Warning: Illegal string offset 'html' in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php on line 909

Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php:909) in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/admin/sources/classes/output/formats/html/htmlOutput.php on line 114

Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php:909) in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/admin/sources/classes/output/formats/html/htmlOutput.php on line 127

Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php:909) in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/admin/sources/classes/output/formats/html/htmlOutput.php on line 136

Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php:909) in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/admin/sources/classes/output/formats/html/htmlOutput.php on line 137

Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/cache/skin_cache/cacheid_13/skin_topic.php:909) in /www/htdocs/w00e9a79/_filmforen/admin/sources/classes/output/formats/html/htmlOutput.php on line 141
Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen - Filmforen.de - Seite 25

Zum Inhalt wechseln


Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen


776 Antworten in diesem Thema

#721 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 06. August 2009, 13:42

Death Bed (US-DVD)

Die Geschichte eines menschenfressenden Bettes, erzählt in drei Episoden – „Frühstück“, „Mittagessen“ und „Abendbrot“ – sowie einer Coda, „Nachtisch“...

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann mich zum letzten Mal eine amerikanische Independent-Produktion aus den 70ern dermaßen beeindruckt hätte! Für Regisseur George Barry und seine Mitstreiter – größtenteils Kumpels aus Michigan – war das damals eine Extravaganz gewesen, die alle Beteiligten schon lange vergessen hatten. Irgendwann surfte Herr Barry im Internet und stieß auf Leute, die seinen Film tatsächlich kannten, was umso bemerkenswerter war, als er sich niemals irgendwohin verkauft hatte! Anfang der achtziger Jahre war in Großbritannien ein Bootleg auf Video erschienen, von dem ich sogar eine Kopie besaß. Mir war damals die Kassette aber abhanden gekommen, bevor ich eine Chance hatte, einen genauen Blick auf das Werk zu werfen. Ich hatte nur noch im Hinterkopf, daß das Ding äußerst obskur war, zumal es keine Credits gab. Nicht einmal der Regisseur war angegeben gewesen.

DEATH BED klingt – rein nach Prämisse und der humorigen Struktur beurteilt – wie eine schwarze Komödie. Tatsächlich entwickelt der Film die Story sehr geradlinig und unironisch. Die Narrative ist gemächlich, nicht suspenseorientiert. Im wesentlichen geht es um drei Mädchen, die aus weitgehend unbeleuchtet bleibenden Gründen eine Nacht im Haus mit dem Bett verbringen und dabei schlimme Dinge erleben. Die Historie des Bettes wird im Laufe des Filmes aufgerollt, bleibt aber in Andeutungen stecken. Es hat alles mit einem Dämon zu tun, der in ein menschliches Mädchen verliebt war. Erzählt wird die Geschichte von einem toten Mann, der in der Wand wohnt. Die Mixtur aus bizarrer Soundkulisse, gotischen Bildern, Erotizismus und mildem Splatter hat mich am ehesten an die frühen Werke von Jean Rollin erinnert, die ebenfalls eine traditionelle Narrative zugunsten poetischer Tableaus und einer Hommage an die Trivialkultur preisgaben. Mit Sicherheit war sich Barry 1972, als er den Film zu drehen begann, dieser Parallele nicht bewußt gewesen. Es wird sich um einen weiteren Fall handeln, wo sich dieselben Dinge zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten entwickeln, weil es irgendwie in der Luft liegt.

Wer sich einen traditionellen Horrorreißer ansehen will, wird sich bei DEATH BED zu Tode langweilen. Viel eher sollten sich jene Zuschauer um den Film bemühen, die sich für einen zumindest im amerikanischen Kontext völlig einzigartigen, semiprofessionellen Kunsthorrorfilm erwärmen können. Es gibt diverse Dinge zu erleben, die man so mit Sicherheit noch nicht gesehen hat. So werden Menschen in dieses Bett hineingesaugt, verschlungen von einer Art braunem Sprühschaum, um dann in einer gelben Suppe langsam zersetzt zu werden. Eindrucksvoll ist auch eine Sequenz, in der eine nackte Hippie-Schönheit von ihrer Halskette quasi enthauptet wird, was auf eine putzige Weise eingefangen wird, die sogar an Trickfilme von Svankmajer erinnert. Eine Traumsequenz zeigt eine Protagonistin, die von einer verstorbenen Freundin ein Totenbuch überreicht bekommt, in dem nur leere Seiten zu finden sind. Auf einmal schlagen Flammen aus dem Buch. Sie schließt es, und als sie es wieder aufklappt, bestehen alle Seiten aus Silberpapier, in dem sich die Gesichter der Leser spiegeln. Kurzum, der Film hat mich wirklich weggeblasen! Die amerikanische DVD enthält neue Abspanncredits mit Musik von Coils Stephen Thrower, der auch maßgeblich war für die Wiederentdeckung des Filmes. Ein Intro zeigt den Regisseur bei sich zu Hause, wie er von seinem Erstaunen berichtet, im Internet auf seinen längst vergessenen Griff nach den Sternen zu stoßen. Wer mehr darüber lesen will, findet einen ausführlichen Text in Stephen Throwers brillantem Buch „Nightmare U.S.A.“, das sich mit obskurem Horror aus den Vereinigten Staaten befaßt.
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#722 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 06. August 2009, 18:47

Till Death (US-DVD)

„Till Death“ wäre eigentlich ein hübscher Künstlername für den Sänger einer Band, die sich mit der noch zu erfindenden Musikgattung „Gothic Polka“ befaßt. Tatsächlich handelt es sich aber um einen netten, kleinen, morbiden Grusler, der die einzige Regiearbeit des Schauspielers Walter Stocker (THEY SAVED HITLER'S BRAIN) darstellt. Es geht um ein junges Paar, Paul und Ann, das gerade geheiratet hat und auf dem Weg zu den Großeltern ist. Ein Unfall zerstört das junge Glück jäh bzw. „jäh, jäh, jäh“, wie das bei den Beatles heißt. (Tschuldigung, ich leide gerade unter einem hitzebedingten Flachwitzanfall!) Paul landet auf der Intensivstation, ist aber nach einigen Wochen wiederhergestellt, während Ann jetzt ein Mausoleum bewohnt. Als er sie besucht, verliert er vor Gram das Bewußtsein. Dummerweise schließt man ihn während seines Dämmers in der Gruft ein. Und schon bald hört er eine vertraute Stimme...

Der gerade mal 70 Minuten lange Film gehört zu den ganz obskuren Horrorfilmen. Genaugenommen hatte ich von ihm noch nicht einmal gelesen. In der IMDb ist er mit 1978 veranschlagt, als er wohl eine knappe Kinoauswertung erfuhr, doch wurde er bereits 4 Jahre vorher gedreht und dürfte eine der ersten Arbeiten der späteren Joe-Dante-Aktrice Belinda Balaski sein. TILL DEATH ist angelegt als bizarrer Liebesfilm, der von der Unfähigkeit handelt, loszulassen. Er geht dabei recht behutsam vor und zerstört seine nekrophile Grundstimmung nicht durch überdeutliche Geschmacklosigkeiten. Daß er formal eher an einen Fernsehfilm erinnert (einschließlich einer grausigen Country-and-Western-Schnulze als Titelstück!), erweist sich dabei als eine Tugend, da er wie ein aus den Fugen geratener Schnulzenfilm wirkt. Inhaltlich ähnelt er ein wenig Jean Rollins Friedhofspoem LA ROSE DE FER, geht aber nach einem unheimlichen Auftakt (ein Alptraum des werdenden Bräutigams, der sich später auf verhängnisvolle Weise bewahrheiten soll) konventionellere Wege. Sicherlich hätte ihm ein Beharren auf simple Schocktaktiken eine bessere Vermarktung beschert, aber in der vorliegenden Form überzeugt er durchaus als angenehm deviante Schnulze im Friedhofsmilieu. Till Death hätte sicherlich bittere Tränen vergossen... Die DVD beruht, denke ich mal, auf einem Videomaster, ist aber angenehm kuckbar, was ja durchaus nicht auf alle Ami-Discs zutrifft.
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#723 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 10. August 2009, 15:43

Der weiße Hai in Venedig (DVD)

Dr. David Franks (Stephen Baldwin), ein Dozent und Archäologe, reist nach Venedig, um dort das Hinscheiden seines Vaters zu untersuchen, der angeblich in eine Schiffsschraube geraten sein soll. Wie es scheint, suchte der Zerhäckselte nach einem Kreuzfahrerschatz der Medici. Bei seinen Untersuchungen stößt David auf eine Mauer des Schweigens. Die Polizei stellt sich ihm in den Weg. Finstere Mafiahandlanger in schwarzen Anzügen trachten ihm nach dem Leben. Und wie kommen die verdammten Haie in die Lagune?

Ich weiß nicht, wer auf den deutschen Titel gekommen ist, aber ihm gebührt ein Preis! Anders als im Falle von FRANKENFISH, hinter dem sich ein wirklich brauchbarer Tierhorrorfilm verbirgt, entpuppt sich DER WEISSE HAI VON VENEDIG als launige Räuberpistole, in denen die Haie eine ähnliche Gaststarrolle innehaben wie die Piranhas in Margheritis KILLERFISCH. Wie man allerdings darauf kommen kann, die Meerschrecken ausgerechnet nach Venedig zu verfrachten (Süßwasser?), das sprengt meine Vorstellungskraft – genial! Die netten Israelis von „Nu Image“ haben es sich offenbar zum Ziel gemacht, die Tradition italienischer Exploitationfilme der 70er in die heutige DVD-Zeit zu transponieren. Im Falle von DWHIV gelingt das mühelos: Man nehme eine komplett stulleske Prämisse, man nehme einen abgehalfterten amerikanischen Semi-Star (remember Joey Travolta?) und kloppe zahlreiche Actionszenen zusammen, die einen höchstens ideellen Bezug zur Handlung aufweisen müssen. Die sogenannten Mafiosi werden größtenteils von Russen gespielt, abgesehen von Don Clemenza, der aussieht wie eine Breitmaulfroschversion von Toni Maroni und ein ganz unglaubliches Grinsen hat. Stephen Baldwin ist der dickste der Baldwin-Brüder und wirkt den ganzen Film über so, als sei er schwer angetütert. Trotzdem reißen sich die Frauen um ihn, was uns allen wieder Mut macht. Hoffentlich auch ihm, denn er hat vor ein paar Monaten gerade Bankrott angemeldet. Außerdem wurde der Schauspieler nach dem 11. September zum Wiedertäufer und unterstützte Bush nach Leibeskräften. In seiner Heimatstadt zog er mit anderen frommen Mitbürgern eine Kampagne auf, um einen Pornoladen dichtzumachen. Na ja, vielleicht haben die da lieber Gewaltfilme wie seinen KING OF THE ANTS, hihi... Der Schatz besteht übrigens aus einigen Plastikschilden vom Kinderfasching, die eine barmherzige Seele mit Goldbronze angestrichen hat. Trotzdem erschallen Himmelschöre auf dem Soundtrack, wenn er zum ersten Mal stolz präsentiert wird. Auf dem Schiff der Kreuzfahrer, das offensichtlich mitten in Venedig untergegangen ist, steht eine lateinische Inschrift, die einige Male übersetzt wird von den Wissenschaftlern als „Hier spaziert der Tod“! Die Haie lassen sich im übrigen nicht lumpen und greifen sich einige Touristen und Gondolieri, springen dafür sogar meterhoch aus dem Wasser, was aber putzigerweise keine Panik auszulösen scheint... Kurzum, man hat es hier mit einem großen Schlockfest zu tun, das ich verwandten Szenen durchaus empfehlen kann. Auf DVD gibt es eine Menge Schlonz, der einfach nur schlecht ist. Bei DER WEISSE HAI IN VENEDIG habe ich sehr häufig gejohlt, also hat er mir wohl Spaß gemacht. Und wenn mal bei Euch eine Pornovideothek aufmacht, dann wendet Euch vertrauensvoll an Stephen Baldwin! Aber macht ihm was Leckeres zu essen, denn das hat er gern...

Bearbeitet von Cjamango, 10. August 2009, 15:47.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#724 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 12. August 2009, 14:46

Jagdszenen aus Niederbayern (TV)

Der Heimatfilm ist eines der letzten Genres, das mir bis heute verschlossen geblieben ist. BRAUN IST DIE HEIDE, IM WEISSEN RASSL, DIE FASCHISTEL VON DER POST – da bin ich nie hintergestiegen! Vielleicht liegt's auch einfach an meiner nichtbayrischen Abkunft, daß ich dem Treiben der Süddeutschen und Nichtpreißen weitgehend indifferent gegenüberstehe. Der einzige Bayer, mit dem ich einen Vertrag habe, ist Herbert Achternbusch, und dessen mundartlichen Verdrechselungen sorgen wohl auch im bajuwarischen Revier für Verwirrung.

Martin Sperrs Theaterstück JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN habe ich mal als fesches Knaberl gelesen und fand es sehr erhellend. Die Filmversion von Peter Fleischmann ist intensiv und präsentiert den Autor der Vorlage in der Hauptrolle: Abram nämlich kommt ins Dorf seiner Kindheit zurück. Er ist wohl irgendwie im Knast gewesen, aber keiner weiß wieso. Der Dorftratsch weiß aber schon bald zu berichten, daß sich Abram mit andern Männern herumgetrieben haben soll, so andersherumnen. Für die Dörfler sind solcherlei Sauerein viel weniger tragbar als zum Beispiel ein ehrlicher Mord. Als dann auch noch die Dorfhur Hannelore (eine sehr hübsche Angela Winkler) hinzukommt, deren juveniles Experimentieren mit ihrem Geschlechtsteil ihr einen Bankert eingetragen hat, ist das Faß voll: Oizapft is', die Sauhatz geht los...

Fleischmann realisiert den Film entgegen der damals obwaltenden Heimatfilmtradition in feierlichem Schwarzweiß, verweigert den Vorgängen jede Form von Überhöhung. Stattdessen folgt er dem Dorftrara mit fast schon dokumentarischer Detailtreue, nimmt die alltäglichen Beschäftigungen und Quasseleien mit als ewig wiederkehrende Sinnstifter im Leben weitab der Stadt. Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht, und was in harmlosen Frotzeleien seinen Anfang nimmt, entwickelt sich schließlich zu Mord und Totschlag. Daß es so weit kommt, stellt der Film dar als Resultat unterdrückter Haßgefühle, Demütigungen, Frustrationen, die sich – angemessen hochgebrutzelt – gegen das richten, was anders ist als man selbst. Wichtig ist, daß das System funktioniert, und daß dabei viel Ungerechtigkeit und Heuchelei mit in Kauf genommen wird, dauert zwar den Einzelnen, aber nicht die Gemeinschaft. Meine Lieblingsszene ist die Sauschlachtung, bei der die Laiendarsteller die Wutz nach allen Regeln der Kunst kaltmachen und zu Würstchengirlanden verarbeiten, dabei aber ungerührt über die Sauereien des Abram ablästern. Die Schlußbilder des Filmes sind dann übrigens wieder echtes Heimatkino, nur halt in Schwarzweiß. Der beste Film, den ich bisher von Fleischmann gesehen habe. Auf DVD isser noch nicht raus.

Bearbeitet von Cjamango, 12. August 2009, 14:49.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#725 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 13. August 2009, 13:31

Long Weekend (2008) (DVD)

Peter und Carla sind ein nicht mehr ganz junges Paar, das sich in die australische Wildnis stürzt, um ein erholsames Wochenende an einem einsamen Strand zu verleben. Obendrein wollen sie dort auch ihre Ehe kitten, über die sich nach 10 Jahren nicht mehr die Feen gebeugt haben. Schon bald aber geschehen merkwürdige Dinge, die sich zum handfesten Desaster auswachsen...

Australien scheint Jamie Banks gut zu bekommen. Jener begann seine Karriere einst in Hollywood mit den beiden schwachen Neo-Slashern DÜSTERE LEGENDEN und SCHREI WENN DU KANNST. Einen Achtungserfolg konnte er mit dem in Australien entstandenen Backwoods-Schocker STORM WARNING verbuchen, vor allen Dingen bei der deutschen Staatsanwaltschaft. Nach diesem blutrünstigen Opus führte ihn seine nächste Arbeit erneut mit Everett De Roche zusammen, der einige der bekannteren Beispiele australischen Genrekinos geskriptet hat: PATRICK, HARLEQUIN, TRUCK DRIVER, RAZORBACK und eben auch LONG WEEKEND, einen recht mysteriösen, aber gut gemachten Öko-Schocker. Da ich das Original zum letzten Mal als Teenager gesehen habe, kann ich mich daran nicht mehr gut erinnern, weiß nur noch, daß es mir ziemlich gut gefiel. Das Remake führt zwei in jeder Hinsicht überforderte Stadtfräcke zusammen, deren Einstellung zur Natur bestenfalls ausbeuterisch ist. Tatsächlich hatte ich zu Beginn des Filmes große Probleme damit, daß mir die Protagonisten so massiv unsympathisch waren. Ist aber Absicht! Jim Catweazle hat seinen Jesusbart abgeschoren und spielt hier einen selbstgefälligen, in die Jahre gekommenen Surferboy, der meint, mit seinem Grinsen lassen sich alle Probleme beseitigen. Die in Australien sehr populäre Claudia Karvan ist eine ebenfalls stramm auf die 40 zugehende Schönheit, die ganz offensichtlich Schwierigkeiten mit ihrer tickenden Uhr hat. In ihr wabert wohl Kinderwunsch, aber sie traut sich nicht so recht, gibt der Natur die Schuld. Deshalb ist ihr das ganze Unternehmen mit der unbefleckten Wildnis sofort suspekt. Nach 10 Jahren haben sich zudem massive Aggressionen angestaut, die die Ehepartner nur mühsam unterdrücken. Die kleinen Sticheleien werden aber schon bald zum flächendeckenden Bombardement, als die Natur um sie herum querzuschießen beginnt. Anders als in vergleichbaren Tierhorrorfilmen sind die Aktionen der Naturteilnehmer unspektakulär, funktionieren eher wie ein guter Psychologe: Sie kitzeln all das, was in den Menschen wohnt, unbarmherzig heraus. Gemessen an dem gut gemachten, aber nicht eben subtilen STORM WARNING (der zu Anfang kurz zitiert wird) ist es schon erstaunlich, wie behutsam Blanks hier bei seinem Öko-Paranoia-Terrorspektakel vorgeht. Mir persönlich drückt er dabei am Ende etwas zu sehr auf die Tube, aber insgesamt werte ich den Film als eine überaus angenehme Überraschung, viel, viel besser gemacht als das Gros neuerer Horrorfilme. Seine Subtilität wird hier eindeutig zu einem Plus. (Ich empfehle, auf die brennende Zigarette zu achten, die Peter am Anfang aus dem Autofenster schmeißt...) Wer Schwierigkeiten mit den Protagonisten hat – sich selbst überschätzender Naturbursche à la DELIVERANCE und eine unter dem Sternzeichen des „Wäwäwäwäwäwä“ geborene Meckerliese –, der darf sich auf den Rest des Filmes freuen, denn die bekommen mal so richtig ihr Fett!

P.S.: Den mittlerweile leider verstorbenen Regisseur des Originals, Colin Eggleston, verewigte De Roche, indem er im Remake ein Hotel nach ihm benannte...

Bearbeitet von Cjamango, 13. August 2009, 13:31.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#726 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 14. August 2009, 14:14

Snuff (1978) (Video)

SNUFF ist zugleich ein Dokumentarfilm wie auch ein Pseudo-Dokumentarfilm über die Dreharbeiten zu einem wohl authentischen Sexfilmprojekt, das eine moderne Version der „Lysistrata“ versuchte. Sämtliche Beteiligten bis hin zum Beleuchter werden vor die Kamera gezerrt, ihnen Informationen über ihr Privatleben und ihre Beteiligung an solch einem anrüchigen Film entlockt, die entweder gestellt oder zutreffend sein mögen. Dazwischen gibt sich Linkskatholik Carl Amery die Ehre und salbadert über den „seelischen Tod“, den solche Filme an jenen, die an ihnen teilhaben, verursachen. Nicht zuletzt seinem Erscheinen in diesem Werk ist es wohl zu verdanken, daß SNUFF seinerzeit einigermaßen berüchtigt war und auch heute noch bei seltenen Aufführungen als schonungsloser Dokumentarfilm gehandelt wird. (Bis vor einigen Jahren soll er sogar in einer gekürzten Fassung als Unterrichtsmaterial an Schulen Verwendung gefunden haben!) Tatsächlich ist SNUFF faszinierend zu betrachten, doch stellt seine vorgebliche Polemik gegen die unmenschlichen Praktiken der Sexfilmindustrie eine Mogelnummer von einigen Gnaden dar. Der im Film als Regisseur des „Film im Film“ genannte Robert Furch war tatsächlich Partner des Regisseurs von SNUFF, Richard Rimmel. Gemeinsam drehten sie vorher TEENAGER-REPORT – DIE GANZ JUNGEN MÄDCHEN (hust!) Anzunehmen, es handele sich hier um die Selbstkasteiung von Schmuddelfilmern (was auch irgendwie ganz niedlich wäre!), fällt heuer aber flach. Tatsächlich war es wohl so, daß das „Lysistrata“-Projekt keine Freigabe erhielt. Der Selbstmord der Hauptdarstellerin Claudia Fielers bot die Möglichkeit, das gedrehte Material doch noch zu verwerten, verbunden mit einer flammenden Anti-Porno-Attitüde, die wohl auch den schimmerlosen Herrn Amery an Bord lockte... Es bleibt somit ein besonders geschmackloses Stück Exploitation, das aber in geradezu lehrstückhafter Manier die Praktiken der Industrie demonstriert. Unzählige Zeitgenossen gingen den Machern auf den Leim und nahmen den Film für bare Münze, und um bare Münzen ging es wohl auch bei der ganzen Übung. Einige der Interviewpassagen sind vermutlich recht authentisch. So streitet sich Furch in einer Passage mit einer seiner Schauspielerinnen, die zeitgleich für Kroetz auf der Bühne stand, über den Unterschied zwischen Kunst und Pornographie. Die Lebensumstände der Schauspieler, die sich vor dem Mikro äußern, dürften wohl ebenfalls der Wirklichkeit entsprochen haben. SNUFF ist keine Fake-Dokumentation, da die Verhältnisse, die er vorführt, größtenteils zutreffend gewesen sein werden. Er stellt eine seltene Verbindung von Dokumentation und kommerziellem Kalkül dar, hat somit einiges mit den weniger intellektuellen Vertretern des „Mondo“-Genres gemein. Seine Grundausrichtung ist zynisch, aber wem dieser Zynismus verwerflich dünkt (was er wohl auch ist), sollte zur Kenntnis nehmen, daß er nur den Zwiespalt zwischen Kunst und Kommerz auf die Spitze treibt, der seit Erfindung der Filmspule gang und gäbe ist und der gern heuchlerisch mit moralischem Geklappere übertüncht wird. Kino war immer ein kommerzielles Betätigungsfeld – ohne Knete keine Grete. SNUFF spricht in all seiner Unaufrichtigkeit die lautere Wahrheit. Die Verwurstung von Menschen, die er anzuprangern vorgibt, praktiziert er freilich selbst, und zwar mit Paukenknall. Sehr faszinierend, das Ganze, aber man möchte nach Betrachten des Filmes ein Bad nehmen...

P.S.: Der IMDb-Eintrag bezieht sich auf die amerikanische Fassung, in der dem Vernehmen nach noch Outtakes von Wes Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT eingefügt wurden.

Bearbeitet von Cjamango, 14. August 2009, 14:22.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#727 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 14. August 2009, 22:26

Dead Wood (DVD)

Das ist doch mal originell: Einige junge Menschen setzen sich in ein Auto und fahren in den Wald. Geile Prämisse, wa? Im Wald sind leider nicht die Räuber, sondern ein krähendes, mähendes, spähendes Etwas, das vom Drehbuch etwa eine Stunde lang nicht näher lokalisiert wird. Genaugenommen passiert während der ersten Stunde auch sonst nicht viel. Die jungen Leute finden eine hübsche Chinesin, die ihren Freund verloren hat und die ganze Nacht durch den Wald gelaufen ist. Anstatt zur Polizei zu gehen, wollen sie selber nach dem Verschwundenen suchen, aber völlig sinnloserweise baden sie erst mal eine Runde, weil sie an einen See kommen. Es hat tatsächlich drei Regisseure gebraucht, um diese Grütze anzurühren. Sieht man einmal von den Speerspitzen des neuen britischen Horrorkinos ab (so was wie EDEN LAKE oder THE DESCENT, die zumindest noch recht spannend sind), produzieren die Insulaner in letzter Zeit eigentlich nur Dung. Den Machern von DEAD WOOD hätte man verraten sollen, daß – wenn man schon kein Monster oder eine handfeste Bedrohung parat hat – man zumindest mit interessanten Figuren oder einer beklemmenden Atmosphäre aufwarten können sollte, ansonsten erlahmt auch des Gutwilligsten Interesse. DEAD WOOD hingegen serviert banale Charaktere, die sich höchst rätselhaft verhalten, trotz einer eigentlich sehr simplen Grundkonstellation wird die Geschichte verworren und unübersichtlich erzählt, und was am Schluß als Auflösung gereicht wird, ist schlicht eine Frechheit. Es gab ja viele, die THE BLAIR WITCH PROJECT damals enttäuscht hat, aber jener Film besaß einigermaßen glaubhafte Figuren, einige recht einfallsreiche Ideen und Momente, an die man sich im Nachhinein erinnert.DEAD WOOD hat nichts von alledem. Ich fand ihn sogar noch schlechter als den Mist von diesem Ehepaar, das BROKEN, DEVIL'S CHAIR und dergleichen verbrochen hat, denn da passiert wenigstens etwas, wenn auch eben nur Mist. DEAD WOOD kann man getrost stehen lassen. Ein Langeweiler erster Güte.

Bearbeitet von Cjamango, 14. August 2009, 22:28.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#728 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 15. August 2009, 00:40

The Unborn (2009) (DVD)

Hmmh. Eine junge Dame namens Casey Beldon hat Träume aus den Alpen, die mit einem Hund mit Maske und einem verbuddelten Baby zu tun haben. Bei einem Freundschaftsdienst als Babysitter gerät sie an ein ungewöhnlich renitentes Kleinkind, das ihr mit einer Scherbe fast ein Auge herausholt. Zu allem Überfluß färbt sich auch noch ihre eine Iris bräunlich. Verdammt. Was könnte da los sein? Könnte es vielleicht mit dem Selbstmord ihrer Mutter zu tun haben? Oder, genauer, mit dem...

...und das wäre denn auch schon die erste abenteuerliche Wendung, die ich hier nicht verraten möchte! Um es vorwegzunehmen: THE UNBORN ist ein danebengegangener Film, aber immerhin ein auf vergnügliche Weise danebengegangener, und nach dem Langeweiler, den ich davor gekuckt hatte, war ich schon sehr dankbar. Man merkt, daß Regisseur David Goyer von Haus aus Drehbuchautor ist, denn mit Ideen geizt THE UNBORN (abgesehen von dem einfallslosen Titel!) nicht wirklich. Tatsächlich ist der Film auf kuriose Weise überladen mit lauter Dingen, die Goyer noch irgendwie hineinbringen wollte: Da sind Geburtsfehler, eine Nazirückblende mit einem Josef-Mengele-Verschnitt, ein Exorzismus, ein Geisterkind, alte Leute, die finstere Geheimnisse im knitterigen Busen halten, eine bizarre Neuauflage des „spider walk“ aus THE EXORCIST und Gary Oldman als Rabbi! I SHIT YOU NOT – Gary Oldman spielt einen Rabbi, und er gibt wirklich alles! Ich hätte eigentlich sehr enttäuscht sein müssen, da der Film sich selbst nach einigen durchaus ziemlich unheimlichen Szenen und diversen hübschen Einfällen plottechnisch der Absurdität preisgibt, aber ich habe mich ziemlich gut unterhalten, und wieviele neuere Horrorfilme gibt es schon, die mit einem waschechten Dybbuk prahlen können? (Bitte nachgoogeln...) Tatsächlich hat mich MIRRORS z.B. wesentlich mehr gedownt, da er trotz eines hübschen Anfanges nur noch Computerschnickschnack und halbgaren Mumpitz aufkellt. Hier war ich schon einmal dankbar für Schangel, in diesem Fall Schalom-Schangel, und am Schluß hätte ich fast noch „Hawa Nagila“ gesungen... Morgen führe ich das Ding Freunden vor – mal sehen, ob die mein Wohlwollen teilen können! Und Gary Oldman als Rabbi, ja leck´ mich doch am Arsch, do...

:schlomo: :fuki: :dj:

Bearbeitet von Cjamango, 15. August 2009, 00:41.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#729 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 16. August 2009, 23:35

Transsiberian (DVD)

Roy und Jessie haben im Dienste einer karitativen Einrichtung eine längere Zeit in China zugebracht. Der Transsibirien-Expreß soll sie schlappe 8000 km nach Moskau bringen. Damit die Fahrt nicht langweilig wird, schließen sie Bekanntschaft mit einem Rucksackpärchen, Carlos und Abby. Doch plötzlich ist Roy verschwunden. Und das ist nur der Anfang der Probleme für die beiden Amerikaner...

Der neue Thriller von Brad Anderson (SESSION 9, THE MACHINIST) ist in vielerlei Hinsicht eine klassische Angelegenheit, wenngleich mit einigen wohligen Irritationen. Die Prämisse erinnert mehr als nur ein wenig an Hitchcocks EINE DAME VERSCHWINDET. Hier verschwindet eben ein Roy, und da der Blick des Betrachters bereits für das mangelnde Fingerspitzengefühl der russischen Drogenpolizei geschärft worden ist, ergeben sich zahllose Möglichkeiten, von denen eine unerquicklicher ist als die andere. TRANSSIBERIAN ist exzellent gefilmt und profitiert erneut von der Fähigkeit Andersons, eine Geschichte lässig und praktisch ohne Effekthascherei zu erzählen. Auch die späteren Verwicklungen im Plot (die ich hier nicht vom Zaun blasen möchte!) werden nicht von formalem Schangel erschlagen, sondern recht elegant umgesetzt. Wie weit man bereit ist, den Vorgängen glauben zu schenken, hängt sicherlich davon ab, ob man sich mit den beiden blauäugigen Protagonisten identifizieren mag. Sie stammen aus einem religiösen Wunderland und haben einige Jahre im Reich des Helfenwollens verbracht. Nun stolpern sie unversehens in eine Welt, die von Mord und Schlimmerem bestimmt wird. Das ist recht reizvoll anzusehen, wenngleich man allerdings in der Lage sein sollte, einige Stereotypen über die Verhältnisse in Rußland zu schlucken. Ich für meinen Teil habe jetzt aber so vielen Hitchcock- und James-Bond-Filmen ihre chauvinistischen Klunkern nachgesehen, daß ich bei TRANSSIBERIAN keine Probleme damit hatte und habe mich einfach auf die spannende Geschichte konzentriert. Woody Harrelson und Emily Mortimer spielen ein leicht karikiertes Gutmenschenpaar, Ben Kingsley brilliert als eminent wandlungsfähiger Drogenkommissar Grinko, und sogar Thomas Kretschmann hat einen drolligen Kurzauftritt als fieser Russe. Am gelungensten fand ich die Passage mit den Babuschka-Puppen (oder wie die Dinger heißen) – da dringt Anderson wirklich in die Hitchcock-Liga vor. Mein Lieblingsfilm von ihm ist und bleibt allerdings sein Geisterfilm SESSION 9, bei dem ich wirklich eine Gänsehaut nach der anderen bekam...

(Übrigens: Seine „Masters Of Horror“-Episode SOUNDS LIKE gehört zu den besten der zweiten Staffel!)

Bearbeitet von Cjamango, 16. August 2009, 23:36.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#730 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 17. August 2009, 19:25

Milk (DVD)

Leben und Tod des homosexuellen Bürgerrechtlers und Politikers Harvey Milk, der 1978 von einem vergrämten Konkurrenten erschossen wurde.

Den berühmten Dokumentarfilm THE TIMES OF HARVEY MILK von Rob Epstein habe ich leider noch nicht gesehen, also muß Gus Van Sants Filmbiographie jetzt erst mal reichen. MILK schildert die Entwicklung von Harvey Milk von einem typischen San-Francisco-Freak zu einer politischen Reizfigur in unerwartet zurückhaltender Weise. Ich hatte etwas Angst, daß Van Sant die Story zu einer tränendrüsenlastigen Reise in die Gefilde des liberalen Hollywood nutzen würde, wo man Schwule und Bimbos bekanntlich immer sehr lieb hat, es sei denn, sie ziehen ins Nachbarhaus. Angesichts der bisherigen Leistungen des Regisseurs hätte ich es besser wissen müssen, denn seit MALA NOCHE gefielen mir eigentlich nahezu alle Filme Van Sants gut bis prima. MILK versucht, die Person Harvey Milks nachvollziehbar zu gestalten, seine politische Motivation aus der privaten Entwicklung heraus zu erklären. Milk ist alles andere als ein Unfehlbarkeitshappen, muß – nachdem der Sprung in den Stadtrat gelungen ist – auch charakterlich einigen Tribut zollen an den politischen Professionalismus. Neben seiner eminent wichtigen Rolle in der Geschichte der Schwulenbewegung wird Milks Engagement als Stellvertreter gesehen für die Selbstheilungskräfte einer ständig von Pilzbefall bedrohten Demokratie. Dabei ähnelt Van Sants Ansatz freilich eher dem markig-psychologischen Ansatz eines Oliver Stone als dem enthusiastischen Wunschdenken eines Frank Capra: Was die Menschen sind, erklärt sich aus ihrer persönlichen Historie. Das gilt auch für den Mörder Milks, Dan White, der jede Art von sexueller und sonstiger Freiheit zugunsten eines traditionellen Ehebundes aufgegeben hat und daran heftig zu knacken scheint. Sean Penns Darstellung als Milk ist herausragend. Schauspielerische Leistungen beurteile ich immer an den kleinen Details, ob die Schauspieler in der Lage sind, die Illusion auch jenseits der Exzesse aufrechtzuerhalten. Penns Darstellung lebt, und wenn man im Abspann den realen Harvey Milk sieht, so ist die Ähnlichkeit schon verblüffend. Keine Kunststückchen, sondern Kunst. Josh Brolin (als Milks Konkurrent Dan White) hat offenbar ein gutes Händchen, was seine Rollenwahl angeht, denn während sein Vater eher als kantiger TV-Sympath in die Geschichte Hollywoods einging, so bemüht er sich um Schattierungen innerhalb seiner Karriere und hatte ja gerade in Oliver Stones W. einen ähnlichen Job zu erledigen wie Penn mit Harvey Milk. Wie gut Van Sant als Regisseur ist, merkt man vor allem daran, daß er in einigen Szenen bedenklich nahe an der Grenze zur Seife wandelt und trotzdem immer die Kurve kriegt. Mit der „Tosca“ am Schluß wären minderbegabte Filmemacher nicht davongekommen, behaupte ich mal... Wenn man nun noch hinzunimmt, daß der Film eine Menge Wissen über die Geschichte San Franciscos als Sammelbecken nonkonformistischer Menschen vermittelt, hat man einen ziemlich gelungenen Film am Start, der dem Zuschauer begreiflich macht, wie unschön es sein kann, von der Masse abzuweichen. Manch einer zerbricht daran oder nutzt die Sonderrolle als Alibi für narzißtische und in die Grütze führende Egozentrik. Manch einer gewinnt aus dem Abweichlertum aber auch Lust auf kreativen Widerstand. Und das beschränkt sich eben nicht nur auf die sexuelle Identität. MILK handelt das im Rahmen großen Hollywood-Kinos ab, aber er tut dies auf ehrenhafte und die Intelligenz seines Publikums nicht unterfordernde Weise. Wird gekauft.

P.S.: Gerade gesehen: Schang Peng feiert heute seinen 49. Geburtstag - happy birthday, altes Haus! :cheers:

Bearbeitet von Cjamango, 17. August 2009, 20:20.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#731 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 23. August 2009, 11:48

The Inglorious Basterds (Schauburg-Kino, Gelsenkirchen)

Zu THE INGLORIOUS BASTERDS was zu schreiben, fällt mir sehr schwer, denn eigentlich möchte ich mir mein gestriges Kinoerlebnis nicht zerplappern. Schon direkt nach dem Anschauen hatte ich Probleme damit, mich mit meinen Mitkuckern auszutauschen. Eine Freundin drückte es so aus: Sie fühle sich, als habe sie sich komplett überfressen, habe aber kein Bauchweh oder irgendwelche anderen unangenehmen Effekte. In allen Augen herrschte nur ein inniges Leuchten. Gefallen hat er uns allen.

Wie immer hatte ich keine vorbereitenden Berichte gelesen und wußte somit kaum, was mich erwarten würde. Ich leide für gewöhnlich, wenn ich Filme über den Zweiten Weltkrieg sehe, zumal ich seit ca. 20 Jahren der Auffassung bin, daß der Zuschauer entweder voll einen vor die Glocke bekommen oder mit etwas Irritierendem und Verstörendem konfrontiert werden sollte, das ihm einen nachhaltigen Schluckauf verursacht und ihn dazu zwingt, vorgefaßte und zum Holzblock geronnene Ansichten zu revidieren. In der Regel bekommt man stattdessen gutgemeinte und halbherzige Geschichtsstunden serviert, die an niemandes Tür kratzen und kein Denken in Gang setzen. Es setzt dann der RAIN MAN-Effekt ein: Viele Leute zerdrücken ein Tränchen, der arme Dustin Hoffman, aber für Autisten interessiert sich im Nachhinein keine Sau.

THE INGLORIOUS BASTERDS tritt Ärsche vom Anfang bis zum Ende. Er ist grandios in seiner Respektlosigkeit, erzeugt widersprüchlichste Gefühle, demontiert Mythen und ballert aus allen Rohren. Der Anfang zitiert SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD und liefert einen ellenlangen Prolog, der schon einmal jeden Liebhaber klassischen Spannungskinos auf den Folterstuhl setzt. Christoph Waltz hat seine erste große Szene, und was er da abzieht, war wirklich nicht von dieser Welt. Merke: Filme, die über gute Schurken verfügen, können gar nicht mehr danebengehen! Waltz ist ein glorreicher Schurke, er schleimt, charmiert, droht, wirkt galant, gewandt und verstört durch bizarre Gefühlsausbrüche, die immer andeuten, daß unter seiner Fassade ein psychopathisches Gemüt wohnt. Latte bis ans Kinn! Gebt dem Mann keine Axt – gebt ihm einen Oscar! Dann kommen die „Basterds“ – eine Gruppe jüdisch-amerikanischer Soldaten, die hinter den feindlichen Linien operiert und nur ein Ziel kennt: Nazis killen! Und zwar nicht nur killen, sondern nach Möglichkeit auch noch skalpieren und ausweiden! Ihre Taten sollen die Nazis bis ins Unterbewußte verfolgen und mit Angst erfüllen. Zu den „Basterds“ gehören neben Brad Pitt (der in einigen Szenen Grimassen schneidet, die ihn wie eine Kreuzung aus Mario Adorf und Helge Schneider aussehen lassen!) auch Eli Roth (der „Bärenjude“ mit dem Baseballschläger!), Til Schweiger und Gedeon Burkhard. Was die deutschen Schauspieler angeht, so hat sich Tarantino bei der Créme bedient. Was August Diehl als Gestapo-Offizier abzieht, ist auch etwas fürs Schatzkästchen. Daniel Brühl ist unglaublich schmierig als Kriegsheld und Filmstar. Sylvester Groth als Goebbels ist famos, Martin Wuttke als Hitler unglaublich. Auch in Nebenrollen sind zahlreiche Bekannte zu entdecken. Wußte z.B. gar nicht, daß Freund Bela einen Auftritt hat, bei dem er allerdings nur zwei Sekunden zu sehen ist, hihi...

Von Enzo G. Castellaris Original sind nur gewisse Grundzüge übriggeblieben. Daraus hat Tarantino eine schwarze Komödie gebastelt, bei der man sich niemals auf sicherem Boden wähnen kann. Alles kann passieren. In gewisser Weise hat er mit INGLORIOUS BASTERDS seinen bisher reifsten Film abgeliefert, da hier nicht die kalkulierte Formlosigkeit regiert, sondern alles vorbildlich zusammenläuft und das Bild einer wahnsinnig gewordenen Welt erzeugt, in der es kaum Konstanten gibt, vom Nazikillen mal abgesehen. Tarantino verwendet Szene für Szene B-Film-Standards, sabotiert sie dann selber, zerstört damit jede Sicherheit, in der sich der Zuschauer wiegen kann. Meine Lieblingsszene findet im Wirtshauskeller statt, in der eine unglaublich intensive Unterhaltung, die gut 15 Minuten dauert, durch einen plötzlich losbrechenden Gewaltsturm abgebrochen wird, der mich nur noch japsend im Kinosessel zurückließ. („Sag deinen Nazi-Eiern Auf Wiedersehen, Arschloch!“) Männerfilme, Kriegsfilme – nichts wird mehr so sein, wie es mal gewesen ist. Mehr möchte ich gar nicht verraten – anschauen! Genießen!
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#732 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 28. August 2009, 15:23

Wer klopft denn da an meine Tür? (DVD)

Die Abenteuer einiger junger Männer im New Yorker Bezirk Little Italy.

Als ich gerade das Computerspiel „Der Gottvater“ (Titel verändert, da indiziert!) gespielt habe, sprach ich den Namen des Stadtteils immer „Liddeliddeli“ aus. Es dauerte nicht lange, und ich hatte den Stadtteil unter Kontrolle. Martin Scorseses Karriere begann in Liddeliddeli, und er hat jetzt die ganze Welt unter Kontrolle! Daß dies auch seine Richtigkeit hat, demonstriert dieses Frühwerk, das als eine Art Studentenprojekt begann und über einen Zeitraum von drei oder vier Jahren hinweg kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Das fertige Resultat weist sicherlich Unebenheiten auf, die auf die Guerillataktik zurückzuführen sind, nach der der Film entstand. Für ein Erstlingsprodukt ist er aber reinstes Zauberwerk, und wer näher mit den Arbeiten des Regisseurs vertraut ist, findet hier bereits viele thematische Fixierungen, die Scorsese in späteren Jahren noch ausbauen sollte. WHO'S THAT KNOCKING ist ein Film über die Entwicklung von Männern, die eigentlich entwicklungsresistent sind. Sie sind hineingeboren worden in ein Milieu, das seinen Einwohnern klare Maßgaben mit auf den Weg gibt. Anhand der Hauptfigur (ein blutjunger Harvey Keitel) zeigt er, wie schwer es für die Partizipanten ist, aus diesem Geflecht auszubrechen, zumal sie das in der Regel ja auch nicht wollen. Das Tolle an diesem Debüt ist, daß es aus unzähligen Szenen besteht, in denen eigentlich fast gar nichts geschieht. Trotzdem besitzen sie alle eine interne Spannung, die von realistischen, improvisiert wirkenden, tatsächlich aber fast vollständig geskripteten Dialogen getragen wird. Wie auch in späteren Scorseses hat Sprache eine milieubestimmende Funktion. Die jungen Männer plappern ohne Unterlaß, meistens über Dinge, die komplett nebensächlich sind. (Hat mich an den Anfang von RESERVOIR DOGS erinnert...) Sie definieren durch das fortwährende Gerede ihre Beziehung zueinander, unausgesprochen auf Dauerflucht vor ihren Privatdämonen. Für den Keitel-Charakter treten diese Dämonen in den Vordergrund, als er sich in eine junge Frau verliebt und keine Ahnung hat, wie er sich ihr gegenüber positionieren soll, kommt es bei Liebe doch auf ganz andere Dinge an als auf Gerede. Die Dialoge sind ungemein dynamisch, werden von Scorsese unauffällig, aber enorm effektiv arrangiert, wobei schon auffällt, daß ihm bereits zu diesem frühen Zeitpunkt seine Cutterin Thelma Schoonmaker zur Verfügung stand. Bei minderbegabten Regisseuren hätten die Szenen, aus denen der Film besteht, langweilig oder aufgeblasen gewirkt. Scorsese hingegen trifft niemals einen falschen Ton. Man merkt dem Film an, daß der junge Regisseur haargenau gewußt hat, was er erreichen wollte. Das Resultat ist locker, fließend, niemals banal, erzählt viel über das Miteinander von Menschen und ihren Grenzen. Die DVD enthält neben einem Audiokommentar von Scorsese und seinem Assistenten eine vorzügliche Featurette, die die Entstehungsgeschichte des Filmes erläutert. Es spricht viel dafür, Martin Scorsese zu seinen Lieblingsregisseuren zu zählen. Bei mir ist das ganz sicher der Fall. In meiner Privatretrospektive widme ich mich jetzt erst einmal den frühen Kurzfilmen, von denen ich die meisten noch gar nicht kenne...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#733 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 31. August 2009, 19:24

It's Not Just You, Murray! (aus dem Hudson River geborgen)

Martin Scorseses früher Studentenfilm hat mich ziemlich aus dem Sessel geblasen, zumal er wie eine Vorstudie zu des Regisseurs späteren Mafiafilmen wirkt. Erzählt wird die Geschichte des „made man“ Murray, der uns von seinem guten Freund Joe erzählt, dem er seinen kometenhaften Aufstieg zu verdanken hat. Murray bedient sich bei seiner Version der Geschichte einer guten Portion Westentaschen-Grandezza, mit der er die schmuddelige Wirklichkeit zu einer echten amerikanischen Erfolgsgeschichte umdefiniert. Regisseur Scorsese bedient sich – abgesehen natürlich von dem, gelinde gesagt, mäßig verläßlichen Erzähler – einer ironisierenden Verwendung von populärer Musik, sehr trockenen Humors und genüßlich schmieriger Figuren, die uns ihren Honig um den Bart schmieren wollen. Man merkt dem Film an, daß Scorsese noch ganz jung und hungrig war und allen zeigen wollte, was er kann. Es setzt Multi-Screen-Effekte, tolle Schnittmontagen, ein fellinieskes Ende und sogar eine Revueszene! Was für ein Studentenfilm... Wer sich das Werk zu Gemüte führen will, kann das hier tun:

http://www.hollywood...castEP36-3.html

Ist das "Casino" als Kurzfilm, oder ist das nicht "Casino" als Kurzfilm?!?
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#734 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 04. September 2009, 12:23

Cassandras Traum (DVD)

Das Leben ist kein Zuckerschlecken für Ian und Terry. So unterschiedlich die beiden Brüder auch sind – der eine intelligent und ambitioniert, der andere eher schlicht, aber gutmütig –, so gleichen sich die beiden in ihrem Bestreben, der häuslichen Enge zu entfliehen und sich eine gesicherte Existenz auf die Beine zu stellen. Dabei halten sie zusammen wie Pech und Schwefel, denn Familie ist Familie. Dies betont auch Onkel Howard, der in die USA gegangen ist und als die große Erfolgsgeschichte der Familie gilt. Howard steckt nämlich in geballten Schwierigkeiten. Das Lügengebäude, auf dem er seinen „Erfolg“ konstruiert hat, steht kurz vorm Einsturz. Nun, da ihm das Wasser bis zum Halse steht, wendet er sich an seine Neffen: Sie sollen einen Belastungszeugen aus dem Weg räumen. Obwohl sie zunächst entsetzt ablehnen, befassen sie sich dann doch ernsthaft mit dem Angebot. Doch sie müssen erkennen: Wenn man einmal eine Grenze überschritten hat, gibt es kein Zurück...

CASSANDRA'S DREAM ist der dritte Film in Folge, den Woody Allen in Großbritannien gedreht hat, und wüßte man nicht, daß der New Yorker Neurosenpapst hinter dem Werk steht, würde man es kaum erraten. Tatsächlich ist die Story reinster Woody Allen, handelt von Schuld und Sühne, von den unentrinnbaren Folgen, die die Entscheidungen der Menschen nach sich ziehen. Sowohl dieser Film als auch MATCH POINT wurden als Thriller vermarktet, was sie – trotz einiger sehr spannender Szenen – nicht sind. Eher ähneln sie den naturalistischen Dramen, mit denen Allen in den 70ern und 80ern Bergman Konkurrenz gemacht hat, mit dem Unterschied allerdings, daß die neuen Filme lange nicht so hermetisch geraten sind. (Wiglaf Droste bezeichnete die älteren Allen-Bergmänner mal als „Langeweile auf hohem Niveau“...) Von den beiden neuen Filmen ist MATCH POINT der elegantere, erzählt seine im britischen Oberklassen-Milieu spielende Geschichte mit großer Raffinesse und einer Doppelportion Dostojewsky im Handgepäck. CASSANDRA'S DREAM ist der zugänglichere der beiden, aber auch der düsterere, denn für die Arbeiterhelden des Filmes (Ewan McGregor und Colin Farrell: erste Sahne!) macht der Autor Allen nicht viel Hoffnung aus. Beide Hauptfiguren haben Träume, die mehr oder weniger unrealistisch sind. Wie auch MATCH POINT befaßt sich der Film mit der Rolle des Zufalls, des Glücks, die den vorsichtig kalkulierten Plänen der Protagonisten immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Man kann das Glück bis zu einem gewissen Punkt erzwingen, ergibt sich doch viel aus der individuellen psychologischen Zusammensetzung der Figuren, aber ob der Ball auf der einen oder der anderen Seite des Netzes landet, hängt meistens von Faktoren ab, die niemand kontrollieren kann. Auch CASSANDRA'S DREAM handelt in seinen entscheidenden Passagen von eben diesen goldenen Momenten, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Ich finde es wirklich toll, daß Allen auf seine alten Tage auch mal mit neuen Formaten experimentiert, die im Zusammenhang mit seinen angestammten Themen ganz prima funktionieren: CASSANDRA'S DREAM ist ein aufwühlendes, sehr emotionales Kriminaldrama, getragen von hervorragenden Schauspielern und einem ebenfalls überraschenden Score von Philip Glass. Wer für gewöhnlich mit Allens Filmen nicht so viel anfangen kann, sollte hier mal reinschauen. Wer sich eher dem lustigen Allen verpflichtet fühlt, kann sich ja mit SCOOP befassen, dem mittleren Film der Briten-Trilogie, der Erinnerungen weckt an Sachen wie BROADWAY DANNY ROSE oder MANHATTAN MURDER MYSTERY.
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#735 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 04. September 2009, 17:43

Große Lüge Lylah Clare (TV)

Lylah Clare war einst ein großer Filmstar, und auch nach ihrem tragischen Unfalltod bewegt sie die Gemüter ihrer Fangemeinde. Als dem Regisseur Lewis Zarken angetragen wird, das Leben der Schauspielerin zu verfilmen, lehnt er kategorisch ab. Erst als ihm eine unbekannte Aktrice präsentiert wird, die der Verstorbenen auf geradezu unheimliche Weise ähnelt, leckt er Blut. Das Filmprojekt kommt in Gang, doch immer mehr wird klar, daß die Ereignisse sich auf verhängnisvolle Weise zu wiederholen scheinen...

Na, da hat Robert Aldrich mal wieder richtig zugelangt: Neben John Schlesingers DER TAG DER HEUSCHRECKE ist THE LEGEND OF LYLAH CLARE einer der bösartigsten Filme über Hollywood, die jemals gedreht wurden, hergestellt zu einer Zeit, als sich in der Traumfabrik eine Tendenz zur Selbstgeißelung zu etablieren begann. LYLAH CLARE macht keine Gefangenen und serviert ein Sortiment von grimmigen Karikaturen, die Aldrichs schäumenden Ekel vor der Heuchelei des Kunstbetriebes verraten. Aldrich deutet an, daß das Filmgeschäft von ebensolchen Karikaturen am Laufen gehalten wird, von Menschendarstellern, deren Lüge für sie selbst schon lange Wahrheit geworden ist. Ihr Job ist der der Legendenbildung, bei der sie selber den großen Zampano markieren, tatsächlich aber völlig hilflos verstrickt sind in ihre eigenen Obsessionen. Künstler erscheinen bei Aldrich entweder als unschuldiges Rohmaterial, das geformt und dadurch zerstört werden soll, oder als impotente und egozentrische Clowns, deren Selbstverachtung sich in Menschenverachtung gewandelt hat. Peter Finch ist brillant als ehemaliger Regiestar, der nach dem Tod seiner Muse Lylah Clare nichts mehr auf die Reihe bekommen hat. Die „Wiedergeburt“ seines Stars gibt ihm die Gelegenheit, die Vergangenheit neu zu durchleben und – vielleicht – zu ändern. Kim Novak habe ich niemals so gut gesehen. Als zweitklassige Schauspielerin Elsa ist sie gezwungen, in die Haut einer toten Frau zu schlüpfen und stellt fest, daß die Legende der Toten (all das, was die Umwelt in sie hineinprojiziert hat) viel mächtiger ist als ihr eigenes unsicheres Ego. Die graduelle Verwandlung von Elsa in Lylah ist erschütternd und wird von Aldrich in gewohnt unbarmherziger Weise eingefangen. Was bei der alten Bette Davis in BABY JANE und vor allem in WIEGENLIED FÜR EINE LEICHE an Faszination am Verfall mitschwang, wird hier noch intensiviert durch knallige Farben und grelle Beleuchtung. Durch diese Form des überhöhten Realismus wird aber keine fellinieske Verklärung erreicht, sondern eine schonungslose Enttarnung der Lügen, aus denen die Welt der Figuren besteht. Ernest Borgnine hat eine schöne Rolle als geldscheffelnder Produzent, und da der Film in Italien spielt, gibt es auch noch eindrucksvolle Auftritte von Rossella Falk, Valentina Cortese und Gabriele Tinti.

Die handelnden Figuren in Lylah Clare sind alle gefangen in ihrer eigenen Welt des Wunschdenkens, der sie sich ergeben haben aus Angst vor dem wirklichen Leben. Sie zitieren Filme, sie zitieren vergangene Situationen, alles andere wird von ihnen verlacht oder wütend bekämpft. Was immer sie bewegt in ihrer Versteinerung, riecht streng nach Sadomasochismus, Täter und Opfer rund um die Uhr. Das Hollywood, das der Film präsentiert, ist stolz auf seine Narben und Verstümmelungen und zeigt sie vor, ans Licht gezerrt von den Marktschreiern und Gebrauchtwagenverkäufern. LYLAH CLARE endet mit einer Hundefutterreklame und läßt keine Fragen offen.

Außer dieser: Warum gibt es den Film eigentlich noch nicht auf DVD?
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#736 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 05. September 2009, 15:06

D.N.A. - Genetic Code (DVD)

Wo anfangen? Also: Mark Dacascos spielt einen Wissenschaftler, der einst vor einer bahnbrechenden Entdeckung stand, die Schluß gemacht hätte mit Krebs und Aids – eine Art künstliches Enzym auf Käferbasis, das das menschliche Immunsystem in Supermann verwandeln kann. Da es ihm nicht gelang, den Code des Enzyms zu knacken, war Gelächter sein Schicksal, und so zog er in den Urwald von Borneo, um den Eingeborenen zu helfen. (Warum er dies tat, erklärt das vorzügliche Drehbuch nicht. Vermutlich wurde er strafversetzt.) Nun, auf einmal taucht Jürgen Prochnow auf, ein weiterer Wissenschaftler, dem es scheinbar gelungen ist, den Code zu knacken. Dacascos läßt daraufhin Eingeborene Eingeborene sein und geht mit Jürgen auf große Entdeckungsreise. Sie begeben sich in den Teil des Urwaldes, wo Mark einst die Käfer fand. Auf einmal stehen sie vor einer Gruft, die mit einer Lehmwand verschlossen ist, auf die eine mysteriöse Warnung gekritzelt ist. Mark und Jürgen folgern messerscharf, daß die gesuchten Käfer hinter der Wand zu finden sind. Die Eingeborenen zieren sich kurz, ziehen dann aber mit. In der Gruft finden sie einen Gipskopf, der einem Dämon gehört, der „Ballack“ oder „Baller-Kai“ oder so heißt. Ein Eingeborener greift in ein Felsloch, und voilà – da ist der Käfer! Dummerweise zieht Jürgen nun einen Revolver und ballert wild um sich. Der angeschossene Mark wird zurückgelassen. Jürgen entdeckt draußen ein weiteres Grab, das aus einem Haufen Dreck besteht. Glücklicherweise liegt aber ein Skelett herum, das einem käferesken Urzeitwesen zu gehören scheint – Ballack? Szenenwechsel. Mark hat überlebt und ist in die Stadt zurückgekehrt, wo ihn eine C.I.A.-Agentin (blond) aufsucht. Sie hat einen Original-C.I.A.-Koffer dabei mit einer unmißverständlichen Papierbanderole. Könnte auch ein Aufkleber aus dem Supermarkt sein, sieht aber schwer offiziell aus. Wie es scheint, arbeitet Jürgen im Auftrag der amerikanischen Regierung, aber die Experimente mit Ballack sind aus dem Ruder gelaufen. Zusammen mit einem kleinen Eingeborenenkind begeben sie sich zurück in den Dschungel, um der Hybris des Jürgen Einhalt zu gebieten...

Dies ist haargenau jene Sorte von grobem Unfug, wegen dessen/dem/den ich Genwissenschaftler geworden bin! Zuerst einmal ist es lustig, sich vorzustellen, Hübschie Mark Dacascos könne alleine eine Spritze aufziehen, geschweige denn ein Käfergenom knacken. Er trägt seine Chippendale-Tänzer-Frisur mit großer Anmut und wäre der Superstar im Duschtrakt des örtlichen Gefängnisses. Als Dr. Schweitzer in Nöten liefert er eine seiner reifsten schauspielerischen Leistungen ab. („Stanislawski? War das ein Kosmonaut?“) Es ist etwas rätselhaft, warum seine Anwesenheit bei einer geheimen und höchst gefährlichen C.I.A.-Mission erforderlich ist, aber das ist eben eine jener Missionen, mit der man ein blondes Model betraut, das irgendwann mal einem Mann eine gute Ehefrau abgeben wird. Die namenlose Darstellerin hat eine entwürdigende Kate-Capshaw-Rolle zu absolvieren, ist im Dschungel völlig aufgeschmissen und weiß vermutlich nicht einmal, wie spät es ist. Sie entspricht voll und ganz dem Bild, das ich vom C.I.A. habe. Daß der Film auf den Philippinen gedreht wurde und nicht in Borneo, versteht sich natürlich von selbst, und der ethnische Mischmasch, der einem hier als Uga-Uga-Neger (feat. Glasperlen und Stammestänze) serviert wird, ist schon recht schillernd. Kurzum, es handelt sich um lustigen Schlonz mit Monster, der mit viel Knabbergebäck durchaus Spaß machen kann. Ob der (nicht mehr ganz neue) Film Jürgen Prochnow Spaß gemacht hat, weiß ich nicht. DIE VERROHUNG DES FRANZ BLUM isser nicht gerade, aber immerhin ist ein Arbeitsurlaub auf den Philippinen herausgesprungen. Noch toller hätte ich es allerdings gefunden, wenn er die Perücke aus IN THE MOUTH OF MADNESS getragen hätte oder zumindest die Kapitänsmütze aus HOUSE OF THE DEAD, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Immerhin ist er demnächst in der neuesten Staffel meiner derzeitigen Lieblingsserie zu bewundern. („Ich gehe jetzt rein!“) D.N.A bietet eine willkommene Gelegenheit, den Kopf abzuschalten und ganz leicht werden zu lassen. Ich fühlte mich erinnert an die italienischen Schmonzetten aus den 80ern, in denen ebenfalls andauernd synthetische Südamerika-Rhythmen zu hören waren. (Borneo?) Tja, wenn Bruno Mattei APOCALYPSE NOW mit PREDATOR gekreuzt hätte, dann wäre wohl etwas Ähnliches dabei herausgekommen...

P.S.: Ich hoffe, die Produktionsfirma hat Nicotero und Berger wenigstens ein gutes Essen spendiert, denn Geld für Effekte wird nicht überreichlich vorhanden gewesen sein, muhaha...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#737 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 05. September 2009, 18:50

Untraceable (DVD)

Jennifer Marsh (Diane Lane) ist FBI-Agentin und arbeitet in einer Spezialabteilung für Internetkriminalität. Der graue Alltag mit seinen Bankdatenabzockern und Raubkopierern wird auf einmal unterbrochen von etwas ganz Neuem: Eine Website bietet den Zuschauern den Live-Tod eines süßen Kätzchens an. Bei dem charmanten Vierbeiner bleibt es aber nicht: Schon bald tauchen menschliche Opfer vor der Webcam des Unholdes auf. Besonderer Kick: Je mehr Kunden sich einklicken, umso schneller geht die Hinrichtung des Opfers vonstatten, der Zuschauer zum Mittäter gemacht. Erwartungsgemäß schnellen die Quoten hoch. Jennifer hat alle Hände voll zu tun, und sie muß schließlich erkennen, daß der Mörder auch vor ihrem privaten Umfeld nicht haltmacht...

Schön zu sehen, daß Diane Lane erwachsen geworden ist! Die gute Frau hat nie besser ausgesehen. Was den Film angeht, so ist UNTRACEABLE ein weitgehend professionell gemachter und spannender Serienmörderthriller, der seinen Oberflächenreiz aus dem Spiel mit den Möglichkeiten des weltweiten Gewebes zieht. Dem zugrunde liegen natürlich irrationale Vorstellungen, die bei jeder Killerspieldebatte wieder aufflammen: Das Internet ist unheimlich, weil da irgendwie das Böööse drin wohnt... All der Saukram, den Menschen so anrichten, findet da sein natürliches Zuhause. Das ist natürlich gläubischer Kokolores, der den Film bisweilen unangenehm in die Richtung solcher erzkonservativen Mahn-Schocker wie 8MM oder THE FLOCK rückt. Denkt man ein wenig über die aufgesetzte Medienkritik des Filmes nach, so fällt die Nähe zur SAW-Reihe auf, deren Killer ja auch grotesk aufwendige Mordmethoden ersinnen, die im Rahmen des Filmes nur eine Funktion haben – nämlich die ach so „perverse“ Faszination der Zuschauer an den grausigen Spektakeln auszubeuten, die die Filme gleichzeitig den Mördern in die Schuhe schieben, somit verteufeln. Auch UNTRACEABLE lehnt sich da ein bißchen weit aus dem Fenster, denn natürlich gibt er dem Affen Zucker und läßt z.B. ein Opfer ein Bad in Batteriesäure nehmen. Ernstnehmbar ist die Kritik somit keine Sekunde, lediglich dekoratives Beiwerk, ein Raunen im Walde, in dem die bösen Räuber hausen. Will man aber nur einen spannenden Thriller kucken, lohnt sich UNTRACEABLE trotzdem, da er recht geschickt gemacht ist. Sachen wie COPYKILL oder SUSPECT ZERO holt er dabei durchaus ein, aber SEVEN ist natürlich weit, weit weg...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#738 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 06. September 2009, 14:07

Bedingungslos (DVD)

Warum machen die Dänen eigentlich so gute Filme?

Jonas ist Polizeifotograf und zuständig für Tatortfotos. Mit seiner kleinen Familie führt er ein überschaubares, solides Dasein. Man träumt von der Reise nach Polynesien, von der man weiß, daß sie niemals zustandekommen wird. Da schlägt der Blitz ein: Direkt vor Jonas und seiner Familie ereignet sich ein fürchterlicher Autounfall. Die einzige Überlebende, Julia, landet im Koma. Durch ein Mißverständnis hält man Jonas, der die Verunglückte im Krankenhaus besuchen will, für ihren Freund Sebastian, den die Familie niemals gesehen hat. Aus dieser Nummer kommt Jonas nicht so schnell wieder raus, und so pflegt er sie und baut eine ungesunde Neigung zu ihr auf. Das geht solange gut, bis sie aus ihrem Koma erwacht...

Ole Bornedal kennt man hierzulande hauptsächlich wegen seines international erfolgreichen Thrillers NIGHTWATCH, dessen Hollywood-Remake er selber besorgte. BEDINGUNGSLOS (Exporttitel: „Just Another Love Story“) fand ich deutlich, deutlich besser. Der Film erzählt eine obsessive Liebesgeschichte, wie man sie aus zahlreichen Noir-Thrillern kennt. Jonas führt eine oberflächlich befriedigende Existenz. Nach außen hin wirken er und Mette wie das perfekte Paar. Doch als das Unerwartete eintritt, bekommt Jonas die Gelegenheit, in eine fremde Identität hineinzuschlüpfen und dort seine eigenen Wunschträume zu verwirklichen. Daß ihn dabei auch die Sehnsucht nach der Schlangengrube treibt, ist ihm zunächst nicht ganz klar, doch langsam sickert auch bei ihm die Erkenntnis durch, daß er sich mit diesem Rollenspiel mehr abgebissen hat, als er schlucken kann. Es ist die große Leistung des Regisseurs und Autors Bornedal, daß diese auf dem Papier konstruiert wirkende Geschichte sehr nachvollziehbar erscheint, auch wenn man den Protagonisten in seiner Sehnsucht nach Romantik und Verhängnis nicht wirklich einschätzen oder bewerten kann. Bei Lichte betrachtet handelt Jonas auf seinem Weg in den Walfisch bodenlos egoistisch, riskiert das Glück der Leute, die auf ihn bauen, und das alles auf Grundlage einer Rechnung, die kaum aufgehen kann. Er tauscht ein Leben in Unaufrichtigkeit gegen ein anderes Leben in Unaufrichtigkeit ein. Sein Lohn ist die Reise in die Nacht. BEDINGUNGSLOS ist in seinen gestalterischen Mitteln alles andere als zurückhaltend. Bei einem minder begabten Regisseur hätte die starke Betonung der formalen Komponente wahrscheinlich wie ein Hangeln nach Oberflächenreizen, nach Kunststückchen ausgesehen, aber Bornedals Inszenierung und Erzählweise ist so flüssig und so präzise, daß man als Zuschauer ständig in der Story bleibt und gelegentlich mit offenem Mund davor sitzt. Das ist einfach grandios. Ich würde mich sogar dazu versteigen, den Film in eine Liga mit Meisterwerken wie dem gleichfalls sehr artifiziell geplotteten VERTIGO zu packen, immerhin meinem Lieblings-Hitchcock. BEDINGUNGSLOS ist ein sehr starker Film, der jenseits seiner Thriller-Romanze über erstklassig gezeichnete Figuren verfügt, die einem nicht immer sympathisch sind, aber beträchtliches Eigenleben besitzen. Nein, der Film hat mich wirklich weggeblasen! Der ist sowas von gekauft...

Bearbeitet von Cjamango, 06. September 2009, 14:08.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#739 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 06. September 2009, 17:00

JCVD (DVD)

Der beliebte belgische Weltstar Jean-Claude Van Damme kämpft um das Sorgerecht für seine Tochter Gloria. Als er in seiner Heimatstadt Berchem vorbeischaut, überschlagen sich die Ereignisse. Extrablatt: Jean-Claude Van Damme überfällt ein Postamt...

Ich kann leider aus Gewissensgründen nicht mehr von der Story verraten, denn Spoiler trifft der Blitz! Tatsache ist, daß ich hier mal wieder einen Blindkauf gewagt habe, denn den Beschreibungen nach konnte der Film eigentlich nicht danebengehen. In vier Kapiteln (eines heißt: „Stein fällt auf Ei, Ei kaputt“) erzählt der Film eine Episode aus dem Leben von JCVD, die wohl nicht zu seinen Kaiserstunden zählt. Mit leichter Hand vermischt er vermutlich Autobiographisches mit Fiktion, bedient sich dabei einer Strategie, die dem Hollywood-Actioner 8 BLICKWINKEL nicht unähnlich ist – in jedem Kapitel werden den Vorgängen neue Informationen hinzugefügt –, und das Resultat ist nicht nur Van Dammes untypischster Film, sondern eine interessante Erfahrung für all jene, die ihn für einen unsympathischen Dummproll halten. Daß Van Damme seinen Heldenmythos gerne ironisch unterläuft oder nachgerade demontiert, ist für Genrefans nichts Neues. In IN HELL etwa spielt er einen ganz normalen Zeitgenossen, der unter widrigen Umständen Angst bekommt, weint und sogar kotzt. Der belgisch-französische JCVD geht noch einen Schritt weiter und konfrontiert den realen Menschen Van Damme mit seiner Kunstfigur. Daß der Film nicht zu einer beliebigen Zirkusnummer wird, sondern tatsächlich zu einer interessanten Reflexion über die Hintergründe von Starkult und Mediengeschäft, liegt an dem gescheiten Konzept von Regisseur Mabrouk El Mechri und seinen Drehbuchautoren, die das Naheliegende scheuen und immer wieder mit Überraschungen aufwarten. JCVD ist weit von einer eitlen Nabelschau des Produzenten Van Damme entfernt, sieht man einmal davon ab, daß er sich hier auch als begabter Schauspieler präsentiert. Es gibt mitten im Film einen surrealen inneren Monolog, in dem Van Damme minutenlang über seine Erfahrungen als Star und die Auswirkungen seiner Karriere auf die Welt sinniert, zu keinem erfreulichen Ergebnis gelangt und sehr überzeugend zu heulen anfängt. Ich habe bei der Szene eine Gänsehaut bekommen! Auch ansonsten überzeugt der Film auf der ganzen Linie. Der Schluß ist großes Tennis.

Während des Filmes bekommt ein frustrierter Van Damme Bescheid, daß ihm Steven Seagal eine Filmrolle weggeschnappt hat. Eines weiß ich mit Sicherheit: Abgesehen vielleicht noch von Dolph Lundgren gibt es derzeit keinen anderen Actionstar, dem ich solch ein intelligentes und erhellendes Experiment zutrauen würde. Für den Star Van Damme muß dieser Film ein gewisses Wagnis dargestellt haben, aber die Rechnung ist aufgegangen. Was soll ich sagen – ich empfehle den Blindkauf!

Bearbeitet von Cjamango, 06. September 2009, 17:03.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#740 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 07. September 2009, 12:43

Reincarnation (DVD)

Nagisa ist eine junge Schauspielerin, die überglücklich ist, die Hauptrolle in einem neuen Horrorfilm zu bekommen. Besagter Film stellt Ereignisse nach, die vor 35 Jahren zum Tod von 12 Menschen geführt haben. Ein geisteskranker Wissenschaftler ermordete nämlich seine Familie und lief Amok. Die ebenso hübsche wie sensible Nagisa stellt fest, daß sie in ihren neuen Job mehr einbringen muß als nur ihre Kreativität. Visionen von toten Menschen plagen sie, doch so richtig in den Overdrive schalten die Heimsuchungen, als die Crew das alte Hotel besucht, in dem sich das Gemetzel zutrug. Nagisa vermutet, sie könne eventuell die Reinkarnation des Mädchens sein, das sie darstellen soll. Doch ist sie das wirklich?

Was an REINCARNATION erst einmal auffällt, ist die Entwicklung von Takashi Shimizu als Techniker, denn handwerklich kann man den Film nur als samten bezeichnen. Elegant streicht die Kamera durch die Sets, düster grummelt es auf dem Soundtrack. Daß er den irrationalen Horror der JU-ON-Filme hier mit einem Wiedergeburts-Thema anreichert, läßt den Film etwas kompakter erscheinen und möglicherweise leichter zu schlucken für westliche Sehgewohnheiten. Zum Glück (!) erschöpft sich RINNE (wie er im Original heißt) nicht in einer simplen Todesfall-Routine, in der die Geister sich professionell von Wiedergeborenem zu Wiedergeborenem hangeln. Auch erfreut die Dialogspur durch angenehme Dezenz – nichts wird zu Tode erklärt, wie mich das in den Hollywood-Filmen immer so nervt. Stattdessen wird man als Zuschauer irritiert, tappt gelegentlich genauso im Dunkeln wie die Protagonistin. Der Schlußteil hat mich dann endgültig überzeugt, da er die Vorgänge in einen Rausch münden läßt, in der einem endgültig der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Klare Erklärungen werden nicht präsentiert, dafür ein ziemlich abgründiges und unheimliches Ende. Hat mir sehr gefallen. Mal schauen, ob Shimizu seinen Wunsch erfüllt bekommt und irgendwann mal eine Komödie inszenieren darf. Dies hier ist definitiv keine Komödie...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#741 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 07. September 2009, 15:15

Charisma (DVD)

Polizist Yabuike trifft bei einer Geiselnahme die falsche Entscheidung und wird suspendiert. Es zieht ihn in die freie Natur, wo er merkwürdige Menschen trifft und einen Baum. Bei dem Baum handelt es sich um einen Überbaum, bei den Menschen um Spaddel. Baum oder nicht Baum, das ist hier die Frage. Auf welcher Seite steht der wackere Gesetzeshüter?

Ein etwas älterer Film von Kiyoshi Kurosawa, der das Format der schwarzen Komödie gewählt hat, um seine Apokalypsengeschichte zu erzählen. Sehr verwirrend, molto strano, und obwohl offensichtliche Komödienelemente spärlich gesät sind, erinnerte er mich etwas an Richard Lesters vielleicht besten Film, DANACH (THE BED-SITTING ROOM). Kurosawa nutzt den brachliegenden Wald als „pars pro mausetoto“, als Metapher für die ganze bedrohte Natur, die aus Profitstreben und aus Ignoranz in den Orkus geblasen wird. Statt hier aber eine tumbe Parabel à la DER SMARAGDWALD anzustreben, ist in CHARISMA nicht ganz klar, ob der Baum nun die Wurzel allen Übels ist oder ein schützenswerter Sonderbaum. Die Menschen lügen wie gedruckt, viele Legenden schwirren im Raum, und Gesetzeshüter Yabuike will diesmal alles richtig machen. Auf der Suche nach der Antwort vergißt er aber mehr und mehr die Frage, so daß die Auflösung des Filmes etwas an BLOW UP von Antonioni erinnert, nur halt mit drastischeren Folgen und mit dem grünen Daumen im Genick. Kurosawa hat mit seinen späteren Filmen bewiesen, daß er sich wunderbar darauf versteht, gezielt an Genreerwartungen vorbeizuinszenieren, häufig mit exzellenten Resultaten. CHARISMA beginnt als Polizeifilm à la Kitano, wird dann aber zu etwas ganz anderem. Gerade wegen dieser Konsequenz hat mir der Film ausgezeichnet gefallen, wenngleich man etwas Geduld haben muß, um die Früchte des Baumes zu ernten. Sind keine schönen Früchte, aber wer Glücksbärchis kucken will, ist bei diesem Filmemacher ohnehin fehl am Platz...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#742 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 10. September 2009, 22:50

Experiment Killing Room (DVD)

Vier Leute treffen zusammen in einem Institut, wo sie ein wenig Geld als Testpersonen verdienen wollen. Ob es sich dabei um neuentwickelte Medikamente handelt oder um andere Leckereien, wissen sie nicht. Sie bekommen es allerdings recht bald heraus, und das bedeutet für einige von ihnen den Tod...

Ein Kammerspielthriller, dessen Cover den Eindruck macht, es handele sich hier um ein Remake von Hirschbiegels DAS EXPERIMENT. Tatsächlich versucht sich THE KILLING ROOM (wie er im Original heißt) als klaustrophobisches Psychodrama im Umfeld von CUBE, SENSELESS, FIVE FINGERS und solchen Sachen, und das macht er nicht einmal schlecht. Ein geschickter Schachzug ist es, daß der Film bereits innerhalb des Komplexes (Krankenhaus? Militärstützpunkt?) beginnt, so daß dem Zuschauer nur wenig Orientierungspunkte gereicht werden. Nach etwa 5 Minuten folgt bereits die erste derbe Überraschung, und ab da entwickelt sich alles zum Überlebenstraining für einige Jedermanns, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen werden sollen. Die Besetzung ist für solch einen relativ kleinen Film sehr ansprechend: Als Ärzte (?) stehen Peter Stormare und Chloe Sevigny zur Verfügung, und die Versuchspersonen sind ein angenehm verwitterter Timothy Hutton, die burschikose Clea DuVall (jamm!), der Knacki aus SPLINTER und ein mir bisher unbekannter schwarzer Schauspieler, der aber schon eine eigene TV-Show hatte, die „Nick Cannon Show“. (Wie er heißt, ist mir gerade entfallen...) In manchen Reviews wird der Film in die Nähe von SAW gerückt, was aber überhaupt nicht zutrifft, da sein Schwerpunkt nicht auf Splatter-Überraschungen liegt, sondern auf kühl inszeniertem Psychoterror. Die Auflösung des Ganzen mag manchem etwas weit hergeholt erscheinen, aber mir gefällt sie eigentlich recht gut. Regisseur Jonathan Liebesman hat vorher den mittelprächtigen DARKNESS FALLS gemacht, der gut beginnt, dann aber zu einem JEEPERS CREEPERS-Gehampel wird. Danach kam dann THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE: THE BEGINNING, der zwar gegenüber Nispels Vorgabe angenehm schmuddelig wirkte, aber auch weitgehend ziellos. THE KILLING ROOM gefällt mir bisher am besten, da er relativ bescheidene Ziele hat, denen er aber gerecht wird. In Unkenntnis der Besetzung habe ich von dem Film genau gar nichts erwartet und und fand ihn dann doch sehr okay.

Bearbeitet von Cjamango, 10. September 2009, 22:52.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#743 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 11. September 2009, 01:18

Book Of Blood (DVD)

Mary Florescu befaßt sich seit einem unheimlichen Kindheitserlebnis mit der Erforschung paranormaler Erscheinungen. Als sie ein verrufenes Haus einer genaueren Beobachtung unterziehen will, versichert sie sich der Dienste des medial begabten Simon, den gleichfalls eine Episode in seiner Kindheit mit der Geisterwelt verknüpft. Zusammen mit einem Kumpel Marys ziehen sie in das Haus ein, in der Hoffnung auf etwas ektoplasmischen Wirbel. Und sie bekommen mehr zu sehen von der Jenseitswelt, als sie sich in ihren finstersten Träumen hätten vorstellen können...

Von den Briten erwarte ich mittlerweile gar nichts mehr. Die letzte Granate, die ich durchlitten habe, war ein Murks namens THE SICKHOUSE. Und dann noch eine weitere Clive-Barker-Bearbeitung? Oh bitte... Tja, unverhofft kommt oft: BOOK OF BLOOD erweist sich als altmodisch inszenierte Geistergeschichte, und zwar genau von der Art, wie ich sie so liebe! Während der Grusel, den die neuen asiatischen Filme in ihren besten Momenten erzeugen, von entschieden unangenehmem Charakter ist – eigentlich eher Terror als Grusel –, gefällt sich BOOK OF BLOOD als Lieferant unheimlicher Stimmungen und dezenten Schocks. Der törichte Monolog am Anfang ließ mich Schlimmes befürchten, und auch eine durchaus blutige Episode mit einem unvorsichtigen Gothic-Fan jagte meine Erwartungen in durchaus überschaubare Höhen. Danach allerdings wuchs der Film immer mehr und erzeugte nostalgische Gefühle in meinem Herzen. Ich möchte jetzt nicht gleich zu THE INNOCENTS oder THE HAUNTING greifen, aber seit THE OTHERS habe ich – die Japaner mal ausgenommen – keinen so hübschen Geisterfilm mehr gesehen! Ich habe absolut keine Ahnung, warum die Bewertung in der IMDb so mittelmäßig geraten ist. Vielleicht ist es so, daß die jungen Zuschauer mittlerweile krachende Schockeffekte, Kameragewirbel, CGI-Gekasper, Shutter-Wackeleien und ähnlichen Zirkus erwarten. Davon gibt es hier wenig zu sehen. Stattdessen schwebt die Kamera durch dunkle Gänge, unheimliche Geräusche dringen aus den Wänden, sexuelle Wunschvorstellungen gebären schlüpfrige Träume, und am Schluß gibt es einen kleinen Trip in das Reich der Toten, der von hoher literarischer Qualität ist... Blutbücher sind wir alle, und während die physischen Aspekte der entsprechenden Barker-Geschichte größtenteils in der Rahmenhandlung untergebracht sind, werden sie doch zu einem hübschen Ende geführt, dessen dezenter Comic-Strip-Charakter daran erinnert, daß der amerikanische Regisseur John Harrison einst George Romero bei dessen CREEPSHOW assistiert und auch den hübschen Soundtrack zu jenem Film komponiert hatte. Ich würde BOOK OF BLOOD ungelogen als eine der wenigen gelungenen Barker-Verfilmungen bezeichnen und kann es nicht erwarten, den Film in meiner DVD-Sammlung willkommen zu heißen!
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#744 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 12. September 2009, 20:26

Plague Town (DVD)

Eine amerikanische Familie mit diversen Problemen am Start begibt sich nach Irland, um dort ihren Wurzeln nachzuspüren. Durch eine organisatorische Unachtsamkeit geraten sie in eine Gegend, wo sich Fuchs und Hase Gutenacht sagen. Tatsächlich scheint irgendetwas Grausliches mit den Bewohnern der Region passiert zu sein, da sie sich benehmen wie völlig Umnachtete. Einige von ihnen sehen zudem aus wie Zombies. Kann der Familienbund diese Herausforderung schadlos überstehen?

Das kann er nicht, soviel verrate ich schon mal! PLAGUE TOWN ist ein kleiner, semiprofessioneller Horrorschocker mit diversen schwarzhumorigen Beigaben. Da er obendrein über ziemlich saftige Splatterzutaten verfügt, wundert es mich, daß er scheinbar ungekürzt durch die FSK gekommen ist, aber die Freunde solcher Filme wird es freuen. Es wäre etwas übertrieben, PLAGUE TOWN als gutgemachten Film zu bezeichnen, zumal der Originalitätsgehalt nicht gerade berauschend ist. Ich habe in letzter Zeit aber in einer Schundflut von schlechtgemachten Horrorfilmen gewatet, und dieser hier hat mich immerhin bis zum Schluß bei Stange gehalten. Was macht er richtig? Nun, zuerst einmal gibt es einen schön saftigen Familienkonflikt: Papa hat neu geheiratet, und seine beiden Töchter – eine davon mit Psychiatrievergangenheit – hassen einander inbrünstig. Dann begeht er nicht den Fehler, seine Zuschauer lange auf die Attraktionen warten zu lassen. Eine langwierige Exposition zahlt sich eventuell aus bei Filmen, die in erster Linie von Charakterentwicklung leben, aber Exploitationfans erwarten halt etwas Remmidemmi. (Bei CABIN FEVER etwa dauerte es über 40 Minuten, bis was Interessantes passierte. Das war dann aber zugegebenermaßen lustig...) PLAGUE TOWN geht relativ rasch in die Vollen und läßt einem gar nicht Zeit dazu, sich über Engpässe logischer Natur den Kopf zu zerbrechen oder darüber, daß der Film selbstverständlich nicht in Irland gedreht worden ist... Stattdessen werden andere Köpfe zerbrochen. Das Makeup der Zombies ist recht pittoresk geraten. Es gibt eine kalkweiße, anorektische Zombietochter, die scheinbar keine Augen mehr hat, nur riesige Puppenaugen, die auf eine Mullbinde aufgeklebt sind. Es gibt eine höchst ungewöhnliche Exekution, bei der der Delinquent an einer durch seine Augenhöhlen getriebenen Gerte aufgehängt wird. Ein Film, wie geschaffen für das Nachmittagsprogramm des Bayerischen Fernsehens! Im Moment lese ich gerade Jack Ketchums Debütroman „The Offspring“, in dem es wohl um Verwandtes geht. Für einen Low-Budget-Zombiefilm war PLAGUE TOWN auf jeden Fall ganz in Ordnung. Die deutsche DVD hatte bei mir eine sehr eigentümliche Bildqualität, aber möglicherweise habe ich nur eine Zitrone erwischt, und auch so bin ich anständig durchgekommen. Also, wer Qualität und Originalität erwartet, kann sich das Entleihen sparen. Wer einen ordentlichen Splatterfilm für einen Horrorabend mit Freunden sucht, kann ruhig mal zugreifen. Knabberkram bereithalten!

Bearbeitet von Cjamango, 12. September 2009, 20:29.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#745 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 15. September 2009, 18:07

The King Of Comedy (DVD)

Rupert Pupkin (Robert de Niro) ist ein 34-jähriger Botenjunge. („I'm in communications“, wie er einer Bekannten großspurig erzählt.) Privat hält er sich für einen genialen Nachwuchskomiker und trainiert sich im Keller seiner Mama für seinen ganz großen Durchbruch. Da man für einen Durchbruch auch Weichen stellen muß, drängt er sich dem gefeierten Starkomiker Jerry Langford (Jerry Lewis) auf, der ihn gepflegt abwimmelt. Aber Rupert läßt nicht locker, da er in seiner Fantasiewelt davon überzeugt ist, daß Jerry auf ihn, gerade auf ihn nur gewartet hat. Als ihn die grauenhafte Realität einholt, tut er sich mit einer gleichfalls durchgeknallten Freundin zusammen und entführt den Star...

THE KING OF COMEDY gehört zu Scorseses unterschätztesten Filmen. Das Drehbuch des Journalisten Paul Zimmerman war bereits 10 Jahre alt, als auf Drängen Robert De Niros das Projekt endlich Gestalt annahm. Von Haus aus ist der Film eine Komödie. Dasselbe Material hätte aber auch mit Leichtigkeit als Psychothriller oder als Horrorschocker abgehandelt werden können. Was De Niro in der Hauptrolle abzieht, ist erneut unbegreiflich. Ich habe mir den Film diesmal im Original angeschaut. Zu Beginn ist De Niros Stimme fast nicht wiederzuerkennen, da ihre Tonhöhe verändert ist, die Sprachmelodie ist eine komplett andere als etwa bei Travis Bickle oder Jake LaMotta. Rupert Pupkin ist eine ziemlich arme Sau, eine Art Nerd am Rande zum Soziopathentum, der seine erbarmungswürdige Existenz anderen Leuten auflastet, in diesem Fall dem Star Jerry Langford. Während De Niros Darstellung eine Comedy-Performance ist (unglaublich, wie ausdauernd der Mann lächeln kann!), spielt die Comedienne Sarah Bernhard seine Partnerin in einem regelrechten Horror-Modus – man bekommt wirklich Angst vor der Frau. Bei beiden Figuren hat man das Gefühl, daß natürliche Leidenschaft einen sehr ungesunden Weg eingeschlagen hat. Tatsächlich ist THE KING OF COMEDY ein regelrechter Sadomaso-Film, zumal es um Aggressionen geht, die sich als Zuneigung tarnen. De Niro spielt die ganze Zeit über den liebenswerten Schmock, wie er das vielleicht aus dem Fernsehen kennt, aber die ganze Zeit brodelt bei ihm eine aggressive Note, die bei der Bernhard voll zum Ausdruck kommt. (Es gibt eine tolle Fantasie Ruperts, bei der er sich vorstellt, wie ihm der neidische Star mit seinen Händen das Gesicht "zerdrückt". Der Fantasie-Langford tut kumpelhaft und professionell, wertet den Fantasie-Rupert gleichzeitig mit seinen Händen ab. Das deutet an, daß Rupert im Grunde von seinem Idol gedemütigt werden MÖCHTE. Kompliziiiert...) Komiker Langford/Lewis ist ein Vollprofi und verhält sich entsprechend gewandt im Umgang mit Neurotikern. Für gewöhnlich behält er eine ungerührte Miene, „deadpan“, denn er weiß um die Mechanismen des Gewerbes, des kommerziellen Verwurstens von natürlichen Gefühlen, anders als Rupert Pupkin, der sich vor dem Zuschauer grauenhafter Fremdscham aussetzt. (Das war zumindest bei mir der Fall!) An einer Stelle des Filmes bekommt man eine Comedy-Routine Pupkins fast komplett vorgeführt, die wunderbar unterstreicht, daß Humor im Grunde genommen eine Uminterpretation eigentlich Umstände darstellt. Die Nummer erzählt von Pupkins Leben, seiner denkbar üblen Kindheit, alkoholischen Eltern etc. – sie ist nur ziemlich komisch! Ich halte THE KING OF COMEDY für einen grandiosen Film. Das einzige, was ich nicht kapiere, ist die FSK-Einstufung ab 6, da ich mir nicht vorstellen kann, was Kinder mit solch einem Film anfangen sollen. Ein großer Erfolg wurde er nicht, da das Publikum – ähnlich wie bei Scorseses gleichfalls unterschätztem NEW YORK, NEW YORK – etwas anderes bekam als das, was es eigentlich erwartete. Hervorragend geschrieben, inszeniert, gespielt – Scorsese eben.

P.S.: Die DVD enthält eine informative Featurette, in der Scorsese und die Bernhard einiges über das Projekt erzählen.
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#746 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 16. September 2009, 12:14

Pig Hunt (DVD)

Eine Gruppe von Möchtegern-Soldaten begibt sich in die Wälder, um dort ein wenig zu jagen. Dabei lernen sie die alten Kumpels eines von ihnen kennen, der dort aufgewachsen ist. Die rustikalen Eigenheiten der Landbevölkerung stoßen bei ihnen auf Unverständnis. Das Unverständnis wandelt sich sehr bald in blankes Entsetzen, als Blut fließt, und zwar nicht nur das Blut unschuldiger Tiere. Und dann wäre da noch der riesengroße Monsterkeiler, den die Einheimischen nur den „Ripper“ nennen...

Ach, war das schön! PIG HUNT entführt uns in eine Ecke von Kalifornien, die haargenau so aussieht wie die finstersten Südstaaten. Das hier zu erlebende Soziotop kann man normalerweise nur in Abwasserkanälen antreffen. Die Ausgangssituation erinnert an handelsübliche Backwoods-Slasher, wird dann aber so verdammt weird, daß man seinen Augen kaum traut. Neben dem legendären Wildschwein gibt es noch quasi satanistische Drogenhippies, umgesiedelte Emus, geile Playboyweiber im Badezuber und die gesamte Hillbilly-Clique aus BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE! Was genau passiert, möchte ich aus Fairnessgründen verschweigen, nur soviel: Die Vergewaltigung von Ned Beatty aus DELIVERANCE ist nachgerade harmlos... Diesen groben Unfug, der sich neben dem typischen Stadt/Land-Problem auch unterschwellig gegen Blutsport und den Kriegseinsatz der USA ausspricht, hat übrigens ein bekannter Buchautor verfaßt, Robert Mailer Anderson, dessen Roman „Boonville“ von Leuten wie Norman Mailer oder Martin Cruz Smith abgefeiert worden ist. Im Zusatzmaterial erzählt er mit ernster Miene, er sei auf einer Hillbilly-Farm großgeworden, auf der die Jagd auf Tiere zum Alltag gehörte. Jetzt lebe er mit seinem schwulen Cousin (dem Ko-Autoren des Drehbuchs) auf einer Farm im Hinterland in einer glücklichen Beziehung. Hee-haw! Das ist natürlich Kappes: In Wirklichkeit ist er glücklicher Familienvater, schreibt Artikel gegen Guantanamo und Abu Ghraib und richtet mit seiner Frau Kunstausstellungen aus... Zartbesaiteten Zuschauern ist vom Betrachten des Filmes abzuraten, da er vor Blut, Dreck und Schleim nur so starrt. Es gibt drei eklige Szenen mit Tierbezug, bei denen ich etwas schlucken mußte. Bis auf eine Szene (bei der ich mir nicht sicher bin) waren da aber talentierte Spezialeffektkünstler am Werk. Ansonsten muß man halt wegkucken. So sieht das eben aus, wenn sich ein Schwein in eine Würstchengirlande verwandelt. Die Macher des Filmes sind vermutlich keine Vegetarier, haben in bezug auf Blutsport aber offensichtlich das Herz auf dem rechten Fleck. Die musikalische Untermalung stammt von Les Claypool, dem Frontmann der tollen Band „Primus“. Ich habe bei der Schweinehatz einen riesigen Spaß gehabt – ein erstklassiger Partyfilm!

Bearbeitet von Cjamango, 16. September 2009, 12:16.

www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#747 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 29. September 2009, 14:03

Sodom und Gomorrah (1922) (DVD)

„...und ich sach noch: Kuck nich!“ Aber das Luder will ja nicht hören...

Bevor er als Michael Curtiz Ruhm in Hollywood einheimste, drehte Mihály Kertesz unzählige Filme in seiner Heimat Ungarn und nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich und Deutschland. SODOM UND GOMORRAH war die aufwendigste Produktion, die bis zu jenem Zeitpunkt in Österreich auf die Beine gestellt worden war. Um die 3000 Statisten wurden mobilisiert, um die Massenszenen aufzumöppeln. Julius von Borsody (Onkel von Hans) und Edgar G. Ulmer waren verantwortlich für die eindrucksvollen Bauten, die den Sodomisten ein Zuhause gaben.

Wie opulent auch die schwelgerischen Aspekte der Produktion waren, so frömmelnd und kitschig kommt die Story daher. Die Grundhandlung dreht sich um einen alten Geldsack, Harber, der von der Weltwirtschaftskrise profitiert hat, die der Erste Weltkrieg nach sich zog. Da Geld allein nicht glücklich macht, will er die hübsche Mary heiraten, welche ist ein dummes Ding aus gutem Hause. Zwar zaudert sie zunächst, ihre Jugend an den alten Zausel zu verschleudern, doch der Drang nach einer Aufrechterhaltung des Status Quo ist dann doch zu stark. Bei der Verlobungsfeier läßt sich Harber nicht lumpen: Dionysische Szenen spielen sich auf seinem Anwesen ab. Inmitten der Bacchanalien fällt ein Schuß: Ein mittelloser Bildhauer, der in Mary verknallt war, gibt sich die Kugel. Doch Mary ist mittlerweile nahezu entseelt vom Götzendienst am Mammon. Auch Edward, den Sohn Harbers, führt sie ins Verderben. Wie gut, daß ein Arzt, äh, Priester anwesend ist, der den Versuchungen des Fleisches nicht erliegt und die Anwesenden Mores lehrt...

Heidewitzka, Herr Kapitän! Abgesehen davon, daß Mary zu Beginn der Spielhandlung einige Alibi-Zweifel in ihrem schönen Busen hin und her wälzt, scheint der Fall recht klar: Die Bedrohung heißt Frau! Es liegt in ihrer Natur, das Spiel mit den Reizen, mit denen sie die Männer verrückt macht. Anders als Wedekinds Lulu, deren arglose Provokation die Selbstzerstörungskräfte des Bürgerlichen freisetzte, stellt die Frau hier eine nur fadenscheinig verhüllte Lastergrotte dar, deren essentielle Metzen- und Dirnenhaftigkeit das Leben von Männern ruiniert, aus denen ansonsten durchaus etwas hätte werden können. Der Priester fungiert hier als einsamer Mahner in der Wüste, dessen Wort aber eine Wahrheit trägt, die die irregeleiteten Menschen wieder auf den rechten Pfad zurückzutreiben vermag – Papi im Sattel, Mami auf den Knien. Diese Wandlung der Herzen wird illustriert durch den Traum aus Sodom, der der unkeuschen Mary zeigt, wo Gottes Hammer hängt. Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, warum ich bis zum heutigen Tage noch nicht verbibelt bin. Lots Frau handelt nämlich eigentlich ziemlich menschlich, wenn sie sich umkuckt. Sie ist nur halt nicht gehorsam, kein braves Hündchen am Herd. Auch zeigt der Film in vorbildlicher Weise, wie heuchlerisch moralisches Kino manchmal sein kann, denn natürlich sind es gerade die schwelgerischen, ausufernden Akzente, die die Attraktionen solch eines Werkes darstellen. Ob der Femme Fatale wohl gleich die Titte aus dem Ausschnitt rutscht? Was haben sie sich diesmal wieder getraut? Und, hach, wenn Sodom in Flammen aufgeht, sieht das ja auch mal fesch aus, so etwas hatten wir ja schon seit vier Jahren nicht mehr!

Die Story ist also kompletter Kohl. Vom historischen Standpunkt aus ist es allerdings zu begrüßen, daß dieser Torso des ursprünglichen Werkes zur Verfügung steht, denn zu kucken gibt's wahrlich viel. Allerdings schlägt mein Herz wohl doch eher für Pabst als für Papst...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#748 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 30. September 2009, 19:21

The Passion Of Joan Of Arc (1928) (US-DVD)

Carl Theodor Dreyer schildert den Prozeß und die Hinrichtung Jeanne d'Arcs, basierend auf den originalen Prozeßakten. Anstatt sich auf die spektakulären Elemente der Geschichte zu konzentrieren, bietet Dreyers Film einen sehr reduzierten Blick auf das menschliche Drama einer unkonventionellen und streitbaren Frau, die sich gegen ihre Ankläger behaupten muß, dabei mit Selbstzweifeln zu kämpfen hat und mit ihrer Religiosität. Lediglich am Schluß (der Volksaufstand) fügt der Regisseur einige aktionslastige Szenen hinzu, wenn es darum geht, den inneren Aufruhr nach außen zu kehren, die geistige Unterdrückung in körperliche Unterdrückung ausbrechen zu lassen.

Dreyer zeigte in seinen Frühwerken gelegentlich die Tendenz zu übermäßig verschachtelten Erzählstrukturen, am extremsten vielleicht in seinem Regiedebüt PRAESIDENTEN, das nicht nur vor Rückblenden wimmelt, sondern in seinen gerade mal 75 Minuten einen Zeitraum von etwa 50 Jahren abdeckt. PASSION hingegen beginnt mit einer Protagonistin, die sich bereits in der Gewalt ihrer Häscher befindet. Die Inquisitoren sind kreuzfromme alte Säcke, die vor moralischer Empörung rasen, wenn sie ihr Opfer nicht gerade verhöhnen. Diese in engen Räumen stattfindenden Sequenzen sind so meisterhaft in Szene gesetzt, daß ihnen eine nicht abbrechende intensive Spannung innewohnt. Dreyer arbeitet wie gewohnt sehr viel mit Gesichtern, deren feinste Veränderungen von Rudolph Matés Kamera genauestens registriert werden und das Geschehen ständig kommentieren. Die Gesichter der „Bösen“ sind dabei meistens von unten aufgenommen, Johannas Gesicht hingegen bevorzugt von oben. Die bislang nur auf Varietébühnen in Erscheinung getretene Maria Falconetti liefert dabei eine Darstellung ab, die so unglaublich niederschmetternd ist, daß verschiedene Filmtheoretiker sie als die vielleicht beste schauspielerische Leistung bezeichnen, die jemals auf Zelluloid gebannt worden ist. In jedem Fall fällt es immens schwer, der Frau beim Leiden zuzuschauen – etwas Vergleichbarem bin zumindest ich noch nicht begegnet. Unglaublich, daß die Falconetti anscheinend auf der Bühne vornehmlich mit komischen Darstellungen in Zusammenhang gebracht wurde! Unter den weiteren Schauspielern befindet sich übrigens auch Antonin Artaud, der einen jungen Priester spielt. Ich habe nun fast alle Langfilme Dreyers gesehen und bin – neben VAMPYR – von PASSION mit Abstand am meisten beeindruckt. Möglicherweise handelt es sich hier um den erschütterndsten Stummfilm, den ich jemals gesehen habe. Auch heute noch ist der Film immens wirkungsvoll. Sehr schade, daß es außer der amerikanischen – nicht billigen – DVD keine andere brauchbare Fassung zu geben scheint. Meine alte Fernsehaufzeichnung scheint auch futsch zu sein...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#749 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 07. Oktober 2009, 11:55

Vinyan (DVD)

Jeanne und Paul (Emmanuelle Béart und Rufus Sewell) haben vor sechs Monaten ihren kleinen Sohn verloren. Bei einem von einer karitativen Organisation motivierten Besuch in Thailand wird ihnen ein Video vorgeführt, auf dem Jeanne ihr verlorengeglaubtes Kind zu entdecken meint. Für sie ist klar, daß sie keine andere Wahl hat, als nach ihrem Joshua zu suchen. Paul glaubt nicht wirklich an die Möglichkeit, weiß aber auch, daß es ihn sein Leben lang verfolgen wird, wenn sie nicht alles in ihrer Macht Stehende tun. Die Suche führt nach Burma, wo sie auf die Hilfe von Menschenhändlern und ähnlichem Gesindel angewiesen sind. Sie sind allein in einer fremden Welt, und nur ihre Hoffnung hält sie am Leben. Doch im Dschungel sind die Geister vieler Kinder...

VINYAN entpuppte sich als etwas ganz anderes, als ich erwartet hatte. Meine Vorabinformationen ließen bei Belgier Fabrice CALVAIRE du Welz´ neuem Film auf einen weiteren Geisterkinder-Film schließen, abgesehen vielleicht von der unorthodoxen Besetzung der Hauptrollen. Ich bin froh, daß mich meine Ahnung hier getrogen hat, denn zu sehen bekam ich einen ungewöhnlich gut gemachten Film, der schwer einzuordnen ist. Am ehesten fühlte ich mich erinnert an australische Filme wie verschiedene frühe Sachen von Peter Weir, mit ihrem Naturmystizismus, die meistens von Menschen handeln, die sich in der Natur verlieren und/oder wiederfinden. Im Falle von VINYAN geht es primär um die Mutterrolle, um das Ergreifen von Verantwortung und die Angst davor, den Instinkten zu folgen. Teilweise ist das sehr erschreckend. Es gibt verschiedene kreuzunheimliche Szenen, bei denen man niemals sicher sein kann, ob es sich um Halluzination oder um Wirklichkeit handelt. Irgendwann wird die Unterscheidung auch völlig nebensächlich, da alles auf seine eigene Weise wahr ist. Der Film gewinnt gewaltig durch die exzellente Fotografie, die aus dem thailändischen Urwald ein Sinnbild für die ebenso beängstigende wie unentrinnbare Natur werden läßt, in der die Menschen mit ihren angelernten Neurosen und vorgefaßten Meinungen bestenfalls mitleiderregend wirken. Romantisiert wird in VINYAN bei aller Überhöhung gar nichts, nicht erst im brutalen Finale. Nachdem ich in den letzten Tagen eigentlich nur Ramsch gesehen habe, tat es gut, mal wieder einen Film zu sichten, der sein Publikum nicht für dumm verkauft. Ob einem VINYAN gefällt, hat sehr viel mit der Erwartungshaltung zu tun, aber das ist bei guten Filmen ja häufig der Fall.
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)

#750 Cjamango

    Pauschalterrorist

  • Filmtagebuch-Meister 2009
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 1.796 Beiträge
  • Ort:Gelsenkirchen

Geschrieben 09. Oktober 2009, 15:02

Cradle Will Fall (DVD)

Auf einer kleinen Südstaatenfarm in Georgia plagt sich eine Hausfrau mit der Erziehung von vier Kindern ab. An manchen Tagen können die Kleinen richtig anstrengend werden. Und seit der letzten Geburt ist Mami etwas eigenartig geworden. Daß es sich um etwas Gravierenderes als postnatale Depressionen handelt, wird erst klar, als Papi für längere Zeit in den Außendienst muß. Mami schmeißt die Bettelheim-Bücher in die Ecke und geht auf die Jagd...

BABY BLUES (wie er im Original heißt) war immerhin einen deutlichen Tacken besser, als ich das erwartet hätte. Er läßt sich trotz seiner sehr kurzen Laufzeit (ca. 75 Minuten) einige Zeit für die Exposition, macht nachfühlbar, warum sich eine normale Mutti in ein rasendes Monstrum verwandelt. Daß er dabei – anders als etwa AN AMERICAN CRIME – eher die Horror-Route bereist, sollte man allerdings einplanen. Wenn Mami durchdreht, brabbelt sie fast panisch ein ums andere Mal die gewohnten Erziehungslitaneien, während sie tollwütig durch die Gegend streift und das Schlachterbeil schwingt. In punkto Blutrunst übertreibt es der Film dabei nicht, aber angesichts des Themas (Kinder als Opfer!) und seiner völligen Humorlosigkeit ist seine Wirkung durchaus schockierend. Ich würde das Ergebnis als einen gelungenen, wenn auch nicht makellosen B-Schocker bezeichnen, der die dargestellten Schrecken in der Überforderung und seelischen Zersetzung der in ihre Mutterrolle eingezwängten Protagonistin begründet. Dabei fragt es sich, ob es sinnvoll war, die Hauptrolle mit einem fischlippigen Model zu besetzen, auch wenn die Schauspielerin im späteren Verlauf des Filmes beeindruckend aufdreht. Die deutsche Synchronisation ist leider lausig, so daß ich irgendwann auf die originale Tonspur umgeschaltet habe. Die Untertitel sind ebenfalls was fürs Schatzkästchen. So wird beim Vortrag eines Mediziners der Begriff „Caucasian woman“ mit „Eine Kaukasierin“ übersetzt. („Eine Weiße“ hätte es da auch getan!) Sei's drum, ich fand den Film nicht schlecht, auch wenn ich denke, daß man ihn überforderten Müttern besser nicht in die Finger geben sollte...
www.christiankessler.de - die Adresse Ihres Vertrauens | Elvis-Hörprobe
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)





Besucher die dieses Thema lesen: 3

Mitglieder: 0, Gäste: 3, unsichtbare Mitglieder: 0