

The retina of the mind's eye
#350
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Ein Film, der einfach nicht langweilig wird. Jetzt, wo ich meinen Beobachtungsfehler der Erstsichtung revidieren konnte, wirkt er sogar noch stimmiger (und weniger reaktionär). Auch die Blu-ray-Disc ist tadellos geworden, enthält massig Zusatzmaterial und die Schwarz-Weiß-Fassung des Films (Darabong wollte ihn zuerst ausschließlich ohne Farbe drehen, hatte wohl aber vergessen, dass er es mit Hollywood zu tun hat). Was nun noch fehlt, wäre eine detaillierte Gegenüberstellung mit Steward Gordons “From Beyond”, die zeigen würde, dass Kings Ideenreservoir nicht bloß von Carpenter, sondern auch von Lovecraft stammt. Aber das ist ja ohnehin überoffensichtlich.
#351
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Es war das Cover (siehe rechts) und die Tatsache, dass ich “Telefonieren im Film” in diesem Semester in meiner Übung verhandele, die mich dazu bewogen haben, mir den Film auf Blu-ray auszuleihen. Besonders originell ist er leider nicht: Mystriöse Anrufe von kurz zuvor verstorbenen Studenten informieren deren Freunde über ihr eigenes Ableben. Markant: Die Anrufe kommen aus der nahen Zukunft (2 Tage später) und hinterlassen eine Sprachnachricht auf der Voicebox, die vom Angerufenen selbst stammt. Das ist ungewöhnlich, aber nicht ungewöhnlich genug. Das Remake eines japanischen Geisterfilms kombiniert hier Motive aus “The Ring” und “Final Destination”, jedoch ohne Gewinn. Schön war einzig jene Sequenz, in der eine über ihr baldiges Ableben informierte Studentin ihren Freunden anbietet, sich aus dem Nummern-Verzeichnis ihres Handys löschen zu lassen (denn darüber verbreitet sich die Todesbotschaft) und alle es nach leichtem Zögern auch tun. So funktioniert soziales Networking in Zeiten der Handy-Telefonie: Wenn du nicht mehr im Telefonverzeichnis deiner Freunde stehst, bist du für sie gestorben (oder umgekehrt).
Die Blu-ray ist übrigens kümmerlich (gar nicht) ausgestattet!
#352
Geschrieben 10. November 2008, 19:07
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
#353
Geschrieben 13. November 2008, 12:06
Eine Geschichte der Dualitäten: Gut gegen Böse, Positiv gegen Negativ, Gleichstrom (Blitz) gegen Wechselstrom (Hochspannungsmast): Der auf das Auffinden von verloren gegangenen Reptilien spezialisierte Privatdetektiv "Dragon Eye Morrison" wird unversehens vom selbsternannten Superhelden "Thunderbold Buddha" attackiert. Hatte sich letzterer zuvor vor allem auf die Elektrokution von Drogendealern konzentriert, so reizt ihn am eigentlich unschuldigen Morrison der Energieabgleich: Seine 20 Millionen Volt, die er als Kind in Form eines Blitzschlags erhalten hat, gegen die 80.000 Volt Morrisons, die dieser sich als Knabe beim Erklimmen eines Hochspannungsmastes eingefangen hat. Hier treten also menschliche Batterien und Kondensatoren gegeneinander an, um einen Kapazitätsvergleich durchzuführen.

Ishiis Film dekliniert Elektrizität in all ihren Indizes aus: Es sind ja nur Indexe, durch die uns derartige Ströme erfahrbar werden: Kabel, Schalter, Hebel, Stecker, Stromzähler, Knistern auf der Tonebene, Blitze, Funken - bis hin zur endgültigen Ästhetisierung im Spiel der "elektrischen Gitarre". Der Film zeigt sie alle und manifestiert seine Erzählung in ost-westlicher Drachen-Mythologie. Dass der Strom-Unfall bei Morrison nämlich vor allem das limbische System angeregt hat, erklärt nicht nur seine Affinzität zu Reptilien, sondern auch seine speziellen Wutausbrüche, die ihn den kapazitätsstärkeren Buddha schließlich besiegen lassen.

Ein Film in kaltem Schwarzweiß voller Licht, Nässe und brachialem Industrial-Sound.
#354
Geschrieben 13. November 2008, 12:08
Das Motiv der Elektrizität in “Frankenstein” ist absolut vordergründig. Elektrischer Strom ist der Motor des gesamten Plots, könnte man sagen. In diesem Motiv bündeln sich aber auch etliche Diskurse, die “Frankenstein” impliziert: ein technologischer, ein medizinischer, ein ethischer, ein ästhetischer - sie alle kristallieren an den Flammenbögen im Labor von Victor aus. Gunnar Schmidt hat diese Diskurse so konzise wie kein zweiter in einem Text zusammengefasst:
Zitat
Quelle: Gunnar Schmidt: Anamorphotische Körper. Medizinische Bilder vom Menschen im 19. Jahrhundert, Köln u.a.: Böhlau 2001, S. 147.

#355
Geschrieben 14. November 2008, 12:28
Hick sagte am 10.11.2008, 19:07:
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
Meinen eher in den Bereich der Filmkritik gehörenden Aussagen möchte ich noch ein paar Worte von der Warte der Medientheorie hinzufügen. “Shocker” bedient als Horrorfilm natürlich vor allem Ängste - hier Ängste vor der Unheimlichkeit des Unsichtbaren. Dieses Unsichtbare findet seinen "Gegenstand" einerseits im elektrischen Strom, andererseits in den elektrischen Medien (hier vor allem: dem Fernsehen). "Shocker" ist vollgestellt mit TV-Monitoren und der letzte Zufluchtsort des Killers ist dann auch der “Äther”. Das reaktionäre Element des Horrorfilms (der häufig auf die Unheimlichkeit des Neuen insistiert und daraus seinen Horror generiert) ist hier also vor allem in der schon 200 Jahre alten Unheimlichkeit vor der Unsichtbarkeit des elektrischen Stroms zu suchen.
Die Physik um 1800 war sehr damit beschäftigt, die Elektrizität ihrer Unsichtbarkeit zu entreißen ist dabei jedoch lediglich auf “Symptome des Elektrischen” gestoßen. Im Film sind diese Symptome in zwei Klassen eingeteilt: 1. direkt mit dem physikalischen Phänomen der Elektrizität verbundene Indexe: Kabel, Schalter, Funken, Knistern, Flammenbögen, … 2. In indirekte, eher mit der Wirkung von Elektrizität verbundene Indexe: Diese reichen von der Induzierung elektrischer Schläge durch Bberührung eines elektrifizierten Gegenstandes (Körper, Kabel, …) bis hin zur Manifestation des Unsichtbaren im Gespenst - eine Tendenz, die ebenfalls im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hat, die Wolfgang Hagen bereits ausführt:
Zitat
Ab 1890 wird eine wissenschaftliche Bewegung in England stark, die die Hertzschen Wellen zur Hoffnungsträgerin der “ESP” erklärte, der Extra-Sensoric-Perception. Unter Mitwirkung bedeutender Physiker wie Crookes und Lodge, erforscht die “Society For Psychical Research” in allem Ernst wissenschaftlicher Methodik “Gedankenübertragung” und tischeversetzenden Gedankenmedien.
Die Gestaltwerdung der Elektrizität - in “Shocker” ist das Horace Pinker. Als Böser Geist treibt er sein Unwesen in den Netzen der Elektrizität und des Fernsehens. Über Radio- bzw. TV-Wellen, so droht er, wird er überall hin gelangen. Nach Hagen ist die Hertz’sche Entdeckung der Radiowellen der Beginn des Massenmedienzeitalters, weil Massenmedien notwendigerweise elektrisch sein müssen, um wirklich überall hin zu gelangen. Von dieser Überlegung ist es dann nur noch einen Schrift weit entfernt zur Bedeutung Horace Pinkers als Bild-gewordene Warnung vor den Effekten der Massenmedien und seine Bekämpfung durch den Okkultismus (Kette mit Wunderanhänger, Geistererscheinung Alisons) eher konsequent als “bloß lächerlich”.
#356
Geschrieben 18. November 2008, 16:05
Es ist schon ein eigenartiger Fehler im Drehbuch, dass Ichobad Crane vor Gericht die unter Folter erzwungenen Geständnisse mit dem Verweis auf den Vernunftgebrauch des Menschen in der neuen Zeit anprangert und sagt: "The millennium is almost upon us. In a few months, we will be living in the nineteenth century. But our courts continue to rely on medieval devices of torture." Spielt der Film doch im Jahre 1799 und damit keineswegs am Rande eines neuen Millenniums. Die Verwirrung über die Zeitenwende ist gleichermaßen charmant wie nachvollziehbar, steht Burtons "Sleepy Hollow" doch selbst am Rand eines (wirklichen) neuen Millenniums (wenn man den Wechsel der Tausender-Einheit als Anzeichen dafür nimmt). Die Frage, was die Folgezeit wohl bringt, war jedenfalls 1799 wie auch 200 Jahre später akut und rückblickend muss man wohl sagen, dass der gewaltige Schritt, den die westliche Kultur im 19. Jahrhundert nach vorn gemacht hat, im 21. Jahrhundert in die genau entgegen gesetzte Richtung zurück gegangen wurde (nimmt man nur einmal durch Folter erzwungene Geständnisse in Gerichtsprozessen der westlichen Welt als Maßstab).
Die Blu-ray-Disk von Constantin ist in für den Verleih gewohnter, exzellenter Qualität. Besonders schön wirkt der Detailreichtum der bleichbadüberbrückten Bilder. So sehr nach Gothic Novel und 19. Jahrhundert hat wahrscheinlich nicht einmal die wirkliche Zeit damals gewirkt.

#357
Geschrieben 20. November 2008, 10:57
Es gibt ganz offensichtlich Erzählkonzepte und Motive, die so fest an bestimmte filmhistorische und geschichtliche "Epochen" gebunden sind, dass sie schon ein paar Jahre nach ihrem Erscheinen mehr über ihre Entstehungszeit mitteilen als dass sie noch als Unterhaltungsprodukte wahrgenommen werden. Der unironische Abenteuerfilm gehört auf jeden Fall dazu. Heute braucht es schon die postmodernistische Distanz eines "Pirates of the Caribbean" oder "National Treasure", um in dem Genre überhaupt noch etwas hinzuzufügen.
Dass ich mit dieser These vielleicht nicht so ganz falsch liege, lässt sich am zwar umfangreich produzierten aber letztlich in seiner Modernität und Ernsthaftigkeit vollständig absaufenden "Indiana Jones 4" ablesen. Schon der dritte Teil hatte vor allem mit dem historischen und damit kulturellen Abstand zu seinen beiden Vorgängern zu kämpfen. Der vierte Teil verliert diesen Kampf bereits bevor er überhaupt beginnt, denn das Helden-Konzept von "Indiana Jones" verträgt keine Ironie. Sowohl das Konzept als auch der Hauptdarsteller und vor allem das Regisseur-Produzenten-Gespann Spielberg/Lucas schaffen es also nicht, diesem 80er-Jahre-Alleswirdgut-Ungeheuer noch einmal Leben einzuhauchen. Anstelle dessen bemüht sich der Film, eine Nachfolgerfigur aufzubauen - als hätte es diesen Versuch nicht bereits (erfolglos) gegeben. Den viertel Teil der Saga habe ich mir nur widerwillig angesehen - auf den fünften werde ich wohl auf jeden Fall verzichten.
#358
Geschrieben 20. November 2008, 11:19
Ich taste mich langsam rückwärts durch die Filmografie Tony Scotts und bin erstaunt, wie konsequent sich sein Regie-Stil in seiner Entwicklung verfolgen lässt. Nach “Domino”, “Déjà vu” und “Man on Fire” habe ich mir nun “The Fan” angesehen. Vor allem der Schnittrhythmus in Verbindung mit den Einstellungsgrößen sorgt dafür, dass der Film einem von den ersten Bildern an unangenehm auf den Leib rückt. Die Aggression, die sich im Figurengeflecht ja eigentlich erst nach und nach entwickelt und erst nach der Hälfte des Films im Mord an Juan Primo ihren “Ausbruch” findet, offenbart sich filmisch bereits in der ersten Sekunde.
Dieses Gefühl der “unangenehmen Nähe”, das der Film ja letztlich auch zum Thema hat, wird noch potenziert durch das Spiel Robert de Niros. Welche Abgründe sich hinter der konsequenten Verfolgung einer “Idee” (hier des totalen, bedingungslosen Fantums) auftun, hat er ja bereits deutlich in Filmen wie “King of Comedy” und “Taxi Driver” vorgeführt. Es ist diese seltsame Mischung aus Verständnis für seine Situation und Angst vor seiner Fixiertheit, die alle drei de-Niro-Figuren auszeichnet. In Wesley Snipes findet er übrigens seinen gelungenen Gegenpart, denn Snipes spielt den opportunistischen Sport-Star mit dem Hang zum Aberglauben perfekt. Als er von seinem Fan in die Realität zurückgerissen wird, gelingen Snipes ein paar exzellente und authentisch wirkende Angstsituationen. Freilich trägt die Kamera auch hier wieder das meiste zum Gelingen des Affektübertrags bei: Die Close-up-Szenen im Showdown im strömenden Regen des Baseball-Stadions sind unglaublich intensiv fotografiert.
#359
Geschrieben 20. November 2008, 12:54
Hackers 2 (Takedown, USA 2000, Joe Chapelle) (DVD)
Für den nächsten “Computer im Film”-Artikel für telepolis, in welchem es dieses Mal um Menschen im Computer gehen wird, habe ich den Schluss des Beitrags mal an den Anfang der Recherchen gesetzt. Die beiden Hackers-Filme gehören zunächst einmal überhaupt nicht zusammen. Sie haben zwar dasselbe Thema und - darauf komme ich noch - eine erstaunlich ähnliche Geschichte, doch sind es zwei ganz unterschiedliche Produktionen, von denen sich die zweite weder explizit noch implizit als Nachfolger der ersten gibt.

“Hackers” erzählt die Geschichte des jugendlichen Computerkriminellen Dade, der als Kind unter dem Nick “Zero Cool” wegen Einbruchs in fremde Netzwerke zu einem “Computerverbot bis zum 18. Geburtstag” verurteilt wird. Der Hauptplot setzt ein, als der Junge die Strafe “abgesessen” hat. Er ist immer noch Hacker, nun unter dem Pseudonym “Crash Override”, und zieht mit seiner ihn alleinerziehenden Mutter nach New York. Dort bekommt er Zugang zu einer Peergroup, die sich mit Computern beschäftigt und zu der auch die Hackerin “Acid Burn” (Angelina Jolie) gehört. Die Hackergruppe wird von einem Staatsanwalt verfolgt, der in der Computerjugend die Terroristen des 21. Jahrhunderts sieht. Als Dade in das Firmennetzwerk einer Ölförder-Gesellschaft einbricht und dort ein Verzeichnis mit Dateien aus dem Trash auf seine Festplatte kopiert, entdeckt er, dass sich darin ein Computervirus befindet, mit dem eine Sabotage mit verheerenden Konsequenzen durchgeführt werden soll. Der Sicherheitsbeauftragte der Firma, der Hacker “The Plague”, ist der Autor des Virus und wird damit zum mächtigen Feind der Gruppe. Überdies schaltet sich nun auch der Secret Service und das FBI in den Fall ein, weil es “The Plague” gelingt, die jugendlichen Hacker mit dem Sabotage-Virus in Verbindung zu bringen.

Das, was sich “Hackers” unter Hacking vorstellt, dürfte ziemlich konform mit den damaligen Vorstellungen der Öffentlichkeit über diese Verbrechensart sein: eine in sich abgeschlossene Community von Freaks, die keiner anderen Ethik als ihrer eigenen folgt, die im ständigen Wettkampf miteinander steht und jeden Computer und jedes Betriebssystem in- und auswendig kennt. Diese Annahme koreliert mit der Darstellung von Computern und Netzwerken. Ständig sehen wir leuchtende und blinkende Serverschränke, glühende Leiterbahnen und animierte Flüge durch irgendwelche Kabel und Computergehäuse. Der Tenor ist klar: Computer sind überall und immer präsent und wer sie beherrscht, herrscht über alle verfügbaren Informationen. Den jugendlichen Hackern ein sozialkompatibles Ethos zu unterstellen gelingt erst, als der kriminalistische Diskurs die rein virtuellen Sphären verlässt und sich dem Terrorismus in Form einer angedrohten Tanker-Havarie zuwendet. Es braucht also eine “Schnittstelle”, um aus dem Computer in die “Realität” auszubrechen.

“Trackdown” erzählt beinahe dieselbe Geschichte: Wieder geht es um einen Hacker, der - weil er es kann - in fremde Netzwerke eindringt und sich auf Kosten Dritter bereichert. Auch er entdeckt im gestohlenen Code einer Telefongesellschaft ein Programm, das gewaltige Schäden anrichten kann - ebenfalls vom dortigen Sicherheitsbeauftragten programmiert. Und wieder beginnt eine Jagd, bei der der Hacker von der Staatsmacht und von seinem Kontrahenten verfolgt wird.

Regisseur Joe Chapelle erspart seinen Zuschauern jedoch die Visualisierung der “virtuellen Verbrechen”. Fünf Jahre nach “Hackers” ist man eben bereits “im Bilde” darüber, wie das Internet funktioniert. Daher werden die technischen Details des Films (FTP-Server, Verschlüsselungssoftware, sendmail-Protokoll, …) auch gar nicht mehr erklärt, sondern wie selbstverständlich genutzt. Das “Eindringen” ins System ist nunmehr nur noch ein intellektuelles - bei “Hackers” hatte man als Zuschauer mehr als einmal den Eindruck, der Geist des Hackers wandere selbst durch die Netzwerke. Vielleicht ist diese Selbstverständlichkeit, mit der “Trackdown” das “Leben in der Computerwelt” inszeniert auch darauf zurückzuführen, dass wir eben wirklich “in” dieser Welt leben, dass unsere soziale Wirklichkeit bereits stark mit Metaphern der virtual reality angereichert ist …
#360
Geschrieben 28. November 2008, 09:01
Der Film der zweiten Examenskolloquium-Sitzung war dann schon amüsanter. Hitchcock versucht sich an einer “Verfilmung” von Psychoanalyse. Weil psychische Prozesse nun aber mal die Eigenschaft haben, unsichtbar zu sein und nur durch “Konversion” sichtbar zu werden, muss sich der Regisseur etwas ausdenken, an dem die Identitätsstörung seines Protagonisten sichtbar werden kann. Bei Hichtcock ist dieses “Etwas” natürlich kriminalistischer Natur: Hat der sich als Psychiater ausgebende Mann (Gregory Peck) einen Mord begangen und die Identität des Ermordeten angenommen? Das wird von (wie immer) zwei Seiten zu ermitteln versucht: Die Polizei und die Analytiker nehmen die Spurensuche auf. Im Zentrum - quasi dazwischen - steht die emanzipierte und extrem in den Patienten/potenziellen Mörder verliebte Psychoanalytikerin (Ingrid Bergman). Ihre Liebe macht sie blind für allzu schnelle Schlüsse. Sie flieht mit dem Mann zu ihrem Doktorvater, der ihn einer Kurzzeittherapie unterzieht und so die verdrängten Erinnerungen zurückholt.
Das ist natürlich alles Holterdipolter-Psychoanalyse, zeigt aber sehr schön, wie das Prinzip der Konversion filmisch ein-/umsetzbar ist. Dort, wo die realen Bilder nicht mehr reichen, in der Traumlandschaft, tauchen surreale Bilder auf, die dann schließlich auch den Schlüssel zur Wahrheit bergen. Entworfen hat diese Traumbilder Salvador Dalé, mit dem Freud ja bekanntlich nie etwas zu tun haben wollte. Auch deshalb wirkt “Spellbound” eher wie eine Travestie auf die Psychoanalyse, denn wie eine ernsthaften Auseinandersetzung. Und wenn man dann, in einer der Schlüsselszenen des Films, eine der schönsten Schauspielerinnen jener Zeit das (im Deutschen wie im Englischen gleichlautende) Wort “Leberwurst” sagen hört, dann ist man förmlich gezwungen, das alles nicht ganz ernst zu nehmen.
#361
Geschrieben 28. November 2008, 09:54
“Peliculas para no dormir”, als “Filme, um nicht einzuschlafen” bzw. “nicht schlafen zu können” heißt die kleine TV-Reihe mit spanischen Gruselfilmen, von denen jetzt zwei auf Blu-ray-Disc bei e-m-s erschienen sind. Ich habe mir Balagurós 69-Minütigen Beitrag gestern angesehen und war wirklich platt. “Para entrar a vivir” erzählt von einem Pärchen, das eine neue Wohnung sucht und aufgrund einer obskuren Anzeige am Stadtrand in einem eher baufälligen Mehrfamilienhaus einen Besichtigungstermin mit einer Maklerin vereinbart. Die stellt sich schnell als psychotische Hausbesitzerin heraus, die ihr Haus, das von der Stadt als unbewohnbar erklärt wurde, wieder mit Mietern füllen will - egal ob diese Mieter das wollen oder nicht.
Geradezu schwindelig ist mir mehrfach beim Schauen geworden. Nicht nur vom Thema, auch von der Bildgestaltung her ist "Para entrar a vivir" eine Art Vorstudie zu "Rec". Hier ist es zwar kein diegetischer Kameramann, der die Bilder erzeugt, aber die Kamera ist dennoch ganz wesentlich an der Affektproduktion beteiligt: Häufig zittert sie, dass das Bild wie durch ein Erdbeben erschüttert wird - aber nie stark genug, dass man - wie in "Rec" - den Überblick verlöre, sondern stets so, dass man sich fragt, ob es vielleicht der eigene Blick war, der für einen Moment außer Kontrolle geraten ist. Die überaus böse Story in Verbindung mit dieser Affekt-Strategie machen Balaguerós Beitrag zur Reihe zu einem bemerkenswert schlüssigen und innovativen TV-Film.
Ich hoffe, e-m-s entschließt sich auch dazu, die anderen vier Filme der Reihe zu veröffentlichen.
#362
Geschrieben 28. November 2008, 14:15
Zusammen mit dem Western "Whity" ist dies Fassbinders wohl klarste Genre-Arbeit und sein einziger Science-Fiction-Film. Er erzählt in über 200 Minuten die Geschichte des Informatikers Fred Stiller, der die Nachfolge seines Freundes Henry Vollmer in einem "Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung" antritt. In diesem Institut wird ein neuartiger Supercomputer mit dem tollten Namen "Simulacron" betrieben. Dieser erzeugt eine künstliche Welt, in der bereits fast 10.000 simulierte Menschen leben. Um diese Menschen und ihre Aktionen so realistisch wie möglich zu gestalten, ist ein Betriebspsychologe mit dem Entwurf ihrer mentalen Eigenschaften beschäftigt. Henry Vollmer, der das Projekt zuvor betreut hat, scheint eine seltsame Entdeckung gemacht zu haben, die ihn zuerst den Verstand und dann das Leben gekostet hat. Weil Stiller einer der letzten war, die Vollmer lebendig gesehen haben, gerät er in den Kreis der Mordverdächtigten.

Als Stiller mit dem Schwager Vollmers, der ebenfalls bei dessen Tod zugegen war, auf einer Party ein Gespräch über das Geschehene führen will, verschwindet der Mann plötzlich. Am nächsten Tag will sich niemand auch nur an die Existenz des Mannes erinnern können und auch der Tod Vollmers scheint in Vergessenheit geraten zu sein (ist später sogar aus den Zeitungen, in denen er zuvor auf Seite 1 stand, verschwunden). Langsam glaubt Stiller an eine Verschwörung, bis er feststellt, dass ein "Avatar" Vollmers in der künstlich erzeugten Welt von "Simulacron" existiert. Er begibt sich mit Hilfe einer Schnittstelle, einem Datenhelm, ebenfalls in die simulierte Welt und kontaktiert dort Einstein, den einzigen Avatar, der um seine Virtualität weiß. Einstein gelingt kurz darauf die Flucht aus der Simulation. Er trifft außerhalb von "Simulacron" auf Stiller und verrät diesem, dass auch seine Welt lediglich eine Simulation ist. Nun ergibt der Tod Vollmers und das Verschwinden des Zeugen plötzlich einen Sinn: Derjenige, der die Welt Stillers kontrolliert, wollte Indizien, die auf ihre Künstlichkeit hindeuten, verwischen. Vollmar war der Entdeckung der Künstlichkeit seiner Existenz jedoch zu nahe gekommen und wurde "wegprogrammiert" (Zitat).

Mit diesem Wissen begibt sich Stiller auf die Suche nach einem Kontakt-Avatar, um nun ebenfalls seine Simulation verlassen zu können. Er entdeckt diesen in der mysteriösen Eva Vollmer, die sich als Nichte des Ermordeten und Tochter des Verschwundenen Zeugen ausgibt, in Wirklichkeit aber aus der Realität stammt und Stiller mit zu sich nehmen will, weil sie sich in ihn verliebt hat. Mit einem Trick gelingt es ihr, Stillers Geist (ganz ähnlich wie es Einstein auch gelungen war, die Simulation in der Simulation zu verlassen) in den Körper des ohnehin wahnsinnig gewordenen Programmieres der Simulation zu transferieren.
Eine vertrackten Handlung, die dem Zuschauer der 1970er Jahre nicht wenig Imaginationsfähigkeit abverlangt haben dürfte. Nicht nur ist Erzählung recht abstrakt, Fassbinder hält sich auch mit der Inszenierung von Technologie sehr zurück. Ab und zu werden Server-Räume gezeigt und eine Videowand, die Szenen aus der Simulationswelt zeigt. Diese sind an ihrer Farbarmut (im Vergleich zur simulierenden Welt) zu erkennen. Der Unterschied dieser Simulation wiederum zur richtigen Welt ist optisch jedoch nicht so deutlich markiert, um dem Zuschauer nicht vorab zu verraten, dass etwas nicht stimmt.

Ein weiterer mentaler Anker für den Zuschauer ist die Diskursivierung der Simulation. Die Charaktere sprechen von ihren Welten in den Kategorien "oben" (realere Ebene) und "unten" (simuliertere Ebene). Dies hat "Welt am Draht" mit Filmen wie "Tron" gemeinsam. Zugleich wird damit über das interessante topologische Denken von Wirklichkeit(sstufen) auch eine metaphysische Ebene berührt. Bereits bei "Tron" war die Welt "oben" ja eine Götterwelt der "User". Diese wurden wie allmächtige und allgütige Götter angebetet. Bei Fassbinder sind die User jedoch "Teufel" im Wortsinne: Verwirrer und Durcheinanderwerfer. Sie konstruieren Realitäten und basteln Bewusstseine, die sich über ihren Status nicht sicher sein können und ständig von "Wegprogrammierung" bedroht sind.

"Welt am Draht" ist natürlich kein schnöder Verschwörungsfilm, sondern transzendiert sein Thema auf eine philosophische Ebene. Stiller beginnt recht bald Platons und Aristoteles Ideenlehre zu durchdenken und mit seiner Situation zu vergleichen. Der Descarte'sche Zweifel, der an ihm nagt, wird zudem mehrfach ethisch umgedeutet: Zum einen wird die Frage aufgeworfen, ob "Avatare" mit derartig ausdifferenzierten Bewusstseinen überhaupt noch "Mittel zum Zweck" sein dürfen, oder ob dies nicht (das wird nicht wörtlich gesagt, aber gemeint) dem Kant'schen Menschenbild der Aufklärung widerspricht. Zum anderen steht natürlich das Problem der "Möglichkeit" im Raum: Wie autonom ist der Mensch noch gegenüber Maschinen, die, wie "Simulacron", den "Sprung zum autonomen Computer" (Zitat!) bereits getan haben?

Die Anknüpfungspunkte an die Literatur- (Orwells 1984 und das Thema der Vergangenheisänderung) und Filmgeschichte sind natürlich vielfältig. Ideen aus "Welt am Draht" finden sich in Filmen wie "Avalon", "Dark City", "Matrix" und etlichen anderen Computer- und Gesellschaftsdystopien wieder. Dass Fassbinder zu einer Zeit, als Computer noch weitgehend unbekannte Maschinen waren, bereits ein solch treffsicheres Gespür für deren technologische und gesellschaftliche Bedeutung und die durch sie erzeugten Ängste hatte, verdeutlicht einmal mehr das Genie, das er war. Erwähnenswert ist überdies noch die Kameraarbeit Michael Ballhaus', der das Problem der Identität wieder einmal treffend durch die mise-en-scène (Spiegel, horizontale und vertikale Bildaufteilung) dekliniert und der Soundtrack Gottfried Hüngsbergs, der klassische Themen und Stücke mit einer sehr befremdlichen Synthesizier-Musik kombiniert. (Das hat mich teilweise an das ein Jahr zuvor veröffentlichte Debüt-Album "Irrlicht" von Klaus Schulze erinnert.)

#363
Geschrieben 28. November 2008, 15:27
Wie hat man sich einen Computer vorzustellen? Nicht die äußere, graue Plastikbox und den Bildschirm mit den Zeichen darauf, sondern sein Innenleben, die elektrischen Prozesse, das Abarbeiten der Programme. Welche Bilder sind für die abstrakten Metaphern des Programms, der Schnittstelle, der Datei überhautp angemessen? Diese Frage beantwortet das Walt-Disney-Studio 1982 durch totale Anthropomorphisierung.
"Little Computer People" sind es, die den Computer im Film bevölkern. Dieser Computer ist die zentrale Recheneinheit der Firma "ENCOM", die seit kurzem von einem "Master Control Programm" beherrscht wird. Das MCP ist ein betriebssystem-artiges Meta-Programm und überwacht die Funktionen aller anderen Prozesse im Rechner - vor allem aber die Schnittstellen, mit denen Daten in den und aus dem Computer in die Welt gelangen. Zwei Dinge werden nun zum Problem für das MCP: 1. Der Firmenangestellte Alan, der ein Programm mit dem Namen "Tron" entwickelt hat, das als einziges unabhängig im System agiert und sogar das MCP überwachen kann. "Tron" ist ein Monitorprogramm, ein "Tracer" (vgl. den BASIC-Befehl "TRON - Trace On") und damit ein virtueller blinder Fleck im allwissenden Auge des MCP, der die Entlassung Flynns und die Stillegung des "Tron"-Programms veranlasst.
Das zweite Probleme ist der Hacker Flynn, der einst Angestellter von ENCOM gewesen ist, bis die Firma ihn mit einem Trick um eines seiner lukrativsten Projekte betrogen hat: Ein Videospiel namens "Space Paranoids". Die Wahrheit über den Urheber des Spiels ist noch irgendwo im System verborgen und so entschließen sind Alan, Flynn und ihre Freundin Lora, nachts bei ENCOM einzubrechen und in den Computer einzudringen. Der MCP ist jedoch gewappnet, digitalisiert über eine neueartige, experimentelle Schnittstelle Flynn und "saugt" ihn in den Computer. Dort sieht er sich der despotischen Willkürherrschaft des MCP ausgesetzt. Programme aller Art, die den Glauben an ihren "User" nicht freiwillig aufgeben wollen, werden interniert und in einer elektronischen Arena von Gladiatoren in Videospielen vernichtet. Als Flynn sich als User zu erkennen gibt, brechen die Programme Tron und Yori (ein Programm Loras) zusammen mit ihm aus, um zu einer Schnittstelle zu gelangen, von wo sie einen Code Alans in Empfang nehmen, der die Herrschaft des MCP entgültig beendet.
Ich habe den Film zum ersten Mal in der Originalfassung gesehen und war erleichtert, dass die meisten Albernheiten tatsächlich der deutschen Synchronisation zu verschulden gewesen sind. (Vor allem die Stimme des "Bit", das Flynn eine zeitlang begleitet, wäre hier zu erwähnen: in der deutschen Fassung eine plärrende Kinderstimme, in der Originalfassung ein blechern klingender elektronischer Sound). Das bereits erwähnte Projekt des Films, die Anthropomorphisierung und damit Sichtbarmachung elektronischer Prozesse, wird auf großartige Weise umgesetzt. Halb Computer- und andere Animation, halb Realfilm entführt "Tron" den Zuschauer ein eine "unheimliche" Welt. Unheimlich im Freund'schen Sinne als etwas sehr vertrautes und doch fremdes, denn diese Welt ähnelt in Strukturen und Aussehen der unsrigen. Im Computer ist eine kleine Stadt. Abermals werden Straßen, Häuserzüge, Zitadellen und anderes zu Metaphern des Systems und mit Funktionsanalogien zwischen realer Welt und Computerwelt versehen.
"Tron" ist in vielem luzide, beschreibt Formen von Computerkriminalität, die erst zwei Jahrzehnte später real werden. Das Tron-Programm wird mit den Attributen eines Virus versehen, das ACP gibt sich als Firewall. Über dies bedient sich die Geschichte von Flynn und ENCOM technikhistorischen Computergründungsmythen. Es wird von Garagen-Unternehmen, Softwarediebstählen und dem Videospieleboom erzählt. Die Welt im Computer wird mit den farbigsten Begriffen beschrieben: Der MCP beschwert sich etwa bei seinem Haupt-Folterprogramm "Sark": "Programme fliegen mit einer gestohlenen Simulation durch das System!" und als eben diese Programme (Tron, Flynn und Yori) an ihrem Ziel, der Schnittstelle "Dumont" (es ist ein heiliger Berg, zu dem sie reisen und von dessen Gipfel sie einen "Strahl der Wahrheit" empfangen!) angelangt sind, raunt "Dumont" bedächtig: "All that is visible must grow beyond itself, and extend into the realm of the invisible." - Die Umkehrung des Prinzips "Tron".
Screenshots folgen ...
#364
Geschrieben 30. November 2008, 17:50
Don Siegel greift die Kommunisten-Paranoia aus "Die Dämonischen" wieder auf und lässt Charles Bronson erklären: "Being paranoid doesn't mean we're not being followed."
In "Telefon" geht es darum, dass sowjetische Agenten, die in den USA leben, per Telefonanruf aus ihrem "undogmatischen Schlummer" erweckt werden und Attentate auf ehemals kriegswichtige Ziele begehen. Ehemals, weil die Schläfer bereits in den 1950er Jahren (Die Dämonischen!) eingeschleust wurden und Schlummer, weil sie zuvor hypnotisiert wurden, so dass sie gar nichts von ihrem Schläfer-Dasein wissen, bis sie ein ehemaliger Sowjet-Agent, der an ihre Namen und Telefonnummern gekommen ist, sie erweckt. Das tut er, weil er als Stalinist mit der Entspannungspolitik seines Landes nicht einverstanden ist und den dritten Weltkrieg heraufzubeschwören beabsichtigt. Bronson ist ebenfalls russischer Agent, der zusammen mit einer CIA-Kollegin (und Doppelagentin) versucht, das schlimmste zu verhindern.
Dass in "Telefon" ausgiebig telefoniert wird, ist klar. Doch die Telefonate sind eigentlich allesamt problematisch: Die "Weck-Anrufe" erfolgen alle aus nächster Nähe, der Anrufer sieht den Angerufenen (will seine Reaktion sogar beobachten) und könnte ihm also die Erweckungsformel auch zurufen. Die meisten anderen Telefonate gehen in der Zentrale des CIA ein, wo sie sofort mitgeschnitten werden und ihren Charakter als präsente, lebendige Rede damit verlieren. "Ferne" ist in "Telefon" also nur indirekt anwesend: Die Schrifteinblendungen mit Fern-Schreiber-Akustik oder die zahlreichen Beobachtungsaufnahmen mit Tele-Objektiv.
Das zweite, subtilere Thema des Films sind "Frauen". Vorgeführt werden sie uns in zwei Erscheinungsformen: als menschgewordener Computer (eine EDV-Agentin im CIA) und als skrupelbeladene Spionin. Die eine hat ihr Geschlecht verfehlt, die andere ihren Beruf. "Erlöst" werden sie wie im Märchen durch einen Kuss: Die Computer-Frau bekommt für ihre Arbeit von ihrem Vorgesetzten nicht länger verbalen Lob, sondern (endlich) einen Kuss, der sie, die sonst sehr mit und für die Maschine fühlt, sogleich "Hip Hip Hooray" in den Rechner eintippen lässt. Bronson küsst seine Spionin, die ihn eignetlich nach getaner Tat beseitigen sollte und "reprogrammiert" sie damit zur Sexualpartnerin, mit der er sich absetzt.
Bezeichnenderweise führt sie das Kündigungstelefonat für ihn, denn in Gefühlssachen können Frauen wohl (auch fernmündlich) besser kommunizieren.
#365
Geschrieben 01. Dezember 2008, 09:27
Leonards Film, (ganz) frei nach Motiven einer Stephen-King-Kurzgeschichte, ist ein Paradebeispiel für die prognostischen Ambitionen des technokulturkonservativen Science-Fiction-Films, der sogar eine handfeste Drohung enthält. Und dabei fängt alles so neutral formuliert an:

Dr. Angelo kündigt seine Stelle bei einem militärischen Forschungsprojekt, das mit Hilfe computererzeugter Virtual Reality Affen zu Kriegmaschinen umfunktionieren will. Er forscht anstelle dessen weiter in seinem Keller, in dem eine recht beachtliche EDV-Anlage aufgebaut ist. Ab und zu kommt ein Nachbarsjunge und spielt Spiele in der VR. Als Angelo den geistig zurückgebliebenen Rasenmähermann Jobe ebenfalls zu einem Spiel einladen kann, findet er in ihm ein neues Versuchskaninchen: Jobe soll mit Hilfe der VR intelligenter gemacht werden. Das gelingt in beeindruckendem Tempo, so dass sich das Militär bald wieder für die Forschungen Angelos zu interessieren beginnt und ihm anbietet, sie in der wesentlich größeren Anlage fortzusetzen. Der Wissenschaftler nimmt an und beschleunigt damit die Ausbildung Jobes um ein weiteres. Doch insgeheim geben die Militärs der bewusstseinserweiternde Droge, die vor jeder Lerneinheit injiziert werden muss, ein Serum zur Aggressivitätssteigerung bei. Und so wird Jobe nicht nur unglaublich schlau, sondern auch noch unglaublich gemein. Die Entwicklung gipfelt darin, dass er, der PSI-Fähigkeiten entwickelt hat, seine leibliche Existenz aufgeben und fortan im Computernet weiter existieren will, um von dort die ganze Welt zu beherrschen. Leider für ihn und zum Glück für die Menschheit müssen Computer allerdings am Netz angeschlossen sein, um mit ihm interagieren zu können.

In diesem Plot zeigt sich bereits vieles von den Ängsten und Hoffnungen, die mit einer neuen Technologie wie der Virtuellen Realität verbunden sind. Ihr Segen, umweltunabhängiges erfahren und verarbeiten von Informationen, kann schnell zu einem Fluch werden, denn Jobes immer größerer Wissensdrang (”Noch mehr Informationen über alles”, fordert er) ist natürlich auch ein Zeichen für die Sucht aus der Realität in die Virtualität zu fliehen (eine Sucht, die heute sehr gut bekannt ist). In Andeutungen hat sich diese bereits zehn Jahre zuvor in Douglas Trumbulls “Brainstorm” und gezeigt. Hier wie dort ist diese Sucht gekoppelt an eine Technologie, die nicht mehr allein die bekannten Medienrezeptionssinne Auge und Ohr reizt, sondern sich auch der übrigen annimmt. Bei “Brainstorm” ist es vor allem die Empathie-Fähigkeit, die zu einem Kanal erklärt wird, durch den das sensitive wie emotionale “Fühlen” fließen kann. Im “Rasenmähermann” kommen - ermöglicht durch Datenanzüge und -handschuhe sowie eine Körperlagerung mit vom Computer steuerbarer Raumposition - noch sensitive Informationen hinzu. Das “Lernen über mehrere Kanäle” wird hier also in letzter Konsequenz praktiziert.

Das hat Implikationen in mehrfacher Hinsicht. Zunächst ist hier sehr deutlich, wie sehr Strategien der Virtualität eigentlich vor allem ein Ziel haben: den realen Körper. Über diesen soll dann erst der Verstand “angesteuert” werden: “Die virtuelle Realität ist der Schlüssel zur Erforschung des menschlichen Bewusstsein”, ist sich Angelo sicher. Das klingt zunächst paradox, hat aber etliche Entsprechungen im Film. Im Namen des militärischen Forschungslabors “Virtual Space Industries” etwa findet sich bereit die Hybridisierung von Körper, Maschine und Geist. Dem neuen Trend wollen sich allerdings nicht alle anschließen: Während Angelo lieber in seinem Keller “fliegen, schweben, fallen” spielt, macht sich seine amüsierwillige Freundin auf und davon, denn: “Ich brauche die reale Realität.” Doch glaubt man der Prognose des dämonischen Rasenmähermanns, der seine Cyber-Existenz und -Herrschaft vorbereitet, ist es mit solchen realen Realitätsspielchen bald vorbei: “Bis zum Jahr 2001 wird kein Mensch mehr an diesem Netz nicht angeschlossen sein.”

Das herausragendste Merkmal des Films ist die Art und Weise, wie er die Virtuelle Realität inszeniert: mit immensem Einsatz von Computergrafik. Der virtuelle Raum wird in den buntesten Farben geschildert - sowohl, wenn er als Spielplatz dient als auch in seiner Eigenschaft als Schule des Geistes. Und als Jobe letztendlich seine physische gegen eine virtuelle Existenz aufgibt, wird er gar zu einem Metaphern-Raum: Es kommt zum finalen Showdown zwischen ihm und Angelo in einem virtuellen Raum, der offenbar als Kommunikationszentrale gedacht werden muss. Jobe versucht einen offenen I/O-Port nach draußen zu finden, ihm wird der Zu/Ausgang jedoch verwährt. Als Angelo ihn überreden will, dieses Vorhaben aufzugeben, schlägt er ihn ans virtuelle Kreuz (der Film ist nicht arm an kruder Bildsprache: Jobe bezeichnet sich irgendwann selbst als einen “Cyber-Christus”!)

Interessant ist überdies, dass auch hier wieder (wie in “Welt am Draht” und “Tron”) der Eingang in die virtuelle Realität als Abstieg markiert ist. Stets sind es Tunnel und Strudel, die diesen Abstieg visualisieren. Platons Höhlen-Gleichnis ist in Gedankenexperimenten zur virtuellen Realität also so aktuell wie eh und je.

#366
Geschrieben 01. Dezember 2008, 09:45
Ganz zufällig habe ich “One Point Zero” gestern in einer Videothek entdeckt und für 3,50 Euro mitgenommen, weil ich dachte, dass der Film zu meinem “Computer im Film”-Thema eine interessante Ergänzung wäre. Ist er aber nicht, anstelle dessen ist er allerdings ein hoch interessanter und überaus ansprechend gestalteter dystopischer Science Fiction.
Darin bekommt es ein Programmierer mit der Angst zu tun, als im täglich leere Pakete in seiner abgeschlossenen Wohnung abgestellt werden. Zudem häufen sich seltsame Ereignisse in dem Haus, in dem er wohnt: Als er etwa bei einem Nachbarn zu Besuch ist, um dessen SM-Videospiel zu testen, wird dieser Nachbar vor seinen (von einer VR-Brille verdeckten) Augen umgebracht. Eine Krankenschwester, die am Ende des Flurs wohnt, scheint ebenfalls eine mysteriöse Rolle in der Verschwörung zu spielen. Irgendwann wird unserem Helden dann mitgeteilt, dass die Pakete keineswegs leer waren, sondern “Nano-Milben” in der Version 1.0 enthalten haben, die nun durch seinen Körper wandern, Halluzinationen und einen unbändigen Drang nach frischer Milch verursachen. Es kann ihm jedoch durch ein Upgrade von der “Beta-Version” der Milben auf die Version 1.1.5 geholfen werden. Auch das Upgrade funktioniert über Berührung. Kurz darauf brennen ihm dann alle Sicherungen durch und der wahre Verschwörer (ein im Keller lebender alter Mann) sucht ihn in seiner Wohnung auf und baut ihm die “Festplatte” auf: Ob der in der letzten Einstellung des Films zu sehende geöffnete Kopf nun zuvor ein Gehirn oder wirklich eine Festplatte enthalten hat, bleibt unserer Interpretation überlassen.
“One Point Zero” ist ein tolles Beispiel dafür, wie eine allgegenwärtige und selbstverständlich gewordene Technologie (hier: Computer) Tücken entfaltet, mit denen niemand (mehr) rechnet und gegen die deshalb auch niemand gewappnet ist. Selbst als sich die Zeichen einer technologischen Verschwörung so sehr in den Vordergrund drängen, dass man sie gar nicht mehr übersehen kann (der Protagonist erhält etwa andauernd Anrufe von einer ans Internet angeschlossenen Puppe aus einer Nachbarwohnung), sind die Filmfiguren eher noch bereit, sich selbst dafür verantwortlich zu machen: “Vielleicht spielt sich das alles nur in deinem Kopf ab.”
“One Point Zero” ist fast ausschließlich in einem Sepiaton gefilmt. Einzig die wenigen Szenen in dem Supermarkt, wo unser Held sich seine Milch kauft, sind in blendendes Weiß getaucht. Hinzu kommt ein stark desorientierend wirkender Umgang mit Close-ups, die natürlich gleichzeitig die vergrößerten “Dinge” mit Bedeutungen aufzuladen scheinen. “One Point Zeor” ist einer der attraktivesten Filme, die ich in der letzten Zeit zu Gesicht bekommen habe - und das obwoh das, was er zeigt, keineswegs attraktiv ist.
#367
Geschrieben 01. Dezember 2008, 10:13
Die zweite Episode aus dem Kompilationsfilm “Alpträume” spielt tief in den 80ern. Dort ist Emilio Estevez ein Computer-Kid, der berüchtigte J.J. Cooney, der virtuos jedes Automatenspiel beherrscht. Nur die berüchtigte 13. Ebene des Spiels “The Bishop of Battle” hat er noch nicht erlangt. Eines Nachts bricht er in die Arcade-Mall “Game-o-Rama” ein und spielt das Spiel. Am Ende der 12. Ebene angelangt, bricht der Automat in sich zusammen und die Computer-Gegner gelangen in die reale Welt, wo J.J. seinen Kampf gegen sie fortsetzt. Zunächst scheint er zu gewinnen, doch auf der Flucht gerät er in einen Hinterhalt des Bishops, der ihn zu sich ins Spiel zieht.

Man muss beinahe keine Wort über den Subtext dieses Kurzfilms verlieren. Da wächst in den Iden der 1980er-Jahre eine neuen Generation von Jugendlichen heran, die an der Realität keinen Spaß mehr hat. J.J. bekommt Hausarrest wegen schlechter Schulnoten und als die Arcade abends schließen will, versucht ihn seine Freundin zu einem Eisessen zu überreden. So etwas macht er aber schon lange nicht mehr. Er spielt weiter. Doch der Film suggeriert: Das Spiel spielt in Wirklicheit mit ihm. J.J. erliegt dem Immersionseffekt, nichts anderes bedeutet doch sein Surz (abermals: Strudel) in die Spielwelt. Das wird optisch gut vorbereitet: Zunächst sehen wir das Spiel in Draufsicht (und die reale Umwelt um den Automaten). Die Kamera nähert sich dem Bildschirm an, das Spielfeld kippt immer mehr, bis es schließlich in der Wagerechten ist, das hießt: der Film wechselt von einer auktorialen auf eine Point-of-View-Perspektive, vom Überblick auf ein Dabeisein.

#368
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:44
Jahrelang lag er hier ungesehen herum und jetzt, zur Recherche des nächsten Computer+Film-Artikels habe ich ihn endlich einmal gesehen. Darin besucht eine Spiele-Grafikdesignerin mit ihrem Ex-Freund das verlassene Haus ihrer Kindheit. Dort entdecken sie nicht nur etliche Motive der Kindheitserinnerung der Designerin, sondern stoßen auch auf merkwürdige Phänomene. Sie hören, dass jemand außer ihnen im Haus lebt, finden schließlich geheime Räume und dann Leichen. Zuletzt stoßen sie auf die böse Zwillingsschwester der Programmiererin. Das dem „Haunted House“-Horrorfilm entnommene Motiv-Inventar von „St. John’s Wort“ entpuppt sich am Ende allerdings als Videospiel-Plot a la „Alone in the Dark“. Schon die seltsame Farbgebung und Montage des Films hat den Verdacht ausgelöst, dass hier etwas anderes hinter den Ereignissen steht, als das, was die (Schau)Spieler zeigen. Zudem hatte die Designerin schon während des gesamten Films telefonischen Kontakt mit den übrigen Entwicklern, die ihr einmal sogar einen schnell entworfenen (!) Grundriss des Hauses zumailen und auch sonst einiges wissen, was sie nach den „Gesetzen der Realität“ gar nicht wissen konnten. Am Ende löst sich dieses Rätsel, als alle gemeinsam vorm Monitor sitzen und sich zum gelungenen fertigen Spiel gratulieren – zu dem die Designerin sogar noch ein alternatives Ende beisteuert. Alles war nur ein Spiel und wir – die Zuschauer – haben geglaubt es sei ein Spielfilm.
#369
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:44
Drei mal ist Kafkas “Proceß”-Roman laut imdb bislang filmisch adaptiert worden - “Das Schloß” sogar sieben und “Die Verwandlung” acht mal. Es muss also etwas besonderes in der Prosa Kafkas sein, dass seine Stoffe immer wieder begehrt für die Kinoleinwand sind. Dieses Phänomen war auch Gegenstand der Seminar-Sitzung “Literaturverfilmung”, in der ich in der vergangenen Woche meinen Chef vertreten durfte.

Schaut man sich Welles’ Film an, sieht man sehr deutlich, dass dieses Interesse der Filmindustrie an den Kafka-Stoffen nicht allein im “Kafkaesken” oder dem, was Wolfang Jahn und andere den “filmischen Blick” nennen, liegt, sondern in der grundsätzlichen metaphorischen Offenheit des Kafka’schen Existenzialismus, der die Themen “Angst” und besonders in “Der Proceß” die Topographisierung von Rechts-Begriffen für kulturhistorische Interpretationen und Rezeptionen öffnet. Welles aktualisiert Kafka, wo es nur geht, unterlegt den Film mit Jazz-Musik, holt sich einen Computer in die Handlung (siehe Bild), macht aus der Bank ein Großraumbüro und zeigt als letztes Bild des Films einen Atompilz. Charmant fand ich die Interpretation eines Studenten, der den Atompilz in begriffliche Nähe zum Phänomen der Atomisierung des Einzelnen in der modernen Gesellschaft gerückt hat.
#370
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:45
16 mal wird in “Sorry, wrong number” telefoniert und so gut wie jedes mal das Gespräch abgebrochen, bevor es beendet ist. Für die missbräuchliche Verwendung des Telefons im Film ist das wirklich ein Paradebeispiel, aber auch ein exzellenter Beleg für Wulffs Thesen zur Transition und Insertion von Telefonszenen in der Montage. Überdies zeigt die Verknappung des Handlungsraums in der Rahmenhandlung - eine kranke Frau telefoniert vom Bett aus und alles, was der Film zeigt, sind Visualisierungen der Gespräche, Flashbacks und eben Insertionen - welch ungeheure quasi-visuelle Potenz in einem “heißen” (”kalten”?) Medium wie dem Telefon steckt, sobald man es zu einem filmischen Motiv macht. Die Fähigkeit des Mediums Telefon als “unseen link between millions”, wie es im Prätext von “Sorry, wrong number” heißt, wird über seine Visualisierung zu seinem Gegenteil: Wir sehen, was die Telefonierenden nicht sehen (suspense), die Möglichkeit, Millionen zu erreichen, mündet in das genaue Gegenteil (Vereinsamung) und der “link” verliert seine sozial-konstruktive Kraft zugunsten der Etablierung eines (selbst)zerstörerischen Wissens: Was die Telefonierende durch Belauschen über das Telefon erfährt, beendet ihr Leben.
“Telephones are very funny things.”
#371
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:45
Florian hat auf dem letzten Examenskolloquium eines seiner Magisterprüfungs-Einsprechthemen vorgestellt: Unzuverlässiges Erzählen in den Filmen Akira Kurosawas. Als filmisches Mitbringsel hat er “Nachtasyl” ausgewählt und mir damit - ich wage es kaum zu sagen - meinen ersten Kurosawa-Film beschert. Ein großartig konzipiertes Kammerspiel (das freilich einige Ausbrüche aus der Schlafstätte der Asylanten wagt), fotografiert mit einem derartig Bild-dramaturgischen Gespür, wie ich es bislang nur bei den Fassbinder-Ballhaus-Arbeiten gesehen habe. Ein toller Einstieg in die Welt Kurosawas für mich.
Am kommenden Donnerstag bin ich mit Vortragen dran, rede dann über Privatheit und Pornografie und zeige “Shortbus”.
#372
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:46
Die Mutter aller Telefon-Thriller, aber noch weit mehr ist Hitchcocks Film über das perfekte Verbrechen. Im Zentrum stehen nicht die Personen, sondern die Dinge. Sie sind es, die den Verlauf der Handlung bestimmen, die die Konstruktion (des perfekten Verbrechens) zerstören und ein Eigenleben entwickeln: Scheren, Strümpfe, Schlüssel, ein Brief … und natürlich das Telefon.
In den acht Filmtelefonaten zeigt sich, wie sich die Stärken und Schwächen telefonischer Kommunikation gegen den Medien-Verwender richten. Es wird zur Tatvorbereitung, zur Tatdurchführung, zur Scheinaufklärung und zur Aufklärung telefoniert und jedes Mal kommt es doch anders als geplant, denn die “Fernbedienung für den Körper und Verstand des Anderen”, die das Telefon in solchen Situationen darstellen soll, versagt. Der Mensch funktioniert nicht nach der Schaltlogik des NAND, nach welcher Telefonverbindungen aufgebaut sind - wie um das zu unterstreichen, zeigt Hichtcock uns eine automatische Vermittlungsstelle, als der Mord-Anruf getätigt wird:

Zudem: Das perfekte Verbrechen ist eine künstlerische Vision, die nur deshalb funktioniert, weil Tat und Aufklärung als logisch vollständig nachvollziehbare (und daher präjudizierbare) Handlungsfolgen gedacht werden. Hitchcock macht sich genau darüber lustig, indem er einen Krimiautoren in die Filmhandlung einführt, der wie durch Zufall das geschehene Verbrechen als Kriminalplot (re)konstruiert. Ähnlich findet sich solch eine Re-/Konstruktion bereits in Clouzots “L’Assassin …”
#373
Geschrieben 15. Dezember 2008, 16:17
Alfred Hitchcock hatte es sich einmal vorgenommen: einen Thriller in einer Telefonzelle drehen. Zu seiner Zeit wäre das Projekt jedoch zu avantgardistisch gewesen, so dass er seinen Telefon-Thriller "Dial M for Murder" maximal als Kammerspiel planen konnte (als das er als Theaterstück ja bereits angelegt war). Schumacher greift Hitchcocks Idee explizit auf und fesselt Collin Farrell an eine Telefonzelle. Er telefoniert mit einem ihm und uns unbekannten Acousmêtre, der, sollte aufgelegt werden, den Angerufenen sofort erschießt. Zweck dieser Drohung ist es Farrell dazu zu bringen, sein uneigentliches Leben als PR-Berater und Ehebrecher aufzugeben.
Wie hilflos die Kamera die Häuserwände nach dem heimlichen Beobachter absucht! Wie sehr die Telefonie im Film ein optisches Dual ist, das einen Gegenschuss, einen Splitscreen oder zumindest die sprachliche Versicherung benötigt, dass sich Abstand zwischen den Telefonierenden befindet. ("Gegenschüsse" gibt es nur durch das Zielfernrohr und dann als Projektile.) Nichts von dem bietet "Phone Booth". Die filmischen Konventionen werden durch das elaborierte Bild-im-Bild-Verfahren der ersten Telefonate noch bedient, aber dann bleiben wir allein mit dem Hauptframe. Gefesselte an die zur Deckung gebrachten Erzählzeit und erzählte Zeit spannt uns "Phone Booth" in prägnanter Kürze auf die Folter der medialen Differenz zwischen Film (alles sehen) und Telefon (nur hören).
Nicht nur die Kommunikation zwischen den Telefonierenden ist extrem asymmetrisch, auch die zwischen uns und dem Film. Wir werden an den Körper und die "Zelle" des Gefangenen geklebt. Uns wird Entkommen in weitere Einstellungen versprochen, unser Blick endet jedoch stets in Groß- und Detailaufnahmen. "Phone Booth" führt vor, worin die Angst des Telefonierenden im Handyzeitalter besteht: mit der eigenen Sprache an einen Ort gefesselt zu werden - dann wird das Mobiltelefon in der Hosentasche tatsächlich zu einer mächtigen Waffe. Nur schade, dass Farrell sie nicht zücken darf.
#374
Geschrieben 28. Dezember 2008, 07:26
Meine These des Kolloquiumsvortrags lautete, dass sich das Scheinbare der Dialektik von Privatheit und "Veröffentlichung" in den Medien zeigt und dort besonders im Pornofilm, weil dieser notwendigerweise behaupten muss, es gäbe etwas Privates, dass er dann zeigt und im Akt des Zeigens als bloß Scheinprivates offenbart. Das betrifft nicht nur die Privatsphäre (also den dargestellten Raum), sondern auch die "Lücken", die die Montage zwischen eine heiße Kussszene und dem Bild des Paares "danach" (rauchend im Bett, am nächsten Morgen, ...) produziert. Über den Matchcut der Körperdarstellungen wissen wir: Es sind noch dieselben wie in der Einstellung zuvor, aber es ist Zeit verflossen - private Zeit, in der die Kamera nicht dabei war. "Shortbus" ist zusammen mit einigen anderen Filmen der Versuch, diese Privatzeit zwischen den Einstellungen zu "Veröffentlichen". Dass der Film das derartig geschickt macht, hätte ich nicht gedacht. Er holt das Thema sogar in seinen Plot (es gibt mehrere Erzählstränge über Voyeurismus) und in die mise en scène (Spiel mit Tiefenschärfen, Fahrten, ...) Der Pornofilm deprivatisiert hier eine Form des Hollywood-Melodrams, die seit den 1930er Jahren feste Erzähl- und Darstellungskonventionen entwickelt hat.
#375
Geschrieben 28. Dezember 2008, 07:51
Diese Art von Provokation, in der man den Zuschauern einfach das Gegenteil von dem vorführt, was man für deren tiefstes moralisches Selbstverständnis hält, war doch eigentlich ein Mittel der Avantgarde der 30er und hat noch einmal einen unrühmlichen Abklatsch in den 80ern (Filme wie "Specters") gefunden. Der Einzige, der das meines Wissens zuletzt gewinnbringend vollbracht hat, war Scorsese in "The Last Temptation of Christ".
"God's Army" gefällt sich nun aber auch darin, das Prinzip des Allguten im Christentum einfach anders herum zu behaupten und die Englein in Himmel in Wirklichkeit gemeine Verschwörer und Mörder sein zu lassen. Hätte der Film nicht diesen Ich-dreh-das-jetzt-mal-um-Plot, dann hätte er gar nichts. Leider ist selbst ein Darsteler wie Christopher Walken nicht in der Lage etwas anderes zu sein als albern.
Ein etwas dürftiger Start in mein neues Berliner Filmguckerdasein.
#376
Geschrieben 02. Januar 2009, 08:26
Zunächst einmal davon abgesehen, dass "Awake" wirklich ein unglaublich glattes, (im schlimmsten Sinne) kalkuliertes Filmchen ist, hat er doch einen Aspekt, den ich beachtlich finde. Sein Gegenstand ist ja alles andere als filmisch: Die zentrale Figur liegt in der meisten Filmzeit reglos auf dem Rücken und ist zu keiner Aktion und Reaktion fähig. Das Einzige, was die Kamera uns also zeigen könnte, ist diese Ruhe und diejenigen, die sich um sie herum gruppieren.
Interessanterweise ist diese Figur jedoch auch der Fokalisator der Erzählung. Aus seiner Perspektive wird die Geschichte dargeboten - und da tauchen Probleme auf, die nicht mehr allein narrativer Art sind: Wie erzählt denn jemand, der physisch gar nicht dazu in der Lage ist? Das Krankenhaus, in dem er sich befindet, ist ja nachgerade ein Topos für das (kurz- oder langfristige) "Verschwinden des Erzählers". Ein schönes Beispiel hierfür ist Stephen Kings Roman "Christine"; dort verschwindet der Ich-Erzähler am Ende des ersten Teils im Krankenhaus und konfrontiert den Leser mit einem Perspektiv-Verlust, den King nur so zu beheben wusste, dass er von der Ich- in die Auktorial-Perspektive wechselt.
"Awake" nun geht einen anderen, überaus filmischen Weg: Er verwandelt den realen Handlungsraum in ein Hybrid aus realem Handlungs- und imaginiertem, funkti0nalisiertem "Erzählraum". In letzterem kann sich der narkotisierte Patient wie in seiner Erinnerungswelt bewegen (erinnern wir uns an "Johnny got his gun"!), agieren und die Geschichte (eine Verschwörung) durch Reflexion des bereits Gesehenen und aktuell Gehörten (er liegt in einer Art Wachkoma) rekonstruieren. Der Film wechselt hier auch die Erzählperspektive, jedoch nicht so radikal wie King in "Christine". Vielmehr wird die vormalige externe Fokalisierung zu einer gemischten internen und Nullfokalisierung. Wir wissen stets, dass das, was die Kamera uns zeigt, ein Gemisch aus imaginierten und realen Bildern ist.
"Awake" wandelt sich auf diese Weise von einer bloß irgendwie unangenehmen Geschichte (ein auf dem OP-Tisch liegender Patient, bei dem die Narkose nicht wirkt) in einen Suspese-Thriller (der Patient entdeckt eine Verschwörung gegen sich und seinen narkotisierten Körper). Als solcher fährt er dann allerdings seine etwas dünne und in ihren Entwicklungen viel zu kalkulierte Erzählung gegen die Wand.
Mein Filmtipp für bekay.

#377
Geschrieben 02. Januar 2009, 08:39
Mein erster Kinofilm als Neuberliner - am 30.12. gesehen. Ein Film voller Schnee - kein Film für den Sommer. Und jetzt, wo ich hier sitze und über ihn schreibe, wird es draußen langsam hell und überall liegt Schnee. Für Vampire wird es jetzt langsam ungemütlich.
Einen selten doofen deutschen Titel hat man sich für Alfredsons Vampir-Jugend-Melodram-Soziogramm ausgedacht. Der Film trägt jedoch keinen Schaden davon und hat auch bei der zweiten Begegnung nichts von seiner Kraft verloren. Diese durch den dunklen schwedischen Winter eingefrorene Stille, die neben der Natur vor allem das Mitmenschliche lähmt und zusehends erstarren lässt, wird perfekt auf die Geschichte der beiden Kinder übertragen, die sich immer mehr von ihrer Umwelt abkapseln, indem sie sich Wärme suchend einander zuwenden.
Dass diese Zuwendung dann natürlich auch nicht wirklich ein sozialer Akt der Fürsorge, sondern wiederum nur kalt kalkuliertes Mittel zum Zweck ist (das Vampirmädchen sucht nach einem neuen Helfer, nachdem ihm sein alter "entwachsen" ist), macht denFilm nur umso trauriger.
#378
Geschrieben 11. Januar 2009, 11:01
Ein außergewöhnlicher Film, der da beim neuen Label „Bildstörung“ erschienen ist: Menschen mit Tiermasken spielen ein Gefangenenstück am Vorabend der französischen Revolution. Im Zentrum ein Schriftsteller, der, weil er auf ein Kruzifix geschissen hat, in der Bastille sitzt und dort seine dekadente Literatur verfasst. Er ist niemand geringeres als der Marquis de Sade – dort trifft er auf zwei seiner Musen: Justine und Juliette, die ihn zu literar-erotischen Höchstleistungen motvieren. Zudem wird er beständig von seinem sprechenden Penis angestachelt, sich dem System nicht beugen, sich dem masochistischen Gefängniswärter nicht für ein paar Annehmlichkeiten preiszugeben, sondern den Ausbruch zu wagen. Der kommt ein paar mal in greifbare Nähe und als der Sturm auf die Bastille losbricht, hält auch den Marquis nichts mehr dort.
Erstaunlich ist die Ruhe, mit der der Film inszeniert ist. Zärtlich in Sprache und Umgangsformen verhalten sich die Figuren zueinander. Wären es nicht Tiere (und der Film damit eine Fabel) und wären es nicht die literarischen Grausamkeiten des Schriftstellers Marquis de Sade, die da ins Bild gesetzt werden und wäre es nicht das Vorspiel zu einem der grausamsten historischen Ereignisse der europäischen Neuzeit, das der Film da verklausuliert erzählt: Man könnte ihn fast eine Liebeserklärung nennen; erschienen 200 Jahre nachdem sich das alles wirklich zugetragen haben soll.
#379
Geschrieben 11. Januar 2009, 11:01
Ein atemberaubend luzides Werk. Toelle und sein Drehbuchautor Wolfgang Menge nehmen nicht nur die meisten denkbaren (und bislang erschienenen) Medien-Dystopien vorweg, sie beschreiben 1970 ein Fernseh- und Gesellschaftssystem, das heute (fast) schon Realität ist.
Interessant ist der Konflikt zwischen diegetischer und nicht-diegetischer Kamera. Etliche Szenen, in denen man meint, den Spielfilm „Millionenspiel“ zu sehen, bekommt man die Fernsehsendung zu Gesicht und die Aufnahmen des Spielers sind von einem immer schon vor Ort wartenden Kamera-Team gefilmt und im Studio dem Publikum auf einer Leinwand präsentiert. Dieses „Einholen“ des Ereignisses durch die Kamera erreicht manchmal einen zeitlichen Minimalabstand, der schon fast unwahrscheinlich wirkt: Der Spieler versteckt sich in einer leeren Wohnung – in der ihn schon unser Blick (also der Blick des diegetischen Publikums, als die diegetische Kamera) erwartet.
Der Kamerablick ist immer und überall. Selten sieht man die Technik und selbst dort, wo sie zu sehen sein müsste (etwa, als eine „Samariterin“ den Spieler vor den Verfolgern in einem Cabrio rettet und das alles von dessen Rückbank aus gezeigt wird), ist sie unsichtbar, ist nur der Blick selbst da. Das ist kein Fehler, sondern eine „Vision“: Die Utopie der Allgegenwart des Fernsehens, in der derjenige als unglücklich beschrieben wird, der (noch) anonym leben (muss), ist hier als allgegenwärtiger Zuschauerblick codiert. Ein Blick, der keine Technik braucht, weil er physikalisch gar nicht vorhanden sein muss, denn man spürt ihn, weil man sich nirgends mehr unbeobachtet fühlen kann.
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