Ui, lange Antwort, vielen Dank.
Ich versuche es mit einer ebenso detaillierten Antwort:
moodswing sagte am 19.02.2008, 12:34:
Zum Einen gebe ich dir Recht, ich muss ein wenig aufpassen, nicht zu häufig in Polemiken, die immer auch einen Zug an ungerechtfertigtem Zynismus beinhalten, abzugleiten. Gerade im Hinblick auf Klassiker spende ich da manchmal zu wenig Aufmerksamkeit (im speziellen Fall von WITNESS allerdings bezog sich das popelig auf das Oevre Wilders, wo dieser nun mal enttäuschend heraus sticht). Wir haben da - wenn wir über stets unterschiedliche Meinungen sprechen - im Übrigen auch ein anderes "Auswählen" unserer Filme, die wir schauen. Während deine Auswahl sicherlich stärker interessengebunden ist, versuche ich ziemlich kreuz und quer zu sichten, schaue gerade auch mal Sachen an bei denen ich mir häufig vorher keine hohe Meinung ausrechne, versuche Überblicke zu bekommen und gucke auf jeden Fall zu viel Aktuelles, was den Blick auf Klassiker schon mal verstellen kann und die Aufmerksamkeiten verschiebt. In diesem Sinne sind die schnellen Abkanzelungen sicherlich häufig auch der Idee geschuldet jeden von mir gesehenen Film ins FTB aufnehmen zu wollen.
Zu WITNESS: Ich habe den Satz schon verstanden und würde auch sagen, dass Wilder Sachen gemacht hat, die wesentlich interessanter sind als WITNESS. "Popelig" finde ich ihn trotzdem nicht, weil er immer noch exzellent gemachtes Spannungskino ist. Ich habe mich da weniger an der Sache - WITNESS als Film, der nicht an Wilders Sternstunden heranreicht - als vielmehr am Ausdruck gestoßen.
Zur Auswahl: Guter Hinweis, das kann durchaus sein. Gerade in letzter Zeit schaue ich Filme eigentlich immer in "Reihen" und selten einfach so. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich 99 % der Filme, die ich sehe, etwas abgewinnen kann. Selbst aus einem hohlen Kinderfilm wie SHOOT 'EM UP konnte ich noch das ein oder andere mitnehmen. Ich glaube eigentlich, dass das an mir und weniger an der Filmauswahl liegt, aber das ist natürlich leicht zu behaupten. Romantische Hollywoodkomödien der Gegenwart oder andere, mir ähnlich egale Genres kommen jedenfalls nicht in den Player. Die würden von mir wahrscheinlich ähnlich abgewatscht werden.
moodswing sagte am 19.02.2008, 12:34:
Andererseits bin ich mir des Problems bewusst und habe in letzter Zeit vermehrt darauf geachtet, eine vernünftige Gewichtung hinzubekommen. Wichtig ist da dann der Hinweis auf meine "überschwänglichen Lobhudeleien", die immer auch als Empfehlung und Aufmerksammachung dienen sollen. Mir ist wichtig, Leute (auch außerhalb von FF, im Freundes- und Familienkreis) hinzuweisen auf die guten Sachen, mir ist es wichtig das an den Mann zu bringen. Habe bspw. in meinem Umfeld inzwischen 6 Menschlein dazu gebracht INTO THE WILD zu schauen, die ohne mein Dazutun von dem Film noch nicht einmal etwas gewusst hätten. Die Polemiken, die ich dagegen stelle sind dezidiert ausgesuchte Aufreger, die Meinung dazu ist mir ebenso wichtig zu kommunizieren.
Klaro, wenn man die Zeit schon aufwendet, will man ja auch eine Resonanz und die kann man eben auf ganz unterschiedlichen Wegen bekommen: z. B. indem man Filme lobt, denen medial wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, Filme "verreißt", die sonst überall bejubelt werden. Davon würde ich mich auch nicht freisprechen, dass ich manchmal noch einen Zacken drauflege, weil ich Resonanz provozieren will. Oft geht das aber auch in die Hose, weil der Text dann in einer Form dasteht, die man nicht mehr vertreten kann, wenn sich die Wogen geglättet haben. Mir hat DEATH PROOF wenig bis gar nicht gefallen, trotzdem würde ich meinen Text heute anders formulieren als ich es damals getan habe. Auch wenn ich meine Meinung für "vertretbar" halte.
moodswing sagte am 19.02.2008, 12:34:
Und überhaupt zum Thema Polemiken: Ich kann es schwer nachvollziehen, warum ich dir damit "unsympathisch" bin. Ich finde Polemiken äußerst wichtig und hilfreich, weil sich erst dadurch eine hitzige, emotionale Diskussion entspinnen kann. Gleichgültige, vorsichtige oder "nette" Besprechungen trauen sich nichts. Da lese ich lieber etwas Anstößiges, was mich auf die Palme bringt oder schreibe etwas Provokantes, was sich dann in einer Diskussion eventuell als "falsch" herausstellt. Provokantes Schreiben ist okay, wenn man auch bereit ist seine Haltung zu reflektieren und andere Meinungen anzunehmen. Ich liebe es daher Polemiken zu lesen und bin dem Schreiber nie böse, auch wenn er meiner Meinung noch so fern liegt. Er gewährt mir Einblick in einen komplett anderen Blickwinkel. Das finde ich prinzipiell gut.
"Unsympathisch", weil sich - dieses Problem habe ich generell - in Verrissen immer so ein Besserwisser- und Besserkönnertum äußert, dass ich umso skeptischer beäuge, je weniger Ahnung der Betreffende vom kritisierten Gegenstand hat. Das ist kein Angriff in deine Richtung: Die wenigsten hier sind ja "Filmschaffende". Jeder Penner kann eine Rezension faken, wenn er ein paar davon gelesen hat, wahrscheinlich liegt er hier und da sogar mal richtig. Versteh mich nicht falsch: Man muss Scheiße auch als Scheiße benennen dürfen, ich habe mir aber einen etwas "demütigeren" Zugang angewöhnt und versuche den Film erst einmal so zu nehmen, wie er ist, bevor ich ihm mit meinen Wünschen und Vorstellungen begegne.
Grundsätzlich sehe und handhabe ich das, was du über die Polemik sagst, genauso. Allerdings nutzt sich das "Provokante" ab, wenn ihm gar nichts "Nettes" mehr gegenübersteht - mal davon abgesehen, dass ich es nur schwer ertragen kann, wenn persönliche Lieblinge verrissen oder Hassfilme abgefeiert werden. Wenn ich dein Tagebuch lese, frage ich mich manchmal, ob du Filme überhaupt magst; ich weiß natürlich, dass du es tust. Du wirst wahrscheinlich entgegnen, dass gerade in der Strenge gegenüber "Schund" die Liebe zum Film hervortritt und das Absegnen auch noch des letzten Kacks genau das Gegenteil ist. Ich vermisse aber manchmal ein wenig die, hmmm, Leichtigkeit und Nachsicht in deinen Texten. Es ist eben nicht besonders schwer einen Hollywood-Film von der ideologiekritischen Schiene her zu kritisieren. Das geht für mich persönlich aber an der Essenz von Film und Kino total vorbei.
moodswing sagte am 19.02.2008, 12:34:
Die Diskussion hatten wir irgendwo schon mal vor kurzem: Dir fehlt da ein wenig die Distanz zu dem (in FTBs sowieso nur) lose Niedergeschriebenen. Über einen Film kann man sich gut und gerne ärgern (und sollte das dann auch zum Ausdruck bringen), über ein Geschreibsel doch aber lohnt sich der Aufwand nicht. Wem diese oder jene Polemik gefällt und zusagt, der soll sich an ihr erfreuen. Demjenigen, der anderer Meinung ist kann ein Kopfschütteln bleiben oder aber - die Annahme des Diskussionsvorschlags, der dieser Text dann wäre - der Anfang einer konstruktiven Diskussion.
Ich betrachte FTBs nicht als "lose Dahingeschriebenes" und ich weiß, dass viele Streitigkeiten eben aus genau diesem Missverständnis heraus entstehen. Ich finde, das Führen eines öffentlichen FTBs ist eine Sache, zu der auch ein gewisses Verantwortungsbewusstsein gehört: Sonst könnte jeder jeden Scheiß schreiben und der Nutzen der FTBs wäre dahin. Ich weiß, dass ich meinen eigenen Anspruch nicht anderen aufzwängen kann, würde mir aber oft wünschen, dass diese Texte ernster genommen und eben nicht als "Geschreibsel" betrachtet würden, das man in erster Linie für sich selbst betreibt. Erst wenn das vorausgesetzt ist, lohnt sich doch überhaupt eine Diskussion. Und für eine richtig produktive Diskussion ist es - so finde ich zumindest - eben besser, wenn man nicht mit Bluthochdruck hineingeht. Aber letzteres ist wohl mein eigenes Problem.