Zum Inhalt wechseln


Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen

Cjamangos neues Filmtagebuch

Foto

Die summenden Teile


Pastoral: Hide And Seek (US-Video)

Als internationaler Alternativtitel für diesen Film wird in der IMDb auch der aussagekräftigere PASTORAL: TO DIE IN THE COUNTRY angegeben. Unter einer Pastorale versteht man ja für gewöhnlich die idyllisierte Darstellung einer Natur, in der Mensch und Tier einträchtig miteinander existieren. Die Welt als Gottes Streichelzoo, gewissermaßen. Das Idyll bei Shuji Terayama ist ein trügerisches. Während Flora und Fauna dem pastoralen Ideal durchaus nahekommen und prachtvoll fotografiert sind, wirken die Menschen darin fast wie Fremdkörper. Es geht um einen jungen Mann, der zusammen mit seiner Mutter in einem sehr streng wirkenden Haus lebt und meistens in einer faschistischen Tracht herumläuft. Die Mutter merkt, daß der Junge langsam flügge wird und sie zu verlassen droht. Dies versucht sie zu verhindern. So weit die grundsätzliche Handlung. Dargestellt wird das im Film mit einer Mischung aus traditioneller japanischer Theatertradition, dem europäischen absurden Theater und einigen Ausflügen in den Surrealismus. Man fühlt sich manchmal erinnert an Fellinis Spätwerk und an Jodorowskys wütende Bilderwelten. Und doch wirkt die Darstellung des Menschen bei Terayama merkwürdig verzagt, fast resignativ. Beim Betrachten hatte ich stets den Eindruck, daß ein übermäßig kopflastiger Mensch in seinen Gefühlen herumstochert und etwas verzweifelt ist, daß er so wenig damit anfangen kann, ohne wirklich den Finger auf das persönliche Defizit legen zu können. Dieser Eindruck sollte sich im weiteren Verlauf des Werkes als gegenstandslos erweisen, aber immer langsam. Im direkten Umfeld des Elternhauses, nahe des „Scary Mountain", auf dem nur Ausgestoßene und Orakel zuhause zu sein scheinen, befindet sich auch eine Art japanischer Nationalzirkus, vollgestopft mit Japanflaggen, in dem innerlich wie äußerlich verwachsene Menschen beheimatet sind. Einige von ihnen sind auch getürkt, wie etwa die „Dicke Dame", die in einer aufblasbaren Hülle aus Plastik wohnt, die sie nicht abnehmen darf. Ihr Ehemann, ein Zwerg, pumpt sie regelmäßig auf mit einer kleinen Handpumpe, was ihr Luststöhnen entlockt. Sie hintergeht den Zwerg gelegentlich mit dem Kraftmenschen des Zirkus, der aber schließlich aus Eifersucht die Handpumpe wegwirft. Beide Männer behandeln sie wie den letzten Dreck, was sie aber mit lächelnder Langmut erträgt. Im Zirkus wie außerhalb des Zirkus scheinen die Menschen darauf fixiert zu sein, einander wehzutun, einander zu demütigen.

So weit, so gut. Nach etwa der Hälfte der Laufzeit bricht der Film auf einmal ab und entpuppt sich als Arbeitsmaterial eines Filmregisseurs (=ein Alter Ego Terayamas), der das Werk seinen Investoren zeigt. Er weiß nicht, wie er diesen Film über seine Jugend weiterführen soll, mißtraut seinen eigenen Motiven, seiner Erinnerung. Er taucht in seinen Film ein, betrachtet die verdichtete Welt seiner eigenen Erinnerung. Seine Betrachtungen teilt er mit seinem 20 Jahre jüngeren Selbst, wobei beide Versionen Terayamas an die Grenzen ihres jeweiligen Horizontes stoßen. Der ältere Mann fragt sich, ob er in der Lage ist, die Gegenwart zu verändern, indem er sein fiktives gegenwärtiges Ich seine Mutter im Film umbringen läßt, in dem er sich nun selbst befindet. Ich verrate nicht, ob ihm dies gelingt, aber ich möchte schon einmal andeuten, daß der Film mit einer der außergewöhnlichsten Tee-Szenen der Filmgeschichte endet...

War ich vom Anfang des Filmes nur mäßig beeindruckt, so saß ich gegen Ende völlig baff vor dem Fernseher und staunte Bauklötze. Von Terayama (der ja primär ein Theaterregisseur und Schriftsteller war) hatte ich bislang nur seine beiden französisch koproduzierten „Kommerzfilme" gesehen (FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT mit Kinski und den Episodenfilm COLLECTION PRIVEES) sowie sein extrem schwer zu schluckendes Frühwerk EMPEROR TOMATO KETCHUP, das von dem formenden Einfluß von Politik und Sexualität auf Kinder handelt und in seiner gestalterischen Drastik an Arrabals Aufschrei VIVA LA MUERTE erinnerte. PASTORAL verbindet auf unerhörte Weise die Darstellung einer beschädigten menschlichen Gemeinschaft mit einer Rückführung auf die Wirklichkeitswahrnehmung des Einzelnen. Wie nehmen wir die Gegenwart wahr und wie verläßlich sind unsere Erinnerungen, aus denen sich diese Gegenwartswahrnehmung herleitet? Wie sehr bauen wir selbst an unserer Gegenwart mit? Der autoreflexive Teil von PASTORAL deutet an, daß wir unsere Erinnerungen ständig selbst gestalten, wie ein Künstler, der an seinem Kunstwerk feilt. Aus der Wucht der Erschütterungen, der Verletzungen, ergeben sich all die fiktiven Miniaturen, aus denen sich unser Selbstbild zusammensetzt. Jeder Mensch ist im Grunde ein Künstler, sein Leben ein Kunstwerk, das er nach eigenem Gusto formen kann, wenn die Narben in seinem Gewebe das zulassen. Während Jodorowsky seine surreale Welt mit Grotesken anfüllt, die für meinen Geschmack das Anliegen des Künstlers eher verklausulieren, den Zugang eher erschweren, bleibt Terayama dabei ganz direkt. Er schreckt in einzelnen Szenen nicht einmal davor zurück, seine Poesie aufzuschlüsseln und sich so ganz direkt an sein Publikum zu wenden (z.B. in den Ausführungen des fiktiven Regisseurs über das Zeit-Paradoxon seines Vorhabens oder überhaupt in dessen inneren Monologen). Die Bilder sind ebenfalls direkt, arbeiten vorwiegend mit Formen und Farben, etwa über komplett eingetönte Einstellungen, die die Signalwirkung von Farben verwenden. Die Symbole sind trotz des gequälten Charakters des Menschenbildes eher spielerisch, z.B. die Assoziation von Geschlechtsverkehr mit dem Aufpumpen der Frau mit Luft oder dem Einfangen von Zeit in einer Uhr, die im Elternhaus des jungen Protagonisten aufgrund eines Defektes ständig schlägt. Der Regisseur innerhalb des Filmes gelangt schließlich zu einer Entscheidung. Ob es eine resignative oder eine schöne Entscheidung ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Ich hatte jedenfalls nur anfänglich Angst davor, einer Luftnummer aufzusitzen. PASTORAL halte ich für einen prachtvollen, einen großartigen Film, von dem ich mir sehr wünschen würde, daß ihn jemand in einer angemessenen Form wiederveröffentlicht!


Foto

Den Tauben predigen


Friedrich Schiller - Der Triumph eines Genies (DVD)

Leben und Schreien des berühmten Nationaldichters Friedrich Schiller.

Während der Kriegsjahre erfreuten sich beim deutschen Kinopublikum sogenannte Historienfilme großer Beliebtheit, in denen stets eine berühmte Persönlichkeit im Zentrum der Handlung stand. Das war ungefähr jedes zwote Mal Friedrich der Große, aber gelegentlich durften auch andere ran, etwa Bismarck, Rembrandt oder Robert Koch. Oder eben Friedrich Schiller, dessen Zeit in der vom Militärgeist geprägten Erziehungsanstalt die Saat sät für einen ebenso brillianten wie streitsamen Geist. Mit seinen Gedichten lehnt er sich gegen die überkommene Ordnung des Baden-Württembergischen Fürsten auf, feiert einen Riesenerfolg mit seinem Drama „Die Räuber“ und steht ständig mit einem Bein im Knast. Schiller ist ein Haudrauf, ein Hallodri, die Weiber fliegen auf ihn, denn er sieht verdammt gut aus. Die Gemeinheit schafft es nicht, ihn in die Knie zu zwingen, denn Genies werden nicht auf Akademien herangezüchtet, sie werden geboren!

FRIEDRICH SCHILLER: DER TRIUMPH EINES WILLENS, äh: GENIES ist ein sehr repräsentatives Produkt für diese sehr speziellen Historienschinken, die von der UFA mit großem Aufwand und großem Staraufgebot zusammengefrickelt wurden. Natürlich wurden die Reichsmark nicht ohne Grund in solche Projekte hineingepulvert, schon gar nicht, während man sich mit dem schnöden Rest der Welt im Kriegszustand befand. Der Storrrm ond Drrranck des großen Dichters wird natürlich umfunktioniert, aus dem Nationaldichter ein Nazionaldichter gemacht. Der Witz ist nämlich der: Während Schiller als Ausnahmemensch dargestellt wird, der sich gegen die stumpfe Disziplin der Ausbildungsanstalt auflehnt, war es natürlich genau diese stumpfe Disziplin und dieser Kadavergehorsam, den man sich vom deutschen Volk wünschte. Die Leute um Schiller, der verschworene Haufen, stehen natürlich für die Nationalsozialisten, die das überkommene System abschaffen wollen. „Uns wird die ganze Welt gehören!“ gröhlt einer mal in einem manischen Moment. Und der Anführer, der geniale Haudrauf, der das Volk dazu bringt, sich auf die Heimatwerte zu besinnen – wer kann das wohl sein? Schiller zu einem gutaussehenden Hitler zu machen, auf den die Frauen fliegen, ist schon eine Leistung. Horst Caspar liefert eine hyperbolische Darstellung, die mich einige Male zu Lachstürmen hingerissen hat. Man soll den spontanen und kecken Hallodri bewundern, das ist zu spüren, aber ich fand ihn, ehrlich gesagt, grotesk unsympathisch, mit seinem hochfahrenden Geschwätz, seiner zügellosen Egomanie und seinem bockigen Willen, unbedingt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Der Mangel an strategischem Geschick wird natürlich zu Direktheit, zu Unverstelltheit aufgeblasen. In Wirklichkeit hätte man diesen Hanswurst einfach beiseitegenommen und ihm in einer stillen Ecke den Gnadenschuß verabreicht! Der nominelle Hanswurst ist der Fürst, der von Heinrich George in einer seiner gewohnten Hochoktanleistungen zum bösen Trottel geformt wird. George war wenigstens ein wirklich guter Schauspieler, denn er erhebt sich über das Material, das in anderen Händen zu finsterster Schmiere geraten wäre. Ich habe vom Film immerhin gelernt, daß die Nazis wohl taub gewesen sein müssen, denn die ganze Zeit über wird geschrien. Sturm und Drang halt. Das wird teilweise richtig absurd, so als würde man seine Frau anschreien: „Gerlinde!!! Reich´ mir doch einmal die Fernsehzeitung!!! SCHNELL!!!“ Hitler war Dichter, Hitler war Friedrich der Große, Hitler war Maler und Hitler hat die Tuberkel entdeckt. Im Kampf gegen die Gemeinheit, die mit Selbstsucht und Verrat Deutschland den Feinden ausgeliefert hat, muß einem schließlich jedes Mittel recht sein! Erneut tat es mir in der Seele weh, große Schauspieler zu sehen, die sich für diesen staatstragenden Mist prostituiert haben. In einer Theaterszene sieht man die beiden großen Schauspieler Bernhard Minetti und Albert Florath, wie sie „Die Räuber“ auf die Bühne bringen. Zu den Studenten zählen u.a. Hans Nielsen (spätere Synchronstimme von James Stewart) und Wolfgang Lukschy (spätere Synchronstimme von Walter Matthau). Hannelore Schroth spielt dem Schiller seine Perle. Und angeblich soll in einem Statistenauftritt als Page am Fürstenhof auch Vicco von Bülow alias Loriot zu sehen sein. (!) Ich gehe jetzt erst einmal in den Supermarkt und schreie an der Wursttheke die Verkäufer zusammen: „Eine Syker Knüppelwurst!!! Aber schnell!!!“


Foto

"Ein neuer Tag ist wie ein neues Leben!"


Menu total (DVD)

MENU TOTAL war gerade mal der zweite Langfilm von Christoph Schlingensief, und als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich verwirrt, gelinde gesagt. Daß ich damals verwirrt war, lag wohl daran, daß ich vom amerikanischen Kino komme, wo alles Schlaue psychologisch ausdeutbar sein muß. Wenn es nicht psychologisch ist, taugt es nichts. Die Grundlage dieses Gedankens ist natürlich die überhebliche, wenn auch allzu verständliche Hoffnung, man selber – der Künstler oder Rezensent – gehöre zu denjenigen, die den Film wirklich kapiert haben, ihn in all seinen Facetten erfaßt haben. Film und Künstler sind gebändigt. DVD kommt in den Schrank. Auf zu neuen Abenteuern.

MENU TOTAL – der im Vorspann auch HYMEN 2 heißt – erklärt gar nichts. Die Bilder werden einem nur so um die Ohren gehauen, vor den Latz geknallt, und Frauen und Kinder zuerst. Grundsätzlich handelt der Film von einer Familie mit Nazivergangenheit. Der kleine Sohn wird von Helge Schneider gespielt und wohnt mit Vater und Mutter in einem großen deutschen Haus. Der Vater wird von Joe Bausch gespielt und lutscht seinem Sohn in einer Szene an den Ohrläppchen. In einer anderen Szene vergewaltigt er Mutter im Wald, die an den Rollstuhl gefesselt und unfähig zur direkten Kontaktaufnahme mit anderen Menschen ist. Die Großeltern schauen auch vorbei und sind alte Nazis, komplett in Uniform. Ich weiß nicht, ob Schlingensief ausdrücklich an Viscontis DIE VERDAMMTEN gedacht hat, aber jener Film handelt ja auch von einer reichen Nazi-Familie, nur daß er die neurotischen Verflechtungen innerhalb der Familie sehr linear und klar aufdröselbar schildert. Das ist für einen Rezensenten wahnsinnig dankbar, denn so kann man klug daherschwätzen, ohne Wasser treten zu müssen.

MENU TOTAL wurde auf Super-16 gedreht und ist vollständig in körnigen, bisweilen überbelichtet wirkenden Schwarzweißbildern eingefangen. Manche Einstellungen erinnern sogar an den Expressionismus der deutschen Stummfilme, etwa Schneiders „Mama, Mama!“-Szenen. Warum mir der Film jetzt so ausgesprochen gut gefällt, hat mit einem grundlegenden Mißverständnis gegenüber Schlingensiefs Kunst zu tun, dem ich früher auch aufgesessen bin. Ich dachte nämlich, daß seine Arbeiten sehr intellektuelle, sehr kopflastige Sachen seien, für die ich selber einfach nur zu dumm bin, weil ich doch lieber in Regression versacke. Das genaue Gegenteil ist aber der Fall. Schlingensiefs Filme sind so direkt und so unintellektuell wie Topfschlagen, Wasserplanschen oder das Bauen von Kleckermatschtürmchen. Nicht umsonst spielen Körpersäfte bei Schlingensief eine so große Rolle. Einer der extremsten Momente ist die Matschepampe-Szene, in der Oberarzt Alfred Edel sich auf Kind Helge drauflegt und von Offizier Kuhlbrodt mit einer kackeartigen Pampe eingeschmiert wird. Dieser seltene Moment bringt es fertig, Sexualität, medizinische Therapie und das Wühlen in Schlotze in Einklang zu bringen. Die Szene findet eine Entsprechung in Edels Sauerkraut-und-Würstchen-Moment. Der großartige und sehr haarige Gleitmann hat als Evi ebenfalls eine Sexszene, während der er von dem Aggressor gefüttert wird. Das Format des absurden Theaters drückt sich hier weitgehend in Hysterie aus, die von mühsam kontrollierter Disziplin abgelöst wird. Dabei wirken die Figuren in den hysterischen Momenten sehr viel ehrlicher, da die Selbstkontrolle in Gestalt von Phrasen auftritt (z.B. die Wiesenszenen), von schlimmem deutschen Liedgut („Hoch soll er leben...“) oder von Absonderlichkeiten wie der an eine schwarze Messe erinnernden Poklatsch-Nummer. MENU TOTAL handelt von den Verkrüppelungen, die Menschen – Kinder wie Erwachsene – in ihrem Leben erleiden und dann auf all ihren Wegen mit sich herumschleppen. Gelegentlich schreien sie mal, aber für gewöhnlich haben sie sich gut im Griff. Der Film ist gleichzeitig unheimlich düster wie auch sehr verspielt, er wirkt verzweifelt, offeriert aber in seiner Form einen gesunden Umgang mit den Blessuren. Daß dieser gesunde Umgang oberflächlich wie eine Krankheit anmutet, liegt daran, daß das System der Sauerei in den meisten Figuren bereits verinnerlicht ist. Die Leute haben gelernt, sich zu tarnen. Um aber gesund zu werden, muß erst einmal auf die Kacke gehauen werden. Und das spritzt halt.


Foto

Babys Nachtgesang


Grace (DVD)

Madeline Matheson möchte wahnsinnig gern ein Baby bekommen. Als es mit der Schwangerschaft dann endlich geklappt hat, ist sie überglücklich. Die Zeit des Wartens erweist sich jedoch als nicht unkompliziert. Madeline besteht darauf, auf Krankenhäuser zu verzichten und lieber auf die Kunst einer traditionellen Hebamme zu vertrauen, was den Unmut der reichen Schwiegermutter hervorruft. Zudem erleidet Madelines Ehemann einen Unfall. Nun muß sie allein durch den Rest der Schwangerschaft. Und als die große Stunde gekommen ist, geht alles schief, was schiefgehen kann. Das Kind wird als Totgeburt diagnostiziert. Als es dann ausgetragen wird, stellt sich das aber als Irrtum heraus – Baby lebt...

Regisseur Paul Solet hatte den Stoff drei Jahre vorher bereits zu einem erfolgreichen Kurzfilm verarbeitet. Die Langfassung nun stellt für mich den vorläufigen Höhepunkt des in letzter Zeit beachtlich häufig bereisten Genres des Fruchtbarkeits-Horrors dar. Anders als der zwar sehr unterhaltsame, inhaltlich jedoch eher schlichte ORPHAN ist GRACE nicht als Reißer konzipiert. Eher versucht er sich an der Kaiserdisziplin des morbiden Psychodramas à la EKEL (REPULSION), wobei er sich zwar nicht ganz auf dem Qualitätslevel von Polanski bewegt, aber er absolviert die Übung – gerade gemessen an dem Müll, der auch auf diesem Gebiet produziert wird – mit sehr achtbarem Erfolg. GRACE ist von Anfang bis Ende ernstnehmbar, was in erster Linie an seiner ausgezeichneten Charakterbeobachtung liegt. Hier fällt übrigens auch auf, daß der Film – trotz seines ziemlich blutrünstigen Finales – nicht diffamierend vorgeht und einfach typische Mutterschaftsängste (oder die Ängste der Männer vor dem „fremden" Vorgang) zu Horrorcomic-Blutquark verballhornt. Man lernt tatsächlich einiges als Mann über den Umgang mit Säuglingen. (Welcher Mann weiß schon, was Babypech ist? Ich wußte das nicht...) Zudem ist es gar nicht so sehr die Welt des monströsen Babys, die als unerträglich erscheint. Auch die „normale" Umwelt des Mutter/Kind-Gespanns ist monströs und geprägt von Neurosen und Intrigen. Wenn ich über den Film meckern wollen würde, so läge hier die einzige Schwäche, die ich in ihm sehe – er ist thematisch ein wenig überladen. Es gibt die lesbische Hebamme, die sehr auf Madeline fixiert ist; es gibt die ekligen Tiermißhandlungsfilme, die sich die veganische Protagonistin reinzieht; es gibt die ältere Frau weit jenseits der Menopause, die großes Interesse an dem Kind zeigt. Man kann diese bizarren Beigaben teilweise als ironischen Kommentar zu dem Kindhabenwollen der Protagonistin sehen, aber man mag sie auch als irreführend empfinden, gerade wenn man einen geradlinigen Horrorfilm erwartet. In jedem Fall bekommt der Film aber die Kurve und steuert geradewegs auf das wirklich grauenerregende Finale zu, verzichtet dabei auf plumpe Effekthascherei und auf die Denunziation von Mutterschaft. Ich war ziemlich auf der Seite der Heldin! Ich würde – gerade weil er so gut gemacht ist und auf die Details achtet – schwangeren Frauen entschieden von GRACE abraten, denn der normale Streß reicht da wohl schon völlig. Die Schauspieler liefern übrigens auch durchweg gute Leistungen ab. Jordan Ladd kennt man aus diversen neueren Horrorfilmen sowie Tarantinos DEATH PROOF; Gabrielle Rose war in diversen Atom Egoyans. Gibt es wirklich Brustpumpen, mit denen sich Frauen die überschüssige Milch absaugen können? Ich kenne ja nur Vakuumpumpen...


Foto

"His soul is still dancing!"


Bad Lieutenant (2009) (DVD)

Terence McDonagh (Nicolas Cage) ist Cop und hat ein Drogenproblem. Und ein Wettproblem. Und ein Nuttenproblem. Und ein Problem mit der Dienstaufsicht. Und ein Problem mit Mafiosi. Und ein Problem mit einem ranghohen Politiker. Und ein Problem mit Drogengangstern.

THE BAD LIEUTENANT: PORT OF CALL – NEW ORLEANS hat eigentlich nur ein Problem – kaum jemand wird in der Lage sein, ihn nicht mit Abel Ferraras Meisterwerk zu vergleichen. Ich habe keine Ahnung, wie die Genesis des Projektes aussah, aber ich schätze mal, es sollte ursprünglich ein direktes Remake werden. Zum Glück löste man sich von diesem frevelhaften Vorhaben. Werner Herzog kann man dabei keinen Vorwurf machen, denn er hat stets beteuert, daß es sich eben nicht um eine Neuverfilmung handele, daß er einen eigenständigen Film machen wollte. Mein Herz gewann der Film in jenem Moment, in dem Cage zum ersten Mal die Leguane sieht, mit einer speziellen Leguan-Kamera. Herzogs Film enthält einige solcher wirklich überraschenden Momente, überreizt sein Blatt aber auch nicht. Nicolas Cage finde ich in der Hauptrolle grandios. Sein Bad Lieutenant hat nichts von Keitels getriebenem, ständig an der Grenze zur Explosion stehenden Katholiken. Stattdessen wirkt McDonagh wie ein normaler No-Nonsense-Cop, für den das Leben ein einziges Glücksspiel zu sein scheint. In seiner ersten Szene – während der Flutkatastrophe nach dem Hurrikan Katrina – denkt man noch: Oh je, jetzt kommt so eine Art TORRENTE, wieviel Asoziales kann ein Cop im Laufe eines Filmes tun, gähn. Tatsächlich beginnt Cage den Tag mit einer guten Tat und verletzt sich dabei den Rücken, wird bis ans Ende seines Lebens Rückenschmerzen haben. Der Doktor verschreibt ihm Schmerzmittel, und schon bald graduiert McDonagh über Koks bis ans Ende einer Crackpfeife. Nicolas Cage ist ja nun nicht gerade bekannt für seine leisen, bedächtigen Darstellungen. Er drückt ganz gerne mal auf die Tube. In PORT OF CALL hat er jeden Grund dazu, denn der Film ist eine schwarze Komödie, wenn auch eine knochentrockene. Ab Minute 30 habe ich angefangen zu lachen, und dann ging es immer weiter... Fakt ist, daß der Film den Ferrara'schen Diskurs über Schuld und Sühne komplett verweigert. Der Werdegang von McDonagh ist eigentlich eine Groteske, nimmt an Bizarrheit in demselben Maße zu, wie McDonaghs Leben von Drogenhallus dominiert wird. Der Mann ist keine tickende Zeitbombe, sondern eine menschgewordene Flipperkugel. Ich darf leider nicht verraten, wie der Film ausgeht, aber es gibt eine Art Weihnachtsmannszene, bei der ich auf dem Boden gelegen habe! Auch ansonsten gibt es einige sehr gut geskriptete Passagen. Gerade die leiseren Momente (in denen Nicolas Cage nicht aussieht wie eine Crackpfeifen-Version von Ebenezer Scrooge!) unterlaufen die Erwartungen, die man an den Film als Polizistendrama wie als Remake haben mag. Ich liebe zum Beispiel den Umstand, daß es drei oder vier Szenen gibt, in denen Cage bei Verhören auftritt wie King Dick, am Schluß der Gespräche aber völlig in der Luft hängenbleibt, irritiert und genasführt. Gegen Ende hatte ich große Bedenken, daß der Film hier doch noch einen gravierenden Fehler machen würde. Manchmal hat man das ja, daß ein dümmlicher Einfall zum Schluß einen ganzen Film in den Abgrund reißt. PORT OF CALL tanzt eigentlich die ganze Zeit über am Abgrund, entläßt einen donnernden Lippenfurz Richtung Publikum und springt elegant zur Seite. Ich hatte schlimmste Befürchtungen, daß BAD LIEUTENANT ein schlechter Film werden würde. Gut, daß ich ihn mir trotzdem angesehen habe!


Foto

Zug nach Nirgendwo, Folge 377


Train (DVD)

Ein juveniles Ringer-Team (gemischt) befindet sich gerade auf Rußlandreise. Für die Weiterfahrt sichert man sich nur mit einer Menge Glück einige Plätze Richtung Odessa, doch das Glück erweist sich recht bald als trügerisch: Skrupellose Organhändler und ihre schmierigen Handlager verrichten an Bord ihr blutiges Handwerk...

Die gute Thora Birch muß an einem wichtigen Punkt ihrer Karriere irgendjemanden mörderisch verärgert haben. Wie sonst ist es zu erklären, daß sie jetzt in solchen Billig-Horrorfilmen herumhampeln muß? TRAIN ist eine weitere Variante auf xenophobe Fantasien à la HOTZEL und TURISTAS, nur bedeutend schlechter gemacht. (Halt eine „Nu Image“-Produktion, haha!) Diesmal sind es eben die hübschesten Nachwuchsringkämpfer des amerikanischen Studentensystems, die sich den Niederträchtigkeiten des feindlichen Auslandes aussetzen, und natürlich wimmelt Rußland vor grenzdebilen Flüchtlingen aus einem Backwoods-Horrorfilm, die alle hübsch pittoresk anzusehen sind. Horrorfilme handeln ja per Definition von Universalängsten, also von unbewältigten Krisensituationen und was die mit Leuten so anstellen. Das macht die Ängste am Busen des Horrorkinos meistens zu einer infantilen und häufig rassistischen oder sexistischen Angelegenheit, denn auf zufriedener Reife wächst kein Schrecken. Während die meisten Horrorfilme einen spielerischen Umgang mit diesen eher unerfreulichen Tendenzen anstreben, kommen jetzt immer mehr Produktionen auf den Markt, die ungefiltert und unreflektiert einen Eimer Gülle über den Zuschauer ausschütten und das Ganze dann vermutlich für entlarvenden Realismus halten. Damit mögen sie Recht haben, wenn auch anders als beabsichtigt. TRAIN schenkt sich jeden Versuch, die Protagonisten bzw. die Helden bzw. das Kanonenfutter sympathisch oder zumindest interessant zu gestalten. Schon vor den ersten Aderlässen werden sie charakterisiert durch das „Höher, schneller, weiter“ des von ihnen gewählten Berufes. Es gibt minimale Andeutungen von Beziehungsproblemen. Das war es dann aber auch schon. Es könnte einem nichts egaler sein als das, was mit diesen Flitzpiepen passiert. Dann kommt der übliche Mumpitz mit teilweise verwachsenen oder debilen, teilweise von monströser Gefühllosigkeit geprägten Schurken, die alle sehr fremd sind und sogar eine andere Sprache sprechen, wie das im Ausland schon mal vorkommen kann. Der Umgang mit den Charakteren orientiert sich in erster Linie an ihrer Eignung als Rohmaterial für Blutstürze: Im Original werden Brustkörbe geknackt, Augen und Brustpiercings herausgerissen, Schwänze abgeschnitten etc. Wem was passiert, ist im wahrsten Sinne des Wortes wurst. Warum die Bösewichte ihre ethisch bedenklichen Medizinpraktiken ausgerechnet an Bord eines Reisezuges durchführen, bleibt natürlich im Dunkeln. Viel wichtiger ist, daß sie schmuddelig, herzlos, sexuell ambivalent und (im Original) nicht stubenrein sind. Es passiert nicht häufig, daß mir ein so lieblos und kaltschnäuzig zusammengezimmerter Mist vorkommt. Da erscheint einem jeder FREITAG DER 13., als habe da Orson Welles persönlich Hand angelegt. TRAIN ist ein völlig banaler, langweiliger, menschenverachtender Dreck. Er schillert in all seiner Un-Pracht und zeigt immerhin auf, wie ziellos der Versuch, immer noch einen draufzusetzen in punkto Drastik, eigentlich ist. THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE machte aus einer solchen Terrorsituation einen beeindruckenden Comic-Strip und ist in Deutschland immer noch beschlagnahmt, obwohl er sich explizite Bluteffekte vollständig verkneift. DAWN OF THE DEAD – ebenfalls beschlagnahmt – splattert zwar nach Leibeskräften, aber verglichen mit dem kalkulierten Pseudo-Realismus der neuen Filme wirkt er regelrecht kuschelig. TRAIN ist ein weiteres Beispiel für die Fantasielosigkeit, mit der heutzutage eine Marktlücke ausgebeutet werden soll, die bald an ihrem eigenen Hang zum Exzeß ersticken wird. Es ist alles nicht mal richtig anstößig – es ist eher banal und langweilend. Und ein klein wenig deprimierend. Die deutsche Fassung ist obendrein um fast 7 Minuten (!) gekürzt, so daß sich nicht einmal Gorehounds für diesen Unfug interessieren sollten. Gullymurks.


Foto

Zwei Mönche sind einer zuviel


Dos monjes (US-Video)

In einem mexikanischen Kloster kommt es zu atmosphärischen Störungen, als ein Bruder Javier am Rad dreht: Er tobt, schreit Blasphemien und benimmt sich daneben. Ein neu hinzugekommener Mönch soll ihn beruhigen. Dies mißlingt aber. Stattdessen prügelt Javier den Mönch fast tot. Einem Beichtvater erzählt Javier dann, wie es zu diesem Eklat gekommen ist – Liebe, Betrug, Unglück und ruchselige Mordtat...

Nach EL FANTASMA DEL CONVENTO war dies schon der zweite Film, der Juan Bustillo Oro ins Kloster führte. Hier allerdings zeichnete er auch als Regisseur verantwortlich, und es war sein gerade mal dritter in einer langen Reihe von Filmen, die er in den folgenden Jahrzehnten drehen sollte. DOS MONJES ist ein gotisches Drama, schwer beladen mit katholischen Schuldvorstellungen, mit lasterhafter Liebe und Freundesverrat, der am Kreuze bereut werden will. Wie so häufig bei Filmen der frühen 30er ist der Musikeinsatz eher spärlich. Es gibt eine jazzige Vorspannmusik, einige sentimentale Weisen, die an geschickten Stellen deponiert werden, und am Schluß ein finales Orgelgewitter. Der weitgehende Verzicht auf flieselnde Musikbegleitung sorgt für einige sehr beachtliche Passagen, u.a. den Anfang, der alte Mönche dabei zeigt, wie sie das Kloster vom Bösen zu exorzieren versuchen. Die visuelle Gestaltung verrät deutlich den Einfluß des expressionistischen Stummfilmes deutscher Prägung. Sieht man einmal davon ab, daß das Kloster – wie bei EL FANTASMA – ein Originalschauplatz zu sein scheint, betont die Bildführung die geräumigen Sets, läßt die Protagonisten fast hilflos darin wirken. Auch die „mundänen“ Liebesgeschichten-Schauplätze werden häufig (z.B. durch schräggestellte Kamera) optisch verfremdet. Der Film wirkt tatsächlich ausgesprochen modern, sieht man einmal von der knüppeldick aufgetragenen Moral ab, die den irregeleiteten Mönch schließlich dem Tode überantwortet, das untreue Eheweib – mag sie auch noch so von Tragik umwittert sein – gen Hades schickt, und den übriggebliebenen Mönch vermutlich in den Schuldturm schickt. Beachtlich ist neben der visuellen Kunstfertigkeit die Erzählweise, die zwei Versionen ein und derselben Geschichte aufeinander folgen läßt, wobei die spätere Version den gewonnenen Eindruck des Zuschauers relativiert. DOS MONJES ist also ein Vorläufer von RASHOMON, wenn man so möchte. Er wird gern im Zusammenhang mit dem Horrorgenre erwähnt, was aber – anders bei EL FANTASMA, der eine veritable Geistergeschichte erzählt – nicht so ganz hinhaut. DOS MONJES ist ein moralisches Drama, dessen „gothic touch“ beim zeitgenössischen Publikum für den einen oder anderen Schauer gesorgt haben mag, aber heutzutage beeindruckt er in erster Linie wegen seiner ästhetischen Gewandung und seiner ungewöhnlichen Erzähltechnik.


Foto

In Eis und Schnee, nördlich irgendwo...


Valkoinen peura (FIN-TV)

Pirita ist eine junge Frau, die im finnischen Eisland einen Jäger heiratet. Dieser läßt sie aber links liegen, so daß sie die Hilfe einer männlichen Kräuterhexe (eines Wurzelseppes?) in Anspruch nimmt. Ein gebrauter Zaubertrank soll ihr die Aufmerksamkeit des Gatten erhaschen, doch muß sie das erste Lebewesen am großen Altar opfern, das ihr über den Weg läuft, und das ist ein süßes kleines Rentier. Tatsächlich wirkt sie danach sehr anziehend auf die Männer der Umgebung, doch verwandelt sie sich auch beizeiten in ein weißes Rentier, das die Jäger in den Tod lockt...

Ein sehr obskurer finnischer Film von 1952, der jenseits seines Produktionslandes fast unbekannt ist. Tatsächlich gehört VALKOINEN PEURA („Das weiße Rentier“) zu den wenigen Filmen seiner Art, die mir Tränen in die Augen getrieben haben, weil sie einfach nur unsagbar schön sind. Die Geschichte – eigentlich eher ein folkloristisches Märchen – spielt sich ab in einer kargen Eislandschaft, in der die Nutztierhaltung die Haupteinnahmequelle zu sein scheint. Die Menschen dort sind offen und fröhlich, aber auch von ausgesprochener Robustheit und gelegentlich schroff wie ein Fels. Sentimentalität gibt es da keine. Genauso präsentiert sich der Film: Er wird von Anfang bis Ende dominiert von der atemberaubenden Landschaft, in der die Menschen – nicht unähnlich alten 30er-Jahre-Filmen von Trenker oder Fanck – nahezu verschwinden vor der Majestät der Natur. Die Menschen, die den Film bevölkern, machen größtenteils den Eindruck von Laiendarstellern. Sie wirken auf jeden Fall sehr realistisch. Der Dialog wird sparsam eingesetzt, wie auch die Menschen in dieser Umgebung eher wortkarg sein müssen. Mir ist erneut aufgefallen, was für prachtvolle Tiere Rentiere eigentlich sind. Ganz was anderes als so ein zotteliger Werwolf... Die psychologische Deutung, die sich bei Werwolffilmen anbietet und gerade in neueren Exemplaren aus Amerika auch gerne überexpliziert wird, ist hier ganz nebensächlich. Man fühlt eher, daß die Hexe (Wer-Rentier? Vampirin?) hier zum einen die Strafe zu schmecken bekommt für ihren Hochmut (christlich), zum anderen aber auch die Natur repräsentiert, gegen die der Mensch sich nicht versündigen darf. Bemerkenswerterweise handelt es sich auch um einen feministischen Horrorfilm, da man Pirita kaum böse sein kann für ihre „Übertretung“. Mit Frauen wird in der Welt des Filmes nur geschachert, sie werden in Gold aufgewogen; sie sind aber keine eigenständigen Persönlichkeiten. Pirita wird, durch den Fluch, zu einer eigenständigen Persönlichkeit – sie hat Macht, sie ist kraftvoll, sie ist schön, als Mensch wie als Tier. Man kann nicht umhin, die Frau zu bewundern, und den Schluß fand ich sogar noch trauriger als jenen von KING KONG. („Die bösen Deppen sollen meiner Hexe nichts tun, schnüff...“) Die Schauspielerin, die Pirita spielt, war obendrein die Ehefrau des Regisseurs, so daß es nicht weiter überrascht, daß von ihr ein Glanz ausgeht, auch wenn sie „böse“ ist... Untermalt wird der gerade einmal 67 Minuten lange Film von einem umwerfenden Soundtrack, der symphonische Idylle mit atonalen Passagen, unheimlichen Chören und schamanischen Rhythmen verbindet. Kurzum, ein Film, der mich völlig umgehauen hat! Bitte auf DVD rausbringen, aber ganz schnell! Und bitte – BITTE! – kein Hollywood-Remake...


Foto

Nostradamus und die sieben Zwerge


The Man Without A Body (US-TV)

Okay. Da ist also dieser reiche Mann, ein gewisser Karl Brussard. Er ist kein netter Mann, hat seine Millionen offensichtlich durch Ellenbogen und Rücksichtslosigkeit gemacht. Aber er hat trotzdem ein Problem: Er muß bald sterben! Der grimmige Sensenmann hat ihm einen bösartigen Tumor in den Kopf gesetzt, und da hilft ihm sein Geld auch nicht mehr weiter. Oder doch? Er macht die Bekanntschaft des freien Forschers Phil Merritt, der es geschafft hat, Affenköpfe getrennt vom Körper weiterleben zu lassen. (Gee whiz!) Mehr noch: Einige der transplantierten Affenhirne waren bereits seit Monaten tot. Merritt hat es irgendwie geschafft, das Hirngewebe wiederzubeleben. Woraus Geldsack Brussard nun messerscharf schließt, daß ihm die Chance zum Weiterleben offeriert wird. Wie dieses Weiterleben nun aussehen soll, ist mir nicht ganz klar geworden. Will Brussard als körperloser Kopf weiterleben? Der vorzügliche Drehbuchautor geht hier nicht in die Details. Tatsache ist, daß Brussard nun einen gescheiterten Mediziner anheuert, um den Kopf von Nostradamus zu klauen. (Warum auch nicht?) Mit dem faltigen Kopf unterm Arm kommt Brussard schließlich in Merritts Laboratorium, und abgesehen davon, daß sich Merritt nicht wirklich wundert, wo Brussard den Mumienkopf eigentlich her hat, dauert es auch nicht lange, bis der Kopf wieder sprechen kann. Erfreulicherweise spricht Nostradamus Englisch, so daß alle ihn verstehen können. (Stöhn.) Nun schlägt Brussards Stunde: Beschwörend spricht er auf den Kopf ein: „Du bist Brussard! Du bist Brussard!“ Offensichtlich versucht er, dem Gehirn des berühmten Sehers seine eigene Persönlichkeit aufzupfropfen, wie immer sich der vorzügliche Drehbuchautor das auch vorstellt. Da einige Verwicklungen später Brussard den Liebhaber seiner französischen Konkubine erschießt, wird Nostradamus´ Kopf dem Liebhaber auf den Körper gepflanzt...

Zeitgenössische Kritiker sprachen von einem Frankenstein-Monster mit einem Abfalleimer auf dem Kopf. Ich möchte den zeitgenössischen Kritikern hier nicht widersprechen. Besagtes Monster betritt die Bühne leider erst im Schlußakt. Bis dahin muß sich der Zuschauer mit den allerdings beachtlichen Absurditäten des Drehbuches und dem Überchargieren und Unterchargieren (kurz: der Schmiere!) der Schauspieler bescheiden. Für die Regie dieser unglaublich stullesken britisch-amerikanischen Koproduktion zeichen Charles Saunders (WOMANEATER) und Billys Bruder W. Lee Wilder verantwortlich. Der Film ist leider ziemlich selten, so daß ich ihn erst jetzt zu sehen bekam. Und es hat sich gelohnt: Was für eine Granate! Die Grundidee orientiert sich einmal mehr an Curt Siodmaks „Donovan's Brain“, aber sie wird von unerklärlicher Demenz durchgequirlt, bis man am Schluß einen leckeren Katastrophen-Cocktail hat. Hätte ich diesen Film bereits bei meinem Gehirnfilm-Artikel gekannt, wäre der Text doppelt so gut geworden!


Foto

Vor und nach dem Körper


Auftauchen (DVD)

Die Studentin Nadja lernt in einer Disco den jüngeren Darius kennen. Was für sie zunächst als sexuelle Unterhaltung von Interesse ist, wird schon bald deutlich mehr. Genießen sie zunächst das Gefühl des gemeinsamen Verliebtseins, setzt schon bald der Kopf ein. Sie lernen einander besser kennen, und alles wird fürchterlich kompliziert. Dann wird Nadja schwanger...

Wäre AUFGETAUCHT ein Deppenfilm, würde hier die Besinnung auf die Matrix „Kind, Familie, Hund und Wagen“ einsetzen, der Kotau vor der Konvention, das gemeinsame Glück als Dauerauftrag derjenigen, die zu träumen aufgehört haben. AUFGETAUCHT ist allerdings kein Deppenfilm, sondern ein recht guter. Das Grundgerüst der Story ist so schlicht, wie es eben sein könnte. Das liegt auch daran, daß die Protagonisten sich Schlichtheit herbeisehnen. Nadja möchte zu Beginn einfach nur ficken. Ihr Auserwählter, Darius, verhält sich zunächst schüchtern, zögerlich, doch willigt er ein. Solange beide im Sinnestaumel dahinschweben, läuft alles ganz famos. Auch der Alltag wird zur Nebensache. Das Studium vernachlässigt Nadja völlig. Ihrem Job bei einem Trendmagazin folgt sie, da sie einen Auftrag hat, der sie persönlich tangiert. Es geht um eine junge Frau, Nike, die im Sanatorium war und vermutlich vergewaltigt worden ist. Im selben Maße, wie sich Nadjas Illusionen in bezug auf ihre Beziehung in Rauch auflösen, geht aber auch ihr Fotoauftrag mit Nike über den Jordan. Es gelingt ihr nicht, den richtigen Moment zu finden, an dem alles stimmt. Sie bekommt immer nur die Momente davor und danach zu packen. Darius fühlt sich zunehmend überfordert von der Beziehung mit Nadja und zieht sich zurück. Den richtigen Moment bekommt Nadja in gewisser Weise doch noch zu fassen, nur macht sie das nicht unbedingt glücklicher. AUFTAUCHEN ist schwere Kost, aber dabei bemerkenswert aufrichtig. Er verweigert sich konsequent den gewohnten Situationen der „Amour Fou“-Geschichte, serviert keine leichten Lösungen, aber auch keinen selbstmitleidigen Schmonzes. In Filmform geraten komplizierte Beziehungen bekanntlich gern zu überhöhtem und aufgeblasenem Mist. Daß die Mechanismen der Beziehung zwischen Nadja und Darius so realistisch und gut beobachtet wirken, liegt nicht nur am unaufdringlichen Understatement der Inszenierung, sondern auch am hervorragenden und gelegentlich schmerzhaften Spiel der beiden Hauptdarsteller Henriette Heinze und Golo Euler. Die Heinze habe ich bereits in VOLLGAS sehr bewundert. In AUFTAUCHEN ist sie recht häufig nackt zu sehen, aber am nacktesten wirkt sie, obwohl angezogen, am Schluß des Filmes. Die Fixiertheit mit dem Körper steht am Anfang, und je mehr sich die Protagonisten davon entfernen, desto unglücklicher werden sie auch. Der Film verteufelt diese Körperfixiertheit überhaupt nicht. Der Titel des Filmes orientiert sich am glücklichsten Moment der beiden miteinander, und der hat mit Sex zu tun. Danach setzt der Tod der Illusionen ein, das Reflektieren, das „Sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen“, der Auftakt zum Grabenkrieg, der das Gleichgewicht zerstört. Obwohl ab 12 Jahren freigegeben, ist AUFTAUCHEN ein sehr schöner Film über Sex, verkitscht nicht, distanziert sich nicht, dämonisiert nicht. Der Körper gibt den Ton an, in guten wie in schlechten Zeiten. Man liebt, aber man straft auch, sich selbst und den anderen. Der Regisseurin Felicitas Korn ist ein kluger Film gelungen auf einem Gebiet, das vor dummen Filmen nur so strotzt. Hat mir sehr gefallen!





Neuste Einträge

Neuste Kommentare