Hi maX,
ich fühle mich gerade wie David gegen Goliath aber ich probiere es trotzdem mal, Dir Paroli zu geben...
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Na ja, das eine muss ja nicht zwangsläufig mit dem anderen zu tun haben: Great und Filmwissenschaftskanon muss nicht unbedingt deckungsgleich sein (zumal nach einem eher kulturwissenschaftlichen und weniger kunsthistorischen Verständnis von Filmwissenschaft, wie ich es pflege

)
Ich wollte hier lediglich Eberts Filmgeschmack verteidigen, da er oft lediglich nach seinem Sternchen-Bewertungssystem gemessen und kritsiert wird. Vergleicht man die Liste mal mit den Filmklassikern aus den Reclam-Bändchen und den Top 250 von Imdb, dann sieht man recht schnell, dass er dem Reclam Bändchen viel näher steht. Von wegen Oscar-Preferänzen... Zu seinem Star-System äußert er sich auch ständig. In der aktuellen Movie-Answer-Man-Kolumne (auch so ein Beispiel: Eber ist ein Mann des Volkes) schreibt er dazu folgendes:
"I consider stars to be relative to genre, not absolute; since "Spider-Man 2" was one of the best movies ever made about a comic book superhero, I gave it four stars. If stars were absolute and four stars were calibrated at the level of "The Godfather" or "Citizen Kane," there might be years without a single four-star movie."
http://www.suntimes.com/output/answ-man/sh...ay-ebert22.html (ganz unten)
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Und auch hier würde ich wieder das eine nicht mit dem andern verbunden wissen wollen: erfolgreich und populistisch kann und darf nicht dasselbe sein. Erfolgreich ist für mich eine Kritik, die den Film - auf welche art auch immer - zu "packen" bekommen hat. Sei's nun in Form von Kritik oder Analyse. Geschwafel, wie es Ebert streckenweise produziert ist sehr weit davon entfernt "erfolgreich" zu sein. Da wäre der Vergleich mit dem Filmdienst (der seinen Gegenstand ja stets ernst nimmt) unangebrachter als zum Beispiel der mit der Cinema.
Ebert versteht sich ausdrücklich als Dienstleister. Er möchte seiner Leserschaft Filme nahe bringen. Auch Filme, die sie sonst nicht sehen würde. Er ist in dieser Hinsicht sowohl aufklärend als auch didaktisch. Um mal ein polemisches Beispiel zu nehmen: Ebert ist der Grundschullehrer, der den dummen Kids von heute beibringt, dass es auch Filme abseits eines "2 Fast and 2 Furious" gibt und Jessen/Kothenschulte/Seeßlen und Kosorten (die ich auch sehr gerne lese) sind Uni-Profs. Um aber in den Genuss von ihren Lehren zu kommen, muss man studieren. Was ich damit sagen will ist, dass Ebert die Schnittstelle zwischen Film und Volk ist. Und das finde ich schlicht gut. Keiner von uns kann mit Kuhlbrodts anfangen. Jeder fängt klein an. Und auch Du hattest sicher Freunde und Bekannte, die dir Lektüren- und Filmtipps gegeben haben, die dir den Weg ins Horror-Genre geebnet haben.
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Also ich weiß nicht, wie es anderen hier geht, aber ich suche diesen Kritiker in Deutschland nicht. Mir sind 100 Kritiker vom Schlage Kuhlbrodts lieber als ein Ebert, der zwar erfolgreich und populär ist, aber dessen Projekt die Textsorte Filmkritik beschädigt gerade dadurch, dass er sie so in die Popularität drängt. Dann unterliegt man nämlich irgendwann äußerlichen Zwängen und muss schreiben, was die Leser von einem erwarten (das Beispiel Cinema greift wieder). Das kann sich weder der Film noch die Cineasten wünschen.
Ich verstehe Film nicht als elitäre Kunst. Ich habe auch mit Cinema angefangen. Auch dieser Satan der Filmkritik hat einige Engel gelobt: ohne Cinema wäre ich heute nicht Student der Filmwissenschaft. Es waren die hervorragenden Kritiken zu Peter Jacksons Heavenly Creatures und Tykwers Winterschläfer, die mich dazu bewegt haben, mal nicht nur in den neuen Spielberg oder Cameron zu gehen. Ob die Kritiken im nachhinein inhaltlich und stilistisch "gut" waren, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass sie mich inspiriert und beeinflusst haben. Heute fände ich die Kritiken vermutlich auch qualitativ minderwertig aber das ist eben nicht der Punkt. Cinema mit Filmdienst zu vergleichen ist eben wie Äpfel mit Birnen vergleichen, oder eben Ebert mit Kothenschulte. Ebert ist der Einführungskurs. Kothenschulte der Magister.
Im übrigen gibt es immer auch zwei Sichtweisen. Eine, die lediglich von den Filmen ausgeht und eine die von Deutschland als Medienstandort ausgeht. Filmkritik hat hier zu Lande kaum einen Einfluss. Wenn ein Kritiker in Berlin einen Film nicht gut findet, kümmert das einen Frankfurter Schreiblerling herzlich wenig und einem Münchner Leser noch weniger. Populistische Filmkritik die an eine bestimmte berühmte Persönlichkeit gekoppelt ist (wie eben bei Ranicki in der Literaturkritik) könnte ein Interesse in der Masse hervorrufen. Die Deutschen waren mal ein Volk von Kinogängern. Es wäre sehr schön, wenn dies wieder so werden würde. Und eine elitäre, hoch anspruchsvolle, kulturwissenschaftlich und idiologiekritische Filmkritik für eine Minderheitenleserschaft kann dies leider heutzutage nicht bewerkstelligen. Es braucht eben einen Funken, um ein Feuer zu schlagen...
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Also ich glaube ja, dass nicht die Kritiker, sondern die Filme Cineasten geschaffen haben.
Wie ich oben bereits ausgeführt habe, kann ein Film nur jemanden zum Cineasten werden lassen, wenn der Film auch gesehen wird. Ich bin überzeugter Schopenhauer-Jünger und glaube, dass man als Mensch (ok, nur fast) vollständig von äußeren Bedingungen determiniert wird. Ohne meine Freunde, die mir zur richtigen Zeit, die richtigen Bücher zum Lesen gegeben hätten oder ohne jene Cinema, durch die ich damals (als es das Internet noch nicht gab...) auch auf Filme aufmerksam geworden bin, die nicht in unserem Dorfkino liefen, wäre ich heute sicher noch Finanzbeamter (kein Scherz!) mit Realschulabschluss. Aber der richtige Imput zur richtigen Zeit hat mich dazu gebracht mein Abi nach zu holen und nun Filmwissenschaft zu studieren. Die Filme, die ich heute liebe, hätten mich nie zum Cineasten gemacht, wäre nicht jemand da gewesen, der mir von ihnen erzählt hat. Und wer nicht im richtigen Umfeld aufwächst, für den kann ein Roger Ebert ein solcher jemand sein. Ach, wie schön pathetisch klang das jetzt, nicht?
"Nobody's perfect. There was never a perfect person around. You just have half-angel and half-devil in you." (Linda in Days of Heaven)