

The retina of the mind's eye
#110
Geschrieben 23. Januar 2004, 14:27
[...]
1989: Die Resignation
Dem Maler Lionel Dobie (Nick Nolte) ergeht es ganz ähnlich. Auch er ist Gefangener seiner biografischen Kreise - wenn sich dies bei ihm auch auf einer anderen Ebene äußert. Nicht aus der Gemeinschaft rührt sein emotionaler Niedergang (mit ihr hat er sich als "gefeierter Künstler" längst arrangiert), sondern aus der Tatsache, dass er altert und sterben wird. Er durchlebt tagtäglich das, was gemeinhin als "Midlifecrisis" bekannt ist. Dobie nutzt seine Stellung innerhalb der ihn anbetenden Künstlergemeinschaft aus, um Frauen kennenzulernen. Diese "lockt" er mit dem Versprechen, ihnen Lehrer zu sein, in sein Atelier, wo er dann deren Bewunderung ausnutzt, um sie in eine Beziehung mit ihm zu zwingen. Dass die Basis einer solchen allerdings eine andere ist, erfährt er schmerzlich, als ihm seine aktuelle Schülerin Paulette (Rosanna Arquette) nicht nur ständig droht, ihn zu verlassen, sondern seine Schwäche und Verfallenheit ausnutzt, um ihn öffentlich zu demütigen und zu quälen. Das ist ihre Form der Rache für sein gebrochenes Versprechen, sie künstlerisch auszubilden. Die Geschichte des Kurzfilms Life lessons (Innerhalb des Episodenfilms New York Stories) verbindet weit mehr als der Handlungsort mit dem 13 Jahre älteren Taxi Driver. Auch hier ist das Wiederholungsmotiv zentral. Es zeigt sich zunächst auf der Tonspur: Immer wieder hört Dobie den Song A whiter shade of pale; erst, um sich für seine Gemälde Inspiration zu verschaffen; später, um sich zu betäuben; zuletzt, um die Lustseufzer von Paulette zu übertönen, die sich mittlerweile ihre Liebhaber mit in Dobies Atelier und Wohnung einlädt, natürlich auch um ihn zu kränken. Die Wiederholung zeigt sich in ihrem fatalistischen Aspekt gerade in der schier endlosen (und endlos mühsamen) Arbeit Dobies an seinem Gemälde. Schicht um Schicht trägt er Farbe und Form auf die Leinwand auf und entwirft so Fragmente, die zwar bedeutsam sind, ihn jedoch unbefriedigt lassen. Mit seiner zunehmenden Depression werden die Farben, mit denen er das zuvor Gemalte übertüncht, immer dunkler, bis schließlich die äußerste Schicht eine amorphe schwarz-grau-braune Masse darstellt, aus der die früheren Bildschichten oft schemenhaft hervor schimmern, so als wären sie verblassende Zeugen besserer Zeiten. Schließlich verlässt Paulette Dobie endgültig, als sein Gemälde fertig ist. Immerhin hat er es geschafft, sie mit sich hinab in die Verzweiflung zu ziehen, denn nicht Emanzipation ist jetzt ihr Ziel, sondern die resignierte Rückkehr aus New York in die Heimat - die künstlerische Provinz. Sie gibt neben Dobie und New York nun auch das Malen auf und kehrt wieder dorthin zurück, wo sie herkam. Bei der Präsentation seines Bildes auf einer Vernissage wird Lionel Dobie von Beifall überhäuft. Das kennt er schon und es ist für ihn kein Ansporn. Doch aus der Menge der ihm bedeutungslosen Gesichter kommt eine junge Frau auf ihn zu, eine Kunststudentin, wie sie sich ihm vorstellt. Großzügig bietet er ihr an sie auszubilden, ja sogar bei ihm im Atelier könne sie wohnen ... Der Kreislauf schließt sich und der Ausbruch, der mit schmerzhafter Selbsterkenntnis verbunden ist und den Dobie sowieso nie wollte, stellt sich ein weiteres Mal nicht ein.
[...]
Mehr ...
maX
#111
Geschrieben 26. Januar 2004, 07:11
Subtiles Detail, das mir beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war: Als "Jade Fuchs" einen Gegner im Zweikampf mit so einer Art "Spock-Griff" lähmt, kennt Li Mu Bai doch tatsächlich ein paar Griffe, mit denen man die somatische Zentralverriegelung wieder öffnen kann.

Ist schon mal jemandem aufgefallen, das Chow Yun-Fat ein bisschen wie Special Agent Dale Cooper aussieht? Gerade auch, wenn er mal eben über's wasser läuft:

"Diane: Das Schwert wurde geklaut. Die Nudelsuppe ist hier so schön salzig und selbst die jungen Birken schon ganz schön stabil. Wirklich ... ein herrlicher Käse!"
maX
#112
Geschrieben 30. Januar 2004, 08:07
ekelerregend, zynisch, traumatisch ... 4 Minuten haben gereicht, um mir den Tag (und auch den folgenden und sogar noch den heutigen) einigermaßen zu versauen.
Nach einem längeren Gespräch mit Immo weiß ich nun, worum es im Film geht (ohne ihn gucken zu müssen) und frage mich (nicht aus ästhetischer, sondern aus moralischer Perspektive): Muss man so etwas wirklich zeigen? Ist die Aussage ("Zeit zerstört alles") nicht genauso falsch wie banal, wie Vorwand, den Zuschauern "so etwas mal anzutun"?
Zum Glück kann man sich ja aussuchen, ob man sich so etwas anschauen will ... Ich: Nie wieder!
maX
Aus gegebenem Anlass möchte ich darauf hinweisen, dass die Texte in diesem Thread unter mein Copryright fallen und ein Vervielfältigen ohne meine Genehmigung meine Urheberrechte verletzt - wogegen ich mich ab sofort zur Wehr setzen werde! Stefan Höltgen
#113
Geschrieben 31. Januar 2004, 18:23
Schlagt mich tot, aber ich find den herrlich. So hochgradig unsubtiler Humor. Gummihammer-Sex-Zoten vom allerfeinsten. Trifft meinen Humor peinlich genau! (Außerdem spielt Susanna Hoffs mit und hat Musik beigesteuert.)
Ein dreifaches:



da werd ich mir wohl mal die DVD(s) kaufen.
maX
#114
Geschrieben 01. Februar 2004, 20:28
Im Zentrum steht immer die Frage des "Wer oder Was". Sowohl bei den Valenzen der Liebe als auch bei denen der Vergebung: Lieben wir jemanden oder lieben wir jemanden für etwas? Vergeben wir jemandem oder vergeben wir jemandem etwas? Diese Frage, die nach Subjekt oder Objekt, dominiert Derridas Überlegungen im Dokumentarfilm "Derrida".
Und dieser Dokumentarfilm selbst reflektiert in seinen filmischen Modi ebenfalls über das "Wer oder Was": Zeige ich einen Film über eine Person (Derrida) oder zeige ich einen Film darüber, was eine Person ist (Philosoph). Die Filmer sind sich selbst darüber unschlüssig und tragen ihre Frage versteckt (Derrida: "dissimuliert") an den Denker heran: Sie fragen ihn persönliche Dinge und fragen ihn über seine Philosophie aus. Doch weder das eine noch das andere findet eine Antwort: Derrida "kann nicht" vor der Kamera darüber sprechen, wie er seine Frau kennen gelernt hat, welches seine Lebenstraumata waren oder was er "ganz spontan" über Liebe zu sagen hat. Genauso wenig kann sowohl das Zitieren seiner Texte, noch das Abfilmen Derridas bei Vorträgen noch der Modus seiner Mitteilung selbst ("Zunächst einmal muss ich sagen, dass dies hier keine natürliche Situation ist.") darüber Auskunft geben, was denn Dekonstruktion sei.
Hilflosigkeit macht sich also bei den Dokumentarfilmern breit: Weder das Wer noch das Was ihres Gegenstandes können sie filmisch erfassen. Dass ihnen das nicht gelingt, sind sie wenigstens im Stande zu inszenieren: Sie stellen lächerliche Fragen an den Philosophen, zeigen, wie ihm lächerliche Fragen gestellt werden, zeigen, wie er ernsthaft Fragenden ernsthaft zu antworten versucht - jedoch in lächerlichen Situationen. Die Filmer sind bemüht, ihren Gegenstand Derrida, wenn sie ihn schon nicht "fassen" können, so doch wenigstens mit ihren Zweifeln und Unsicherheiten umkreisend zu "erfassen". Und dafür konzentrieren sie sich dann auf das "Wie".
Denn "wie" sie Derrida und seine Theorie filmisch einzufangen versuchen, ist ebenfalls wieder dissimulativ: Sie verbergen ihre Unsicherheit hinter der technischen Apparatur, die sie mitinszenieren, ganz so, als wollten sie Derridas "Zweifel der Authentizität gegenüber einer Kamera" filmstilistisch abnicken. Sie authentisieren sich selbst, indem sie den Philosophen über die Kamera, die ihn gerade filmt, räsonieren lassen und gehen noch einen Schritt zurück und zeigen den Philosophen, wie er auf den Bildschirm schaut, auf dem er selbst über die Kamera räsoniert und gehen noch einen weiteren Schritt zurück und zeigen auf der dritten Ebene Derrida, wie er Derrida anschaut, wie er Derrida anschaut, der über die Augen und das Blicken spricht. Und als wäre diese "Unschuldsbekundung" nicht ausreichend, werden Kameraleute, Mikrofonhalter, Mikrofonanbringer und andere Mitglieder der Filmcrew immer und immer wieder mit in die Kadrage gesperrt, um zu beweisen, dass dieser Rahmen ein hilfloses Werkzeug der Vermittlung ist ... doch wer filmt diese Filmenden?
Die Naivität ist Täuschung. Eine Täuschung des Zuschauers über das Sujet und über die Möglichkeiten des Films und speziell der abgefilmten Philosophie. Im Film "Derrida" wird alles, was Derrida sagt, auf filmischer Ebene verdoppelt und quasi zur Bestätigung des Gesagten inszeniert. Auf der Strecke bleibt dabei nur einer: Derrida. Der hat schon während der Dreharbeiten seine Zweifel am Projekt, wenn er sagt, dass 25 Stunden gefilmt werden und der Filmer dann entscheidet, was in die anderhalb Stunden eingeht, damit es "sein Kunstwerk" wird.
Damit ist "Derrida" kein Porträt über den Philosophen und keine Dokumentation über seine Philosophie. Eingestreut werden zwar immer wieder dekontextualisierte Passagen aus seinem Werk (unterlegt mit Sakamotos bedeutungsschwerer Synthie-Musik), doch die sollen so wirken, als würden sie sich an das vorher von Derrida in die Kamera Gesagte anlehnen ... wieder nur belegen also. Der Film ist neben all seiner Naivität und Aussagenlosigkeit jedoch eines ganz intensiv: ein Dokumentarfilm. Zwar einer, der sein Dokument nicht zu filmen im Stande ist, der diese Misere jedoch immerhin filmisch gewieft als Selbstdokument des Filmkünstlers offenlegt.
maX
P.S. Da war der filmisch naivere Beitrag von Fathy ehrlicher, weil er den Denker zwar ins filmische Klischee gedrängt hat, sich damit jedoch die Souveränität über seinen Gegenstand bewahrt hat.
#115
Geschrieben 02. Februar 2004, 07:46
Man merkt hier viel besser, wie sich der Stoff gegen (s)eine filmische Adaption sperrt, oder besser andersherum: Wie hilflos ein Drehbuchautor gegenüber der Subtilität des literarischen Stoffes wirken kann. Dürrenmatt ist eben nur auf der Oberfläche sehr oberflächlich, in der Tiefe wird's eher tiefgründig.


Schön war hingegen, dass der Film tatsächlich den Eindruck erweckt hat, es ginge nicht um das Verbrechen oder gar um den Verbrecher, sondern allein um Matthäi. Und selbst an dem hat sich der Film bzw. Nicholson die Zähne ausgebissen ... aber das Absinth-Opfer zum Schluss kauft man ihm dann schon ab.
Na, aber trotzdem ein netter Versuch, weil er "es besser macht", als Rphmann.

maX
#116
Geschrieben 04. Februar 2004, 08:10
Nach "Planet der Affen" hat Tim Burton sich jetzt auf seine Primärqualitäten zurückbesonnen: Big Fish ist ein absolut grandioses, zwischen Realität und Fantasie changierendes Erzählwerk. Ein Film, in dessen liebevolle Erzählung und naive Zeigefreude man sich verlieben kann.
Wird sicherlich einer der besten Filme für mein Kinojahr 2004. Meine Kritik.
maX
#117
Geschrieben 07. Februar 2004, 08:18
Die Mise-en-abyme auf die Spitze getrieben ...
"Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann 'ich liebe dich inniglich', weil er weiß, daß sie weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon, dagen wir, von Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: 'Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.' In diesem Moment, nachdem er die falsche Unschuld vermieden hat, nachder er klar zum Ausdruck gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung entgegengenommen. Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung dr Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewßt und mit Vergnügen das Spiel der Ironie ... aber beiden ist es noch einmal gelungen, von Liebe zu reden."
(Umberto Eco. Nachschrift zum 'Namen der Rosen'München: dtv, 1986, S. 74f.)
#119
Geschrieben 10. Februar 2004, 07:29
Ein wirklich grandioser Film. Kristallklare Ästhetik und ein Schwarzenegger, der wesentlöich besser spielt, als ich ihn in Erinnerung hatte. Vor allem aber die Synthese aus Kadrage, Kamera(bewegung) und Musik machen den Effekt: Der Film wäre nicht halb so mystisch-kitschig, wenn er in diesen Techniken nicht so viel Feingefühl hätte!
maX
#120
Geschrieben 10. Februar 2004, 07:33
Ich kenne wohl keinen Film, der so viel "Druck" macht. Zugegeben: Der Inhalt und sein "philosophisches" Paradigma sind nicht sehr originell. Aber die Oberfläche glänzt ... und das unglaublich hell. Auch hier sind es wieder der Schnitt und die Musik, die mich wirklich umgehauen haben. Das ist teilweise so intensiv, dass ich beim Schauen eine Gänsehaut bekommen habe. Vielleicht nach "High Noon" der Film mit dem besten "Timing"!

maX
P.S. Und wohl der saftigste Hintern des deutschen Nachkriegsfilms.


#121
Geschrieben 13. Februar 2004, 17:22
Teil 1
"Yakuza Murakawa (Kitano) erhält den Auftrag auf der Insel Okinawa zwischen zwei verfeindeten Clans zu vermitteln. Dort angekommen geraten sie gleich zwischen die Fronten der Clans und ziehen sich, auf weitere Befehle wartend, in ein Haus am Strand zurück. Ihre Zeit dort verbringen sie mit Spielen aller Art bis sie den wahren Grund für ihren Okinawa-Auftrag erfahren. Murakawa und seine gesamte Gang sollen ausgeschaltet werden. Murakawa bewaffnet sich für seinen letzten grossen Kampf …"
Was sich auf dem DVD-Cover wie eine typische Yakuza-Story liest und in der ersten dreiviertel Stunde des Films auch zu sein scheint, ändert sich schlagartig, wenn Murakawa mit seinen Leuten in Okinawa ankommt. Dort herrscht alles andere als "Action". Langeweile, Tanz, alberne Strandspiele, etwas weniger alberne Schießspiele und zwischen drin, wie zur Abwechslung vom langweiligen Warten auf das Finale, mal eine Schießerei, mal eine Hinrichtung und dann wieder Langeweile.
Regisseur Kitano, der selbst die Hauptrolle in seinem Film spielt, hat für Sonatine auch das Buch geschrieben und den Film geschnitten. Sein Schauspiel lehnt sich dabei eng an den behäbigen Rhythmus des Films an: Er spielt seinen Yakuza-Boss irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und unberechenbarer Bösartigkeit. Demgegenüber stehen die verspielten Szenen des Films, in denen Kitano als "Murakawa" mit seinen Yakuza-Zöglingen herumalbert und in denen er als "ausführender Künstler des Films" mit Kameraperspektiven, wilden Match-Cuts und Soundtracks herumspielt, durch Schießereien seine eigentlich sehr liebevoll eingeführten Figuren opfert ... alles wirkt kalkuliert wie in einem Schachspiel, an dessen Ende einer der beiden Könige (Yakuzabosse) fallen muss. Die gesamte Ästhetik Sonatines arbeitet auf dieses Finale hin.
Versucht man nun die Fragmente dieser Ästhetisierung von Gewalt und Langeweile zusammenzufügen, kommt man keineswegs zu einem de Sade'schen Programm, sondern eigentlich zu gar keinem Ergebnis. Der Gesamteindruck von "Sonatine" ist wirr: Gewalt und Spiel, Action und Langeweile sollen sich kontrastiv ergänzen, eventuell sogar gegenseitig verstärken, bleiben jedoch für sich. Böswillig könnte man Kitano unterstellen: Er hatte das Geld, er hatte die Technik ... nur eine Idee hatte er nicht.
maX
#122
Geschrieben 13. Februar 2004, 17:31
Teil 2
Die Idee, einen zweiten Text zu Sonatine zu schreiben, ist mir recht bald gekommen. Genau genommen direkt nachdem der Film sich entschlossen hatte, keine gewöhnlich, gewaltgeladene Yakuza-Geschichte sein zu wollen.
Die Poesie, die Kitano vor allem in den Schnitt und die Kamera legt, ist beeindruckend. Zwar verschließt sie den Film einem rationalen und interpretierenden Zugriff, weil sie - wie oben geschrieben - eben zu gewollt aber zuwenig gewusst wirkt, doch ergänzt sich das Spiel der Technik mit der unglaublichen Leichtigkeit der Erzählung. Auch in ihr herrscht keine Kohärenz: Die Charaktere sind in dem, was sie tun, nicht böse, sondern ambivalent. Die sonst so finsteren und unberechenbaren Yakuza sind hier immer noch unberechenbar, aber eben in der Art, wie sie als Menschen gezeigt werden.
Dies sublimiert sich vor allem in den Szenen, in denen Murakawa sich mit dem Mädchen unterhält. Stets ist man auf der Hut, was wohl passiert, wenn er die Lust an ihr verliert (oder sie sich andere Bahnen sucht!). Aber dann ist es doch immer nur wieder seine Überraschung ihrer natürlichen, unverblümten Neugier gegenüber, die aus ihm heraussprudelt. Diese Charakterzeichnung hält Kitano bei all seinen Figuren durch: Da wird getanzt, gespielt, gesungen und kindische Scherze gemacht ... und damit das schwarz-weiß-Konzept der gewalttätigen, kaltblütigen Yakuza, dass die erste dreiviertel Stunde noch gezeichnet hat, vollständig aufgebrochen.
Sonatine ist in all seiner Sinnlosigkeit ein Fest der Sinne. Der beschwingte Rhythmus, der im Soudntrack die Bilder kommentiert, überträgt sich von Minute zu Minuten mehr auf den Zuschauer. Da werden selbst die recht blutigen Schießereien zum Ballett und es wird ganz gleichgültig, welche der Figuren sterben muss und welche weiterleben darf, denn irgendwie ist klar, dass es nur ein Film ist - ein Tanz der Bilder und der Ambivalenz ... und mitten drin immer wieder Kitanos Gesicht, dass hier für mich erstmals konstruktiv beides auszudrücken im Stande ist: Freude und Gewalt.
maX
#123
Geschrieben 21. Februar 2004, 07:42
Den hätte ich zur Konstitution der Medienwissenschaften in Jena 1997 schauen sollen: Damals haben die Zuständigen sogar den Regisseur einbestellt und den Film mit anschließender Diskussion im Film eV gebracht.
Na ja, verschoben ist nicht aufgehoben. In zwei etappen diesen wunderbaren Film gesehen, der mich (in den Underground-Szenen) vor allem durch die Ausleuchtung an Jeunets und Greenaways Oppulenz und in der Leichtigkeit von Figurenführung und Homor an Fellini erinnert. Eine Kriegsgeschichte mit soviel Ironie verpackt, dass man sich einfach darin verlieben muss. Und dann die großartige (und attraktive!) Mirjana Jokovic! Und eine Soundtrack, der mit all seiner Aufgeregtheit und seinem Temprament das "balkanische Lebensgefühl" wohl perfekt überträgt.
Sicher: Zum Ende wird das Parabelhafte der Geschichte mit ziemlicher Eindrücklichkeit klar und das, was der Film dann an Grausamkeit des Balkankrieges vorführt, macht die zotigen, ja, burlesken Szenen bei den Bombardierungen am Anfang mehr als wett. Aber auch das macht einen guten Film aus: Dass er weiß, wann Schluss sein muss.
Habe ich - trotz seiner 3 Stunden - sicherlich nicht zum letzten Mal gesehen.
maX
#124
Geschrieben 25. Februar 2004, 22:32
Mal wieder so ein Film, den man während des Guckens ganz nett findet, aber hinterher irgendwie doof. ein postgraduierter Student aus Frankreich macht ein Jahr Austausch in Barcelona und erlebt die tollsten Sachen.
Der Film kann sich leider nicht für die recht interessante Optik am Anfang entscheiden und dümpelt mit seinen Anekdötchen dahin. Zum Schluss bleibt ein junger Mann, der sich seinen Lebenstraum erfüllt, ein Film, der irgendwie nach "Werbung für das Erasmus-Austauschprogramm" stinkt ("Ich bin Europäer!") und eine Audrey Tautou, die wirklich wie der hier (sic!) aussieht!
Eine "romantic comedy", wie sie im Buche steht ... Meine Empfehlung für Howie!

maX
#125
Geschrieben 01. März 2004, 22:18
Tja, was soll ich sagen: Ich hab's ja irgendwie im Vorfeld geahnt: Da macht sich ein christlich-fanatischer Regie-Dilletant daran, die letzten 12 Stunden in Jesus Christus' Leben zu "verfilmen". Er würfelt die vier Evangelien zusammen, lässt seine Schauspieler Aramäisch (so wie er sich denkt, dass man das damals gesprochen hat) und Vulgärlatein (dto.) lernen & sprechen, baut ein paar Rückblenden in die Erzählungen der Evangelien ein, holt sich einen Soundtrack, der "nach der Gegend da unten klingt" (meines Erachtens hätte Peter Gabriel mehr als Recht auf eine Überprüfung seiner Urheberrechte) und besorgt sich nen Teufel mit abrasierten Augenbrauchen. Na, und dann wird - damit die Sache schön realistisch aussieht - einfach noch etwa 30 Minuten Splatter mit reingemischt.
Einen solch dummdreisten Versuch filmischer Beeinflussungsversuchung habe ich seit "Triumph des Willens" nicht mehr erlebt ... mit der Ausnahme, dass die Kamerakunst da nicht in "hin und wieder mal bei wichtigen Szenen SloMo einsetzen" bestand.
Was bleibt, wenn man Gibsons Film (für eine FSK 12 oder FSK 6) um die Splatter-Szenen kürzt? ... Richtig!
maX
P.S. Ich lache mich schlapp, wenn der Film 'ne FSK 18 oder sogar 'ne Indizierung bekommt, die er nach Definition des "Tatbestandes" mehr als verdient hätte.
#126
Geschrieben 04. März 2004, 07:58
Ich werde langsam zu alt für solchen Käse. Maaaaannn! Der Film hat mich genervt, weil er so unglaublich ambitioniert war: Eigentlich ist doch alles kaputt und wir halten es nur in der instabilen Harmonie, bis jemand daherkommt, der an der Wunde kratzt.
Ich kann mir richtig vorstellen, wie Eastwood am Set eine Gänsehaut nach der anderen bekommen hat, ob der Tiefschürfigkeit seines Films und seine Schauspieler in Einzelgesprächen umarmt hat und ihnen dabei ins Ohr flüsterte: "Das war sehr sehr gut, Tim. Du musst aber noch mehr Gefühl in dein rechtes unteres Augenlid legen. Denk dran: Du bist eine Metapher für Vietnam (und für die Schlacht am Little Big Horn)!"
Fazit: Pädagogisch extrem wertvoll! Meine Empfehlung für Howie.

maX
#128
Geschrieben 12. März 2004, 09:26
Ein überragend guter Fernsehfilm über den Charles Manson-Fall. Hier wird Dokumentarismus aus der Perspektive des nacherzählenden ermittelnden Staatsanwaltes Bugliosi auf sehr subtile Weise in die Handlung eingewoben. Die Erzählung, die sich vollständig auf die Rekonstruktion der Tate/La Bianca-Morde von 1969 und deren Aufklärung stützt, ist ziemlich packend: Selbst bei einer Länge von über 170 Minuten kommt keine Langeweile auf. Das liegt aber wohl auch nicht zuletzt an der Besetzung: Steve Railsback (Manson), Cathey Paine

Ich freue mich schon auf ein balidges "Wiedersehen" (weil ich den Film noch protokollieren werde) und den Vergleich mit dem neuen Manson-Film.
maX
#129
Geschrieben 12. März 2004, 09:32
Einer der langweiligsten Carpenter-Filme, wie ich finde. Das liegt aber sehr daran, dass die Story zu antiquiert ist. Die kann man zwar in der Rückschau filmhistorisch Wenden, aber das macht den Film dann nur zu einem interessanten Meta-Film, nicht zu einem besseren Horrorfilm.
Allerdings stimmt das "Ambiente": Der Soundtrack ist genial, Hal Halbrook und Adrienne Barbeau (die ich zuletzte "zusammen"

Meine Kritik.
maX
#130
Geschrieben 14. März 2004, 07:24
#131
Geschrieben 14. März 2004, 07:31
Der einzig wahre Kaspar Hauser-Film. Werner Herzog ist hier auf der Höhe seines Schaffens. Im Gesamtwrk wirkt Kaspar Hauser wie eine Zusammenfassung des bisherigen und Vorschauf auf das folgende filmische Werk. Die Themen, die Darsteller, die Musik, die Stimmung. Einfach alles stimmt. Und mittden drin Bruno S., der so gut und authentisch spielt, dass einem die Tränen kommen könnten.
"Es kommt mir vor, als sein mein Ersdheinen in der Welt ein harter Sturz gewesen." (Kaspar)
Unvergesslich: Die Logik-Prüfung mit dem leider bereits verstorbenen Alfred Edel! Ein Höhepunkt des Neuen Deutschen Films und gleichzeitig ein romantizistischer Fels in der Brandung der politischen Rationalität jener Zeit (und jener Regisseure): "Als Professor habe ich nicht gelernt zu verstehen, sondern zu schließen."
Es ist wirklich nicht schwer, Herzog als Lieblingsregisseur zu haben.

Meine Kritik
maX
#132
Geschrieben 16. März 2004, 08:03
Och joo, alles ganz nett. Niedliche Jeniffer Aniston, trotteliger und verblähter Ben Stiller, ekliger P. S. Hoffmann und ein philosophischer Papa. Reicht aber alles nicht, um mich davon abzuhalten, mein drittes "Andechser Dunkel Doppelbock" zu öffnen ... und dann wurde es plötzlich doch noch witzig.
maX
#133
Geschrieben 17. März 2004, 19:49
Bei Filmen, die besonders "einfach" daherkommen, sollte man immer auf der Hut sein. Die einfache Struktur von "I spit" lädt entweder dazu ein, den Film "sinnlos" zu finden oder ihn als eine Art "Parabel" zu lesen: Carol Clover hat zweiteres bereits in einem älteren Aufsatz in der Sight & Sound getan und den "sportlichen Moment" des Gangrape als Strukturmoment kinematographischer De-Moralisierung von Sexualität und Installation des "starken Frauentyps" interpretiert.
Im "Rape & Revenge"-Genre (ob es ein solches überhaupt geben kann, ist fraglich) ist "I spit" nahezu stilbildend, denn der Film entfaltet sein Sujet nicht nur sehr "reißbrettartig", sondern "diskutiert" darin auch die ihm immanenten Prinzipien. Beispiel: Der Aufbau - und das soll keineswegs zynisch gemeint sein - ist in seiner Proportion und seiner Themenentfaltung der eines Geschlechtsaktes: In den ersten 20 Minuten das Vorspiel, in den folgenden 30 Minuten der (Haupt)Akt, danach etwa 20 Minuten Refraktärphase und dann die letzten 20 Minuten das Nachspiel, in dem sich Intensität, Dauer der einzelnen Teilakte und Rhythmus des Hauptaktes wiederholen.
Das ganze wir so klassisch eingeleitet, wie es nur geht (bzw. wie man es erwartet): Jeniffer präsentiert sich ihren späteren Peinigern als aufreizende Großstädterin, diese - in Denken und Sprache vollständig sexualisiert - nehmen das zum Anlass, sich ihr immer agressiver zu nähern. Es folgen die Vergewaltigungen und danach die Rache, der Frau, der sich jeder der Vergewaltiger zu entziehen versucht, in dem er a) der Frau und ihrer "aufreizneden Art" die Schuld gibt und B) auf die Gruppendymanik verweist. (Clover) Doch das Gesetz des Spielfilms ist das jus talionis ... und das verlangt nach "Katharsis". Und deshalb gibt es für die rächende Frau keine Möglichkeit, ihre Rache zu unterbrechen, solange bis die Opfer-Bilanz wieder stimmt. Aufdringliche Metaphern von Reinwaschung, Versenkung und als phallisch konnotierte Fahrzeuge und Waffen geben sich die motivische Klinke in die Hand.
Der extrem durchdacht rhythmisierte Aufbau der Handlung verfolgt dabei vor allem den Zweck, den Zuschauer in die Geheimnisse des filmischen jus talionis einzuweihen und ihn für dieses Gesetz fügig zu machen. Dafür erhält er bei "I spit" abwechselnd die Perspektiven des unbeteiligten Beobachters, die Täter- und die Opfer-Subjektive und wird damit in den Regelkreislauf von Vergewaltigung und Vergeltung hineingezogen (jedoch nicht im Sinne eines Haneke'schen "Mitschuldigen"). Die Wirkung scheint mir dabei eine zweifache: Einerseits soll die Dramaturgie Mitleid und Verständnis für die Frau und Hass und Rachegelüste für die Täter stiften, andererseits - und hier liegt meines Erachtens der Clue des Films - wirkt die extrem genau strukturierte Dramaturgie auf den Zuschauer selbst wie ein Rape & Revenge-Erlebnis.
Man muss nicht so weit gehen, wie Michale Haneke, der in jeder kinematographischen Präsentation die Vergewaltigung des Zuschauers sieht; aber gerade der Genrefilm zehrt sehr von den Erwartungen seiner Zuschauer und schöpft seine Originalität aus der Andeutung und Vortäuschung, diese Erwartungen würden dieses Mal nicht erfüllt - nur um dann doch die Katharsis herbeizuführen im "Alles wird gut"-Ende. Doch kann ein Rape & Revenge-Film überhaupt ein Genrefilm sein? Desavouiert die in der außerfilmischen Wirklichkeit als unmoralisch geltende Auge-um-Auge-Regel nicht die Katharsis, nach der am Ende die Rechnung zwischen Opfer und Täter(n) beglichen ist? Und überhaupt: Was ist denn die angemessene "Strafe" für eine Vergewaltigung? Wirklich der Tod? Und hat das Vergewaltigungsopfer, das rein hypothetisch ja "nach dem Film" der Justiz entgegen treten muss, überhaupt eine Perspektive der "Wiedergutmachung" zu erwarten?
Ich kenne keinen Rape & Revenge-Film, der diese Fragen nicht zumindest subtil mitinszeniert. Die meisten Vorwürfe, die diesen Filmen entgegen gebracht werden, sind die, dass solche "Tötungsszenen [...] in einer diese Gewalttätigkeiten verherrlichenden Art und Weise [präsentiert werden], indem das Verhalten der jungen Frau als die wahre Form zur Lösung von Konflikten dargestellt wird."* Doch am Ende von "I spit" (und allen anderen Rape & Revenge-Filmen) steht gar nicht die Genugtuung, sondern immer der schale Geschmack, dass die Summe des Leides eigentlich nur vergrößert worden ist.
Anders ist das Ende von "I spit", in dem Jennifer ziellos mit dem Boot auf dem Fluß umherfährt, wohl nicht zu deuten. Mehr dazu in Bremen.
maX
* Auszug aus dem Beschlagnahmebeschluss zu "I spit"
#134
Geschrieben 18. März 2004, 07:45
Gestern seit langem mal wieder 2 Filme an einem Tag gesehen (sonst gucke ich 2 pro Woche).

Im Zuge meiner Recherchen bin ich dann auch nicht um diesen Gondry herumgekommen und muss schon sagen: Der war ganz schön arm!
Eine Dreiecksgeschichte mit einer hirsutistischen Frau (die glaubt, wie ein Affe auszusehen), einem degenerierten Mann (der sich für nen Affen hält) und einem zwangsgestörten Anthropologen (der glaubt, Zivilisation sei die Beherrschung von Tischmanieren). Hinzu kommt noch eine falsche Französin und ein bisschen Sex-Rumgezote.
Das ist ein nettes Gedankenexperiment für einen Kurzfilm. Aber auf 90 Minuten aufgebläht geht dem Stoff schnell die Puste aus. Gondry, der ja auch in seinen Clips weniger der "Trickser" als vielmehr der "Witzeerzähler" ist, ist das immerhin beachtlich dünne Kaufmann-Skript über den Kopf gewachsen. Nach der "Rettung des Spielfilms durch die Clipregisseure" sieht das nicht gerade aus. Da traue ich Jonze mehr zu (und er kann ja auch mehr ... auch wenn seine Filme so gar nichts mit seinen Clips zu tun haben).
Jetzt bin ich natürlich auf den nächsten Gondry gespannt. Nächste Woche läuft "Vergiss mein nicht" in der PV, in dem es um einen Typen geht, der - ganz im Stile von "Total Recall" - einen Seitensprung vergessen will (sozusagen "Total Oblivion"). Klingt wieder eher nach nem Kurzfilm ... mal schauen, ob es die Starbesetzung rausreißt.
maX
#135
Geschrieben 19. März 2004, 10:19
Die Fans werden enttäuscht sein.

Meine Kritik (auch davon!

maX
#136
Geschrieben 20. März 2004, 08:18
Wenn ich mir meine Kritik in der SI (Nr. 51) so anschaue, muss ich sagen, dass ich dem Film voll auf den Leim gegangen bin. Aber das ist ja auch irgendwie kein Wunder, denn der Film ist gut ... so gut, dass er wohl erst einmal jeden frappiert. Gut, ich habe 1,5 Jahre gebraucht, ihn mir noch mal anzuschauen und meine, seinen Wirkmechnismus jetzt geknackt zu haben:
Ted Bundy ist eifrig bemüht, alle Register der Filmästhetik zu ziehen, um seine Hauptfigur so amoralisch, hinterhältig, pervers, berechnend, bösartig, verlogen und narzisstisch darzustellen, wie es nur irgendwie geht.
Man muss sich eigentlich nur drei Szenen anschauen und mal auf die Details achten:
1. Bundys Sex mit seiner Freundin nach "seinen Wünschen": Ihre Beine und Hände sind an den Kopfenden des Bettes gefesselt. Sie soll sich tot stellen und er fuhrwerkt wie ein Berserker zwischen ihren Beinen herum. Die Kamera zeigt zuerst das Mädchen aus einer Perspektive, die mit einer Subjektive Bundys korrespondiert, dann im Gegenschuss sein wirklich extrem wut- und schmerzverzerrtes Gesicht und seine Rufe: "Fuck! Fuck! Fuck!"
2. Szene - direkt im Anschluss: Die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung der beiden Mädchen vom Strand. Bundy nimmt seine Opfer überhaupt nicht ernst. Er hat keine Angst entdeckt zu werden und spielt mit ihnen. Als eine blutend flüchtet, joggt er leichten Schrittes hinter ihr her und lacht sich dabei halb schlapp. Als er das Mädchen zurück in die Hütte gezerrt hat und sie vergewaltigt, grinst er dabei die andere diabolisch an, die dem Akt beiwohnen muss und weiß, dass sie die nächste ist.
3. Szene: Bundy zerrt ein halbnacktes Mädchen aus dem Auto, wirft es unter einem Baum. Sie schluchzt und fleht ihn an, er hält ihr eine politische Rede über Frauen, die Republikaner und seine Wünsche, während er sich langsam auszieht. Extreme Draufsicht und Fahrt in die Vogelperspektive.
Welcher Zuschauer den Typen bis dahin noch nicht hasst und ihm den Tod wünscht, kann dem Film nur mit halber Aufmerksamkeit beigewohnt haben.
Als Bundy schließlich gefasst wird, stellt sich die Justiz als unfähig heraus: Er genießt im Knast alle Freiheiten, die er sich wünscht und kann zwei mal fliehen. Erst als er in der Death-Row sitzt, wendet sich das Glück gegen ihn und der Zuschauer ist mittlerweile da, wo der Film ihn haben will: Seine Rachegelüste finden Befriedigung. Verdoppelt wird dies durch eingeschnittene Szenen von Demonstranten vor dem Gefängnis, die auf Transparenten den Tod Bundys mit sarkastischen Kommentaren fordern.
Und als Bundy dann schließlich vom Gefängnispersonal gefoltert wird (er bekommt die Haare geschoren dann einen ganzen Beutel Watte in den Arsch gesteckt ("So you don't mess yourself.") und schließlich langsam und in Großaufnahme auf dem elektrischen Stuhl gegrillt wird (ab und zu Gegenschnitt zu den unbeteiligten Beamten und zu den teilweise lachenden Zuschauern im Zeugenraum) ... da fallen einem dann wieder seine letzten Worte am Telefon ein: "I'm a human being." Und die scheinbar befriedigten Rachegedanken werden zu den Überlegungen gelenkt, die die Gegner der Todesstrafe schon seit je her äußern.
maX
#137
Geschrieben 23. März 2004, 10:13
Wieder einmal habe ich eine ältere Sichtweise zu revidieren.
Cronenbergs eXistenZ will zu keiner Zeit Ernst genommen werden. Wenn man das übersieht, geht das maßgebliche Verfahren zur Unterscheidung Relaität/Virtualität verloren, denn die "Peinlichkeit", von der ich in meiner Kritik geschrieben habe, kennzeichnet ja gerade die Spielebenen als erzählerische Konstruktionen. Das wird hin und wieder auch thematisiert, dass die Spielfiguren irgendwie "hölzern" wirken: Als Allegra sich bei Ted über den Spieleverkäufer ärgert, der "schlampig entwickelt" wurde.
Interessant ist, dass Cronenberg behauptet, auf die Idee zu eXistenZ gekommen zu sein, nachdem er sich mit Rushdie getroffen und über das Thema "Verfolgung von Künstlern durch Fanatiker" unterhalten hat. Das ist zwar oberflächlich gesehen der "Hauptdiskurs" des Films, aber dient nur zum kaschieren eines ontologischen Projektes: Wenn die Virtualität asymptotisch an die Realität angenähert wird, wie können wir sie dann noch als solche erkennen? ... Müssen wir sie dann überhaupt noch erkennen können oder ist sie dann nicht schon die (Hyper)Realität? Und: Ist Subjektivität und eine konsistente Persönlichkeit (wie bei Leibniz mit "Individualität" bezeichnet) eine notwendige Bedingung für Realität oder eine hinreichende?
Der "Agentenfilm" bildet die ideale Basis für eine solche Fragestellung - und das ja nicht zum ersten Mal in der Filmgeschichte (von "Die 27. Etage" bis "Matrix"), weil das philosophische Thema hier durch eine Verschwörungstheorie verdoppelt werden kann und damit auch als erzählerisches Sujet "wahrnehmbar" wird. Bei eXistenZ gerinnt das Genre zum reinen Vorwand für diese Fragestellung. Deshalb erlaubt sich Cronenberg auch, die Story und ihre Charaktere nicht ernstzunehmen.
maX
#139
Geschrieben 27. März 2004, 07:53
Michael Haneke sagt 1997 in einem Interview: "Um zu vermitteln, was ich denke, bediene ich mich hier [bei Funny Games, S.H.] des Thrillers - und nutze die Erwartung des Zuschauers ans Genre: Dort darf das Furchtbare geschehen, solange nur am Ende die Ordnung wiederhergestellt ist. Der Abgrund, der aufgerissen wird, nur um letztlich wieder zugeschüttet zu werden: Mit dieser Verlogenheit machen Genrefilme ihr Geld." (Spiegel 38/1997, S. 146) Gut, er hat Kalifornia wohl nicht gekannt Aber die Ausschließlichkeit, mit der er seine Genre-"Theorie" hier darlegt, zeigt schon, dass für die Erzählung eines solchen Films gar nicht "sensibel" genug sein kann.
Worum geht's in Kalifornia? Erzählt wird die Geschichte vom Publizisten Brian und seiner Freundin Carrie, die Fotografin ist. Die beiden wollen eine Tour durch die USA zu den Orten, an denen Serienmörder ihre Taten begannen haben, unternehmen. Brian versucht seine Recherchen dort mit plastischen Eindrücken und Tatortfotos zu illustrieren. Um die lange Riese nicht allein finanzieren zu müssen, nehmen sie Early, einen gewalttätigen und offenbar wegen Mordes vorbestraften (wovon die beiden aber nichts wissen) und dessen Freundin Grace mit. Es kommt, wie es kommen muss: Early begeht auf der Reise einen Mord nach dem anderen - zunächst unentdeckt. Doch als Carrie die Anwesenheit der beiden Mitfahrer immer unangenehmer wird uns sie Brian bittet, sie rauszuwerfen, eskaliert die Situation: Early begeht einen brutalen Raubüberfall auf eine Tankstelle und nimmt die Brian und Carry als Geiseln. Er überfällt ein Haus und bringt dort den Hausherren und dann seine Freundin Adele um. Brian schlägt er nieder und Carrie verschleppt er. Und erst an dieser Stelle wird aus dem "brutalen Roadmovie" ein Thriller: Brian begibt sich auf die Suche nach Carry und ihrem Entführer, findet sie schließlich, ermordet Early und befreit seine offenbar vergewaltigte Freundin.
Das besondere an diesem Genrefilm ist seine reflektierende Haltung gegenüber seinem Sujet: Da ist auf der einen Seite der etwas arrogante Schriftsteller und seine intellektuelle Freundin, die gleichermaßen fasziniert und abgestoßen vom poor-white-trash-Pärchen Early und Grace sind. Brian hat "keine Ahnung", was Serienmörder wirklich sind. Für ihn ist das Phänomen Serienmord ein Gegenstand kultureller Reflexion, ein Gedankenspiel, in das er seine psychogenetischen Theorie über Tatmotivation und Täterbiografie einfügen kann.
Auf der anderen Seite steht Early, für den Mord ein modus vivendi ist: Er tötet, um aus unangenehmen Situationen zu fliehen, aus Rache, aus Geldgier und zeitweise schlicht aus Langeweile. Brian versucht, als er später über Early Bescheid weiß, hinter die Motivantion zu kommen, jedoch erfolglos. Schließlich reduziert er es auf die Erkenntnis, dass das einzige, was den Serienmörder vom normalen Menschen unterscheidet, das mangelhafte oder fehlende Schuldbewusst sein ist.
Early indes belustigt sich über die intellektuellen Spielchen Brians. Er macht ihm mehr als zynisch klar, dass seine Taten nichts mit seinem Vater zu tun haben (die Erschießung des Polizisten ist wohl die sarkastischste und entlarvendste Filmszene, die je ein Serienmörderfilm gezeigt hat). Und dass er Schuldbewusstsein besitzt, macht er auch klar: Er reagiert sehr verstört auf seine eigenen Taten und reflektiert sogar über einen der von Brian besuchten Serienmörder-Schauplätze und dass der nie gefasste Täter wohl heute jeden Tag an seine Taten zu denken gezwungen ist.
Brians Theorien gehen also nicht auf. Serienmord als kulturelles Phänomen betrachtet, bleibt ein elitäres Gedankenspiel. Selbst als er am Schluss gezwungen ist (?) Early aus Rache an der Vergewaltigung Carries zu erschießen, zeigt er kein Verständnis für den Akt des Tötens. Danach geht es weiter für das Pärchen wie zuvor: Sie veröffentlicht ihre Fotos in einer Ausstellung und er kommt mit seinem Buchprojekt, in das er nun sogar einen Erlebnisbericht einfügen kann, "gut voran".
Doch irgendwie ist die Stimmung des Films im Epilog brüchig geworden. Die heile Welt, die uns der Thriller als Genrefilm verspricht (und die Haneke dem Ende eines Genrefilms an sich attestiert) ist nicht zu finden. Das liegt nicht etwa daran, dass Brian gezwungen wurde selbst zu töten, oder dass der Zuschauer mit ihm durch die Hölle gegangen ist, sondern vielmehr daran, dass der Film es geschafft hat, die intellektuell-unterkühlte Reflexion über seinen Gegenstand als blanken Zynismus zu entlarven. Sowohl die Täter als auch die Opfer und erst Recht die Zeugen sind nicht das, was uns die Kulturproduktion suggeriert: Sie dürfen weder allein als Ingredienzien einer Story noch als Variablen eines intellektuellen Gedankenexperiementes (Funny Games) dienen. Sie sind auch Platzhalter für reale Schicksale. Wer das nicht mit berücksichtigt, ist ein Zyniker (wie eben Haneke).
maX
P.S. Die DVD von MGM ist so schkecht un pixelig, ds es sogar mir aufgefallen ist.

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