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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE YOUNG SAVAGES (John Frankenheimer/USA 1961)


"What do you want? What are you searching for?" - "The truth!"

The Young Savages (Die jungen Wilden) ~ USA 1961
Directed By: John Frankenheimer


In Harlem wird auf offener Straße ein fünfzehnjähriger, blinder, puertoricanischer Junge (José Perez) ermordet. Als Täter erweisen sich drei Jugendliche (Stanley Kristien, John Davis Chandler, Neil Nephew) zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren aus dem benachbarten italienischen Viertel. Die Anklage gegen sie vertritt Staatsanwalt Bell (Burt Lancaster), selbst ein Emporkömmling aus Harlem, voll von beruflichem Ehrgeiz und latentem Hass gegen die Zustände in seinem Stadtteil. Berufliche Recherche sorgt dafür, dass Bell die Aggressionen der Jugendlichen gegen sich und seine Familie schürt. Erst nach einer Extremsituation in der U-Bahn findet Bell die nötige Objektivität für die anstehende Gerichtsverhandlung.

Hartes Sozialdrama als Kinodebüt von Frankenheimer, das mit einem exzellent inszenierten "Knall" beginnt und sich bis zur obligatorischen courtroom sequence am Ende durchweg fesselnd belässt. "The Young Savages" greift das schon in den Jahren zuvor häufig bediente Thema der juvenile delinquents auf, der verwahrlosten Kids, die in den Straßen der Groß- und Kleinstädte aufzubegehren beginnen gegen muffige Autorität und soziale Perspektivlosigkeit. Ein Mord ohne Sinn ist hier der Dreh- und Angelpunkt, einer, in dem sich die hochgekochten Aggressionen mit aller Macht den Weg bahnen und der letzten Endes nur ein solches Medienecho arreicht, weil er von einem Gouverneurskandidaten (Edward Andrews) zum wahlrelevanten Politikum hochgespielt wird. Für den wie immer fabelhaft spielenden Burt Lancaster ist indes der obligatorische Wandel vom Saulus zum Paulus angesagt. Der ehrgeizige D.A. blickt über den Tellerrand seiner Profession und tut am Ende das Richtige. Abgesehen von dieser bald märchenhaft-überzeichneten, klischierten Figurenzeichnung ist Frankenheimers Film als reine Regieleistung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt geprägt von höchster Könnerschaft.

8/10

John Frankenheimer Courtroom New York Ethnics


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GOOD WILL HUNTING (Gus Van Sant/USA 1997)


"It's not your fault."

Good Will Hunting ~ USA 1997
Directed By: Gus Van Sant


Der junge Will Hunting (Matt Damon) jobbt auf dem Bau und betätigt sich zusätzlich als Reinigungskraft in der Uni von Harvard. Seine Freizeit verbringt er vornehmlich sinnfrei mit seinen Kumpels (Ben Affleck, Casey Affleck, Cole Hauser), mit denen er vornehmlich um die Häuser zieht und sich auch schonmal den einen oder anderen illegalen Lapsus leistet. Als er wegen einer erneuten Schlägerei endgültig verurteilt zu werden droht, nimmt sich Professor Lambeau (Stellan Skarsgård) seiner an. Dieser hat nämlich erkannt, was hinter Wills renitentem und postpubertärem Gehabe steckt: Ein intellektueller Kopf und ein mathematisches Genie, das die Narben der Vergangenheit nie ganz ausheilen ließ und aus Selbstschutz alles negiert, was ihn seiner kleinen Welt entreißen könnte.
Um sich zu bewähren, muss Will nun regelmäßige Sitzungen bei einem Therapeuten nachweisen. Nach einem massenhaften Verschleiß landet er bei Lambeaus altem Freund Maguire (Robin Williams), der es schließlich schafft, Wills Unnahbarkeitspanzer zu knacken.

"Good Will Hunting" kann auf ein gesegnet kluges, in seinen Dialogen höchst geschliffenes Script bauen, das aus einer ansonsten recht konventionell inszenierten Underdog-Geschichte dann doch etwas Besonderes macht. Dabei bietet der Film erklärten Gegnern sicherlich nicht wenig Angriffsfläche. Das beginnt schon mit Robin Williams in der immergleichen Rolle als heilsamer Gutmensch, dessen hier dargestellter Charakter zudem eine punktgenaue Mischung aus zweien seiner Repertoire-Klassikern, dem Lehrer John Keating und dem Penner Parry darstellt. Dann kommt uns der zerkratzt-unwirsche Genius, das zunächst die Mauern seiner wahlweise intellektuellen, emotionalen, psychischen oder auch sozialen Isolation niederzureißen hat, um sein Leben in Erfüllung zu leben, keinesfalls unbekannt vor. Im Gegenteil, die Vorbilder dafür sind Legion. Und doch hat "Good Will Hunting" mancherlei, das ihn durchaus positiv von diesen abzuheben scheint: Ein unerschütterliches Selbstvertrauen, eine ernstgemeinte Authentizität. Beim Scharren an der Oberfläche kommt nämlich rasch zum Voirschein: Van Sants Film ist auch und insbesondere eine Liebeserklärung an Bostons Proletariermilieu, an die schluffigen Ecken und an das irische Erbe der Stadt. Tatsächlich ist "Good Will Hunting" fast ausschließlich ein Drehbuchfilm, dem die Regie-Spirenzchen, die man andernorts von Van Sant nicht selten durchzustehen hat, alles andere als gut getan hätten. Umso dankenswerter, dass der Mann hier darauf verzichtet hat.

8/10

Gus Van Sant Boston Harvard Mathematik Psychiatrie


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A PLACE IN THE SUN (George Stevens/USA 1951)


"Goodbye, George."

A Place In The Sun (Ein Platz an der Sonne) ~ USA 1951
Directed By: George Stevens


Der junge Herumtreiber George Eastman (Montgomery Clift) kommt nach Kalifornien, um in der Bademodenfabrik seines reichen Onkels Charles (Herbert Heyes) arbeiten zu können. Am Fließband lernt er die Arbeiterin Alice (Shelley Winters) kennen. Nah einer heftigen Affäre wird sie von ihm schwanger und erwartet von George, dass er sie heiratet. Dieser hat sich derweil jedoch in das aus wohlhabendem Hause stammende Society Girl Angela Vickers (Elizabeth Taylor) verliebt. Alice wird für George, der das süße Leben der reichen Gesellschaft zu schätzen beginnt, zu einem beschwerlichen Klotz am Bein und er beginnt zunehmend aggressive Gedanken gegen sie zu hegen. Schließlich kommt es zur Katastrophe.

"A Place In The Sun" gilt als einer der großen Hollywood-Klassiker und wird regelmäßig hinzugezogen, wenn es um repräsentative Kanonisierungen der amerikanischen Filmgeschichte geht. Und tatsächlich bietet Stevens' Romamadaption großatmiges Standesdünkel-Drama vom Feinsten. Ein Emporkömmling, der zunächst seine, aus großbürgerlicher Warte betrachtet ungebührliche Vergangenheit schwärzen muss, bevor er wirklich zu den oberen Zehntausend gehören kann, gerät in die Falle kapitaler Notkriminalität. Die "Mordszene" (die eigentlich bestenfalls eine halbe ist) auf dem finsteren, unenergründlich tief scheinenden Eistaucher-See bedeutet vermutlich Stevens' inszenatorische Sternstunde, "Shane" hin, "Giant" her. Und dann ist da ja noch die Liebe. Eigentlich kommt George Eastman ja gar nicht zu den Frauen - sie kommen zu ihm. Erst die rustikale Alice Tripp (Shelley Winters sah tatsächlich mal jung und rank aus), dann die ätherische Angela Vickers (Elizabeth Taylor war nie schöner) und beide brechen sie ihm auf ihre Weise das Genick. Immerhin kann George sich auf seinem letzten Gang ihrer beider aufrichtiger Liebe sicher sein.

9/10

amour fou Americana Kalifornien Theodore Dreiser George Stevens Courtroom


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PICNIC AT HANGING ROCK (Peter Weir/AUS 1975)


"Everything begins and ends at the exactly right time and place."

Picnic At Hanging Rock (Picknick am Valentinstag) ~ AUS 1975
Directed By: Peter Weir


Südaustralien, im Jahre 1900. Ein Ausflug einiger Mädchen vom renommierten Appleyard-Internat zum nahe gelegenen Bergmassiv Hanging Rock endet katastrophal: Drei der Schülerinnen (Anne Lambert, Karen Robson, Jane Vallis) sowie eine Mathematiklehrerin (Vivean Gray) verschwinden spurlos, ein viertes Mädchen (Christine Schuler) bleibt völlig verstört zurück. Für die erzkonservative Schulleiterin Mrs. Appleyard (Rachel Roberts) bedeutet dieses Ereignis eine Katastrophe. Man beginnt zu reden, die Eltern fangen an, ihre Töchter von der Schule abzumelden, einige Kolleginnen nehmen den Hut. Mrs. Appleyard lädt ihren gesammelten Frust an der sensiblen, aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schülerin Sara (Margaret Nelson) ab, die mit den verschwundenen Mädchen befreundet war. Schließlich wird eine der drei (Robson) von einem unermüdlich suchenden Aristokratensohn (Tony Llewellyn-Jones) aufgespürt. Doch auch sie hat keine erklärung für die mysteriösen Ereignisse.

Dass Weirs prächtiges Sittengemälde mit allgemeiner Zustimmung in die Horrorecke gestellt wird, hat mir nie so ganz geschmeckt. Ich finde darin vielmehr ein mit einer durchaus magischen Konnotation versehenes Coming-of-Age-Drama über den zerstörerischen Einfluss der strengen, viktorianischen Autorität, in dessen Mittelpunkt eine ans Heroische grenzende Entscheidung steht. Drei (bzw. zwei) Mädchen und eine als streng logisch denkend bekannte Lehrerin durchbrechen die Zwänge der sie umgebenden Sozialgemeinschaft und bringen damit die Wände einer ihrer symbolischen Institutionen zum Wackeln und schließlich gar zum Einstürzen. Mit ihrem versammelten Verschwinden sorgen sie dafür, dass das stockkonservative Appleyard-College, für manche seiner Schülerinnen (wie die wegen fehlender Mittel gezielt ausgegrenzte Sara) wie ein Höllenvorhof anmutend, seine Pforten mittelfristig zu schließen hat. Dabei spielt auch das sexuelle Erwachen eine gewichtige Rolle: Mit dem Reifen zur Frau und damit zur erwachsenen Mündigkeit kommt der Ausbruchswunsch. Der Film ist voll von entsprechenden Hinweisen und Motiven. Ein besinnlicher, hochästhetischer Genuss, den ich zunehmend weniger als verstörend denn vielmehr als sehr luzid wahrnehme.

9/10

Peter Weir period piece Schule Coming of Age Australien


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BRONSON (Nicolas Winding Refn/UK 2008)


"No one gives a toss about Charlton Heston. The man's a cunt."

Bronson ~ UK 2008
Directed By: Nicolas Winding Refn


Der englische Strafgefangene Michael Peterson (Tom Hardy), der sich während einer kurzen Phase in Freiheit in "Charles Bronson" umtaufen lässt, gilt als renitentester Gefängnisinsasse des Königreichs. Immer wieder stielt er während seiner Knastaufenthalte bizarre Kidnapping-Situationen ein, die er in zunehmend künstlerischer Weise "veredelt" und die dazu führen, dass er die meiste Zeit seiner Gefangenschaft in Einzelhaft zu verbringen hat.

Mit "Bronson", den ich für seinen bis dato besten Film halte, ist Winding Refn binnen relativ kurzer Zeit endgültig in meinen persönlichen Olymp der Lieblingsregisseure aufgestiegen. Allein für die Entscheidung, sich eines Antihelden wie dem britischen Langzeitknacki Charles Bronson anzunehmen, der seine Aktionen und sich selbst im Laufe der Jahre zu lebenden Kunstwerken, Installationen und Performances stilisiert hat, gebührt Winding Refn bereits allergrößter Respekt. Seine filmische Reise ins wesentlich widerständische Innere jenes Menschen gerät dann endgültig zu einem psychologischen Parforceritt, der glücklicherweise alle Regeln in den Wind bläst und dessen Finalgestalt genau so verrückt und exaltiert erscheint, wie es dem Sujet zukommt. Die weder chronologisch noch lokal kaum näher ausgewiesenen Episoden aus Bronsons Leben werden immer wieder durchbrochen von autobiografischen Statements, die den Protagonisten vor einem imaginären Bühnenpublikum zeigen und seine bizarren Maskeraden zu einer bald manischen Form der Selbstperspektive stilisieren.
Meine endgültige Höchstachtung hat "Bronson" dann insofern erobert, als dass er sich jeglicher Sympathie oder Antipathie gegenüber seiner Titelfigur enthält und stattdessen seiner Audienz die entsprechende Offerte macht. Die Entscheidung darüber, ob dieser Mann nun ein hoffnungslos asoziales, gefährliches Subjekt ist oder tatsächlich einer, dessen vorsätzliche Weigerung zur gesellschaftlichen Normierung schlicht inkompatibel ist mit der allgemeinen Vorstellung von Subordination, das überlässt Winding Refn jedem seiner Zuschauer ganz für sich allein.

10/10

Faustkampf Gefaengnis England Biopic Kunst Nicolas Winding Refn


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REBEL WITHOUT A CAUSE (Nicholas Ray/USA 1955)


"You're tearing me apart!"

Rebel Without A Cause (...denn sie wissen nicht, was sie tun) ~ USA 1955
Directed By: Nicholas Ray


Der junge Jim Stark (James Dean) kommt mit seinem Leben als Teenager nicht zurecht. Von den Eltern missverstanden, insbesondere vom Vater (Jim Backus), jener ein veritabler Pantoffelheld, schlittert er immer wieder in kleinere Delikte. Wieder einmal umgezogen, lernt Jim Judy (Natalie Wood) und Plato (Sal Mineo) kennen, die ähnliche Probleme haben wie er selbst. Die anderen Jugendlichen der Gegend triezen Jim indes und er nimmt an einer gefährlichen Mutprobe teil. Dabei kommt Jims Herausforderer Buzz (Corey Allen) ums Leben. Jim, Judy und Plato verschanzen sich, von Buzz' Freunden und von der Polizei gesucht, in einer leerstehenden Villa.

Vielschichtiges Coming-of-Age-Drama, das vor allem von seiner brillanten Farbdramaturgie und dem Scope-Format lebt. Zudem dürfte "Rebel Without A Cause" als die Mutter aller späteren "teenage delinquent" - Streifen gelten, trotz des bereits zuvor entstandenen "The Wild One" von Laslo Benedek. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Benedeks Film eine ohnehin anrüchige, leicht als kriminell und renitent zu verurteilende Subkultur porträtiert. In "Rebel" hingegen sind es die mittelständischen WASP-Kids aus der Nachbarschaft, die sich urplötzlich unverstanden fühlen, eine no-future-attitude an den Tag legen und dummes Zeug anstellen. Rebellion gegen staatliche Autorität, Eltern und Lehrkörper, gegen all die steinalten Besserwisser treibt diese Jugendlichen um. Der Titel "Rebel Without A Cause", der Nick Ray von Warner aufgezwungen wurde und mit dem er zu Recht überhaupt nicht einverstanden war, stellt insofern ein vollkommenes Paradoxon dar. "Rebel" lag verdammt dicht am Puls seiner Zeit, wie der Film auch, deutlich mehr als "East Of Eden" und "Giant" für den späteren Personenkult um James Dean verantwortlich war. Ich persönlich mag andere von Rays Arbeiten um einiges lieber, weil ich mich von "Rebel" zugegebenermaßen stets eher ungerührt fühlte. Das ändert aber nichts daran, dass er aus rein cinematographischer Perspektive betrachtet großartig ist.

8/10

Nicholas Ray Coming of Age Teenager Familie Freundschaft


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GETTING STRAIGHT (Richard Rush/USA 1970)


"The question isn't about what you do, it's about what you are."

Getting Straight ~ USA 1970
Directed By: Richard Rush


Harry Bailey (Elliot Gould), Vietnam-Veteran und Lehramtsstudent in Oregon, liegt in den letzten Zügen vor seiner Master-Prüfung. Da gerät er in ein gewaltiges Dilemma, ob er sich tatsächlich dem ihm verhassten Establishment anschließen, also seine Freundin Jan (Candice Bergen) heiraten und irgendein genormter, obrigkeitshöriger Lehrer werden soll, oder ob er sich und seine liberalen Ideale nicht verbiegen lässt, auf jegliche Autorität pfeift und die radikalen Proteste seiner Kommilitonen unterstützt. Sein Prüfer (Leonard Stone) gibt ihm die letzte noch nötige Antwort.

Um das Jahr 1970, New Hollywood etablierte sich soeben, waren selbst die großen Studios mutig genug, eindeutigen politischen Statements in Filmform den Weg zu ebnen. Diese waren, dem Zeitgeist geschuldet, regelmäßig von establishmentkritischem, humanistischem und sozialistischem Gedankengut vom linken Ende des Spektrums beseelt. Noch kurz zuvor realisierte Filme wie "The Green Berets" waren nach unzweideutig postulierten Leinwand-Statements wie "Harold And Maude", "M.A.S.H." oder "Catch-22" endgültig unmöglich geworden. Neben dem radikal formulierten "The Strawberry Statement" bildete "Getting Straight" nun den zweiten großen "Campus-Film" des Jahres, eine anfänglich noch als Satire eingekleidete, didaktische Emphase, für sich den richtigen Lebensweg zu finden, eben "straight" zu werden. Daraus, dass die einzig denkbar korrekte Haltung für jedermann nun darin besteht, der gesellschaftlichen Verkrustung rund um republikanische Politik, Vietnam, Rassismus, ungleich verteilten Bildungschancen, sexueller Repression und Armut den Mittelfinger entgegenzurecken, macht "Getting Straight" spätestens am Ende keinen Hehl mehr. Fuckin' alright with me.
Anstatt von jedem knautschigen B-Horrorfilm wäre hiervon vielleicht mal ein Remake anzuberaumen, aber auch hübsch attraktiv besetzt, damit möglichst viele Teenies reingehen und mal was Vernünftiges fürs Leben lernen können.

8/10

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EINE STADT WIRD ERPRESST (Dominik Graf/D 2006)


"Wollen Sie auch mal probieren?"

Eine Stadt wird erpresst ~ D 2006
Directed By: Domink Graf


Die betreffende Stadt ist Leipzig und das titelspendende Delikt von einer unbekannten Erpresserbande ersonnen, die sich mit Sprengstoff auskennt und als Demonstration ihres Machtradius' einen wichtigen Strommast fällt. Die eilends eingesetzten Ermittler Kalinke (Uwe Kockisch), Rogalla (Julia Blankenburg) und Banderes (Misel Maticevic) verfolgen eine Spur in die Provinz, wo ein eingeschneites Dörfchen vor dem immer näher heranrückenden Braunkohletagebau zittert.

"Eine Stadt wird erpresst" könnte als Stilübung zu Grafs Mammutprojekt "Im Angesicht des Verbrechens" durchgehen; wie selbiges von Rolf Basedow gescriptet, vereinigen sich hier eine gewisse atemlose Gehetztheit und grobkörnige Authentizität zwecks einer eindrucksvollen Beschau eines großpolizeilichen Einsatzes. Arved Birnbaum ist bereits in der gleichen Rolle zu sehen, die er in "Im Angesicht des Verbrechens" zu spielen haben wird, nämlich als trockener Einsatzleiter, der sein Team zusammenhält und gegenüber der Politik deckelt. Und auch hier spielt die Russenmafia als Abnehmer der "heißen Ware", nämlich der erpressten Diamanten in Millionenwert, eine wesentliche Rolle. Einzig die knappe Erzählzeit verhindert eine ausladendere Komplexität; dafür ist der sozialkritischen Aspekte einer nie getilgten Altschuld sowie der der ehemaligen Ostzonenprovinz, die nach der Wende zum Spielball kapitalistischer Machtbefugnisse wird und damit keinesfalls besser fährt als anno dazumal, ein durchaus packender, wenn auch irgendwie TV-Krimi-typischer.

8/10

TV-Film Erpressung Dominik Graf Leipzig


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DE BRUIT ET DE FUREUR (Jean-Claude Brisseau/F 1988)


Zitat entfällt.

De Bruit Et De Fureur (Lärm und Wut) ~ F 1988
Directed By: Jean-Claude Brisseau


Der kleine Bruno (Vincent Gasperitsch) zieht in eines der namenlosen Hochhausappartements in den Banlieues südlich von Paris. Seine berufstätige Mutter bekommt er praktisch nie zu Gesicht, so bilden sein kleiner Zeisig "Superman", ein herbeiphantasierte Fee (Lisa Hérédia) und der ein paar Etagen tiefer wohnende Freund Jean-Roger (François Négret) Brunos soziale Hauptkontakte. Jean-Roger, ein höchst renitenter Jugendlicher, kommt aus einem völlig verwahrlosten Haushalt mit einem infolge der Algerienkrise schwer kriegstraumatisierten und dem Verbrechen verfallenen Vater (Bruno Cremer). Selbst Mord und Totschlag sind für Jean-Roger völlig normale Alltäglichkeiten. Brunos Lehrerin (Fabienne Babe) schafft es zwar zu ihm durchzudringen, doch auch sie kann nicht 24 Stunden in seiner Nähe sein - im Gegensatz zu Jean-Roger...

Aufrüttelndes und zugleich sehr poetisches Jugendporträt des französischen 80er-Kinos, das einen Brückenschlag wagt zwischen thematisch ähnlich gelagerten Filmen wie Charefs "Le Thé Au Harem D'Archimède" oder Assayas' "Désordre" und den transzendenten Metarealitäten eines Andrzej Zulawski oder Jean-Jacques Beineix. Stete Hoffnung spendend und am Ende doch tieftraurig und resigniert lässt Brisseau sein Publikum zurück; in einer drückenden und doch nie penetrant werdenden Wolke aus Sehnsucht, Gewalt und Tod. Brisseaus Botschaft ist all ihrer schweren Verdaulichkeit zum Trotze ganz einfach: Schon wer ein Mindestmaß überflüssiger Gewalt anwendet, kann unter Umständen und aus Versehen ganze Universen vernichten. Dass eine Schuldfrage darüber hinaus nie geklärt werden kann beziehungsweise sich eine solche Frage erst gar nicht stellt und es nur Verlierer gibt, macht die Geschichte der beiden Jungs Bruno und Jean-Roger umso bitterer.

9/10

Schule Jean-Claude Brisseau Banlieue Jugend Coming of Age


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I AM A FUGITIVE FROM A CHAIN GANG (Mervyn LeRoy/USA 1932)


"How do you live?" - "I steal."

I Am A Fugitive From A Chain Gang (Jagd auf James A.) ~ USA 1932
Directed By: Mervyn LeRoy

Nach seiner Rückkehr als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg will James Allen (Paul Muni) etwas mehr vom Leben als seinen alten Fließbandjob in der örtlichen Fabrik. Seine Streifzüge durch die Staaten sind jedoch nicht von Erfolg gekrönt; er wird im Süden sogar in einen Raubüberfall verwickelt und zu zehn Jahren als Kettenhäftling verurteilt. Der inhumane Strafvollzug jedoch macht ihm rasch klar: Die einzigen Alternativen lauten Flucht oder Tod. Nach einem erfolgreichen Ausbruch lässt sich James unter verändertem Namen in Chicago nieder und arbeitet sich mit den Jahren zum Vize-Vhef einer Brückenbau-Firma hoch, bis ihn seine gierige Ehefrau Linda (Noel Evans) an die Behörden verrät. Unter der Garantie, eine kurze Reststrafe abzusitzen, begibt sich der nunmehr respektierte Bürger James Allen erneut ins Gefängnis, nur um sich dann von der Justiz im Stich gelassen zu finden...

"I Am A Fugitive From A Chain Gang" formuliert deftige Sozialkritik in Reinkultur; ein ehrbarer Staatsbürger, ein Kriegsheld gar, wird zur persona non grata, weil er sich schlicht weigert, einen ihm vorgezeichneten Weg zu gehen. Damit nicht genug gerät ebenjener Mann ein zweites Mal in die Mühlen der Justiz wegen seiner konsequenten Weigerung, sich von einem repressiven System brechen zu lassen. Das ist für einen Studiofilm von 1932 recht harter Tobak und gibt bereits eine Linie vor, die mit Filmen wie "Fury", "You Only Live Once", "Grapes Of Wrath" und "The Ox-Bow Incident", die mehr oder weniger offene Kritik an Staat und Gesellschaft übten, fortgesetzt werden sollte, allerdings lediglich in Form einiger rarer Blitzlichter. LeRoys Film besteht darüber hinaus als ein aufrichtiges Plädoyer für Verzeihen und Pardon, für Einsicht und Menschlichkeit. Und Paul Muni in seiner zweiten großen Rolle nach "Scarface" ist exzellent als bis aufs Blut getriezter Veteran, dem angesichts der ihn umgebenden Ungerechtigkeiten die Fassung zu verlieren droht.

9/10

Mervyn LeRoy Chicago Gefängnis Flucht WWI





Filmtagebuch von...

Funxton

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