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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände




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Magical History Tour: ROPE



Alfred Hitchcock, USA 1948

An einem Sommerabend ermorden zwei Studenten einen Kommilitonen, weil sie sich für was besseres halten und außerdem glauben, den perfekten Mord verüben zu können. Der Körper des Opfers wird in einer große Bücherkiste versteckt. Kurz bevor die schon vorher geplante Party steigt, wird das dezente Möbelstück noch mit Kandelabern verziert und das kalte Buffet aufgetragen. Zur Feier sind Freunde und Familie des Ermordeten geladen, die natürlich von seinem Schicksal nichts wissen und sich im Lauf des Abends Sorgen machen. Ebenso geladen ist der ehemalige Professor der beiden frischgebackenen Mörder, der ihnen einst mit elitärem Gedankengut, wonach es den wenigen Herrenmenschen durchaus erlaubt sei, über Leben und Tod zu entscheiden und sowieso einen Mord als etwas Ästhetisches, geradezu als Kunstwerk zu betrachten, imponierte. Am Ende der Party wird dem nonchalanten Charmeur, der nicht viel von den heuchlerischen Konventionen der high society hält, klar, dass seine Schüler da vielleicht etwas allzu wörtlich genommen haben...

Nach einem Theaterstück verfilmt, ist Rope rein vom plot und Handlungsablauf her tatsächlich mehr ein Bühnenstück denn ein Film, was natürlich auch mit dem experimentellen Zugang der Inszenierung zu tun hat. Besteht der Film doch aus einer handvoll (acht?) Einstellungen a 10 Minuten, elegant verbunden mit unsichtbaren Schnitten hinter diversen Sakkos. Dafür ist dieser Hitchcock in die Filmgeschichte eingegangen. Man mag diese langen takes nicht einmal Plansequenzen nennen, denn dazu ist die räumliche Situation des Ortes zu beengt, die Kamerabewegungen zu minimalistisch. Die Handlung jedenfalls hat im Grunde nichts Filmisches an sich, was eben durch diese experimentelle Produktiossituation zu erklären ist: auf einer kleinen Bühne als Theaterstück würden sich die psychologischen Aspekte der Charaktere wahrscheinlich ebenso gut, wenn nicht besser, entfalten.

Dazu ist zu lesen, dass Hitchcock den Film wie seiner bisherigen drehte, also so, als würde er geschnitten und "normal" montiert wie jeder andere Film eben auch (F. Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht? Heyne, München 2003, S.173ff. Interessant ist hier aber auch der überraschende Vergleich: The Birds hat über 1300 Einstellungen!) Besondere dramatische Situationen (die Strangulation, das zebrochene Cocktailglas in der blutigen Hand, der Kampf um den Revolver usw.) mussten daher mit einem Zoom auf einen detaillierteren Bildausschnitt realisiert werden und nichts sonst.

So weit, so gut. Was den Film aber außerdem und eigentlich auszeichnet, ist die Farbgestaltung. Rope ist nämlich auch des Meisters erste Farbproduktion, geschossen und eigenproduziert in gediegenem Technicolor. Und wirklich: was wäre der Film ohne die grandiose Pappkulisse der New Yorker Skyline am Abend, inklusive rauchender Schornsteine, blinkender Lichter und sogar vorbeiziehender Wolken. Allerdings ist diese Gestaltung recht seltsam. Die Szenerie soll einen lauen Sommerabend darstellen (präzise die Zeit zwischen 19:30 und 21:15, die konsequenterweise auch der Filmzeit entspricht), wirkt aber mit ihren Beige-orangetönen eher wie ein kitschiges Gemälde, was Hitchcock im Gespräch mit Truffault auch durchaus kritisiert hat.

Das Faszinierende jedenfalls ist, wie sich die Kulisse im Lauf der Zeit verändert, wie langsam der Abend in die Nacht übergeht. Das hätte man wohl schon ein paar Jahre später ganz anders gefilmt. Das wirklich Innovative an der Farbegstaltung ist aber, wie die künstliche Beleuchtung, vor allem die rot-grün blinkenden Werbeschriftzüge des Nachbarhauses, präsentiert wird. Viel weniger beeindruckend ist leider die Präsentation des filmischen Raumes, des Apartements. Die beengten Raumverhältnisse hat Hitckcock in Filmen wie Dial M for Murder und natürlich Rear Window zwar vollkommen anders, aber unvergleichlich effektiver gestaltet.

Fazit: Formal grandios, ist Rope als Film (und nicht als verfilmter Theaterstoff) "nur" Mittelmaß in der Filmographie Hitchcocks. Am Ende aber ein starkes Bild: Der Soziopath genehmigt sich noch einen Drink, der sensible Pianist klimpert Poulenc, der Professor nimmt neben dem Sarg Platz und versteht die Welt nicht mehr. Ohne dieses Experiment hätte es jedenfalls die eben genannten Meisterwerke Hitchcocks wohl nie gegeben.

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