

The retina of the mind's eye
#200
Geschrieben 01. September 2004, 10:34
Vorrede: Die Organisation des Denkens - Organmetaphern in der Geistesgeschichte und Cronenbergs Scanners
Im Werk David Cronenbergs ist die Organmetapher omnipräsent. Wie Riepe schreibt, ist das „wörtlich nehmen von Metaphern“ ein Problem psychotischer Natur. Ich will mich diesem Verständnis nicht anschließen und es als genuin „filmisches Denken“ verstehen.
In Videodrome (1982) hatte sich bereits angedeutet, wie Cronenberg McLuhan liest. Er nimmt die Organmetapher des Landsmannes ganz wörtlich und seinem Protagonisten Max Renn verwächst eine Waffe mit der Hand („handgun“). Später gerät auch die andere Hand zur Waffe („hand grenate“). Infiziert mit dieser Wörtlichkeit hat ihn das Videodrome-Signal, das die Transgression des elektrischen Impulses in das körperliche Symptom leistet. Der Erfinder, Professor Brian O’Blivion, ist das erste Opfer seiner Erfindung geworden. Das Signal hat einen Gehirntumor bei ihm ausgelöst, den er jedoch anders verstanden wissen will: „I believe that the growth in my mead – this head – this one right here. I think that is not really a tumor [...] but that it is in fact a new organ ... a new part of the brain.“ Wie O’Blivion, der diese Mitteilung nur noch per Videoaufzeichnung (deshalb die Deixis „this head – this one right here“?) übermitteln kann, geht auch Max später vollständig im Medium auf, verschmilzt mit ihm: „I am the video word made flesh.“ Noch gegenständlicher lässt sich Sprache als Organ nicht mitteilen.
Der zwei Jahre zuvor entstandene Film Scanners ist Cronenbergs erster Kontakt mit der mediatisierten Organmetapher. Thema des Films ist die Telepathie. Ein schwieriges Thema, wie Cronenberg zugibt: „The problem with movies about telepathy has always been how to make it physical. And I do mean physical, since for me it’s never enough just to make something visual.“ Anders gesagt: „How to make the video word flesh?“
Filmisch gelingt diese Antwort in Scanners in der Tat nur recht unbefriedigend: Dass telepathischer Kontakt zwischen zwei Menschen besteht, ist zu hören an seltsamen Stimm-Geraune im Soundtrack und körperlichen Symptomen der Verbunden (vom starren Blick über Zittern bis hin zum epileptisch-konvulsivischem Zucken). Erst mit der optischen Illusion der „Auflösung von Raum und Zeit“ (McLuhan) gelingt es Cronenberg vom Affekt der Darstellerkörper zum Effekt im Film überzugehen.
In Scanners belässt er es vorerst beim diskursiven Annähern an das Phänomen der Telepathie, versieht es aber mit den medientheoretischen Implikationen McLuhans. Nicht nur gibt es ganz profan eine Scanner-Untergrund-Organ-isationen mit einem tyrannischen Oberscanner als Kopf (Daryll Revok, der in der Mehrzahl der Einstellungen des Films tatsächlich nur als Head-Shot zu sehen ist). Auch führt Scanners eine Reihe von Szenen vor, die die Netz-Gedanken McLuhans mehr oder weniger direkt abbilden.
Die Scanner bilden ein „unfreiwilliges Netzwerk“ mit den Menschen ihrer Umgebung. Auf sie dringen die Stimmen und Gedanken ihrer Umwelt ohne Filter ein. Sie sind krank, missgebildet, oder wie Wissenschaftler Ruth es definiert: „Scannen, das ist eine Störung der Synapsen, die man Telepathie nennt.“ Erst durch das Verabreichen der Droge Ephemerol (ephemer = flüchtig, nur einen Tag überlebend) verschwinden die Stimmen für kurze Zeit und der geplagte Scanner fühlt sich „kristallklar“ (Cameron Vale). Ganz so, als wären die arme die Antennen zum Empfang der telepathischen Gedankenwellen, wird die Ephemerol-Spritze stets in die Hand verabreicht. Erst nachdem der Scanner sie bekommen hat, kann er vom unkoordinierten Sende- und Empfangsgerät auf bestimmte Wellen eingestellt werden. Zwei Vorführungen, die zeigen, zu was der Scanner dann in der Lage ist, eröffnen den Film.
Doch, so Ruht, „Telepathie besteht nicht nur aus Gedankenlesen. Es ist die direkte Verbindung zweier Nervensysteme, die räumlich voneinander getrennt sind.“ Diese Definition ähnelt nicht grundlos dem Verständnis von Telekommunikation. In Scanners wird auf diese Weise nicht nur tele-kommuniziert sondern eben auch tele-pathologisiert: „Scanners – Their thoughts can kill! “, so die Werbezeile des Verleihers. In dem Moment, wo die Scanner durch das Ephemerol „kristallklar“ geworden sind, werden sie zur Waffe. Ruths Organisation „Consec“ versucht aller 237 Scanner habhaft zu werden, um eine Armee gegen den Wahnsinnigen Scanner Revok zu koordinieren. Revok selbst – Inhaber der Organisation „Bicarbone Amalgamate“ – ebenfalls eine als Chemiefirma getarnte Untergrundorganisation – versucht alle Scanner, die sich ihm nicht anschließen wollen, zu töten.
Als es zum finalen Konflikt zwischen Vale und Revok kommt, überschlagen sich die Ereignisse: Es kommt heraus, dass der Arzt Ruth Erfinder von Ephemerol ist, der dieses Mittel Schwangeren als Beruhigungsmittel verabreicht hat. Die Kinder wurden daraufhin mit einer telepatischen Missbildung geboren – der Scannerfähigkeit. Seine beiden Söhne haben diese Fähigkeit aufgrund der frühen Verabreichung von Ephemerol besonders stark ausbilden können: Cameron und Daryll.
Kurz vor dem Showdown wird Cronenberg mit seiner technologisierten Organmetapher konsequent. Vale will die Firma Daryll Revoks zerstören, die Unmengen Ephemerol produziert, um dies Schwangeren zu verabreichen und eine neue Scanner-Armee zu gründen. Da ihm der Zugang zum Gebäude verwährt ist, entschließt er sich Kontakt über das Distanzmedium Telefon aufzunehmen und den Computer zu scannen: „Sie haben ein Nervensystem, das einem Computer vergleichbar ist. Damit können Sie ihn scannen, den Computer, als ob er ein Mensch wäre“, gibt Ruth Vale mit auf den Weg. Cronenberg nimmt hier eine Verschaltung des Nerven- und Telefonnetzes vor – ein Internetz zwischen Mensch und Maschine. Die entseelte Maschine per se (der Computer, der in der Science Fiction unzählige Male zum seelenlosen Widersacher des Menschen geworden ist) wird von Cameron Vales Verstand überwältigt – im Wortsinne – und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die Firma Revoks explodiert (und das Telefon, durch das Vale Kontakt aufgenommen hat, gleich mit).
Ich komme zum Kurzschluss: Dagegen nimmt sich der Showdown des Films fast wieder zurückhaltend aus: Die beiden Brüder stehen sich endlich gegenüber, scannen sich gegenseitig. Antipoden, die sie sind, kommt es zum Kurzschluss. Das „scanning“ versagt in dem Moment, wo es auf sich selbst angewendet wird. Das fleischgewordene Medium lässt sich nicht remedialisieren. Hat die Anfangssequenz das Ergebnis dieses Kurzschlusses schon als Explosion (eines Kopfes) vorgeführt, so zeigt das Ende des Films dies als Implosion (eines Körpers in einen anderen – der Verschmelzung der Brüder).
maX
#201
Geschrieben 07. September 2004, 07:08
Wenn man die Erzählung Philip K. Dicks schon vorher kennt, ist es verblüffend zu sehen, wie schlecht sich so etwas filmisch umzusetzen lassen scheint. In der Erzählung geht es ja ausschließlich um die Fragen nach Indentität und Künslichkeit. Die Atmosphäre auf dem Planeten ist viel "düsterer" und apokalyptischer. Der Film schafft es jedenfalls kaum, das typisch "Dick'sche" Flair zu entfalten. Er wirkt immer wie ein bemühter Fernsehfilm (Dune). Die Zwangsläufigkeit mit der die Erzählung (bei Dick) auf eine Pointe hinausläuft, macht im Film Langweiligkeit Platz ... vielleicht liegt es aber auch nur an meiner Pointen-Sättigung vom FFF.
maX
#202
Geschrieben 07. September 2004, 07:11
Mann, ist der langweilig! Diese endlosen Flüge immer tiefer in die Struktur des Nebels, wo sich hinter jeder geometrisch-kaleidoskopischen Figur immer neue geometrisch-kaleidoskopische Figuren auftun. War sowas Ende der 70er faszinierend? Zum ersten Mal habe ich auf mich während eines Films gefragt: Wann kommt denn endlich die nächste Werbeunterbrechung?

maX
#203
Geschrieben 10. September 2004, 11:39
Welch Mienenspiel! Welch Pathos! Welch Drahtaugenbrauen!
Meine Empfehlung an Howie!
maX
#204
Geschrieben 12. September 2004, 09:38
Serienmörderfilm über einen Serienmörder, der berühmte Fälle immitiert. Im Zentrum steht eine Profilerin, die selbst von einem Mörder attakiert wurde und nun unter Agoraphobie leidet.
Interessant wird diese Konstellation vor allem dadurch, dass die an ihre Wohnung gefesselte Profilerin nur noch medialen Umgang mit der Außenwelt pflegt und von dort auch Informationen (und Drohbriefe) über den Mörder, der auf ihrer Spur ist, bekommt.
Darüber hinaus ist Copycat wohl ein echter Fan-Film: Die einzelnen Fälle, die der Täter nachstellt, sollen offebar zum mitraten anregen. Analog zur Profilerin hat der Zuschauer sein Wissen über die Täter ebenfalls nur aus Medien erworben (und es ist anzunehmen, dass es dem Drebuchautor von Copycat wohl nicht anders ging). Daher werden die Ratespiele in einigen Fällen zu einem Abgleich von Film- und Faktenwissen
maX
#205
Geschrieben 13. September 2004, 13:52
Vor der Werbeunterbrechung




maX
#206
Geschrieben 13. September 2004, 13:55
Eine interessante Collage von ein paar deutschen Biografien rund um den 11.09.2001. Bei einigen von ihnen ändert sich das Leben gravierend - bei anderen kaum. Insgesamt sehr deutsch mit einigen äußerst fragwürdigen und skurrilen Intermezzi (Tanz-Schwangerschaftskurs

maX
#207
Geschrieben 15. September 2004, 21:40
[...]
Die Implosion der Räume setzt Cronenberg 1999 in „eXistenZ” ein weiteres mal filmisch um und doppelcodiert auch hier seine Raum-Theorie: Es geht um die virtuelle Realität der Computerspiele, Riepe zufolge um die Frage nach der „Logik der Simulation” (Riepe, 179) bzw. der „Reflexion darüber was Realität ist” (Riepe, 174) – was in der medialen Hyperrealität dieselbe Frage ist.
Die Anspielungen auf diese Frage finden sich in „eXistenZ” in zahlreichen Szenen. Einmal abgesehen von den Fragen, die die Unterscheidung von Virtualität und Realität bei den Protagonisten aufwerfen, bebildert Cronenberg in „eXistenZ” die „Verwischung der Raumgrenzen” zwischen dem User und der Software. Als Ted Pikul und Allegra Geller das Spiel ausprobieren, das mittels einer Nabelschnur direkt am Rückenmark der Spieler angeschlossen wird, verwischen sofort die Bilder des Raums, in dem sich beide befinden und werden zu Bildern des Spielraums, den die Spieler durchwandern und in dem sie Abenteuer erleben, ohne sich aus dem „realen” Raum fortzubewegen. Auch hier stiftet Cronenberg wieder Verwirrung. Aber dieses Mal nicht durch die Annäherung von Subjekt und Objekt, sondern durch das Spiel mit der prinzipiell unmöglichen Außenperspektive. „eXistenZ” ist ein Schachtelfilm. Hinter jeder Grenze, die Spiel und Realität trennt, zeigt sich eine neue Ebene der Realität, die die vorherige als Spiel desavouiert. Auch „eXistenZ” endet mit einem Schuss und einer Schwarzblende. Er ist in seiner Schlussszene jedoch geschwätziger (und damit weniger subtil) als „Videodrome“. Einer der Protagonisten fragt, kurz bevor er erschossen wird, ob er noch immer im Spiel sei. Er will die Wahrheit nicht glauben (zu Recht!), dass er sich eventuell abermals nur auf einer höheren Stufe – einer virtuellen Realität – befindet, in der sein Tod nicht mehr einfach negative Auswirkungen auf seine Counter hätte, sondern unweigerlich zum „Game over” führen würde.
Die Medien in „eXistenZ” sind nur auf den ersten Blick „Computer” (wenn man die organischen Game-Pods überhaupt so nennen kann). Es sind vielmehr die Körper der Protagonisten selbst, die zum Medium werden. Denn die Game-Pods verschmelzen mit diesen. Das Computerspiel „zeigt” nicht mehr einfach eine virtuelle Spielwelt, sondern es „impft” diese direkt ins Gehirn und zentrale Nervensystem der Spieler. Die Grenze zwischen dem Spiel (als Gerät) und dem Spiel (als Handlung) verwischt, je tiefer die Protagonisten in die Erzählung von „eXistenZ” eindringen. Schließlich ist das Spiel nur noch ein daumengroßes Organ, das vollständig im Körper verschwindet und diesen zum Spielfeld macht. Die „Schnittstellen” sind so genannte „Bioports” – „virtuelle Wunden” (Riepe, 187) – im Rückenmark der Spieler. Löcher, die in den Rücken gestanzt werden, um direkten Zugang zum ZNS zu bekommen. Die totale Evokation vom simulierten Geschehen kann nur erreicht werden, wenn der Rezipient mit dem Medium (dem Game-Pod) verwächst, wenn Körper und Medium eins werden. Das ist kein Subjekt-Objekt-Tausch mehr, sondern deren Verschmelzung. Die Indifferenz von Spielhardware und Spieler führt dann auch zu unguten Transgressionseffekten – Krankheiten werden aus der Spielhandlung in die Realität eingeschleppt – „eine seltsame Osmose” nennt Allegra Geller diese Form der Durchflutung des Realitätsprinzips.
Der Zuschauer, der, anstatt von einem Virtualitätslevel auf das nächst höher- oder tiefer liegende, von einer Rahmenhandlung in die nächst höher liegende oder tiefer liegende Wechselt, kann den Effekt, den die Game-Pods auf ihre Nutzer (Wirte!) haben, nur schwer nachvollziehen. Cronenberg ist mit seiner Raum-Metaphorik in „eXistenZ” an der Grenze des Darstellbaren angelangt und wiederholt nur (die Effekte aus „Dead Zone” und die Erzählung aus „Videodrome). Einzig die „Verwischung” kann er noch bebildern und die verschwörerische Frage aufwerfen, ob denn alles vielleicht virtuell sei.
[...]
mehr ...
Sichtungsfazit: eXistenZ hat mir schon beim ersten Sehen nicht gefallen. Der Eindruck hat sich heute noch einmal besätitgt. Leider. Cronenberg kehrt zu Darstellungsweisen und Motiven zurück, die er längst ad acta gelegt hatte. Zwischen sehr interessante psychologische Dramen wie "Crash" und "Spider" schiebt er einen Film, den er 1982 mit Videodrome schon einmal gedreht hatte.
Der einzige wirkliche Lichtblick ist Gas (Willem Dafoe). Fals alle anderen Charaktere und Darsteller nerven vor allem durch ihr Overacting. Ich wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass ich das alles (vor allem dieses Plakative Vorsichhertragen von Bedeutung und dieses dümmlichen Verschwörungsgeraune) doch als Ironie auffassen soll. Klappt aber irgendwie nicht.
Nach "Naked Lunch" für mich definitiv Cronenbergs schlechtester Film.

maX
#208
Geschrieben 24. September 2004, 17:00
Zugegeben: Gut ist der Film nicht. Zu viel Action, zu wenig Grusel. Aber ein Zeichen der Zeit: Die Zombie-Welle ist (mal wieder) vorbei und die Untoten müssen nun - bevor sie in der Versenkung verschwinden - vom Erzählvorwand zum Erzählhintergrund werden.
Was angenehm an RE2 ist, sind die Darsteller. Die spielen zwar nicht so gut, dass sie auffallen, aber entwickeln sich innerhalb ihrer Möglichkeiten und sehen toff aus.

Ich hoffe, Romero kommt mit seinem 4. Teil der Zombie-Saga nicht zu spät ... wenn keiner mehr Zombies sehen kann/will.
maX
#209
Geschrieben 26. September 2004, 10:23
Nach wie vor: ein genialer und gruseliger Film. Besonderes Highlight sind die shining'esken Hubschrauber-Draufsichten auf das sich im Wald verlierende Auto.

Und dass der Film so vieles in Andeutungen lässt (allein auf der Bild-Ebene, wo man an den Gesichtern der Protagonisten abzulesen gezwungen wird, was ihnen gerade geschieht), zeichnet den Film besonders aus. Dann noch ab und zu einmal ein verkohlter Arm, der von unten ins Bild ragt oder ein abgerissenes Ohr, das noch am Handy hängt, und der Horror ist perfekt.
Wer ihn noch nicht kennt: Meine dringende Empfehlung (auch gerade für abendliche Sichtungen mit Freunden/der Freundin)!
Mehr: meine Filmkritk
maX
#210
Geschrieben 26. September 2004, 10:34
Was mir gerade so auffällt: Eigentlich ist "Dead End" (Sichtung gestern) eine ziemlich gelungene Variante zu Herk Harveys "Carnival of Souls" (1962) ... eine viel bessere und gelungenere als Wes Cravens Remake.
"Carnival of Souls" ist wohl einer der letzten wirklich originellen klassischen Horrorfilme. Ein so zielstrebig und ästhetisch konsequent erzählte Geistergeschichte findet sich selten.
Bemerkenswert ist hier vor allem der Orgel-Soundtrack, der zeitweilig allein die Tonebene bestimmt und "Carnival of Souls" damit fast zu einem Stummfilm macht (in diesen Szenen hat er mich sehr an Dryers "Vampyr" erinnert). Die Kirchenorgel, die leitmotivisch den gesamten Film bestimmt, scheint mir auch die Handlungssphären des Films voneinander zu trennen: Die Protagonistin, die sich als nichtgläubige Kirchenorganistin verdingt, wird in einer Szene des Films so von "Geistern besessen", dass sie ihr "klassisches" Spiel unterbricht und eine äußerst gruselige Improvisation beginnt - woraufhin ihr Arbeitgeber (der Pfarrer) sie aus ihrem Job entlässt. Der eigentliche Grund ihrer Reise in die neue Stadt - nämlich diesen Job in der Kirche anzutreten - wird damit obsolet. Noch mehr als zuvor irrt die Protagonistin durch die Stadt, verfolgt von den Geistern ... und eben von der Orgelmusik.
Mehr Infos: Infos zum Soundtrack | Soundtrack bei Amazon
maX
#211
Geschrieben 27. Januar 2008, 11:11
Hand aufs Herz: Dieses Sequel hätte niemand gebraucht. Nach den beiden King/Romero-Episoden-Horrorfilmen "Creepshow I" und "Creepshow II" haben Clavell und Dudelson geglaubt, das Konzept noch einmal reanimieren zu müssen und einen Film mit 5 Kurzgeschichten nach dem bekannten Muster zusammengestellt. Dass die Geschichten durch gemeinsame Motive ineinander übergreifen und diese Übergriffe teilweise gar nicht so schlecht sind, ist noch das Beste an "Creepshow III". Doch schon bei den völlig willkürlichen Zeichentrick-Scharnieren, die die Stories miteinander verbinden, offenbart sich die Disparatheit des Ganzen. Und dann erst die Weise, in der die Episoden selbst gestaltet und erzählt sind: Man hat teilweise den Eindruck, da wären bloße Konzepte ohne genauen narrativen Umriss in Film ungesetzt worden. Mitten im Handlungsverlauf wird begonnen und - für die Gattung völlig untypisch - antiklimaktisch erzählt und mitten drin wieder abgebrochen, um zur nächsten "unvollständigen" Geschichte überzugehen. Als Ganzes kann man das kaum ertragen, so stümperhaft wirkt es. Das reißen auch die einigermaßen derben Ekel- und Splatter-Szenen nicht wieder raus. Nein, "Creepshow III" kommt mindesten 10 Jahre zu spät und hat genau das nicht, was ihn erfolgreich machen könnte: einen klassischen Horrorgeschichten-Erzähler wie Stephen King und einen versierten Horrorfilmregisseur wie George Romero.
Meine Kritik bei F.LM.
#212
Geschrieben 27. Januar 2008, 12:00
"Acacia" steht mit einem Bein in der tradition des ost-asiatischen Geisterfilms, in welchem Kindergeister immer wieder als Mahnung für begangenes Unrecht der Erwachsenen erscheinen ("Ringu", "Ju-On", ...). Mit dem anderen Bein - und das ist das formalästhetische - fußt Parks Film tief in der Tradition des europäischen und amerikansichen Böse-Kind-Film. Er erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, der von einem kinderlosen Paar adoptiert wird, sich jedoch nicht so recht in die Familie integrieren will. Sein einziger wirklicher Freund ist eine blätterlose Akazie, die im Garten des Hauses steht und von der der Junge glaubt, sie sei seine wirkliche, verstorbene Mutter. Als das Adoptivelternpaar ein eigenes Kind bekommt, wird der Junge mehr und mehr ausgegrenzt und läuft schließlich eines Nachts davon.
"Acacia" erzählt nicht nur in einem für das Sujet unglaublich ruhigen Tempo und setzt dabei voll auf seine Darsteller. Der Film besticht durch eine visuelle Erzählweise, wie sie nur selten in derartig konzentrierter Form zu finden sein dürfte: Schwenks, Fahrten, Zooms, Montage, Filter und etliche andere Elemente arbeiten konsequent mit an der Bilderverschwörung, die uns die psychischen Zustände der Protagonisten einerseits, die Unzuverlässigkeit des Erzählens andererseits transportiert. Ein besseres Filmbeispiel als dieses für visuell unzuverlässiges Erzählen im Film könnte ich für meine Übung im kommenden Semester kaum finden.
Meine ausführliche Kritik bei F.LM.
#213
Geschrieben 28. Januar 2008, 20:41
Trotzdem es das alles bei "Blair Witch Project" schon einmal gegeben hat und trotzdem der Vergleich mit den japanischen (und Emmerich'schen) Godzilla-Filmen mehr als nahe liegt, ist "Cloverfield" dennoch ein sagenhaft guter und origineller Film geworden. Das liegt vor allem an der Geste, mit der der Film die in ihm verhandelte Katastrophe als Angebot zur Verarbeitung eines gesellschaftlichen Traumas erzählt. "Cloverfield" bricht die auktoriale Überblicksperspektive der Godzilla-Filme auf ein menschliches Maß herunter, erzählt aus der Subjektive eines Terror-Opfer, das nie weiß, was als nächstes passiert und warum das alles geschieht und schreitet in seiner authentisierenden Ästhetik kompromisslos voran. Wie jeder gute Katastrophenfilm vergisst er bei all den großen Tragödien auch nicht die kleinen und entwickelt eine Geschichte von Liebe und Mut, die den erzählerischen Faden des Films bildet. Diese interne Erzählung wird wie der große Film drumherum ebenso von den Authentisierungen bestimmt, so dass das Schicksal der Protagonisten zumindest mir sehr nahe ging. "Cloverfiled" macht alles richtig, was ein solcher Film richtig machen kann. Er ist ehrlich seinen Zuschauern gegenüber, interessant und konsequent umgesetzt und fesselt bis zum letzten, unglaublichen Augenblick.
#214
Geschrieben 29. Januar 2008, 10:33
Erstaunlich schlecht hat den Stundenten meines Proseminars Fassbinders früher Film gefallen. Zu langsam erzählt, zu eintönig, zu vorhersehbar, aber vor allem zu offensichtlich in seiner gesellschaftlichen Kritik sei er gewesen. Dabei ist er doch vor allem letzteres erst, wenn man die Story als Allegorie zu lesen beginnt, wenn man aus Fox das Proletariat und aus den befreundeten Schnöseln die Bürgerlichen macht. Und selbst dann ist die Lektüre problematisch, weil immer noch ganz ungeklärt bleibt, wieso das Thema Homosexualität so "offensiv normal" verhandelt wird.
Es ist wohl so, wie bei vielen Fassbindern, dass man die Stoffe in einer spezifischen Weise als Provokationen eines Status Quo lesen muss; sicherlich eine etwas undifferenzierte und ziellose Provokation, weil sie sich gegen nichts und niemand Spezielles/n richtet, sondern lediglich den Terror der Heteronormativität anprangert. Insofern lassen sich selbst Western-Anspielungen, wie sie der Titel von "Faustrecht der Freiheit" ja ganz deutlich lanciert, Kriminalgeschichten ("Liebe ist kälter als der Tod") und sogar Melodramen ("Angst essen Seele auf") aus Fassbinders Frühwerk einem gemeinsamen Projekt zuschreiben. Ganz anders als etwa der Film der Nouvelle Vague werden die Genreklischees nicht mehr produktiv, sondern regelrecht destruktiv/destruierend aufgegriffen um das bundesrepublikanische Selbstverständnis und die eigentümliche Geschichtslosigkeit der 1970er Jahre anzugreifen. Der Konflikt, der beim Zuschauer entsteht, ist dann auch ein Resultat aus der Genre-Erwartungshaltung und dieser typisch Fassbinder'schen Enttäuschung derselben.
#215
Geschrieben 03. Februar 2008, 09:15
Wie gut sich Hardcore-Pornografie und anspruchsvoller Spielfilm miteinander verbinden lassen, hat Catherine Breillat ja bereits vorgeführt. Wer sich das Ganze auch noch einmal ansehen will und sich dabei zu amüsieren wünscht, dem empfehle ich Mitchells Meisterwerk “Shortbus”. Ein Film im Stil von “L.A. Crash”, der die Geschichten verschiedener Figuren, deren Leben sich vor allem um Liebe und Sex dreht, aufeinander zu führt, sie einander streifen lässt und als gereiftere Persönlichkeiten wieder voneinander trennt. Ein derartig humoriges, gleichzeitig melodramatisch intensives und erotisches Filmerlebnis habe ich bislang noch nicht gehabt. “Shortbus” operiert auf allen Affektebenen und ist darüber hinaus ein stilreiches Filmkunstwerk! Meine unbedingte Sehempfehlung.
#216
Geschrieben 03. Februar 2008, 10:33
Es wird wohl vielen meines Alters so gehen, dass sie "Die Mars-Chroniken" Anfang der 1980er Jahre im Rahme der 30-minütigen Zweikanalton-Testsendungen Nachmittags im ZDF kennen gelernt haben. Dort war unter anderem immer wieder jene Szene am Frühstückstisch zu sehen, in welcher der von den Toten zurück gekehrte David von seinem Vater nach seiner richtigen Identität befragt wird, hierüber jedoch schweigt und anstelle dessen mit einer vieldeutigen Handbewegung das Gespräch beenden will. Als der Vater nicht locker lässt, steht David auf und verlässt das Haus. Mutter und Vater stehen im Türrahmen und sehen ihm nach. Später wird David zurückkehren und sein Vater ihm versprechen, die Identität des verlorenen Sohnes nicht weiter zu bezweifeln und anstelle dessen das wiedergefundene Familienglück fraglos zu akzeptieren. An viel mehr konnte ich mich auch nicht erinnern, nur daran, dass ich die Serie dann auch einmal vollständig gesehen habe, wobei mir vor allem der Atomkrieg auf der Erde, der vom Mars aus durch ein Teleskop beobachtet wird, als Bild im Kopf haften geblieben ist.
Ich habe mir die "Die Mars Chroniken" vor kurzem auf DVD gekauft und nun ganz angeschaut. Der Dreiteiler, der versucht die episodisch in sich abgeschlossenen Kurzgeschichten Bradburys in einem Langfilm zu vereinen, besticht zunächst durch seine Besetzung, in der ich etlichen "apokryphen" Stars aus anderen Filmen wieder begegnet bin (Roddy McDowell aus "Frightnight", Wolfgang Reichmann aus "Woyzeck", Fritz Weaver aus "Creepshow", ...) und durch die für Andersons Filme spezifische Atmosphäre bitterer Ernsthaftigkeit, die mit dem auffälligen inszenatorischen Trash-Appeal der TV-Produktion konfligiert. Vieles in "Die Mars-Chroniken" wirkt fahrig erzählt, es gibt Ellipsen, die man erst zu einem viel späteren Zeitpunkt als es für die Erzählung gut ist, als solche erkennt. Figurenentwicklungen werden angedeutet aber nicht ausformuliert und der Narrator versieht das Ganze mit einem erzählerischen Überbau, der im Plot kaum nicht zu entdecken ist. Zudem sind die Spezialeffekte keineswegs auf der Höhe der Zeit und streckenweise regelrecht belächelnswert.
Und dennoch "zog" der Dreiteiler, was nicht nur an der verklärenden Kindheitserinnerung liegt, sondern vor allem auch an der zeitgeschichtlichen Relevanz, die schon in Bradburys Vorlage vorhanden war: Die Angst vor dem Atomkrieg und die mit den postcolonial studies aufkommende Erkenntnis, dass Kolonialisierungsprozesse stets Verlierer produzieren. Überdies führt die Serie eindrücklich die Fähigkeit des Menschen vor Augen, sich immer wieder selbst zu belügen, um den Seelenfrieden zu finden. Diese Momente (wie die oben geschilderte Frühstücksszene) gehören zu den stärksten Momenten der "Mars-Chroniken".
#217
Geschrieben 03. Februar 2008, 14:55
Atomic Journeys - Welcome to Ground Zero (USA 1999, Peter Kuran) (DVD)
Nukes in Space - The Rainbow Bombs (USA 1999, Peter Kuran) (DVD)
Drei Dokumentarfilme (einer von 1995, die beiden anderen von 1999) über dasselbe Thema bei cmv veröffentlicht: Atombomben-Tests. Das Material, das bei "Atomic Journeys" und "Nukes in Space" gezeigt wird, war bis kurz vor der Entstehungszeit der Filme noch geheim und von der US-Regierung unter Verschluss gehalten worden.
Alle drei Filme bestechen durch ihre nüchterne Berichterstattung, die die Entwicklung, die militärischen und zivilen Tests von Atomwaffen seit den 1950er Jahren nachzeichnet. "Trinity & Beyond" ist dabei wesentlich mehr von den zeitgeschichtlichen Bezügen geprägt: den kalten Krieg und die Frage der Abschreckungsfunktion der Waffen und ihrer Tests. Die anderen beiden Filme zeigen vor allem die Überlegungen, die vor und nach den Tests angestellt wurden: von physikalischen Beobachtungen in der Atmosphäre bis hin zu dem Traum mit Hilfe von Kernwaffen Landschaftsbau oder Ressourcengewinnung betreiben zu können.
Im Zentrum der Dokus steht natürlich das Bild der Atombombenexplosionen, immer wieder der aufsteigenden Rauchpilze, der Blitze, der schockartigen Druckwellen, die die Landschaft und alles, was sich auf ihr befindet, verformen und zerstören. Stets ist es das Erhabene, das bei diesen Aufnahmen mitschwingt, das die Kleinheit des Betrachters der immensen Größe der Explosion und ihrer Zerstörungskraft entgegen stellt. Die drei Dokus (von denen "Trinity & Beyond" schon länger als deutsche DVD erhältlich ist) enthalten kulturhistorisch und technologiegeschichtlich wichtiges Filmmaterial, das vom Regisseur eingermaßen sorgsam aufbereitet und zusammen gestellt und vom Sprecher (in der Originalfassung William Shatner) unaufgeregt kommentiert wurde. Sehr spannend und vielfältig ist auch das Bonus-Material der DVDs, das - etwa bei "Trinity & Beyond" ein 3D-Feature enthält (nur mit Rot-Grün-Brille zu genießen) oder ähnliche Entwicklungsgeschichten für die UdSSR zeigt.
#218
Geschrieben 06. Februar 2008, 23:01
Eine junge Frau zieht von der Stadt aufs Land, um dort an einem Roman zu arbeiten. Durch ihre autarke und freizügige Lebensweise erregt sie die Aufmerksamkeit von vier Freunden, die sie zunächst „nur“ belästigen und später schließlich mehrfach vergewaltigen. Als die Vergewaltigung beendet ist, wird der labilste der vier dazu auserkoren, die Frau zu erstechen, was er jedoch nicht tut. In der Annahme, das Opfer sei tot kehren die Männer zu ihrem gewohnten Tagesablauf zurück. Die Frau indes schmiedet, nachdem sie ihre Verletzungen auskuriert hat, Rachepläne, die sie auch in die Tat umsetzt: Sie ermordet einen Vergewaltiger nach dem anderen.
Der Plot von “I Spit on your Grave” könnte nur schwerlich simpler sein, schreibt die amerikanische Gender-Theoretikerin Carol Clover und vermutet, dass eines der verstörendsten Elemente des Films genau diese Einfachheit sei. Der Film wurde sowohl von der zeitgenössischen Filmkritik missverstanden als auch vom Münchner Amtsgericht, das den Film 1988 als Gewaltverherrlichung und Gewaltpornografie beschlagnahmt hat. Denn der Film lässt sich, wie sich bei genauerem Hinsehen zeigt, durchaus auch als ein Lehrstück über das Problem der lex talionis, also der Frage nach der ethischen Begründbarkeit von Rache, interpretieren. Dieser Lehrstück-Charakter offenbart sich auch beim genaueren Hinhören. Die Subtilität des Films lässt sich nämlich bis hin zu seiner Verwendung des Tons nachvollziehen: “I Spit on your Grave” kommt vollständig ohne extradiegetischen Soundtrack aus. Was zunächst vielleicht wie der Versuch dokumentarischer Authentisierung wirkt, stellt sich jedoch schnell als Kontrast-Ästhetik dar: Nachdem die Protagonistin ihr zweites Opfer in der Badewanne entmannt hat und es langsam verbluten lässt, legt sie eine Schallplatte mit der Arie „Sola Perduta Abbandonata“ aus der Puccini-Oper Manon Lescaut auf – der Todesarie. Die Rollen sind jedoch verkehrt worden: Während bei Puccini Manon vor Entkräftung stirbt und ihren Liebhaber zu sich ruft, entkräftet sich in “I spit on your Grave” der vermeintliche Liebhaber, gerade weil er die Frau zu sich gerufen hat.
Das Vergewaltigungs- und Vergeltungssujet lässt sich filmgeschichtlich bis zum ersten britischen Tonfilm, Alfred Hitchcocks Blackmail (von 1929), zurückverfolgen. Noch frühere Beispiele für das Motiv der sexuell missbrauchten Frau, die allerdings nicht explizit als Vergewaltigungsopfer dargestellt wird, finden sich zum Beispiel in Die weiße Sklavin von 1911 (ein Film, von dem übrigens Kafka derart stark affziert wurde, dass er im Kino geweit habe). Doch zurück zu Blackmail: hier liegen die (versuchte) Vergewaltigung und die Tötung aus Notwehr zeitlich noch so nah beisammen, dass der Revenge-Teil durchaus auch als Affekthandlung verstanden werden kann. Dies spielt für den weiteren Verlauf der Geschichte jedoch keine Rolle, denn die gezeigte Notwehr wird von einem Erpresser als Mord hingestellt und damit der Protagonistin Selbstjustiz unterstellt. Hier zeigt sich bereits deutlich, dass die Frage der dramaturgischen Kausalität ein wesentliches Faktum in solchen Narrationen darstellt.
In “I Spit on your Grave” ist der Fall klarer: Hier wird die Rache geplant und den Vergewaltigern „kalt serviert“. Das Bemerkenswerte in diesem Film ist die quasi-mathematische Arithmetik, nach der die Rächerin, ja sogar die gesamte Erzählung, verfährt: Der Film ist wie ein episches Drama gestaltet: Konzentration auf wenige (fünf) Figuren, klar strukturierter Handlungsablauf, Einbezug des Zuschauers durch wechselnde Subjektiven und vor allem: Es fehlt die Katharsis.
Die Katharsis, als der „ausgleichende Moment“ ist in den meisten „Rape and Revenge“-Filmen die erfolgreich vollzogene Rache des Opfers an seinen Vergewaltigern. Auch in “I Spit on your Grave” gelingt die Rache auf den ersten Blick und – wie uns der Hergang der Ereignisse glaubhaft machen will – sogar als ausgeglichene Bilanz: Vier Vergewaltigungen ziehen vier Morde nach sich. Diese Gleichung, die sich schon in Szenen zuvor durch Bezahlvorgänge angedeutet hat, ist jedoch kein rein ökonomisches, sondern ein moralphilosophisches Problem, das das Konzept des Retributivismus problematisiert. Denn die Rückzahlungsmetapher, so der Rechtsphilosoph Jean-Claude Wolf:
Zitat
Diese Arithmetik suggeriert auch “I Spit on your Grave” zunächst, indem sein Plot bis in seine zeitlichen Proportionen hin „ausgewogen“ ist: Die ersten 50 Minuten beschäftigen sich mit der Exposition und der Vergewaltigung, also im Sinne der Metapher mit der „Schuldanhäufung“; die zweiten 50 Minuten mit Rachevorbereitung und Rache, also der „Schuldeintreibung“. Doch was fehlt, um den Film als „klassisches Drama“ attribuieren zu können, ist das Finale, die Lösung, die „moralische Absegnung der Bilanz“. Denn am Schluss des Films, nachdem die Heldin über ihre Peiniger gesiegt hat, zeigt “I Spit on your Grave” keineswegs die Rückkehr der Frau in die Gesellschaft, die ihre Tat gutheißen oder verurteilen würde. Nein, vielmehr fährt die Frau mit dem von dem Männer erbeuteten Motorboot ziellos auf dem Fluss umher, in welchem sie ihre letzten Opfer versenkt hat , während die Schlusstitel über das Bild rollen. Von Ausgewogenheit also keine Spur.
Dieses Fehlen der Katharsis wird letztlich auch für die Rezeption des Films zum „Problem“, denn es erzeugt einen Mangel im Zuschauer, welcher der psychischen Situation des Rachsüchtigen entspricht:
Zitat
Der Rezipient, der sich ebenfalls in einer Situation befindet, die nach dramaturgischem Ausgleich sucht, steht dem „irrationalen“ weil (im Wortsinne) unökonomischen Ende des Films ratlos gegenüber. Dieser „Mangel“ ließe sich als passable Schnittstelle für den Anschluss an eine rechtsphilosophische Erörterung nutzen. Allein, “I Spit on your Grave” ist komplett verboten worden.
(Auszug auch meinem heute gehaltenen Vortrag im Hauptseminar “Gewalt und Geschlecht in deutscher und skandinavischer Literatur des Mittelalters und der Neuzeit” - zuvor veröffentlicht in Ästhetik & Kommunikation, Neft 125 (35. Jg), Sommer 2004, S. 39-46.)
Literatur:
- Wolf, Jean-Claude: Verhütung und Vergeltung. Einführung in ethische Strafthreorien. München: Alber 1991.
#219
Geschrieben 07. Februar 2008, 09:01
Robert van Ackeren hatte nach dem Aufruf, man solle ihm privat gedrehte Schmalfilme zusenden, Anfang der 1980er Jahre so viel Material erhalten, dass er daraus mehrere abendfüllende Kompilationsfilme hätte montieren können. Letztes Jahr, anlässlich der Produktionseinstellung "Kodachrome 40"-Kassetten, auf denen die meisten Schmalfilme gedreht wurden, hat sich van Ackeren erneut an den Schneidetisch gesetzt und eine Fortsetzung von "Deutschland Privat" erstellt.
"Im Land der bunten Träume" ähnelt dem Vorgänger in Aufbau und Sezenenauswahl. Dennoch merkt man schon deutlich, dass dieses Material die zweite Wahl ist; die Skurrilität und urtümliche Nostalgie der erste Sammlung besitzt die Fortsetzung nur noch streckenweise. Auch ist das Verhältnis der Lauflängen der einzelnen Episoden unterschiedlich. Der weitaus längste Beitrag, der von den Brautkäufen eines Mannes und seinen Eheschicksalen erzählt, bekommt indes schon einen richtigen Spannungsbogen und lädt zu Spekulationen ein. Besonders auffällig ist bei dieser Episode wie auch bei einigen anderen die durch die Off-Vertonung nachträglich eingefügte, offenbar unfreiwillige Komik in Wortwahl und Sprecherstimme.
Wie schon beim ersten Film stellen die Sex- und Privatpornoszenen auch bei der Fortsetzung den Appendix des Werks dar, auf den die Sammlung langsam aber zielstrebig zuläuft. Und auch hier regiert eher wieder das Mittelmaß, wenngleich gewagte "Montagefilme", wie etwa der einer nackten Frau, die mit ihrer Dogge schmust und uns durch ihre Mimik (irgendwann sieht man nur noch ihren Oberkörper und hört die Dogge nur noch bellen und winseln) insinuieren will, hier würde Sex mit Tieren praktiziert. Doch derartige "Tricks", die zumeist durch Montagen in der Kamera erzeugt wurden, hält der zweite Teil von "Deutschland Privat" häufiger bereit. Und das erhebt ihn in gewisser Hinsicht dann auch bereits vom Vorgängerfilm, in dem so etwas nur ein- oder zweimal zu sehen war: Die Schmalfilmer lernen mehr und mehr vom großen Kino, wollen nicht nur zeigen, sondern auch erzählen.
Meine Kritik bei F.LM.
#220
Geschrieben 10. Februar 2008, 14:46
Beim Umkopieren meiner VHS-Sammlung auf DVD habe ich mir den Film gestern mal wieder angeschaut. Erinnert hatte ich mich an einen düsteren Vorläufer vom "Club der toten Dichter"; wiederbegegnet ist mir "If...." dann allerdings als revolutionäre Variation des "Törless", einer Abrechnung mit der Vatergeneration, die sich neben dem Jugendrevolte-Sujet natürlich auch problemlos auf die filmhistorische Bewegung des Free Cinema, die Ende der 1960er Jahre ja bereits wieder abebbte, übertragen ließe. Die Konterrevolution, der die Revoluzzer im überaus surrealen Finale von "If..." ausgesetzt sind, ist gleichsam auch als Rückschlag des etablierten Produktionssystems gegen die filmischen Erneuerer zu lesen. Wer jedoch letztlich als Gewinner daraus hervorgeht, lässt Andersons Film offen.
#221
Geschrieben 10. Februar 2008, 16:30
"Godzilla steht für die Atombombe." Das ist eine vulgär-filmwissenschaftliche Binsenweisheit. Ganz im Sinne der Kracauer'schen Spiegelhypothese, nach der Film stets die gesellschaftlichen Strukturen und manchmal auch Ereignisse reflektiert, werden die japanischen Monsterfilme seit je her als Parabeln der Atomangriffe auf Hiroshima und Nagasaki gelesen. Man mag die Eindeutigkeit, die solche Lektüren oft begleiten, kritisieren; die Tatsache, dass sich diese Lesarten bis heute tradiert haben und sogar ihren Rückfluss in die Erzählungen selbst gefunden haben (einige Monsterfilme sind dazu übergegangen, die Menschen-gemachten Naturkatastrophen in ihren Plots zu verhandeln und den Umweltverschmutzern "Urgiganten" gegenüber zu stellen) ist unbestreitbar. Jüngstes Mitglied in der Monsterparabel-Filmfamilie ist Matt Reeves "Cloverfield", der bei der Codierung seiner Katastrophe derartig ausgeklügelt vorgeht, dass er der selbstreflexive Schlusspunkt des bisherigen Monsterfilms zu sein scheint..
Die Autoren von "Cloverfield machen keinen Hehl aus ihrem Godzilla-Bezug. So schildert der Produzent J. J. Abrahams, dass er während eines Japan-Aufenthaltes mit seinem Sohn in ein Geschäft geraten ist, in dem Godzilla-Puppen verkauft wurden. "It struck me that here was a monster that has endured, culturally, something which we don't have in the States", äußert er sich im Presseheft zum Film. Und dabei verfügen die USA seit dem 11. September 2001 doch selbst über ein so übergroßes kulturelles Trauma, dass ein Parabel-Monster längt fällig und wahrscheinlich sogar hilfreich wäre:
Zitat
Kann man sich, wie Abrahams es hier sagt, vornehmen, Angst mit Kunst zu bekämpfen und ein kulturelles Trauma offensiv ästhetisch zu be- und verarbeiten? Man kann - davon zeugt die Geschichte der Kunst-Psychologie und dass dazu nicht immer Therapeuten, sondern manchmal auch "Laien-Analytiker" in der Lage sind, hat bereits Sigmund Freud gewusst. Kunst ist von je her ein probates Mittel gewesen, psychische und kulturelle Probleme zu verarbeiten. Ja, vielleicht das ja sogar der primäre Anlass Kunst zu schaffen. Dass die Produzenten von "Cloverfield" gar kein Geheimnis daraus machen, warum sie einen solchen Film drehen, bestätigt nur, dass diese Funktion mittlerweile so stark reflektiert wird, dass sich ihrer jeder bewusst ist.
Doch der Film ist weit mehr als filmgewordene Kunstpsychotherapie. Er bricht das Monströse hinab auf die Perspektive des Einzelopfers, entwendet Hollywood den Überblick und zeigt eine Kamerafahrt von etwas mehr als 80 Minuten, einen Film, der im Aufnahmeapparat montiert wird, so Ellipsen erzeugt, die einen mitdenkenden Zuschauer fordern und Jump-Cuts am (im wahrsten Sinne des Wortes) "laufenden Band" produziert. Der Zuschauer, der das mit ansehen muss, wird nicht nur durch die Perspektivität geschüttelt, er wird auch durch die Zeitsprünge gejagt. Eine atemlose Hatz, die mir beim zweiten Sehen regelrecht Übelkeit verursacht hat. Doch die Verwirrung des Bildes geht noch "tiefer":
In "Cloverfield" überlagert ein Film einen anderen, welcher palimpsestartig immer wieder an die Oberfläche dringt und den Zuschauer nötigt, ihn mit dem Monsterfilm in Beziehung zu setzen. "Cloverfield" ist - mit diesen beiden Filmen auf dem Band - auch eine Reflexion über das Funktionieren von Katastrophenfilmen: die können nie nur im Großen, Erhabenen verharren, sondern müssen ihren Plot am Kleinen, am Einzelschicksal, am besten einer Liebesgeschichte entwickeln. ("Titanic" führt bravourös vor, wie das funktioniert.) "Cloverfield" hat auch so eine kleine Geschichte, der er mit der großen verbindet und diese kleine Geschichte ist es, die auf dem "Film unter dem Film" schlummert.
#222
Geschrieben 10. Februar 2008, 19:11
Von einem Film, der im Titel bereits einen produktionstechnischen Begriff enthält, hat man ein gewisses Maß an Selbstreflexivität in der Story zu erwarten. Die bedient “Final Cut” auch vom ersten bis zum letzten Bild, denn der Film erzählt vom Hobbyfilmer Jude (Jude Law), der jung und offenbar unerwartet verstorben ist, der Nachwelt, das heißt seiner Frau Sadie (Sadie Frost) und seinen Freunden jedoch einen selbstgedrehten Film hinterlassen hat. Die Witwe lädt nun all diese Freunde zur Trauerfeier ein, auf deren Höhepunkt - es soll der letzte Wille des Verstorbenen gewesen sein - sie den Film vorführt. Was sich dann ereignet, hat sich bereits in einigen Cut-ins, die wir, die Zuschauer von “Final Cut” zuvor schon zu sehen bekommen haben, angedeutet: Nacheinander werden alle Freunde und deren Partner von Jude bloßgestellt. Er filmt sie mit oder ohne dass sie es wissen, auf der Toilette, während sie stehlen, während sie übereinander lästern, während sie sich gegenseitig die Partner auszuspannen versuchen, während sie Verbrechen begehen, beim Geschlechtsverkehr, bei der Masturbation. Reihum wird jeder der Anwesenden Trauergäste vom gezeigten Video kompromittiert, ohne dass er oder sie sich dagegen wehren kann, denn ein kräftiger Freund der Witwe hält jeden, der der Situation entkommen will, mit körperlicher Gewalt im Raum.
mehr: F.LM
#223
Geschrieben 10. Februar 2008, 19:22
Der letzte Film in der Screening-Reihe meines Proseminars verhandelt Autorschaft als zentrales Thema auf mehreren Ebenen und unter mehreren Perspektiven. Das herauszuarbeiten und als Konsequenz eines zunehmend unsicher gewordenen Autorenkonzeptes und -selbstverständnisses darzustellen, ist mir hoffentlich gelungen. "Adaptation" macht - wie jeder Charlie-Kaufmann-Film - seinem Interpreten schwer, mehr aus dem Film herauszulesen, als vielleicht darin deponiert wurde. Angesichts der Tatsache, das der "Deponent" aber so derartig fragwürdig geworden ist, kann daraus auch schon beinahe wieder eine neue Lust entstehen, den Film zu dekonstruieren, ihn überzuinterpretieren, um zu schauen, wie weit sich sein Konzept treiben lässt. Zum Beispiel: Ein Student hatte die besonders pfiffige Beobachtung gemacht, dass Donald Kaufman sich im Verlauf der Filmhandlung mehr und mehr erhebt, hocharbeitet vom kriechenden Lurch (anfangs sehen wir ihn durch die Wohnung robben) bis zum aufrechten Autor und damit das Thema der Evolutionstheorie, das den Film durchzieht, schon wieder aufnimmt.
#224
Geschrieben 12. Februar 2008, 12:53
Die verbotene Frage (Forbidden Quest, NL 1993, Peter Delpeut) (VHS)
Der eiskalte Tod (USA 1973, Jerrold Freedman) (VHS)
The Cold Hour (La Hora Fría, Spanien 2006, Elio Quiroga) (DVD)
Eines der unbestrittenen Highlights des letztjährigen Fantasy-Filmfests, "The Cold Hour" ist schneller als erhofft auf DVD erschienen. Vorgestern Abend habe ich den Film noch einmal gesehen. Ganz so stark wie beim erstem Mal hat er - und vor allem seine Schlusspointe - nicht mehr gewirkt, weil der Überraschungseffekt natürlich weggefallen ist. Dafür hat sich aber die soziale Struktur der im Keller verbarrikadierten Gruppe deutlicher herausgeschält, weil ja nun klar ist, wo und warum sie sich verstecken. Es ist wohl aber ein offenes Geheimnis - zumindest für die Protagonisten, die ja auch alle ein Leben vor dem großen Krieg gehabt haben. Diese Selbstverständlichkeit trifft dann allerdings doch wieder wie ein Schock: dass dieser vielleicht allerletzte Schlupfwinkel der Menschheit seine Sicherheit verloren hat und es weder ein Vor noch ein Zurück geben kann.
Zwei kleine Seltenheiten sind gestern den Weg vom Video zur DVD gegangen und beide noch einmal geguckt worde. "Die verbotene Frage" ist eine recht ausgeklügelt inszenierte Mockumentary, die aus einem gefakten Interview mit einmontierten Film-Sequenzen aus frühen Polfahrerfilmen eine Horrorgeschichte konstruiert: Bei einer geheimen Fahrt der "Hollandia" an den Südpol verschlägt es einen Zimmermann (einziger Überlebender und daher Interviewpartner) mit einem besessenen Kapitän in die Unwirtlichkeit der Antarktis. Nach und nach sterben alle Expeditionsteilnehmer, teils vor Erschöpfung, teils, weil sie das Fleisch eines Tieres gegessen haben, dass sie dort unten wider Erwarten vorgefunden haben: ein Eisbär - jedoch physiognomisch gänzlich anders geartet als seine Nordpol-Vettern. Zudem finden sie auf ihrem Weg ins Innere des Kontinents eine abgeschiedene Eskimo-Siedlung, deren Bewohner sich merkwürdig verhalten und einen riesigen, unmöglich geformten Fischschädel anbeten. Delpeut konstruiert eine Horrorsaga aus Versatzstücken von Poe und anderen Schwarzromantikern und kombiniert sie mit den Geschichten der wahrlich "sagenhaften" Polfahrten des frühen 20. Jahrhunderts.

"Der eiskalte Tod" spielt irgendwo in den verschneiten Gebirgen (der Rocky Mountains?) in einer Forschungsstation, in welcher Affen Hunger- und Kälteexperimenten ausgesetzt sind. Zwei Wissenschaftler sollen ergründen, warum sich der Forscher von der Station mehr meldet und finden dort eine Leiche vor. Sie nehmen dessen Arbeit wieder auf und geraten nach und nach in unheimliche Situationen, für die sie einander die Schuld geben. Als es schließlich zum Zusammenbruch der Soziosphäre kommt und einer dem anderen Mordabsichten unterstellt, entdecken sie, dass sich der Spieß umgedreht hat. Längst sind sie die Versuchskaninchen von Hunger- und Kälteexperimenten geworden. Ein nach wie vor unglaublich bedrückender und suggestiv inszenierter Eis-Gruselfilm, der mit ein Vorbild für Carpenters "The Thing" gewesen sein dürfte. Der atonale elektronische Soundtrack von Gil Mellé, die Ambientgeräusche (Wind und Schneesturm) schaffen zusammen mit der kammerspielartigen Inszenierung vom ersten Augenblick eine bedrückende Atmosphäre. Ein ganz großer kleiner Film!
#225
Geschrieben 13. Februar 2008, 16:37
Zur Entstehungszeit des Films war der atomare Holocaust oft so spürbar nah, dass ich fast täglich damit gerechnet habe, dass die Welt untergeht. Sicherlich: Ein Großteil dieser Befürchtung basierte auf meinem noch recht kindlichen Bewusstsein und dem Unverständnis der internationalen Politik - und vielleicht auch auf der beginnenden Pubertät. Wenn ich mir aber heute "Das letzte Testament" ansehe, dann wird diese Angst wieder spürbar, als wäre sie immer noch real.
Das liegt nun aber daran, dass der Film all das richtig macht, was "The Day After" vernachlässigt hatte, weil er gleichzeitig Katastrophenfilm und Tragödie sein wollte. Littmans Film beschränkt sich auf den zweiten Aspekt, zeigt eine Familie in einer kalifornischen Kleinstadt, die aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung von einem Atomangriff in weiter Ferne überrascht wird, so dass zunächst nur der Blitz zu sehen ist. Nach und nach beginnt jedoch der Zerfall. Zuerst sterben die Kinder und die Alten an der Strahlenkrankheit, dann bricht das soziale Gefüge zusammen, die Menschen taumeln wie in Trance durch die Straßen und können in ihrer Not Recht und Unrecht nicht mehr voneinander unterscheiden. Der Frau, deren Schicksal wir miterleben, sterben die eigenen und die zur Pflege aufgenommenen Kinder, die sie schließlich selbst begraben muss. Und trotzdem versucht die Kraft nicht zu verlieren und klammert sich an die vage Hoffnung, dass ihr Mann vielleicht doch noch von seiner Geschäftsreise zurückkehrt, zu der er am Morgen des Weltuntergangs aufgebrochen war.
Die Vagheit über die Situation, ob es nun ein Krieg, ein Unfall oder Terrorismus war, die den Atomschlag ausgelöst haben, das Wegbrechen aller Kommunikationsinfrastruktur, das Absterben der letzten Funkkontakte zu anderen Orten und der sichtbare aber unaufgeregt inszenierte Verfall machen "Das letzte Testament" zu einem gleichermaßen beklemmend realistischen und tief traurigen Film. Als das erste Kind stirbt, erreicht die Trauer ihren Höhepunkt und man mag kaum glauben, dass es noch schlimmer kommen könnte. Es kommt jedoch schlimmer, denn es setzt eine fürchterliche aus der Rationalität und der Ohnmacht geborene Pragmatik ein, die keine weiteren Tränen zulässt, die sich um die Nahrungsvorräte sorgt, sich um den Verbleib der Leichen kümmert, in der jeder sich selbst der Nächste ist. Der Pathos ist unaufdringlich aber gleichzeitig unabweisbar, denn jeder humanistischen und familiären Geste der Heldin wird die absolute Sinnlosigkeit der Situation entgegen gestellt. Selbst das Schlimmste, was eine Mutter wohl miterleben muss, dass ihre Kinder für ihr Leben keine Zukunft mehr sehen und sterben wollen, kann sie nicht erschüttern.
Der Höhepunkt ist für mich in der Szene erreicht, in welcher die Mutter mit ihrer vielleicht 12-jährigen Tochter über die Liebe spricht, ihr verspricht, dass auch sie das fühlen werde und die Tochter nur resigniert antwortet, dass sie das nicht glaubt. Einige wenige Szenen später näht die Mutter ihren Leichnam in ein weißes Bettlaken ein. Als der Film gedreht wurde, war ich auch erst 12.
#226
Geschrieben 21. Februar 2008, 10:28
Peter Sellers, Woody Allen, Orson Welles und Daliah Lavi fehlen in der Neuadaption von “Casino Royale” zwar, aber das wird wett gemacht durch einen überaus sympathisch gezeichneten Bond-Darsteller. Leider findet der Film aber sein eigenes Ende nicht und leider scheint die Blu-ray nicht in 24p gemastert zu sein, was diejenigen Szenen, derentwegen sich die Anschaffung lohnen würde, zu einem ruckligen Missvergnügen macht. Na ja, ich war nie ein Bondfan und werde auch keiner, weswegen ich den Film ohnehin nicht kaufen würde.
#227
Geschrieben 23. Februar 2008, 09:06
Boy eats Girl (Irland/UK 2005, Stephen Bradley) (DVD)
Beide Filme liefen derartig nebenher, dass ich weder behaupten kann, ich hätte sie gesehen noch das Gegenteil richtig wäre. Ich poste dennoch einen Filmtagebuch-Eintrag, damit ich mich öffentlich für mein Verhalten schämen kann und gelobe, dass ich beiden Filmen noch einmal volle Konzentration angedeihen lasse (zumal ich letzeren noch besprechen muss).
#228
Geschrieben 23. Februar 2008, 09:09
… über “2001″ ist schon so vieles geschrieben worden, dass beinahe zwangsläufig jedes weitere Wort zu dem Film zur Wiederholung wird. Ich hole für mich aus der Sichtung die Feststellung, wie sehr “2001″ doch Vorläufer für Kubricks darauffolgende Filme gewesen ist. Das lässt sich schon an einzelnen Momenten festmachen, etwa wenn sich Dave Bowman auf seiner Ruheliege flätzt und damit in Mimik und Körperhaltung zum “Vorbild” für Alex in “Clockwork Orange” wird. Oder wenn die Kamera ihn beim Jogging durch das Raumschiff-Rondell verfolgt wie Jahre später den kleinen Danny durch die Flure des Overlook-Hotel in “The Shining”. Und dann habe ich gestern erstmals diesen “typischen Kubrick-Blick” auch in “2001″ wiederentdeckt:

Nicht unerwähnt sollte bleiben, wie großartig die Präsentation des Films auf Blu-ray ist. Was für die Publikation da noch einmal aus dem Material herausgekitzelt wurde, ist unbeschreiblich!
#229
Geschrieben 23. Februar 2008, 09:11
Das Offensichtlichste fällt - Poes “entwendeter Brief” belegt das - selten gleich auf. Und so ist das auch mit einem im Zombiefilm seit den Anfängen vertretenen Motiv, das mir bis zur neuen Sichtung von “Fido” nicht aufgefallen wäre, hätte es mein Filmabend-Gast Benjamin nicht zuerst bemerkt: Zombiefilme sind zuallererst immer auch Familienfilme. Vom Besuch der Kinder am Grab des Vaters und dem späteren Drama im Keller in “Night of the living Dead” über die Warnhinweise in “Dawn of the Dead”, dass die zurückgekehrten zwar aussehen wie Verwandte, es aber nicht sind, bis hin eben zu “Fido”, in dem die selbe Warnung auch noch einmal formuliert wird: “This isn’t the man you married!” - Das Familienthema lässt sich in vielfältigster Ausformung in den allermeisten Zombiefilmen finden. Die Frage war nun: warum?
Der Ansatz einer Antwort beginnt mit einem Kalauer, der mir unwillkürlich in den Sinn gekommen ist: Wenn ein toter Verwandter seiner Familie als Wiedergänger erscheint, dann hat das im Horror-Genre zumeist mit dem schlechten Gewissen der Überlebenden (zumeist Erben) zu tun. Der moderne Horrorfilm, der vor allem für sein schonungsloses Ausbuchstabieren latenter psychischer Mechanismen bekannt ist, macht diese “Gewissensbisse” am Beispiel des Zombies manifest. Die Toten kehren zurück und holen sich das von den Lebenden, was sie nicht mehr haben: eben das Leben. Wo ist hier das schlechte Gewissen? Vielleicht in der Tatsache, dass seit der Säkularisierung der Tod eben nicht mehr als Übergang in das ewige Leben gesehen wird, sondern als definitives Ende. Der “Mehrwert”, den das Leben dadurch gegenüber dem Tod erhält, wird in den säkularisierten Gesellschaften zu einem ambivalenten Reichtum. Die Existenzialisten sehen sich ins Leben “geworfen” (Heidegger), die Fatalisten finden keinen Sinn für eine endliche Existenz, an deren Ende alles verloren geht, was erworben wurde - allenfalls zugunsten eines (die ontogenetische Existenz überschreitenden) evolutionären Fortkommens und der ebenfalls nur auf Zeit angelegten Vermehrung des Reichtums der Erben.
Wenn der Tod aber nichts und das Leben alles ist, dann hat der Sterbende allen Grund neidisch auf die Lebenden zu sein. Und tatsächlich kennt die Sterbeforschung auch eine Phase des Zorns auf die Überlebenden. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Vermutung, dass das schlechte Gewissen der Lebenden gegenüber den Toten eine Projektion des eigenen Sterbens ist. Der Zombiefilm wird damit zu einem Was-wäre-wenn-Spiel, in welchem zwar nicht die Möglichkeit eines ewigen Lebens aber einer ewigen Zornes-Phase des Sterbens bebildert wird. Die “Hölle der lebenden Toten” das sind die lebenden Anderen. Wenn der Tod, wie im Zombiefilm, Familienmitglieder trifft, die “noch nicht dran” gewesen wären, also vor allem Liebespartner und Kinder, dann verstärkt diese Projektion noch den Eindruck der Sinnlosigkeit und Verschwendung von Ressourcen, Möglichkeiten und (familiär-emotionaler) Investitionen. Der Tod als abstraktes Phänomen wird gegenständlich und in der Unperson des zombifizierten Familienmitgliedes kalkulierbar. Mit dem neuerlichen Töten des lebenden Toten macht man ihn nicht nur zu einem toten Toten, sondern man schreibt ihn ab.
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