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Antoine Doinels Filmtagebuch





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Magical History Tour: To be or not to be



I am a jew. Have not a jew eyes? Have not a jew hands, organs, dimensions, affections, passions?
Fed with the same food, hurt with the same weapons, subject to the same means, warmed and
cooled by the same winter and sommer, as a Christian is? If you prick us, do we not bleed?
If you tickle us, do we not laugh? If you poison us, do we not die? And if you wrong us, shall we
not revenge?

Shylocks Monolog aus "Der Kaufmann von Venedig" von William Shakespeare

Warschau im Sommer 39, in dem noch Frieden herrscht. Da taucht plötzlich Adolf Hitler in der
Innenstadt auf, was bei den Passanten große Verwunderung auslöst. Dann schneidet der Film zum Gestapo - Hauptquartier, das sich aber nach einiger Zeit als Theaterkulisse entpuppt, und Hitler als Schauspieler, der auf der Straße seine Glaubwürdigkeit testen will.

So beginnt Ernst Lubitsch' Film, in dessen Mittelpunkt eine Warschauer Theatertruppe mit den
Stars des Ensembles Josef Tura (Jack Benny, herrlich blöd in seiner Selbstüberschätzung) und seine notorisch untreue Ehefrau Maria Tura (Carole Lombard, äußerst attraktiv, und ihrem Mann in allen Belangen überlegen) an der Spitze. Und dieser Beginn, in dem nichts so ist, wie es zu sein scheint, ist prototypisch für den ganzen Film.
Wenn in Tarantinos Inglourious Basterds das Kino die Nazis besiegt, und der traditionellen filmischen
Darstellung der Nazis der Kampf angesagt wird, so sind es hier die Mittel des Theaters, mit denen ihre
Selbstinszenierung als hohle Schmierenkomödie entlarvt und ihnen ein Schnippchen geschlagen wird.

Das Nazi-Stück wird auf Druck der Regierung abgesetzt, statt dessen gibt es wieder Shakespeares
Hamlet. Doch bald überfällt Deutschland Polen und das Theater wird geschlossen. Ab nun setzt
das Ensemble seine Fähigkeiten dazu ein, um einem Nazi-Kollaborateur eine Liste mit polnischen
Untergrundkämpfern abzuluchsen, und um ihr Überleben zu sichern. Sie spielen um Sein oder Nichtsein.
Weiter ließe sich die Geschichte selbst nach oftmaligem Ansehen des Filmes und bei bestem Willen
nicht nacherzählen, denn dazu ist diese grandiose Farce viel zu verschachtelt, wechseln die
Fronten und Verkleidungen geradezu im Minutentakt. Trotzdem, und trotz der vielen Auslassungen
in der Handlung, die die Zuschauer zum Mitdenken zwingen, erscheint der Film in sich vollkommen
logisch und aus einem Guss zu sein.

Interessant ist, dass der Film das Wort Jude unter allen Umständen vermeidet. So ist Greenberg,
(Felix Spessart, so wie Lubitsch eine Jude aus Deutschland) nicht nur durch den Namen eindeutig
als Jude zu erkennen, aber ausgesprochen wird es nicht. Und es ist natürlich Greenberg, der öfter aus
Shylocks Monolog rezitiert, in dem aber ebenfalls das Wort Jude eliminiert wurde. War dafür der Hayes-
Code verantwortlich, oder war es Lubitsch Idee jüdische Identität so zu behandeln wie sonst
sexuelle Angelegenheiten?

Wie auch immer, To be or not to be ist eine meisterhafte Farce, getragen von großartigen
Schauspielern, die blendenst unterhält, und die Nazis und ihre Inszenierung der Macht
entlarvt und der Lächerlichkeit Preis gibt. Die manchmal nachwievor geäußerten Zweifel,
ob eine Komödie dem ernsten Thema angemessen ist (wenn Lubitsch das volle Ausmaß
der Gräuel gekannt hätte, dann u.s.w.) kann ich nicht einmal ansatzweise teilen.
In meinem Lieblingsbuch wird in einem mittelalterliche Kloster gemordet, weil jemand
befürchtet, ein Buch über die Komödie könnte die Gottesfurcht untergraben. Denn Lachen
untergräbt die Macht. Es gibt zwar auch das systemstabilisierende Zerstreuungslachen,
wozu mir in diesem Zusammenhang die Feuerzangenbowle einfällt, doch in diesem Meisterwerk
ist das Lachen eindeutig subversiver Natur.

In diesem Sinne:

Heil myself!

Ernst Lubitsch 1942



I believe her husband is the great, great polish actor Joseph Tura. Of course you heard about him ?
:love:
Schöner Text zu einem gandiosen Meisterwerk :)
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Vielen Dank für diese Besprechung von Lubitschs überragendem Film. Genau an eine solche habe ich mich nämlich bis heute nicht rangetraut. Zu den Ideen, die mir besonders gefallen, gehört ja, daß gerade ein eitler Schmierenkomödiant wie Tura sich als idealer Gegenspieler der Nazis entpuppt, weil deren (Macht)inszenierungen eben auch schlechtes Theater sind - Tura schlägt die Nazis mit ihren eigenen Waffen. Aber auch die unglaublich virtuose Konstruktion des Films ist bewundernswert, wenn ich nur an die zahlreichen running gags denke. Zugleich porträtiert Lubitsch die Täter weitaus überzeugender als fast alle späteren Filme: der Konzentrationslager-Erhard geht auch mal ins Theater, und er erzählt auch schon mal einen Witz über den Führer (was ihn dann aber auch gleich wieder in Angstschweiß ausbrechen läßt). Fraglos ist der Film noch ein ganzes Stück besser als Chaplins ebenfalls sehr guter "Der große Diktator", und er steht turmhoch über allen späteren filmischen Versuchen, dem Naziterror mit den Mitteln der Groteske oder Satire gerecht zu werden - aber auch die ernsten Spielfilme, die es zu dem Thema noch gegeben hat, waren alle, so überzeugend und achtbar die besten von ihnen auch sind, nicht so gut. Aber so ganz nebenbei ist Lubitsch nicht nur eine überragende Politsatire und Theaterhommage, sondern auch eine ungemein witzige und temporeiche Ehekomödie gelungen. Ich wiederhole mich da gern: Ü-ber-ra-gend.
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Der Clou des Filmes ist doch, daß er uns im Lachen die Ernsthaftigkeit der Geschehnisse vergessen läßt - um uns diese Erkenntnis an unverhoffter Stelle um die Ohren zu schlagen. Meine Fresse, das ist ja gar nicht mehr die lustige Verwechslungskomödie, sondern die Leute spielen um ihr Leben! Wirkt auf mich aufrüttelnder als eine unendliche Abfolge von niederdrückenden Ereignissen oder Scharen von Leidenden.
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Muss ich mir auch endlich mal anschauen. War sogar auf meiner ´42 Shortlist für die MHT.
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You did to Shakespeare, what we do to Poland.
Bei diesen Satz vom Concentration-Camp-Erhard musste
ich wohl am lautesten lachen.

Settembrini, auch ich halte diesen Film weit besser als jenen von
Chaplin. Aber dieser hat eine große Stärke: Und zwar die
hellsichtliche Dekonstruktion von Hitler. Die
ist unendlich besser und wahrhaftiger als etwa seine
Darstellung in dem unsäglichen Untergang-Film.

To be or not to be ist ja derartig vielschichtig, dass es
fast unmöglich ist alle Aspekte in einer Besprechung
unterzubringen. Mir gefällt ja sehr, dass hier keine
todesmutigen reinen Helden sich den Nazis entgegenstellen
sondern eine selbstverliebte Schauspielertruppe voller
Schwächen. Und schön, und wahrscheinlich sehr Lubitsch-
typisch ist auch, dass Maria Tura ihre Liebhaber quasi
gegönnt werden, und sie trotzdem eine positive Figur bleibt.
I
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