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BERLINALE: Schluss-Marathon und Fazit



Burn-Out überwunden und das Festival mit einem Schlussmarathon über die letzten beiden Tage beendet. Hier die Kurzeinschätzungen:

Paha Perhe (Bad Family) ist ein sehr schön anzusehender Film, zugleich wahnsinnig komisch und tiefernst, eine Mischung, wie sie wohl nur die Finnen hinbekommen. Ein kontroll-liebender Vater steigert sich in die Fantasie rein, sein Sohn habe eine Affäre mit seiner Schwester. Dialoge sind nicht immer subtil genug, aber die Charakterzeichnung des Vaters stark, dazu eine richtige Prise American Beauty - netter Film.

Am Samstagabend dann endlich einmal Polanskis Klassiker Repulsion (Ekel) gesehen und wahrlich für einen Klassiker befunden. Wahnsinnige Inszenierung einer echten Horror-Geschichte. Nirgendwo sonst wurde Paranoia und Angst so perfekt nachempfunden. Großes Kino.

Zurück zum aktuellen Festival-Geschehen: Zona Sur (Southern District) aus Bolivien ist ein Film über eine Oberschicht-Familie aus La Paz, die mit sich verändernden Umständen zu kämpfen hat. Die Tochter beginnt zu rebellieren und entfremdet sich zunehmend von der Mutter, ihr Bruder betrinkt sich immer hemmungsloser und vor allem lassen sich die indigenen Hausbediensteten nicht mehr alles gefallen. Ein Film, der eindeutig als politische Parabel zu lesen ist, was ihn auf der einen Seite interessant machen, auf der anderen manchmal etwas simpel und plakativ erscheinen lässt. Aber das sollte man einordnen können: Bolivien ist kein Filmland und "Zona Sur" bemüht sich, für den im Land stattfindenden Wandel eine passende Bildsprache zu finden. Das mag manchmal naiv wirken, ist aber ungeheuer wichtig.

Der Berlinale-Abschlussfilm Otouto ist das, was man vom japanischen Altmeister Yoji Yamada erwartet hat und ähnelt stark seinem letzten Berlinale-Film "Kabei". Eine heiter-tragische Familiengeschichte um ein "schwarzes Schaf". Das ist zwei Stunden lang sehr schön anzusehen, erzählt letztlich aber nicht viel Neues.

Der türkische Berlinale-Sieger Bal ist dagegen ungeheuer innovativ: Ein absolut würdiger Bärensieger, denn er ist der einzige Film aus dem Wettbewerb, bei dem die ruhige Inszenierung haargenau zum Inhalt des Films passt. Der Regisseur erzählt sehr präzise von der Kindheit und findet wunderbar poetische Bilder. Vor allem begeistert seine Lichtsetzung, häufig ist ein dunkler Raum nur spärlich durch ein offenes Fenster beleuchtet, Kunstlicht wird nicht gesetzt und die vielen dunklen Szenen bleiben trotzdem kontrastreich. Kein Film, der von einer breiten Masse angenommen wird oder in irgendeiner Form polarisiert, aber er sieht toll aus und ist stimmig gemacht.

Dann noch dreimal Retrospektive: Drommen aus Norwegen lief vor ein paar Jahren innerhalb der Generation-Sektion und ist ein flammendes Plädoyer gegen autoritäte Erziehung in der Schule. 1969 verbünden sich ein Elternpaar, ein junger Lehrer und vor allem toll aufspielende Kinder gegen den gewalttätigen Rektor. Engagiertes, kämpferisches Kino für Kinder und Erwachsene.

Central do Brasil (Central Station) hat 1998 den Goldenen Bären gewonnen und interessieren würde mich, welche Filme in diesem Jahrgang noch im letzten Jahr liefen. Der Film hat mich nicht vollends überzeugen können, was teilweise mit hohen Erwartungen zu tun haben mag. Sehr konventionell und nicht immer plausibel erzählt, begeistert aber streckenweise trotzdem durch die beiden tollen Hauptdarsteller, einmal die großartige Fernanda Montenegra, die den Silbenern Bären erhielt, und ein toller Kinderdarsteller - damit schon die dritte wichtige Kinderfigur am letzten Berlinale-Tag.

Den Abschluss des gesamten Festivals dann Godards À bout de souffle (Außer Atem), der 1960 den Silbernen Bären gewann. Schöner kann man so einen Kino-Marathon dann auch nicht beenden als mit dem Film, der das Kino neu erfunden hat. Soderbergh hat mal gesagt, er sehe sich vor jeder neuen Filmproduktion so viele Godard-Werke wie möglich an, um zu sehen, was alles möglich ist. Auch wenn ich nicht der allergrößte Godard-Fan bin und mir plappernde Franzosen auch durchaus mal auf den Wecker gehen: Bei Außer Atem, den ich mittlerweile viermal gesehen habe, weiß man was Soderbergh meint. Ein Film, der nur ganz nebenbei so etwas wie ein Handlung hat, vor allem aber zum ersten Mal das Medium selbst thematisiert: Film ist eben nicht nur ein Mittel, um Geschichten zu erzählen, sondern eine Kunstform, die es erlaubt bewegte Bilder und Ton (Sprache und Musik) zusammen zu bringen - und dabei dem Regisseur alle Freiheiten erlaubt, der dieser sich bereit ist zu nehmen. Keine Geschichte, sondern ein autonomes Kunstwerk.

Hier nun mein persönliches Fazit - berücksichtigt sind nur Filme der Festival-Sektionen, nicht die Retrospektive.

HERAUSRAGEND

Revolución (Mexiko) Diverse
Winter's Bone (USA) Debra Granik
Bal (Türkei) Semih Kaplanoglu

SEHENSWERT

El vuelco del cangrejo / Crab Trap (Kolumbien) Oscar Ruiz Navia
Im Schatten (Deutschland) Thomas Arslan
Paha Perhe / Bad Family (Finnland) Aleksi Salmenperä
Howl (USA) - Rob Epstein & Jeffrey Friedman
Eu cand vreau sa fluier, fluier / If I Want to Whistle, I Whistle (Rumänien) Florin Serban
Otouto / About her Brother (Japan) Yoji Yamada

DISKUSSIONSWÜRDIG

Submarino (Dänemark) Thomas Vinterberg
Moloch Tropical (Haiti) Raoul Peck
Zona Sur / Southern District (Bolivien) Juan Carlos Valdivia
Bróder (Brasilien) Jefferson De
El Recuento de los Daños / The Counting of the Damages (Argentinien) Ines de Oliveira Cezar
The Man Who Sold the World (Marokko) Swel & Imad Noury
Rompecabezas / Puzzle (Argentinien) Natalia Smirnoff
Por tu culpa / It's Your Fault (Argentinien) Anahí Bernehí
Indigène d'Eurasie / Eastern Drift (Frankreich/Litauen) Sharunas Bartas

EHER UNINTERESSANT

Shekarchi / The Hunter (Iran) Rafi Pitts
Our Fantastic 21st Century (Korea) Ryu Hyung-ki
Welcome to the Rileys (USA) Jake Scott

SCHWACH

Besouro (Brasilien) João Tikhomiroff