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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Solaris



Hier ein weiterer meiner alten kino.de-Texte, diesmal zu Tarkowskis Solaris:


Heimkehr


Zu Tarkowski habe ich ein etwas kompliziertes Verhältnis, das sich über die Zeiten hinweg auch gewandelt hat. Es ist nun über 13 [inzwischen sogar mehr als 16] Jahre her, daß ich erstmals (in einem Programmkino, das es schon lange nicht mehr gibt) einen Tarkowski-Film sah: es war Solaris. Der Film interessierte mich vor allem wegen meiner Affinität zum Science-Fiction-Genre (also zog mich genau das zu ihm, was Tarkowski selbst daran wohl am wenigsten interessiert hatte); ich fand ihn zwar durchaus nicht schlecht, aber äußerst anspruchsvoll und schwer zugänglich. Dennoch blieb Solaris lange Zeit meine fruchtbarste Begegnung mit Tarkowski, während ich seinen anderen Filmen, die ich nach und nach zu sehen bekam, in der Regel nur wenig abgewinnen konnte.
Trotzdem kehrte ich immer wieder zu Tarkowski zurück, spürte, daß seine Filme auf eine Weise nachwirkten, über die man sich vielleicht zunächst gar nicht klar wird. Am deutlichsten bewußt wurde mir dies, wenn ich Filme anderer Regisseure sah, die mir gefielen, die mich aber auch auf irgendeine Weise an Tarkowski erinnerten, schon dies ein Grund, sich auch mit Tarkowski selbst abermals auseinanderzusetzen. So las ich auch seine filmtheoretischen Ausführungen, die ich auf der einen Seite sehr interessant fand, bei denen ich andererseits aber ständig das Bedürfnis hatte, dem Meister zu widersprechen. Denn daß ich es mit einem Meister zu tun hatte - zumindest das war mir nun ganz deutlich klar geworden. Ein Meister aber auch, der mir als Person nicht besonders sympathisch ist und dessen konservativ-religiöse Weltsicht mit meiner eigenen kaum kompatibel ist. Und doch: man kann auch die Filme von solchen Regisseuren lieben...
Andrej Rubljow war dann der endgültige Wendepunkt, ein atemberaubendes, kraftvolles Meisterwerk, das mich auf Anhieb mehr als überzeugte. Einige Zeit danach sah ich zum zweiten Mal Solaris, und einerseits war es so, als ob ich einen neuen, ganz anderen Film sehen würde. Andererseits war es aber auch so etwas wie eine Heimkehr.
Nicht zu allen Werken Tarkowskis habe ich wirklich Zugang gefunden, besonders die beiden letzten Filme mag ich immer noch nicht, zum einen, weil Tarkowskis zur extremen Langsamkeit neigender Stil in diesen Filmen seine drastischste Ausprägung erfährt, zum anderen aber auch, weil die von mir angesprochene Weltsicht des Meisters in diesen Filmen ganz besonders deutlich zu Tage tritt.
Doch Solaris ist mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen, jener Film, mit dem meine Reise durch das Tarkowski-Universum einst begonnen hat und mich inzwischen immer daran erinnert, daß es auch für mich einen Platz in diesem Filmkosmos gibt.

War das als Vorrede zu lang? Gewiß. Aber Tarkowski ist eben auch kein gewöhnlicher Regisseur, noch nicht einmal ein gewöhnlicher Meister. Seine Filme lassen sich nicht konsumieren. Er kommt seinen Zuschauern nirgends entgegen, nicht mit inszenatorischen Kabinettstückchen oder populären Zutaten. Seine Filme muß man erfahren. Das klappt nicht bei jedem, und es klappt vielleicht auch nicht bei jedem Film. Doch im günstigsten Fall kommen Tarkowski-Filme, die sich so souverän im Grenzbereich von Traum und Wirklichkeit bewegen (was Ingmar Bergman besonders bewundert hat), einer Art von Trancezustand gleich, und wenn ein solcher Film vorbei ist, dann ist man wacher als zuvor. Für mich ist zumindest Solaris im Lauf der Jahre zu einem solchen Film geworden.

Dabei gibt es auch durchaus Kritik an Tarkowskis Film, zum einen von Stanislaw Lem, dem Verfasser des gleichnamigen, zugrundeliegenden Romans, und auch von Bewunderern des Romans. Lem selbst war schon von der ersten Drehbuchversion alles andere als begeistert und mochte auch den fertigen Film nicht. Das ist aus seiner Sicht sogar nachvollziehbar, denn Tarkowski hat mit der Verfilmung durchaus einen Paradigmenwechsel vollzogen; die erkenntnistheoretische Seite des Buches hat im Film weniger Gewicht. Auch die Schriftstellerin Ursula K. Le Guin schreibt in ihrem Vorwort zu Lems Roman über den Film: "Es ist ein kluger und schöner Film, doch ich glaube nicht, daß er der intellektuellen Spannweite und moralischen Komplexität des Romans gerecht wird." Das ist nicht ganz verkehrt, und trotzdem mag ich persönlich den Film sogar lieber, denn Lems Roman, der sich durch einen recht akademischen, spröden Stil auszeichnet, spricht vor allem den Intellekt an - Tarkowskis Film hingegen erreicht auch andere Bereiche des Bewußtseins und des Unterbewußtseins.

Dabei hat Tarkowski etliche für ihn typische inhaltliche und visuelle Motive im Film untergebracht: das zeigt schon das erste Viertel des Films, das auf der Erde spielt, und so im Roman gar nicht vorkommt (bis auf den Berton-Bericht, der im Roman aber viel später vorkommt, wobei Tarkowski diesen schriftlichen Bericht sinnvollerweise ins filmische Medium übertragen hat): Bilder von Wasserpflanzen in einem Fluß beginnen den Film, ein Pferd kommt wenig später ins Bild - dies ist typisch für Tarkowski und scheint eher der Traum von einer (verlorenen?) Vergangenheit als eine Zukunftsvision zu sein. Schon dieser lange Prolog führt mehr in eine Innenwelt hinein, wie sie Tarkowski in seinen späteren Filmen visualisiert hat, als daß ein äußeres Geschehen gezeigt würde; dieser Trend sollte sich im weiteren Werk fortsetzen. Solaris ist in dieser Hinsicht ein Film des Übergangs, des stilistischen Umbruchs, was man aber nicht als Schwäche verstehen sollte: vielleicht ist es sogar gerade einer der Gründe, daß ich den Film so mag. Auch an religiösen Motiven mangelt es nicht, am deutlichsten ist wohl die Anspielung auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Lukas-Evangelium am Ende des Films; doch Solaris ist thematisch vielschichtiger und weniger einseitig als die späten Filme, vielleicht deshalb, weil es eben immer noch ein Stoff von Lem ist, dem wir durch die Augen Tarkowskis gesehen begegnen.

Daß Tarkowski sich überhaupt einen Science-Fiction-Stoff aussuchte, war seinerzeit ohnehin eine Überraschung; fraglos hat ihn vor allem auch die moralische Dimension der Geschichte, die Beschäftigung mit dem eigenen Gewissen, daran interessiert. Tarkowski wollte aber zugleich auch einen Gegenfilm zu Kubricks 2001 drehen, der ihm mißfallen hatte. Wie so oft, wenn ein Meister einen "Gegenfilm" zu einem Meisterwerk drehen will, ist man auch im Fall von 2001 und Solaris viel mehr geneigt, die Filme nebeneinanderzustellen, als sie gegeneinander auszuspielen. Kubricks Film ist in handwerklicher und technischer Hinsicht eindeutig überlegen (Tarkowski interessierte sich auch kaum für die tricktechnische Komponente und überließ etwa die Gestaltung des "Solaris"-Ozeans wohl einem Labor, das sich darum kümmerte); dafür besitzen die Figuren in Solaris mehr Tiefe, und es ist wohl auch der hoffnungsvollere Film. Großartig sind sie beide.

Doch mit solchen Vergleichen will ich mich auch gar nicht lange aufhalten, sondern lieber gleich zu Solaris zurückkehren. In Tarkowskis Film betritt der Psychologe Kris Kelvin die Raumstation, die sich in der Umlaufbahn des Planeten Solaris, auf dem es einen möglicherweise intelligenten Ozean gibt, befindet, ohne zu ahnen, was er dort finden wird: nicht nur eine Konfrontation mit den Grenzen menschlicher Erkenntnis, sondern vor allem auch die Begegnung mit sich selbst. Auf der Station nehmen Gedanken und Schuldgefühle ihrer Bewohner materielle Gestalt an, sie werden "Gäste" genannt - und so steht auch Kelvin bald seiner toten Frau Harey gegenüber, die vor zehn Jahren (seinetwegen) Selbstmord begangen hat. Die erste Harey, die auftaucht, schießt Kelvin mit einer Rakete kurzerhand mit den Weltraum, und gerade auch bei dieser Szene habe ich mich gefragt: was täte ich in einer vergleichbaren Situation, zumal ich mir ganz gut vorstellen kann, was für ein "Gast" mich besuchen würde? Wie verhielten wir uns, wenn die Toten, die wir vermissen, plötzlich vor uns stünden? Wären wir erfreut, erschrocken oder womöglich entsetzt?
Harey erscheint schon bald nach einer erneuten Materialisierung, sie, die anfangs nur eine Erinnerung Kelvins ist, die Gestalt angenommen hat, wird immer mehr zur eigenständigen Persönlichkeit, zum Menschen - eine Situation, die schließlich unerträglich wird. Was macht es aus, ein Mensch zu sein? Auch um diese Frage geht es in Solaris - und darum, wie der Mensch wieder zu sich finden kann. Denn der Kybernetiker Snaut sagt in einer Szene sehr treffend, der Mensch wolle doch gar nicht den Kosmos erobern, sondern nur die Erde bis an seine Grenzen ausdehnen. Das Universum bleibt letztlich ungreifbar, vielleicht sogar schon der andere, der nächste Mensch. Doch man kann zumindest zu sich selbst finden, in einen Spiegel sehen, und so vielleicht immerhin den eigenen Platz in der Welt erkennen. Am Ende steht das Erwachen Kelvins aus einer Art von Fieber und schließlich seine Rückkehr - und sei es nur eine innere. Doch Solaris läßt uns an dieser Erfahrung teilhaben; wer als Zuschauer bereit ist, in diesen Traumspiegel hineinzusehen, findet vielleicht zumindest den Weg, an dessen Ende die Begegnung mit dem eigenen Ich und die ganz persönliche Auseinandersetzung mit der Frage, was es eigentlich ausmacht, auf der Welt zu sein, steht. Auch in dieser Hinsicht ist es vielleicht eine Art von Heimkehr, Andrej Tarkowskis Solaris zu sehen.

(Zuerst veröffentlicht auf kino.de im Jahr 2009)

kino.de



Wunderbar. In einer Lieblingsfilmwahl habe ich seinerzeit Solaris gegenüber 2001 den Vorzug gegeben, aus denselben Gründen, die Du hier erwähnst. Die emotionale Tiefe bei Tarkowski ist mir dann doch näher als die kritische Distanz Kubricks.

Daß Du schon frühzeitig Zugang zu ihm gefunden hast, ehrt Dich. Bei mir hat es lange gedauert, die erste Sichtung war zu früh. Hans habe ich anfangs belächelt für seine Aussage, daß man für Tarkowski eine gewisse Lebensreife benötige, die meist mit dem Alter einhergeht. Aber er hatte Recht. Schmerzlich wurde mir das bewußt, als ich das letzte Mal Solaris mit Jüngststudenten sehen mußte, die bei der Schwerelosigkeitsszene ob der angeblich veralteten Tricktechnik ins Wiehern gerieten. Welch Frevel in der damaligen Sowjetunion allein die Darstellung der Raumstation war, konnten die Jungspunde natürlich nicht sehen.

Meine erste Erfahrung mit T. war übrigens Stalker, den ich im SF Nachtprogramm der ARD gesehen habe. Hat mich schwer fasziniert mit zarten 15 Jahren, auch wenn ich nicht wirklich begriffen habe, was das alles zu bedeuten hat.
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Vermutlich war Solaris auch - für mich zumindest - der ideale Film, um Tarkowskis Werk zumindest ein wenig kennenzulernen, Opfer oder Der Spiegel hätten mich damals mit großer Wahrscheinlichkeit nachhaltig verschreckt. Aber Jüngststudenten sind sicher nicht das richtige Publikum für diesen Film, aber man sollte nicht die Hoffnung aufgeben, daß sich auch bei denen noch die nötige Reife einstellen wird.
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The Critic sagte am 20. Oktober 2012, 17:34:

Meine erste Erfahrung mit T. war übrigens Stalker, den ich im SF Nachtprogramm der ARD gesehen habe. Hat mich schwer fasziniert mit zarten 15 Jahren, auch wenn ich nicht wirklich begriffen habe, was das alles zu bedeuten hat.
Aber das macht ja nichts, die feine Spur der Faszination hatte sich in jungen Jahren in dein Hirn gebrannt. Und dich für viele grenzgängerische Erfahrungen empfänglich gemacht. Vielleicht..., und ohne dir zu nahe treten zu wollen.

Im übrigen glaube ich, man muß solche Filme auch nicht "verstehen". Ob in der Adoleszenz, oder als Erwachsener. Solche Filme (Solaris, Stalker), wie auch Zerkalo, sprechen den Menschen, gleich welchen Alters, auf einer substantielleren Ebene an. Es gibt ja Menschen, die Pflücken diese sinnlichen Erfahrungen hervorrufenden Filme nach logischen Sinneinheiten auseinander. Das hat imho mit Kino und mit Selbsterfahrung wenig zu tun.
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Wobei ich jetzt, nach wiederholter Sichtung von Stalker, obige Meinung doch wieder etwas revidieren möchte. Auch der ist ja doch massiv philosophisch verlaberter, als ich das in Erinnerung hatte.
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