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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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FINSTERWORLD (Frauke Finsterwalder/D 2013)


"Jetzt aber raus!"

Finsterworld ~ D 2013
Directed By: Frauke Finsterwalder

Herr Nickel (Christoph Bach) ist mit seiner Elite-Schulklasse per Bus unterwegs zur Besichtigung eines ehemaligen Konzentrationslagers und vollauf damit beschäftigt, den etwas abgehobenen Eleven die nötige Ehrerbietung vor dem Exkursionsziel zu vermitteln. Den renitenten Max Sandberg (Jakub Gierszal), einen von Nickes Schülern, treiben derweil höchst niederträchtige Pläne um. Der Erste, der diese zu spüren bekommt, ist Max' Mitschüler Domink (Leonard Schleicher), der darauf gleich die Flucht ergreift - eine verhängnisvolle Entscheidung. Max' im Seniorenheim wohnende Großmutter (Margit Carstensen) muss derweil feststellen, dass ihr wesentlich jüngerer Pedikürer (Michael Maertens) nicht nur ein erotisches Interesse an ihrer Person, sondern auch noch einen ziemlich abartigen Fußfetisch entwickelt hat. Der Polizist Tom (Ronald Zehrfeld) steht indes darauf, sich in Pelzkostüme zu kleiden, eine Eröffnung die der ohnehin brüchigen Beziehung zu seiner Freundin, der Filmemacherin Franziska (Sandra Hüller), weniger gut bekommt. Max' Eltern (Bernhard Schütz, Corinna Harfouch) plagen sich derweil mit dem Weltschmerz der Hochfinanzkaste, als sie auf den irrlaufenden Dominik stoßen. Und ein verrückter Waldläufer (Johannes Krisch) will Rache.

Ein weiterer, parallele und doch zusammenhängende Geschichten erzählender Ensemblefilm aus deutscher Fertigung. Nachdem die letzte hiesige Welle dieser Art Film ja nun auch seit längerem abgeebbt ist ("Nachtgestalten", "St. Pauli Nacht", "Lichter" und "Schwarze Schafe" habe ich noch als mehr oder weniger gelungene Beispiele im Kopf), darf man ja ruhig konstatieren, dass es "mal wieder Zeit" wurde für ein entsprechendes Traditionsprodukt. Ich weiß nicht, inwieweit Frauke Finsterwalder mit dieser Art Film vorvertraut ist, oder mit welchem Ehrgeiz sie mit ihrem Spielfilmdebüt an sich selbst herangetreten ist. Ich als Endkonsument, der durchaus das Gefühl hatte, hier sollen durchaus gezielt Botschaften, Einblicke und vielleicht sogar Erkenntnisse vermittelt werden, wurde jedenfalls nicht ganz warm mit ihm. Zum Einen mag ich es nicht, wenn mir geschmäcklerisch aufbereitetes Arthouse-Kino (wobei diese Begrifflichkeit mir aufstößt, ich jedoch keine bessere weiß) in Koppelung mit erklärter Lebensweisheit aufgetischt wird, zum anderen kam mir der Film häufig so vor, als wäre er gedacht als eine Art künstlerischer Befreiungsschlag der Filmemacherin. Das porträtierte Milieu scheint die Dame nur allzu gut zu kennen, vielleicht findet sich in der Figur dieser Regisseurin, Franziska Feldenhoven, ja sogar, und dieser Schluss liegt zwangsläufig nahe, eine Art alter ego der mutmaßlich auf wackligem kreativen Terrain befindlichen Frau Finsterwalder. Dass ihr Film um eine größere Herde wirklich armer Schweine auf dem Weg zur Schlachtbank kreist, wird ihr bewusst gewesen sein; dass deren Schicksale aufgrund ihrer durchweg abstoßenden bis bemitleidenswerten Personae für mach einen Rezipienten in der Beliebigkeit versickern, vielleicht weniger, dass es Regisseure gibt, die just dieses Begriffsfeld weithin erschöpfend beackert haben, möglicherweise nicht unbedingt.
Gut gemeint ist das alles ganz bestimmt und immerhin.

6/10

Frauke Finsterwalder Ensemblefilm Satire Familie


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PRAXIS DR. HASENBEIN (Helge Schneider/D 1997)


"Achtung, achtung. Eine wichtige Durchsage: Seit drei Sekunden ist Kriech. Un getz weiter mit Musik."

Praxis Dr. Hasenbein ~ D 1997
Directed By: Helge Schneider

Dr. Angelika Hasenbein (Helge Schneider) ist alleinerziehender Vater seines rückwärts alternden Sohnes Peterchen (Peter Berling) und in seiner Straße eine medizinische Institution. Ansonsten passiert nicht viel, mit Ausnahme einer glamourösen Kinopremiere ["Ruck Ruck, der Taubenmensch" des großen Filmemachers Tortellini (Buddy Casino) wird uraufgeführt] sowie der Geburtstag der Waisenhauspatriarchin Tante Uschi (Andreas Kunze), die allerdings überschattet wird von einem unglückseligen Unfall: Hermi, der Hamster der Waisenhaus-Kinder, fällt einem furchtbaren Missverständnis zum Opfer. Am Ende muss Dr. Hasenbein in den Krieg und kehrt erst nach dreißig Jahren in seine Heimat zurück. Dort hat sich alles ein bisschen viel verändert und der Doktor zieht in das vom Waisenhaus zum Altersheim umgemodelte Nachbarhaus, wo er Jazz spielt.

Helge Schneiders poetischster Film ist eine Liebeserklärung an alte Zeiten, als die Welt noch unschuldig und die EC-Automaten noch lebendig waren. Nach "00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter" mindert Helge sich doch um Einiges an Brachialkomik und lässt nun eher leise, intime Zwischenmenschlichkeit aufkommen. Wie eh und je sind die Nebenfiguren, von denen die meisten natürlich altbekannt sind, von eminentester Bedeutung für das Gesamtbild. Doch auch frische Charaktere wie der Schneider Voss (Norbert Losch), der Tabakverkäufer (Horst Mendroch) von nebenan oder der Waisenjunge Carlos (Carlos Boes) entwickeln sich rasch zu wohlgelittenen Bekannten des Zuschauers. Charlie Weiss und Helmut Körschgen sind infolge nachlassender Gesundheitszustände leider nicht mehr dabei, dafür hat Peter Berling seinen größten Schneider-Auftritt und Andreas Kunze erweist sich neuerlich als unverzichtbar. Ansonsten bleibt "Dr. Hasenbein" mit seinem open-air-theateresken Schauplatz, der sich nur selten in die Interieurs (als da wären des Doktors Haus und Praxis, Kneipe, Kino und Waisenhaus) verschwenkt, be- und überschaulich bzw. -bar und enthält sich geradezu sklavisch jedweder Bedeutung von erzählter- und Erzählzeit.
Meine schönste und bleibendste Erinnerung an den Film steht im Zusammenhang mit dem damaligen Kinobesuch im Weseler Comet, in dem man zu der Zeit noch rauchen durfte. Etwa ein Drittel der rund zwanzig Besucher, vornehmlich die anwesenden Pärchen, verließ nach nur wenigen Minuten in Kurzabständen gesittet und nur leise raunend den Saal, derweil mein Kumpel Sascha und ich, besoffen und uns konstant bepissend, vom Sessel rollten. Da wusste ich mal wieder: Der Helge, der ist schon was ganz Besonderes.

9/10

Hele Schneider Groteske Surrealismus Arzt Jazz


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EDUCAZIONE SIBERIANA (Gabriele Salvatores/I 2013)


"All creatures belong to heaven."

Educazione Siberiana (Sibirische Erziehung) ~ I 2013
Directed By: Gabriele Salvatores

Noch zu Zeiten der Sowjetunion werden alle großen Gangsterclans in die Kleinrepublik Transnistria verfrachtet, wo sie vom Rest der Sowjet-Staaten weitgehend abgeschirmt sind und ihre jeweils strengen Sitten und Gebräuche weiterverfolgen können. Als härtester der Clans gelten die Sibirier. Schon als Kinder lernen die besten Freunde Kolyma (Arnas Sliesoraitis) und Gagarin (Pijus Grude) den Umgang mit dem Messer und wie man Transportfahrzeuge ausraubt. Bis Gagarin erwischt wird und für sieben Jahre ins Gefängnis muss. Mit seiner Rückkehr kommt auch die reizende, geistig behinderte Xenja (Eleanor Tomlinson) in die von Kolyma und seinem ehrwürdigen Großvater Kuzya (John Malkovich) beherrschte Unterstadt. Die Zeit im Knast hat Gagarin verändert und als er ein unaussprechliches Verbrechen verübt, bleibt Kolyma nur, ihn unerbittlich zu verfolgen.

Ein sehr literarisch besetzter Entwicklungsroman in Filmform, eine italienische Produktion mit italienischem Stab in englischer Sprache und mit internationaler Besetzung, die auf ex-sowjetischem Boden spielt (vornehmlich jedoch in Italien und nur teilweise in Litauen gedreht wurde). Die Geschichte, die auf autobiographischen Erlebnissen beruhen soll, erinnert zuweilen stark an Sergio Leones "Once Upon A Time In America": Vier Freunde lernen bereits in der Kindheit, sich durch ein hartes, von Regeln und Kodexen geprägtes Leben zu schlagen; die beiden im Zentrum stehenden Jungen verfeinden sich durch den Verrat des Einen am Anderen, bis eine späte, forcierte Wiederbegegnung Schuld und Sühne ausgleicht. Dazu gibt es eine merkwürdige, verschrobene Dame, die beide reizt, an der Ungestümheit des Einen jedoch zerbrechen wird. Ansonsten kleidet Salvatores sein Freundschaftsporträt in sehr lyrische, formvollendete Bilder mit vielen blendend schönen Szenen (wie einer am Kettenkarussell, die von Bowies wunderbarem "Absolute Beginners" vortrefflich untermalt wird), die "Educazione Siberiana" bei aller Parallelität zu Vorangegangenem noch immer die notwendige Eigenständigkeit verleihen, um als ausgereiftes Kunstwerk für sich stehend überzeugen zu können. Kein ganz großer Wurf, aber bestimmt ein sehenswerter Film.

7/10

Gabriele Salvatores Familie Russland UdSSR Biopic Freundschaft Rache ethnics Russenmafia


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ALL CHEERLEADERS DIE (Lucky McKee, Chris Sivertson/USA 2013)


"Bitches go!"

All Cheerleaders Die ~ USA 2013
Directed By:: Lucky McKee/Chris Sivertson

Das hat sich die High-School-Elevin Maddie (Caitlin Stasey) anders vorgestellt: was als großangelegte Racheaktion an dem hiesigen Football-Ass Terrie (Tom Williamson) geplant war, ewtwickelt sich nämlich nunmehr zu einem veritablen Horrortrip! Maddies ursprüngliche Idee sieht vor, sich in die oberflächiche, von Maddie eigentlich höchst gering geschätzte Cheerleader-Clique der 'Bitches' einzuschleichen, um auf diese Weise Terrys Freundin Tracy (Brooke Butler) gegen ihn aufzuhetzen. Doch ehe sie es sich versieht, stirbt Maddie zusammen mit Brooke und zwei weiteren Mädels einen durch Terry forcierten Unfalltod. Nicht jedoch für lang, denn die Maddie anhimmelnde Teenagerhexe Leena (Sianoa Smit-McPhee) entwickelt das Quartett mittels magischer Juwelen wieder zum Leben. Die Zombie-Cheerleader benötigen allerdings stets frisches Blut, um ihren Verfallsprozess aufzuhalten, wovon bald auch Terry Wind bekommt. Dieser hätte die Wundersteinchen gern allesamt für sich selbst...

Nach seinem bösen Meisterwerk "The Woman" machte sich Lucky McKee zusammen mit seinem Kollegen Chris Sivertson an dieses von mir wieder als deutlich rückschrittig empfundene Remake ihres eigenen Low-Budget-Films von 2001. Aufgrund dessen schwieriger Verfügbarkeitslage kann ich mir kein kompaktes Bild dazu machen, welchen Sinn und welche künstlerische Räson jener Neuverfilmungsansatz haben mag - am naheliegendsten erscheint mir, dass McKee und Sivertson es wohl als eine Art Schuldigkeit gegenüber sich selbst erachteten, mit höherem Etat, frischem Wind und Kinoeinsatz eine Revision ihres Debüts vorlegen wollten. Bei diesem handelt es sich jedenfalls um eine nicht unbedingt originelle High-School-Splatter-Stoner-Comedy Marke "Idle Hands", die mit viel groteskem, um nicht zu sagen: bekifftem Humor angereichert ist und die typischen Themen jener Filme von der dem amerikanischen Schulsystem immanenten Cliquenhierarchisierung bis hin zur Sexualitätsfindung streift. Hinzu kommt ein nicht allzu überbordender Voyeurismus, der vor allem den knackigen Hauptdarstellerinnen frönt, ein wenig Liebäugelei mit Comic- und Superhelden-Mythen und fertig. Da die Endtitel den Zusatz "Part 1" tragen, dürften Fortsetzungen um das schlussendlich noch romantisch verwobene Paar Maddie/Leena zum festen Plan gehören. Ob diese allerdings tatsächlich sein müssen, würde ich zum jetzigen Zeitpunkt mal dahin gestellt lassen. McKee kann's in jedem Fall auch besser.

6/10

Lucky McKee Chris Sivertson Remake Zombies Schule Teenager Freundschaft Splatter


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A CHRISTMAS STORY (Bob Clark/USA, CA 1983)


"You'll shoot your eye out."

A Christmas Story (Fröhliche Weihnachten) ~ USA/CA 1983
Directed By: Bob Clark

Ralphie Parker (Jean Shepherd) erinnert sich an sein schönstes Weihnachtsfest, das er dereinst im leuchtenden Alter von acht Jahren (Peter Billingsley) erleben durfte: Damals, in den Spätvierzigern, waren Radio Serials noch die vornehmliche Abendunterhaltung, die Familie mit Mutter (Melinda Dillon), leidenschaftlich fluchendem Vater (Darren McGavin) und kleinem Bruder (Ian Petrella) als Oberhäuptern in geregelten Bahnen. Zum endgültigen Glück fehlte da nurmehr das absolute Herzenswunsch-Geschenk: Ein Red-Ryder-Luftgewehr mit 200 Metern Schussreichweite. Wie Ralphie es schlussendlich fertigbringt, seinen Eltern dieses wider Erwarten aus den Rippen zu leiern und ganz nebenbei noch entscheidende Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden vollzieht, davon berichtet diese Geschichte.

Bob Clarks zweiter Weihnachtsfilm nach dem neun Jahre älteren Prä-Slasher "Black Christmas" ist ein deutlich anders gelagertes, weitaus versöhnlicheres Werk. In der Romanadaption nach Jean Shepherd reichen verklärende Nostalgie und pittoreske Satire sich in jeweils schwereloser Schwebe mühelos die Hände, der stets fein kadrierte Humor äußert sich teils slapstickartig (Ralphies Phantasien gleichen hier und da 16fps-Stummfilmkomödien), teils poetisch. Ähnlich wie Woody Allens etwas später entstandener, meisterhafter "Radio Days" (der, so möchte ich behaupten, "A Christmas Story" eine ganze Menge zu verdanken hat) wirft Clarks Film somit einen ebenso liebevollen wie belustigten Blick auf "unschuldigere" Jahre, wobei jene Unschuld sich hauptsächlich aus der kindlichen Protagonisten-Perspektive rekrutiert.
Ein hinreißend schöner Weihnachtsklassiker, hierzulande leider nicht von der eigentlich hochverdienten Popularität.

9/10

Bob Clark Weihnachten period piece Kinder Familie


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GONE GIRL (David Fincher/USA 2014)


"We caused each other pain." - "That's marriage."

Gone Girl ~ USA 2014
Directed By: David Fincher

Als Amy (Rosamund Pike), die als Buchautorin immens populäre Gattin des Kleinstadtkneipiers Nick Dunne (Ben Affleck) verschwindet, gerät der Ahnungslose ins Kreuzfeuer von Justiz, Medien und Gesellschaft. Weil er eine Affäre mit der Studentin Andie (Emily Ratajkowski) verschweigt, hält ihn plötzlich alle Welt für einen Lügner und bald auch für den Mörder seiner offenbar schwangeren Frau. Ein bald auftauchendes Tagebuch Amys räumt alle verbliebenen Zweifel aus. Doch Amy ist mitnichten tot; sie hat ihr eigenes Verschwinden inszeniert, um sich an Nick für seinen von ihr längst entdeckten Betrug zu rächen und ihm einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Eine Ansprache via TV stimmt sie jedoch wieder um: Jetzt heißt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen...

"In guten wie in schlechten Zeiten" heißt es im christlichen Ehe-Sakrament und für die Dunnes sind nun letztere angebrochen. Aber volle Lotte. Dem mittelständischen Musterehepaar geht es genau so lange gut in seiner trauten Zweisamkeit, bis er sich in ein Abwechslung versprechendes Abenteuer mit einer drallen, jüngeren Schönheit verrennt. Damit nimmt die - vorübergehende - Zäsur innerhalb ihrer gemeinsamen Existenz ihren verhängnisvollen Ausgang. Denn anders als andere gehörnte Gattinnen besitzt Amy Dunne nicht nur eine vorbildliche, literarisch scharfe Phantasie, sondern verfügt zudem über Ausdauer, Bosheit und, das Wichtigste, eine gehöroge Portion Irrsinn. Die sich als nicht wenig psychopathische Zeitgenossin exponierende Lady weiß, zu instrumentalisieren, besonders fatzkenhafte, reiche Männer, die ihr über ihren Stolz hinaus verfallen. Dass sie am Ende doch bloß eine ordinäre Frau mittlerer Jahre ist, die geliebt werden will, bevor sie nichts mehr vom Leben zu erwarten hat, darf allerdings nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen.
Abgesehen von dessen eindeutiger formaler Identifizierbarkeit erinnerte mich an "Gone Girl" motivisch betrachtet erstmal wenig an David Finchers Werk. Andererseits ist sein Œuvre mittlerweile wohl heterogen genug, um vordergründige rote Fäden ausmachen zu können. "Gone Girl" jedenfalls nimmt die Institution Ehe aufs Korn und beobachtet, was diese mit ihren Protagonisten bisweilen anzustellen pflegt. Besonders die Dame kommt dabei wenig schmeichelhaft davon, wenngleich die Bemühung des Begriffs 'misogyn' wohl etwas weit aus dem Fenster gelehnt wäre. Dennoch; man entwickelt einen recht leidenschaftlichen Hass auf diese Amy Dunne und ihr zunehmend ausuferndes Ränkespiel, tatsächlich erwartete ich nach dem gezeigten Rosenkrieg noch ein blutiges Finalduell mit umherfliegenden Vasen und Küchenmessern. Doch Fincher belewhrt uns buchstäblich eines Besseren. Zum Ende hin wird "Gone Girl" dann doch nochmal ungeheuer smart, weil so erschreckend wahrhaftig.

8/10

David Fincher Südstaaten Missouri Madness Satire


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DOWNHILL RACER (Michael Ritchie/USA 1969)


"World champion? There are many of them."

Downhill Racer (Schussfahrt) ~ USA 1969
Directed By: Michael Ritchie

Der aus Colorado stammende Abfahrtsläufer David Chappellet (Robert Redford) kommt als Ersatzmann während der Weltmeisterschaft nach Europa und macht sich durch hervorragende Zeiten einen Namen im US-Team. Sein Trainer Eugene Claire (Gene Hackman) hat dabei alle Hände voll zu tun, Chappellets naive Arroganz im Zaum zu halten. Zwei Jahre und diverse harte Lebens- und Sporttrainingssequenzen später läuft Chappellet nach dem Ausfall seines Mannschaftskollegen Johnny Creech (Jim McMullan) als Favorit bei der Winter-Olympiade.

Weder reizt mich Wintersport in aktiver noch in passiver Hinsicht sonderlich, aber Michael Ritchies etwas vergessenen Beitrag zu New Hollywood habe ich dennoch als meisterhaft empfunden. Nicht nur die von Anfang an fesselnde, collagehafte Montage, die eine dokumentarische Konnotation der ansonsten konventionellen Story ermöglicht, begeistert; auch die existenzialistische, mutige Einbettung jener drei Winter in eine ansonsten wenig bemerkenswerte Biographie kommt ungewöhnlich daher für den Sportfilm. So ist David Chappellet eigentlich kein besonders sympathischer Typ, sondern ein recht selbstgefälliger, wenig gescheiter Schnösel, dessen mangelnde Mondänität und Unerfahrenheit mit dem europäischen Wintersport-Jet-Set seine Herkunft als amerikanischer Kleinstadt-Bauernjunge belegt. Er verliebt sich unsterblich in die leicht versnobte Sportartikel-Managerin Carole (Camilla Sparv), muss jedoch bald frustriert erkennen, dass er in ihrer Welt von Glanz und Glitter nur einer von vielen ist. Ganz ähnlich sein finaler Sieg und die damit erworbene Goldmedaille - ein Konglomerat diverser, Chappellet zupass kommender Zufälle, die kaum werden verhindern können, dass auch sein Name irgendwann vergessen werden wird.
Ein kunstvoll inszeniertes Sportdrama, fernab aller Klischeefallen und absolut mustergültig für sein Genre.

9/10

Michael Ritchie Wintersport Schnee amour fou Freundschaft New Hollywood


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SATURDAY NIGHT AND SUNDAY MORNING (Karel Reisz/UK 1960)


"Don't let the bastards grind you down!"

Saturday Night And Sunday Morning (Samstagnacht bis Sonntagmorgen) ~ UK 1960
Directed By: Karel Reisz

Für den Jungarbeiter Arthur Seaton (Albert Finney) ist die Woche wohlstrukturiert: Von montags bis freitags geht's in die Fabrik, wo harte Maloche Ehrensache ist, am Samstag heißt es dann rein in den Zwirn und ab in den Pub, zehn bis zwölf Pints hinter die Binde und mit der eigentlich mit seinem Arbeitskollegen Jack (Brtyan Pringle) verheirateten Brenda (Rachel Roberts) in die Kiste. Der Sonntag ist dann zum gemächlichen Ausnüchtern bestimmt, bevor die Mühle am Montag wieder auf Null springt. Als Arthur die ihm deutlich zukommendere Doreen (Shirley Anne Field) kennenlernt, sieht er eine Möglichkeit, die sich ohnehin verkomplizierende Beziehung mit Brenda zu lösen - da eröffnet diese ihm, von ihm schwanger geworden zu sein. Für Arthur ein unhaltbarer Zustand, den er jedoch mittragen muss und der ihn einiges an Lehrgeld kostet.

Another angry young man, soon to be older: Diesmal sehen wir den noch taufrischen Albert Finney als einen Helden der Arbeiterklasse, der seine imposante Energie zum einen der Tatsache verdankt, dass er noch deutlich jünger ist als die meisten seiner Kollegen und zum anderen der unerschütterlichen Kraft der Träume. Für Arthur Seaton steht es außer Frage, dass er sich, wie bereits sein Vater (Frank Pettitt) vor ihm, zeitlebens den Buckel in der Fabrik krummschuften und früher oder später in die kleinbürgerliche Sackgasse des Alltags einfahren wird. Seine unerfreulich verlaufende Affäre mit der verheirateten Brenda grenzt ihn dabei zwar etwas von seinen geregelter dahinvegetierenden Zeitgenossen ab, bewahrt ihn letztlich jedoch auch nicht vor seinem vorgezeichneten Schicksal: Mit der reizenden Doreen naht zugleich das noch uneingelöste Versprechen des familiären Heimathafens. Mit ihr wird Arthur, so rotzig und kregel er sich jetzt auch geben mag, in Kürze eine eigene Familie gründen, in ein eigenes Häuschen ziehen und dereinst genauso enden wie sein Vater vor ihm. Was der Film von Arthur Seaton zeigt, ist vielleicht der letzte außergewöhnliche Ausschnitt seines Lebens, der letzte Rausch. Dann kommt nurmehr der Sonntagskater mit seinem langen, mühseligen Erwachen.

8/10

Karel Reisz Free Cinema Nottingham


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LOOK BACK IN ANGER (Tony Richardson/UK 1959)


"It's no good fooling about with love, you know."

Look Back In Anger (Blick zurück im Zorn) ~ UK 1959
Directed By: Tony Richardson

Jimmy Porter (Richard Burton) verdient sich seinen Lebensunterhalt zusammen mit seinem besten Freund Cliff (Gary Raymond) als Süßwarenverkäufer auf dem Markt. Sein wahres Herz schlägt jedoch für die Jazztrompete, der einzigen Möglichkeit für ihn, seine überbordende Gefühlswelt zu sublimieren. Jimmys Ehe mit der Middle-Class-Tochter Alison (Mary Ure) ähnelt derweil eher einem täglichen Kampf. Als erklärter Misanthrop macht er ihr mit seinen unkontrollierten Verbalattacken das Leben zur Hölle. Die Situation kippt, als Alison erfährt, dass sie ein Kind erwartet und zeitgleich ihre Freundin, die Schauspielerin Helena (Claire Bloom), für die Zeit eines Theater-Engagements in ihrer Wohnung unterkommt. Helena überredet Alison, Jimmy endlich zu verlassen, nur um sich dann selbst in eine halsbrecherische Affäre mit ihm zu stürzen. Am Ende müssen alle drei einsehen, dass sie falsche Entscheidungen getroffen haben.

Als eine Art britisches Pendant zu Tennessee Williams' "A Streetcar Named Desire" observiert John Osbornes Stück die Tücken einer viel zu schnell geschlossenen Ehe-Gemeinschaft, die ihren vorläufigen Bruch erlebt, als ein weiterer, weiblicher Part zwischen ihre verhärteten Fronten tritt. Tony Richardson fertigte daraus das erste bedeutende Werk des 'Free British Cinema' oder auch der Gattung 'Kitchen Sink': Genrelose Dramen, die, analog zur formal wesentlich verspielteren 'Nouvelle Vague' als Aufbruchskino entstanden und in der englischen Variante einen möglichst unverfälschten Blick auf die betont glanzlosen Alltagsexistenzen von Arbeiterfamilien und unzufriedenen Nachwüchslern warfen. Richard Burton zeichnet in der klassischen Rolle des Jimmy Porter, die übersee von Paul Newman oder Marlon Brando übernommen worden wäre, im Prinzip sein gesamtes folgendes Rollen-Repertoire vor. Er gibt hier den intellektuellen Zyniker in Reinform, der aus lauter Zorn über sein engmaschig umdrahtetes Leben zu einem in schäumendem Selbsthass gefangenen Individuum geworden ist, das jeden Tag mindestens ein rhetorisches Explosiönchen über seine Mitmenschen ergießt. Wo in späteren Rollen dann zumeist Resignation und Unterschwelligkeit regieren, leistet Burton sich hier noch den einen oder anderen veritablen Ausbruch. Dass es dabei zumeist seine zarte Ehefrau trifft, liegt in der Natur der Dinge. Dass am Ende die Erkenntnis obsiegt, dass man sich mit dem zu arrangieren hat, was das Leben einem bietet, ebenso. Allein der Weg dorthin macht "Look Back In Anger" so immens involvierend.

8/10

Tony Richardson John Osborne based on play Free Cinema Ehe amour fou Bohéme


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NACHT DER WÖLFE (Rüdiger Nüchtern/BRD 1982)


"Wir müssen mal wieder was bringen."

Nacht der Wölfe ~ BRD 1982
Directed By: Rüdiger Nüchtern

Revierstreitigkeiten zwischen der alteingesessenen Gang der "Revengers" und der sich in ihrem Viertel breitmachenden Türkenbande "Blutige Adler" sorgen dafür, dass sich die Lage besonders für die unstete Daniela (Daniela Obermaier) zuspitzt, die eigentlich nichts mehr so recht mit ihren früheren Freunden, besonders dem akut aggressiven Duke (Karl-Heinz von Liebezeit) zu tun haben möchte und den jüngeren Dogan (Ali Arkadas) von der gegnerischen Seite dafür nicht unsympathisch findet. Schließlich kommt es zum nächtlichen Aufmarsch beider Gruppen, der mit einem unschuldigen Todesopfer endet.

Die meisten Versuche deutscher Filmemacher, jugendliche Subkulturen nicht nur der Früh-und Mittachtziger dramaturgisch in Szene zu setzen, wirken heute stark nostalgisch bis posserlich. Wo die meisten internationalen Regisseure weitaus größere Erfolge verbuchen konnten, bleibt aus hiesigen Breitengraden also eher schmunzeln Machendes. "Nacht der Wölfe" bildet da keine besondere Ausnahme. Nüchterns Film, der mich streckenweise stark an den mir bereits seit anno dunnemals bekannten, jedoch vier Jahre jüngeren "Verlierer" von Bernd Schadewald erinnerte, befremdet bereits etwas durch seine Münchener Vorstadt-Location. Das alles hat viel zu wenig von urbanem Ghetto, um die erwünschte Trostlosigkeit glaubhaft zu machen. Auch der Versuch, die rivalisierenden Gangs mit Ausnahme von Ethnien ("Verlierer" ging in dieser Hinsicht später deutlich weniger demoskopisch vor) einen eindeutigen Stempel aufzudrücken, misslingt gepflegt. Weder sind die "Revengers" Nazi-Skins, noch Heavys, noch Punks noch überhaupt irgendwas Konkretes; mehr so eine gezielt spießbürgerfeindliche Gruppierung, die eigentlich bloß postpubertären Radau zu veranstalten geruht, schlechten Metal-Sound hört und durch dummes Getue auffällt. Für die zumindest wesentlich friedfertigeren Türken gilt ansonsten Ähnliches.
Nüchtern scheitert also zur Gänze darin, eine ernsthafte oder zumindest authentische Vivisektion westdeutscher Teenager-Befindlichkeit jener Ära zu liefern. Zumindest Zeitkolorit und unfreiwilliger Humor jedoch kommen zu keiner Sekunde zu kurz und retten "Nacht der Wölfe" dann doch noch über seine Runden. Die DVD lohnt sich vornehmlich wegen der urigen Extras, darunter ein aktuelles Interview mit dem damaligen Haupt- und Laiendarsteller Ali Arkadas, der die Gelegenheit beim Schopfe packt, Reklame für seinen Lackierbetrieb zu machen und in jedem zweiten Satz betont, "wie schön" es damals war. Funny.

6/10

Rüdiger Nüchtern München Subkultur Teenager Gangs





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Funxton

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