an maX:
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Wieso? Was hat denn der Leser davon, wenn er demnächst durch "Sperrfristen" oder ähnliches noch später an seine Informationen kommt (die ihm vielleicht sogar zur Entscheidungsfindung "Gehe ich rein oder nicht?" dienen)?
Zunächst einmal habe ich immer noch die idealistische Vorstellung vom Zuschauer, der selbst entscheidet, ob ihn ein Film interessiert oder nicht und der die Rezensionen womöglich zur Reduzierung oder Steigerung der Erwartungen nutzen will.
Natürlich weiß ich aber auch, daß dies schon lange nicht mehr der Fall ist bzw. der Fall sein
kann, was nicht zuletzt an der frühzeitigen Besprechung der Filme, um die es hier ja tatsächlich die ganze Zeit geht, liegt. Durch die schon lange vor Kinostart erfolgende Information durch 1. die flächendeckende Bombardierung durch den Verleiher mit Making Ofs o.ä. und 2. das Wettrennen um die ersten Publikationen zum neuen Film in den Medien wird der Zuschauer derart penetriert und letzten Endes konditioniert, daß er entweder wie ein Zombie in die eingetrichterten Filme wankt oder aber sein Interesse - ungerechtfertigterweise - frühzeitig verliert.
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Es ist wirklich gut für dich, dass du mit den Verleihern diesbezüglich deinen Frieden gemacht hast.
Diese Formulierung gefällt mir schon wieder nicht, weil sie voraussetzt, daß es einen grundsätzlichen Unfrieden zwischen Filmverleihern und Filmjournalisten gibt. Das muß nicht so sein.
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Zu meinem Berufsethos gehört eben, dass ich mich in meiner Freiheit der Berichterstattung nicht grundlos einengen lasse - zumal wenn ich den Verdacht habe, dass das aus rein ökonomischen Erwägungen passiert.
Also, das Argument, daß Euch Klicks verloren gehen durch die verspätete Berichterstattung, hat mir zwar eingeleuchtet ist aber a) eigentlich gar nicht richtig, da Ihr schließlich auch nicht später dran wäret als die anderen und
wundere ich mich, daß es letzten Endes Buena Vista und Euch um dieselbe Sache geht: Ihr wollt Leser, die wollen Zuschauer.
Ein Filmverleih, egal wie groß und mit welchem Programm, arbeitet grundsätzlich aus ökonomischen Erwägungen, und mir will auch das so Verdammungswürdige daran nicht in den Kopf - wer Geld ausgibt (und glaub mir, es ist sehr, sehr teuer, einen Film ins Kino zu bringen), will auch welches zurückhaben.
Darüber hinaus muß man noch eins verstehen: Die deutschen Ableger der amerikanischen Majors haben etwa so viel Bewegungsfreiheit wie ein Interregio-Reisender an einem Freitag abend. Wenn so ein Müll wie "Scooby-Doo 2" in Deutschland berechtigterweise nicht läuft, dann kriegt Warner Deutschland von seinem großen Bruder den Arsch aufgerissen, daß es nur so knallt - und denen ist völlig Wurst, ob die Deutschen mit dem Jauleköter was anfangen können oder nicht.
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Mich würde nun langsam einmal interessieren, wie du zu der Sache stehst. Was glaubst du denn, warum da eine Sperrfrist verhängt wurde?
Inhaltlich liegst Du meines Erachtens ja gar nicht falsch mit Deiner Interpretation des Vorgangs. In einer Zeit, in der sich Filmfreunde (und Filmparasiten) auf jede erdenkliche Art und Weise Zugang zu neuen Filmen abseits vom Kino verschaffen können, wächst die Angst der Majors um ihre potenziellen Erfolgsfilme täglich. Natürlich ist dies Resultat der Erschaffung eines selbstgebastelten Monstrums, siehe auch: Musikindustrie. Sperrfristen wie diese sind aber zunächst dazu da, den Werbeeffekt für den Verleiher zu erhöhen - Rezensionen, die lange vor Filmstart erscheinen, verpuffen in ihrer Wirkung für den Film. Ich kann ja irgendwo verstehen, daß dies dem einen oder anderen unlauter vorkommt, aber hören wir doch mal auf zu romantisieren: Der Verleiher bietet ein Produkt an. In diesem Fall den zweiten Teil eines teuren Produktes, dessen erste Inkarnation die Erwartungen nicht erfüllt hat.
Der zweite Punkt: Der weltweit gleichzeitige Start verschafft dem Verleih ausnahmsweise den Vorteil, daß jenseits der Staaten kein Informationsvorsprung beim verspäteten Start herrscht - die grundsätzliche Spannung des an "Kill Bill Vol. 2" interessierten Zuschauers an dem HANDLUNGSVERLAUF, nicht der QUALITÄT des Films bleibt erhalten, weil er sich nicht schon 178 000 Userpostings aus US-Foren angesehen hat. Filmrezensenten vergessen nämlich erschreckend häufig, daß sich der Zuschauer auch vom Inhalt des Films überraschen lassen will.
Fazit: 1. Die Erwägungen sind ökonomisch. Na und? Tut uns nicht weh. Im Gegenteil, wir wollen den Film ja auch sehen. 2. Ihr fühlt Euch in Eurer Freiheit eingeschränkt. Finde ich ganz einfach mal übertrieben. Die "beleidigte Leberwurst" nehme ich zurück, weil diese offensichtlich für den aggressiven Tonfall des Diskurses verantwortlich war.
Mir persönlich ging es schon extrem oft gegen den Strich, daß ich potenzielle Interviewpartner
nur im Rahmen der Berichterstattung zum aktuellen Film, für den sie auf Promotionreisen waren, treffen durfte und nicht etwa ein filmstartunabhängiges Portrait machen konnte.
Aber mittlerweile kann ich das verstehen. Die Verleiher organisieren diese ganze sauteure Maschinerie, und dann haben sie nix davon?
Ich kann ehrlich gesagt in der Sperrfrist keine Instrumentalisierung erkennen, zumindest keine, die ein wie immer geartetes Unrechtsbewußtsein angreift oder den Journalisten nun gleich zur Hure macht.
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Solange die Cinema noch genügend große Bilder und Hofberichterstattung bringt und ich weiß, dass mir "dieser Film gefallen könnte, wenn mir auch XYZ gefallen hat" ... muss ich mir ja keine Sorgen um eine unabhängige und kritiksche Filmpublizistik machen
Diese Handhabe und diese Art des "Journalismus" kotzt mich ganz genauso an wie Dich. Aber ich denke nicht, daß Du Dich mit einer erst heute erscheinenden Rezension zu "Kill Bill Vol.2" dort eingereiht hättest.
Grüße,
Julio