Der Außenseiter sagte am 07.02.2009, 23:40:
bekay sagte am 07.02.2009, 23:38:
Ich bin dem aber heute in einem kleinen sozialen Experiment, indem ich "normale" Menschen (= Menschen, die keine "alten" oder gar Schwarz-Weiß-Filme schauen) diesem Film aussetzte, ein bisschen näher gekommen. Die Beobachtung war sehr interessant...
Solche Beobachtungen und anschließenden Gespräche finde ich auch immer sehr interessant. Wenn Du mal Lust hast, kannst Du gerne ein wenig berichten.
Das Gespräch danach war nun nicht unbedingt erzählenswert, ich hab nur einige Fakten (die erste Klo-Einstellung Hollywoods, die Verwendung des Wortes Transvestit usf.) recht hemdsärmelig erklärt. Nein, eher die Reaktionen während des Filmes waren wirklich, ja, einfach schön. Ich muss dazu sagen, dass ich einmal ein Tyrann war, was die häusliche Sichtung von Filmen mit Freunden/Familie angeht. Da habe ich Gequatsche, m.M.n. unpassendes Gelache usw. unterbunden. Mittlerweile weiß ich, dass man Interesse am Film bei anderen nicht oktroyieren kann. Entweder funktioniert es, oder eben nicht. Bei Psycho hat es - in der Gesamtbetrachtung - funktioniert. Dabei wurden Saul Bass' "schnittige" Openings Credits nicht einmal beachtet. Man redete noch miteinander, über dies oder jenes, es hatte nichts mit dem Film zu tun. Ich mache bei sowas natürlich nicht mit, gebe jedoch eine kurze Antwort, wenn das Wort an mich gerichtet ist, um mich dann wieder auf den Bildschirm zu konzentrieren. Marion Cranes anfängliche Unterhaltung mit ihrem Liebhaber wurde als mit der Zeit langweilig und vollkommen sinnlos betrachtet - klar, der handlungslogische Zugang ist wohl recht verbreitet und die "normale" Art, einen Film zu verstehen. "Wozu das eigentlich?" wurde gefragt. Dann im Büro, mit dem texanischen Ekel, welches Marion regelrecht belästigt, wird klar, wie Synchronisation Bedeutung ändern kann: Der Texaner wird sehr bedüdelt gesprochen und nimmt einiges der Ekelhaftigkeit des O-Tons - er wirkt sehr lächerlich. Marion zuhause, den Koffer packend, nun kommen die BHs zum Wort - richtig so. Marion im Auto die Stadt verlassend, von ihrem Chef, der über die Straße läuft, entdeckt - problemlos wird das Zitat in Pulp Fiction erkannt, überhaupt werden die intertextuellen Bezüge geradezu leichthändig identifiziert. (Von Busta Rhymes'
Gimme Some More bis zu Dr. Loomis in
Halloween; ich entdecke sowas eher schwerfällig, da war ich sehr begeistert von meinen Freunden.) Die Autofahrt mit Marions imaginierten Gesprächsfetzen, die schon ihre Angst und einsetzende Schuld symbolisieren, ist die wohl erste Sequenz, die gespannt geschaut wird. Beim Streifenpolizisten, der Marion verdächtigt, kommt wieder die Synchro zum Tragen: Seine recht milde und sanfte Stimme lässt vollkommen die Härte des O-Tons vermissen, die den Verdachtsmoment im Film so spannend macht. Mir wird nahegelegt, dass es eher so scheint, als ob der Polizist sie sexuell belästigt, "etwas von ihr will". Interessante Sicht-/Hörweise. Mit der Ankunft im Bates-Motel wird es aber stiller - beim Dialog zwischen Crane und Bates im Wohnzimmer mit den ausgestopften Vögeln, spürt man das Bedrohungspotential geradezu ins echte Wohnzimmer hinüberschwappen. Der Mord in der Dusche wird mit Spannung erwartet und schweigend geschaut. Danach die Bemerkung, der Film sei aber schon sehr brutal. Das Schnittgewitter bleibt wohl zeitlos und in seiner suggestiven Wirkung noch immer erschreckend gewaltig und gewalttätig. Bates darauffolgende Beweis-Beseitigungs-und-Bad-Wisch-Aktion wird in absoluter Stille und Bewegungslosigkeit verfolgt. Hier scheint der Film am intensivsten zu fesseln. Auch bemerke ich, dass es kein Problem darstellt, dass nach der Hälfte des Films die eigentliche Identifikationsfigur und bisherige Führerin durch die Handlung versumpft... die Sympathien sind nun bei Bates. Zu bemerken an der sichtlichen Erleichterung, als das Auto doch untergeht, nachdem es kurz damit drohte, nicht vollkommen im Sumpf zu versinken. Die nun beginnende zweite Hälfte, die Perspektive von Marions Schwester, ihrem Freund und dem Privatdetektiv Arbogast einnehmend, ist ein Neuanfang, der sehr auflockernd wahrgenommen wird. Es wird zwar weiter mit Interesse geschaut, aber nun wieder etwas flappsiger. Das wird einmal vom zweiten Mord überdeckt - als Bates parallel zu Bernhards aufschreienden Violinen aus dem Zimmer stürzt, um Arbogast zu erstechen, ist ein echter Schockmoment geschaffen, der wahrlich noch heute erstklassig funktioniert. Zusammenzucken garantiert ©1960. Die "Enthüllung" im Keller - trotz einer wohl natürlichen Antizipation durch popkulturelle Allgemeinbildung - wird ebenfalls wirkungsvoll wahrgenommen. Unbedingt erwähnenswert: Die Ausführungen des Psychologen über den mentalen Zustand Bates am Ende des Films werden gnadenlos ausgelacht und als redundant empfunden. Populärpsychologisches Wissen ist wohl nun so verbreitet und in Filmen/Serien im Hintergund immer aktiv und als Erklärungsmuster präsent, dass die langen Ausführungen wohl nicht mehr ernst genommen werden können. Die finale Zufahrt auf Bates Gesicht hingegen, während er als Mutter seinen bedrückenden Schlussmonolog hält, regiert dann zuletzt doch...