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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Blown up



The Hurt Locker

Kriegsfilme sind immer ein schwieriges Unterfangen. Faszination des Gewaltrausches oder Abscheu vor der Dehumanisierung? A thin red line. Einerseits die Notwendigkeit der Abgrenzung zur Betörung, andererseits die Gefahr, das allzu Offensichtliche zu wiederholen und damit eine aversive Reaktion im Zuschauer zu provozieren. Nach der langen Zeit, die geprägt war durch die amerikanische Verarbeitung des Vietnamkrieges, hat sich Kathryn Bigelow in The Hurt Locker für die Nähe zu ersterem entschieden. Freimütig gibt sie im Vorspann das Motto des Filmes preis: "War is a drug". Adrenalinjunkies können nicht nur in den Spielhöllen ihre Erfüllung finden und wer möchte schon sein Leben bei illegalen Autorennen verplempern, wenn man für den echten Kick ordentlich bezahlt wird? Hier im Krieg ist man ein Experte, etwas, das einem Redneck oder Schwarzen im bürgerlichen Leben meist verwehrt bleibt. Den ökonomischen Druck muß sich der Zuschauer selbst dazudenken, das dürfte ihm angesichts der jetzigen Weltwirtschaftskrise nicht schwerfallen.

Die Bilder selbst wirken angemessenerweise getrieben und hektisch. Keine selbstzweckhafte shaky cam Bay'scher Prägung, sondern eine Kamera, die sich ihrer eigenen Position im Gelände zu versichern sucht. Wer von den Fremden ist Freund, wer Feind, wer Beobachter? Das stellt alles primär keine Spannung wie im konventionellen Actionfilm her, sondern ist eher ein Stehen auf schwankendem Grund. Erdbebenartig zerfällt auch die moralische Überlegenheit der Hauptpersonen, die immer weniger sich im Sinn ihrer Anwesenheit bestätigt fühlen. Der Ausflug, um im Alleingang den vermuteten Mord an einem Jungen zu rächen, gerät nicht nur zum Desaster, sondern bei der Rückkehr ins Camp wird der Soldat auch wie ein Feind behandelt. Alle wohlbekannt geglaubten Grenzen lösen sich auf. Da braucht es kein artikuliertes "WTF are we doin' here?" mehr, um The Hurt Locker von einem Propagandafilm abzugrenzen.

Es gab mal den Spontispruch "Der Krieg ist die Menstruation der Männer". So viel sollte nach The Hurt Locker klar sein: Kathryn Bigelow ist definitiv nicht postmenopausal.

Kino OV



Wieder eine positive Stimme. Ich sollte den Film mal sehen....
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...oder auch nicht. Berührt hat mich der Film nämlich nicht. Das war alles nachvollziehbar, aber eine so ferne Welt ... also ich könnte auch ohne diese Filmerfahrung beruhigt heute Nacht schlafen.
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Deswegen muss er ja geschaut werden: Weil er nicht berührt. Jedenfalls nicht von einer emotionalen oder sozialen Seite. Bigelow ist beängstigend neutral, das "War is a drug"-Motto eigentlich nur leicht im Hintergrund als kritische Komponente mitlaufend. Man ist nur dabei statt mittendrin. Aber dieses Dabei empfand ich als größtes Kino.
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So neutral dann auch wiederum nicht. Sie zeigt den Blick der Besatzer als unverständigen Blick, wobei das Unverständnis nicht mal böse Absicht der Soldaten ist. Das ist, genau wie James' Scheitern an der moralischen Herausforderung oder das Fokussieren auf die Technisierung des Tötens, eine Wertung Bigelows. Eine wirklich großartig inszenierte Stelle fand ich da den Überfall auf die Patrouille mit der Reifenpanne. Dieses gegenseitige Töten und dann plötzlich der Perspektivwechsel, so daß man schockhaft präsentiert bekommt, wie weit die Kombattanten von einander entfernt sind.
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The Critic sagte am 15. Februar 2010, 02:20:

So neutral dann auch wiederum nicht. Sie zeigt den Blick der Besatzer als unverständigen Blick, wobei das Unverständnis nicht mal böse Absicht der Soldaten ist.
Umso besser! :doc: Nun weiß ich nichts von der Realität des Krieges, um beurteilen zu können, ob das eine Wertung sei. Jedenfalls ist es unkonventiell bis unters Hemd und scheint mir näher am Alltag zu sein als Emotionalisierungen á la "Zeitlupenkinder mit Ethnomusik" (Ridley Scott). Nichts zu verstehen - und das wird ja auch auf die Handlung übertragen, die keinen Spannungsbogen hat, sondern reine Aneinanderreihung von Aufträgen ist, und somit für den Zuschauer spürbar - das heißt eben, die Welt nicht mehr mit Sinn füllen zu können. Die Rationalisierung, das übergeordnete Prinzip fällt weg. Dann ist dies eben eine Werung, aber sie scheint mir präziser und zutreffender als die anderer Antikriegsfilme...
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Nein. Es sind unterschiedliche Reflektionsebenen. Wenn Bush, Obama, Blair oder Merkel einen Kriegsbefehl unterzeichnen, dann ist das eine andere Motivation als die der Soldaten, die vor allem Angst um ihren Arsch haben. Der klassische Antikriegsfilm zielt ja auf ersteres ab.
Auch sollte man nicht vergessen, daß sich für einen Großteil der Menschen die Position zum Krieg deutlich verändert hat - u.a. dank des klassischen Antikriegsfilmes. Insofern ist Bigelows Film eine Reaktion auf die veränderte Lebenswelt der Menschen.

Die Rationalisierung fällt im übrigen überhaupt nicht weg, sondern wird im Zuge der Modernisierung noch stärker zum Handlungsmotiv. Früher war man noch ganz auf nationale Blutfeindschaften getrimmt, voller Emotionalität reagierte man auf die hingeworfenen Köder, der Haß ließ sich leicht durch Propaganda reaktivieren, wenn es gewünscht war. Heute macht man einen Job, Vati fährt nicht auf Montage, sondern zum Krieg. Für mich in gewissem Sinne grauenhafter.
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Ich verstehe dich mal wieder nicht so gut, aber dies ist ja ein altbekanntes Problem zwischen uns.

Wenn ich Reationalisierung sage, dann meine ich gerade nicht die mechanische oder technische Rationalisierung, die wohl den modernen Krieg auszeichnet. Ich meine eine metaphysische Rationalisierung, die Frage nach dem höheren Sinn. Genau dieser fällt ja weg und geht in einer Alltäglichkeit unter, wie du in deinen letzten Zeilen mit dem Vergleich zum "normalen Arbeitstag" andeutest. Und daher ist der Film m.E. nach auch so geschickt konstruiert, weil er auf klassischen Plot verzichet (denn klassischer Plot ist immer die Verheißung eines Abschlusses und somit einer metaphysischen Pointe) und einfach nur eine Wiederholung von Plot-Devices darstellt.
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Das ist ja das Schöne - wir kommen aus verschiedenen Ecken und meinen immer verschiedene Sachen, wenn wir dieselben Worte verwenden. Ich meine natürliche die psychologische Bedeutung des Wortes Rationalisierung. ;)
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I don't do Psychologie.
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I don't do Metaphysik. Mal sehen, wer von uns beiden in 2000 Jahren mehr Bedeutung hat. :D

(Keiner vermutlich, weil die Ameisen sich nicht an uns erinnern werden. :( )
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Naja, richtig ist wohl: Wir alle machen Psychologie und Metaphysik, immer.
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