

The retina of the mind's eye
#339
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:26
Der vorerst letzte Film in meiner kleinen Retrospektive zur Recherche eines Geburtstagsartikels für “epd Film”. “Ich bin da, ich bin da”, war der allererste Achternbusch-Film, den ich eimal gesehen habe. Das muss etwa 1993 gewesen sein, anlässlich einer kleine Retrospektive im ARD-Fernsehen. Und vielleicht bin ich nur seinetwegen überhaupt weiterhin interessiert an Achternbusch gewesen, denn dieser Film nähert sich erstmals an so etwas wie einen “Plot” an. Erzählt wird die Geschichte Professor Hicks und seines Assistenten Chester. Letzterer will seine Mutter, die Gräfin Donna Konquistadora besuchen, denn es jährt sich der Tag, an dem der Geist ihres verstorbenen Ahnen aus seinem Bild springt und sich erkundigt, ob noch Indios leben. Die Gräfin, schon leicht alternd und aus Steuergründen gelegentlich ihren eigenen Tod inszenierend, wartet auch dieses Jahr nicht vergeblich auf das Auftauchen des Indianer-Hassers. Nur ist sie nun nicht allein, sondern Hick, Chester und eine Gruppe Studentinnen, die sich im Auto versteckt hatten, sind mit dabei - ebenso wie eine Katholische Priesterin (gespielt natürlich von Annamirl Bierbichler). Zusammen will man dem Gemetzel des Konquistador ein für alle Mal Einhalt gebieten.
Achternbusch gibt in “Ich bin da, ich bin da” seinen ganz eigenen “Glückwunsch” zur 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas und verbindet dies noch mit einer recht amüsanten Kritik an der akademischen Philosophie. Während Chester als Assistent Professor Hicks (der sich selbst als Zukunftologe ausgibt) noch bemüht ist, Lehre zu veranstalten, stellt sich Hick einfach auf den Kopf. Die Affen-Theorien seines Assistenten sidn bei ihm bereits in die Praxis umgesetzt und vielleicht ist das auch der Grund, warum der Konquistador ihm zum Schluss nichts anhaben kann. Er schlägt ihm mit dem Schwert den Kopf ab, der vom Hausmädchen kurzerhand wieder aufgesetzt wird. Überhaupt ist die Physiologie Hicks etwas Besonderes: In einem Café (ich vermute, es ist das Café, dass am Münchner Filmmuseum angeschlossen ist) geht ihm, als die Belegschaft ein Frontlied singt (das muss man sich vorstellen: Ein Mädchenchor schmettert: “Ich hab den Kopf in Stalingrad verloren …”), die Luft aus dem Kopf auf und der Assistent muss eine Pumpe herbeiholen, um seinen Professor wieder aufzufüllen.
Bemerkenswert ist die ausgefeilte, hasserfüllte Rede des zurückgekehrten Konquistador, dessen einzige Sorge während des Genozids an den Indios, der Rost seiner Rüstung, verursacht durch das spritzende Blut ist. Achternbusch reiht die Konquista in eine Chronologie der Verbrechen des Christentums (die er den Butler der Gräfin im Hintergrund aufsagen lässt) und lässt seine Priesterin die hingemetzelten Familienmitglieder segnen und Goldbarren, die diese bei sich führen, stehlen. Die Piranhas im Amazonas, an die man die Indios verfüttert hat, als “heilige Theologen” zu bezeichnen, ist dagegen schon beinahe euphemistisch. Ach ja, das dürfte auch der einzige Achternbusch-Film sein, der sich neben der - zugegeben wie immer berauschenden - Flöten-, Digeridoo- und Sitar-Musik auch der zeitgenössischen Pop-Musik hingibt. Thematisch passend hören wir, als Hicks Auto von innen zu brennen beginnt, Bob Segers “Fire inside” und zum Abschied, als Hick, die Gräfin und die Chormädchen den Pickup besteigen, Clouseaus “Close Encounters”.
#340
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:27
Serienmord als soziale Konstruktion - einmal wörtlich genommen: In der Nähe eines Internats wird die Leiche einer Schülerin tot aufgefunden. Ein paar gelangweilte Mitschüler entwerfen darauf hin eine Geschichte, nach der ein Serienmörder den Ort heimsucht. Sie beschreiben ihn, seine vergangenen und künftigen Opfer. Und dann passiert es: Das zuvor Beschriebene wird Realität. “Cry_Wolf” hätte ein sehr interessanter Serienmörderfilm sein können, wenn er diese Idee ausgebaut hätte, denn letztlich ist der Serienmord, “den wir kennen” ein mediales Konstrukt aus archetypischen Details. Aus diesen Details besteht auch der Täter und seine Tatgeschichte. Blöderweise gibt es noch eine zweite Ebene der Konstruktion, und zwar die des Plots. Was dies angeht, ist “Cry-Wolf” ein Ärgernis sondergleichen, denn weder die Figuren noch die Erzählung sind besonders plausibel. Es wird überreagiert, konstruiert und letztlich ein Plotgerüst entwickelt, das zwangsläufig einbrechen muss im finalen Plottwist. So viel Wohlwollen, das Schlechte als das dissimulierte Gute wahrzunehmen (wenn alles ein Fake ist, ist Konstruiertheit ein Indiz) zu sehen, konnte ich leider nicht aufbringen.
Die Blu-ray von e-m-s ist ein Trauerspiel. Keine Extras, kein Start-Menü. Das Bild - vor allem in den dunklen Szenen - körnig. Wenn das der Grund für den Preis von unter 20 Euro ist, hätte ich doch lieber wieder 30-Euro-Blu-rays!
Mehr bei F.LM.
#341
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:28

»Der ist ja größer als ich!«
#342
Geschrieben 12. Oktober 2008, 11:28

“Wie auf Beißenstein das Ketchup auf die Hot Dogs kommt”
#343
Geschrieben 14. Oktober 2008, 17:12
#344
Geschrieben 17. Oktober 2008, 15:52
Dass es Shyamalan hier so perfekt gelingt, den Bruch als plausibel darzustellen und nicht bloß als erzählerischen Trick, liegt an der Homologie von Film-Erzählung an sich und dem Plot von “The Sixth Sense”. Schaut man sich einen Film aus der Frühzeit des Kinos an, dann sieht man höchstwahrscheinlich ausschließlich mittlerweile tote Menschen. Dieses an sich unheimliche, auf den zweiten Blick jedoch tröstliche Phänomen hat Roland Barthes anhand einer Fotografie seiner verstorbenen Mutter in “Die helle Kammer” beschrieben. Speichermedien sind immer schon dazu verdammt, Geister zu beherbergen. Sie werden dadurch zu “Medien” in der zweiten, quasi okkultistischen Bedeutung. Sie versorgen uns mit einem (Über)Sinn, der uns die (wortwörtliche) Vergangenheit nicht bloß erinnernd vor dem geistigen Auge rekapitulieren lässt, sondern sie vor die physischen Sinne zitiert. Von dieser Eigenschaft erzählt “The Sixth Sense” nicht bloß, er führt sie uns am eigenen Leibe vor. Die Unheimlichkeit der Selbsterkenntnis Malcolm Crowes ist genau jener Zustand, den Barthes beschreibt, wenn er das Foto seiner verstorbenen Mutter anblickt. Die plötzliche, neue Selbstgewissheit ist die eines sich als zeitliches Wesen verstehenden Menschen, der das Leben nicht mehr aus der augenscheinlich unendlichen Binnen-, sondern endlichen Außenperspektive wahrnimmt.
Mehr: F.LM
#345
Geschrieben 23. Oktober 2008, 09:07
Der Auftakt zum 3. PornFilmFestival war schon gleich H/hardcore: Eine ambitionierte Produktion aus dem Hause Vivid, die die Geschichte einer Frauen-Gang in den 1960er Jahre erzählt. Die vier Damen, alles ehemalige Models, die vom "System Hollywood" fallen gelassen wurden, haben es sich zum Ziel gesetzt, den Drogenhandel unter ihre Kontrolle zu bringen und gleichzeitig die Korruption eines fiesen Politikers aufzudecken. Dazu sind ihnen alle Mittel recht, vor allem Sex. Der Film verbindet fünf Hardcore-Sequenzen, die die Rächerinnen beim Erreichen ihres Ziels zeigt, sowie eine zunächst von ihnen abgelehnte Adeptin, die ihnen Zugang zum Politiker und seiner "Casting Couch" eröffnet.
"The Bad Luch Betties" variiert zum Einen geschickt zeitgenössische politische und (sexual-)kulturelle Themen und verpackt dies zum Anderen in recht witzige und zu Beginn noch originell inszenierte Hardcore-Sequenzen. Leider geht dem Film nach der ersten Hälfte spürbar die Puste aus: die ansonsten variationsreich gefilmten und montierten (nicht nur Hardcore-)Sequenzen verkommen zur bloßen Nummernrevue mit teilweise ermüdender Länge. Auch der Soundtrack, der zu Beginn noch Rock- und Pornomusik-Kolorite miteinander verquickt, wird zunehmend unironischer und zur Muzak-Soundkulisse des Treibens.
Viel interessanter als der Film wurde das Ambiente: Es war mein erster Kino-Pornofilm (obwohl nur eine DVD gescreent wurde). Zunächst war der Saal vollbesetzt mit etwa gleichanteilig Männern und Frauen. Während der zweiten Hardcore-Sequenz verschwanden immer mehr Leute und am Ende waren vielleicht noch ein Drittel der ursprünglichen Besucher im Saal. Die hatten es jedoch in sich. Direkt hinter mir saß eine sehr extravertierte Dame mit zwei männlichen Freunden, der ich den kommenden Absatz widmen möchte:
Sie musste ihre Coolness derart unter Beweis stellen, dass sie den ganzen Film mit ihren beiden Begleitern konversiert hat. Dabei ging es zum einen darum, wie eklig sie diese und jene Szene und Einstellung fand ("Toll, jetzt rubbelt er da mit seinem schwieligen Daumen dran. Davon träumt jede Frau!"), wie sehr sie sich doch schon auf eine bestimmte Sequenz freue ("In dem Film soll ein Mann vergewaltigt werden!"), worin ihr Verständnis von Feminismus besteht (nach einer Sandwich-Sequenz erschießt die Protagonistin ihre beiden Beischläfer, jedoch offscreen: "Das soll feministisch sein?", der merklich enttäuschte Kommentar der Frau hinter mir) und nicht zuletzt vor allem darin, ihr eigenes Sexualleben mit dem auf der Leinwand zu vergleichen. Dieser Vergleich kulminierte in der überlaut vorgenommenen Feststellung: "Also mein Freund fickt zum Glück besser."
"Zum Glück" für wen? Für Sie, für die Umsitzenden, die sich das mit anhören durften? Zum Glück für ihren Freund, der es also mit (je)dem Pornodarsteller aufnehmen kann? Das kann man sich als Zuhörer selbst aussuchen. Interessant für mich war, wie deutlich ihre Kommentare doch mehr und mehr als "pfeifen im finsteren Wald" zu erkennen waren. Wie anders sollte man das laute Reden, das vor allem in den Hardcore-Sequenzen deutlich Zunahme, noch interpretieren - gerade, wenn sie sich klar sein musste, dass ihre intimen Bekenntnisse nicht nur von den neben ihr sitzenden gehört werden können?
Es ist eben auch für die abgebrühten Besucher eines Pornofilm-Kinos immer noch ein Skadalon, die Intimität eines filmerotischen Momentes mit Dritten zu teilen. Zu glauben, das Überspielen der eigenen Emotionen durch Coolness und/oder Lachen sei ein Privileg der Pubertierenden, ist angesichts von Sexualität grundfalsch. Ich will mich von dieser Erkenntnis auch gar nicht ausnehmen: Miriam und ich saßen ja direkt vor der Privatleben-Exhibitionistin und haben geschwiegen. Wir haben den Film nur an wenigen stellen im Flüsterton zueinander kommentiert und ihn - aus kühler filmwissenschaftlicher Distanz? - selbst in den Hardcore-Sequenzen "ernsthaft rezipiert". Diese Abgeklärtheit ist die andere Seite der Medaille.
#346
Geschrieben 24. Oktober 2008, 09:37
1. Vortrag über Privacy and Porn
2. Screening und Diskussion zu "Happy Video Privat" in Anwesenheit des Regisseurs Harry S. Morgan
#347
Geschrieben 27. Oktober 2008, 18:30
Ein weiterer Beitrag in der Vivid.alt-Reihe mit künstlerisch ambitionierter Pornografie. "The Doll Underground" sah dabei auch gar nicht schlecht aus: Der Film arbeitet mit Kollagen, Verfremdungen, Found Footage und mehrfachen Bild-Überlagerungen und entwirft so ein Bild von Los Angeles, das ein wenig an die Berlin-Bilder aus Walter Ruttmanns "Symphonie einer Großstadt" erinnert. Was passiert? Zwei Mädels vom Lande wollen nach Los Angeles, wahrscheinlich um dort eine Filmkarriere zu beginnen. Sie geraten jedoch in einen obskuren Club, wo sie auf eine dritte junge Frau treffen, die Mitglied im "Doll Underground" ist. Dabei handelt es sich um eine terroristische Aktion, die aus irgendwelchen Gründen Sprengstoffanschläge plant. Die drei Damen verlustieren sich abwechselnd miteinander, allein oder mit Männern, die entweder auch zum Underground gehören oder zum Feind, der auf diese Weise um Informationen gebracht werden soll.
Auch hier vergisst der Film nach etwa einem Drittel sein ästhetisches Projekt weitestgehend und reiht endlose Hardcore-Szenen aneinander. Die sind zwar nicht so grob wie in "Bad Luck Betties", aber finden zeitweilig kaum ein Ende. Markant waren die Sex-Geräusche, die die Darstellerin Dixi Pearl von sich gab: Anstelle des üblichen "Ah!", "Oh!", "Yeah!" oder "Fuck me!" kam ihr in Momenten besonderer Ekstase eine unaufhörliche Reihung "Shit!" über die Lippen. Man hatte als Kinozuschauer also wieder ausreichend Zeit und Gelegenheit sich im Saal umzuschauen. Das hat sie abermals gelohnt, denn der Regisseur und eben jene "Shit!"-Hauptdarstellerin Pixi Pearl waren anwesend. Zunächst saßen beide am Rand und es war ein sehr markantes Vergnügen, die Darstellerin dabei zu beobachten, wie sie sich selbst auf der Leinwand beobachtet. Spannend wurde es dann, als sie bemerkte, dass sie von etlichen Zuschauern beim Beobachten beobachtet wurde. Da fand ein regelrechter Abgleich zwischen dem Vorbild und dem medialen Abbild statt, der an Intensität zunahm, wenn Pixi Pearl in Hardcore-Szenen zu sehen war.
Sie entzog sich dem dann immer häufiger, indem sie den Saal für Minuten verließ und schließlich die einzige Möglichkeit, den Film zu sehen ohne selbst gesehen zu werden (und das wiederum sehen zu müssen) fand: Sie setzte sich mit dem Regisseur in die erste Reihe. Gern wäre ich geblieben, um sie zu fragen, was ihr denn so durch den Kopf gegangen ist in dieser Situation des doppelten Angeblicktwerdens. Ich fürchte aber, viel wäre da nicht gekommen - mir wurde berichtet, dass sie sich zum ersten Mal außerhalb der USA befand und ohnehin schon voller Ängste und Unsicherheit war.
#348
Geschrieben 07. November 2008, 14:47
Der Auftakt-Film zum neuen Examenskolloquium war diese kleine Seltenheit, die vor kurzem in Japan wieder auf DVD veröffentlicht wurde. Flugs mit englischen Untertiteln versehen war der Film dann auch für Nicht-Japaner goutierbar. Die Untertitel seien allerdings schlecht und sinnentstellend gewesen, teilte uns eine anwensende Japanerin mit. Das nicht genug, hat sich wohl auch nur den wenigsten der Anwesenden der Anspielungsreichtum von "Lebe wohl, Arche" erschlossen. Der Film basiert zwar lose auf García-Marquez' Roman "Hundert Jahre Einsamkeit", verwebt aber dennoch zahlreiche Zitate und Formenspiele der japanischen Kultur, vor allem des Theaters in seine Erzählung.
Das "Theatreske" war dann auch gleich der Punkt, den ich auszusetzen hatte. Mir kam Terayamas Film vor wie die zwei Stunden lange Auswalzung einer leider etwas trivialen Idee (die sich zumeist um das Thema personales vs. historisches Zeitempfinden drehte). Als Kunstfilm hat er sich bewusst inkohäsiv gegeben, vertraute jedoch nicht der Formensprache des Films, sondern montierte das Gezeigte in einer schon fast erschütternden Banalität. Terayama ist ein Mann des Theaters gewesen und "Lebe woh, Arche" sein letztes Werk - er soll dem Sterben bereits nahe gewesen sein, als er den Film drehte. Die Sporen, die er sich für die japanische Theaterkultur verdient hat, mögen gülden sein, der Filmkunst hat er allerdings kaum etwas hinzuzufügen mit "Lebe wohl, Arche". Sein Film ist weitgehend unfilmisch, ist, was Mike Figgis auf dem Münchner Filmfest 2006 so poinitert "art fart" genannt hat: intellektuell überladener Inhalt, der nicht die richtige Form findet.
#349
Geschrieben 07. November 2008, 14:48
Norris in knallengen Jeans mit Uzi-Maschinenpistolen in der Rechten und der Linken. Ein Vollbart, der sagt: “Wenn du hier noch einmal reinkommst, verpasse ich dir so viele rechte Haken, dass du um einen linken bettelst.” Hanebüchne Synchronisation, die aus kommunistischen Invasoren motivlose Terroristen macht (heute viel gruseliger als damals) … das alles hat mich nicht davon abgehalten, das eine oder andere Mal wegzunicken. Norris verzeiht’s und lächelt (hier in Richtung Gürteltier):

#350
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Ein Film, der einfach nicht langweilig wird. Jetzt, wo ich meinen Beobachtungsfehler der Erstsichtung revidieren konnte, wirkt er sogar noch stimmiger (und weniger reaktionär). Auch die Blu-ray-Disc ist tadellos geworden, enthält massig Zusatzmaterial und die Schwarz-Weiß-Fassung des Films (Darabong wollte ihn zuerst ausschließlich ohne Farbe drehen, hatte wohl aber vergessen, dass er es mit Hollywood zu tun hat). Was nun noch fehlt, wäre eine detaillierte Gegenüberstellung mit Steward Gordons “From Beyond”, die zeigen würde, dass Kings Ideenreservoir nicht bloß von Carpenter, sondern auch von Lovecraft stammt. Aber das ist ja ohnehin überoffensichtlich.
#351
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Es war das Cover (siehe rechts) und die Tatsache, dass ich “Telefonieren im Film” in diesem Semester in meiner Übung verhandele, die mich dazu bewogen haben, mir den Film auf Blu-ray auszuleihen. Besonders originell ist er leider nicht: Mystriöse Anrufe von kurz zuvor verstorbenen Studenten informieren deren Freunde über ihr eigenes Ableben. Markant: Die Anrufe kommen aus der nahen Zukunft (2 Tage später) und hinterlassen eine Sprachnachricht auf der Voicebox, die vom Angerufenen selbst stammt. Das ist ungewöhnlich, aber nicht ungewöhnlich genug. Das Remake eines japanischen Geisterfilms kombiniert hier Motive aus “The Ring” und “Final Destination”, jedoch ohne Gewinn. Schön war einzig jene Sequenz, in der eine über ihr baldiges Ableben informierte Studentin ihren Freunden anbietet, sich aus dem Nummern-Verzeichnis ihres Handys löschen zu lassen (denn darüber verbreitet sich die Todesbotschaft) und alle es nach leichtem Zögern auch tun. So funktioniert soziales Networking in Zeiten der Handy-Telefonie: Wenn du nicht mehr im Telefonverzeichnis deiner Freunde stehst, bist du für sie gestorben (oder umgekehrt).
Die Blu-ray ist übrigens kümmerlich (gar nicht) ausgestattet!
#352
Geschrieben 10. November 2008, 19:07
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
#353
Geschrieben 13. November 2008, 12:06
Eine Geschichte der Dualitäten: Gut gegen Böse, Positiv gegen Negativ, Gleichstrom (Blitz) gegen Wechselstrom (Hochspannungsmast): Der auf das Auffinden von verloren gegangenen Reptilien spezialisierte Privatdetektiv "Dragon Eye Morrison" wird unversehens vom selbsternannten Superhelden "Thunderbold Buddha" attackiert. Hatte sich letzterer zuvor vor allem auf die Elektrokution von Drogendealern konzentriert, so reizt ihn am eigentlich unschuldigen Morrison der Energieabgleich: Seine 20 Millionen Volt, die er als Kind in Form eines Blitzschlags erhalten hat, gegen die 80.000 Volt Morrisons, die dieser sich als Knabe beim Erklimmen eines Hochspannungsmastes eingefangen hat. Hier treten also menschliche Batterien und Kondensatoren gegeneinander an, um einen Kapazitätsvergleich durchzuführen.

Ishiis Film dekliniert Elektrizität in all ihren Indizes aus: Es sind ja nur Indexe, durch die uns derartige Ströme erfahrbar werden: Kabel, Schalter, Hebel, Stecker, Stromzähler, Knistern auf der Tonebene, Blitze, Funken - bis hin zur endgültigen Ästhetisierung im Spiel der "elektrischen Gitarre". Der Film zeigt sie alle und manifestiert seine Erzählung in ost-westlicher Drachen-Mythologie. Dass der Strom-Unfall bei Morrison nämlich vor allem das limbische System angeregt hat, erklärt nicht nur seine Affinzität zu Reptilien, sondern auch seine speziellen Wutausbrüche, die ihn den kapazitätsstärkeren Buddha schließlich besiegen lassen.

Ein Film in kaltem Schwarzweiß voller Licht, Nässe und brachialem Industrial-Sound.
#354
Geschrieben 13. November 2008, 12:08
Das Motiv der Elektrizität in “Frankenstein” ist absolut vordergründig. Elektrischer Strom ist der Motor des gesamten Plots, könnte man sagen. In diesem Motiv bündeln sich aber auch etliche Diskurse, die “Frankenstein” impliziert: ein technologischer, ein medizinischer, ein ethischer, ein ästhetischer - sie alle kristallieren an den Flammenbögen im Labor von Victor aus. Gunnar Schmidt hat diese Diskurse so konzise wie kein zweiter in einem Text zusammengefasst:
Zitat
Quelle: Gunnar Schmidt: Anamorphotische Körper. Medizinische Bilder vom Menschen im 19. Jahrhundert, Köln u.a.: Böhlau 2001, S. 147.

#355
Geschrieben 14. November 2008, 12:28
Hick sagte am 10.11.2008, 19:07:
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
Meinen eher in den Bereich der Filmkritik gehörenden Aussagen möchte ich noch ein paar Worte von der Warte der Medientheorie hinzufügen. “Shocker” bedient als Horrorfilm natürlich vor allem Ängste - hier Ängste vor der Unheimlichkeit des Unsichtbaren. Dieses Unsichtbare findet seinen "Gegenstand" einerseits im elektrischen Strom, andererseits in den elektrischen Medien (hier vor allem: dem Fernsehen). "Shocker" ist vollgestellt mit TV-Monitoren und der letzte Zufluchtsort des Killers ist dann auch der “Äther”. Das reaktionäre Element des Horrorfilms (der häufig auf die Unheimlichkeit des Neuen insistiert und daraus seinen Horror generiert) ist hier also vor allem in der schon 200 Jahre alten Unheimlichkeit vor der Unsichtbarkeit des elektrischen Stroms zu suchen.
Die Physik um 1800 war sehr damit beschäftigt, die Elektrizität ihrer Unsichtbarkeit zu entreißen ist dabei jedoch lediglich auf “Symptome des Elektrischen” gestoßen. Im Film sind diese Symptome in zwei Klassen eingeteilt: 1. direkt mit dem physikalischen Phänomen der Elektrizität verbundene Indexe: Kabel, Schalter, Funken, Knistern, Flammenbögen, … 2. In indirekte, eher mit der Wirkung von Elektrizität verbundene Indexe: Diese reichen von der Induzierung elektrischer Schläge durch Bberührung eines elektrifizierten Gegenstandes (Körper, Kabel, …) bis hin zur Manifestation des Unsichtbaren im Gespenst - eine Tendenz, die ebenfalls im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hat, die Wolfgang Hagen bereits ausführt:
Zitat
Ab 1890 wird eine wissenschaftliche Bewegung in England stark, die die Hertzschen Wellen zur Hoffnungsträgerin der “ESP” erklärte, der Extra-Sensoric-Perception. Unter Mitwirkung bedeutender Physiker wie Crookes und Lodge, erforscht die “Society For Psychical Research” in allem Ernst wissenschaftlicher Methodik “Gedankenübertragung” und tischeversetzenden Gedankenmedien.
Die Gestaltwerdung der Elektrizität - in “Shocker” ist das Horace Pinker. Als Böser Geist treibt er sein Unwesen in den Netzen der Elektrizität und des Fernsehens. Über Radio- bzw. TV-Wellen, so droht er, wird er überall hin gelangen. Nach Hagen ist die Hertz’sche Entdeckung der Radiowellen der Beginn des Massenmedienzeitalters, weil Massenmedien notwendigerweise elektrisch sein müssen, um wirklich überall hin zu gelangen. Von dieser Überlegung ist es dann nur noch einen Schrift weit entfernt zur Bedeutung Horace Pinkers als Bild-gewordene Warnung vor den Effekten der Massenmedien und seine Bekämpfung durch den Okkultismus (Kette mit Wunderanhänger, Geistererscheinung Alisons) eher konsequent als “bloß lächerlich”.
#356
Geschrieben 18. November 2008, 16:05
Es ist schon ein eigenartiger Fehler im Drehbuch, dass Ichobad Crane vor Gericht die unter Folter erzwungenen Geständnisse mit dem Verweis auf den Vernunftgebrauch des Menschen in der neuen Zeit anprangert und sagt: "The millennium is almost upon us. In a few months, we will be living in the nineteenth century. But our courts continue to rely on medieval devices of torture." Spielt der Film doch im Jahre 1799 und damit keineswegs am Rande eines neuen Millenniums. Die Verwirrung über die Zeitenwende ist gleichermaßen charmant wie nachvollziehbar, steht Burtons "Sleepy Hollow" doch selbst am Rand eines (wirklichen) neuen Millenniums (wenn man den Wechsel der Tausender-Einheit als Anzeichen dafür nimmt). Die Frage, was die Folgezeit wohl bringt, war jedenfalls 1799 wie auch 200 Jahre später akut und rückblickend muss man wohl sagen, dass der gewaltige Schritt, den die westliche Kultur im 19. Jahrhundert nach vorn gemacht hat, im 21. Jahrhundert in die genau entgegen gesetzte Richtung zurück gegangen wurde (nimmt man nur einmal durch Folter erzwungene Geständnisse in Gerichtsprozessen der westlichen Welt als Maßstab).
Die Blu-ray-Disk von Constantin ist in für den Verleih gewohnter, exzellenter Qualität. Besonders schön wirkt der Detailreichtum der bleichbadüberbrückten Bilder. So sehr nach Gothic Novel und 19. Jahrhundert hat wahrscheinlich nicht einmal die wirkliche Zeit damals gewirkt.

#357
Geschrieben 20. November 2008, 10:57
Es gibt ganz offensichtlich Erzählkonzepte und Motive, die so fest an bestimmte filmhistorische und geschichtliche "Epochen" gebunden sind, dass sie schon ein paar Jahre nach ihrem Erscheinen mehr über ihre Entstehungszeit mitteilen als dass sie noch als Unterhaltungsprodukte wahrgenommen werden. Der unironische Abenteuerfilm gehört auf jeden Fall dazu. Heute braucht es schon die postmodernistische Distanz eines "Pirates of the Caribbean" oder "National Treasure", um in dem Genre überhaupt noch etwas hinzuzufügen.
Dass ich mit dieser These vielleicht nicht so ganz falsch liege, lässt sich am zwar umfangreich produzierten aber letztlich in seiner Modernität und Ernsthaftigkeit vollständig absaufenden "Indiana Jones 4" ablesen. Schon der dritte Teil hatte vor allem mit dem historischen und damit kulturellen Abstand zu seinen beiden Vorgängern zu kämpfen. Der vierte Teil verliert diesen Kampf bereits bevor er überhaupt beginnt, denn das Helden-Konzept von "Indiana Jones" verträgt keine Ironie. Sowohl das Konzept als auch der Hauptdarsteller und vor allem das Regisseur-Produzenten-Gespann Spielberg/Lucas schaffen es also nicht, diesem 80er-Jahre-Alleswirdgut-Ungeheuer noch einmal Leben einzuhauchen. Anstelle dessen bemüht sich der Film, eine Nachfolgerfigur aufzubauen - als hätte es diesen Versuch nicht bereits (erfolglos) gegeben. Den viertel Teil der Saga habe ich mir nur widerwillig angesehen - auf den fünften werde ich wohl auf jeden Fall verzichten.
#358
Geschrieben 20. November 2008, 11:19
Ich taste mich langsam rückwärts durch die Filmografie Tony Scotts und bin erstaunt, wie konsequent sich sein Regie-Stil in seiner Entwicklung verfolgen lässt. Nach “Domino”, “Déjà vu” und “Man on Fire” habe ich mir nun “The Fan” angesehen. Vor allem der Schnittrhythmus in Verbindung mit den Einstellungsgrößen sorgt dafür, dass der Film einem von den ersten Bildern an unangenehm auf den Leib rückt. Die Aggression, die sich im Figurengeflecht ja eigentlich erst nach und nach entwickelt und erst nach der Hälfte des Films im Mord an Juan Primo ihren “Ausbruch” findet, offenbart sich filmisch bereits in der ersten Sekunde.
Dieses Gefühl der “unangenehmen Nähe”, das der Film ja letztlich auch zum Thema hat, wird noch potenziert durch das Spiel Robert de Niros. Welche Abgründe sich hinter der konsequenten Verfolgung einer “Idee” (hier des totalen, bedingungslosen Fantums) auftun, hat er ja bereits deutlich in Filmen wie “King of Comedy” und “Taxi Driver” vorgeführt. Es ist diese seltsame Mischung aus Verständnis für seine Situation und Angst vor seiner Fixiertheit, die alle drei de-Niro-Figuren auszeichnet. In Wesley Snipes findet er übrigens seinen gelungenen Gegenpart, denn Snipes spielt den opportunistischen Sport-Star mit dem Hang zum Aberglauben perfekt. Als er von seinem Fan in die Realität zurückgerissen wird, gelingen Snipes ein paar exzellente und authentisch wirkende Angstsituationen. Freilich trägt die Kamera auch hier wieder das meiste zum Gelingen des Affektübertrags bei: Die Close-up-Szenen im Showdown im strömenden Regen des Baseball-Stadions sind unglaublich intensiv fotografiert.
#359
Geschrieben 20. November 2008, 12:54
Hackers 2 (Takedown, USA 2000, Joe Chapelle) (DVD)
Für den nächsten “Computer im Film”-Artikel für telepolis, in welchem es dieses Mal um Menschen im Computer gehen wird, habe ich den Schluss des Beitrags mal an den Anfang der Recherchen gesetzt. Die beiden Hackers-Filme gehören zunächst einmal überhaupt nicht zusammen. Sie haben zwar dasselbe Thema und - darauf komme ich noch - eine erstaunlich ähnliche Geschichte, doch sind es zwei ganz unterschiedliche Produktionen, von denen sich die zweite weder explizit noch implizit als Nachfolger der ersten gibt.

“Hackers” erzählt die Geschichte des jugendlichen Computerkriminellen Dade, der als Kind unter dem Nick “Zero Cool” wegen Einbruchs in fremde Netzwerke zu einem “Computerverbot bis zum 18. Geburtstag” verurteilt wird. Der Hauptplot setzt ein, als der Junge die Strafe “abgesessen” hat. Er ist immer noch Hacker, nun unter dem Pseudonym “Crash Override”, und zieht mit seiner ihn alleinerziehenden Mutter nach New York. Dort bekommt er Zugang zu einer Peergroup, die sich mit Computern beschäftigt und zu der auch die Hackerin “Acid Burn” (Angelina Jolie) gehört. Die Hackergruppe wird von einem Staatsanwalt verfolgt, der in der Computerjugend die Terroristen des 21. Jahrhunderts sieht. Als Dade in das Firmennetzwerk einer Ölförder-Gesellschaft einbricht und dort ein Verzeichnis mit Dateien aus dem Trash auf seine Festplatte kopiert, entdeckt er, dass sich darin ein Computervirus befindet, mit dem eine Sabotage mit verheerenden Konsequenzen durchgeführt werden soll. Der Sicherheitsbeauftragte der Firma, der Hacker “The Plague”, ist der Autor des Virus und wird damit zum mächtigen Feind der Gruppe. Überdies schaltet sich nun auch der Secret Service und das FBI in den Fall ein, weil es “The Plague” gelingt, die jugendlichen Hacker mit dem Sabotage-Virus in Verbindung zu bringen.

Das, was sich “Hackers” unter Hacking vorstellt, dürfte ziemlich konform mit den damaligen Vorstellungen der Öffentlichkeit über diese Verbrechensart sein: eine in sich abgeschlossene Community von Freaks, die keiner anderen Ethik als ihrer eigenen folgt, die im ständigen Wettkampf miteinander steht und jeden Computer und jedes Betriebssystem in- und auswendig kennt. Diese Annahme koreliert mit der Darstellung von Computern und Netzwerken. Ständig sehen wir leuchtende und blinkende Serverschränke, glühende Leiterbahnen und animierte Flüge durch irgendwelche Kabel und Computergehäuse. Der Tenor ist klar: Computer sind überall und immer präsent und wer sie beherrscht, herrscht über alle verfügbaren Informationen. Den jugendlichen Hackern ein sozialkompatibles Ethos zu unterstellen gelingt erst, als der kriminalistische Diskurs die rein virtuellen Sphären verlässt und sich dem Terrorismus in Form einer angedrohten Tanker-Havarie zuwendet. Es braucht also eine “Schnittstelle”, um aus dem Computer in die “Realität” auszubrechen.

“Trackdown” erzählt beinahe dieselbe Geschichte: Wieder geht es um einen Hacker, der - weil er es kann - in fremde Netzwerke eindringt und sich auf Kosten Dritter bereichert. Auch er entdeckt im gestohlenen Code einer Telefongesellschaft ein Programm, das gewaltige Schäden anrichten kann - ebenfalls vom dortigen Sicherheitsbeauftragten programmiert. Und wieder beginnt eine Jagd, bei der der Hacker von der Staatsmacht und von seinem Kontrahenten verfolgt wird.

Regisseur Joe Chapelle erspart seinen Zuschauern jedoch die Visualisierung der “virtuellen Verbrechen”. Fünf Jahre nach “Hackers” ist man eben bereits “im Bilde” darüber, wie das Internet funktioniert. Daher werden die technischen Details des Films (FTP-Server, Verschlüsselungssoftware, sendmail-Protokoll, …) auch gar nicht mehr erklärt, sondern wie selbstverständlich genutzt. Das “Eindringen” ins System ist nunmehr nur noch ein intellektuelles - bei “Hackers” hatte man als Zuschauer mehr als einmal den Eindruck, der Geist des Hackers wandere selbst durch die Netzwerke. Vielleicht ist diese Selbstverständlichkeit, mit der “Trackdown” das “Leben in der Computerwelt” inszeniert auch darauf zurückzuführen, dass wir eben wirklich “in” dieser Welt leben, dass unsere soziale Wirklichkeit bereits stark mit Metaphern der virtual reality angereichert ist …
#360
Geschrieben 28. November 2008, 09:01
Der Film der zweiten Examenskolloquium-Sitzung war dann schon amüsanter. Hitchcock versucht sich an einer “Verfilmung” von Psychoanalyse. Weil psychische Prozesse nun aber mal die Eigenschaft haben, unsichtbar zu sein und nur durch “Konversion” sichtbar zu werden, muss sich der Regisseur etwas ausdenken, an dem die Identitätsstörung seines Protagonisten sichtbar werden kann. Bei Hichtcock ist dieses “Etwas” natürlich kriminalistischer Natur: Hat der sich als Psychiater ausgebende Mann (Gregory Peck) einen Mord begangen und die Identität des Ermordeten angenommen? Das wird von (wie immer) zwei Seiten zu ermitteln versucht: Die Polizei und die Analytiker nehmen die Spurensuche auf. Im Zentrum - quasi dazwischen - steht die emanzipierte und extrem in den Patienten/potenziellen Mörder verliebte Psychoanalytikerin (Ingrid Bergman). Ihre Liebe macht sie blind für allzu schnelle Schlüsse. Sie flieht mit dem Mann zu ihrem Doktorvater, der ihn einer Kurzzeittherapie unterzieht und so die verdrängten Erinnerungen zurückholt.
Das ist natürlich alles Holterdipolter-Psychoanalyse, zeigt aber sehr schön, wie das Prinzip der Konversion filmisch ein-/umsetzbar ist. Dort, wo die realen Bilder nicht mehr reichen, in der Traumlandschaft, tauchen surreale Bilder auf, die dann schließlich auch den Schlüssel zur Wahrheit bergen. Entworfen hat diese Traumbilder Salvador Dalé, mit dem Freud ja bekanntlich nie etwas zu tun haben wollte. Auch deshalb wirkt “Spellbound” eher wie eine Travestie auf die Psychoanalyse, denn wie eine ernsthaften Auseinandersetzung. Und wenn man dann, in einer der Schlüsselszenen des Films, eine der schönsten Schauspielerinnen jener Zeit das (im Deutschen wie im Englischen gleichlautende) Wort “Leberwurst” sagen hört, dann ist man förmlich gezwungen, das alles nicht ganz ernst zu nehmen.
#361
Geschrieben 28. November 2008, 09:54
“Peliculas para no dormir”, als “Filme, um nicht einzuschlafen” bzw. “nicht schlafen zu können” heißt die kleine TV-Reihe mit spanischen Gruselfilmen, von denen jetzt zwei auf Blu-ray-Disc bei e-m-s erschienen sind. Ich habe mir Balagurós 69-Minütigen Beitrag gestern angesehen und war wirklich platt. “Para entrar a vivir” erzählt von einem Pärchen, das eine neue Wohnung sucht und aufgrund einer obskuren Anzeige am Stadtrand in einem eher baufälligen Mehrfamilienhaus einen Besichtigungstermin mit einer Maklerin vereinbart. Die stellt sich schnell als psychotische Hausbesitzerin heraus, die ihr Haus, das von der Stadt als unbewohnbar erklärt wurde, wieder mit Mietern füllen will - egal ob diese Mieter das wollen oder nicht.
Geradezu schwindelig ist mir mehrfach beim Schauen geworden. Nicht nur vom Thema, auch von der Bildgestaltung her ist "Para entrar a vivir" eine Art Vorstudie zu "Rec". Hier ist es zwar kein diegetischer Kameramann, der die Bilder erzeugt, aber die Kamera ist dennoch ganz wesentlich an der Affektproduktion beteiligt: Häufig zittert sie, dass das Bild wie durch ein Erdbeben erschüttert wird - aber nie stark genug, dass man - wie in "Rec" - den Überblick verlöre, sondern stets so, dass man sich fragt, ob es vielleicht der eigene Blick war, der für einen Moment außer Kontrolle geraten ist. Die überaus böse Story in Verbindung mit dieser Affekt-Strategie machen Balaguerós Beitrag zur Reihe zu einem bemerkenswert schlüssigen und innovativen TV-Film.
Ich hoffe, e-m-s entschließt sich auch dazu, die anderen vier Filme der Reihe zu veröffentlichen.
#362
Geschrieben 28. November 2008, 14:15
Zusammen mit dem Western "Whity" ist dies Fassbinders wohl klarste Genre-Arbeit und sein einziger Science-Fiction-Film. Er erzählt in über 200 Minuten die Geschichte des Informatikers Fred Stiller, der die Nachfolge seines Freundes Henry Vollmer in einem "Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung" antritt. In diesem Institut wird ein neuartiger Supercomputer mit dem tollten Namen "Simulacron" betrieben. Dieser erzeugt eine künstliche Welt, in der bereits fast 10.000 simulierte Menschen leben. Um diese Menschen und ihre Aktionen so realistisch wie möglich zu gestalten, ist ein Betriebspsychologe mit dem Entwurf ihrer mentalen Eigenschaften beschäftigt. Henry Vollmer, der das Projekt zuvor betreut hat, scheint eine seltsame Entdeckung gemacht zu haben, die ihn zuerst den Verstand und dann das Leben gekostet hat. Weil Stiller einer der letzten war, die Vollmer lebendig gesehen haben, gerät er in den Kreis der Mordverdächtigten.

Als Stiller mit dem Schwager Vollmers, der ebenfalls bei dessen Tod zugegen war, auf einer Party ein Gespräch über das Geschehene führen will, verschwindet der Mann plötzlich. Am nächsten Tag will sich niemand auch nur an die Existenz des Mannes erinnern können und auch der Tod Vollmers scheint in Vergessenheit geraten zu sein (ist später sogar aus den Zeitungen, in denen er zuvor auf Seite 1 stand, verschwunden). Langsam glaubt Stiller an eine Verschwörung, bis er feststellt, dass ein "Avatar" Vollmers in der künstlich erzeugten Welt von "Simulacron" existiert. Er begibt sich mit Hilfe einer Schnittstelle, einem Datenhelm, ebenfalls in die simulierte Welt und kontaktiert dort Einstein, den einzigen Avatar, der um seine Virtualität weiß. Einstein gelingt kurz darauf die Flucht aus der Simulation. Er trifft außerhalb von "Simulacron" auf Stiller und verrät diesem, dass auch seine Welt lediglich eine Simulation ist. Nun ergibt der Tod Vollmers und das Verschwinden des Zeugen plötzlich einen Sinn: Derjenige, der die Welt Stillers kontrolliert, wollte Indizien, die auf ihre Künstlichkeit hindeuten, verwischen. Vollmar war der Entdeckung der Künstlichkeit seiner Existenz jedoch zu nahe gekommen und wurde "wegprogrammiert" (Zitat).

Mit diesem Wissen begibt sich Stiller auf die Suche nach einem Kontakt-Avatar, um nun ebenfalls seine Simulation verlassen zu können. Er entdeckt diesen in der mysteriösen Eva Vollmer, die sich als Nichte des Ermordeten und Tochter des Verschwundenen Zeugen ausgibt, in Wirklichkeit aber aus der Realität stammt und Stiller mit zu sich nehmen will, weil sie sich in ihn verliebt hat. Mit einem Trick gelingt es ihr, Stillers Geist (ganz ähnlich wie es Einstein auch gelungen war, die Simulation in der Simulation zu verlassen) in den Körper des ohnehin wahnsinnig gewordenen Programmieres der Simulation zu transferieren.
Eine vertrackten Handlung, die dem Zuschauer der 1970er Jahre nicht wenig Imaginationsfähigkeit abverlangt haben dürfte. Nicht nur ist Erzählung recht abstrakt, Fassbinder hält sich auch mit der Inszenierung von Technologie sehr zurück. Ab und zu werden Server-Räume gezeigt und eine Videowand, die Szenen aus der Simulationswelt zeigt. Diese sind an ihrer Farbarmut (im Vergleich zur simulierenden Welt) zu erkennen. Der Unterschied dieser Simulation wiederum zur richtigen Welt ist optisch jedoch nicht so deutlich markiert, um dem Zuschauer nicht vorab zu verraten, dass etwas nicht stimmt.

Ein weiterer mentaler Anker für den Zuschauer ist die Diskursivierung der Simulation. Die Charaktere sprechen von ihren Welten in den Kategorien "oben" (realere Ebene) und "unten" (simuliertere Ebene). Dies hat "Welt am Draht" mit Filmen wie "Tron" gemeinsam. Zugleich wird damit über das interessante topologische Denken von Wirklichkeit(sstufen) auch eine metaphysische Ebene berührt. Bereits bei "Tron" war die Welt "oben" ja eine Götterwelt der "User". Diese wurden wie allmächtige und allgütige Götter angebetet. Bei Fassbinder sind die User jedoch "Teufel" im Wortsinne: Verwirrer und Durcheinanderwerfer. Sie konstruieren Realitäten und basteln Bewusstseine, die sich über ihren Status nicht sicher sein können und ständig von "Wegprogrammierung" bedroht sind.

"Welt am Draht" ist natürlich kein schnöder Verschwörungsfilm, sondern transzendiert sein Thema auf eine philosophische Ebene. Stiller beginnt recht bald Platons und Aristoteles Ideenlehre zu durchdenken und mit seiner Situation zu vergleichen. Der Descarte'sche Zweifel, der an ihm nagt, wird zudem mehrfach ethisch umgedeutet: Zum einen wird die Frage aufgeworfen, ob "Avatare" mit derartig ausdifferenzierten Bewusstseinen überhaupt noch "Mittel zum Zweck" sein dürfen, oder ob dies nicht (das wird nicht wörtlich gesagt, aber gemeint) dem Kant'schen Menschenbild der Aufklärung widerspricht. Zum anderen steht natürlich das Problem der "Möglichkeit" im Raum: Wie autonom ist der Mensch noch gegenüber Maschinen, die, wie "Simulacron", den "Sprung zum autonomen Computer" (Zitat!) bereits getan haben?

Die Anknüpfungspunkte an die Literatur- (Orwells 1984 und das Thema der Vergangenheisänderung) und Filmgeschichte sind natürlich vielfältig. Ideen aus "Welt am Draht" finden sich in Filmen wie "Avalon", "Dark City", "Matrix" und etlichen anderen Computer- und Gesellschaftsdystopien wieder. Dass Fassbinder zu einer Zeit, als Computer noch weitgehend unbekannte Maschinen waren, bereits ein solch treffsicheres Gespür für deren technologische und gesellschaftliche Bedeutung und die durch sie erzeugten Ängste hatte, verdeutlicht einmal mehr das Genie, das er war. Erwähnenswert ist überdies noch die Kameraarbeit Michael Ballhaus', der das Problem der Identität wieder einmal treffend durch die mise-en-scène (Spiegel, horizontale und vertikale Bildaufteilung) dekliniert und der Soundtrack Gottfried Hüngsbergs, der klassische Themen und Stücke mit einer sehr befremdlichen Synthesizier-Musik kombiniert. (Das hat mich teilweise an das ein Jahr zuvor veröffentlichte Debüt-Album "Irrlicht" von Klaus Schulze erinnert.)

#363
Geschrieben 28. November 2008, 15:27
Wie hat man sich einen Computer vorzustellen? Nicht die äußere, graue Plastikbox und den Bildschirm mit den Zeichen darauf, sondern sein Innenleben, die elektrischen Prozesse, das Abarbeiten der Programme. Welche Bilder sind für die abstrakten Metaphern des Programms, der Schnittstelle, der Datei überhautp angemessen? Diese Frage beantwortet das Walt-Disney-Studio 1982 durch totale Anthropomorphisierung.
"Little Computer People" sind es, die den Computer im Film bevölkern. Dieser Computer ist die zentrale Recheneinheit der Firma "ENCOM", die seit kurzem von einem "Master Control Programm" beherrscht wird. Das MCP ist ein betriebssystem-artiges Meta-Programm und überwacht die Funktionen aller anderen Prozesse im Rechner - vor allem aber die Schnittstellen, mit denen Daten in den und aus dem Computer in die Welt gelangen. Zwei Dinge werden nun zum Problem für das MCP: 1. Der Firmenangestellte Alan, der ein Programm mit dem Namen "Tron" entwickelt hat, das als einziges unabhängig im System agiert und sogar das MCP überwachen kann. "Tron" ist ein Monitorprogramm, ein "Tracer" (vgl. den BASIC-Befehl "TRON - Trace On") und damit ein virtueller blinder Fleck im allwissenden Auge des MCP, der die Entlassung Flynns und die Stillegung des "Tron"-Programms veranlasst.
Das zweite Probleme ist der Hacker Flynn, der einst Angestellter von ENCOM gewesen ist, bis die Firma ihn mit einem Trick um eines seiner lukrativsten Projekte betrogen hat: Ein Videospiel namens "Space Paranoids". Die Wahrheit über den Urheber des Spiels ist noch irgendwo im System verborgen und so entschließen sind Alan, Flynn und ihre Freundin Lora, nachts bei ENCOM einzubrechen und in den Computer einzudringen. Der MCP ist jedoch gewappnet, digitalisiert über eine neueartige, experimentelle Schnittstelle Flynn und "saugt" ihn in den Computer. Dort sieht er sich der despotischen Willkürherrschaft des MCP ausgesetzt. Programme aller Art, die den Glauben an ihren "User" nicht freiwillig aufgeben wollen, werden interniert und in einer elektronischen Arena von Gladiatoren in Videospielen vernichtet. Als Flynn sich als User zu erkennen gibt, brechen die Programme Tron und Yori (ein Programm Loras) zusammen mit ihm aus, um zu einer Schnittstelle zu gelangen, von wo sie einen Code Alans in Empfang nehmen, der die Herrschaft des MCP entgültig beendet.
Ich habe den Film zum ersten Mal in der Originalfassung gesehen und war erleichtert, dass die meisten Albernheiten tatsächlich der deutschen Synchronisation zu verschulden gewesen sind. (Vor allem die Stimme des "Bit", das Flynn eine zeitlang begleitet, wäre hier zu erwähnen: in der deutschen Fassung eine plärrende Kinderstimme, in der Originalfassung ein blechern klingender elektronischer Sound). Das bereits erwähnte Projekt des Films, die Anthropomorphisierung und damit Sichtbarmachung elektronischer Prozesse, wird auf großartige Weise umgesetzt. Halb Computer- und andere Animation, halb Realfilm entführt "Tron" den Zuschauer ein eine "unheimliche" Welt. Unheimlich im Freund'schen Sinne als etwas sehr vertrautes und doch fremdes, denn diese Welt ähnelt in Strukturen und Aussehen der unsrigen. Im Computer ist eine kleine Stadt. Abermals werden Straßen, Häuserzüge, Zitadellen und anderes zu Metaphern des Systems und mit Funktionsanalogien zwischen realer Welt und Computerwelt versehen.
"Tron" ist in vielem luzide, beschreibt Formen von Computerkriminalität, die erst zwei Jahrzehnte später real werden. Das Tron-Programm wird mit den Attributen eines Virus versehen, das ACP gibt sich als Firewall. Über dies bedient sich die Geschichte von Flynn und ENCOM technikhistorischen Computergründungsmythen. Es wird von Garagen-Unternehmen, Softwarediebstählen und dem Videospieleboom erzählt. Die Welt im Computer wird mit den farbigsten Begriffen beschrieben: Der MCP beschwert sich etwa bei seinem Haupt-Folterprogramm "Sark": "Programme fliegen mit einer gestohlenen Simulation durch das System!" und als eben diese Programme (Tron, Flynn und Yori) an ihrem Ziel, der Schnittstelle "Dumont" (es ist ein heiliger Berg, zu dem sie reisen und von dessen Gipfel sie einen "Strahl der Wahrheit" empfangen!) angelangt sind, raunt "Dumont" bedächtig: "All that is visible must grow beyond itself, and extend into the realm of the invisible." - Die Umkehrung des Prinzips "Tron".
Screenshots folgen ...
#364
Geschrieben 30. November 2008, 17:50
Don Siegel greift die Kommunisten-Paranoia aus "Die Dämonischen" wieder auf und lässt Charles Bronson erklären: "Being paranoid doesn't mean we're not being followed."
In "Telefon" geht es darum, dass sowjetische Agenten, die in den USA leben, per Telefonanruf aus ihrem "undogmatischen Schlummer" erweckt werden und Attentate auf ehemals kriegswichtige Ziele begehen. Ehemals, weil die Schläfer bereits in den 1950er Jahren (Die Dämonischen!) eingeschleust wurden und Schlummer, weil sie zuvor hypnotisiert wurden, so dass sie gar nichts von ihrem Schläfer-Dasein wissen, bis sie ein ehemaliger Sowjet-Agent, der an ihre Namen und Telefonnummern gekommen ist, sie erweckt. Das tut er, weil er als Stalinist mit der Entspannungspolitik seines Landes nicht einverstanden ist und den dritten Weltkrieg heraufzubeschwören beabsichtigt. Bronson ist ebenfalls russischer Agent, der zusammen mit einer CIA-Kollegin (und Doppelagentin) versucht, das schlimmste zu verhindern.
Dass in "Telefon" ausgiebig telefoniert wird, ist klar. Doch die Telefonate sind eigentlich allesamt problematisch: Die "Weck-Anrufe" erfolgen alle aus nächster Nähe, der Anrufer sieht den Angerufenen (will seine Reaktion sogar beobachten) und könnte ihm also die Erweckungsformel auch zurufen. Die meisten anderen Telefonate gehen in der Zentrale des CIA ein, wo sie sofort mitgeschnitten werden und ihren Charakter als präsente, lebendige Rede damit verlieren. "Ferne" ist in "Telefon" also nur indirekt anwesend: Die Schrifteinblendungen mit Fern-Schreiber-Akustik oder die zahlreichen Beobachtungsaufnahmen mit Tele-Objektiv.
Das zweite, subtilere Thema des Films sind "Frauen". Vorgeführt werden sie uns in zwei Erscheinungsformen: als menschgewordener Computer (eine EDV-Agentin im CIA) und als skrupelbeladene Spionin. Die eine hat ihr Geschlecht verfehlt, die andere ihren Beruf. "Erlöst" werden sie wie im Märchen durch einen Kuss: Die Computer-Frau bekommt für ihre Arbeit von ihrem Vorgesetzten nicht länger verbalen Lob, sondern (endlich) einen Kuss, der sie, die sonst sehr mit und für die Maschine fühlt, sogleich "Hip Hip Hooray" in den Rechner eintippen lässt. Bronson küsst seine Spionin, die ihn eignetlich nach getaner Tat beseitigen sollte und "reprogrammiert" sie damit zur Sexualpartnerin, mit der er sich absetzt.
Bezeichnenderweise führt sie das Kündigungstelefonat für ihn, denn in Gefühlssachen können Frauen wohl (auch fernmündlich) besser kommunizieren.
#365
Geschrieben 01. Dezember 2008, 09:27
Leonards Film, (ganz) frei nach Motiven einer Stephen-King-Kurzgeschichte, ist ein Paradebeispiel für die prognostischen Ambitionen des technokulturkonservativen Science-Fiction-Films, der sogar eine handfeste Drohung enthält. Und dabei fängt alles so neutral formuliert an:

Dr. Angelo kündigt seine Stelle bei einem militärischen Forschungsprojekt, das mit Hilfe computererzeugter Virtual Reality Affen zu Kriegmaschinen umfunktionieren will. Er forscht anstelle dessen weiter in seinem Keller, in dem eine recht beachtliche EDV-Anlage aufgebaut ist. Ab und zu kommt ein Nachbarsjunge und spielt Spiele in der VR. Als Angelo den geistig zurückgebliebenen Rasenmähermann Jobe ebenfalls zu einem Spiel einladen kann, findet er in ihm ein neues Versuchskaninchen: Jobe soll mit Hilfe der VR intelligenter gemacht werden. Das gelingt in beeindruckendem Tempo, so dass sich das Militär bald wieder für die Forschungen Angelos zu interessieren beginnt und ihm anbietet, sie in der wesentlich größeren Anlage fortzusetzen. Der Wissenschaftler nimmt an und beschleunigt damit die Ausbildung Jobes um ein weiteres. Doch insgeheim geben die Militärs der bewusstseinserweiternde Droge, die vor jeder Lerneinheit injiziert werden muss, ein Serum zur Aggressivitätssteigerung bei. Und so wird Jobe nicht nur unglaublich schlau, sondern auch noch unglaublich gemein. Die Entwicklung gipfelt darin, dass er, der PSI-Fähigkeiten entwickelt hat, seine leibliche Existenz aufgeben und fortan im Computernet weiter existieren will, um von dort die ganze Welt zu beherrschen. Leider für ihn und zum Glück für die Menschheit müssen Computer allerdings am Netz angeschlossen sein, um mit ihm interagieren zu können.

In diesem Plot zeigt sich bereits vieles von den Ängsten und Hoffnungen, die mit einer neuen Technologie wie der Virtuellen Realität verbunden sind. Ihr Segen, umweltunabhängiges erfahren und verarbeiten von Informationen, kann schnell zu einem Fluch werden, denn Jobes immer größerer Wissensdrang (”Noch mehr Informationen über alles”, fordert er) ist natürlich auch ein Zeichen für die Sucht aus der Realität in die Virtualität zu fliehen (eine Sucht, die heute sehr gut bekannt ist). In Andeutungen hat sich diese bereits zehn Jahre zuvor in Douglas Trumbulls “Brainstorm” und gezeigt. Hier wie dort ist diese Sucht gekoppelt an eine Technologie, die nicht mehr allein die bekannten Medienrezeptionssinne Auge und Ohr reizt, sondern sich auch der übrigen annimmt. Bei “Brainstorm” ist es vor allem die Empathie-Fähigkeit, die zu einem Kanal erklärt wird, durch den das sensitive wie emotionale “Fühlen” fließen kann. Im “Rasenmähermann” kommen - ermöglicht durch Datenanzüge und -handschuhe sowie eine Körperlagerung mit vom Computer steuerbarer Raumposition - noch sensitive Informationen hinzu. Das “Lernen über mehrere Kanäle” wird hier also in letzter Konsequenz praktiziert.

Das hat Implikationen in mehrfacher Hinsicht. Zunächst ist hier sehr deutlich, wie sehr Strategien der Virtualität eigentlich vor allem ein Ziel haben: den realen Körper. Über diesen soll dann erst der Verstand “angesteuert” werden: “Die virtuelle Realität ist der Schlüssel zur Erforschung des menschlichen Bewusstsein”, ist sich Angelo sicher. Das klingt zunächst paradox, hat aber etliche Entsprechungen im Film. Im Namen des militärischen Forschungslabors “Virtual Space Industries” etwa findet sich bereit die Hybridisierung von Körper, Maschine und Geist. Dem neuen Trend wollen sich allerdings nicht alle anschließen: Während Angelo lieber in seinem Keller “fliegen, schweben, fallen” spielt, macht sich seine amüsierwillige Freundin auf und davon, denn: “Ich brauche die reale Realität.” Doch glaubt man der Prognose des dämonischen Rasenmähermanns, der seine Cyber-Existenz und -Herrschaft vorbereitet, ist es mit solchen realen Realitätsspielchen bald vorbei: “Bis zum Jahr 2001 wird kein Mensch mehr an diesem Netz nicht angeschlossen sein.”

Das herausragendste Merkmal des Films ist die Art und Weise, wie er die Virtuelle Realität inszeniert: mit immensem Einsatz von Computergrafik. Der virtuelle Raum wird in den buntesten Farben geschildert - sowohl, wenn er als Spielplatz dient als auch in seiner Eigenschaft als Schule des Geistes. Und als Jobe letztendlich seine physische gegen eine virtuelle Existenz aufgibt, wird er gar zu einem Metaphern-Raum: Es kommt zum finalen Showdown zwischen ihm und Angelo in einem virtuellen Raum, der offenbar als Kommunikationszentrale gedacht werden muss. Jobe versucht einen offenen I/O-Port nach draußen zu finden, ihm wird der Zu/Ausgang jedoch verwährt. Als Angelo ihn überreden will, dieses Vorhaben aufzugeben, schlägt er ihn ans virtuelle Kreuz (der Film ist nicht arm an kruder Bildsprache: Jobe bezeichnet sich irgendwann selbst als einen “Cyber-Christus”!)

Interessant ist überdies, dass auch hier wieder (wie in “Welt am Draht” und “Tron”) der Eingang in die virtuelle Realität als Abstieg markiert ist. Stets sind es Tunnel und Strudel, die diesen Abstieg visualisieren. Platons Höhlen-Gleichnis ist in Gedankenexperimenten zur virtuellen Realität also so aktuell wie eh und je.

#366
Geschrieben 01. Dezember 2008, 09:45
Ganz zufällig habe ich “One Point Zero” gestern in einer Videothek entdeckt und für 3,50 Euro mitgenommen, weil ich dachte, dass der Film zu meinem “Computer im Film”-Thema eine interessante Ergänzung wäre. Ist er aber nicht, anstelle dessen ist er allerdings ein hoch interessanter und überaus ansprechend gestalteter dystopischer Science Fiction.
Darin bekommt es ein Programmierer mit der Angst zu tun, als im täglich leere Pakete in seiner abgeschlossenen Wohnung abgestellt werden. Zudem häufen sich seltsame Ereignisse in dem Haus, in dem er wohnt: Als er etwa bei einem Nachbarn zu Besuch ist, um dessen SM-Videospiel zu testen, wird dieser Nachbar vor seinen (von einer VR-Brille verdeckten) Augen umgebracht. Eine Krankenschwester, die am Ende des Flurs wohnt, scheint ebenfalls eine mysteriöse Rolle in der Verschwörung zu spielen. Irgendwann wird unserem Helden dann mitgeteilt, dass die Pakete keineswegs leer waren, sondern “Nano-Milben” in der Version 1.0 enthalten haben, die nun durch seinen Körper wandern, Halluzinationen und einen unbändigen Drang nach frischer Milch verursachen. Es kann ihm jedoch durch ein Upgrade von der “Beta-Version” der Milben auf die Version 1.1.5 geholfen werden. Auch das Upgrade funktioniert über Berührung. Kurz darauf brennen ihm dann alle Sicherungen durch und der wahre Verschwörer (ein im Keller lebender alter Mann) sucht ihn in seiner Wohnung auf und baut ihm die “Festplatte” auf: Ob der in der letzten Einstellung des Films zu sehende geöffnete Kopf nun zuvor ein Gehirn oder wirklich eine Festplatte enthalten hat, bleibt unserer Interpretation überlassen.
“One Point Zero” ist ein tolles Beispiel dafür, wie eine allgegenwärtige und selbstverständlich gewordene Technologie (hier: Computer) Tücken entfaltet, mit denen niemand (mehr) rechnet und gegen die deshalb auch niemand gewappnet ist. Selbst als sich die Zeichen einer technologischen Verschwörung so sehr in den Vordergrund drängen, dass man sie gar nicht mehr übersehen kann (der Protagonist erhält etwa andauernd Anrufe von einer ans Internet angeschlossenen Puppe aus einer Nachbarwohnung), sind die Filmfiguren eher noch bereit, sich selbst dafür verantwortlich zu machen: “Vielleicht spielt sich das alles nur in deinem Kopf ab.”
“One Point Zero” ist fast ausschließlich in einem Sepiaton gefilmt. Einzig die wenigen Szenen in dem Supermarkt, wo unser Held sich seine Milch kauft, sind in blendendes Weiß getaucht. Hinzu kommt ein stark desorientierend wirkender Umgang mit Close-ups, die natürlich gleichzeitig die vergrößerten “Dinge” mit Bedeutungen aufzuladen scheinen. “One Point Zeor” ist einer der attraktivesten Filme, die ich in der letzten Zeit zu Gesicht bekommen habe - und das obwoh das, was er zeigt, keineswegs attraktiv ist.
#367
Geschrieben 01. Dezember 2008, 10:13
Die zweite Episode aus dem Kompilationsfilm “Alpträume” spielt tief in den 80ern. Dort ist Emilio Estevez ein Computer-Kid, der berüchtigte J.J. Cooney, der virtuos jedes Automatenspiel beherrscht. Nur die berüchtigte 13. Ebene des Spiels “The Bishop of Battle” hat er noch nicht erlangt. Eines Nachts bricht er in die Arcade-Mall “Game-o-Rama” ein und spielt das Spiel. Am Ende der 12. Ebene angelangt, bricht der Automat in sich zusammen und die Computer-Gegner gelangen in die reale Welt, wo J.J. seinen Kampf gegen sie fortsetzt. Zunächst scheint er zu gewinnen, doch auf der Flucht gerät er in einen Hinterhalt des Bishops, der ihn zu sich ins Spiel zieht.

Man muss beinahe keine Wort über den Subtext dieses Kurzfilms verlieren. Da wächst in den Iden der 1980er-Jahre eine neuen Generation von Jugendlichen heran, die an der Realität keinen Spaß mehr hat. J.J. bekommt Hausarrest wegen schlechter Schulnoten und als die Arcade abends schließen will, versucht ihn seine Freundin zu einem Eisessen zu überreden. So etwas macht er aber schon lange nicht mehr. Er spielt weiter. Doch der Film suggeriert: Das Spiel spielt in Wirklicheit mit ihm. J.J. erliegt dem Immersionseffekt, nichts anderes bedeutet doch sein Surz (abermals: Strudel) in die Spielwelt. Das wird optisch gut vorbereitet: Zunächst sehen wir das Spiel in Draufsicht (und die reale Umwelt um den Automaten). Die Kamera nähert sich dem Bildschirm an, das Spielfeld kippt immer mehr, bis es schließlich in der Wagerechten ist, das hießt: der Film wechselt von einer auktorialen auf eine Point-of-View-Perspektive, vom Überblick auf ein Dabeisein.

#368
Geschrieben 15. Dezember 2008, 15:44
Jahrelang lag er hier ungesehen herum und jetzt, zur Recherche des nächsten Computer+Film-Artikels habe ich ihn endlich einmal gesehen. Darin besucht eine Spiele-Grafikdesignerin mit ihrem Ex-Freund das verlassene Haus ihrer Kindheit. Dort entdecken sie nicht nur etliche Motive der Kindheitserinnerung der Designerin, sondern stoßen auch auf merkwürdige Phänomene. Sie hören, dass jemand außer ihnen im Haus lebt, finden schließlich geheime Räume und dann Leichen. Zuletzt stoßen sie auf die böse Zwillingsschwester der Programmiererin. Das dem „Haunted House“-Horrorfilm entnommene Motiv-Inventar von „St. John’s Wort“ entpuppt sich am Ende allerdings als Videospiel-Plot a la „Alone in the Dark“. Schon die seltsame Farbgebung und Montage des Films hat den Verdacht ausgelöst, dass hier etwas anderes hinter den Ereignissen steht, als das, was die (Schau)Spieler zeigen. Zudem hatte die Designerin schon während des gesamten Films telefonischen Kontakt mit den übrigen Entwicklern, die ihr einmal sogar einen schnell entworfenen (!) Grundriss des Hauses zumailen und auch sonst einiges wissen, was sie nach den „Gesetzen der Realität“ gar nicht wissen konnten. Am Ende löst sich dieses Rätsel, als alle gemeinsam vorm Monitor sitzen und sich zum gelungenen fertigen Spiel gratulieren – zu dem die Designerin sogar noch ein alternatives Ende beisteuert. Alles war nur ein Spiel und wir – die Zuschauer – haben geglaubt es sei ein Spielfilm.
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