage ist im Film nicht mehr viel übriggeblieben, und deutlich mehr als für die Anstrengungen des Königs, sein Land zu einen und zugleich die rechtliche Stellung der Hugenotten zu verbessern, interessiert sich der Film für Henris Bettgeschichten, die bei Mann zwar auch vorkommen, die aber im Roman bei weitem nicht so viel Gewicht haben wie im Film. Es ist wohl gut, daß Heinrich Mann diesen Film nicht mitansehen mußte.
Aber selbst wenn man jeden Gedanken an die Buchvorlage ausblendet, ist Henri 4 immer noch Lichtjahre von einem gelungenen Film entfernt. Jo Baier ist an sich ein Fernsehregisseur, und das sieht man seinem Film auch deutlich an, und gelegentliche Kamerafuchteleien können kein Gefühl von großem Kino erzeugen, sondern entlaven die biedere Fernsehbildästhetik nur um so deutlicher. Der Schnitt wiederum hat mich ebensowenig überzeugt wie die Darsteller, die teilweise aus der Royal Overacting Company zu stammen scheinen, und die Sexszenen stellen selbst für diesen Film bemerkenswerte Tiefpunkte dar. Die letzte Stunde des Films ist zwar etwas erträglicher ausgefallen als die vorangegangenen, ändert aber auch nichts mehr am totalen künstlerischen Fehlschlag. Ein furchterregend schlechter Film.

Der Brief für den König
ist dagegen eine schöne Adaption des berühmten Jugend- und Abenteuerromans von Tonke Dragt. Der junge Tiuri wird ausgerechnet in der Nacht, die seinem Ritterschlag vorausgehen soll, von einem Fremden dringend um Hilfe gebeten und erhält den Auftrag, dem König des Nachbarlandes eines wichtigen Brief zu übergeben - was aber mit vielfachen Gefahren verbunden ist. Der Film kommt zwar nicht so ganz an das Buch heran, aber gerade nach der Erfahrung vom Vortag freute mich das makellose filmische Handwerk, das ihn auszeichnet, noch mehr als dies normalerweise schon der Fall gewesen wäre.

Avatar
Eigentlich mag ich Filme, die Real- und Animationsfilm miteinander kombinieren, nicht besonders, und ich meine mich zu erinnern, daß dies der Hauptgrund dafür war, daß ich Avatar im Kino ignoriert habe. Daran gewöhnte ich mich allerdings recht bald, was sicherlich auch an der mehr als nur bemerkenswerten technischen Qualität der Animationsszenen liegt, die durchaus als bahnbrechend bezeichnet werden können.
Trotzdem dauerte es doch sehr lange, bis der Film wirklich mein Interesse geweckt hatte: Avatar steckt sowohl inhaltlich als auch visuell voller typischer Cameron-Motive, die Cameron aber in seinen früheren Filmen auch schon mal interessanter gestaltet hat. Letztlich erinnert Camerons Science-Fiction-Ökomärchen stark an die Pocahontas-Geschichte, aber auch an Der Wüstenplanet und manche Western wie etwa Der mit dem Wolf tanzt, und was er mit vielen dieser Geschichten gemeinsam hat, ist auch, daß erst ein Repräsentant der in der Geschichte agierenden Großmacht kommen muß, um den Freiheitskampf der Ureinwohner anzuführen. Das ist dann doch bedauerlich, weil das doch so ziemlich die konservativste Perspektive ist, aus der man eine solche Geschichte erzählen kann, und wirklich geweitet wird der Blick (des Zuschauers) auf diese Weise wohl kaum. Letztlich also ein technisch perfekter Film mit einem recht simplen und konventionell gestrickten Plot. Ähnliches könnte man zwar über einen Film wie Abyss auch sagen, der hat mir aber trotzdem besser gefallen. Der kommerziell erfolgreichste Cameron-Film ist also, zumindet meiner Meinung, ganz bestimmt nicht der beste.


Foto

Die Frau in Schwarz


Der junge, seit der Geburt seines Sohn verwitwete Anwalt Arthur Kipps soll sich um eine Nachlaßangelegenheit kümmern und für ein Haus, das in der Nähe eines ungastlichen Dorfes auf einer kleinen Insel im Watt, die nur bei Ebbe zugänglich ist, liegt, einen neuen Käufer finden. Dabei geht es auch für Kipps um viel, den sein Chef gibt ihm deutlich zu verstehen, daß er nicht mehr weit vom Rauswurf aus der Kanzlei entfernt ist. Doch nach seiner Ankunft wird Arthur alles andere als freundlich empfangen, hat bald erschreckende Erscheinungen und stößt auf ein grausiges Geheimnis...
Die Frau in Schwarz ist ein im durchaus positiven Sinn altmodischer Horrorfilm. Regisseur James Watkins setzt nicht auf spektakuläre Schockeffekte, sondern auf Atmosphäre und klassische Genrezutaten wie das wenig einladende Dorf, ein unheimliches Spukhaus, bedrohliche Geräusche und das regelmäßige Erscheinen der titelgebenden Frau in Schwarz. Das funktioniert auch weitgehend, und mitunter gelingen Watkins wirklich beklemmende Momente: so gleich zu Beginn, wenn drei spielende Mädchen in einem Kinderzimmer zu sehen sind, die plötzlich in einer Art von Trance zu den Fenstern gehen, diese öffnen und hinausspringen. So stark wie diese Eröffnungssequenz ist der Film zwar nicht durchgehend, und insgesamt fand ich die erste Hälfte etwas gelungener als die zweite, doch alles in allem ist Die Frau in Schwarz ein sehr atmosphärischer und recht spannender Film, und auch Daniel Radcliffe macht seine Sache in seinem ersten Nach-Harry-Potter-Film recht ordentlich; getragen wird der Film aber vor allem von der Kameraarbeit und der Ausstattung, wobei der Umstand, daß der Film an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert spielt, der Atmosphäre durchaus zugute kommt. Freilich ist Die Frau in Schwarz kein Film, der aus seinem Genre herausragt; er will das aber auch gar nicht sein. Freunde klassischen Grusels dürften hier auf ihre Kosten kommen.





März 2024

M D M D F S S
    123
45678910
11121314151617
18192021222324
252627 28 293031

Neuste Einträge

Neuste Kommentare