Nur weil dies der Fall ist, komme ich ja mit der "tiefschürfenden philosophischen Reflexion" an, lieber Critic. Ich will sie ja eigentlich gar nicht, aber wenn "Hostel" sich als enttäuschender Splatterfilm erweist, dann will ich, dass er dafür eine gute Ausrede hat. Die hat er aber nicht. Snuff-Filme, die eine verbotene Lust am Foltern thematisieren gibt es nicht wenige, "The most dangerous game" ist tausend Jahre alt und hat ja auch seine Nachfolger gefunden (selbst Woo und Van Damme haben ihre gemeinsame Version auf Zelluloid gebannt!), "Millionenspiel" und "Running Man" handeln auf unterschiedlicher kaum denkbare Art die Folterthematik im größeren Rahmen ab (Schaulust, "Brot und Spiele"), "Videodrome" lässt sogar Snuff ins Fernsehen Einzug halten (darf ich noch "Mann beißt Hund" in die Liste mogeln) -- es gibt genug Variationen des Themas, welches ich mal nennen will: "Eigentlich wollen die Leute Tod und Mord sehen, manche wollen sogar mitmachen." Mal wird es in den Filmen nebensächlich angesprochen, mal wird es breit thematisiert. Ich habe dabei den Eindruck, dass gerade die neueren Filme (= die, der uns noch nahen, zurückliegenden Jahrzehnte) dabei irgendetwas intellektuelles aus dem Film herausholen wollen, etwas über das Thema zu sagen haben. (Dort wo sie es nicht tun, landen wir vielleicht bei "Guinea-Pig", aber die liefern ja immerhin locker das ab, was ich - wie schon gesagt - bei "Hostel" nicht fand: Schmodder und Gekröse.) Wenn "Hostel" dann wieder einen Schritt zurückmacht
Um es kurz zu machen: Ich finde, dass "Hostel" für einen Film von heute, hier und jetzt, zu wenig intellektuell ist. Vielleicht wäre das, was ich an "Mehr" wollte (immer unter der Einschränkung, dass der Film eben kein reiner Splatterfilm sein will oder als solcher versagt), letztlich zuviel. Aber ganz ehrlich: Abu Ghraib habe ich in dem Film nicht gefunden, aber wenn es denn in einen Film gepasst hätte, dann in diesen. (Nur als Beispiel, um mal wieder zu zeigen, dass Kritiker ja nur Eunuchen sind, die eigentlich alles besser wissen: Hätte doch schon gereicht, wenn als eines der zur Verfügung stehenden Killerkostüme auch eine US-Uniform im Bild gelegen hätte, oder wenn der Held am Ende irgendwie versucht hätte, die Polizei des Nachbarortes oder wen auch immer auf den Club aufmerksam zu machen, wir dann aber gemerkt hätten: Nicht nur in dieser Stadt, sondern auch dem Umland macht die Polizei mit, quasi der ganze Staat – in Gestalt seiner Organe – ist pro-Folter.) Und von den Komplikationen der Gewalt habe ich auch nichts gesehen: Unser Held ist Opfer, wird Täter, Ende. Ist etwas in ihm kaputt gegangen? Hat er Gefallen daran gefunden (schöne Frage fürs Sequel)? Der Film scheint kein Interesse daran zu haben. Das selbe gilt für die Vorraussetzungen unter denen dieser Folterclub ja erst entstehen konnte. Ist aber bestimmt auch eine Referenz oder Hommage... in „Texas Chainsaw Massacre“ wird ja auch eine Familie aus wirtschaftlicher Not und Degeneration zur Kannibalensippe (die aber eigentlich nur in pervertierter Form ihr von Rezession beendetes traditionelles Berufsleben fortsetzt), während hier halt eine ganze Stadt verroht und verhurt. Whatever.
Übrigens: "Hostel" funktioniert doch nicht nur nicht als geistloser Splatterfilm und als geistvolle Gewaltreflexion, sondern ist mir auch sonst zu krude.
- Die Ankunft der Jungs am Bahnhof: Statt von zeige- und beischlafwilligen heißen Weibsbildern umringt zu sein, landen unsere Jungs mit den großen Erwartungen in einem grauen Provinzbahnhof. Eigentlich eine Szene, die eher nach Humor schreit, aber Roth dreht hier die Spannungsmusik auf, die uns scheinbar angesichts dreier Rucksack-Touristen auf Endstation den kalten Schauer über den Rücken jagen soll. Gehen die Jungs dann in die Stadt, rauscht plötzlich die Pseudo-Moldau nicht nur durchs Bild, sondern auch über den Soundtrack, was wiederum Schönheit und Erhabenheit der Stadt herausstreichen soll, deren Bahnhof uns ja eben noch schaudern machen sollte.
- Unser Held verkleidet sich als Teufel um aus seiner Zelle herauszukommen. Und dann? Er geht ein paar Meterchen, hört Leute kommen, versteckt sich vor diesen (wenn das sein Reflex ist, warum dann überhaupt die Verkleidung?) und entledigt sich schnell der Verkleidung. Warum das alles?
- Dass der Held daran scheitern mag, etwas gegen den Club zu unternehmen, ist okay. Dass er es gar nicht versucht ist nicht okay. Ich könnte ja jetzt annehmen, dass unsere Held hier als egoistischer Amerikaner gezeigt werden soll, den nur eigenes Leid juckt (selbst nach dem Trauma!), aber er rettet ja auch die Asiatin. Aber wiederum NUR sie. (Wo wir doch gesehen haben, dass es andere Opfer gab.)
- Takashi M.s krampfiger Gastauftritt.
Kein guter Splatterfilm, kein guter „tiefgründiger“ Film („ein bisschen“ Referenz, Zitat oder Subtext ist mir 2006 zu wenig), eben ein laues Lüftchen. Vielleicht scheitere ich aber auch hier an Roths low key-Humor, den ich manchmal nicht erkennen kann (wo ich von anderen darauf hingewiesen werde) oder einfach nicht mag. (Parallel zu den Referenzen etc. ist für mich eben auch der Rückgriff auf Klischees, nur in den Augen des wohlwollenden Betrachters selbstironisch: Bloß weil Roth nicht auf eine Dummheit, sondern auf Dutzende zurückgreift, ist das jetzt lustig und ironisch gemeint? Auf mich wirkt das so, dass hier einige Zuschauer klüger sind als der Film und sich darum kaum vorstellen mögen, dass für Roth diese Elemente nichts weiter als normale Bausteine aus seinem Story-Setzkasten sind.)
Edit: Und misogyn ist das Teil auch noch, was mich ausnahmsweise mal stört weil der Film sich erst piefig und provinziell gibt (die Fick-Silhouetten in Amsterdam), sich dann dazu aufschwingt eine Linie von der vermeintlichen sexuellen Freizügigkeit Europas (aus US-Perspektiv offenbar immer so verlockend, wie bedrohlich) zur Prostitution im sexuellen und im übertragenen Sinne (bewusstes Lockvogeltum für Mörder) zu ziehen, die gleichzeitig noch eine ganze Nation oder Region diskreditiert. Und am Ende haben wir natürlich noch eine Frau (kennste eine, kennste alle), die Selbstmord begeht, weil sie entstellt nicht Leben mag. Das ist mal eine Unterschwelligkeit des Films, die auch ich ausfindig machen kann, aber die ist mir zutiefst suspekt und unangenehm.
Edit 2: Michael, genau!

Edit 3: Sue auf kino.de: "Der erste Audiokommentar (Roth / Tarantino / Boaz / Spiegel) spiegelt eher wieder, dass die vier grosse Gaudi beim Einspielen hatten, ist aber nun soweit nicht so schrecklich erhellend. Nur der Nebensatz von Roth, demzufolge er den Anfang bewusst ausgiebig gestaltete, damit man eine Verbindung zu den Hauptfiguren aufbaut..." Würde doch auch meinen Eindruck unterstreichen, dass die doofen Hauptfiguren von Roth eben nicht als Karikatur gedacht sind, sondern ganz unironisch einfach seine Helden sind. Dummerweise mag ich zu blöden Helden keine Verbindung aufbauen.
Bearbeitet von Hagen, 30. April 2006, 12:32.