Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

THE MAN WHO KNEW TOO MUCH (Alfred Hitchcock/USA 1956)


"I don't take risks."

The Man Who Knew Too Much (Der Mann, der zuviel wusste) ~ USA 1956
Directed By: Alfred Hitchcock


In Marrakesch wird die amerikanische Touristenfamilie McKenna Zeuge eines Mordes. Das Opfer, einen Franzosen namens Louis Bernard (Daniel Gélin), hatten die McKennas bereits tags zuvor kennengelernt. Bernard kann Dr. McKenna (James Stewart) gerade noch eine Nachricht überliefern, bevor er stirbt. Ebenjene wird der Familie jedoch zum Verhängnis: Ihr kleiner Junge Hank (Christopher Olsen) wird entführt und weder Dr. McKenna noch seine Frau Jo (Doris Day) können die Behörden informieren oder um Hilfe fragen, bis der Plan der Verschwörer, einen Premierminister in London zu ermorden, durchgeführt worden ist. Doch die McKennas geben nicht auf.

"Ein einzelner Schlag der Becken und wie er das Leben einer amerikanischen Familie erschütterte" steht nach der Regisseursangabe der Titelsequenz dieses Remakes in eigener Sache zu lesen. Der Geschichtenerzähler macht Ankündigungen, genau wie im nächsten Film auch wieder. Hitchcock sagte zu Truffaut, die erste Fassung des Films sei die Arbeit eines talentierten Amateurs gewesen, die zweite hingegen die eine Profis. Nicht ganz unwahr, denn obschon die Erstversion, schon allein aufgrund der Mitwirkung von Peter Lorre, sicherlich bemerkenswert ist, lässt erst die Neuverfilmung die Virtuosität und scheinbare Lässigkeit durchschimmern, die Hitch sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte hat aneignen können. Bei aller Dramatik und Spannung bleibt, genau wie im Original, stets etwas Zeit für gepflegten Humor, ansonsten überträgt sich mit der Entführung des Jungen die Nervosität der McKennas unmittelbar auf den Zuschauer und lässt bis zum Ende nicht mehr von ihm ab.
In kleinen, bis heute nicht hinreichend gewürdigten Rollen sind Richard Wordsworth, der im Jahr zuvor den armen, mutierenden Astronauten in "The Quatermass Experiment" spielte und natürlich der große, stets diabolische Reggie Nalder als sogar nominell nihilistischer Attentäter Rien (was ins Deutsche übersetzt "Nichts" bedeutet) zu sehen.

9/10

Kidnapping London Remake Marokko Alfred Hitchcock Verschwoerung


Foto

SABOTEUR (Alfred Hitchcock/USA 1942)


"He pays the penalty that the noble must pay in this world: he's misjudged by everyone."

Saboteur (Saboteure) ~ USA 1942
Directed By: Alfred Hitchcock

Der Flugzeugmechaniker Barry Kane (Robert Cummings) wird fälschlich eines Sabotageakts verdächtigt, bei dem sein bester Freund (Virgil Summers) das Leben lassen musste. Kane glaubt jedoch, den wahren Täter zu kennen und nimmt, von der Polizei verfolgt, dessen Spur Richtung Osten auf. Unterwegs lernt Kane das Fotomodel Patricia (Priscilla Lane) kennen und kann sie schließlich von seiner Unschuld überzeugen. Eine weitere Aktion der Terroristen kann Barry noch verhindern, doch in New York wird bereits der nächste Anschlag geplant.

Hitchcocks erster Film für die Universal, in dessen Vorspann er sich noch als "Leihgabe" von Selznick titulieren lassen muss, markiert den Auftakt einer Kooperation voller Höhepunkte und vereint darüberhinaus all jene Qualitäten, für die der Meister bis heute so berühmt ist. Eine schier atem- und kopflose Reise quer über den Kontinent, großartige Szenen, die wie Kleinstepisödchen einer Perlenkette gleich aneinander gereiht werden und erst in ihrer Gesamtheit die volle Pracht vermitteln und erneut das Motiv des unschuldig Verdächtigen auf der Flucht. So ist "Saboteur" vor allem eines: Ein großartiger Actionfilm mit einigen spektakulären Momenten, der eindrucksvoll widerspiegelt, was das gesamte Genre Hitchcock eigentlich schuldig ist. Wie einen unfreiwilligen Jack Kerouac muss man sich Robert Cummings vorstellen; sein Weg führt ihn von der Ost- zur Westküste, vorbei an dämlichen Polizisten, hilfsbereiten Truckern, einem freundlichen, blinden Eremiten ("Frankenstein's Daughter" lässt grüßen) und einer liebenswerten Gemeinschaft von Zirkusfreaks - allesamt Außenseiter und versteckt Lebende, das wahre Fundament Amerikas. Und schließlich die Verschwörer: An deren Spitze steht ein reicher Unternehmer (Otto Kruger) mit größenwahnsinnigen Eroberungsplänen, der den totalitären Staat befürwortet - letzten Endes ein Faschist, eine Mussolini-/Hitler-Analogie und damit legitimer Vorläufer all der James-Bond-Supergangster. Dass sich die Köpfe der Terrorvereinigung ausschließlich aus respektablen Großbürgern rekrutiert, lässt vielerlei Interpretationen zu. Ganz eindeutig tut diese sozialistisch angehauchte Form der Paranoia dem Film jedoch mehr als wohl. Meisterlich.

9/10

Nevada Alfred Hitchcock Terrorismus Road Movie Spionage New York Verschwoerung


Foto

FOREIGN CORRESPONDENT (Alfred Hitchcock/USA 1940)


"Hello, America, hang on to your lights: they're the only lights left in the world!"

Foreign Correspondent (Mord) ~ USA 1940
Directed By: Alfred Hitchcock


Der eher unbedarfte New Yorker Journalist John Jones (Joel McCrea) wird unter dem Alias 'Huntley Haverstock' als Auslandskorrespondent in das kriegsbedrohte Europa entsandt. Dort soll er den holländischen Diplomaten Van Meer (Albert Bassermann) interviewen. Im London angekommen lernt Jones die reizende Politikertochter Carol (Laraine Day) kennen und muss bald darauf feststellen, dass mit Van Meer etwas nicht stimmt. Zunächst verschwindet der ältere Herr quasi vor Jones' Augen, dann wird er in Amsterdam augenscheinlich ermordet. Doch der Tote ist nicht Van Meer, sondern ein Doppelgänger. Der echte Van Meer befindet sich in der Gewalt einer Gruppe Verschwörer, die ihm wichtige Informationen entlocken wollen. Jones versucht auf eigene Faust, den Verbrechern beizukommen.

"I do my part!" Nach einem Besuch im vom Kriege aufgescheuchten London ließ Hitchcock seinem Film noch einen - rein dramaturgisch betrachtet - furchtbar penetranten Epilog anhängen, in dem McCrea und die Day vor der BBC eine flammende Rede für die amerikanische Eigenständigkeit halten, und dass man sich doch bitte nicht in das Kriegsgeschehen hineinziehen lassen möge. Danach der Abspann; die Skulptur eines Adlers wird eingeblendet und dazu läuft die Hymne. Immerhin konnte man zuvor runde 115 Minuten Agentenfilm begutachten mit allen möglichen hitchcock'schen Kabinettstücken. Joel McCrea ist ein etwas untypischer Held, da die Aufklärung des Falls einer rein intrinsischen Motivation entspringt. Das kennt man von Hitchcock sonst eher nicht, da seine Protagonisten in prekärer Situation zumeist genötigt sind, ihre Unschuld darzulegen und somit das handlungstragende Verbrechen aufzuklären. Aber in "Foreign Correspondent" geht es nunmal um Aktivismus, insofern passt das Ganze auch. Zwei ganz wundervolle Sequenzen gibt es im Film: Die Erste zeigt McCrea als buchstäblichen Don Quichotte, wie er in der holländischen Provinz auf einem gespenstischen Windmühlenfeld den Verbleib Van Meers zu klären versucht, um dann vor der örtlichen Polizei als Spinner dazustehen; die zweite präsentiert einen umständlich eingefädelten Mordanschlag, den Edmund Gewnn in der Turmspitze der Westminster-Kathedrale als Attentäter Rowley auf McCrea verübt - nur um dann selbst den Abflug zu machen. In solchen - zeitlosen - Momenten ist Hitchcock ungeheuer konzentriert, ganz bei sich und keinerlei modischen Gesten unterworfen. Ansonsten muss sich "Foreign Correspondent" auch eine ganz praktikable Kritik gefallen lassen: Er verfällt nämlich zuweilen in eine gefährliche Trägheit (der Begriff 'Stasis' erscheint mir etwas zu stark) und scheint mir infolge dessen gute zwanzig Minuten zu lang geraten.

7/10

Spionage London Amsterdam Holland Alfred Hitchcock WWII


Foto

SABOTAGE (Alfred Hitchcock/UK 1936)


"What you need now is a good cry."

Sabotage ~ UK 1936
Directed By: Alfred Hitchcock


Eine Terrorvereinigung mit dem Ziel allgemeiner Desorientierung macht London unsicher. Nach einem ersten Anschlag, der lediglich eine Unterbrechung der Stromversorgung verursacht hat, soll der Kinobetreiber Verloc (Oscar Homolka), der sich als Handlanger für die Terroristen ein paar Pfund nebenbei verdient, eine Zeitbombe am Picadilly Circus platzieren - zur Hauptgeschäftszeit! In der Nachbarschaft von Verlocs Kino lauert jedoch schon der als Gemüseverkäufer getarnte Polizist Spencer (John Loder) auf den Unhold - und nicht auf ihn. Spencer hat zugleich ein Auge auf Verlocs hübsche junge Frau Sylvia (Sylvia Sidney) geworfen, die erst vor kurzem aus den USA gekommen und mit Verloc eine Zweckehe eingegangen ist, von der auch Sylvias kleiner Bruder Stevie (Desmond Tester) profitieren sollte. Als Verloc Stevie für den Bombenanschlag missbraucht und der Junge dabei stirbt, verliert Sylvia ihr letztes Fünkchen ehelichen Anstands.

Ein sehr ernsthaft konnotierter Versuch, sich mit den Gefahren öffentlichkeitsorientierten Terrors, im zeitnahen Volksmund noch etwas kriminologischer als "Sabotage" bezeichnet, zu befassen. Das Thema wird Hitchcock noch öfter beschäftigen, hier ist es eingebunden in einen umfangreichen Fragenkomplex über Schuld und Sühne. Zudem gibt "Sabotage" ein wenig Aufschluss darüber, wo die persönlichen Sympathien des Meisters lagen: Karl Verloc, dessen Entscheidung, zum Verbrecher zu werden, eher aus der Not geboren wird, wird als mitleiderregender Feigling bezeichnet, der seine letzten Boni verspielt, als er den durch seine Schuld verursachten Tod des Jungen mit einer Handbewegung herunterzuspielen versucht. Dass Hitch ein eher sadistisches Verhältnis zu Kindern pflegte, zeigt das Ende des kleinen Stevie. Ein Lausbub, wie er im Buche steht, dessen Trödeleien schließlich durch die überraschende Explosion der Bombe bestrat werden. Dieses dramaturgische Moment hat man Hitchcock noch vielfach angekreidet und er selbst räumte später ein, dass er den Bogen mit dem Tode des Jungen womöglich überspannt hat. Ein eher ambivalentes Verhältnis pflegt Hitch zu dem verdeckt ermittelnden Polizisten. Dessen Figur bleibt eindimensional und eine bloße emotionale Stütze der Heldin. Die putzige Sylvia Verloc wird indes als Protagonistin angelegt. Als Exilamerikanerin gebührt ihr schonmal ein besonderer Status, dann ist sie liebenswert aufgrund ihrer zunächst unerschütterlichen Loyalität zu ihrem Mann, den, obschon sie ihn nicht liebt, sie anfänglich nie ans Messer liefern würde. Ergo besorgt sie die überfällige Strafe am Ende selbst. "Sabotage" zeichnet eine recht finstere, bedrückende Atmosphäre, bringt jedoch die Suspense-Idee Hitchcocks speziell in der Szene, in der Stevie die Bombe transportiert, bereits formidabel auf den Punkt. Heading for more of that!

8/10

Ehe Terrorismus London Alfred Hitchcock Joseph Conrad Kino


Foto

SECRET AGENT (Alfred Hitchcock/UK 1936)


"You get beautiful wife, I get nothing. Caramba!"

Secret Agent (Geheimagent) ~ UK 1936
Directed By: Alfred Hitchcock


London, 1916: Der auch als Autor berühmte Soldat Edgar Brodie (John Gielgud) segnet nur zum Schein das Zeitliche - tatsächlich soll er in neuer Identität als Spion Richard Ashenden in der Schweiz einen feindlichen Agenten ausfindig machen und eliminieren, der für den Vorstoß der britischen Nahost-Armee bei Damaskus eine besondere Gefahr darstellt. Zusammen mit einem mexikanischen Profikiller namens "General" und einer ihm kurzerhand zugeteilten "Tarn-Ehefrau" (Madeleine Carroll) wird Ashenden bald fündig. Doch erweist sich der sympathische Mr. Caypor (Percy Marmont) im Nachhinein als das falsche Zielobjekt. Der wahre Agent läuft immer noch frei herum und bereitet sich schon für seine Reise nach Konstantinopel vor...

Ein erster kleiner Lieblingsfilm. "Secret Agent" ist zwar seltsam unperfekt und merkwürdig widersprüchlich in der Kreierung seiner Atmosphäre und betreffs seiner Figurenzeichnungen, dafür bietet er jedoch auch eine unablässige Abfolge wundervoller Szenen und Augenblicke. Die Seele des Films ist tatsächlich nicht so sehr der steife Shakespeare-Akteur Gielgud, den ja bekanntlich nie ein Wässerchen trüben konnte, sondern der große Peter Lorre, der als "General Pompellio Montezuma De La Vilia De Conde De La Rue" eine wahre Zirkusvorstellung gibt: Gleichrangig eiskalter und sadistischer Profikiller auf der einen und lustiger kleiner, notorischer Filou und Buddy auf der anderen Seite; eine der schizophrensten Figuren der gesamten Filmgeschichte. Formidabel! Praktisch jede Sequenz, in der Lorre auftritt, gehört von Anfang an ihm, mit seiner Lockenperücke und einem ungewohnten Ohrring spielt er sich wie ein Derwisch durch seinen so ambivalenten Part. Dann gibt es zum Beispiel eine herzzereißende Szene mit einem laut aufheulenden Dackel, der spürt, das sein Herrchen ermordet wurde, eine aufwändige, phantastisch gefilmte und geschnittene Actionszene in einer Schokoladenfabrik und schließlich das spannende Zugfinale. Anders als der Vorgänger "The 39 Steps" nicht unbedingt ein urtypischer Hitchcock, dafür einer, der rundum glücklich macht.

9/10

Alfred Hitchcock Spionage period piece Schweiz based on play Zug WWI


Foto

THE MAN WHO KNEW TOO MUCH (Alfred Hitchcock/UK 1934)


"To a man with a heart as soft as mine, there's nothing sweeter than a touching scene."

The Man Who Knew Too Much (Der Mann, der zuviel wusste) ~ UK 1934
Directed By: Alfred Hitchcock

Im Winterurlaub in der Schweiz lernt die Londoner Familie Lawrence den charmanten Louis Bernard (Pierre Fresnay) kennen, der sich als Spion entpuppt. Nachdem auf Bernard ein tödlicher Anschlag verübt wurde, bringt Bob Lawrence (Leslie Banks) sich in den Besitz einer Notiz, mit der er zunächst nicht viel anfangen kann. Als dann seine Tochter Betty (Nova Pilbeam) entführt wird und Bob und seine Gattin Jill (Edna Best) unmissverständliche Anweisungen über ihr Schweigen erhalten, lässt auch die Wahrheit nicht lange auf sich warten: Hinter Louis' Ermordung und Bettys Entführung steckt eine Gruppe von Verschwörern, die in London die Ermordung eines wichtigen Diplomaten plant. Bob versucht auf eigene Faust, Betty zu befreien und den Anschlag zu verhindern.

Ferienzeit ist bei mir zugleich immer die Zeit für umfangreiche(re) Rück- und/oder Werkschauen. Nachdem ich mich Meister Hitchcock zu meiner persönlichen Unzufriedenheit schon lange nicht mehr oder nur bruchstückhaft gewidmet habe, soll er in den nächsten Tagen mein Augenmerk für sich verbuchen. Kleinere Unterbrechungen und Schlenker seien mir vorab gestattet. Über die bereits eingetragenen Filme werde ich nur gegebenenfalls, und dann an Ort und Stelle, Neues berichten. Betreffes meines persönlichen Startpunkts habe ich mich aus mehrerlei Gründen für "The Man Who Knew Too Much" entschieden. Der primäre Anlass ist rein praktikabler Natur: Erst ab hier ist mir eine lückenlose Werkschau möglich. Zwar besitze ich noch einige von Hitchs früheren Filmen, dabei handelt es sich jedoch nur vereinzelte Titel ohne chronologische Anbindung. Ferner kann "The Man" wohl gewissermaßen auch als thematischer Ausgangspunkt herhalten; "Ausreißer" wie den kurz zuvor entstandenen "Waltzes From Vienna" gab es in der Folge nämlich höchstens noch ansatzweise und keineswegs mehr so zäsurhaft wie noch in Form dieses wohl zumindest halbwegs zu vernachlässigenden Strauss-Musicals.
Von "The Man Who Knew Too Much" fertigte Hitch 22 Jahre später ein Hollywood-Farbremake an, das, soviel vorweg, nicht nur ihm selbst, sondern auch mir besser gefällt. Zwar verfügt das Original über den unsagbar coolen Leslie "Count Zaroff" Banks und vor allem über den wieder mal astronomisch aufspielenden Peter Lorre, doch wenige Schwächen - zugegebenermaßen Makulatur - lassen sich nicht hinfortleugnen. Zum Einen macht sich der Verzicht auf einen damals ohnehin unüblichen Score bemerkbar. Dass Hitchs Suspense fast schon angewiesen ist auf einen Bernard Herrmann ist zwar keine Schande, aber im Direktvergleich schon recht auffällig. Schließlich ein Showdown als Antiklimax: Unmittelbar nach der ebenso meisterlich wie im Remake montierten Szene in der Royal Albert Hall, in der Edna Best den Anschlag verhindert, folgt ein Polizeiüberfall auf die sich in einer Kapelle verschanzenden Verschwörer. Ein wirres, uninteressantes Geknalle ist die Folge, das stark an Hawks' "Scarface"-Finale erinnert, jedoch als viel zu lang gezogen und dramaturgisch überstrapaziert gewertet werden muss und wohl nur deshalb erforderlich war, um eine Lauflänge von über siebzig Minuten zu erreichen. Solche Ungelenkigkeiten sollen bald der Vergangenheit angehören und wurden durch einiges Geschick im Remake ausgemerzt. Mehr hierzu dann in Kürze.

7/10

Verschwoerung Alfred Hitchcock Kidnapping London Schweiz


Foto

NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM (Robert Siodmak/BRD 1957)


"Ihr könnt ma' jar nix. Ick bin doch een'n'fuffzich!"

Nachts, wenn der Teufel kam ~ BRD 1957
Directed By: Robert Siodmak


Berlin, 1944: Der imbezile Gelegenheitsarbeiter Bruno Lüdke (Mario Adorf) tingelt durchs ganze Reich und bringt unerkannt Frauen um - über 80 Morde werden ihm später nachgewiesen. Kriminalkommissar Axel Kersten (Claus Holm), ein ausgesprochener Gegner der "Partei", kommt Lüdke auf die Spur und kann ihm diverse Geständnisse entlocken. Nachdem die SS Kerstens Fahndungserfolg zunächst euphorisch feiert und Lüdke politisch als Exempel für Sterilisations- und Euthanasiepraktiken zu statuieren gedenkt, wendet sich plötzlich das Blatt: Ein Individuum wie Lüdke dürfte im NS-Staat gar nicht existieren, versichert man Kersten, der prompt zur Ostfront entsendet wird, derweil Lüdke zur "Geheimsache" erklärt und klammheimlich liquidiert wird.

Back in Germany erlebte Siodmak nochmal eine höchst fruchtbare künstlerische Phase, bevor er sein Talent an mehr oder minder halbseidene Auftragsarbeiten, darunter die "Sternau"-Filme nach Karl May, vergeudete. "Nachts, wenn der Teufel kam" wurde recht euphorisch abgefeiert, dabei ist seine Historizität höchst umstritten: Ob Bruno Lüdke, einer der ersten namentlich im Film auftauchenden, authentischen Charaktere der Kriminalhistorie, tatsächlich all die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat, gilt mittlerweile als sehr spekulativ, ebenso wie der ihm zugrunde liegende Tatsachenbericht aus einer Polizeizeitschrift. Siodmak erklärte, es ginge ihm auch wesentlich prägnanter um die Darstellung der Justizhandhabung zur Zeit des Dritten Reichs und dass der Film eine Parabel auf die ungeheuren populistischen Praktiken sei, mit denen ihrerzeit verhandelt wurde. Nun, am Untadeligsten an dieser rein filmisch betrachtet natürlich bemerkenswerten Arbeit, ist fraglos Siodmaks Inszenierung, wobei besonders eine bravourös montierte, transzendente Szene, in der Lüdke aus der Erinnerung einen Tathergang rekonstruiert und dabei flink wie ein Rehlein durch Wald und Flur flitzt und hüpft, im Gedächtnis bleiben wird. Von bestechender Kunst auch Mario Adorfs Darstellung, die nicht nur ihrem Akteur einen der hervorstechendsten filmographischen Einträge beschert hat, sondern auch maßstabssetzend ist für etliche weitere deutsche Serienmörder im Film.

8/10

Berlin WWII Nationalsozialismus Serienmord Robert Siodmak


Foto

LA BATTAGLIA DI ALGERI (Gillo Pontecorvo/DZ, I 1966)


Zitat entfällt.

La Battaglia Di Algeri (Die Schlacht um Algier) ~ DZ/I 1966
Directed By: Gillo Pontecorvo


1954 wird der kleinkriminelle Ali La Pointe (Brahim Hadjadj) in der algerischen Casbah von der nationalistischen FLN als Kämpfer rekrutiert. La Pointe erweist sich bald als wichtiges personelles Elelement in der ersten Phase des algerischen Unabhängigkeitskriegs, der anfänglich auf dem urbanen Terrain der Hauptstadt und gegen die französische Fallschirmspringergarde unter Colonel Mathieu (Jean Martin) gefochten wird.

Emanzipation, Selbstbestimmung, politische Autonomie und Autarkie sind grundsätzlich begrüßenswerte Faktoren im Werden einer Nation. Algerien musste sich in den fünfziger und sechziger Jahren zunächst mit Gewalt aus der kolonialistischen Klaue Frankreichs befreien, um sich unter Benutzung solcher Termini definieren zu können. Dass der vorausgehende Kampf ein langer und blutiger war und wohl auch sein musste, zeigt dieses Meisterwerk von Pontecorvo. Seine Stärke und Kraft bezieht "La Battaglia Di Algeri" in erster Instanz aus seiner minutiösen Rekonstruktion bewusster Ereignisse in Algier, die seiner noch vom längst schon wieder im Abklingen begriffenen Neorealismus geprägten Inszenierung einen fast dokumentarischen Charakter verleihen. So funktioniert der Film mit seinem weitgehend neutralen, nüchternen Stil als zeitnahe Zusammenfassung der realen Ereignisse. Ferner sind die ersten Ideenphasen des Projekts auf die in politischer Haft verfassten Memoiren Yacef Saadis zurückzuführen, der den Film außerdem mitproduziert hat und eine der Hauptrollen spielt. Saadi war selbst eine Schlüsselfigur im ersten Konflikt um Algier und wie im Film, wo er sich praktisch selbst spielt. Höchst ungewöhnliche Entstehungsaspekte allesamt, aber durchweg Gründe dafür, warum "La Battaglia" nicht nur verpflichtendes, großes Kino ist, sondern auch einer der elementaren Marksteine des politischen Films.

10/10

Gillo Pontecorvo Algerienkrieg Kolonialismus Terrorismus


Foto

CARLOS (Olivier Assayas/F, D 2010)


"This isn't my kind of terrorirism."

Carlos (Carlos - Der Schakal) ~ F/D 2010
Directed By: Olivier Assayas


Der Werdegang des unter dem Namen "Carlos" zu hohem internationalen Popularitätsgrad gelangten, venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez (Édgar Ramírez) ab 1972. Nachdem Carlos sich der palästinensischen Extremistenorganisation PFLP anschließt, tritt er mit dem Kidnapping einiger Minister von der Wiener OPEC-Konferenz im Jahre 1975 endgültig in das Licht der Öffentlichkeit. Wenngleich die Aktion im Sinne des Organisators bei Weitem nicht vollends zufriedenstellend verläuft, bleibt Carlos noch viele Jahre im Terrorgeschäft. Nach der Gründung seiner eigenen Gruppe, der OAAS, schlägt Carlos, gedeckelt von den Sowjets, sein Hauptquartier in Budapest auf und führt von hier aus mehr oder minder erfolgreich Aufträge durch, die von Waffenübergaben an die ETA über Anschlägen für die Araber bis hin zu verdeckten KGB-Aktionen reichen. 1994 wird er schließlich im Sudan festgenommen und der französischen Justiz überstellt.

Nicht allein Carlos' unter zumeist großer Medienaufmerksamkeit ausgeführte Terroraktionen dürften Assayas veranlasst haben, diesen fünfeinhalbstündigen Mammutfilm über ihn zu dirigieren; auch Carlos' Nebenstatus als eine Art Sub-Popstar, Hedonist und Womanizer wird seinen Beitrag dazu geleistet haben. Entsprechende Aufmerksamkeit widmet Assayas den "fiktionalisierten" Episoden aus Carlos' Privatleben: Seine zahllosen Affären mit schönen Frauen, die sich mal mehr, mal weniger als Sympathisanten der antiimperialistischen Sache verstehen, dabei eine mit seinen Grundsätzen unvereinbare Misogynie und seine heillos übersteigerte Egomanie. "Carlos" bildet somit auch eine willkommene Demystifizierung des linken Terrors der siebziger und frühen achtziger Jahre, indem er ihn als öffentlichkeitswirksame Plattform für bisweilen naive Selbstdarsteller entlarvt. Dabei formuliert Assayas vor einer nebenbei brillanten Songauswahl (u.a. New Order, Wire, The Feelies und The Lightning Seeds) sogar die zwischen brodelnd und gewagt oszillierende These, das Männer wie Carlos diesen Lebensstil aus rein egozentrischen Gründen wählen - International gesuchter Terrorist zu sein, bedeutete damals, als das entsprechende Bild sich nicht auf irgendwelche bärtigen, spinnerten Mullahs beschränkte, vor allem eines: Popularität. Carlos genießt die ihm zuteil werdende Heldenverehrung aus entsprechenden Kreisen. Junge Genossinnen werfen sich ihm an den Hals, er kann mit Waffen spielen, kubanische Zigarren rauchen, guten Scotch trinken und später, als die Ideale langsam schwammig zu werden beginnen, mit luxuriösen Autos fahren. Nicht das schlechteste Leben, obschon die weststaatlichen Konsequenzen dafür von einiger Dauer sind.

9/10

TV-Serie Olivier Assayas Historie period piece Biopic Terrorismus Naher Osten Paris


Foto

WHO? (Jack Gold/UK 1973)


"No matter who I once was - now I'm just me."

Who? (Der Mann aus Metall) ~ UK 1973
Directed By: Jack Gold


Als der amerikanische Wissenschaftler Dr. Lucas Martino (Joseph Bova) in der DDR einen verheerenden Autonunfall erleidet, flickt man ihn diesseits des Eisernen Vorhangs notdürftig zusammen. Große Teile seines Körpers werden durch Metallprothesen ersetzt und man unterzieht Martino zermürbenden Verhören betreffs seiner Forschungen in den USA. Erst Monate später wird Dr. Martino wieder zurück in den Westen geschickt. Für den FBI-Agenten Sean Rogers (Elliott Gould) eine höchst verdächtige Angelegenheit - der vermutet hinter dem praktisch unidentifizierbaren Mann einen mittelmäßig getarnten Ostagenten oder einen hirngewaschenen Dr. Martino, der nunmehr als Schläfer fungieren soll.

Ein Cold-War-Drama, das ausnahmsweise nicht die Zerstörung der Zivilisation verhandelt, sondern bloß jene eines Individuums, das bloß aufgrund eines dummen Unfalls zum Spielball der Supermächte wird. Das Empathiemoment für diesen Dr. Martino - ganz gleich, ob er "echt" ist, oder nicht, wird ganz gezielt von der ersten Filmminute an geschürt. Nicht genug damit, dass der Mann durch sein modifiziertes Äußeres grotesk entstellt ist - seine wahre Leidensgeschichte beginnt erst, als die Sowjets feststellen, wenn sie da auf dem OP-Tisch liegen haben. Damit nicht genug ist nach Monaten der Quasi-Geiselhaft zudem das Vertrauen der eigenen Landsleute in den Bedauernswerten erloschen - niemand mag ihm mehr zur Gänze abnehmen, dass das metallene Antlitz einst Dr. Martino gehörte. Als denkanstoßendes Politmelodram ist Golds behäbig inszenierter Film somit durchaus anschauenswert, als Identitätsthriller mit einer vollkommen umotiviert eingestreutenb Actionsequenz indes gefährdet ihn permanent die Beliebigkeit. Das Resultat kann sich einer gewissen Zwiespältigkeit ergo nicht ganz freisprechen.

7/10

Spionage Kalter Krieg Jack Gold DDR





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare