Zum Inhalt wechseln


Nummer 37

oder auch: der dritte Versuch.

Foto

Religion, Patent No. 41987667399


THE INVENTION OF LYING
(Ricky Gervais, Matthew Robinson, 2009)

Als Geschichte ist das ziemlich toll, was u.A. Ricky Gervais hier präsentiert. Die Idee, dass es eine Welt gibt, in der das Konzept der Lüge nicht nur nicht existiert, sondern sogar so undenkbar ist, dass im Umkehrschluss jegliche Kreativität zur Unmöglichkeit wird, ist ganz fantastisch. Der Held darf schließlich der einzige Mensch sein, der ganz plötzlich, ganz versehentlich, das Lügen entdeckt, und im nächsten Atemzug sowohl Fiktion als auch Religion erfindet. Im Ergebnis ist THE INVENTION OF LYING eine großartig humanistische Komödie, die anstelle einer moralischen Botschaft tatsächlich die Lüge als unverzichtbare Errungenschaft der Geistesgeschichte abfeiert, obwohl ihr auch solch Unbill wie Religion oder Werbung zuzuschreiben ist. Im Film wimmelt es vor kleinen skurrilen Einfällen, und einen kleinen Meta-Sideplot erlaubt er sich sogar, wenn er von einem Drehbuchautor erzählt, der im Grunde nichts anderes machen darf, als historische Fakten in Vorlesetexte zu übertragen – selbst Schauspieler existieren in dieser Welt nicht –, und dessen Karriere dabei auf Gedeih und Verderb dem Spektakel-Gehalt der Vorlage ausgeliefert ist.

Warum die Einschränkung im ersten Satz? Ganz einfach: THE INVENTION OF LYING ist kein Film. Das Medium ist für den Transport der Geschichte komplett egal. Selbst die wenigen Gags und Ideen, die sich in Bildern manifestieren, sind im Grunde nicht mehr als abgefilmte Schrift. Das schmälert das Vergnügen zwar keineswegs, aber ein wenig billig ist es schon. Gerade, wo sich INVENTION OF LYING als große Laudatio auf die Kreativität versteht, fällt diese Uninspiriertheit auf: Seine Macher sind leider nichts außer Schriftsteller, aber keine Filmemacher. Insofern ist die Spiegelung an den bizarren History-Schinken schon vielleicht wieder ein kleiner, selbstreflexiver Geniestreich. Nächstes Mal jedenfalls gerne auch als Hörbuch.

Ricky Gervais


Foto

Flashbacks und Vasallenstaaten


THE A-TEAM
(Joe Carnahan, 2010)

Vorweg: Zu erwarten war weitaus Schlimmeres. Das soll jetzt nicht unbedingt für den Film sprechen, aber gelegentlich blitzt tatsächlich soetwas wie Charme auf, der eine oder andere One-Liner ist nicht so pubertär, dass es einem peinlich wäre, und die Besetzung finde ich sogar rundum ein Plus. Auch der immerhin vorhandene Alibi-Fokus auf so ganz generell einen eher heisty approach hat mir gut gefallen.

Doch genug davon. Weil dass ein Film sein Publikum für so minderbemittelt hält, habe ich auch schon lange nicht mehr erlebt. Jedes, aber auch wirklich jedes, Plot-Twistlein oder auch nur völlig logischer nächster Schritt in der Erzählung muss mit einem erklärenden Flashback für Unterbelichtete erklärt werden. Ja, ich kann mich 10 Minuten später noch daran erinnern, dass Face der netten Frau ein Handy in die Tasche gesteckt hat, sie danach darauf angerufen hat (sie: „Du hast mir ein Handy in die Tasche geschmuggelt!“), sie danach persönlich (auch darauf!) angesprochen hat, ihr wenig später nochmal gesagt hat, sie soll das Handy aufheben, weil er sie darauf anrufen will. Kein Grund, mir das drei Szenen später, als er sie dann tatsächlich anruft (das Handy in Großaufnahme im Bild, im blinkenden Display erscheint ein Foto von Face), in Form einer Rückblende in Erinnerung zu rufen. I was there, und zu übersehen war das die ersten 14 Mal schon nicht!

Skurril auch das Bild von diesem mystischen Land "Nicht-Amerika", das hier transportiert wird. Man ist ja so einiges gewöhnt von derlei Käsefilmen (und nimmt das – auch in diesem Fall – weitgehend achselzuckend zur Kenntnis). Aber, naja… Deutschland – wo aus unerfindlichen Gründen nicht unbeträchtliche Teile der komplett austauschbaren Handlung spielen – ist hier jedenfalls nur ein Vasallenstaat der Big US of A, in Mannheim gibt es ein Sanatorium für geisteskranke Ex-US-Militärs, und wenn ein CIA-Agent auf dem Frankfurter Flughafen mit Waffe im Anschlag durch die Sicherheitskontrolle rennt, dann darf er sich sogar einen flotten Spruch der Marke „ja, ich hab ne Knarre, und nein, du darfst mich nicht aufhalten“ erlauben, während er mit seinem kleinen Plastikkärtchen winkt. Nicht, dass mich sowas aufregen würde, aber die himmelschreiende und vor allem gänzlich unnötige Naivität, mit der hier jeglicher Rest politischer Realität vergewaltigt wird, befremdet dann sogar mich. Achja, und die Stunts sind allesamt ein Fall für Mythbusters. He’s trying to fly that tank.

Joe Carnahan Flashbacks Heist Käse


Foto

Wolkenkratzer in Fledermauspose


DEVIL
(John Erick Dowdle, 2010)

Das Setting gewinnt hier natürlich. Und mit der Auflösung muss der Film ganz unweigerlich verlieren. Nicht einmal, weil sie so schrecklich wäre, wie ihm allerorts vorgeworfen wird. (Es mag sein, dass sie so schrecklich ist, da kann man gerne geteilter Meinung sein, aber das ist nicht der Grund, warum die Auflösung dem Film eine Niederlage verpasst.) Es gibt einfach Filme, die nicht zufriedenstellend enden können. DEVIL gehört dazu. Was da jetzt genau im Aufzug passiert, ist im Grunde schon von Anfang an egal, und genau diese Erkenntnis ist mal wieder viel zu gut versteckt, als dass Herr Shyamalan nicht letztlich wieder ordentlich dafür einstecken müsste. Er ist aber auch ungeschickt, seine eigentlich hübschen Geschichten immer wieder in ein Whodunnit zu verpacken, bloß um dann erneut Leute damit vor den Kopf zu stoßen, dass das Who eigentlich verdammt unspektakulär ist.

Aber zurück zu den Stärken, die DEVIL ohne Zweifel hat. Da ist einmal der Fokus auf seinen Schauplatz: Der Film wird gerahmt von Panoramashots der Stadt, in gleißendem Sonnenlicht, aber zu Beginn noch auf den Kopf gestellt. Die Wolkenkratzer zeigen hier nach unten, so wie die Aufwärtsbewegung der aufstrebenden Opfer im Fahrstuhl eben so gar nicht himmelwärts gerichtet ist. Dass dann der humanistische Schluss erlaubt, diese Kamerafahrt versöhnlich richtigherum zu wiederholen, liegt auf der Hand. Und mittendrin ist dieser Schauplatz immer so strahlend hell gezeichnet, Großstadt-Häuserschluchten reduzieren sich zu Wänden aus Glas und Spiegeln und Licht, alles schimmert und ist astrein, die pure Oberfläche, durch die der Fahrstuhl des Films fährt. Solche strahlende Großstadt-Inszenierung habe ich zuletzt in STREET KINGS gesehen, wenn es darum ging, die falsche Integrität des Polizeipräsidiums zu zeigen. Und warum hatte ich bei DEVIL die ganze Zeit das Computerspiel MIRROR’S EDGE im Kopf?

Ignorieren wir außerdem mal den etwas moralisch-religiösen Plot und ärgern uns nicht darüber. Bei einem Film, der den Okkultismus schon im Titel trägt, ist das auch eigentlich etwas albern. Ästhetisch jedenfalls hat DEVIL einiges zu bieten, und mit der strikten räumlichen Trennung zwischen den Opfern im Aufzug und den Helfern-turned-hilflose-Zuschauer in der Überwachungszentrale ist auch ordentlich Luft für suspense, die Regisseur Dowdle auch ganz beachtlich nutzt. Die schön getimeten Gewaltausbrüche, die sich schon beinahe subtil steigern, sind da ebenfalls gelungen, da verzeihe ich auch die albernen Eindeutigkeiten mit der Teufelsfratze auf dem Videobild.

So oder so, DEVIL ist deutlich besser, als er gemacht wird. Er gehört halt zu den Filmen, die man am Besten 15 Minuten vor Schluss ausmachen sollte. Und nicht einmal, weil der Schluss so doof wäre, sondern weil bei solcherart abstrakten Konzepten jegliche Konkretisierung nur scheitern kann. Bleibt vor allem der Vorwurf, dass ein Kurzfilm dem Plot vielleicht besser gestanden hätte. Gut möglich.

M. Night Shyamalan Himmel Hölle


Foto

Tech-Ken


TEKKEN
(Dwight H. Little, 2010)
Hier ist das schlechte Gewissen dann schon etwas größer, aber auch nur minimal. Manche Dialoge, die offensichtlich Eindruck schinden sollen, sind einfach nur in höchstem Maße Fremdscham-erzeugend, da gibt es wenig zu beschönigen. Und der eigentliche Kern einer solchen BemU-Verfilmung ist auch keineswegs so wasserdicht, wie man das gerne hätte: Ein beträchtlicher Teil der Kampfszenen sind nämlich alles andere als gelungen. Während ich den Jin-Szenen eher vorwerfen muss, dass alle vier oder fünf Stück dramaturgisch exakt gleich ablaufen (Fresse poliert kriegen, Flashback zur Trainer-Mama und ihre pathetischen Durchhalte-Le(e/h)ren, selbst Fresse polieren), so sind sie doch wenigstens ansprechend spektakulär und rasant. Ganz anders aber die Randfiguren, bei denen ihre choreografische Natur mehr als einmal nur zu offensichtlich wird. Da kämpfen nicht zwei Gestalten in albernen Kostümen, sondern die spielen nur. Völlig harmlos, jeder Rest von Wut oder auch nur Wettkampf geht in der balletthaften Synchronizität der Bewegungen unter. Schön anzuschauen sind sie trotzdem, aber irgendwie auch eine Themaverfehlung.

Und achja, TEKKEN ist natürlich allerliebst auf erzählerischer Ebene... Die verquere Antikapitalismus-Dystopie bietet einen tollen Hintergrund, um selbst obskure Familiengeschichten bei all ihrer Lückenhaftigkeit noch charmant erscheinen zu lassen. Müsste ich mir eine Prügelspiel-Verfilmung-mit-Turnierhandlung aussuchen, so wäre diese gewiss mein Favorit.


Foto

Alter Killer, alte Welt


THE AMERICAN
(Anton Corbijn, 2010)
Einsilbiges Vergnügen, auch meinerseits. Die Rede von der hypnotischen Ruhe ist eine so abgedroschene Phrase, dass ich sie lieber nicht benutzt hätte. Aber was will man machen, jetzt ist es raus, und beschreibt weite Teile des Films so treffend. Und nicht einmal als Euphemismus für gähnende Langeweile, sondern als soetwas wie eine Thriller-Atmosphäre in der völligen Abwesenheit vieler konstituierender Merkmale. Schon der Soundtrack (Herbert Grönemeyer dankenswerterweise ausschließlich gesangsfrei) wirkt eher deeskalierend als spannungsfördernd, die Distanz zum Gesehenen ist unwahrscheinlich hoch - selbst die Protagonisten wirken an vielen Stellen wie Zuschauer. Am Ende ist THE AMERICAN natürlich ein Requiem, und als solches höchst passend, und natürlich auch ein wenig politisch konnotiert. Der Amerikaner mit dem zweifelhaften Beruf, der hier in der alten Welt im Grunde nur noch zum Sterben da ist, dessen Versuche, endlich zu dieser Welt zu gehören, zum scheitern verurteilt sind... Das Schöne ist auch, dass in diesem Entwurf das anachronistische Element aus Amerika stammt, der Fremdkörper aus einer anderen, früheren Zeit, der hier aber keinesfalls auf eine unverständliche Moderne sondern höchstens andere Traditionen trifft...


Foto

Daggers of Mass Destruction


PRINCE OF PERSIA: THE SANDS OF TIME
(Mike Newell, 2010)
Ich kann gar nicht verstehen, warum der so einen Missgriff-Ruf hat... Ich meine, klar, das ist nirgendwo etwas Großartiges, sondern vor allem naives Crowdpleasing mit dem Hintergedanken, möglichst einfach in eine Vergnügungspark-Attraktion umgesetzt werden zu können. Aber dafür hat Newell auch keinen Vorwurf verdient, liefert er doch letztlich genau das in Filmform: zwei Stunden naiven Spaß.

Ganz die Ideologiekritik-Keule kann ich aber natürlich trotzdem nicht stecken lassen: Allerliebst, wie sich PoP in aktuelle Zeitgeschichte einschreibt und dabei munter und völlig beliebig Rollen vertauscht und überhaupt alles tut, dass man aus dem Ergebnis nur ja nicht schlau wird. Da sind einerseits die meistens recht positiven Perser, die aber gleichzeitig auch irgendwie kapitalistische Ausbeuter sind, die aber von einem weisen Mann regiert werden, der aber von einem Despoten abgelöst wird, der sich aber am Schluss doch auch als ebenfalls weiser Mann entpuppt, der nur auf despotische Ratschläge gehört hat... Und dann greifen ausgerechnet diese verwirrt regierten Perser eine Stadt an, von der sie glauben, dass darin Waffen hergestellt werden - jedenfalls irgendwelchen (gefälschten) Spion-Berichten zu Folge... Als sie dann keine Waffenschmieden finden, beschließt der mal mehr mal weniger weise neue Herrscher, eben vor allem gründlicher suchen zu müssen, denn an der Zuverlässigkeit der Information besteht kein Zweifel. Und dann sind da aber auch genau die Angegriffenen, ein gänzlich edler, stolzer Menschenschlag, der eigentlich nur einem heiligen und höchst humanistischem Ziel folgt, und deshalb in der ganz offensichtlichen Anspielung auf semi-aktuelles Zeitgeschehen auch nicht so recht zum Antagonist taugen will - weshalb auch gar nicht erst versucht wird, ihn in diese Rolle zu drängen.

Das politische Wirrwarr in PRINCE OF PERSIA ist unglaublich, was einem ja eigentlich völlig egal sein könnte, wenn nicht ständig darüber geredet würde. So muss ich aber wenigstens der offensichtlichen Kaltschnäuzigkeit, das einfach komplett konzeptfrei dennoch umzusetzen, meinen Respekt zollen.


Foto

Gesammeltes Conscience-Appeasement II


Es gibt eine gute und schlechte Nachricht. Ich beginne mal mit der schlechten: Da ist mein wiedereröffnetes Filmtagebuch gerade einmal eine Handvoll Einträge lang, und schon gerate ich in Rückstand. Und natürlich stellt sich schon wieder dieses komische Verpflichtungsgefühl ein, möglichst doch einigermaßen komplett alles abzuarbeiten - oder wenigstens alles, wozu mir auch wenigstens eine sinnvolle Idee kommt.

Die gute Nachricht ist aber, dass ich auf einmal wieder so viele Filme schaue wie lange nicht mehr. Zwar sind einige dieser Filmsichtungen für die Puristen zwar ein Graus - am PC-Monitor, im Fenster, im Hintergrund ein Browser oder derartiges, viele Unterbrechungen und Ablenkungen -, aber eigentlich ist das überraschend wenig schlimm. Ob diese gute Quote jetzt an der durchaus motivierenden Existenz eines Filmtagebuchs liegt, oder auch an der Tatsache, dass ich langsam die Lust an der stets nächsten Serie verliere, und deshalb jetzt auch einfach mal einen Film einfach anfange, das lasse ich hiermit offen. Die Wahrheit liegt sowieso dazwischen.

Jedenfalls komme ich nicht umhin, mir mal wieder mit einem Sammeleintrag zu behelfen. Dieser hat immerhin den Nebeneffekt, dass ich auch Filme erwähne, die ich in Volleinträgen und wären sie die einzigen wohl tatsächlich guten Gewissens unter den Tisch fallen lassen würde. Ich bin aber mal gespannt, ob ich mich nicht dennoch bei dem einen oder anderen Film über mehrere Absätze rette, aber dann gibt dieses eine Posting hier wenigstens ordentlich Lese- und Diskussionsstoff ab. Auf geht's!

Edit: Das ist unterm Strich alles ganz schön umfangreich geworden. Also baue ich jetzt um, und nutze die höchst komfortable Editiermöglichkeit, die kurzen Einträge in diesem Sammeleintrag zu lassen, während die umfangreicheren ein eigenes Posting spendiert bekommen. Irgendwie will ja auch das eigene Ego auf seine Kosten kommen...

MORTAL KOMBAT: ANNIHILATION
(John R. Leonetti, 1997)
Gleich der erste ist so einer. Ein ziemlich unglaubliches Beispiel für die Fähigkeit aller Beteiligten, selbst beim allergrößten Mist noch irgendwie ernst zu bleiben. Liebenswerter wenn auch völlig verzichtbarer Trash, aber irgendwie haben es mir dieses BemU-Verfilmungen ein wenig angetan, und das ganze pathetische Brimborium um die eigentlich völlig egale Rahmengeschichte kann ich beinahe sogar genießen.

ROCKY BALBOA
(Sylvester Stallone, 2006)
Zum wiederholten Male gesehen, toll, wie Stallone hier tatsächlich jeden Ton trifft, seinen Underdog-Mythos in die Gegenwart holt, sich auch stilistisch an aktuellen Sportübertragungen und Events orientiert und dies ständig mit dem Kontrast zur altmodischen Hemdsärmeligkeit der Umgebung seines Protagonisten stellt.

SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD
(Edgar Wright, 2010)
Hierzu würde ich gerne mehr schreiben, aber das ist gar nicht so einfach. So toll und charmant ich dieses völlige Überquellen an Ideen und Details auch fand, so wenig habe ich es auch verstanden. Der Geek-Charme, den Wright so beständig bemüht (und der mich bereits mit den ersten zwei Soundeffekten des Films natürlich komplett für sich eingenommen hat), scheint mir inkonsequent, wie der Blick eines Außenseiters, der ein wenig versucht hat, das nicht ganz ausreichende eigene Faible mit in Internetforen angelesenem Material zu erweitern. Irgendwann schien sich das Konzept auf ein "Hauptsache bunt!" zu reduzieren, wobei das dem dennoch sehr liebenswürdigen Ganzen keinen Abbruch tut. So oder so, der Film braucht dringend eine Zweitsichtung, vielleicht kann diese den Vorwurf der Inkonsistenz entkräften.

GATTACA
(Andrew Niccol, 1997)
Sollte eigentlich mein dritter Biodiktatur-Eintrag werden, hatte wieder den Foucault im Ohr... Aber ich hab da schon sechs Seiten Hausarbeit darüber geschrieben, also begnüge ich mich an dieser Stelle mit dem Hinweis auf die nette Erkenntnis, was die Treppe im Appartement der Protagonisten doch für ein herrliches Bild- und Plotobjekt ist. Nicht nur schaut sie aus wie eine DNA-Helix, sie funktioniert auch so, bildet sie doch den Weg von der genetischen Unterschicht zur erfolgversprechenden Validität, und gleichzeitig für die In-Validen eine eben nur beinahe unüberwindliche Hürde, die es zu überwinden gilt (man denke an die grandiose Sequenz, in der der querschnittsgelähmte Jerome sich dort hinaufschleppt)... Ein viel schönerer, subtilerer Film, als ich ihn eigentlich in Erinnerung hatte.

JACKASS 3D
(Jeff Tremaine, 2010)
Highlights sind wie immer jene Skits, bei denen man selbst auch Spaß hätte, allen voran der herrlich inszenierte Klamauk hinter der Flugzeugturbine. Die meisten Ekelsequenzen dagegen empfand ich dieses Mal als beinahe zahnlos, steril, um Aufregung bemüht. Aber dazu passt natürlich auch das, was die beiden Filmvorgänger bereits in ihren jeweils letzten Minuten offenbart haben: Dass auch ein vermeintlich dokumentarisches Unsinns-Produkt wie JACKASS keineswegs frei von Spezialeffekten ist. Dass die Filme (und TV-Show) dennoch weiterhin den Ruf uneingeschränkter Authentizität genießen, erscheint mir geradezu wundersam. Wer sagt denn, dass in Steve-Os Bungee-Toilette nicht einfach einige Hektoliter dickflüssige Kakaocreme zum Einsatz kamen? In 2D.

PIRANHA
(Alexandre Aja, 2010)
Weniger dämlich als erwartet, oder vor allem weniger dummdreist. Tatsächlich mal ein guilty pleasure weitgehend ohne schlechtes Gewissen - sehen wir mal vom CGI-Penis-Kalauer ab -, dass sich ohne johlenden Trash-Appeal tatsächlich irgendwo zwischen Exploitation-Horror und dessen Parodie einordnen kann. Auch in 2D, obwohl die eigens für das Jahrmarktspektakel entworfenen Sequenzen selbst dann noch recht offensichtlich sind. Und der liebenswürdige Herr zu Beginn braucht definitiv ein größeres Boot.

THE INTERNATIONAL
(Tom Tykwer, 2009)
Talk about Antikapitalismus. Während ich ja von diesen Geschichten um kapitalistische Weltverschwörungen generell wenig halte, so mag ich doch, was Tykwer daraus gemacht hat: THE INTERNATIONAL kommt beinahe als Anti-Actionfilm daher, der sich konstant jedem phallischen Klischee verweigert und das Genre komplett in die Geschichte eines Krimis verpackt, ohne jemals diesen Rahmen zu sprengen. Ein wenig Schwelgen in den architektonisch sorgfältig ausgewählten Schauplätzen ist vor diesem Hintergrund mehr als verzeihlich, und der völlig artfremde und moralinfreie Schluss tut sein Übriges, um THE INTERNATIONAL tatsächlich zu einem bemerkenswerten Film zu machen. Vorwerfen kann ich Tykwer höchstens die Naivität, die er gelegentlich von seinem Publikum erwartet, und die so gar nicht in das an sich sehr viel ernsthaftere Konzept passen will. Aber als letzter Film in diesem überlangen FTB-Eintrag ist das durchaus passend.

Sammlung


Foto

Biodiktatur, Teil 0,5


CARRIERS
(Alex & David Pastor, 2009)

Das Prequel zu RIGHT AT YOUR DOOR, gleicher Tunnelblick darauf, wieder Foucault, wieder "Geschichte der Gouvernementalität".

Hier also voll drauf in die binäre Medizingesellschaft, strikte Trennung zwischen Kranken und Gesunden, ohne Chance auf Heilung, Quarantäne ist nicht genug, Isolation die einzige Überlebenschance. Bemerkenswert ist der Regress, den der Film subtil zeichnet. Während Foucault von einer medizingeschichtlichen Entwicklung ausgeht, die in diesem Isolationsprinzip ihren Anfang nimmt, sieht "Carriers" darin einen Endpunkt. Offenbar ist Quarantäne erfolglos versucht worden, sogar mit statistischen/demographischen Mitteln wurde die Bedrohung zuvor bereits analysiert. "Carriers" wird damit auch ein wenig ein Film über das Scheitern von all dem, was wir glauben, uns erarbeitet zu haben. Im verzweifelten Versuch, die Grippeepidemie zu bekämpfen, hat sich die Wissenschaft von den Pocken der Neuzeit über die Pest im Spätmittelalter hin zur Lepra davor entwickelt - und dabei sind ganz nebenbei auch alle weiteren kulturgeschichtlichen Errungenschaften auf der Strecke geblieben.

Denn - das ist ohnehin der sehr viel offensichtlichere Subtext, der auch ohne den Foucault auf der Tastatur klar durchscheint - "Carriers" ist natürlich auch ein Film über das Menschsein, so pathetisch das auch klingen mag. Wenn Danny einmal abwiegelt und schnell erklärt, dass das Blut auf seinem Hemd nicht ansteckend sei, weil es ja nur von einem Hund stammt, dann ist schon die Bedrohung des Films als spezifisch menschliches Problem definiert. Und immer wieder stehen seine Protagonisten weniger vor materiellen als vielmehr ethisch-normativen Entscheidungen. Jeder weitere Akt der Isolation oder Euthanasie eines Kranken, jede weitere Anwendung des Hobbes'schen Naturrechts auf Überleben kosten die Beteiligten ein Stück Zivilisation, Kultur und Menschlichkeit. So wenig "Carriers" auch Wert auf schwülstige Heldentode legt, sind es doch genau sie, welche der Film insgeheim bevorzugt: All der verzweifelte Selbstschutz ist doch nur denial der Erkenntnis, dass jede Hilfe bereits zu spät kommt.

Alex Pastor David Pastor Foucault Biomacht juridisches Prinzip


Foto

Up yours!


UP IN THE AIR
(Jason Reitman, 2009)

Damit ist der Herr Reitman wohl endlich auf meiner Watchlist angekommen. Nach THANK YOU FOR SMOKING und JUNO der nächste Volltreffer in dem von mir so uneuphorisch betrachteten Komödiengenre. Aber was hier kommt, das sitzt - eben weil Reitman immer auch das Melodram im Absurden findet, das Menschliche im Zynismus.

Natürlich spielt Clooney ein Ekel, ich mein, wer hauptberuflich von Firma zu Firma reist, um Leute zu feuern, der muss ja wohl mindestens issues haben. Hat er auch, eine ganze Menge. Aber anstatt jetzt hier einen sympathischen Antiheld zu zeichnen, gelingt es Reitman, aus dieser Figur tatsächlich einen echten Held zu machen, indem er ihn mit einer Umgebung kontrastiert, die noch schlimmer ist. Alle um ihn herum haben das, was Clooneys Filmfigur hier macht, längst weiterentwickelt, weiter verschlimmert, während er selbst genau bei sich die moralische Grenze gezogen hat.

Sein Ryan Bingham ist - man verzeihe mir den nächsten universitär bedingten Tunnelblick - ein Zerrbild eines städtischen Menschen, der inmitten von Gesellschaft vereinsamen kann, und diese Entwicklung sogar noch sehenden Auges romantisiert. Die Ersatzfamilie, die sich aus der großartigen Quasi-Tochter Natalie und der nur minimal weniger tollen Quasi-Ehefrau Alex auf Reisen zusammenfindet, ist dabei ein positiver Regress: Weil alle drei ihr Privatleben so fernab sozialer Konventionen bestreiten, können sie ganz vorurteilsfrei einander begegnen, wirklich bei Null anfangen.

Dass der Film natürlich nicht nur reiner Humanismus sondern auch ein netter Finanzkrisenfilm ist, darüber muss man wohl kaum reden. So oder so, Mr. Reitman, I'll be watching you.

Jason Reitman George Clooney Finanzkrise


Foto

Biodiktatur, Teil 1


RIGHT AT YOUR DOOR
Chris Gorak, 2006

Zugegeben, es mag einem ein wenig den Blick verstellen, so einen Film mit Foucaults "Geschichte der Gouvernementalität" auf dem Schoß anzuschauen. Mit diesem Büchlein im Hinterkopf jedenfalls mag es mir so gar nicht mehr gelingen, darin den zwar effizienten aber ideologisch doch in beträchtlicher Nähe zu 24 verorteten Paranoia-Thriller zu entdecken, als den ich den Film bei der Erstsichtung wahrgenommen habe.

Denn schauen wir noch einmal genau hin: Geht es hier wirklich um einen Anschlag und dessen Folgen? Die Handlung, klar, erzählt buchstäblich davon. Da gibt es den zuhause gebliebenen Ehemann, der im Radio von der Katastrophe erfährt, Rauchwolken über der Stadt sieht, von einer sofort verordneten Ausgangssperre in seinem Haus eingesperrt wird, krank vor Sorge um seine Frau, die irgendwo dort draußen ist. Und warum glauben wir das alles, warum glauben wir, dass das alles wahr ist? Diese Antwort bleibt uns RIGHT AT YOUR DOOR schuldig, und ich denke: keineswegs versehentlich! Eine echte Katastrophe bekommt der Zuschauer nämlich nie zu Gesicht, ist hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit komplett auf die mediale Vermittlung angewiesen. Und diese inszeniert Gorak ziemlich großartig: So lässt sich anhand der Radioübertragungen sogar eine Eskalation des Diskurses in Form der verwendeten Begriffe wahrnehmen, geschickt und subtil fließen in diese Berichterstattung entsprechende Metaphern und Sprachbilder ein, die unterbewusst vermeintliche Fakten vorwegnehmen und Ausweglosigkeit suggerieren: “all over the neighborhood”, “entire area (...) remains contained”, “engulfed in smoke”, “hundreds of people”, “all structures have been evacuated” - und dies steht, vielleicht schon wieder ein augenzwinkernder Hinweis auf den eigentlichen Kern der Geschichte, den Berichten von Revolutionsszenen gegenüber, von regelrechten riots, vorgeblich nur von Angst und Panik motiviert - doch stimmt das?

Ist RIGHT AT YOUR DOOR also ein Film über einen Terroranschlag und dessen Folgen? Reiht er sich ein in einen Diskurs zwischen Fox News und 24? Angst wird hier geschürt, klar, das verlangt ja schon das Genre - aber Angst vor was und vor wem? Die einzige Gewalttat, die wir wirklich sehen, wird von einem Polizisten verübt, der - ohne dass wir erfahren, warum das eigentlich notwendig sein soll - einen panischen Bürger erschießt, der die Sperrzone verlassen will. Ja, wir hören von einer obskuren Infektion, die sich über die Aschewolke verbreitet, aber ist diese Infektion auch ansteckend? Kann man den armen Kerl nicht ordentlich abduschen und dann zu seiner Familie lassen? Rechtfertigen können wir diesen Mord(?) nur dank der Berichterstattung im Radio, und die ist so vage, dass sie uns kein echtes eigenes Urteil erlaubt.

Vielmehr, so scheint mir - und an dieser Ansicht ist Monsieur Foucault sicher nicht unschuldig -, erzählt also RIGHT AT YOUR DOOR eine Geschichte von einer subtilen Diktatur, einer Diktatur biologischer Angst, und der Schluss des Films, der sich nur allzu leicht als doofer, aus dem Hut gezauberter Gag verurteilen lässt, passt da ganz hervorragend. Letztlich stirbt der gehorsame Bürger, erstickt in einem Gaszelt um sein Haus, dem zwar die Stars fehlen, das die Stripes aber schon hat - erstickt in einer riesigen amerikanischen Flagge. Überleben tut nur seine Frau, die eben nicht uneingeschränkt den Empfehlungen aus dem Radio gehorcht hat. Brad, der arme Kerl im Haus, war aber angeblich krank. Symptome hatte er keine gezeigt. Doch auch diese Diagnose, die ihm letztlich seine Euthanasie bescherte, müssen wir wohl glauben.

Foucault Biomacht Ideologie 24 Terror Chris Gorak