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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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LOOK BACK IN ANGER (Tony Richardson/UK 1959)


"It's no good fooling about with love, you know."

Look Back In Anger (Blick zurück im Zorn) ~ UK 1959
Directed By: Tony Richardson

Jimmy Porter (Richard Burton) verdient sich seinen Lebensunterhalt zusammen mit seinem besten Freund Cliff (Gary Raymond) als Süßwarenverkäufer auf dem Markt. Sein wahres Herz schlägt jedoch für die Jazztrompete, der einzigen Möglichkeit für ihn, seine überbordende Gefühlswelt zu sublimieren. Jimmys Ehe mit der Middle-Class-Tochter Alison (Mary Ure) ähnelt derweil eher einem täglichen Kampf. Als erklärter Misanthrop macht er ihr mit seinen unkontrollierten Verbalattacken das Leben zur Hölle. Die Situation kippt, als Alison erfährt, dass sie ein Kind erwartet und zeitgleich ihre Freundin, die Schauspielerin Helena (Claire Bloom), für die Zeit eines Theater-Engagements in ihrer Wohnung unterkommt. Helena überredet Alison, Jimmy endlich zu verlassen, nur um sich dann selbst in eine halsbrecherische Affäre mit ihm zu stürzen. Am Ende müssen alle drei einsehen, dass sie falsche Entscheidungen getroffen haben.

Als eine Art britisches Pendant zu Tennessee Williams' "A Streetcar Named Desire" observiert John Osbornes Stück die Tücken einer viel zu schnell geschlossenen Ehe-Gemeinschaft, die ihren vorläufigen Bruch erlebt, als ein weiterer, weiblicher Part zwischen ihre verhärteten Fronten tritt. Tony Richardson fertigte daraus das erste bedeutende Werk des 'Free British Cinema' oder auch der Gattung 'Kitchen Sink': Genrelose Dramen, die, analog zur formal wesentlich verspielteren 'Nouvelle Vague' als Aufbruchskino entstanden und in der englischen Variante einen möglichst unverfälschten Blick auf die betont glanzlosen Alltagsexistenzen von Arbeiterfamilien und unzufriedenen Nachwüchslern warfen. Richard Burton zeichnet in der klassischen Rolle des Jimmy Porter, die übersee von Paul Newman oder Marlon Brando übernommen worden wäre, im Prinzip sein gesamtes folgendes Rollen-Repertoire vor. Er gibt hier den intellektuellen Zyniker in Reinform, der aus lauter Zorn über sein engmaschig umdrahtetes Leben zu einem in schäumendem Selbsthass gefangenen Individuum geworden ist, das jeden Tag mindestens ein rhetorisches Explosiönchen über seine Mitmenschen ergießt. Wo in späteren Rollen dann zumeist Resignation und Unterschwelligkeit regieren, leistet Burton sich hier noch den einen oder anderen veritablen Ausbruch. Dass es dabei zumeist seine zarte Ehefrau trifft, liegt in der Natur der Dinge. Dass am Ende die Erkenntnis obsiegt, dass man sich mit dem zu arrangieren hat, was das Leben einem bietet, ebenso. Allein der Weg dorthin macht "Look Back In Anger" so immens involvierend.

8/10

Tony Richardson John Osborne based on play Free Cinema Ehe amour fou Bohéme


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NACHT DER WÖLFE (Rüdiger Nüchtern/BRD 1982)


"Wir müssen mal wieder was bringen."

Nacht der Wölfe ~ BRD 1982
Directed By: Rüdiger Nüchtern

Revierstreitigkeiten zwischen der alteingesessenen Gang der "Revengers" und der sich in ihrem Viertel breitmachenden Türkenbande "Blutige Adler" sorgen dafür, dass sich die Lage besonders für die unstete Daniela (Daniela Obermaier) zuspitzt, die eigentlich nichts mehr so recht mit ihren früheren Freunden, besonders dem akut aggressiven Duke (Karl-Heinz von Liebezeit) zu tun haben möchte und den jüngeren Dogan (Ali Arkadas) von der gegnerischen Seite dafür nicht unsympathisch findet. Schließlich kommt es zum nächtlichen Aufmarsch beider Gruppen, der mit einem unschuldigen Todesopfer endet.

Die meisten Versuche deutscher Filmemacher, jugendliche Subkulturen nicht nur der Früh-und Mittachtziger dramaturgisch in Szene zu setzen, wirken heute stark nostalgisch bis posserlich. Wo die meisten internationalen Regisseure weitaus größere Erfolge verbuchen konnten, bleibt aus hiesigen Breitengraden also eher schmunzeln Machendes. "Nacht der Wölfe" bildet da keine besondere Ausnahme. Nüchterns Film, der mich streckenweise stark an den mir bereits seit anno dunnemals bekannten, jedoch vier Jahre jüngeren "Verlierer" von Bernd Schadewald erinnerte, befremdet bereits etwas durch seine Münchener Vorstadt-Location. Das alles hat viel zu wenig von urbanem Ghetto, um die erwünschte Trostlosigkeit glaubhaft zu machen. Auch der Versuch, die rivalisierenden Gangs mit Ausnahme von Ethnien ("Verlierer" ging in dieser Hinsicht später deutlich weniger demoskopisch vor) einen eindeutigen Stempel aufzudrücken, misslingt gepflegt. Weder sind die "Revengers" Nazi-Skins, noch Heavys, noch Punks noch überhaupt irgendwas Konkretes; mehr so eine gezielt spießbürgerfeindliche Gruppierung, die eigentlich bloß postpubertären Radau zu veranstalten geruht, schlechten Metal-Sound hört und durch dummes Getue auffällt. Für die zumindest wesentlich friedfertigeren Türken gilt ansonsten Ähnliches.
Nüchtern scheitert also zur Gänze darin, eine ernsthafte oder zumindest authentische Vivisektion westdeutscher Teenager-Befindlichkeit jener Ära zu liefern. Zumindest Zeitkolorit und unfreiwilliger Humor jedoch kommen zu keiner Sekunde zu kurz und retten "Nacht der Wölfe" dann doch noch über seine Runden. Die DVD lohnt sich vornehmlich wegen der urigen Extras, darunter ein aktuelles Interview mit dem damaligen Haupt- und Laiendarsteller Ali Arkadas, der die Gelegenheit beim Schopfe packt, Reklame für seinen Lackierbetrieb zu machen und in jedem zweiten Satz betont, "wie schön" es damals war. Funny.

6/10

Rüdiger Nüchtern München Subkultur Teenager Gangs


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THE SACRAMENT (Ti West/USA 2013)


"I ain't goin' to heaven..."

The Sacrament ~ USA 2013
Directed By: Ti West

Die drei Dokumentaristen Patrick (Kentucker Audley), Sam (AJ Bowen) und Jake (Joe Swanberg) spüren einer geheimnisvollen Sekte nach, in der Patricks vormals drogensüchtige Schwester Caroline (Amy Seimetz) ein neues Leben begonnen hat. Die religiöse Gemeinde hat ein Hauptquartier jenseits der US-Grenzen, versteckt im Dschungel, die ausschließlich per Hubschrauber zu erreichen ist. Es gelingt dem Trio, eine Einladung nach "Eden Parish", wie sich das Sektendorf nennt, zu erhalten. Bereits der Empfang mit stark bewaffneten Wächtern macht einen wenig positiven Eindruck auf die drei jungen Männer, doch der bald auftauchenden Caroline gelingt es, sie zu beschwichtigen. Zudem machen die Bewohner des Camps einen überaus zufriedenen, ausgeglichenen Eindruck. Das bald stattfindende Interview mt dem charismatischen Sektenführer "Vater" (Gene Jones) gestaltet sich als das erwartungsgemäße Gespräch mit einem psychologisch wie rhetorisch gebildeten Mann, der kritische Fragen betreffs der Finanzierung seiner Sache oder möglicher Aussteiger geschickt herunterspielt oder abwälzt. Tatsächlich wurden die meisten der Sektierer einer Gehirnwäche unterzogen, mussten Folterungen erdulden und werden, so sie sich nicht Vaters Anweisungen fügen, hier festgehalten. Als Patrick, Sam und Jake die Wahrheit offenlegen, kommt es zur Katastrophe.

Nach dem von mir als sehr enttäuschend empfundenen "The Innkeepers" vollzieht Ti West mit "The Sacrament" wieder einen deutlichen Schritt nach vorn. Zwar ist seine Sekten-Observation im Prinzip alles andere als originell, doch vermag West es darin ein beträchtliches Maß an Atmosphäre, die von nachhaltiger Bedrohlichkeit und einigen Parallelen zum klassischen Genrekino geprägt ist, zu kreieren. "The Sacrament" bleibt über seine gesamte Distanz durchweg interessant und es gelingt ihm, seine unterschwellige Angststimmung konsequent zu schüren. Dabei ist der Kollektiv-Selbstmord einer radikalchristlichen Sekte, deren Führerfigur mit Personenkult, Abschottung, Autarkie-Illusionen und Suggestionen arbeitet ein ganz alter Hut in Film und Realität. Die Figur des "Father" und auch seines Ordens orientiert sich unzweideutig an dem realen Jim Jones und seiner Sekte "People's Temple", die sich im November 1978 infolge politischen Drucks durch einen von Jones befohlenen Massensuizid ein Ende setzte. In "The Sacrament" sind es allerdings nicht Menschenrechtswächter, sondern die heute noch omnipotenteren Massenmedien, die Father den entscheidenden Tiefschlag versetzen. Sein auf Gerechtigkeit und Philanthropie fußendes Moralkonstrukt bekommt starke Risse, als eine Mutter (Kate Lyn Sheil) die letzte Fluchtmöglichkeit für ihre bereits schwer bestörte, kleine Tochter (Talia Dobbins) wittert und den Reportern gegenüber unbequeme Wahrheiten ans Tageslicht bringt. Damit ist der Traum "Eden Parish" ausgeträumt und wer seinen Zyanid-Shake nicht freiwillig schluckt, wird abgeknallt. Father erweist sich derweil als ein seinem utopistischen Wahn verfallener, koksschnupfender Späthippie, dessen Konzept von Lieben und Friede mit sich durchsetzender Waffengewalt von Anfang an völlig verlogen war.
Dass West seinem Mockumentary-Stil nicht immer sicher sicher nachgeht und hier und da formale Brechungen in Kauf nimmt, um seinem Film über die eine oder andere Hürde zu hieven, sei ihm angesichts des mitreißenden Resultats verziehen. So kann es gern weitergehen.

7/10

Ti West Sekte Bruder & Schwester embedded filming Eli Roth


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PELLE EROBREREN (Bille August/DK, S 1987)


Zitat entfällt.

Pelle Erobreren (Pelle, der Eroberer) ~ DK/S 1987
Directed By: Bille August

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Nach dem Tod seiner Frau emigriert der alternde schwedische Landarbeiter Lasse Karlsson (Max von Sydow) mit seinem achtjährigen Sohn Pelle (Pelle Hvengaard) ins verheißungsvolle Dänemark. Dort verspricht sich der bildungsferne Alte sein kleines Glück: ein geregeltes Auskommen, eine neue Ehefrau und eine Zukunft für den geliebten Jungen. Auf Bornholm finden die beiden eine Anstellung auf dem Steinhof des Grundbesitzers Kongstrup (Axel Stroybø). Der überlässt die Schindereien und Kleinmachereien seiner Knechtschaft dem garstigen Verwalter (Erik Paaske). In den folgenden zweieinhalb Jahren lernt Pelle viel über das Gefälle zwischen den Ständen, über Bigotterie, Aubeutertum und die Verlogenheit der Oberklasse. Schließlich macht er den Traum des kämpferischen Vorarbeiters Erik (Bjørn Granath) wahr und macht sich auf nach Amerika.

In seinem pompösen Sittengemälde konzentriert sich Bille August auf die frühen Lehrjahre des Protagonisten Pelle Karlsson, der in Martin Andersen Nexøs deutlich weitläufigerem Romanzyklus, in dem Pelle als junger Mann weiter nach Kopenhagen zieht und dort im Laufe der Jahre zu einem Helden der unterdrückten Arbeiterklasse wird. Das Filmende kommt indes deutlich märchenhafter daher, wenngleich im Rahmen der Transponierung nicht unpassender: Pelle schafft es, sich dem sackgassenhaften Knechtschicksal, das sein zunehmend entkräfteter Vater längst für sich akzeptiert hat, zu entfliehen und nach neuen Ufern zu suchen. Ob er diese nun mittelfristig im lobgepriesenen Amerika oder im deutlich näher gelegenen Sjælland finden mag, ist für das Ende des Films zunächst unerheblich; wichtig ist der Emanzipationsgedanke. Pelle erreicht dieses frühe Ziel durch Bildung, die sich sowohl durch althergebrachte schulische und katechistische wie auch eine gehöroge Portion Autodidaktik vollzieht. Pelle lernt, die Menschen zu beobachten und einzuschätzen; wie sie bereit sind, sich für einen Hungerlohn und einen Hering zu verkaufen und demütigen zu lassen und dass es nur wenige gibt, die die innere Kraft zum Aufbegehren gegen den althergebrachten Status aufbringen. Über allem schwebt stets der bedrohliche Geist der "Obrigkeit", die Pelle in Form eilends herbeigerufener Uniformierter nebst geschlossener Droschke wahrnimmt, die jene abholen, die sich in irgendeiner Form schuldig gemacht haben. Wie die unglückliche Magd Anna (Kristina Törnqvist), die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht und getötet hat. Andere kommen glimpflicher davon, so Frau Kongstrup (Astrid Villaume), die ihren Gatten, nachdem dieser die minderjährige Nichte Sine (Sofie Gråbøl) geschwängert hat, kurzerhand kastriert. So etwas fällt dann unter großfamiliären "Unfällen". Pelles eigentliches Vorbild, der zum revolutionären Gestus neigende Erik, fällt eines Tages, bevor er sich zur längst fälligen Aktion aufraffen kann, einem beklagenswerten Unfall zum Opfer: Ein Steinklotz raubt ihm Hirn, Verstand und Rebellionswillen. Erik wird zur geistlosen, lobotomierten Hülle. Doch Pelle vergisst dessen Versprechen, dereinst mit ihm die Welt zu bereisen, nicht und macht sich schlussendlich allein auf den Weg.
Weltgeschichte durch die unbefleckten Augen eines Kindes - oder Simplicissimus - zu betrachten, liefert häufig eine segensreiche Erzählperspektive in Literatur und Film. "Pelle Erobreren" macht da keine Ausnahme. Ein Film, für den man sich ob seiner doch recht intensiven Emotionalität (auf deren Klaviatur August ja stets vortrefflich zu spielen versteht) mit gutem Mut wappnen mag, der jedoch sein Publikum geradezu fürstlich entlohnt.

9/10

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MAD CITY (Constantin Costa-Gavras/USA 1997)


"A line has been crossed."

Mad City ~ USA 1997
Directed By: Constantin Costa-Gavras

Ausgerechnet der als sensationsgieriger Enthüllungsjournalist berüchtigte Max Brackett (Dustin Hoffman) ist zugegen, als der gefeuerte Sicherheitsmann Sam Baily (John Travolta) mit Schrotflinte und Dynamit seinen früheren Arbeitsplatz, das städtische Museum, betritt und eine zufällig vor Ort befindliche Schulklasse als Geiseln nimmt. Brackett wittert sofort großes Nachrichtenentertainment und lenkt von Anfang an die Aktionen des leicht unterbelichteten Kidnappers in seine gewünschte Richtung. Doch nicht nur Brackett, auch sein Sender und das bald heranrückende FBI manipulieren Bailey mal mehr, mal weniger, provozieren sein verlängertes Ausharren im Museum und beeinflussen die öffentliche Meinung.

Dass "gut gemeint" in aller Regel das Gegenteil von "gut" darstellt, lässt sich anhand Costa-Gavras' bis dato letzter Hollywood-Produktion "Mad City" zumindest ansätzlich klar verifizieren. So eine Massenmediensatire hier und da ist ja eigentlich nie verkehrt und erreicht grundsätzlich ihre Adressaten (in der Regel nämlich die, die sich ohnehin weitgehend "medienkompetent" schimpfen). Mit Dustin Hoffman befindet sich ein garantiert brillanter Schauspieler an Bord, mit John Travolta zumindest einer, der etwas Kohle in die Kassen holt. Dennoch enthebt all das "Mad City" nicht seines penetranten Reißbrett-Charakters, der seines Regisseurs vermittels dieser einfach gestrickten Art der Darbietung, die sicherlich bereits infolge oberflächlicher Script-Lektüre absehbar war, weder würdig ist noch ihn überhaupt sonderlich gereizt haben sollte. Vermutlich ging es in diesem Falle auch einfach mal um einen ausgedehnten Sommerurlaub. Ist ja auch okay. Man kann nicht permanent große Würfe vollziehen und wird schließlich auch abgeklärter mit dem Alter. Dann möge man als Urheber aber bitte auch Verständnis für die entsprechenden Reaktionen aufbringen: "Mad City" lässt sich über weite Strecken anschauen, ohne dass er allzu heftige Koliken verursachte, vermeidet es aber ebenso penibel, Wagnisse jedweder Art einzugehen; sei es in gedanklicher oder auch nur in inszenatorischer Hinsicht. Für Costa-Gavras' Œuvre stellt "Mad City" keine ausgesprochene Schande dar, aber er würde darin auch nicht wirklich vermisst werden.
Als Travolta als Sam Baily in letzter, sympathiebekundender Regung gegenüber Brackett dazu ansetzt, ihm, wie es in "Face/Off" ja sein "Erkennungszeichen" war, freundschaftlich mit der Handfläche übers Gesicht zu fahren, musste ich heuer allerdings beinahe speien. Der Typ kann einfach nicht anders, als den Großkotz zu markieren, selbst wenn er bloß einen verblödeten Trottel spielen soll.

5/10

Constantin Costa-Gavras Journalismus Fernsehen Satire Kidnapping Museum Kleinstadt Kalifornien


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MY BODYGUARD (Tony Bill/USA 1980)


"Welcome to your sophomore year."

My Bodyguard (Die Schulhofratten von Chicago) ~ USA 1980
Directed By: Tony Bill

Clifford Peache (Chris Makepeace) ist 15 und führt ein eher untypisces Teenagerleben. Sein Vater (Martin Mull) ist Manager eines renommierten Chicagoer-Hotels und Witwer. Dafür vervollständigt Cliffords quirlige Oma (Ruth Gordon), die hinter Drinks und Männern her ist, wie der Teufel hinter der armen Seele, das funktionale Generationen-Trio. Gerade hat Clifford von einer Privatschule auf die ordinäre High School gewechselt und muss gleich mit den lokalen Bullys Bekanntschaft schließen, allen voran mit dem öligen Moody (Matt Dillon), der die Jüngeren um ihr Essensgeld erpresst. Doch da ist noch der hünenhafte Ricky Linderman (Adam Baldwin), der zwar kaum den Mund auftut, über den aber diverse schlimme Gerüchte kursieren. Clifford macht Ricky kurzerhand zu seinem persönlichen Bodyguard gegen Moody, ohne zu ahnen, dass Ricky zwar imposant auftritt, körperliche Gewalt jedoch in Wahrheit zutiefst verabscheut...

Eine wahrlich schöne "Coming-of-Age"-Komödie ist Tony Bill da mit seinem Regiedebüt aus den Fingern geflossen; ein feiner Chicago-Film noch nebenbei und ein glaubwürdig zeitangebundenes Schulporträt. Im Zentrum von "My Bodyguard" steht natürlich die Freundschaft zwischen den höchst unterschiedlichen Jungs Clifford und Ricky, die zwar etwa gleichaltrig sind, jedoch bereits physisch höchst unterschiedlich geartet. Ein entsprechend großes Missverständnis legt den Grundstein für ihre Beziehung: Wie alle anderen hält Clifford Ricky, den eine Menge phantastischer Anekdoten umwabern, zunächst für einen Massenmörder in Schülergestalt. Doch weit gefehlt: Hinter dem so gewaltigen Äußeren Rickys steckt ein sensibler, einsamer Junge mit einem gewaltigen Schuldkomplex, der in höchster Angst davor lebt, jemand anderen verletzen zu können.
Wie in den meisten halbwegs gescheiten Jugendgeschichten geht es folglich auch hier darum, sich von falschen Rollenerwartungen freizustrampeln, sprich: einen elementaren Schritt in Richtung Erwachsensein zu vollziehen. Tony Bill und vor allem der Autor Allan Ormsby bewältigen dies mit aller nötigen Sensibilität und Figuren-Empathie, was auch für die vielen, bunt gezeichneten Randfiguren ihrer Erzählung gilt.
Witzig in diesem Zusammenhang einmal mehr die deutsche Marketing-Strategie, die den Film wohl als hartes Ghettodrama im Stile von "The Warriors" und Ähnlichem zu verkaufen trachtete. Da wird manch einer blöd geguckt haben.

8/10

Tony Bill Chicago Familie Freundschaft Schule Hotel Coming of Age


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BABY BOY (John Singleton/USA 2001)


"I don't wanna reach the gates and Jesus be like: 'Turn yo ass around nigga.'"

Baby Boy ~ USA 2001
Directed By: John Singleton

Joseph (Tyrese Gibson) lebt in South Central L.A., ist um die 20, arbeitslos, bildungsarm, hat zwei kleine Kinder mit zwei verschiedenen Müttern, Yvette (Taraji P. Henson) und Peanut (Tamara LaSeon Bass) und lebt noch bei seiner Mutter Juanita (A.J. Johnson). Seine Beziehung zu leidet regelmäßig darunter, dass Joseph weder seine Ma loslassen noch ein eigenverantwortliches Leben führen kann. Die Situation spitzt sich für Josepoh gleich von zwei Seiten her zu, als Juanita mit dem bulligen Melvin (Ving Rhames) einen neuen Liebhaber mit nach Hause bringt und Yvettes extrem soziopathischer Exfreund Rodney (Snoop Dogg) aus dem Knast entlassen wird...

In streng objektiver Hinsicht ist "Baby Boy" vielleicht John Singletons reifster Film als Autor und zudem der bis dato letzte, den er nicht als Auftragsfilmer inszeniert hat. "Baby Boy" beschließt nach "Boyz N The Hood" und "Poetic Justice" ferner Singletons inoffizielle South-Central-Trilogie, in der er in einer jeweils spezifisch gewichteten Mischung aus biographischen Impressionen und pädagogischer Ambition das Leben der hiesigen Afroamerikaner abbildet. "Baby Boy" versteht sich in diesem Zusammenhang weniger als Lehrstunde in Sachen mentaler Renovierung, sondern zeigt mit gleichermaßen höchst subtiler Ironie und großartiger Wahrhaftigkeit die Unfähigkeit vieler junger Männer, sich trotz diverser guter Voraussetzungen von ihrer verquasten Imagepflege loszukommen und existenzielle Verantwortung zu übernehmen. Im Falles Josephs geht die (durch das rahmende, wunderbar illustrierte, symbolische Bild des erwachsenen Titelhelden in einem schützenden Uterus) Lebensinkompetenz sogar so weit, dass für ihn seine Mutter nach wie vor eine Art Schutzmatrone ist, zu der sich die - einseitig pathologische - Beziehung zeitlebens nicht gewandelt hat. Auch ist Joseph längst nicht der harte Knochen, der er gern wäre; er fährt die Kiste seiner Freundin und muss, selbige entzogen, mit einem Fahrrad durch die Straßen zockeln. Er lässt sich von ein paar Halbstarken abspeisen und hat seiner großen Klappe zum Trotze höllische Angst vor seinen beiden Widersachern. Die Art und Weise, wie Singleton hier Dekonstruktion fehlgeleiteter Männlichkeitsschemata betreibt und damit dann doch noch kostenlose Lektionen in Sachen Erweckungsbedarf liefert, kann man durchaus als grenzgenialisch bezeichnen.

8/10

John Singleton Los Angeles ethnics Mutter & Sohn Coming of Age


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HIGHER LEARNING (John Singleton/USA 1995)


"Without struggle, there is no progress."

Higher Learning ~ USA 1995
Directed By: John Singleton

Auf einige Erstsemester wartet eine harter Einstieg am kalifornischen 'Columbus-College': Kristen (Kristy Swanson) bekommt kaum finanzielle Unterstützung von daheim. Nach einer feucht-fröhlichen Party wird sie von dem aufdringlichen Billy (Jay Ferguson) halb vergewaltigt und kann in letzter Sekunde entkommen. Sie trifft die emanzipatorische Vordenkerin Taryn (Jennifer Connelly) und verliebt sich in sie. Doch auch zu James (Trevor St. John) fühlt sie sich hingezogen.
Malik (Omar Epps) wähnt sich als farbiger Student gleich von vornherein hoffnungslos benachteiligt und notorisch unterprivilegiert. Darin bestärkt ihn vor allem der Langzeitstudent und Aktivist Fudge (Ice Cube), für den weiße Vormachtsstellung, Repression und Ausbeutung einhergehen. Malik findet seinen schlimmsten Feind schließlich in dem unsicheren Remy (Michael Rapaport), der als Sonderling keinen Anschluss findet und sich infolge seiner Einsamkeit schließlich zum labilen Neonazi wandelt, dessen Wut sich in offener Gewalt entlädt...

Was ich auteur John Singleton neulich noch betreffs "Boyz N The Hood" zugute hielt, nämlich seine gleichermaßen treffsichere wie unbestechliche didaktische Grundhaltung, gerät in seinem Drittwerk "Higher Learning" leider etwas zur Manier. Auch dieser Film wird von einem pointiert formulierten Imperativ geschlossen: "Unlearn!" heißt es da, womit nicht etwa eine forcierte Bildungslobotomie gemeint ist, sondern das Sich-Entledigen rassistischer, glaubenspraktischer und sexueller Phobien, wie sie das Resultat generationenlanger Vorprägung sind. Tatsächlich sollte man meinen, dass junge Menschen, die einmal den Campus geentert haben, weit über solchen verkniesten Vorurteilsschemata stehen, aber Singleton geht es in "Higher Learning" ja gerade darum, unperfekte Zustände zu veranschaulichen. Und solche bedürfen wohl rigoros tendenziös gezeichneter Klischeefiguren. Ice Cube könnte, etwas Phantasie vorausgesetzt, eine etwas ältere Version von Tre Styles aus "Boyz N The Hood" darstellen: Deutlich abgeklärter und härter als ehedem, aber mit einem ähnlich klaren sozialgeprägten und bildungstheoretischem Background versehen. Laurence Fishburne als erzliberaler Politologe Professor Phipps spielt im Prinzip seine Rolle des Furious Styles aufs Neue, diesmal bloß mit Brille, Fliege, Jackett und Vollbart versehen. Phipps erinnert darüber hinaus doch sehr an den wunderbaren James Earl Jones in "Soul Man": Eine integre, harte Autoritätsperson, die weiß, was soziale Benachteiligung bedeutet und daher besonders auf Schmarotzer und sich anbiedernde Günstlinge schlecht zu sprechen ist. Übers Ziel hinaus aber schießt Singleton eindeutig in der einfältigen Zeichnung des im Blitztempo vom Bauerntölpel zum Neofaschisten umerzogenen Remy. Wenngleich Michael Rapaport neben Omar Epps vermutlich die signifikanteste darstellerische Leistung des Films darbietet, strotzt seine Figur und ihre Genese nur so vor naiven bis üblen Klischees. Hieran scheitert selbst mein ansonsten wirklich ausgeprägter good will - ein gewisser Latenz-Alltags-Rassismus hätte bestimmt zu Remy gepasst, aber dass er gleich "Mein Kampf" lesen, Springerstiefel tragen und sich den Kopf kahl scheren muss, weil er einem ideologischen Rattenfänger (Cole Hauser) in die Fänge geraten ist - no go.
So bleibt ein alles in allem ehrenwerter Film mit einigen doch unauswetzbaren Scharten, der zudem keinem Vergleich mit Singletons kraftvollem Debüt standhält.

6/10

John Singleton College Rassismus Neo-Nazis ethnics Bisexualität Vergewaltigung Los Angeles Amok Coming of Age


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BOYZ N THE HOOD (John Singleton/USA 1991)


"Man your pops is like, mothafuckin, Malcolm... Farrakhan."

Boyz N The Hood ~ USA 1991
Directed By: John Singleton

South Central Los Angeles, 1984. Schon als Kind kommt der intelligente, aber nicht minder renitente Tre Styles (Desi Arnez Hines II) zu seinem Vater Furious (Laurence Fishburne), einem strengen, selbstbewussten Mann, der seinem Sohn zwar Freiräume lässt, ihm aber auch kluge Lebensweisheiten vermittelt. Sieben Jahre später steht Tre kurz davor, das College zu besuchen, um Betriebswirtschaft zu studieren. Sein gleichaltriger, bester Freund und Nachbar Ricky (Morris Chestnut), bereits Vater eines kleinen Sohnes, bekommt ein Stipendium. Rickys Bruder Doughboy (Ice Cube) indes wandert bereits durch die Drehtüren der Gefängnisse, dealt Crack und hängt den ganzen Tag nur ab, ebenso wie die meisten anderen Kids im Viertel. Von der Polizei, die mit Verachtung und Desinteresse die verwahrlosenden Straßen bepatrouilliert, ist keine Unterstützung zu erwarten und jede falsche Geste in benachbarten Stadtteilen kann einen Kleinkrieg hervorrufen. Als Ricky wegen einer Lappalie von einer gegnerischen Gang erschossen wird, steht Tre vor der Entscheidung, zusammen mit Doughboy und den anderen den Tod des Freundes zu vergelten oder der Gewalt ein für allemal abzuschwören.

Vor allem in zweierlei Hinsicht ist "Boyz N The Hood", ein monolithisches, noch immer zutiefst mitreißendes Werk, das für eine Studioproduktion seiner Entstehungszeit ungewöhnlich wagemutig daherkommt, bemerkenswert: Er stellt vermutlich nicht nur einen der besten Debütfilme überhaupt dar, sondern ist noch dazu einer der wenigen Filme, die man um ihre kompromisslos-offensive didaktische Haltung bewundern muss, wo ansonsten meist Aufdringlichkeit, Klischee und Sujetfremde walten.
Singletons folienhaft anmutendes Figurenkaleidoskop hält zwischen seinen zwei Hauptpolen eine stattliche Bandbreite afroamarikanischer Befindlichkeit bereit, die erschreckenderweise kaum an Aktualität eingebüßt hat. Es gibt zum einen den autodidaktisch geprägten, schwarzen Intellekt des Furious - nomen est omen - Styles: Ein Produkt seines sozialen Umfelds zwar und aufgrund seiner muslimischen Wertmaßstäbe kein ultimatives Vorbild, ein Mann jedoch immerhin, der die gezielten Benachteiligungsstrukturen der Ära Reagan/Bush bedingungslos durchschaut und mit friedlichen Mitteln gegen sie ankämpft. Ihm Gegenüber Doughboy, der urbane Albtraum mit Automatik in Griffweite: Bildungsfern, gewaltbereit, misogyn, in seinem privaten Mikrokosmos aus drei Blocks gefangen, in denen Armut, Alkohol, Drogen, Fernsehrealitäten, das dickste Auto und die größte Klappe regieren. Man vergleiche hernach den nunmehr 23 Jahre alten "Boyz N The Hood" mit der Gegenwart und dann einen thematisch auch nur halbwegs ähnlich angelegten Film (findet man den überaupt?) von 1968 mit "Boyz N The Hood": Der Unterschied im Hinblick auf die zeitbedingte Realitätsabbildung zwischen damals und jetzt und damals und damals muss zwangsläufig gewaltig und erschreckend ausfallen.
Natürlich ist "Boyz N The Hood" auch ein zutiefst wütender Film, ansonsten wäre er ja kaum glaubwürdig. Im Gegensatz zu seinem - keineswegs weniger bewegenden, jedoch bitter-resignierenden - Quasi-Nachfolger "Menace II Society" verzichtet Singleton nicht auf eine klar formulierte Botschaft: "Increase The Peace!" heißt es am Ende, das einen nunmehr endgültig erwachsen gewordenen Tre zeigt, der begriffen hat, was wahre Stärke und Kraft bedeuten. Und anders als Doughboy, für den es längst zu spät ist, und dessen Konturen sich passend zur schriftlichen Information, dass auch er in zwei Wochen der Gewalt zum Opfer fallen wird, auflösen. Eine derart aufrichtig und intensiv auf der Leinwand formulierte Mischung aus Traurigkeit und Hoffnung bildet bis heute und wahrscheinlich auf ewig eine Rarität.

9/10

John Singleton Los Angeles ethnics Slum Coming of Age Freundschaft Vater & Sohn


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TO SIR, WITH LOVE (James Clavell/UK 1967)


"If you apologize because you are afraid, then you're a child, not a man."

To Sir, With Love (Herausgefordert) ~ UK 1967
Directed By: James Clavell

Der ausgebildete Ingenieur Mark Thackeray (Sidney Poitier) nimmt aus finanzieller Not einen Job als Lehrer an der North Quay Secondary School im Londoner East End an. Pädagogisch völlig unerfahren, dafür in Lebensdingen und Existenzfragen höchst bewandert, stößt Mark auf eine Klasse pubertierender Rotzgören, die den baldigen Schulabschluss lediglih benötigen, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen oder arbeiten zu gehen, sich jedoch einen Kehrricht um Bildung und Sozialität scheren. Zunächst der Verzweiflung nahe, gelingt es Mark binnen der nächsten Woche, trotz immer wieder auftretender Probleme mit Authentizität, Aufrichtigkeit gerechter Strenge und lebensweltlich gefärbtem Unterricht das unbedingte Vertrauen seiner Klasse, den tiefen Respekt der Elternschaft und sogar die Bewunderung seines bereits teilresigniertem Kollegiums zu erringen. Als sich ihm zum Schuljahresende schließlich eine lang ersehnte Stelle als Techniker darbietet, muss Mark eine Entscheidung treffen, wie es weitergehen soll...

Wunderbarer, zutiefst humanistischer Film, der trotz seiner mittlerweile fast fünfzig Jahre auf dem Buckel noch immer ganz viel Wahrheit enthält und einem jedem Lehrer, der seinen Beruf noch liebt, wie Balsam die Seele herunterläuft.
Mark Thackeray, gespielt von einem phantastischen Sidney Poitier, der zwölf Jahre nach "The Blackboard Jungle" die Bankseite gewechselt hat, personifiziert das, was wir alle sein wollen in höchster professioneller Reinkultur. Besonnen, klug, stark, aufrecht, kultiviert ist er; eine fast symbolisch gezeichnete Leitfigur. Wie er es schafft, die aus schwierigen Verhältnissen stammenden Kids bis zum Letzten auf seine Seite zu ziehen, das hat hier und da natürlich etwas Utopisches, verdeutlicht jedoch unser aller großes Wunschziel, am Ende eine Truppe aufrecht gehender Menschen, die man durchweg positiv geprägt hat, ins Leben zu entlassen.
Natürlich sind auch defätistisch gefärbte Filme zum Sujet wie "Class Of 1984", "One Eight Seven" oder zuletzt der nachhaltig erschütternde "Detachment" mit ihrem harten, teils krassen, illusionslosen Naturalismus von außerordentlicher Wichtigkeit, aber ist Konstruktives, Aufbauendes, meinethalben auch gepflegt Romantisierendes wie Clavells schönes Werk nicht manchmal ebenso weltbewegend? Ich meine, ganz bestimmt.
Prädikat: unendlich wertvoll.

10/10

James Clavell London Schule Lehrer Slum





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