10.12.03:
Nordsee ist Mordsee (VHS)
Was ich mir immer für Sachen angucke ...
Das erste Mal hab ich den Film in München auf dem Kirchentag 1993 gesehen und Hark Bohm war da. Er hat den Film eingeletet mit der Entschludigung, dass er ihn kaum noch ertragen kann, so naiv wie er ist (der Film) und sich dann mit den Worten aus dem Kino gestohlen: "Ich komme nachher zurück, um mich auslachen zu lassen."
Na ja, Nordsee ist Mordsee ist sicherlich nicht der Glanz- und Höhepunkt de "Neuen Deutschen Films", zu dem Bohm seine Filme ja immer addieren wollte (immerhin hat er es ins Verleihprogramm vom "Filmverlag der Autoren" geschafft und in die Besetzungsriege von Fassbinder, in der Sohn Marquard aber mehr Erfolg hatte).
Nordsee ist Mordsee erzählt die Geschichte der beiden Jungs Uwe und Dschinghis. Ort der Handlung ist eine Sozialwohnungssiedlung in Hamburg, die von Aggression geprägt ist (freilich ganz anderer, als man heute gewohnt ist). Uwe ist Anführer einer Kindergang (eher eine Zusammenrottung von Jungs und Mädchen kurz vor der Pubertät, die also noch nichts "mit sich" anzufangen wissen und denen daher ständig langweilig ist zwischen den Betonschluchten) und Dschnghis ist der Zielpunkt der kindlichen Aggressionen, weil er Ausländer ist. Nachdem Uwe und Dschinghis in einer Schlägerei ein für alle Mal klären, dass Dschinghis der Stärkere ist, freunden sich die beiden an. Uwe hat Probleme mit seinem brutalen Vater, der ihn im Suff verprügelt und Dschinghis mit seiner ihn überbehütenden Mutter. Also entschließen sich die beiden, zusammen von zu Hause abzuhauen. Zuerst mit einem selbst gebauten Floß, dann mit einem geklauten Boot die Elbe Richtung Nordsee hinab. Ein Ziel haben die beiden nicht und die Polizei ist ihnen auf den Fersen.
"Sozialrealistisch" wäre wohl das beste Attribut für diesen Film. Wenn ich mal eine Dosis 70er-Jahre Flashback brauche und die Vorstadtkrokodil-Kassette ("Der Knopf bleibt zu, Amore mio!") gerade nicht finden kann, muss Bohms Film her. Die "Mode", die Musik (ein junger und engagierter Udo Lindenberg versüßt mit seiner "Mucke" die Bilder), das Flair ... ja selbst die Preise für Zigaretten ("Zwai Maak") sind hyperauthentisch. Wie soll's auch anders sein: Der Film ist von 1976 ... da war ich fünf und Leute wie Uwe zählten zu "den Großen", die einem Ständig "Schläge" oder "Kloppe" angedroht haben. Ich glaube mit 5 habe ich zum ersten Mal die soziale Realität wahrgenommen: Die Tatsache, dass ich nun bald zur Schule muss und sich dadurch neue soziale Zusammenhänge ergeben würden, hat mich beunruhigt und erregt zugleich.
Nordsee ist Mordsee ist auf unerklärliche Weise für mich ein Stück "Hamburg-Erinnerung" geworden, weil er meinen kindlichen "Eindruck" dieser Stadt im Nachhinein bestätigt. Ich hatte als Kind viele "Bilder" von Städten im Kopf, obwohl ich nie dort war: Frankfurt mochte ich nicht (weil es das Gefängnis von Heidi war), Berlin war für mich "Ostzone", Ruhrgebiet war für mich "eine riesen Stadt ... das Zentrum Deutschlands" usw.
Vielleicht waren es genau diese Deja vu-Erlebnisse damals in dem Münchner Kino, die dafür gesorgt haben, dass ich Hark Bohm nicht ausgelacht habe (die anderen haben auch nicht gelacht, ware aber in der Frage-Runde "peinlich berührt" von so viel filmischer Ehrlichkeit); diesen armen Kerl, dem die Türen zum großen Film mangels Talent immer verschlossen geblieben sind. Ich bin mal so vermessen zu behaupten, Nordsee ist Mordsee ist sein "bester" Film. Und er hatte das Glück, dort auch seine gesamte Familie als Schauspieler unterbringen zu dürfen.
maX