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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände

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MHT: D.O.A.


Opfer der Unterwelt // Rudolph Maté // USA 1950

Für Frank Bigelow erweist sich die Entscheidung zu einem Kurztrip nach San Francisco als recht fatale Entscheidung: mixt ihm doch glatt jemand irgendein leuchtendes radioaktives Zeugs in seinen Bourbon. Weil er sich durchaus nicht ganz wohl fühlt, konsultiert der gute Mann eben den nächstbesten Arzt und erfährt, dass er nur noch ein paar Tage zu leben hat. Auch eine Zweitmeinung vermag an diesem dunklen Schicksal nichts zu ändern. Hinfort verbringt er den Rest seiner Tage, die Hintergründe dieses Ereignisses zu recherchieren.

Dieser klassische Film noir stellt die klassischen Fragen: Wer? Wo? Wann? Warum? und gibt einerseits recht eindeutige Hinweise: eine eigentümlich heitere Party im Hotel, eine Jazzbar, ein vermeintlicher Selbstmord, eine scheinbar nichtsahnende Geliebte... Gleichzeitig wird der Plot um gestohlenes radioaktives Material aber etwas kompliziert, der Protagonist gerät in eine Menge Ungemach (was ihm angesichts seines baldigen Endes wiederum ziemlich egal ist), und so recht klar, worum es eigentlich geht, wird es einem bei der Erstsichtung nicht.

Die Handlung spielt sich zum Großteil in beengten Innenräumen ab, wie schon die Einleitungssequenz, indem Bigelow das Morddezernat aufsucht, um seine eigene (langsame) Ermordung zu melden, zeigt. Hinfort sind also auch diverse Hotelzimmer, Gänge, Arztpraxen, Fabriken und Büros Schauplatz. Und so, wie der Protagonist durch die Kulissen stolpert, ergeht es auch dem Zuseher in diesem Verwirrspiel. Besonders hervorzuheben sind hier die Sequenz in der Bar, in welcher die Band eine extatische Perfomance darbietet, und die Flucht vor einem psychopathischen Mörder (Malkovich smile) in einen Supermarkt.

Klassisch und routiniert insenziert von Rudolph Maté. Es zahlt sich eben doch aus, wenn man als Regisseur einen fundierten background als Kameramann vorweisen kann. Ernest Laszlo (u.a. Das Narrenschiff) zeichnet hier für diesen Posten verantwortlich. Der Zuschauer ist immer ganz nah am Geschehen, die Bildgestaltung ist so unaufdringlich wie effektiv. Ganz spontan sei in diesem Zusammenhang der Raumgestaltung noch eine Assoziation zu Wilders Kultklassiker Sunset Boulevard genannt.

Rudolph Maté Film noir begrenzter Raum Magical History Tour


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The Grandmaster


Wong Kar-Wai, VR China / HK, 2013

Wongs Version über Leben und Wirken von Ip Man, seines Zeichens legendärer Kampfkunstlehrer, dessen bekanntester Schüler Bruce Lee war. Ähnlich wie in Wilson Yips Film (und dessen Fortsetzungen) geht es hier nicht so sehr um eine historisch akkurate Darstellung des Lebens Ip Mans (die filmisch vielleicht gar nicht so viel hergegeben hätte), als um rasante ästhetische Opulenz, wobei Wong die Abstraktionsschrauben noch um einige Umdrehungen weiter anzieht, will sagen: Die Geschichte wird extrem elliptisch erzählt, angefangen von der friedlichen Zeit in Südchina bis zur japanischen Besetzung in den 1930er Jahren und dem Exil in Hongkong.

Die über weite Strecken in extremen Bildausschnitten gezeigte Rahmenhandlung, welche oft in eigentümlichen Zeitlupen präsentiert wird, ist eigentlich nichts weiter als Beiwerk für die die einer Art Hyperästhetik inszenierten Kampfsequenzen, die gewissermaßen so etwas wie eine Essenz von 50 Jahren Wuxia- und Actionkino bilden. Das alles ist überwältigend, bewegt sich aber damit einen riesen Schritt weg von der Inszenierung im Yip Film, welche mit zwar ebenso furioser, aber weitaus "realistischerer" Action aufwartet. Die gesamte visuelle Präsentation ist eine auf Hochglanz getrimmte Version jener Bildästhetik, mit der Wong mitte der 1990er berühmt geworden ist. Statt eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, geht es um Ausschnitte, Momentaufnahmen, Perspektiven.

Und auch um Wiederholung, was etwa das Selbstzitat aus Fallen Angels in der Szene im Zug betrifft, oder auch die eigenwillige Farb- und Raumgestaltung oder die Bedeutung von Regen, wie man sie aus früheren Werken Wongs kennt. Der Zuschauer wird von einer einzigartigen Präsentation der Bilder gefangengenommen. Einzig die gedrängte Darstellung der Erzählung vermag etwas zu irritieren, in welcher das "normale" Leben Ip Mans so gut wie überhaupt nicht in den Blick kommt.

Wong Kar-Wai Tony Leung Chiu Wai Zhang Ziyi Farbgestaltung begrenzter Raum


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A Touch of Zen


Hsia nu // King HU // Taiwan 1971

Ein Kalligraph und Portraitmaler, der mit seiner Mutter in einer abgelegenen, verfallenen Festungsanlage in der Nähe einer Provinzstadt lebt, gerät in politische Auseinandersetzungen zwichen einer Staatsmacht rund um einen korrupten Eunuchen und abtrünnigen Kämpfern, welche den Tod ihres Anführers rächen wollen. Mit Hilfe einer geschickt inszenierten Strategie gelingt es, einen Großteil der feindlichen Kämpfer auszuschalten. Doch der Anführer der korrupten Eunuchen-Partei ist unerbittlich, der Kalligraph wird wegen seiner Parteinahme auf die Fahndungsliste gesetzt. Die immer sinnloser werdenden Kämpfe finden ihr Ende durch das Eingreifen einer mysteriösen Gruppe von buddhistischen Mönchen unter einem Abt, der vollkommen über den Dingen zu stehen scheint.

Die Handlung des Films besteht zu einem großen Teil aus ausufernden Wanderungen und Verfolgungsjagden, zwischen denen flatternde Kämpfe stattfinden. Die Inszenierung ist geprägt durch seltsames Herumschleichen der Protagonisten durch nächtliche verfallenen Kulissen, Schilf und Nebel, Wald und Gebirge. In dieser Hinsicht ist A Touch of Zen absolut stilprägend geworden. Allerdings entstehen durch diese Art der Inszenierungen auch einige Längen, welche Hu in Filmen wie Dragon Gate Inn oder Come, Drink with Me vermieden hat. Die tänzerisch-zögerlichen, herumflatternden Kampfchoreographien gibt es auch hier, insgesamt bewegt sich die Darstellung aber schon deutlich in Richtung von Hus vielleicht bestem Film Raining in the Mountains, welches ebenso wie A Touch of Zen von schier endlosem Herumschleichen durch begrenzte Räume und der Auseinandersetzung mit abstrakten Prinzipien zwischen weltlicher und geistlicher Macht und deren Interessen geprägt ist.

Besonders zu erwähnen sind die stilprägende Bambushain-Sequenz, die in etwa House of Flying Daggers geradezu eins zu eins zitiert wird, und die kontemplative Kameraführung, welche entweder statisch verbleibt oder sich mit langsamen horizontalen Bewegungen durch die vertikalen Baumstrukturen bewegt und das Geschehen abwechselnd aus teilnahmsloser Distanz und nächster Nähe darstellt. Insgesamt ein höchst einflussreiches Werk, welches aber aufgrund seiner ausufernden Inszenierung einiges an Wohlwollen und Konzentration von Seiten des Zuschauers einfordert.

King Hu Wuxia seltsames Herumschleichen verfallene Kulissen Bambushain Abstraktion begrenzter Raum


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Magical History Tour: ROPE


Alfred Hitchcock, USA 1948

An einem Sommerabend ermorden zwei Studenten einen Kommilitonen, weil sie sich für was besseres halten und außerdem glauben, den perfekten Mord verüben zu können. Der Körper des Opfers wird in einer große Bücherkiste versteckt. Kurz bevor die schon vorher geplante Party steigt, wird das dezente Möbelstück noch mit Kandelabern verziert und das kalte Buffet aufgetragen. Zur Feier sind Freunde und Familie des Ermordeten geladen, die natürlich von seinem Schicksal nichts wissen und sich im Lauf des Abends Sorgen machen. Ebenso geladen ist der ehemalige Professor der beiden frischgebackenen Mörder, der ihnen einst mit elitärem Gedankengut, wonach es den wenigen Herrenmenschen durchaus erlaubt sei, über Leben und Tod zu entscheiden und sowieso einen Mord als etwas Ästhetisches, geradezu als Kunstwerk zu betrachten, imponierte. Am Ende der Party wird dem nonchalanten Charmeur, der nicht viel von den heuchlerischen Konventionen der high society hält, klar, dass seine Schüler da vielleicht etwas allzu wörtlich genommen haben...

Nach einem Theaterstück verfilmt, ist Rope rein vom plot und Handlungsablauf her tatsächlich mehr ein Bühnenstück denn ein Film, was natürlich auch mit dem experimentellen Zugang der Inszenierung zu tun hat. Besteht der Film doch aus einer handvoll (acht?) Einstellungen a 10 Minuten, elegant verbunden mit unsichtbaren Schnitten hinter diversen Sakkos. Dafür ist dieser Hitchcock in die Filmgeschichte eingegangen. Man mag diese langen takes nicht einmal Plansequenzen nennen, denn dazu ist die räumliche Situation des Ortes zu beengt, die Kamerabewegungen zu minimalistisch. Die Handlung jedenfalls hat im Grunde nichts Filmisches an sich, was eben durch diese experimentelle Produktiossituation zu erklären ist: auf einer kleinen Bühne als Theaterstück würden sich die psychologischen Aspekte der Charaktere wahrscheinlich ebenso gut, wenn nicht besser, entfalten.

Dazu ist zu lesen, dass Hitchcock den Film wie seiner bisherigen drehte, also so, als würde er geschnitten und "normal" montiert wie jeder andere Film eben auch (F. Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht? Heyne, München 2003, S.173ff. Interessant ist hier aber auch der überraschende Vergleich: The Birds hat über 1300 Einstellungen!) Besondere dramatische Situationen (die Strangulation, das zebrochene Cocktailglas in der blutigen Hand, der Kampf um den Revolver usw.) mussten daher mit einem Zoom auf einen detaillierteren Bildausschnitt realisiert werden und nichts sonst.

So weit, so gut. Was den Film aber außerdem und eigentlich auszeichnet, ist die Farbgestaltung. Rope ist nämlich auch des Meisters erste Farbproduktion, geschossen und eigenproduziert in gediegenem Technicolor. Und wirklich: was wäre der Film ohne die grandiose Pappkulisse der New Yorker Skyline am Abend, inklusive rauchender Schornsteine, blinkender Lichter und sogar vorbeiziehender Wolken. Allerdings ist diese Gestaltung recht seltsam. Die Szenerie soll einen lauen Sommerabend darstellen (präzise die Zeit zwischen 19:30 und 21:15, die konsequenterweise auch der Filmzeit entspricht), wirkt aber mit ihren Beige-orangetönen eher wie ein kitschiges Gemälde, was Hitchcock im Gespräch mit Truffault auch durchaus kritisiert hat.

Das Faszinierende jedenfalls ist, wie sich die Kulisse im Lauf der Zeit verändert, wie langsam der Abend in die Nacht übergeht. Das hätte man wohl schon ein paar Jahre später ganz anders gefilmt. Das wirklich Innovative an der Farbegstaltung ist aber, wie die künstliche Beleuchtung, vor allem die rot-grün blinkenden Werbeschriftzüge des Nachbarhauses, präsentiert wird. Viel weniger beeindruckend ist leider die Präsentation des filmischen Raumes, des Apartements. Die beengten Raumverhältnisse hat Hitckcock in Filmen wie Dial M for Murder und natürlich Rear Window zwar vollkommen anders, aber unvergleichlich effektiver gestaltet.

Fazit: Formal grandios, ist Rope als Film (und nicht als verfilmter Theaterstoff) "nur" Mittelmaß in der Filmographie Hitchcocks. Am Ende aber ein starkes Bild: Der Soziopath genehmigt sich noch einen Drink, der sensible Pianist klimpert Poulenc, der Professor nimmt neben dem Sarg Platz und versteht die Welt nicht mehr. Ohne dieses Experiment hätte es jedenfalls die eben genannten Meisterwerke Hitchcocks wohl nie gegeben.

Hitchcock Theorie-Praxis Lehrer-Schüler Homosexualität Sozialdarwinismus begrenzter Raum Farbgestaltung unsichtbarer Schnitt Magical History Tour


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Magical History Tour: Die Mörder sind unter uns


Wolfgang Staudte, Deutschland 1946

Berlin, Winter 1945. Mitten in den Ruinen der Versuch, nach dem Ende des Kriegs wieder ein normales Leben zu führen. Exemplarisch dafür das Zusammenleben in einem Mietshaus: Opportunisten, Heimkehrer, Zyniker, Scharlatane und "einfache" Menschen unter einem Dach. Gegenwart und Vergangenheit von drei Personen treffen aufeinander, die Schatten der Vergangenheit lichten sich langsam.

Die Frage nach der Schuld, nach moralischer Verantwortung. Ein heimkehrender Arzt, durch seine Erlebnisse ein zynisches Wrack und Alkoholiker, stellt sich diesen Fragen und schwingt sich zum Rächer auf. Die andere Seite: ein aalglatter Täter, Mitläufer und Profiteur, der jede Verantwortung von sich weist. Dazwischen: eine junge KZ-Überlebende und Künstlerin, die mit klarem Blick und ungebrochenem Lebenswillen zum Segen für ihre Umgebung wird.

Sehr eindrucksvoller erster deutscher Nachkriegsfilm, aufgrund der zeitlichen Nähe zur erst kurz vergangenen Katastrophe erstaunlich abgeklärt. Gewissermaßen Vergangenheitsbewältigung aus nächster Nähe. Die entscheidenden Fragen werden aufgeworfen und nicht eindeutig beantwortet - einerseits wird zwar klar das unbeschreibliche Unrecht der unmittelbaren Vergangenheit angeprangert, andererseits eine allzu einfache schwarzweiß-Malerei vermieden. Dazu die filmische Gestaltung: enge Räume, teilweise offensichtlich in "Originalruinen" gedreht. Mit einem nicht unwesentlichen Anteil expressionistischer Gestaltung (Schatten), die aber ganz anders funktioniert als etwa im Dritten Mann.

Immer noch ein sehr eindrucksvoller Film.

Wolfgang Staudte Hildegard Knef Nachkriegsdeutschland Schuld begrenzter Raum Magical History Tour


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Magical History Tour: The Spiral Staircase


Robert Siodmak - USA 1945

In einer ländlichen Gegend im Nordosten der USA verbreitet ein mysteriöser Killer Angst und Schrecken. Offensichtlich hat er ein Faible für in bestimmter Weise kranke oder behinderte weibliche Opfer. So gerät auch die angehende Krankenschwester Helen, durch ein schockierendes Kindheitserlebnis stumm, in den Kreis möglicher Opfer und wird von ihrem Umfeld, u.a. der Familie Warren, die einen abgelegenen Landsitz bewohnt und wo Helen arbeitet, gewarnt. Doch die Gefahr ist möglicherweise näher, als es den Anschein hat.

Siodmaks klassischer Thriller arbeitet auf der einen Seite ganz mit einem überladenen, klischeehaften Repertoire: Abgelegenes Landhaus, Gewitter, klappernde Fensterläden und Tore, lange Schatten. Auf der anderen Seite werden aber geschickt falsche Fährten für den Zuseher gelegt, welche sich erst nach und nach auflösen. Hier ist etwa die Szene zu nennen, als Helen zum Landsitz zurückkehrt, wo sie die mysteriöse, scheinbar sehr kranke Hausherrin pflegt. Plötzlich setzt ein Unwetter ein, es regnet in Strömen, Helen verliert den Schlüssel zur Tür im Schlamm, in den Schatten pirscht sich eine dunkle Gestalt an...

Das zentrale Element, welches die Genialität des Films ausmacht, ist aber die gelungene Begrenzung des Raumes (praktisch die gesamte Handlung spielt sich in abgeschlossenen Räumen ab, am Anfang in einem Hotel einer nahe gelegenen Ortschaft, wo gerade ein Stummfilm gezeigt wird und das zum Tatort wird) und die optisch-perspektivische Umsetzung der Morde, mit Zoom auf den Augapfel des Täters und die anschließende subjektive Perspektive. Die titelgebende Wendeltreppe verbindet das Erdgeschoss mit den darunterliegenden Quartieren sowie dem Keller. Und dann gibt es noch eine andere Treppe, nicht weniger Bedeutend für die Inszenierung, auf welcher auch ein Spiegel eine nicht unbedeutende Rolle einnimmt...

Atmosphärisch sehr dichter Film, der natürlich heutzutage längst nicht mehr so schockiert wie anno dazumal, der aber aufgrund der inszenatorischen Elemente nach wie vor zu überzeugen weiß und mit einigen überraschenden Wendungen aufwartet.

Siodmak Landhaus Krankheit Killer begrenzter Raum Magical History Tour


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Das Schloss im Spinnwebwald


蜘蛛巣城 Kumonosu-jō / Throne of Blood / Akira Kurosawa / J 1957

Zwei befreundete Samurai, Washizu und Miki, zurück von der Schlacht passieren auf ihrem Weg zum Fürsten den Spinnwebwald, wo ihnen ein Geist Seltsames prophezeit: beide würden schon bald Herren über wichtige Festungen und Burgen des Fürstentums werden. Weiters werde Washizu daraufhin selbst Fürst werden, und Mikis Sohn zum Nachfolger haben. Die Rede des Geistes erfüllt sich daraufhin auch Stück für Stück genau so, allerdings etwas anders, als es im Plan des machthungringen und im Bann seiner dämonischen Eherfrau gefangenen Washizu liegt...

In Kurosawas nur als genial zu bezeichnender Macbeth-Adaption wird das Shakespeare-Drama in das mittelalterliche Japan transponiert, in eine abstrakte, stilisierte Samuraiwelt hinein, deren filmische Räume - ähnlich und doch vollkommen anders als ein Vierteljahrhundert später in Ran - geprägt sind von vernebelten Mondlandschaften und mächtigen Festungen, in und durch welche sich die Protagonisten, gefangene ihres Schicksals, bewegen. Washizu, von Zweifeln und Gier geplagt, lässt sich von seiner Lady Macbeth angestachelt auf einen monströsen Plan ein, welcher die Prophezeiung des Spinnwebwaldgeistes erfüllen soll. Als er seinen Irrtum erkennt, ist es schon zu spät, um das Schicksal, das der abermals aufgesuchte Geist im Spinnwebwald verkündet, noch abzuwenden.

Die beiden wesentlichen gestalterischen Elemente des Films, die gewissermaßen eine Symbiose aus einem klassischen jidai-geki Historienepost und einer kaidan-eiga Gespenstergeschichte ergeben (in welchem übrigens der adaptierte Stoff so wirkt, als sei er überhaupt keine Shakespeare-Interpretation), sind einmal die Präsentation des Spinnwebwaldes selbst und der Nebellanschaften, welche die Handlung und ihre Orte einmal verhüllen, dann wieder enthüllen. Und dann die Handlungsabläufe in den Festungen und Burgen, die wesentliche Handlungselemente (allen voran die Ermordung des Fürsten) nicht direkt zeigen. Dazu kommt eine elliptische Erzählweise, die bis gegen Ende des Films von Abblenden gekennzeichnet ist, wohingegen am Ende das Tempo erhöht wird und die sich überschlagenden Ereignisse mittels Wischblenden funktionieren.

Drei Sequenzen ragen in der Gestaltung der filmischen Räume besonders hervor: 1. Der minimalistische Ritt durch den Spinnwebwald am Anfang und Gegen Ende des Films, mit Bäumen und Geäst im Vordergrund, in welchem sich die Samurai verirren und schließlich auf den Waldgeist treffen, der jene so verhängnisvolle Prophezeitung gibt. Perfekt ist diese einfache Idee und was sie ausmacht von Tarkowskij beschrieben worden:

Wie löste Kurosawa die Szene, in der sich Macbeth im Walde verirrt? Ein schlechter Regisseur hätte seinen Schauspieler natürlich in wilder Richtungssuche herumlaufen, ihn im Nebel an Bäume und Sträucher stoßen lassen. Doch der geniale Kurosawa? Er findet für die Szene einen charakteristischen, sich dem Gedächtnis einprägenden Baum [...] Die Reiter umkreisen ihn dreimal [...]Wir begreifen, daß sie sich verirrt haben [...] Mit seiner Lösung des Raumproblems demonstriert hier Kurosawa das höchste Niveau poetischen Denkens, das mit äußerster Einfachheit, [...] auskommt. [...] Das Bild ist nicht etwa dieser oder jener vom Regisseur in ihm ausgedrückte Sinn, sondern eine ganze Welt, die sich hier gleichsam wie in einem Wassertropfen spiegelt. (Andreij Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, Berlin Alexander Verlag 2009, S.161)


2. Das Festmahl im Thronraum, in welchem der ermordete Miki in der Pose des Waldgeistes erscheint und den frischgebackenen Fürsten Washizu in den Wahnsinn treibt. Hier wird mit einfachsten Mitteln und Kamerabewegungen eine Atmosphäre aufgebaut, die das fatale Schicksal des Protagonisten Washizu, den Toshiru Mifune in einem Wechsel von erstarrenden Mimiken - Masken - verkörpert, unausweichlich werden lässt. Dazu gehört auch das distanziert-dämonische Handeln seiner Gemahlin, ruckartig über den Boden schleifend, bis sie schließlich, ihre Hände vergeblich vom Blut rein zu waschen versuchend, in geistige Umnachtung fällt.

3. Das Heranrücken des Heeres, angeführt vom Sohn des ermordeten Fürsten. Die Prophezeiung ist vollends erfüllt: ehe nicht die Bäume des Spinnwebwaldes, so der Geist, sich zur Festung bewegen, könne er keine Schlacht verlieren. Doch genau das passiert nun. Aber auch in der Festung selbst ist der wahnsinnige Fürst nicht sicher: seine eigenen Leute wenden sich, der Wahrheit über den Tod des alten Fürsten längst gewiss, gegen ihren Herren. In der berühmten "human pincushion" Sequenz wird Washizu endgültig auf sein Schicksal, welches ihm von Anfang an (und hier sind die ersten 25 Minuten des Films interessant) beschieden war, gewissermaßen festgenagelt.

Zusammen mit Ran ist Das Schloss im Spinnwebwald einer der großen Adaptionen mythischer Stoffe, welche die Shakespearschen Dramen sozusagen als urjapanische Angelegenheiten erscheinen lassen. Ein immer wieder als Schlüsselwerk gepriesener Film Kurosawas, der dennoch - immer noch - seltam im Schatten (oder Nebel) seiner anderen Klassiker zu stehen scheint.

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Hero / House of Flying Daggers


英雄 /Yingxiong // 十面埋伏 / Shi mian mai fu // Zhang Yimou // VR China 2002 / 2004

Die beiden Filme, welche dem Genre nach mehr als zehn Jahren ganz neue Aspekte abseits von Klassikern wie den A Chinese Ghost Story / Swordsman Reihen beschert haben, können als herausragende Vertreter einer "neuen Welle" von Wuxia Filmen gelten. Ihnen gemeinsam ist die überwältigende visuelle Umsetzung, welche genau wie die 80er/90er Filme aus Hongkong eine Welt präsentieren, in der die Schwerkraft keine Rolle zu spielen scheint und die Protagonisten außergewöhnliche kämpferische und physische Leistungen vollbringen können. Waren es damals aber die immer gleichen nebelwabernden, in Flutlicht getauchten Kulissen, in welchen ein hektisch-klamaukhafter, stellenweise konfuser bis sinnloser Handlungsablauf präsentiert wurde, so sind es hier dramatische und tragische Elemente, welche ins Zentrum der Gestaltung rücken.

In Hero ist es die Umsetzung von abstrakten Ideen in streng komponierte, symmetrische Bilder. Eine monochrome Farbgestaltung von in Rückblendenstruktur erzählten Episoden, welche die gleiche Vorgeschichte immer etwas anders erzählen, gibt dem Dialog zwischen dem Attentäter und dem Herrscher ständig neue Wendungen. Drei Farben trifft auf Rashomon. Neben der Farbgestaltung sind es die fließenden Bewegungen und eine Art Matrix-Ästhetizismus, welche stark genutzt, geradezu zitiert wird, aber nie aufgesetzt oder übertrieben wirkt - sehr leicht aber hätte das ganze auch nach hinten los gehen können. Hier aber passt alles zusammen, wenn auch die Darstellung immer diszanziert bleibt - eben wie eine Legende oder eine uralte Erzählung, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und sehr stark idealisiert ein geschichtliches Ereignis (hier die Vorgeschichte zur Einigung Chinas und dem Bau der Chinesischen Mauer) erzählt.

Auch die Präsentation der Bilder in House of Flying Daggers lebt von den fließenden Bewegungen und einer stimmungsvollen Farbgebung, ist aber ingesamt reduzierter, geradliniger, stärker auf die persönlichen Schicksale der Protagonisten bezogen. Hier stehen weniger abstrakte Kulissen im Vordergrund, als eine fast schon minimalistische Raumgestaltung, geprägt von den vertikalen Strukturen der Laub- und Bambuswälder, durch welchen sich die Protagonisten, einander verfolgend und täuschend, bewegen. Ein Großteil der Handlung spielt sich in der Natur ab, die schön in spätherbstliche Farben getaucht ist und im finalen Kampf, als die Täuschungsmanöver entgültig fallen, im jäh einsetzenden Schneefall endet. Zwar gibt es auch hier reichlich CGI-Einsatz, stört aber nicht. An der visuellen Gestaltung besonders zu betonen ist, wie die Gesichter der Protagonisten vor unscharfem Waldhintergrund ins Zentrum gerückt werden.

Beiden Filmen ist, neben der überragenden Inszenierung und Choreographie, auch gerade in den ruhigen Szenen eine Art abstrakter Schönheit eigen, die sich vollkommen von den Wuxia-Klassikern der Vergangenheit unterscheidet, genauso wie von den wenig später stark in Mode gekommenen Historienfilmen, die mit noch mehr Effekten, epischen Schlachten und Massenszenen aufwarten.

Farbgestaltung abstrakter Raum begrenzter Raum Wuxia Zhang Yimou Jet Li Tony Leung Chiu Wai Zhang Ziyi Maggie Cheung Andy Lau Takeshi Kaneshiro Christopher Doyle Ching Siu-Tung


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ALPHAVILLE


Une étrange aventure de Lemmy Caution / Lemmy Caution gegen Alpha 60 // Jean-Luc Godard // F/ITA 1965
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Agent Lemmy Caution / Ivan Johnson reist als Journalist ("Figaro-Prawda") getarnt von den "äußeren Ländern" nach Alphaville, um einen befreundeten Agenten sowie Professor von Braun / Leonard Nosferatu ausfindig zu machen, durch dessen Arbeit Alphaville von dem Supercomputer Alpha 60 beherrscht wird, welcher das Leben der Menschen total beherrscht. Gefühle und poetische Worte sind tabu, jeder, der "unlogisch" denkt und handelt, wird exekutiert. Caution trifft auf Natascha, die Tochter Professor von Brauns, räumt einige Agenten von Alpha 60 aus dem Weg und schafft es auf Umwegen, von Braun ausfindig und unschädlich zu machen. Zusammen mit Natascha kehrt er in die "äußeren Länder" zurück, die einem Krieg mit Alpha 60 damit entkommen sind.

Godards Film erzählt keine Abenteuergeschichte eines Helden-Protagonisten, mit dem sich der Zuseher identifizieren könnte. Dazu läuft die Handlung zu sehr in vorgezeichneten, wie selbstverständlich ablaufenden Bahnen. Der "Protagonist" Caution (Eddie Constantine, spricht französisch) agiert einfach zu sicher, sein "Antagonist" von Braun (Howard Vernon, spricht wenig) zu farblos, der Professorentocher-Vamp Natascha (Anna Karina) zu kalt, um daraus eine spannende Handlung zu entwickeln. Philosophische Monologe/Dialoge/Verhöre eröffnen dialektische Gegensätze, bleiben aber für die Handlung abstrakt. So ist es ganz die Präsentation der filmischen Räume, die bis auf ganz wenige Ausnahmen in Nacht und Kunstlicht getaucht sind, welche den Film auszeichnet und in der sich der Zuseher orientieren muss.

Da ist zunächst einmal der Gegensatz der "äußeren Länder", aus denen Caution kommt, und "Alphaville", eine nach Zonen und Richtungen gegliederten Metropole, in welcher die Handlung stattfindet. Der Agent nimmt sich ein Zimmer in einem Hotel, dessen Darstellung die räumlichen Aspekte des gesamten weiteren Geschehens eröffnet: Verwinkelte Gänge und Korridore, Aufzüge und Treppen, Altbauten und Neubauten, durch die sich die Akteure wie selbstverständlich bewegen, in welcher der Zuseher jedoch durch die desorientierenden, schon in der Eröffnungssequenz einsetzenden Kameraperspektiven und hell/dunkel wechselnden Beleuchtungen die Richtung verliert.

Neben dem Hotel sind diverse Ministerien, Ämter, Institute und Büros für die Ausgestaltung der filmischen Räume wesentlich, ebenso wie die Verfremdung / Zweckentfremdung von städtischen Orten ( das Hallenbad und das Theater als Exekutionsorte der "unlogischen", nicht in die herrschende Ordnung passenden Bewohner Alphavilles). Unbeleuchtete Räume, die plötzlich in hellem Licht erscheinen, wieder verdunkelt werden. Flackernde Neonbeleuchtungen und Werbeschriftzüge. Suggestive Montagen. Beständig wechselnde Perpektiven, Abzweigungen, wechselnde Eingänge und Ausgänge. Im Zentrum von Alpha 60 lernt Caution die Prinzipien des Systems kennen: "niemals warum, immer nur darum", "alles ist Ursache und Wirkung". Die Tonspur geprägt von minimalistischer Filmmusik, der kehlköpfigen Narration von Alpha 60 und Signaltönen.

Demgegenüber wird das Erwachen des Bewusstseins als Weg aus der Alphaville-Normalität gekennzeichnet durch das helle Tageslicht, welches in die Hotelsuite fällt. Als es Lemmy Caution gelingt, Professor von Braun in seinem Rechenzentrum ausfindig zu machen und zu erschießen, fällt diese "Normalität" in sich zusammen. Der Computer Alpha 60 existiert weiterhin, kontrolliert aber die Menschen nicht mehr, die nun herumtorkeln wie Zombies. Caution und Natascha gelingt die Flucht aus Alphaville, der eine potentiell bessere Zukunft bevorsteht, zurück in die "äußeren Länder". Natascha findet, nach dem die Computer-Logik gebrochen ist, zu ihren eigenen Worten. Happy End!

Nach wie vor beeindruckender Entwurf einer Dystopie mit Anklängen an Fahrenheit 451 oder 1984, in der Gestaltung der filmischen Räume großartig umgesetzt.

Godard Eddie Constantine Howard Vernon begrenzter Raum Dystopie Hotel Sprache Licht


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Lion vs. Lion


Nan bei shi wang / Die Pranke des Gelben Löwen // Hsu Hsia / Chien Yuen Sheng //HK 1981

Eine der zahlreichen Shaw Brothers Produktionen, welche wohl zu den weniger renommierten Kultklassikern des Hauses zu zählen ist, dennoch aber ganz eigentümliche Aspekte aufweist, die diesen Film aus der breiten Masse herausheben.

Zu vieles ist hier einerseits Mittelmaß: die grauenhaft zusammengeschusterte Story rund um die ewigen Clan/Schulenkämpfe vor einem pseudohistorischen Hintergrund, die Mixtur von visuell bestechenden Kämpfen mit schrecklichen Dialogen, die altbekannte Verwechslung von Personen/Schriftstücken, die Verbindung von dramatischen Elementen und Klamauk, die unvermittelten Gore-Einsprengsel, der Wechsel von naturalistischen und artifiziellen Kulissen...

Auf der anderen Seite zwei Besonderheiten, welche herausstechen und den Film auszeichnen: Da ist einmal die unglaubliche Löwentanz-Sequenz, welche gut 20 Minuten dauert und in Sachen Einsatz filmischer Mittel, Schnitt und Dramaturgie einzigartig ist,und gegen Ende die "Geisterhaus-Sequenz", welche als Blaupause für den einige Jahre später einsetzenden Fantasy-Wuxia Boom gelten kann. Der obligatorische Kampf im Bambushain darf natürlich auch nicht fehlen.

Wie so oft im HK-Kino (Swordsman, A Better Tomorrow II...) leidet also auch dieser Streifen an der einfachen Tatsache, dass zu viele Köche offensichtlich den Brei auch filmisch verderben oder doch, freundlicher formuliert, zumindest versalzen können. Was auch immer die Gründe für solch ein produktionstechnisches Vorgehen sein mögen. Andererseits: Vielleicht ist es gerade diese Aneinanderreihung / Vermengung von an sich nicht kompatiblen Elementen (welche locker für zwei, drei "normale" Filme gereicht hätten), welche den Reiz von vielen SB-Produktionen ausmacht. Liest bzw. sieht man den Film auf diese Weise, kommt man jedenfalls voll auf seine Kosten!

Wuxia Löwentanz Hsu Hsia Shaw Scope