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BERLINALE V und VI: Von fehlenden Super-Nannys und Capoeira-Katastrophen



Der argentinische Panorama-Beitrag Por tu culpa ist nur schwer auszuhalten. Quasi-dokumentarisch und in Echtzeit porträtiert Regisseurin Anahí Bernerí eine überforderte Mutter, der es nicht gelingen will, ihre beiden Kinder ins Bett zu bringen, die schließlich im Krankenhaus landet, weil der Kleinste sich den Arm bricht und die Ärzte sich ob der vielen blauen Flecken an den Körpern der Kinder wundern. Berneris filmisches Experiment ist durchaus gelungen, persönlich konnte ich den Film aber nur schwer ertragen (was durchaus auch als Kompliment verstanden werden kann).

Von Anfang bis Ende gänzlich wunderbar ist El Vuelco del Cangrejo des kolumbianischen Regisseurs Oscar Ruiz Tapia. Die einfache Geschichte einer Flucht motiviert das Porträt des einsamen Stranddorfes La Barra an der Pazifikküste. Der Regisseur hat den Filmen mit den echten Einwohnern dieses Dorfes gedreht, nur der Protagonist ist ein Schauspieler. Trotz diesem Setting an der Peripherie Kolumbiens erzählt der Film viel über das Land. Eine komplette Kritik folgt hier wohl noch.

Wiederum anstrengend ist der koreanische Forumsbeitrag Our Fantastic 21th Century, obwohl er wichtige Fragen über die koreanische Gesellschaft aufwirft. Die Protagonistin ist gestresst, arbeitet eigentlich die ganze Zeit und hat trotzdem nie Geld, dabei will sie sich doch für ein Bewerbungsgespräch einer Schönheitsoperation unterziehen. Ich bin kein großer Fan des asiatischen Kinos und auch dieser Film war mir streckenweise zu verworren, zudem kann man die Inszenierung durchaus als naiv bezeichnen. Aber das ist bei einem Forum des Jungen Films sicherlich gestattet.

Etwas ganz besonderes ist der mexikanische Kompilationsfilms Revolución, in dem zehn junge Regisseure, darunter Fernando Eimbcke ("Lake Tahoe"), Gael García Bernal, Diego Luna, Carlos Reygadas ("Battle in Heaven") oder Rodrigo García, gebeten wurden, über die Bedeutung der mexikanischen Revolution hundert Jahre nach ihrem Beginn nachzudenken und diese Frage filmisch zu verarbeiten. Erstaunlich hoch ist das Niveau aller Filme, so entsteht ein heterogenes, aber doch geschlossenes Panorama über die mexikanische Gesellschaft. Auch hier folgt noch etwas mehr.

Eher in Richtung Enttäuschung geht Welcome to the Rileys von Jake Scott, Sohn von Ridley Scott, in der die 16jährige Prostituierte Mallory bei dem vor seiner tristen Ehe nach New Orleans geflüchteten Doug Vatergefühle geweckt. Was als Geschichte einer ungewöhnlichen Beziehung beginnt, steigert sich immer mehr in Richtung pseudo-tiefsinniges Familiendrama, in dem alle Figuren wahnsinnige Entwicklungen durchmachen und sich gegenseitig positiv beeinflussen. Die Stripperin flucht etwas weniger, das tendenziell spießige Ehepaar (ja, auch Dougs Frau reist noch hinterher) wird etwas offener und kann endlich wieder über den schon lange zurückliegenden Tod ihrer eigenen Tochter sprechen. Kristen Stewart und James Gandolfino spielen ihre Rollen sehr schön, insgesamt ist der Film aber überdeutlich, vorhersehbar und schlicht unausgereift.

Fast noch schlimmer ist das brasilianische Capoeira-Märchen Besouro. Der (weiße) Regisseur João Tikhomiroff missbraucht die schwarze Kampfkunst/Tanzform Capoeira, um eine Mischung aus Matrix, Tiger & Dragon, Kill Bill und Zorro im Stil eines Videoclips abzuliefern. Bis auf einige wenige schöne Sequenzen besteht der Film nur aus seiner Form, die reiner Selbstzweck ist. Der frühere Werbefilmer Tikhomiroff scheint sich bei seinem Debütfilm überhaupt nicht für den Ursprung des Capoeira zu interessieren, von dem er vorgibt zu erzählen. Er tobt sich an Actionsequenzen und Pseudo-Mystik aus ohne dabei zu fesseln.

Und auch der dritte und letzte Film an diesem Dienstag entpuppt sich als Enttäuschung. Indigène d'Eurasie wurde überall hochgelobt, mir war er schlicht zu eintönig und unmotiviert, auch wenn dieses wohl zum Konzept der Geschichte gehört. Der litausche Regisseur Bartas scheint von der Nouvelle Vague beeinflusst, was sich in vielen Schlafzimmer-Szenen und Dialogen ausdrückt, daneben zeichnet er ein düsteres Bild des heutigen Osteuropa. Die Atmosphäre, die er dabei evoziert, hat sich dabei nur in Ansätzen auf mich übertragen. Im Gegensatz zu anderen Leuten weise ich aber auch hier wieder darauf hin, dass dies sicherlich ein sehenswertes Stück Kino ist, auf das ich heute allerdings nicht mehr bereit war mich einzulassen.

Festival Berlinale Revolucion Capoeira Scott