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BERLINALE: Schluss-Marathon und Fazit


Burn-Out überwunden und das Festival mit einem Schlussmarathon über die letzten beiden Tage beendet. Hier die Kurzeinschätzungen:

Paha Perhe (Bad Family) ist ein sehr schön anzusehender Film, zugleich wahnsinnig komisch und tiefernst, eine Mischung, wie sie wohl nur die Finnen hinbekommen. Ein kontroll-liebender Vater steigert sich in die Fantasie rein, sein Sohn habe eine Affäre mit seiner Schwester. Dialoge sind nicht immer subtil genug, aber die Charakterzeichnung des Vaters stark, dazu eine richtige Prise American Beauty - netter Film.

Am Samstagabend dann endlich einmal Polanskis Klassiker Repulsion (Ekel) gesehen und wahrlich für einen Klassiker befunden. Wahnsinnige Inszenierung einer echten Horror-Geschichte. Nirgendwo sonst wurde Paranoia und Angst so perfekt nachempfunden. Großes Kino.

Zurück zum aktuellen Festival-Geschehen: Zona Sur (Southern District) aus Bolivien ist ein Film über eine Oberschicht-Familie aus La Paz, die mit sich verändernden Umständen zu kämpfen hat. Die Tochter beginnt zu rebellieren und entfremdet sich zunehmend von der Mutter, ihr Bruder betrinkt sich immer hemmungsloser und vor allem lassen sich die indigenen Hausbediensteten nicht mehr alles gefallen. Ein Film, der eindeutig als politische Parabel zu lesen ist, was ihn auf der einen Seite interessant machen, auf der anderen manchmal etwas simpel und plakativ erscheinen lässt. Aber das sollte man einordnen können: Bolivien ist kein Filmland und "Zona Sur" bemüht sich, für den im Land stattfindenden Wandel eine passende Bildsprache zu finden. Das mag manchmal naiv wirken, ist aber ungeheuer wichtig.

Der Berlinale-Abschlussfilm Otouto ist das, was man vom japanischen Altmeister Yoji Yamada erwartet hat und ähnelt stark seinem letzten Berlinale-Film "Kabei". Eine heiter-tragische Familiengeschichte um ein "schwarzes Schaf". Das ist zwei Stunden lang sehr schön anzusehen, erzählt letztlich aber nicht viel Neues.

Der türkische Berlinale-Sieger Bal ist dagegen ungeheuer innovativ: Ein absolut würdiger Bärensieger, denn er ist der einzige Film aus dem Wettbewerb, bei dem die ruhige Inszenierung haargenau zum Inhalt des Films passt. Der Regisseur erzählt sehr präzise von der Kindheit und findet wunderbar poetische Bilder. Vor allem begeistert seine Lichtsetzung, häufig ist ein dunkler Raum nur spärlich durch ein offenes Fenster beleuchtet, Kunstlicht wird nicht gesetzt und die vielen dunklen Szenen bleiben trotzdem kontrastreich. Kein Film, der von einer breiten Masse angenommen wird oder in irgendeiner Form polarisiert, aber er sieht toll aus und ist stimmig gemacht.

Dann noch dreimal Retrospektive: Drommen aus Norwegen lief vor ein paar Jahren innerhalb der Generation-Sektion und ist ein flammendes Plädoyer gegen autoritäte Erziehung in der Schule. 1969 verbünden sich ein Elternpaar, ein junger Lehrer und vor allem toll aufspielende Kinder gegen den gewalttätigen Rektor. Engagiertes, kämpferisches Kino für Kinder und Erwachsene.

Central do Brasil (Central Station) hat 1998 den Goldenen Bären gewonnen und interessieren würde mich, welche Filme in diesem Jahrgang noch im letzten Jahr liefen. Der Film hat mich nicht vollends überzeugen können, was teilweise mit hohen Erwartungen zu tun haben mag. Sehr konventionell und nicht immer plausibel erzählt, begeistert aber streckenweise trotzdem durch die beiden tollen Hauptdarsteller, einmal die großartige Fernanda Montenegra, die den Silbenern Bären erhielt, und ein toller Kinderdarsteller - damit schon die dritte wichtige Kinderfigur am letzten Berlinale-Tag.

Den Abschluss des gesamten Festivals dann Godards À bout de souffle (Außer Atem), der 1960 den Silbernen Bären gewann. Schöner kann man so einen Kino-Marathon dann auch nicht beenden als mit dem Film, der das Kino neu erfunden hat. Soderbergh hat mal gesagt, er sehe sich vor jeder neuen Filmproduktion so viele Godard-Werke wie möglich an, um zu sehen, was alles möglich ist. Auch wenn ich nicht der allergrößte Godard-Fan bin und mir plappernde Franzosen auch durchaus mal auf den Wecker gehen: Bei Außer Atem, den ich mittlerweile viermal gesehen habe, weiß man was Soderbergh meint. Ein Film, der nur ganz nebenbei so etwas wie ein Handlung hat, vor allem aber zum ersten Mal das Medium selbst thematisiert: Film ist eben nicht nur ein Mittel, um Geschichten zu erzählen, sondern eine Kunstform, die es erlaubt bewegte Bilder und Ton (Sprache und Musik) zusammen zu bringen - und dabei dem Regisseur alle Freiheiten erlaubt, der dieser sich bereit ist zu nehmen. Keine Geschichte, sondern ein autonomes Kunstwerk.

Hier nun mein persönliches Fazit - berücksichtigt sind nur Filme der Festival-Sektionen, nicht die Retrospektive.

HERAUSRAGEND

Revolución (Mexiko) Diverse
Winter's Bone (USA) Debra Granik
Bal (Türkei) Semih Kaplanoglu

SEHENSWERT

El vuelco del cangrejo / Crab Trap (Kolumbien) Oscar Ruiz Navia
Im Schatten (Deutschland) Thomas Arslan
Paha Perhe / Bad Family (Finnland) Aleksi Salmenperä
Howl (USA) - Rob Epstein & Jeffrey Friedman
Eu cand vreau sa fluier, fluier / If I Want to Whistle, I Whistle (Rumänien) Florin Serban
Otouto / About her Brother (Japan) Yoji Yamada

DISKUSSIONSWÜRDIG

Submarino (Dänemark) Thomas Vinterberg
Moloch Tropical (Haiti) Raoul Peck
Zona Sur / Southern District (Bolivien) Juan Carlos Valdivia
Bróder (Brasilien) Jefferson De
El Recuento de los Daños / The Counting of the Damages (Argentinien) Ines de Oliveira Cezar
The Man Who Sold the World (Marokko) Swel & Imad Noury
Rompecabezas / Puzzle (Argentinien) Natalia Smirnoff
Por tu culpa / It's Your Fault (Argentinien) Anahí Bernehí
Indigène d'Eurasie / Eastern Drift (Frankreich/Litauen) Sharunas Bartas

EHER UNINTERESSANT

Shekarchi / The Hunter (Iran) Rafi Pitts
Our Fantastic 21st Century (Korea) Ryu Hyung-ki
Welcome to the Rileys (USA) Jake Scott

SCHWACH

Besouro (Brasilien) João Tikhomiroff


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BERLINALE VIII: Burn-Out Part 2


Auch heute nur zwei Filmchen, um am Wochenende noch einmal richtig durchzustarten.

Auch das Forum der Berlinale macht eine kleine Retrospektive: Unter anderem mit dem großartigen großartigen großartigen George Washington von David Gordon Green, der 2000 im Forum lief. Ein Film, der die ganze Breite der Leinwand für gigantische Bildkompositionen ausnutzt. Armutsdarstellung, aber poetisch und trotzig, fast kämpferisch. Ein Film, der visuell begeistert und zum Nachdenken anregt.

Rompecabezas, argentinischer Wettbewerbsbeitrag, ist da schon ein schwierigerer Fall. Eigentlich eine hübsche Idee, und eigentlich auch ein hübscher kleiner Film, letztlich passt die dokumentarische Handkamera-Technik aber nicht zur letztlich doch durchstrukturierten Handlung. Ein paar Sachen zu viel, ein paar Dinge zu wenig, und doch alles irgendwie sympathisch. Und das Puzzlespiel für die Leinwand zu entdecken, das ist doch schon eine echte Innovation.


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BERLINALE VII: Burn-Out...


Puh, ganz schwieriger Tag heute, mir war nicht so nach Kino zumute wie die letzten Tage, daher nur zwei Filme gesehen.

Der brasilianische Film Bróder ist deutlich besser als sein "Landsfilm" Besouro. Zwar bin ich eher schwer reingekommen, schließlich ließ man sich aber doch faszinieren von der Geschichte, in der ein Profi-Fußballer in seine Heimat zurückkommt: eine Favela am Rande São Paulos. Nichts, was mich noch länger beschäftigen wird, aber ein intelligent gemachter und authentischer Film.

Die Retrospektive war dann gewohnt wunderbar, diesmal gab es Kurosawas Ikiru. Muss man glaub ich nicht mehr viel drüber sagen: ein schön trotziger Humanismus, eine rührende Hauptfigur, wunderbare und zum Teil äußerst heitere Sequenzen, eine clevere Struktur und gegen Ende eine der schönsten Einstellungen der Filmgeschichte.

Auf den zweiten Teil des Kino-Tages habe ich dann verzichtet, morgen gehts aber wieder etwas dichter weiter.


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BERLINALE VII: Im Wald


Irgendwie spielten alle Filme heute zu einem kleinen bis größeren Teil im Wald, das als einleitende Beobachtung. Ansonsten mach ich es aufgrund akuter Müdigkeit etwas kürzer.

Thomas Arslans Im Schatten perfektioniert das Konzept der Entschleunigung. Es ist absolut fasznierend, mit welcher Ruhe man einen waschechten Gangster-Film drehen kann. Der Film ist Genre und gleichzeitig bestes Autorenkino der Berliner Schule und überzeugt trotz kleiner Schwächen bei den Dialogen. Sehr stark.

Weniger hat mir dann Rafi Pitts' Wettbewerbsbeitrag Shekarchi gefallen. Der Film ist besonders während der ersten Stunde nicht nur sehr langsam, sondern dabei auch merkwürdig inspirationslos. Letztlich bleiben auch die politischen Metaphern entweder zu deutlich oder zu verschwommen, als dass man hier wirklich einen Kommentar zur iranischen Gesellschaft herauslesen könnte. Ein sicherlich interessanter, mir aber nicht ganz zugänglicher Film.

Ein ganz schwieriger Fall ist dann Moloch Tropical vom haitianischen Regisseur Raoul Peck, der innerhalb des Berlinale Special Programmes lief. Es geht um einen demokratisch gewählten Präsidenten, der dennoch in diktatorischem Stil regiert. Der komplette Film spielt im Präsidentenpalast, inszeniert als Burg auf einem hohen Berg, fernab vom Geschehen des Landes. So bekommt der Präsident auch wenig von den Unruhen auf den Straßen mit und ist bis zur letzten Minute davon überzeugt, seinen Sturz abwenden zu können. Der Film hat seine starken Momente, ist in weiten Teilen aber zu überspitzt, um ernst genommen zu werden. Seine Aussage letztlich banal. Dennoch eine interessante Herangehensweise und durchaus unterhaltsam.

Krönender Abschluss des Tages war dann Debra Garniks grandioser Film Winter's Bone, der gerade schon Preise beim Sundance Festival gewonnen hat. Granik gehört mit ein paar anderen zu einer Riege junger US-Regisseure, die gerade dabei sind, das Independent-Kino zu revolutionieren und dem Mainstream zu entreißen. So erinnert dieser Film stark an andere Werke dieser Bewegung wie "Shotgun Stories" oder "Wendy and Lucy". Die Geschichte handelt von mafiösen Strukturen im Nirgendwo Missouris. Eine grandiose Jennifer Lawrence spielt die Hauptrolle, viele andere Darsteller sind vor Ort gecastet worden. Eine nähere Beschreibung wäre in meinem Zustand unwürdig, daher belasse ich es bei diesen kurzen Eindrücken. Ein nahezu perfekter Forumsfilm.


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BERLINALE V und VI: Von fehlenden Super-Nannys und Capoeira-Katastrophen


Der argentinische Panorama-Beitrag Por tu culpa ist nur schwer auszuhalten. Quasi-dokumentarisch und in Echtzeit porträtiert Regisseurin Anahí Bernerí eine überforderte Mutter, der es nicht gelingen will, ihre beiden Kinder ins Bett zu bringen, die schließlich im Krankenhaus landet, weil der Kleinste sich den Arm bricht und die Ärzte sich ob der vielen blauen Flecken an den Körpern der Kinder wundern. Berneris filmisches Experiment ist durchaus gelungen, persönlich konnte ich den Film aber nur schwer ertragen (was durchaus auch als Kompliment verstanden werden kann).

Von Anfang bis Ende gänzlich wunderbar ist El Vuelco del Cangrejo des kolumbianischen Regisseurs Oscar Ruiz Tapia. Die einfache Geschichte einer Flucht motiviert das Porträt des einsamen Stranddorfes La Barra an der Pazifikküste. Der Regisseur hat den Filmen mit den echten Einwohnern dieses Dorfes gedreht, nur der Protagonist ist ein Schauspieler. Trotz diesem Setting an der Peripherie Kolumbiens erzählt der Film viel über das Land. Eine komplette Kritik folgt hier wohl noch.

Wiederum anstrengend ist der koreanische Forumsbeitrag Our Fantastic 21th Century, obwohl er wichtige Fragen über die koreanische Gesellschaft aufwirft. Die Protagonistin ist gestresst, arbeitet eigentlich die ganze Zeit und hat trotzdem nie Geld, dabei will sie sich doch für ein Bewerbungsgespräch einer Schönheitsoperation unterziehen. Ich bin kein großer Fan des asiatischen Kinos und auch dieser Film war mir streckenweise zu verworren, zudem kann man die Inszenierung durchaus als naiv bezeichnen. Aber das ist bei einem Forum des Jungen Films sicherlich gestattet.

Etwas ganz besonderes ist der mexikanische Kompilationsfilms Revolución, in dem zehn junge Regisseure, darunter Fernando Eimbcke ("Lake Tahoe"), Gael García Bernal, Diego Luna, Carlos Reygadas ("Battle in Heaven") oder Rodrigo García, gebeten wurden, über die Bedeutung der mexikanischen Revolution hundert Jahre nach ihrem Beginn nachzudenken und diese Frage filmisch zu verarbeiten. Erstaunlich hoch ist das Niveau aller Filme, so entsteht ein heterogenes, aber doch geschlossenes Panorama über die mexikanische Gesellschaft. Auch hier folgt noch etwas mehr.

Eher in Richtung Enttäuschung geht Welcome to the Rileys von Jake Scott, Sohn von Ridley Scott, in der die 16jährige Prostituierte Mallory bei dem vor seiner tristen Ehe nach New Orleans geflüchteten Doug Vatergefühle geweckt. Was als Geschichte einer ungewöhnlichen Beziehung beginnt, steigert sich immer mehr in Richtung pseudo-tiefsinniges Familiendrama, in dem alle Figuren wahnsinnige Entwicklungen durchmachen und sich gegenseitig positiv beeinflussen. Die Stripperin flucht etwas weniger, das tendenziell spießige Ehepaar (ja, auch Dougs Frau reist noch hinterher) wird etwas offener und kann endlich wieder über den schon lange zurückliegenden Tod ihrer eigenen Tochter sprechen. Kristen Stewart und James Gandolfino spielen ihre Rollen sehr schön, insgesamt ist der Film aber überdeutlich, vorhersehbar und schlicht unausgereift.

Fast noch schlimmer ist das brasilianische Capoeira-Märchen Besouro. Der (weiße) Regisseur João Tikhomiroff missbraucht die schwarze Kampfkunst/Tanzform Capoeira, um eine Mischung aus Matrix, Tiger & Dragon, Kill Bill und Zorro im Stil eines Videoclips abzuliefern. Bis auf einige wenige schöne Sequenzen besteht der Film nur aus seiner Form, die reiner Selbstzweck ist. Der frühere Werbefilmer Tikhomiroff scheint sich bei seinem Debütfilm überhaupt nicht für den Ursprung des Capoeira zu interessieren, von dem er vorgibt zu erzählen. Er tobt sich an Actionsequenzen und Pseudo-Mystik aus ohne dabei zu fesseln.

Und auch der dritte und letzte Film an diesem Dienstag entpuppt sich als Enttäuschung. Indigène d'Eurasie wurde überall hochgelobt, mir war er schlicht zu eintönig und unmotiviert, auch wenn dieses wohl zum Konzept der Geschichte gehört. Der litausche Regisseur Bartas scheint von der Nouvelle Vague beeinflusst, was sich in vielen Schlafzimmer-Szenen und Dialogen ausdrückt, daneben zeichnet er ein düsteres Bild des heutigen Osteuropa. Die Atmosphäre, die er dabei evoziert, hat sich dabei nur in Ansätzen auf mich übertragen. Im Gegensatz zu anderen Leuten weise ich aber auch hier wieder darauf hin, dass dies sicherlich ein sehenswertes Stück Kino ist, auf das ich heute allerdings nicht mehr bereit war mich einzulassen.

Festival Berlinale Revolucion Capoeira Scott


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BERLINALE IV: The Man Who Sold Submarino to Mary Reilly and Whistled


Ich dachte, das wäre eine ganz fabelhafte und originelle Idee, alle heute gesehen Filmtitel in die Betreffzeile zu quetschen, aber das Ergebnis find ich jetzt weniger fabelhaft und originell. Was soll's.

Los gings mit dem rumänischen Wettbewerbsbeitrag If I Want to Whistle, I Whistle, ein Gefängnisdrama, um einen Jugendlichen, der eigentlich kurz vor der Entlassung steht, durch äußeren Druck aber dazu gebracht wird, einen schweren Fehler zu begehen. Mal wieder ein wunderbarer Beweis dafür, wie passend Laiendarsteller sein können. Regisseur Florin Serban hat mit echten Gefängnis-Kids gedreht und diese Echtheit merkt man dem ganzen Film an. Sehr konzentriert und stimmig inszeniert, allemal sehenswert.

Nicht minder sehenswert ist Thomas Vinterbergs Submarino, der bei den meisten übersensiblen und ungeduldigen Berlinale-Kritikern leider durchfällt. Dabei ist der Film klug gemacht, hervorragend gespielt und nutzt eine gesunde Portion Pathos an den richtigen Stellen. Die Geschichte von zwei vom Schicksal geplagten Brüdern, die sich aus den Augen verlieren und wiederfinden, mag an einigen Stellen etwas plakativ sein, wirkt aber nie zu konstruiert. Es bleibt zu hoffen, dass die Jury sich von den Berufsnörglern nicht beeinflussen lässt und diesem Film einen der Preise gibt.

Retrospektiven-Spaß gabs dann mit Stephen Frears' Mary Reilly, wunderbar eingeführt von Kritiker David Thomson, der sich einen Tag zuvor in der merkwürdigen Situation befand, diesen Film gegen den Regisseur selbst verteidigen zu müssen. Frears hätte wohl lieber einen seiner anderen Filme in der Retrospektive gesehen, dabei ist dieser hier ein ganz großer Spaß. John Malkovich als Dr. Jekyll/Mr. Hyde, Julia Roberts als seine titelgebende Bedienstete, eine wunderbar altmodische Inszenierung mit klassischen Erschreckern und einem klaustrophobischen Settings. Ein Gruselmärchen im besten Sinne.

Der marokkanisch-experimentelle The Man Who Sold the World war dann aber doch zuviel des Untertitel-Lesens und ich muss gestehen, dass ich das Kino nach einer Dreiviertelstunde verlassen haben. Dabei war der Film visuell ein atemberaubendes Ereignis, ich habe selten eine so spektakuläre Lichtsetzung erlebt. Insgesamt vielleicht alles etwas zu cool und stylisch, aber ich kann mir vorstellen, wäre es der erste und nicht der letzte Film des Tages gewesen, würde das Fazit deutlich positiver ausfallen.

Festival Berlinale Frears


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BERLINALE III: Hitchcock Island


Ein wenig in den Kritiken geblättert und gesehen was ich befürchtet habe: Man tut Shutter Island verdammt viel Unrecht. Dabei haben die meisten durchaus recht, mit dem was sie schreiben. Scorsese hat sich zu viel vorgenommen, das Spiel mit Realität und Wahrnehmung haben andere schon besser gespielt, die Rückblenden sind überdeutlich, aber viele vergessen dabei glaube ich, worum es dem Regisseur ging. Der Film ist so durch und durch Hitchcock, dass er wieder unglaublichen Spaß macht. Scorsese zitiert rauf und runter, vielleicht mal etwas zu deutlich, aber er traut sich altmodisch zu sein und einen Film auf eine Art zu machen, die man lange nicht mehr gesehen hat. Dass "Shutter Island" nicht voll überzeugen kann, liegt wohl eher an unseren veränderten Sehgewohnheiten als an der Qualität des Films.

Ansonsten gab es noch zwei Retroskeptiven-Filme, von denen einer erwähnenswert ist: Deer Hunter einmal in einer guten Kopie auf einer riesigen Leinwand zu sehen ist ein großartiges Erlebnis. Es ist verdammt traurig, dass Michael Cimino untergetaucht ist, denn er ist eines der größten Regie-Talente aller Zeiten. Wie sicher dieser Film gemacht ist, wieviele große Momente er beinhaltet und dabei trotzdem so mitten im Leben seiner Protagonisten steht. Dazu noch der grandiose Cast - ein Koloss von einem Film, der noch lange nachhallt.


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BERLINALE II: Von Allen Ginsberg und Terrence Malick


Der Dichter Allen Ginsberg und der Filmemacher Terrence Malick haben etwas gemeinsam: Beide haben ihre eigene Sprache innerhalb ihres eigenen Mediums gefunden. In Rob Epsteins Wettbewerbsbeitrag Howl erklärt Ginsberg wunderschön, was Poesie und Literatur für ihn bedeutet. Der Film ist eine faszinierende Collage rund um Ginsbergs wichtigstes Werk, das lange Gedicht "Howl" (dt. Das Geheul). Der Film besteht aus vier Teilen, die sich über die 90 Minuten stets abwechseln: James Franco, wie er als Allen Ginsberg das Gedicht zum ersten Mal vor befreundetem Publikum liest; James Franco als Allen Ginsberg, der zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Werks interviewt wird; Zum dritten das Gedicht selbst, mutig visualisiert mithilfe psychedelisch anmutender Animationen und zuletzt zeigt der Film die Gerichtsverhandlung, in der über die Zensur des Gedichts entschieden wird. All diesen Teilen (der Film sollte ursprünglich ein Dokumentarfilm werden) liegen echte Mitschnitte, Briefe und Aussagen zugrunde. Selbst wenn der Film nicht komplett überzeugen kann - zu viel will er in 90 Minuten, zu hektisch wechselt er oft zwischen den Kapiteln - ist er allemal sehenswert. Eine sympathische Hommage an die Beat Generation.

Die argentinische Regisseurin Ines de Oliveira Cezar ist Dauergast im Forum der Berlinale. Diesmal ist sie mit ihrem Film Recuento de los Daños vertreten und wieder dreht es sich um einen aktualisierten Mythos. Eine Abwandlung der Ödipus-Sage in der Gegenwart: Ein Mann kommt in eine Stadt, wo er die Effizienz eines Familienunternehmens evaluieren soll, auf dem Weg dorthin ist er - ohne es zu merken - für den Tod eines Menschen verantwortlich. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Der Film ist ruhig und langsam inszeniert wie viele andere argentinische Filme der letzten Jahre, nur hier erscheint diese Form an einigen Stellen wie ein Selbstzweck und nicht durch die Geschichte selbst motiviert. Trotzdem schön: Eine Familiengeschichte, ein Krisenfilm, eine antike Sage über die heutige Zeit.

Und Terrence Malick? Dessen Film The Thin Red Line lief im Rahmen der Retrospektive, wurde sympathisch von Wim Wenders eingeführt und begeisterte das leider nicht ganz volle Odeon. Malick hat in der Kinematografie seine Sprache gefunden, wie Ginsberg sie in der Poesie gefunden hat. Es gibt kaum einen Regisseur, dessen Bilder Dinge sagen können, die man gar nicht versuchen sollte in Worte zu fassen.


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BERLINALE I: Jean Renoirs "The River"


"That was my first kiss. Received by someone else."

Filmhistoriker Thomson hat wunderbar in seine Retrospektive eingeführt, und auch sein erster Film ist ein wahrhaftiges Meisterwerk. Renoir hat mit diesem Film nach einer Durstrecke in Amerika die Lust zu filmen wiederentdeckt, er ist nach Indien gefahren und entdeckt diese fremde Welt zum ersten Mal in Farbe. Die Geschichte dreht sich um eine englische Siederfamilie, die in Indien an einem Fluss lebt. Als Captain John, ein Kriegsveteran mit nur einem Bein, für eine Weile in das Nachbarhaus zieht, sind die zwei älteren Schwestern entzückt und umwerben den Fremden. Das ist die oberflächliche Handlung, aber den Film mit Worten zu beschreiben ist schwierig. Besonders die Figurenzeichnung ist unglaublich eindringlich, von den großen Bildern gar nicht erst zu sprechen. Ein wunderbarer Auftakt zu den Filmfestspielen.


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Die Kraft des Eintauchens: "Les Felins" und "Lucía y el sexo"


Selbst wenn man einem Film objektiv zugesteht, gut gemacht, originell inszeniert und überhaupt irgendwie großes Kino zu sein, bedeutet das nicht immer auch, dass man es einem subjektiv gelungen ist, in ihn hineinzutauchen. Die Raubtiere von Rene Clément sind so ein Beispiel. Hier gibt es absurde und absurd komische Verfolgungsszenen, sehr aufregend inszeniert und eine irre Dreiecksgeschichte, in der unser Held auf der Flucht Alain Delon hineingerissen wird. Dies alles ist irgendwie sehr nouvelle vague, irgendwie auch wieder nicht und irgendwann habe ich diesen Film verloren, so wie es mir interessanterweise schon mit Clements "Nur die Sonne war Zeuge" passiert ist. Merkwürdig steril wirkt subjektiv auf einmal das, was objektiv eigentlich sehr originell ist und nun weiß ich nicht, ob Rene Clement so rasch noch einmal eine Chance bekommt.

Ganz anders Julio Medem. Mit Lucía y el sexo der erneute Beweis für seine meisterhafte Fähigkeit unwahrscheinliche Geschichten mit einer unwahrscheinlichen Hingabe zu erzählen. Fast alles ist schön bei diesem Film, selten wurde Sex (und damit sind nicht nur Sex-Szenen gemeint) im Film so sinnlich dargestellt, so virtuos verbunden mit Natur und Einbildungskraft. Ein Film nicht zuletzt über das Verhältnis von Literatur und Film, stets werden wir daran erinnert, dass das was wir sehen genauso gut aus der Feder eines Schriftstellers kommen kann und teilweise auch kommt. Dass alles, die in grelles Weiß getauchten Szenen auf der geheimnisvollen Insel wie die nicht minder kraftvoll inszenierten dunklen Szenen einer Erzählebene, die man kühl Realität nennen könnte, aber nicht sollte. Die Erinnerung daran, dass dies Fiktion ist - im besten Sinne des Wortes.