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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen

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Melancholia


(Der Text enthält einige Spoiler, andererseits schaden solche bei einem Film wie Melancholia wohl nicht so sehr, zumindest ist das meine Einschätzung.)


Die Unausweichlichkeit des Todes gehört zu den wenigen wirklichen Gewißheiten im Leben, eine Gewißheit, der die Menschen sich auf sehr unterschiedliche Weise stellen. Die meisten flüchten sich in Verdrängung, andere leben in ständiger Angst vor dem Tod, einige sehnen ihn herbei.
Die Unausweichlichkeit des Todes ist auch ein zentrales Thema von Melancholia, Lars von Triers neuestem Film, wobei der Film sogar noch weiter geht und nicht allein vom individuellen Tod handelt, sondern vom Ende der Welt, dem Untergang der Menschheit, wobei die Apokalypse am Ende jedoch in einem sehr privaten Rahmen gezeigt wird - und das ist auch sehr sinnvoll, denn für jeden einzelnen von uns ist der Moment des Todes tatsächlich der Untergang der ganz privaten, eigenen Welt, der Innenwelt, die letztlich für uns die einzig reale ist.
Melancholia beginnt mit einem visionären, (über)stilisierten Prolog, der zugleich schon auf das Ende des Films verweist und so auch schon den Schatten des Todes auf den ersten Teil des Films wirft, der zunächst ein reines Familiendrama zu sein scheint. In diesen Anfangsminuten findet sich bereits eine Fülle an visuellen Motiven, die bereits aus anderen Filmen von Triers vertraut sind (wobei ich noch nicht mal so viele kenne), und dazu ertönt Richard Wagners Musik zu Tristan und Isolde - die wohl bestmögliche Musikwahl, denn Wagners Tristan ist nicht so sehr ein Liebesrausch, sondern eher ein Todesrausch, in dem die Sehnsucht nach dem Erlöschen und Zerfließen der Welt jederzeit spürbar ist.
Auf den Prolog folgen die beiden Hauptteile, die nach den Schwestern Justine und Claire benannt sind, aber ebensogut die Überschriften "Todessehnsucht" und "Todesangst" tragen könnten. Beides macht der Film erfahrbar. Der erste Teil zeigt ein Hochzeitsfest, das sich zur Katastrophe entwickelt, und die Qualen, die dieses Fest für die depressive Justine bedeutet: hier finden sich Anklänge an Vinterbergs Das Fest (und auch Lars von Trier gehörte ja mal der Dogma-Bewegung an). Schon diese erste Hälfte ist für sich sehr stark und führt einen Alptraum aus beengenden Familienverhältnissen (und den Zwängen einer immer eisiger werdenden Arbeitswelt) vor, wobei die durchweg großartig agierenden Schauspieler (dabei ragt Kirsten Dunsts Leistung sicher heraus) entscheidend zum Gelingen beitragen.
Im zweiten Teil nimmt dann die Bedrohung durch den sich nähernden Planeten Melancholia immer mehr Raum ein. Er soll zwar die Erde verfehlen, doch Justine ahnt, daß es anders sein wird (eine wissenschaftliche Randbemerkung: wenn tatsächlich ein so großer Planet einen Spaziergang durch das innere Sonnensystem vollführen würde, müßte er die Erde gar nicht treffen, um die Menschheit auszulöschen, denn seine Gravitation würde zu Bahnstörungen führen, die letztlich zum selben Ergebnis führten - dies aber wirklich nur als Nebenbemerkung, denn letztlich ist Lars von Triers Variante vielleicht wissenschaftlich ziemlich ungenau, aber dafür auch eindeutig poetischer). Während Claire im Angesicht der Katastrophe immer mehr in Verzweiflung verfällt (und ihr oberschlauer Mann John sich lieber gleich in den Selbstmord flüchtet, als er erkennt, was geschieht), empfindet Justine das heraufziehende Weltende eher als Erlösung. Vielen Äußerungen Claires in diesen letzten Stunden begegnet sie mit boshaftem Zynismus - und doch ist es am Ende Justine, die Claire und vor allem deren kleinem Sohn Leo die Kraft zu geben vermag, die letzten Momente in einer zwei nicht schützenden, aber doch tröstlichen Geborgenheit zu verbringen - eine Geborgenheit, die unserer Welt wohl den wenigsten Sterbenden vergönnt ist. Und so ist dieses Ende eben auch niederschmetternd und befreiend zugleich. Visuell ist dieses Weltende (und sein langes) Vorspiel von großer Schönheit, wenn etwa ein Himmel zu sehen ist, an dem es zwei Monde zu geben scheint oder wenn am Ende der Planet des Untergangs riesenhaft am Himmel erscheint. Möglicherweise ist Melancholia Lars von Triers bester Film; um so bedauerlicher, daß der Regisseur selbst durch sein außergewöhnlich dämliches Auftreten bei der Pressekonferenz in Cannes vielleicht nicht dem Werk selbst, aber der Rezeption, die dieses erfährt, so einiges an Schaden zugefügt hat.


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Die Nibelungen


Von den großen Dichtungen des Mittelalters ist mir das Nibelungenlied wohl innerlich am fremdesten, weil ich vor allem mit den Figuren nur wenig anfangen kann: die eher berüchtigte als berühmte "Nibelungentreue" ist mir suspekt (wobei es natürlich einiges über den Charakter der deutschen Nation aussagt, daß sich die Mehrzahl der Deutschen, allen voran der unsägliche Kaiser Wilhelm II. mit Begeisterung auf diese Nibelungentreue beriefen, als sie - wohl mehr als jedes andere Land - maßgeblich zur Entfesselung des Ersten Weltkriegs beitrugen, während der Dichter des Nibelungenlieds solche Ehrbegriffe wohl eher skeptisch zu sehen scheint, wie das Blutbad am Ende zeigt; wobei auch dieses wieder schaurige Parallelen zur deutschen Geschichte aufweist, wenn man vor allem an das Ende des Zweiten - ebenfalls und noch viel eindeutiger von den Deutschen entfesselten - Weltkrieges denkt), und dann dürfte es wohl in kaum einem anderen großen Werk der Weltliteratur eine so unglaubliche Ansammlung von Trotteln geben wie gerade im Nibelungenlied: Siegfried ist ein ausgemachter Hohlkopf, seine Frau Kriemheld mindestens ebenso dämlich, wenn auch später maßlos rachsüchtig, und Gunther ist eigentlich nur ein Wicht, geradezu eine Schießbudenfigur.
Insofern dürfte es wohl nicht erstaunen, daß auch Fritz Langs monumentaler und überlanger Viereinhalb-Stunden-Stummfilm mir innerlich ähnlich fremd geblieben ist wie eben schon die Dichtung selbst. Trotzdem ist mir nicht entgangen, daß vieles an dem Film bemerkenswert und beeindruckend ist.
Besonders die erste Hälfte, der Siegfried-Teil, zeichnet sich durch großen Formwillen und Formstrenge aus: die Kamera bewegt sich so gut wie gar nicht, und wie in vielen Stummfilmen Langs spielt die Ausstattung die eigentliche Hauptrolle: die Menschen werden von riesigen Bauten beherrscht, und wo immer möglich hat Lang irgendwelche Muster und Ornamente untergebracht: auf den Kleidern, auf Vorhängen, an den Wänden. Eine für die Entstehungszeit des Films mehr als beachtliche Leistung ist der Auftritt des Drachen.
Der zweite Teil ("Kriemhilds Rache") ist unruhiger, mehr durch die Bewegung vor der Kamera, vor allem in den zahlreichen Massenszenen, als durch Bewegung der Kamera selbst. Visuell stark ist dabei, wie Kriemheld immer wieder, auch inmitten des bewegtesten Geschehens, als ruhende oder vielmehr erstarrte, vor Haß fast versteinerte Gestalt gezeigt wird.
Leider muß ich anmerken, daß Lang bei diesem Film offenbar so sehr in rein visuellen Kategorien gedacht hat, daß er sich nicht besonders um die Schauspielerführung gekümmert zu haben scheint. Denn die darstellerischen Leistungen zeichnen sich durch jede Menge Pathos, dramatische Gesten und Blicke aus - da gab es auch 1924 schon wesentlich subtilere und überzeugendere Darbietungen. Und ob das abschließende Gemetzel nun wirklich eine Dreiviertelstunde dauern mußte, muß zu fragen ebenfalls erlaubt sein. Mir hätte da die halbe Zeit jedenfalls auch gereicht.
Sicherlich also ein bemerkenswerter und wohl auch großer Film (wobei die Nazis übrigens den Siegfried-Teil instrumentalisierten, indem eine Tonfassung mit Kommentar und Wagner-Musik angefertigt wurde), der mir persönlich aber letztlich ähnlich fremd blieb wie schon das Nibelungenlied selbst.


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Harry Potter und der Halbblutprinz


Zu diesem Film nur ein paar kurze Anmerkungen, die aber trotzdem so spoilerlastig sein dürften, daß der Kommentar sich nur für Leser eignet, die den Film bereits kennen, oder die es nicht stört, wenn sie hier wichtiges erfahren, solche Leute gibt es ja (so wie ja auch manche Leute bei Büchern das Ende zuerst lesen...).
Um erst mal was nettes zu sagen: ich hatte den Film als wesentlich schlechter in Erinnerung, diesmal hinterließ er mich vergleichsweise milde gestimmt. Die Inszenierung ist vielleicht nicht immer stimmig, aber doch an vielen Stellen, und gerade die Nebenhandlung um Draco Malfoy, der unter seinem Mordauftrag leidet, ist sogar richtig gut umgesetzt: Draco ist meistens allein im Bild, oder wenn er mit anderen zusammen ist, doch so, daß er trotzdem isoliert wirkt.
Dafür hat das Drehbuch aber gewaltige Macken. Manche davon sind praktisch unvermeidlich: daß Voldemorts Geheimnis darin besteht, daß er gleich eine ganze Reihe von Horkruxen erzeugt hat, ist durch die Buchvorlage bedingt: sicher war das keine besonders gute Idee von J.K. Rowling, weil dadurch der letzte Band (und seine zweigeteilte Filmadaption ebenso) über weite Strecken zu einer Art Schnitzeljagd geraten ist, aber ob gut oder schlecht, es ist ein essentieller Bestandteil der Geschichte, und wenn der Film hier grundlegend abgewichen wäre, dann wäre es eben nicht mehr Harry Potter gewesen.
Das Drehbuch weicht aber auch an etlichen Stellen vom Roman ab oder setzt die Schwerpunkte anders, und da kann man tatsächlich herummeckern. Wenn diese Detailänderungen dem Film gut getan hätten, wäre das ja in Ordnung gewesen, aber leider wirken sie sich praktisch alle nachteilig aus. Die eigens für den Film erfundene Szene, in der Bellatrix Lestrange den Fuchsbau in Schutt und Asche legt, ist unmotiviert und im Grunde genommen völlig sinnlos, offenbar sollten hier Harry und Ginny zusammen ganz doll in Gefahr geraten, aber danach wird sie nie wieder erwähnt. Und weil der Film ohnehin über Gebühr an dieser zarten Romanze interessiert ist (klar, schließlich wollen die Zuschauer ja Liebesgeschichten sehen, oder zumindest glauben das die Hollywoodproduzenten), vernachlässigt er dafür die Erforschung der Geschichte des dunklen Lords, die eigentlich das Zentrum des Romans darstellt, wovon im Film aber nicht viel zu merken ist. Auch die Änderungen kleiner Details sind oft ungeschickt: bei der Beerdigung der Riesenspinne Aragog verhält sich Prof. Slughorn zunächst so, daß er damit wohl kaum die Sympathie des Monsterliebhabers Hagrid gewinnen würde - die entsprechende Szene im Buch ist ganz anders, und die Änderungen sind hier von Nachteil, eben nicht, weil es Änderungen sind, sondern weil sie der psychologischen Glaubwürdigkeit schaden. Und auch (hier kommt jetzt der Ober-Spoiler!) die Schlüsselszene, in der Dumbledore stirbt, hat der Film verpatzt: im Buch macht Dumbledore selbst Harry noch bewegungsunfähig, und so sieht dieser gezwungenermaßen untätig zu, wie alles weitere geschieht. Dieses Detail fehlt im Film, wodurch die Sache aber unglaubwürdig wird: Dumbledore sagt zwar, daß Harry nichts tun solle, aber wer glaubt denn ersthaft, daß ein Hitzkopf wie Harry das je durchhielte? Genau so sieht die Szene nun aber aus. Daß dagegen der Kampf, der dann außerdem noch in Hogwarts stattfindet, sehr kurz gekommen ist, stört mich persönlich weniger.
Letztlich sind das nur die wichtigsten Beispiele dafür, wie das Drehbuch durch einige sehr ungeschickte Abweichungen (oder Verkürzungen) der Vorlage dem Film als ganzes schadet. Angehenden Drehbuchautoren sollte man "Harry Potter und der Halbblutprinz" als Beispiel vorführen, wie man ein Buch nicht adaptiert. Und das ist ziemlich schade, denn in anderen Belangen ist der Film gar nicht mal so übel, wie mir erneuten Sehen auffiel.

(Das Thema Literaturverfilmung werde ich wohl in einem eigenen Beitrag noch mal ansprechen, weil es mir bei diesem Film gerade wieder in den Sinn kam.)


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G.O.R.A. - A Space Movie


Arif ist Teppichhändler und versucht außerdem noch, gefälschte Fotos von UFOs an den Mann zu bringen, findet aber niemanden, der auf seine Schwindeleien hereinfällt. Da passiert es ihm, daß er von echten Außerirdischen entführt und zum Planeten Gora gebracht wird, eine Katastrophe verhindert und sich in die Tochter des Herrschers verliebt, deren wirklicher Vater aber, wie sich herausstellt, auch von der Erde stammt...
Science-Fiction-Parodien und -komödien hat es ja schon so einige gegeben, aber solche aus der Türkei bekommt man doch eher selten zu sehen. Da hier aber vor allem (wenn auch oft überdeutlich) auf Filme wie "Das fünfte Element", "Matrix" oder "Star Wars" angespielt wird, gibt es auch für den vom westlichen Kino geprägten Zuschauer durchaus amüsante Momente. Insgesamt ist G.O.R.A. aber von sehr schwankender Qualität: manche Gags sind gelungen, und zudem besitzt der Film einen etwas trashigen Charme, auf der anderen Seite gibt es aber auch so einige Plattheiten und immer wieder Leerlauf. Für eine Komödie ist der Film letztlich nicht temporeich genug, und die Story trägt auch keine Laufzeit von knapp über zwei Stunden, so daß G.O.R.A. alles in allem zwar eine ungewohnte Filmerfahrung bietet, nüchtern betrachtet aber doch bestenfalls Mittelmaß ist.


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Zwei Kurzkommentare


Heute will ich nicht so viel schreiben und mache es mir daher mal mit einem Doppeleintrag bequem:

Wickie und die starken Männer
hat zwar ein paar hübsche Ideen zu bieten, aber leider auch jede Menge Klamauk und Albernheiten - letztlich zu viele, als daß bei mir echte Begeisterung hätte aufkommen können. Sympathisch ist immerhin der Kern der Geschichte, daß sich mit einem pfiffigen Köpfchen oft mehr bewegen läßt als mit reiner Muskelkraft. Kann man sich ansehen. Muß man aber nicht.

Messias des Bösen
ist dagegen schon ein anderes Kaliber. Eine junge Frau sucht in einer Stadt nach ihrem Vater, und dabei wird immer deutlicher, daß dort schreckliche Dinge vorgehen. Die Einwanderer der Stadt sind zu Kannibalen mutiert, und es zeigt sich, daß die Stadt von einem finsteren Geheimnis aus der Vergangenheit eingeholt wird.
An sich schätze ich es, wenn ein Horrorfilm eher auf Atmosphäre als auf Schockeffekte von der ersten Minute an setzt, doch "Messias des Bösen" nimmt arg langsam Fahrt auf. Nach einer Weile gelingt es dem Film dann aber doch, Spannung und Atmosphäre zu erzeugen, wobei der Film sich sehr stark an Zombiefilme anlehnt (aber nicht so drastisch inszniert ist, wie es in den 70ern durchaus schon üblich war), zugleich aber noch eine Prise Okkultismus hinzufügt. Der größte Reiz liegt in den zumindest stellenweise recht atmosphärischen Bildern, und es gibt eine recht gute Szene, die in einem Kino spielt, und eine weitere in einem Supermarkt, wobei ich mich bei dieser natürlich gefragt habe, ob Romero vielleicht einmal "Messias des Bösen" gesehen und dabei erkannt hat, welches Potential ein Einkaufszentrum als Handlungsort im Zombiefilm tatsächlich hat (was er im meisterlichen "Dawn of the dead" voll ausgeschöpft hat). Das ist aber nur eine vage Vermutung. Jedenfalls ist "Messias des Bösen" wohl nicht gerade ein Meilenstein des Horrorfilms, aber zumindest ein recht interessanter Vertreter des Genres.


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Ein streunender Hund


Einem jungen Polizisten wird seine Waffe gestohlen, mit sieben Kugeln darin. Verzweifelt versucht er, die Pistole wiederzubekommen, zunächst vor allem aus Furcht um seine weitere Laufbahn als Polizist. Seine Vorgesetzten nehmen sein Mißgeschick weniger tragisch als er selbst, doch dafür kommt bald eine neue Sorge hinzu, als deutlich wird, daß die verschwundene Waffe in die Hände eines jungen Verbrechers geraten ist, der wenig Hemmungen hat, Gebrauch davon zu machen. Zusammen mit einem älteren Kollegen nimmt der Polizist schließlich dessen Spur auf.
Mit Ein streunender Hund befindet sich Kurosawa direkt auf dem Weg zur Meisterschaft. Anfangs kam mir der Film noch etwas holprig und dramaturgisch ungelenk vor, aber je länger er dauert, desto stärker wird er, und im letzten Viertel spürt man bereits in jedem Moment, daß ein Meister am Werk ist. Die beiden Polizisten werden von Toshiro Mifune und Takashi Shimura, den beiden fraglos bedeutendsten Kurosawa-Darstllern, verkörpert und gewinnen im Verlauf des Films zunehmend an Kontur. Dabei tangiert der Film auch ethische und soziale Fragen, so erscheint der verfolgte (Raub)mörder nicht als kaltblütig agierendes Monster, sondern vielmehr ein Getriebener, so daß zur sich allmählich steigernden äußere Spannung auch die für Kurosawa-Filme so typische Spannung hinzutritt. Auch sonst ist des Meisters Handschrift hier schon sehr deutlich sichtbar: an den Bildkompositionen, an dem sintflutartigen Regen, der in einer wichtigen Szene niedergeht oder dem in freier Natur ausgetragenen Showdown. Gerade auch der Vergleich mit dem nur kurz zuvor entstandenen Engel der Verlorenen zeigt deutlich, welche Fortschritt Kurosawa seit diesem Film gemacht hatte. Mit seinem übernächsten Film Rashomon gelang ihm dann eines der größten Werke der Filmgeschichte.


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Summertime Blues


Alex ist 15 und hat zwei große Probleme: zum einen seinen Vater, zum anderen seine Mutter. Diese teilt ihm, während sie gerade in der Küche etwas brät, so ganz nebenbei mit, daß sie und ihr Mann sich scheiden lassen, und wenig später bekommt er mit, daß sein Vater seine Sekretärin geschwängert hat. Nun geht alles sehr schnell: seine Mutter hat schon einen neuen Lebens(abschnitts)gefährten, einen Schauspieler mit englisch klingendem Künstlernamen, der in Wirklichkeit aber aus Tirol kommt und mit dem man nicht gerade unter einem Dach wohnen will, doch genau das muß Alex nun tun, und das heißt, daß er sich bald in England, genauer gesagt, in Kent wiederfindet, wo sein Stiefvater in spe gerade mit Dreharbeiten beschäftigt ist. Bald lernt Alex auch dessen Tochter Faye, die er zunächst nicht ausstehen kann, bevor es zu einem gewaltigen Umschwung seiner Gefühle kommt, und außerdem die naturverbundene Louie kennen, woraus sich allerlei Komplikationen und emotionale Verwirrungen ergeben...
Summertime Blues erzählt auf sehr einfühlsame Weise von den Nöten eines Teenagers, dem es so schon schwer genug fällt, seinen Platz im Leben zu finden, und dem seine Eltern dabei alles andere als eine Hilfe sind. Immer wieder erzählt Alex aus dem Off, häufig kommentiert er auch das Geschehen: der Film setzt dieses Stilmittel zwar recht oft ein, aber doch auf so nachdenkliche und zugleich witzige Weise, daß dem Film daraus kein Nachteil entsteht. Dazu findet die Regisseurin Marie Reich unspektakuläre und oft sogar unauffällige, aber stets passende und stimmungsvolle Bilder, die in der schönsten Szene des Films, in der Louie Alex während einer Nacht eine Dachsfamilie zeigt, sogar poetische Qualitäten gewinnen. Summertime Blues ist ein sehr gut gespielter, mal witziger, mal ernsthafter Jugendfilm über die Nöte des Erwachsenwerdens, der so ganz nebenbei deutlich macht, daß Erwachsene, wenn es um Beziehungskisten geht, kein bißchen vernünftiger handeln als Jugendliche. Nachdem mir Dreileben kürzlich eher ernüchternde Erfahrung mit dem deutschen Film verschafft hat, war es um so erfreulicher, diesen schönen Film zu sehen.

(Ein interessantes Detail noch am Rande: Hauptdarsteller François Goeske heißt eigentlich Göske, aber mit Blick auf den internationalen Markt wurde die Schreibweise des Namens geändert.)


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Dreileben


Vor einigen Jahren brachte der Belgier Lucas Belvaux eine faszinierende Filmtrilogie in die Kinos: alle drei Filme spielten zur gleichen Zeit in Grenoble, in jedem gab es zwei Hauptfiguren, die in den jeweils anderen beiden Filmen als Nebenfiguren in Erscheinung traten, und die Handlungen waren raffiniert miteinander verflochten, so daß man bestimmte Szenen mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven erleben konnte. Dabei war ein Film eine Komödie, der zweite ein Politthriller und der dritte ein Drama, und das ganze funktionierte bemerkenswert gut: jeder Film war schon für sich sehenswert, alle zusammen fügten sich geradezu zu einem komplexen Portrait der Stadt Grenoble zusammen.
Dreileben ist ein ähnlich angelegtes Experiment: auch hier spielen drei Filme zur gleichen Zeit am gleichen Ort und berühren einander an bestimmten Stellen. Ein wesentlicher Unterschied ist, daß im Fall von Dreileben jeder Film von einem anderen Regisseur inszeniert wurde: Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler. Ich war sehr gespannt darauf, da ich die Grundidee großartig fand. Die Flucht eines Sexualstraftäters ist es, die die drei Filme miteinander verbindet, wobei Petzolds Film von der Liebe zwischen dem jungen Johannes, der im Krankenhaus arbeitet, und einer Bosnierin erzählt, während es in Grafs Film um eine Psychologin geht, die nach Dreileben kommt, wobei sie mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert wird, während Hochhäuslers Film sich auf die Flucht und Verfolgung des Straftäters konzentriert.
So weit, so gut: leider hat mir keiner der drei Filme wirklich gefallen. Petzolds Film verfolgte ich zunächst noch mit einem gewissen Interesse, obwohl seine karge, distanzierte Bildersprache es nicht gerade leicht macht, einen Zugang zu seinen Figuren zu finden. Letztlich hatte ich auch eben damit ein Problem: mir blieb dieser Johannes fremd, nicht nur emotional, sondern ich hatte auch nicht das Gefühl, wirklich viel über diesen jungen Mann erfahren zu haben. Als dramatischer Höhepunkt ist eine Eifersuchtsszene während einer Party angelegt, aber diese Szene wird meines Erachtens völlig unzureichend vorbereitet. So hinterließ der Film, der vielversprechend begann, einen doch eher mittelmäßigen Eindruck.
Mit Grafs Film erging es mir ähnlich: zum einen geht es eben um die persönlichen Beziehungen der Psychologin Jo, aber es wird auch ihre Mitwirkung bei der Suche nach dem geflüchteten Straftäter gezeigt, und dann erfährt man noch, daß sie zur Aufklärung eines Falls von verbrecherischen Tätigkeiten in den Reihen der Polizei selbst beiträgt. Genau das ist aber auch ein Problem des Films: da wird etwas angerissen, erweckt Neugier - und dann läßt der Film es wieder fallen. Gerade dies habe ich als Problem der gesamten Trilogie empfunden: immer, wenn irgend etwas Interessantes geschieht, dann wird es nicht wirklich weiterverfolgt. Sollen das vielleicht bewußt gesetzte Ellipsen sein? Immerhin setzt der zweite Film das private Drama, das er auch erzählt, recht solide (wenn auch am Ende vorhersehbar) um, trotzdem fand ich auch diesen Film alles in allem nur medioker.
Der dritte Film brachte dann den endgültigen Absturz: Szenen, die den Gejagten zeigen, welchseln sich mit solchen ab, in denen es um den Kommissar geht, und das tut der Film so, daß weder Interesse für den einen noch den anderen geweckt wird. Hochhäusler setzt auf düstere Atmosphäre, die aber nicht erzeugt, sondern lediglich behauptet wird.
Auch die Verbindungen zwischen den drei Filmen treten nur sehr sporadisch auf und weiten vor allem, wenn es sie gibt, nicht annähernd so den Blick, wie das bei Belvaux der Fall war. So bleibt mir nur festzuhalten, daß Dreileben für mich eine einzige Enttäuschung war und ich die drei Filme solchen Leuten, die Vorbehalte gegenüber dem deutschen Film haben, unmöglich empfehlen kann, denn diese Trilogie würde sie wohl eher verfestigen als abbauen.





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