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Hoolio's Inn - Filmforen.de - Seite 3

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Hoolio's Inn


69 Antworten in diesem Thema

#61 hoolio21

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Geschrieben 18. Mai 2009, 23:30

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Wenn ich von der Innenstadt mit der U-Bahn hinaus in den Münchner Norden fahre, habe ich stets instinktiv das Bedürfnis, mir einen rotweißen Schal um den Hals zu binden und den Ohrwurm „Stern des Südens“ in meinen Fünftagebart zu summen. Denn da oben ganz im Norden, wo die Peripherie Münchens in Hasenheide und Panzerwiesen ausfranst, in unmittelbarer Nähe der Müllverbrennungsanlage, liegt unser allerheiligster Fußballpalast, die Allianz Arena. Oder das Kaiserklo, wie unsere Untermietnomaden aus Giesing es nennen.

Doch heute hat Bayern schon gespielt, vor wenigen Minuten 2 : 2 verloren gegen Heppenheim und Wolfsburg gleichzeitig. Meine Stimmung ist dennoch überraschend im ersten Stock, denn wir haben die Meisterschaft nicht verdient in unserer gefühlt schlechtesten Saison seit zehn Spielzeiten und können zufrieden sein, den Taucher los zu sein, einen hervorragenden neuen Trainer gefunden zu haben und hoffentlich allem Unbill zum trotz Champignonliga zu spielen (* knock knock *). Vielleicht halten wir dann ja sogar Ribery. Also keine Animositäten und aufrichtige Gratulation an Quälix. Viel Spaß schon mal mit den Medizinbällen nächste Saison, liebe Schalker.

Apropos Foltern. Mit gemischten Erwartungen sehe ich den nächsten paar Stunden entgegen. Denn ich bin in den Norden der Stadt unterwegs, um mit der besten Ex von allen die BoundCon VI zu besuchen, laut Programmheft eine European Fetish Covention und "Deutschlands größte Fetisch & BDSM Messe". In der Zenith Kulturhalle von Freimann haben sie auf 5000 qm ihren Tand, ihre Neigungen, ihre Körper ausgebreitet, und der von anderen Erotikmessen gestählte Chronist erwartet wenig Gutes. Spießer, Spanner und Verklemmte, die sich von schlecht gelaunten Prostituierten und Industriepornografen verlustieren lassen. Und ein Kaffee kostet neun Euro fuffzich. Wie man sich doch irren kann. Denn ich gehe ja nicht zu einer Pornomesse, sondern zur Perversenmesse.


Liebeserklärung an Red Hibisca und ihre freundlichen Freunde

Eine sexuelle Neigung kann man sich nicht kaufen und auch nicht simulieren. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Schon aus diesem Grund fehlt auf der Bound Convention von Arschlöchern jede Spur (zumindest von solchen, die man nicht dort sehen will). Stattdessen sind die Überzeugungstäter unter sich, gestylt im Dress Code ihrer Nische wie die Trekkies oder Mangafreaks bei ihren Veranstaltungen.

Da sieht man den Latexmann mit SS-Mütze und Schweißerbrille, die Drag Queen im Ballkleid, quasi nur mit breiten Gürteln bekleidete, kleine Engländerinnen (mit voll den typischen Engländerinnengesichtern, wie bei "Asterix bei den Briten") und die würdige Professorengattin im Kimono und Rentenalter, wie sie sich von ihrem grauhaarigen, goldrandbebrillten Shogun auf der Bühne zur appetitlichen Roulade verschnüren und am Seilzug in Lüfte heben lässt. Mit verschämtem Lächeln und stets gesenktem Blick, wie eine echte Geisha (süß!). Im Geschiebe durch die Gassen zwischen Fesselungsaktionen, anschaulichen Hilfsmittelpräsentationen und Diskurs der Initiativen (Deutsche BDSM-Jugend!) prallt der Prügelknabe auf die Domina, die esoterische Dessousmaus auf das Ganzkörperkondom und die tätowierte Burlesque-Attraktion mit Monstertitten auf den asketischen Schmerzensmönch im Kettenhemd. Niemand schaut dumm, wenn die taillengeschnürte Wuchtbrumme in den fortgeschrittenen Fünfzigern das vor Aufregung leuchtende Antlitz ihres allerhöchstens zwanzigjährigen, auf Kinderschokoladebub gestylten Zögling als Sitzplatz wählt, und der schmächtige Nerd und die übergewichtige Nerdin (beide höchstens 20) werden in knallengem blauen Korsett über breitmaschiger Netzstrumpfhose (sie) und schwarzem langen Rock zu ärmellosem Lackoberteil (er) zum coolen, todschicken und buddhistisch erleuchteten Glamourpaar, mit dem euer Chronist nur zu gern jene Bierbank teilt, an der eine blutjunge, birnenförmige Traumfrau mit kohlrabenschwarzem Pferdeschwanz und dem gewinnendsten Schlampenlächeln der Welt die essbare Currywurst für 3 Euro und dass überbackene Stangensandwich für deren Fünfe kredenzt.

Keine Frau hat hier ein Problem damit, wenn du ihr in den Ausschnitt oder auf den vorbeischaukelnden Hintern blickst und anerkennend an deinen Stahlhelm tippst (es freut sie sogar). Draußen vor der Halle in der milden Maisonne, wo man eine Zigarette raucht und genreübergreifend fachsimpelt, sieht es aus wie in einer Drehpause von Ken Russels 100-Millionen-Dollar-Produktion "Caligula trifft Josephine Mutzenbacher im Titty Twister". Von schwitzenden Neckermännern in Bermudas oder Schnauzbärten mit Vokuhila und Goldkettchen fehlt dagegen jede Spur. Die trauen sich hier schon aus begründeter Schwellenangst nicht herein und würden wohl auch ziemlich gemobbt werden von jenen, die sich genau ohne solche Typen entspannt entfalten wollen. Und mit den Keltenbikerschränken, die hier zuweilen die Tätowier-, Piercing- und Auspeitschungsstände bevölkern, würde ich mich nicht anlegen. Gut, dass wenigstens die beste Ex von allen sich in anständigen Kampffummel geworfen hat (Schnürstiefel, Korsett, Hair Extension). Auch kennt sie gleich mehrere Aussteller persönlich und macht mich mit ihnen bekannt. Ich dagegen fühle mich, obschon in langem schwarzen Hemd, schwarzen Stiefeln, Totenkopfringen und mit offenem schulterlangen Haar angereist, wie der volle Normalo. Werde mir also ein rustikales amerikanisches Spankingpaddel zum Spazierentragen leisten (29.-), vielleicht lässt es sich sogar irgendwo ausprobieren.

Und dann entdecke ich sie. Besser, höre sie zuerst. Höre das Klatschen von Leder auf weißer Haut. Weißer Haut in feuerroten Netzstrümpfen, Korsett und Strapsen. Nicht, dass ich auf solch Nuttenfummel stehen würde. Aber weiße Haut und volle weibliche Formen machen mich verrückt. Dabei ist Red Hibisca nicht ansatzweise dick. Nur eine hochgewachsene Schönheit mit eleganter Körperhaltung, daumenkurzen, hellblonden Haaren, weißer Haut, großen natürlichen Möpsen mit hellen Brustwarzen und einem prallen, großen Hintern, der fließend in stramme, endlos lange schneeweiße Oberschenkel übergeht. Mitte zwanzig, frühe dreißig höchstens, der schwere Busen etwas hängend, und der Hintern von milder Cellulite gezeichnet, aber beides eher der natürlichen Form als altersbedingter Schwäche geschuldet. Eine aufregende, aufsehenerregende Erscheinung, ein Blickfang selbst hier. Die Schneeleopardin. Die Softeiskönigin. Im Augenblick wechselt sie gerade leicht die Farbe, wie bei der Brautwerbung der Sepia, denn Red Hibisca bekommt den Hintern versohlt. Und was hätte es überhaupt für einen Sinn, braune Haut zu röten? Da sieht man ja kaum eine Veränderung. Damen haben weiße Haut zu haben, wir sind doch keine Wilden.

Ich bin auf das angenehmste berührt von dieser natürlichen Subkultur und umgeben von freundlichen, einfühlsamen Menschen, die respektvoll miteinander umgehen, während sie sich schlagen, fixieren, rituell demütigen oder mit Kerzenwachs beträufeln. Klassen- und schrankenlos greifen Generationen ineinander, politische Bekenntnisse, finanzielle Verhältnisse und berufsbedingte Dünkel zählen wenig im Moment, in dem du von Hausfrau, Anwalt oder Hochschüler Soundso zum Magier der Sinne wirst. Vielleicht ist das ja eine der positiven Entwicklungen der Gegenwart neben all den vielen ach so schlimmen. Daß die Gesellschaft gerade durch die Aufsplitterung in viele kleine Zirkel und Subkulturen homogener wird, sich besser kennen lernt. Ganz ähnlich wie in so einem Filmforum, wo sich ja auch der Philosoph mit dem Krankenpfleger, der Lehrer mit dem Tellerwäscher unterhält auf der Basis einer Zensurdebatte oder Argento-Retro. Und dort versohlt eben die feine Dame den Studentenpunker, und der alerte Medienfritz führt die dicke Bäckerin an der Hundeleine Gassi.

Langer Rede, kurzer Sinn: Bin verliebt. Aktions- und Körperkünstlerin Red Hibisca hat Nina Brunner (3sat) von Platz 1 verdrängt auf meiner persönlichen Hitliste der modernen Medienfrauen. Habe sie nicht mal angesprochen, nur aus naher Ferne bewundert, fand den Moment nicht angemessen aus verschiedenen Gründen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Vielleicht liest sie ja mein Filmtagebuch. Höchstwahrscheinlich tut sie das. Kaffee? Trinken? Ins Kino gehen? Presse von "Terminator IV"? Euch aber auf den Weg: Fort mit Scheuklappen. Nur keine falschen Hemmungen. Das Leben ist zu kostbar für Eifersucht.

Aus gegebenem Anlaß / einmalig ein kurzes Selbstzitat aus dem nur für Mitglieder geöffneten Tagesfred des Forums (weil’s da gelöscht wird und hier stehen bleibt): Große Brüste hängen nun mal, und stehen nicht in der Gegend herum wie Luftballons. Das tun nur fleischfarben lackierte Plastiktüten. Und Damenhintern haben Cellulite. Wer das nicht ertragen kann, muß sich einen Knaben fangen.



Cloverfield
(US 08)

Junge Leute besuchen eine Party in Manhattan, lachen, scherzen, schütten Cocktails in sich hinein. Plötzlich stören beunruhigende Geräusche und Aussichten das lustige Treiben auf der Dachterrasse. Drüben, in der Hafengegend, in wenigen Kilometern Entfernung, erleuchtet eine gewaltige Explosion den Nachthimmel, und die Trümmer fallen bis zu ihnen herüber. Eines der Trümmerstücke ist der weggerissene Kopf der Freiheitsstatue. Mit diesem schönen Effekt beginnt "Cloverfield", ein aufwendiger, mit aller zur Verfügung stehenden Technik ausgestatteter Studio-Katastrophenfilm im Stile einer Amateur-Augenzeugenreportage. Das Modell von "Blair Witch Project" und "Cannibal Holocaust" ist also in der Chefetage angekommen.

Ich persönlich würde versuchen, die Kamera ein wenig ruhiger zu halten, wenn ich ein Homevideo egal welcher Art filme. Sonst kannst du es ja auch gleich lassen. Hier aber soll nackte Panik Vater des Gedankens sein, und da zappelt man eben herum. So geht’s hinaus auf die Straße und Richtung Brooklyn Bridge, Hauptsache raus aus Manhattan, mit fünf Typen, die sich gegenseitig beim Fliehen, Zetern und Zagen mit einer Handkamera filmen, und zwischendurch auch immer mal wieder wie zufällig Bruchstücke jenes Geschehens einfangen, weswegen die ganze Aufregung überhaupt herrscht. Ein Monster von unbekannter Herkunft ist nämlich in die Stadt am Hudson eingefallen und erledigt, was King Kong, die Warriors und Osama nicht geschafft haben. Später taucht es auch mal bildfüllend im Fokus auf (für drei Sekunden), aber über die meiste Strecke kann der Zuschauer nur ahnen und Bruchstücke formen angesichts des Rätsels, das sich vor seinen Augen entfaltet.

Und ja, das kann schon recht spannend sein. Wenn man sich wirklich dafür interessiert, was da durch die Schluchten schlabbert, ständig kleine Ableger abwirft, die auch schon reichen, um einen knarrenstarrenden Muskelmann zu fällen, dann will man bis zum Schluß dabei bleiben und wissen, was eigentlich los ist. Leider erfährst du es nie ganz richtig, aber dafür kannst du dir schön die psychologischen Folgen von 9/11 angucken. Denn wenn "Godzilla" die Atombombe verkörpert, dann repräsentiert das Monster aus "Cloverfield" den Anschlag auf das World Trade Center. Viele Einstellungen, zum Beispiel die, wenn die Staubwolke durch die Canyons walzt und die Leute sich schreiend in irgendwelche Läden flüchten, bevor es RICHTIG DUNKEL wird, sind offensichtlich den Nachrichtenbildern vom 11. September 2001 nachempfunden.

Von Charakteren kann bei solcher Ausgangsposition und knappen 80 Minuten Spieldauer nicht die Rede sein. Du kriegst gerade noch mit, wer wahrscheinlich Mann oder Frau ist, und dann sitzen auch schon alle bibbernd im Dreck und schreien. Nicht gerade ein Schauspielerfilm. Die Effekte überzeugen vor allem deshalb, weil du kaum etwas von ihnen siehst, und wenn das Monster schließlich in seiner ganzen Pracht im Tageslicht den Central Park besucht, wunderst du dich nur, warum ein Ding von solchen Proportionen überhaupt noch auf einzelne Menschlein dort unten im Ameisenhaufen reagiert. Aber offensichtlich kann man den wilden Watz ganz schön sauer machen, wenn man ihn ohne zu fragen filmt. Genau wie eine nacktbadende Haushaltsschülerinnenklasse an der Isar. Aber das ist eine andere Geschichte.


Last House on the Left
(US 09)

Ein Remake eines klassischen Horrorfilms. Der Trend der letzten Jahre und eigentliche Motor des aktuellen Horrorgenres. "Dawn of the Dead", "The Hills Have Eyes", "Omen", "The Texas Chainsaw Massacre", "Halloween", "Freitag der 13.". Sogar solche obskuren Sachen wie "Wizard of Gore", "The Children" oder "Blutiger Valentinstag" kommen wieder. Nur an "Maniac" traut sich keiner heran. Warum eigentlich nicht? "Last House on the Left" nehmt ihr doch auch.

Den wollte ich zuerst eigentlich gar nicht sehen. Schließlich ist das Original einer meiner Lieblingsfilme. Was konnte dabei schon heraus kommen. Sex dürfen sie nicht zeigen, eine zwanzigminütige Dauervergewaltigung kann ich mir von Hollywood nicht vorstellen, und wo wird das Rohe, Ungeschliffene, Improvisierte bleiben, das ja mal irgendwie dazu gehörte und Charme ausmachte, wenn man ein 15-Millionen-Dollar-Remake dreht von einem Film, der zirka 100.000 Dollar kostete. Okay, in der Nixonära war der Dollar noch etwas mehr wert als heute. Und das Remake hat schon mal mehr als das doppelte seiner Produktionskosten im Kino eingespielt. Ihr wollt wissen, warum sie so gerne Horrorfilme drehen? Ehe die Leute merken, wie schlecht sie sind, haben sie schon Gewinn eingespielt. Und wenn sie doch nicht scheiße sind, machen sie Riesenknete. Vor allem später, auf DVD.

Viele Klassiker-Remakes des modernen Hollywood gingen dann allerdings überraschend okay. "Dawn of the Dead" hatte eine Hammereröffnung wie der erste und auch sonst ein paar gute Einfälle. "TCM" war spektakulär brutal, stimmungsvoll und mit R. Lee Ermy und Jessica Biel trefflich besetzt (Die Titten und das Tier). "The Hills Have Eyes" fand ich besser als das Original, viel besser, und habe mich gewundert, wieso Wes Craven das persönlich produziert. Weil er nicht gut aussieht daneben, im Vergleich. "Halloween", nun ja, habe ich einen Eintrag zuvor ausführlich gewürdigt, und den neuen "Freitag der 13." kenne ich noch nicht. Vielleicht überrascht mich ja auch "Last House on the Left" positiv. Und vielleicht hilft es, Spaß im Kino zu haben, wenn man eigentlich recht leicht zu erheitern ist und trotzdem immer direkt das Schlimmste erwartet.

Der alte "Last House on the Left" war auch schon ein Remake, und zwar, „believe it or not” (Ebert), von Ingmar Bergmans protestantisch strengem Mittelalterkupferstich "Die Jungfrauenquelle" aus dem Jahre 1960. In Bergmans Film ging es um die Ermordung eines adeligen Töchterlein, das allein nur mit einem Korb Wein und Kuchen bewaffnet in den dunklen Wald reitet und statt der Großmutter bzw. Mutter Kirche leider die drei bösen Wölfe trifft. Später suchen die Wolfsburger Obdach im Heim ausgerechnet des adeligen Vaters, welcher im Gebäck der Gäste prompt das Geschmeide seiner Tochter entdeckt. Hitzige Rache nimmt ihren unkontrollierten Lauf, zur Buße für die eigene Untat errichtet der Vater eine Kirche (mein unchristliches Rechtschreibprogramm will unbedingt, daß ich Busse schreibe, wie in Jochen Busse, oder Linienbus). Die Kirche kann man heute in Schweden besichtigen, oder sie sich in der Kritik von Roger Ebert anschauen, der bildet sie nämlich freundlicherweise ab. Was ich mich hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht traue. Based on a true story.

Der kritische Baptist und ambitionierte Pornograph Wes Craven, späterer Erfinder von Freddy Krueger und Großgeldverdiener mit der "Scream"-Franchise, knöpfte sich den Schwarzweißklassiker 1972 zum farbenfrohen Remake vor und machte daraus (passenderweise mit Pornodarstellern) "Last House on the Left", den vielleicht wichtigsten, klarsten und aufrichtigsten Beitrag zum übel beleumundeten Subgenre des Rape & Revenge-Horrorthrillers (sofern man "Deliverance" nicht bereits als solchen betrachtet). In jedem Fall ein Film, der seiner Zeit voraus war, über den gute Bücher geschrieben wurden, und der das Anschauen lohnt. Besonders für süße kleine Pressetanten, die das Remake Grobianen wie mir verkaufen sollen.

17 Jahr, blondes Haar

Vielversprechend schon mal der Einstieg. Nicht unbedingt der Auftritt von Krug und seiner Gang in Szene 1, obwohl auch das in Ordnung geht. Im Gegensatz zum Original zeigt dir das Remake nämlich den Ausbruch der späteren Lustmörder. Hätte ich aber lieber bei Tag gesehen, diese recht brutale Szene. Dann steigt auch schon die grazile, hellhäutige, siebzehnjährige Mari Collingwood (Sara Paxton, Jahrgang 88, jünger wirkend) in den Crystal Lake und beginnt zu kraulen wie Johnny Weissmueller in "Tarzan gegen Seestern Hitler". Eine kleine stolze Porzellandampfmaschine durchschneidet wie ein Messer die unheilverheißend dunkelgrüne, glasscheibenflache Wasseroberfläche. Schnell. Elegant. Schöne Szene. Für so etwas bin ich schon bereit, die Fäuste sinken zu lassen und mich dem Film hinzugeben. Jetzt laß mich bloß nicht auf die Schnauze fallen.

Wir erfahren, dass die Schwimmerin mit ihren Eltern im Wochenendhaus am Ort ihrer Kindheit urlaubt. Gemeinsam mit Sandkastenfreundin Paige macht sie jetzt die Gegend unsicher und läuft dabei dem gleichaltrigen, auf der Durchreise befindlichen Justin über den Weg. Unter Justins Kapuzenpulli und Lockenmähne verbirgt sich ein unverschämt hübsches Gesicht, und er besitzt Stoff zum Rauchen in einer Qualität, wie man sie im kleinen Dorf nicht alle Tage sieht. Mari und Paige folgen Justin in das Appartement im Motel und nehmen erst mal einen zur Brust, obwohl Mari eigentlich nicht mehr kiffen wollte, der Sport, die Eltern, der Sport. Aber ach, der junge Mann mit dem gewinnenden Lächeln hat es ihr schon mächtig angetan. Gib mal her das Ding. Weia, haut das rein, nach so langer Pause. Pech, dass der Knabe eine Familie hat, die irgendwann nach Hause kommt. Sonst hätte es ein schöner Abend werden können.

Auch im Original kaufen sie Haschisch, und ich frage mich, wann endlich mal einer die Message daraus liest und versteht. Wenn. Ihr. Nicht. Wollt. Dass. Eure. Heissen. Töchter. Harmloses. Haschisch. Bei. Kaputten. Verbrecherclochards. Kaufen. Dann. Müsst. Ihr. Die. Verfickte. Scheiße. Bloß. LEGALISIEREN. Aber nix da. Wahrscheinlich müssen noch zwei bis drei Generationen von Maris dekorativ ins Schilf beißen, bevor die Menschheit den Irrtum erkennt und sich eines Besseren besinnt. Wenn die Tür aufgeht und Justins Vater (Krug!) mit dem Bruder (Weasel!) und der Schlampe (Sadie!) heimkommt (von wo?), fällt sofort das Fallbeil. Vom Zuschauer ohnehin erwartet (er guckt ja einen Horrorfilm, keine Dating-Komödie), aber auch von den beiden zentralen Mädchencharakteren sofort erkannt. Niemand weiß, daß ich hier bin. Und hoppla, ich bin jetzt Opfer.

Eine der Stärken des Originals war die überzeugende Vermittlung von Entsetzen bei den passiv Beteiligten. So auch hier. Sowohl den Mädchen als auch dem Teenagersohn des Hauptverbrechers steht ohne viel Geschrei nacktes Grauen ins Gesicht geschrieben. Ihnen wird zunehmend bewusst, dass die Mädchen diese Begegnung, wenn kein Wunder geschieht, nicht überleben werden. Auf Kidnapping und sexuellen Übergriff stehen hohe Freiheitsstrafen, erst recht, wenn man ein aus dem Gefängnis geflohener Schwerverbrecher und Copkiller ist. Diese Leute werden sie nicht laufen lassen. Und auch nicht lange mitschleppen. Die Mädchen wissen das. Die Verbrecher wissen das. Der Sohn des Oberverbrechers weiß das. Und ist auch noch ungewollt schuld daran. Der Zuschauer fühlt mit, wie er sich windet. Aber einem Vater, der aussieht (und handelt) wie der Man Eater nach einem Friseurbesuch, widerspricht man nicht. Schon gar nicht, so lange der Alte die Knarre und zwei dumpfe Vollstreckerfreunde hat, die sich zu überbieten suchen dabei, ihrem Leitwolf mit Greueltaten zu gefallen. Und von denen einer ziemlich sexy ist (Riki Lindhome) und sich als erstes mal oben rum freimacht, als sie ins Zimmer tritt. Als hätte es noch eines Ausrufezeichens bedurft, wie außerweltlich sittenlos diese Ausflugsgruppe des Schreckens ist. Amerikanische Mädels jedenfalls können die Zeichen lesen, und der Zuschauer auch.

This ain’t no picnic
(spoilers ahead)

Ich will euch jetzt nicht langweilen mit Details des Massakers, dass in den folgenden zirka zwanzig Minuten seinen unvermeidlichen Lauf nimmt. Nur so viel. Es steht dem Original in Brutalität wenig nach. Es werden nicht in Großaufnahme Jeans eingepisst, Namen in Brüste geschnitzt oder Innereien aus dem Bauch geholt (eine Anspielung des Originals auf den noch nicht lange zurückliegenden Mord an Sharon Tate), aber es geht nah und tief. Die Mädchen werden vergewaltigt und ermordet, jedenfalls glauben die Übelwichte das. Und suchen Schutz vor einem Unwetter im Haus der Collingwoods. Dem letzten Haus links am Waldsee. In den Mari Collingwood mit letzter Kraft hinein hüpfte. Bevor ihr Krug noch eine Kugel verpasste.

Wes Cravens House konnte vergewaltigen und töten wie kein zweiter. Doch drum herum gelang ihm nicht so viel. Alle Personen außerhalb des Orbits Bande – Opfer waren wie schlechte Karikaturen gezeichnet, die Abrechnung der Eltern mit den Mördern ihrer Tochter überzeugte allenfalls bedingt und wirkte in ihrer wilden Konstruktion aufgesetzt. Von einem schlechten Gewissen wie bei Bergman fehlte jede Spur. Da gibt sich das Remake mehr Mühe, auch wenn es der eigentlichen Geschichte kaum Neues zufügt. Eher läßt man etwas weg, denn Polizei (Bozo die Clowns im Vorgänger) taucht weder am Anfang, in der Mitte noch am Ende auf. Stattdessen nimmt man sich eine klitzekleine, doch höchst gewichtige Freiheit, die dem ganzen Film am Schluß eine völlig neue Richtung gibt und sowohl die Sache mit dem schlechten Gewissen als auch den Bau einer Kirche irgendwie in anderem Licht erscheinen läßt. Und dann setzen sie noch einen drauf.

Ich weiß nicht, wie ich das Ende finden soll, ich schwanke immer noch. An der Idee, am Schluß vielleicht doch noch ein Teenage Dating Movie draus zu machen, ist jedenfalls nichts verkehrt. Und außerdem gibt es für meine Begriffe sowieso zu wenig Horrorfilme, die gut ausgehen. Warum denn nicht, zur Abwechslung. Ich jedenfalls wäre auf einen zweiten Teil gespannt, der überhaupt kein Horrorfilm mehr ist. Sondern ein knallhartes Beziehungspsychodrama mit viel schwarzer Situationskomik, in dem Mari und Justin trotz der erlebten gemeinsamen Abenteuer versuchen, eine einigermaßen erfüllte Beziehung und Ehe irgendwo in der Vorstadt zu führen. Weil sie sich gegenseitig einfach so rattenscharf finden, müssen sie irgendwie lernen, miteinander klar zu kommen. Sowie damit, dass seine Familie ihrer den Garaus machen wollte und ihre Familie seiner den Garaus gemacht hat. Und dass Sie auf einem Waldboden fixiert den Phallus seines Vaters im Anus hatte. Aber da konnte Er ja nichts für. Und wenn wir keinen aufgekifft hätten, hätten wir uns überhaupt nicht kennen gelernt. Fragt sich, was besser wäre. Und was wir den Kindern erzählen. Jason Reitman, übernehmen sie. Oder noch besser, Rob Reiner.

Im großen und ganzen ist "Last House on the Left" (der neue) eher ein Rächerdrama als ein Horror oder gar Torture Porn Movie. Es ist nur sehr bequem, ihn in letzere Ecke zu rücken. Aber eine Serie einfallsreicher Killaktionen abzufackeln, ist kein Torture Porn, sondern klassische Slasher-Kür. Und wenn die kreativen Morde(!) nicht von einem Slasher begangen werden, sondern von einem erregten Bürger im Zuge der Abrechnung mit den Vergewaltigern seiner Tochter, würde ich von einem Rächerthriller sprechen in der schönen Tradition beispielsweise des "Exterminator". Nur eben einem, der sich für den Grund der Rache und die Charakterisierung der Beteiligten mehr Zeit nimmt. Also ein Rächerdrama. Garret Dillahunt aus den "Sarah Connor Chronicles" ist ein guter Krug, und ich LIEBE David Hess in dieser Rolle. Monica Potter ("I’m With Lucy") und Tony Goldwyn machen passable Figuren als Eltern, erstere sieht ihrer Filmtochter sogar ähnlich, was gewiß kein Nachteil ist. Von Regisseur Dennis Illiades kann ich nichts sagen, obwohl ich seinem einzigen bisherigen Film, "Hardcore", seinerzeit im brillanten Branchenorgan Videowoche bescheinigte,„eine sensibel portraitierte Mädchenliebesgeschichte mit einer toughen Crime Story in bester moderner Popkulturtradition zu einem überraschend stimmigen Gesamtbild“ zu verschmelzen. Produzent Jonathan Craven ist übrigens der Sohn von Wes Craven sowie der siebenjährige Junge, dem David Hess im Original am Anfang mit der Zigarre den Luftballon sprengt.

Bearbeitet von hoolio21, 19. Mai 2009, 02:56.

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#62 hoolio21

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Geschrieben 27. Mai 2009, 00:15

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Trend (m.; -s, -s) 1 Richtung einer statistisch erfassbaren Entwicklung. 2 Tendenz in der Entwicklung [engl., „Richtung, Neigung; sich neigen, richten, erstrecken“]


Freitag der 13.
(US 09 "Friday the 13th")

Der originale "Freitag der 13." aus dem Jahr 1980 ist im Wesentlichen das Resultat zweier Ereignisse. 1979 hatte John Carpenters Schlitzerschocker „Halloween“ mit einem Budget von 350.000 Dollar deren fantastische 47 Millionen eingespielt (nur im eigenen Land, nur im Kino). Und ebenfalls 1979 spielte der Feriencamp-Klamauk "Meatballs" mit einem Budget von 1,6 Mio. kanadischen Dollar 42 Millionen amerikanische ein. Lasst uns doch mal einen Schlitzerschocker im Feriencamp anzetteln, sagte sich daraufhin irgendein Schlaukopf. Als dann noch im Frühjahr desselben Jahres, in dem "Freitag der 13." erschien, die Sommercamp-Liebeskomödie "Kleine Biester" mit den damals höchst angesagten Teeniegirls Tatum O’Neal und Krusty McNichol sowie Matt Dillon und einem Supertramp-Soundtrack zu einem fetten Hit geworden war, konnten die Kreativköpfe um Sean S. Cunningham (wikipedia behauptet, daß das S. für Sexton steht), ihr Glück vermutlich kaum fassen. Der alte Freitag war also das Kielwasserprodukt zweier Hits, und trat dann selbst einen Trend los. Denn machen wir uns nichts vor: Nicht "Halloween", sondern der allerhöchstens halb so gute "Freitag der 13.“ bewies, das nun (und mit VHS !) jeder Psychopath und jedes Gartengerät kommen konnte. Erst da ging der Slasher-Rummel richtig los. Damit hat er dem neuen einiges voraus. Denn der ist das Kielwasserprodukt nur eines Trendes, und wird aller Wahrscheinlichkeit nach kaum einen eigenen schaffen.

Aber das hat ja auch keiner erwartet vom zweiten Horrorklassiker-Remake des Duos Marcus Nispel / Michael Bay nach dem überraschend wohlgeratenen "Texas Chainsaw Massacre". Nispel ist ein Jahr älter als ich, hat das Original vermutlich wie ich im deutschen Kino gesehen (im knapp 200 km entfernten Frankfurt), und es, wie wir alle damals, bei weitem nicht so gut, aber etwas brutaler als "Halloween" gefunden. Dann zog ich los, um mich mit Frankfurtern zu kloppen, und Nispel zog los, um Musikvideos in Amerika zu drehen mit Leuten wie Faith No More und Janet Jackson. Und Kinofilme mit Jessica Biel und Arnold Schwarzenegger. Was irgendwie wohl die klügere Entscheidung war. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wer im Endeffekt mehr Spaß hatte. Denn Nispel bevorzugt eine trostlose Düsterästhetik mit ausgewaschenen Farben, die schwer depressive Weltsicht verrät und in der Popkultur schon bald sehr gefragt sein würde. Bei "End of Days" noch an unschönen Zügen spektakulär verfrühten Cäsarenwahns gescheitert, bewies Nispel, dass er mit einer Ikone wie "TCM" klar kam. Da konnte man ihm ohne Frage auch einen ruhmreichen Bastard wie "Freitag der 13." anvertrauen.

Der alte "Freitag", soviel fremd-Spoilerei muß sein, hielt mit jenem schlachtenden Eishockeymaskenmann, den wir heute automatisch mit der "Freitag der 13."-Serie verbinden, bekanntlich hinter dem Berg. Als 1997 ein gewiefter Verleihfirmenscherzbold uns Fantasy-Filmfest-Besucher vor der Uraufführung von "Scream" einen Quizzettel auszufüllen bat, der, wie wir später bemerkten, genau jene Fragen enthielt, die das Phantom in der Eröffnungsszene Drew Barrymore am Telefon stellt, sind viele von uns ganz schön mitgestorben. Denn der Mörder in "Freitag der 13." ist nun mal nicht Jason, wie auch ich zu meiner Schande spontan kritzelte, sondern seine Mama. Auf Jason aber kann und will der Neue nicht verzichten. Nispels Aufgabe war es also scheinbar weniger eine Neuauflage des Originals, sondern irgendwie eine fundamentale Zusammenfassung der ganzen (frühen) "Freitag der 13."-Serie. Bzw., seine Version des Kulturphänomens, das sich da in den Köpfen der Horrorgemeinde festgesetzt hatte.

Für Mutti nimmt sich Nispel ca. drei Minuten Zeit, ein schwarzweißer Auftakt im Regen, das Ende des Originals. Oder die Rückblende aus "Freitag der 13. - Part 2", wenn man so will. Damit man weiß, wo in etwa man sich gerade befindet. Also: Das früher einmal von quiekenden Kindern überlaufene Camp Crystal Lake ist geschlossen, weil eine Betreuerin, deren Kind ertrank, aus Rache Teenager tötete, die dem Kind nicht halfen, sondern lieber Drogen nahmen und - schluck - Sex hatten. Der Ertrunkene hieß Jason, erfährt man noch, und ist vielleicht so tot nicht, wie alle denken. Vielmehr hat er sich einen profanen Kartoffelsack über das maßlos entstellte Antlitz (vom Ertrinken?) gezogen und sinnt nun auf Rache an jedem Teenager, der die Frechheit besitzt, in seiner Nähe Spaß zu haben. Die lassen auch nicht lange auf sich warten, denn so ein stillgelegtes Sommercamp-Gelände mit ungemähter Hanfwiese direkt daneben lockt schließlich zum wilden Zelten und nächtlichen Nacktbaden. Es verschwinden bald so viele Teenager am Crystal Lake, dass die Einheimischen davon raunen wie von einem lokalen Wetterphänomen. Doch glaubt ihr, das hielte weitere vom kommen ab? In einer Welt ohne FBI, Medienrummel und physikalische Gesetze nicht lange.

Nachdem die erste Lage durchgefrühstückt ist, bei Minute 22 ziemlich genau, folgt die Titeleinblendung: "Friday the 13th". Kam es schon mal später? Vielleicht bringt ja irgendwann einer den Filmtitel in der Filmmitte. Hier aber ist die Botschaft klar: Nach Tod der Mami (1. Eröffnung) und Abservierung des ersten halben Dutzends oder so (2. Eröffnung) geht es jetzt erst richtig los. Ach, und deshalb hat man bisher so wenig Gewalt gesehen, daß ich schon befürchtete, ich säße vor der gekürzten deutschen Kaufhausfassung. Zumindest bis zu dem Moment, als die Tante im Schlafsack verschnürt übers Lagerfeuer gehängt wird und schreit. Und schreit und brennt. Und brennt. Und schreit. Nispel war ja schon bei "TCM" nicht zimperlich. Hier lässt er es gemütlich angehen und legt dann langsam Scheite nach. Denn um das und nichts anderes geht es schließlich bei Freitag. Ums kreative Töten. Kreatives, saubrutales Töten. Es geht bei "Freitag der 13." nie um die Geschichte. Wer das nicht kapiert, wie die Autoren mancher Sequels, hat schon verloren.

Fünf oder sechs oder sieben kleine Strolche fahren an den See um zu kiffen und zu ficken. Außerdem ist da noch ein etwas älterer Typ in der Nähe, der seine Schwester sucht. Die ist nämlich spurlos verschwunden in der Nähe des Crystal Lake. Man sieht die Penner aus der Gegend regelrecht gähnen, wenn er die Klingeln putzt, um seine Suchzettel zu verbreiten. Vermisst? Die ist tot. Die sind alle tot. Natürlich läuft er irgendwann den Ausflüglern über den Weg und die ihm. Und dann findet er Gefallen an einer Ausflüglerin und die an ihm. Und dann finden sie Jasons Haus. Und findet Jason sie. Irgendwann findet Jason dann auch noch eine Eishockeymaske in diesem vergleichsweise kurzweiligen Old-School-Bodycount, der irgendwie auch locker ein weiteres Sequel sein könnte. Und offenbar auch mal zeitweilig als solches geplant war (Teil 12, wenn man "Fritze versus Jason" mitzählt). Betrachtet man es als solches, ist das Ding recht gut gelungen. Kein zu hoher Anspruch, handwerklich blitzsaubere Exekution. Nispel rettet ein paar Sachen vom Texas Chainsaw Masscrea herüber, die nicht notwendigerweise zu "Freitag" gehören. Die abgehalfterten Rednecks etwa passen eher ins ländliche Texas als ins freitägliche, durchaus zivilisierte Neuengland, und auch legt Nispels Leatherface, äh, Jason, zuweilen Kriminalitätsmuster an den Tag, die dem alten fremd waren (Kidnapping!). Mir persönlich kommt der alte, nunmehr als klassisch apostrophierte Soundtrack (nicht bloß die Musik, sondern all die Geräusche) etwas zu kurz, doch im Großen und Ganzen atmet das Ding den richtigen Geist. Wer nicht mehr als kreative Morde, schwarze Situationskomik und Kifferhumor erwartet, sollte trotz aller Vorhersehbarkeiten auf seine bescheidenen Kosten kommen.


Ein Goldfisch an der Leine
(US 64 "Man's Favorite Sport?")

Roger Willoughby (Rock Hudson) ist Amerikas führender Experte für Sportfischerei und Autor des erfolgreichsten Sachbuches zum Thema. Jedenfalls glauben seine begeisterten Anhänger und treuen Kunden das. Doch in Wahrheit ist Willoughby ein Schwindler, denn er hat noch nie in seinem Leben selbständig einen Fisch gefangen. All sein Fachwissen und seine angeblichen Erfahrungen bezog er aus langjährigen Kundengesprächen als Fachverkäufer für Angelgerät in Diensten von Abercrombie & Fitch. Das heutige Modehaus startete nämlich mal als Geschäft für Campingzubehör (und Product Placement im Kino ist eine laaange Geschichte). Vor praktischen Vorführungen seiner Künste konnte sich Willoughby bisher erfolgreich drücken, doch an einem Tag, der von vorn herein nicht der seine ist, bekommt er ein Problem, wie er es sich in kühnsten Albträumen nicht hätte ausmalen können. Abigail Page (Paula Prentiss), Tochter des Konzernchef und harte Borderline-Patientin, hat sich nämlich in Kopf gesetzt, Willoughby zur Teilnahme an einem firmeneigenen Wettkampf in freier Natur zu zwingen. Auch ihrem Papa ist an einem werbewirksamen Auftreten seines Angestellten gelegen, weshalb Willoughby schlecht nein sagen kann.

Moderne Zeiten prallen im klassischen Hollywoodkino selten so geräuschvoll auf ältere wie in dieser turbulenten Beziehungskomödie um einen Herren der alten Schule und eine moderne junge Frau, wie sie sich von niemandem etwas sagen lässt und mit der größten Selbstverständlichkeit Karten spielt, die bisher frechen Herren vorbehalten waren. Das Angeln hier ist dem Angler im Chronistenstand zum Tort nur technisch schändlich exekutierter Vorwand für Verwicklungen und Schadenfreude, doch müssen realistisch genug Schwarzbarsch und Salmonide dran glauben, wenn der Unfähige seine Fische dann doch noch per Zufall, Unfall und/oder Selbstmord zur Strecke bringt. Auffällig die Betonung gelb-grüner Naturtöne die ganze Zeit über, was besonders in den zahlreichen Bar- und Lounge-Szenen zu teilweise erlesen scheußlichen Farbkompositionen führt. Der Playboy prallt hier auf die Beatles-Ära, und der Playboy zieht laufend den kürzeren. Doris Day ist eine goldene Gelegenheit entgangen, ihren Dauerpartner mal ordentlich in den Arsch zu treten, denn als Goldfisch hätte man die natürlich auch verkaufen können.

Regiemonument Howard Hawks liefert auf seine späten Tage gediegenen Slapstick mit genau soviel Sex und sexueller Anspielung, wie an der bröckelnden Zensurfront damals gerade so erlaubt war, und erinnert mit der Geschichte von der burschikosen Nervensäge, die einen Stubenhocker in allerhand Schwulitäten verwickelt, nicht von ungefähr stark an den hauseigenen "Leoparden küsst man nicht". Fast könnte man von einer Art Remake sprechen. Sogar die Szene mit Hepburns hinten offenem Abendkleid wird praktisch kopiert, und als Leopard fungiert ein Mofa-fahrender Schwarzbär. Die Romanze in der Mitte gerät lang und zäh, wird aber von allerhand Wildnis-Fehltritten des vermeintlichen Angelcracks aufgelockert. Rock Hudson spielt tapfer und liebenswert das Opfer der Umstände und den verdienten Sandsack der Natur. Kratzbürste Prentiss überzeugt auf ganzer Linie als geisteskranke Erzieherin / Vergewaltigerin eines betulichen älteren Herren und liefert lt. Maltin’s ihre beste Performance. In ihrer ständigen Begleitung findet sich unter dem hübsch in die 70er weisenden Nickname Easy die schöne Maria Perschy aus Eisenstadt im Burgenland ("Natürlich die Autofahrer"), und TV-Charakterkopf Norman Alder stiehlt als sprücheklopfender Indianer und Park Ranger jede Szene, in die er einen Fuß setzt. Alle, wirklich alle bis auf die Fische, haben ständig ein Schnapsglas und eine Zigarette in der Hand. War halt die Zeit für so was. Sogar meine Eltern haben damals noch wie Schlote gequalmt. War ja die Zeit meiner Geburt, und hat auch gut geholfen.

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#63 hoolio21

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Geschrieben 09. Juni 2009, 14:44

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Wenn ich mich hier gerade etwas rar mache, dann liegt das an meinem neuen Computer und den damit verbundenen Möglichkeiten. Hatte zuvor eine ziemlich alte Kiste, und jetzt habe ich eine ziemlich hochmoderne. Also geht sozusagen die Sonne auf, wenn auch in einem für mich Technikdepp typisch schleppenden Tempo. Habe die letzten Tage damit verbracht, Bilder aus meinem beträchtlichen Bildarchiv einzuscannen, und bestimmt gibt es später mal eine schöne hoolio’s homepage. Erfahrt ihr dann hier (apropos, für Mods und Anwälte: Die Bilder über meinen Texten hier im Filmtagebuch stammen selbstverständlich alle von mir, tangieren also kein fremdes Urheberrecht). Außerdem lebt der Mensch nicht vom Wiener Schnitzel allein, und so mußte ich auch mal wieder ein bißchen spielen. Grand Theft Auto IV zum Beispiel. Watt asozial!
Genau wie


Heißes Eisen
(US 53 "The Big Heat")

Detective Sergeant Dave Bannion (Glenn Ford) ist der letzte unkorrupte Bulle von Scheiße City. Der Rest steht inklusive Richtern, Bürgermeistern und Meerschweinchen der Kinder auf der Gehaltsliste von Mike Lagana, dem unumschränkten Herrscher der Unterwelt. Bannion erfährt die ganzen Ausmaße stückchenweise, als er im Nachlaß eines per Suizid verblichenen Kollegen kramt. Der Tote hat ein Testament hinterlassen, in dem er haarklein die Verflechtungen bloß legt. Ein brisantes Dokument, daß dem, der es besitzt, jede Menge Ärger bescheren kann. Aber auch jede Menge Geld.

Gewalt gegen Frauen wird groß geschrieben in "The Big Heat", einem vergleichsweise späten Beitrag zur Schwarzen Serie durch Germanys Regiekapazität Fritze Lang ("M – Eine Stadt sucht einen Mörder"). Glenn Ford spielt darin einen Polizeibeamten, von dem man annehmen möchte, er habe ein paar italienische Polizeithriller zuviel gesehen. Kaum, dass er von der Kriminalität einer Person erfährt, begibt er sich zu ihr hin, poliert ihr die Fresse, pisst auf ihren Bettvorleger und droht ihr hemmungslos mit allem und jedem, selbst wenn er noch nicht mal genug Beweise zusammen hat, daß ihm der Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung genehmigen würde. Was der Staatsanwalt aber ohnehin nicht tut, denn der ist ja korrupt. Also versuchen die Polizeichefs, den Bullen kaltzustellen, und die Unterweltler, ihn kaltzumachen. Beides funktioniert nicht, weil der Amokbulle auch nach protestreicher Rückgabe seiner Hundemarke weiter den Amokbullen gibt, Zeugen vernimmt, verprügelt, einschüchtert, und Kollegen für sich einspannt. Die Gangster ihrerseits erwischen mit einer gemeinen Sprengfalle statt des Detectives erstmal nur seine brave Gattin, die junge Mutter einer kleinen Tochter („Wann kommt Mama wieder?“). Was den Bullen erst richtig wütend macht.

Junge, hab ich lange keinen so gradlinigen Cop-Krimi mehr gesehen. Schon gar nicht heute, in Zeiten von verschachtelten Ebenen und zweifelnden Sinnsuchern. Nie verliert das Ding auch nur eine halbe Minute Zeit, wenn man gleichzeitig auch jemand bedrohen, töten oder verprügeln könnte. Das ist der berühmte Film Noir, in dem Superpsychopath Lee Marvin als sadistische Faust der Gesetzlosigkeit einer sehenswert fatalen Femme fatale das Gesicht mit heißem Kaffee verbrüht. Natürlich nur, weil sie dem Bullen schöne Augen machte, einem Flirt mit ihm nicht abgeneigt war. Eine andere Frau wird zu Tode gefoltert (offscreen) und wie ein Lumpen weggeworfen, bloß weil der Bulle sie völlig gedankenlos als Trumpfkarte gegenüber den Gangstern ins Spiel bringt, ohne ihr gleichzeitig etwa Schutz anzubieten. Derselbe Bulle, der sich schon nicht vorstellen konnte, dass jemand vielleicht an seiner Ehefrau statt an ihm Rache nimmt. Nicht, dass der Bulle so ein Arschloch wäre. Er läuft bloß Amok und denkt nicht nach. Nie, wenn man es genau nimmt. Aber macht ihn das nicht auch sympathisch? Und zu einem tollen Helden eines rasanten B-Movie?

Die Darstellerin der schönen Femme Fatale heißt übrigens Gloria Grahame. Das ist jene Dame, die als "Mädel, das nicht Nein sagen konnte", in die Annalen Hollywoods einging. Und das nicht nur, weil sie einen so lautenden Song in "Oklahoma" vorträgt. Ihr zweiter von insgesamt vier Ehemännern war Nicholas Ray, der Regisseur von "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Ihr vierter Ehemann war dann Anthony Ray, der Sohn von Nicholas Ray und Assistenzdirektor bei "Die Kaktusblüte". Junge, die passt hier rein, und spielt, als gäb’s kein morgen. Ihr Film ist das, noch mehr als der von Ford oder Marvin (oder Lang). Am Schluß – Achtung, Spoilerei – sind alle Weiber tot, alle Bösewichte überführt, alle korrupten Chefs eingeknickt, und Detective Bannion kehrt vollständig rehabilitiert an jenen Schreibtisch zurück, den er erst vor wenigen Tagen unter Schimpf und Schande verlassen musste. „Sieh zu, dass der Kaffee für mich heiß bleibt.“ lautet der launige Schlusssatz, mit dem er und der Film sich verabschieden. Soviel Ironie muß sein.


Crips and Bloods
(US 08)

Nachdem das weiße Amerika zu Beginn der 70er in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung aufgeräumt hatten (die Moderaten ermordet, die Militanten eingesperrt), begriff in den Ghettos der Großstädte eine junge Generation kraftstrotzender, planloser Jungmänner die Botschaft: The politics don’t work. Der weiße Mann lässt dich niemals mitspielen. Nimm dir lieber mit Gewalt, was du kriegen kannst. Gegen die Schmerzen, das Gewissen, das bessere Wissen helfen die Drogen. Just get high on your own supply. Die Streetgang Crips (die Blauen) gründet sich 1972 in South Central L.A., nur wenig später in direkter Nachbarschaft die Bloods (die Roten), Abtrünnige und Zurückgewiesene von ersteren mutmaßlich. Die einen beanspruchen diese Straße, die anderen jene, bald muß man sich entscheiden, zu wem man gehört, an Entschlossenheit, Gegner umzubringen, fehlt es keiner Seite. Man boxt nicht mehr, wie die schwarzen Gangs der 50er, sondern schießt sofort. Leider kann man die Gründer nach ihrer Meinung zu dieser Entwicklung nicht mehr fragen. Sie liegen ausnahmslos auf dem Friedhof. Mitte der 80er ist das komplette Zentrum von L.A. ein Flickenteppich aus blauen und roten Parzellen, als irgendwelche kolumbianischen Spaßvögel Crack in das Pulverfass werfen. Hollywood widmet der Angelegenheit fortan ein paar actiongeladene Seitenblicke, deren Botschaften kaum mehr Optimismus verbreiten als die hässliche Realität. 1992 richten sich anlässlich der Rodney-King-Riots die Scheinwerfer der Welt auf das Problem, Versprechungen werden gemacht und nicht gehalten, Veränderungen in Aussicht gestellt, doch vergebens erwartet. Und so geht das Töten unverändert weiter bis heute.

Stacy Peralta kommt von der anderen Seite der Stadt. Aus der besseren Gegend von L.A., wo man Swimming Pools hat und zum Surfen ans Meer fährt. Mancher von den Crips und Bloods, die ihm bereitwillig Auskünfte über ihren Alltag erteilen, hat noch nie das Meer gesehen. Zu gefährlich der Weg dahin, womöglich durchs Gebiet der anderen Farben. Stacy Peralta dagegen steigt in den späten 70ern in die Vorgärten der Nachbarn ein, um in leeren Pools gewagte Kunststücke auf einem neumodischen Scheiß namens Skateboard zu perfektionieren. Dafür wird er der erste Surfer und Skater Kaliforniens mit professionellen Sponsorenverträgen. Später bringt er seine Erinnerungen an diese Zeit zu Papier, dreht ein paar sehenswerte Surfer- und Skaterdokumentation ("Riding Giants") und wird in "Lords of Dogtown" von John Robinson aus "Transformers" gespielt. Voll das Fest für jeden (Sub-)Kulturmensch, Leser von Ellroy-Romanen und Hörer von Gangsterrap nun diese seine ansprechende, spannende und in jeder Hinsicht aufschlußreiche Kinodokumentation über die berüchtigsten Streetgangs der Welt. Ein Film über eine Stadt und ihre Bewohner, aufbereitet von einem modernen Stadtchronisten für die weite Welt. Kegelt klar mit "Cocaine Cowboys" in einer Liga und sollte auch aus politischen Gründen von jedem gesehen werden. Ein bisschen zu schnell geschnitten, für meinen Geschmack, und zwar nicht, weil ich sonnen alter Mann bin, sondern weil man gerne das eine oder andere Bild länger betrachtet hätte.

Bearbeitet von hoolio21, 09. Juni 2009, 14:54.

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#64 hoolio21

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Geschrieben 18. Juni 2009, 00:06

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Kurz und neu
(demnächst auf dvd)


Big Game
(US/Bra 08)
Ein verlauster Strolch kommt aus dem Gefängnis frei und nimmt suspekten Kontakt zu einem Teenagermädchen in einer Kleinstadt auf. Die steckt gerade in einer privaten Krise, gibt in der High School die Außenseiterin und leidet unter der Trunksucht ihres Polizistenvaters. Wie sich heraus stellt, hat der Knacki mit ihrem Daddy noch eine Rechnung offen, weswegen der Alte im übrigen auch an der Flasche hängt. Big Game ist ein Begriff aus der angelsächsischen Jägersprache, bedeutet Großwildjagd, und im Horrorthriller gerne Menschenjagd. Wenn ein gewisser C. Thomas Howell nach 1990 in einem Low-Budget-Genrefilm eine tragende Rolle spielt, bedeutet das hingegen zumeist nichts Gutes. Hier kommt eine Ausnahme von der Regel, aber das liegt nicht so sehr an CTH als an der Art, wie hier das für gewöhnlich zum Kanonenfutter bestimmte Jungvolk eingeführt und gezeichnet wird. Sage nur: Kritische Reflektion des amerikanischen Schulhierarchie- und Datingwesens. Die eigentliche Menschenjagd, so man sie überhaupt als solche bezeichnen will oder erkennen kann, vollzieht sich eher beiläufig im Dunkeln. Der im Low-Budget-Horrorthriller sonst meist langweilige Mittelteil unterhält dagegen und birgt Überraschungen.

Cyborg Soldier
(US 08)
Imagine this: Gewissenlose Militärforscher modeln mit Menschenmaterial herum, heraus springt die perfekte Kampfmaschine. Beinahe noch Humanoid, doch quasi unverwundbar und um zahlreiche Technikteile ergänzt. Einer von denen denkt, daß er sei, und büchst aus, um ein normales Leben zu führen wie die Typen im Fernsehen. Da schickt ihm das böse Militär andere Cyborgs hinterher, die ihn - koste es, was es wolle & dead or alive - retransferieren sollen. Tiffani Amber Thiessen ist die entgeisterte Dorfpolitesse (müsste es im Sinne von Putze nicht eigentlich Potze heißen?), die sich in ihren Weg stellt. Tiffani Amber Thiessen? Das war doch dieser 80er-Jahre-Teeniestar, ein Covermodel und mehrfacher Beauty-Contest-Winner (by denen die engste Rivalin nicht selten Tiffany hieß), bekannt und beliebt aus geschlagenen 136 Episoden "Beverly Hills 90210". Die macht jetzt auf Tomboy, als Dame, an der ein Kerl verloren ging, im karierten Holzfällerhemd mit Cowboyhut und dicker Knarre. Steht ihr gut, hilft aber wenig gegen vierschrötige Cyborgschränke, die immer erst mehrere automatische Magazine leerpumpen, bevor sie fragen. Der Held ist nach allen Regeln der Kunst ein der Schauspielerei unverdächtiger Hauklotz aus der UFC (Rich Franklin aus der Ultimate Fighting Championship) bei seinem offiziellen Leinwand(haha)-Debüt und macht seine Sache für solche Verhältnisse mehr als ordentlich. Extrem hohe Punktzahl bei dummen Sprüchen, Zerstörungswut und sinnlosem Blutvergießen, dafür kein Heizungskeller-Look. Geht einfach nur ab durch die Mitte, und wer sich zwischen all den gebrochenen, grübelnden Fantasyhelden der Gegenwart nach etwas schnörkelloser Verfolgungsjagd-Action der späten 80er und 90er sehnt, wird hier in den Arm genommen und gestreichelt.

Das Geheimnis der Geisha
(F 08 "Inju")
Alex Fayard (Benoit Magimel) ist Frankreichs bedeutendster Kriminalliterat und in dieser Eigenschaft seit einiger Zeit auch big in Japan. Jetzt fährt er da mal hin und promotet sein neues Büchlein, was dem amtierenden nipponesischen Platzhirschen Shundei Oe nicht zu gefallen scheint. Dieses Phantom in der Öffentlichkeit, von dem es keine Photos und dafür zahllose Gerüchte gibt, droht Fayard wiederholt in drastischen Botschaften mit physischer Vernichtung. Fayard aber verliebt sich lieber in eine geheimnisvolle Geisha, die mit Oe noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Vertrackter kleiner Culture-Clash-Thriller, der lange Zeit auch ein Horrorfilm hätte werden können und vielleicht auch einer geworden ist, bloß ein etwas anderer. Französisches Hochglanzkino in komplett japanischem (und japanisch wirkendem) Outfit. Recht zeitgemäßes Genreexperiment eines Regisseurs (Barbet Schroeder), von dem ich das so nicht erwartet hätte.

OSS 117
(F 06 "OSS 117: Le Caire nid d’espions")
Ich könnte nicht müde werden, vom französischen Kino zu schwärmen. Neuestes Beispiel: Die hatten da in den 50er schon einen eigenen Kinogeheimagenten von Serienformat. Sein Name: OSS 117, alias Hubert Bonisseur de la Bath. Ja, Sie lesen richtig. 1956. Sechs Jahre, bevor Sean Connery in "Dr. No" zum ersten mal als James Bond auf der Leinwand erschien. Nach einer Romanserie, deren erstes Exemplar 1949 erschien, vier Jahre vor dem ersten Fleming-Buch. Nach sieben "OSS 117"-Kinoabenteuern zwischen 1956 und 1970, in denen unter anderem Ivan Desny, Frederick Stafford und Luc Merenda dem Helden ihre Persönlichkeit verliehen, hat man den verdienten Actionhelden nun wiederbelebt und in die Gestalt von Jean Dujardin gesteckt. Freunden der französischen Unterhaltungsmaterie auch bekannt als Galliens Dummenfilm-Halbgott "Brice de Nice", dem unterbelichteten Surfer von der notorisch unterbewellten Cote D’Azur. Oder als neuer Lucky Luke.

In dieser Neuauflage des Agentenklassikers, die man auch mit Fug und Recht als Parodie auf denselben betrachten darf, gibt Dujardin mit frappanter optischer Ähnlichkeit zu sowohl dem Connery-schen Bond als auch der Figur des Maxwell Smart eine todernst aufspielende, niemals in "Austin Powers"-Grimassen abdriftende Comedy-Variante eines Helden, “whose suave self-importance is topped only by his phenomenal ignorance and dumb luck.” (Variety; könnt’s nicht treffender formulieren). Die Geschichte spielt, der Vorlage angemessen im Ägypten gegen Ende der 50er (und auch kurz mal in Rom ein paar Jahre früher und in Berlin 1945). OSS 117 soll mal nach dem rechten sehen in diesem Land am Rande eines Bürgerkriegs, in dem Amerikaner und Russen um die Gunst der jeweils Starken buhlen, die Engländer um ihren Suezkanal bangen und die Naziverschwörer im Exil dem frühen Islamisten Gute Nacht sagen. Mit blasierter Herablassung und der totalen Taktlosigkeit des Kolonialisten begegnet in diesem Land der fünftausendjährigen Zivilisation der vollendete Halbgebildete unverdrossen allen Einheimischen, die seine Wege kreuzen, hier seine Partnerin in spe beleidigend, dort den Muezzin für seine frühmorgendlichen Ruhestörung gewaltsam maßregelnd. Das alles wird - handwerklich tadellos und hinreißend elegant - im Kinostile der 50er Jahre angerichtet. Und zwar nicht nur mit ein paar alten Klamotten, Songs und Autos, wie in Hollywood, sondern im kompletten Stil der damaligen Agentenfilme, samt Einstellungen, Licht, Schnitt, Sprache und Gehabe. Habe quasi geweint vor Glück und gebe euch hiermit einen Tip, den ihr nicht ablehnen könnt.

Russian Transporter
(Rus 08 "Nepobedimyy")
Superspezialagent Kremnov auf steinigen Abwegen zu Malta, um die rechte Hand vom kriminellen Oligarchen zurück ins undankbare Mutterland zu verfrachten. Der in vielerlei Hinsicht beste unter den jüngeren russischen Actionfilmen hatte leider außergewöhnlich anstrengende Untertitel, und ich bin mir nicht sicher, ob ich immer alles hundertprozentig verstanden habe. Solider Hochglanz-Actionfilm mit Einfällen und Mitteln, wie man sie auch von Amerikanern oder Franzosen erwartet. Ein kühler Held und ein trashtalkender Buddy wider Willen, eine schwerbewaffnete Armee gesichtsloser Feinde und fiese Quertreiber in der eigenen Chefetage, exotische Locations, ein Quentchen Culture Clash, erheblicher Aufwand beim Kämpfen und Verfolgen. Sowie ein Eröffnungsmassaker, das sich gewaschen hat (beste Szene des Films). Actionfreunde reingeschaut.

A Very British Gangster
(GB 08)
Dominic Noonan ist ein ziemlich britischer Gangster. In schwarzen Anzügen und schwarzen Mänteln residieren der dicke, joviale Glatzkopf und seine bemerkenswert jugendlichen Anhänger in einem biederen Reihenhäuschen in Manchester und vertreiben sich die reiche Freizeit, in dem man zum Beispiel gemeinsam frühstückt (Pampe mit Pampe), Omis über die Straße hilft, Streits in der Nachbarschaft schlichtet oder ein ehrbares Sicherheitsunternehmen gründet, um Manchesters Nummer 1 im Geldtransport zu werden. Von so etwas hat Dominic nämlich Ahnung, weil er früher selbst gerne mal einen Geldtransport überfiel. Oder die Knochen seiner Feinde einzeln nummerierte. Oder Morde in Auftrag gab. Oder Gefängnisaufstände anzettelte. Oder vielleicht so. Die Polizei hält Dominic deshalb für eine öffentliche Gefahr, nimmt ihn öfter mal fest und zerrt ihn wieder und wieder vor Gericht. Und das stört empfindlich den Aufbau eines bürgerlichen Geschäftsmodells. Und mitunter auch die Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm, der von Dominic Noonan handelt.

Lebenserinnerungen von authentischen Schwarzwesten und Übelmännern sind gerade ein sehr britisches Literaturerfolgsmodell, weshalb es niemand zu wundern braucht, wenn jetzt das Kino nachzieht. Regisseur, Abenteurer und Journalist Donal MacIntyre aus Dublin portraitierte in einer seiner frühen Kurzfilmstudien furchtlos den Massenmörder und Ulster Freedom Fighter Johnny „Mad Dog“ Adair (dem mal auf einem UB40-Konzert in den Kopf geschossen wurde), wonach es sicher eine Art Erholung war, sich dem sympathischen, freundlichen und von der Kamera sichtlich erfreuten Noonan nähern zu dürfen. Der kommt denn auch eher wie ein schwuler Herbergsvater als wie Tony Soprano rüber und macht auch gar keinen Hehl daraus, mit dem einen oder anderen seiner Skinheadkumpel das Lotterbett zu teilen. Beim Posen in den Elendsvierteln der Tücherstadt machen er und seine Boys gute Figuren, von Verbrechen sieht man nichts und hört konkret wenig, denn so doof, sich selbst zu belasten, sind sie hier dann auch nicht. Trotzdem eine hochinteressante Subkulturgeschichte mit unvergesslichen Momenten in einer vergleichsweise eleganten, flotten Inszenierung. Mehr davon.

Zombies Hell’s Ground
(Pak/GB 07 "Zibahkhana")
Fünf Jugendliche wollen Party machen und brausen im grell bemalten Spaßmobil hinaus ins Grüne, wo irgendwo im hintersten Hinterwald die besten Rockgruppen des Landes gegeneinander antreten. Leider nimmt man auf dem Weg dorthin den Wrong Turn und landet bei gestörten Hillbillies, die früher einmal geachtete Metzger waren und heute auf verirrte Party People lauern. Das erste Drittel spielt im Auto, das zweite Drittel im dunklen Wald und das dritte Drittel im dunklen Schlachthaus. Sähe ganz so aus wie jeder zweite amerikanische Film seit 2000, wenn es nicht aus Pakistan stammen würde. Ganz schön mutig, Leatherface in einer Burqa rumsausen zu lassen, wenn der Taliban schon im Vorgarten sitzt. Dafür gibt’s den Schnitt durch die Kehle von einem Segelohr zum anderen mit der besonders schartigen Klinge. Wenn sie Omar Ali Khan denn erwischen. Hoffen wir, dass er und seine Laienspielschar und Bluteimerträger schnell rennen können. Zur Not in London bei Pete Tombs von Mondo Macabro klingeln und um Asyl bitten, der hat den Krempel nämlich produziert. Handwerklich bodenlos und inhaltlich absolut bei the numbers den internationalen Vorbildern nachempfunden, aber so was mögen ja manche bei so was.



Blutige Hochzeit Wer immer den Ring einer auf der Flucht vor dem Altar Erschlagenen („clubbed to death like a baby seal“) trägt, findet ebenfalls ein gewaltsames Ende. Recht billig gemacht, doch auch vergleichsweise originell und gewitzt. Kein üblicher Slasher, eher wie ne abendfüllende Halloween-Episode von einer Sitcom für Erwachsene. Reizende Hauptdarstellerin! + + + Deep in the Valley Simpel gestrickte Sexklamotte mit vielen Bikinitanten und wenig nackten Tatsachen. Spießiger, sich frivol gebender Hollywoodtrash der mittleren Unterklasse. Die bekannteren Namen wirken peinlich berührt und sind schnell wieder weg. + + + Saat des Bösen Für nen Film von Ivan Zuccon ned schlecht, aber was heißt das schon. Besser als Lommel (, aber …). Wirres Zeug mit kaum erwähnenswerten Bezügen zur titelgebenden Story (OF: "Colour of the Dark"), aber das ist Lovecraft ja gewöhnt. Ein paar hübsche Bilder, sonste nichtse. + + + Space Buddies Süße kleine Hunde fliegen zum Mond und wieder zurück. Süße sprechende Hunde, deren Bewegungen mit dem Computer nachgeholfen wird. Routinierter, aalglatter Disney-Schund, 3. Teil eines Offspin von "Air Bud". Damit ihr seht, dass das Leben einer Filmjournalette kein reines Zuckerschlecken ist. Nicht immer und überall, jedenfalls.

Bearbeitet von hoolio21, 18. Juni 2009, 03:13.

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#65 hoolio21

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Geschrieben 29. Juni 2009, 15:35

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Balls of Fury
(US 07)

Offenbar ist es modern, mehr oder minder abseitige Sportarten in Slapstickkomödien zu veräppeln. Das damit gern verbundene David-gegen-Goliath-Prinzip ist beim Publikum wohl gelitten, und der Computer macht in punkto Spieldramaturgie ganz erstaunliche Sachen möglich. "Balls of Fury" ist - believe it or not - eine Variation des Bruce-Lee-Klassikers "Der Mann mit der Todeskralle" mit Tischtennis statt Kung Fu, und hat alles, was die moderne Sportklamödie braucht: Eine hinreichend als albern definierte Sportart, einen fetten, langhaarigen Kiffer als Helden (Nachwuchs-Broadwaystar Dan Fogler), einen weisen alten, in diesem Fall obendrein blinden Trainer, der sein eigenes Süppchen auf der Sache kocht (Hollywoods Mustergelbmann James Hong mit der Erfahrung von 340 Filmen und TV-Serien), einen arroganten, auffahrenden Champion aus einem Land wie etwa möglichst Deutschland (Co-Produzent Thomas Lennon, der Typ in den knappen Shorts aus "Reno 911", lässt dem exaltierten Irrsinn den gebotenen Lauf), und einen diabolischen Fu-Manchu-Bösewicht als Strippenzieher im Hintergrund (Hollywoods verdientes Charakter-As Christopher Walken, seinen dritten Frühling als großer alter Herr bei den jungen Comedy-Rabauken sichtlich genießend).

Von seinem bei Gangstern verschuldeten Papa (Robert Patrick) zum Wunderkind gedrillt, ist der kleine Randy Daytona Amerikas große Pingponghoffnung bei den Olympischen Spielen 1988. Dort jedoch zerschellen alle großen Erwartungen in einer demütigenden Niederlage gegen den aggressiven ostdeutschen Champion Karl Wolfstagg. Jahre später fristet der mittlerweile zu beträchtlicher Leibesfülle gelangte Randy sein Dasein als Pausensportclown in drittklassigen Vegas-Revuen, als das Schicksal in Gestalt des FBI an seine Tür klopft und dem Abgehalfterten eine zweite Chance gewährt. Auf einer einsamen Insel betreibt ein exzentrischer chinesischer Superbösewicht namens Feng sinistre Tischtennis-Gladiatorenkämpfe. Das FBI ist schon lange hinter Feng her, und Randy Daytona soll ihnen als Turnierteilnehmer das Tor zur Höhle des Löwen öffnen. Für Fengs Duell der Titanen aber muß sich Randy erst qualifizieren, und der Weg dorthin führt durch die härtesten und ungastlichsten illegalen Untergrund-Tischtennisarenen, die die Welt je gesehen hat.

Wer sehen will, wie ein dicker erwachsener Mann wie der Blitz Tischtennis spielt gegen einen chinesischen Meister namens Der Drache, der sich dann als kleines Mädchen entpuppt und sich im Zweifelsfalle auch genau so benimmt („Das war noch nicht der unerreichbare Aufschlag! Der unerreichbare Aufschlag kommt jetzt.“), der sitzt hier richtig. Mild absurder Humor, gerngesehene Klischees und effektvolle Beugung der Physik fügen sich harmonisch an eine vorhersehbare Underdog-Story mit einigermaßen liebens- und sehenswerten Typen. Statt minutenlangem Bad in Fäkalien wird lieber ausführlich pathetisches Gebaren der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn z.B. die Gangster in der Unterweltkneipe einen Wetteinsatz von 4 Dollar mit Sieggebrüll feiern, Spence aus "King of Queens" beim publikumswirksamen Einzug in die Arena vergeblich eine papierene Bande zu durchbrechen sucht, oder der entgeisterte Christopher Walken als chinesischer Mr. Burns von einem chinesischen Untergebenen auf chinesisch nach dem Weg zur Toilette gefragt wird. Bestimmt nicht die Komödie des Jahres oder ein Pflichtfilm, aber mir hat’s schon mal deutlich besser gefallen als die artverwandten "Eisprinzen" oder dieses Völkerballding mit Stiller.


Die Rache des Paten
(I 74 "Quelli che contano")

Skrupellose Strolche schmuggeln Heroin in Kinderleichen über die italienisch-französische Grenze. Italienische Ordnungshüter sind davon derart unbegeistert, dass man nun auch Leuten auf die Pelle rückt, die normalerweise „besonderem Schutz“ genießen. Solchermaßen empfindlich im Tagesgeschäft gestört, sucht die Mafia intern auf Hochtouren nach dem Schuldigen oder wenigstens einem der Polizei vermittelbaren Sündenbock. Tony Aniante (Henry Silva), aus Amerika herbei beorderter Hitman mit süditalienischen Wurzeln, doch vordergründig im Konflikt ohne eigene Interessen, wird nach Sizilien entsandt und soll zwei in heftigem Krieg befindlichen, der Angelegenheit höchst verdächtigen Familien auf den Zahn fühlen. Beide versuchen, nachdem sie ihn auf die Schnelle nicht loswerden können, den Fremden für ihre jeweiligen Zwecke zu instrumentalisieren.

Start the Show with a bang, sagt sich Italiens kontroverser Genreästhet Andrea Bianchi ("Die Rückkehr der Zombies") und kredenzt dem geneigten Kunstfreund zur Begrüßung gleich mal einen Zoom auf einen abgerissenen Kopf mit anschließendem Schwenk aufs filettierte Kind. Da geht’s lang, Pussy. Und wo ist Rainer Brandts sympathische Kalauersynchro, wenn man sie braucht. Selbst hartgesottene Mafiaclanchefs schütteln angesichts solcher Methoden angewidert das in Ehrenwert ergraute Haupt. Ts, ts, ts. Das muß ja geradezu das Werk von Ausländern gewesen sein. Oder von einem amerikanisierten Mafioso, wie Don Ricuzzo Cantimo einer ist (Mario Landi, Regisseur der perversen Perle "Giallo a Venezia"). Erinnert mich irgendwie an Fulcis "Syndikat des Grauens", jenen anderen großen Ultrabrutalo-Mafiathriller der Epoche, in dem es die fiesen Franzosen sind, die die Sitten im sonst so gesetzten Napoli verderben.

Danach folgt gleich noch ein Bang, zumindest war es für mich einer. Nämlich der Ort der Handlung. Wenn der Amerikaner Silva nach Sizilien fährt, dann weiß er, dass er mit einem bezaubernden metallic-flaschengrünen Volkswagen leichter durch die engen Gassen so einer urwüchsigen Berggemeinde dringt als mit einem Chevrolet. Der Käfer krabbelt Wege hinauf, die sonst nur mehr von Eseln bewältigt werden, und das ist auch nötig. Denn Bianchi dreht da, wo die Mafia zu Hause ist. In den Gassen und Gängen, in den Häusern und Kneipen einer richtigen sizilianischen Adlernestfestung klappen die Kopftuchvetteln hastig die Schlagläden zu vor dem furchtlos hindurch gleitenden Kameraauge. Man fühlt förmlich, wie da bei jeder Szene, und nicht nur denen im Städtchen, das organisierte Verbrechen den Machern mit neugierigem Blick über Schulter lugt. Wahrscheinlich haben sie Bianchi noch Tips gegeben, wie so ein Überfall auf einen Kirschen-Drogen-Transport mit 1 PS richtig aussehen muß. Selten einen Mafiafilm mit so dichtem Lokalkolorit wie diesen gesehen. Sogar auf den Ziegeldächern des Städtchens liefern sie sich Verfolgungsjagden.

Die besondere Dekadenz des Don Ricuzzo Cantimo äußert sich bereits in dessen Liebesleben. Eine aufgedonnerte, wie ein Clown geschminkte Hure namens Margie (Barbara Bouchet) hat er sich angelacht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und mitgebracht auf seinen ausladenden Landsitz, wo es im Sommer nur wenige erträgliche Schattenplätze wie jenen Gartentisch an der Nordseite gibt, wo sich Ricuzzo und sein gefährlicher Gast schwitzend zum ersten Beschnuppern und einem erfrischenden Glas Whisky (was sonst) niederlassen. Die Hure bringt ihren Göttergatten gern mit Anekdoten aus ihrem reichen Erfahrungsschatz auf Touren („ich hatte viele Neger“) und verliert keinerlei Zeit, im Kuhstall die Möpse auszupacken und sich dem sonst vielleicht bald toten Gast aufdringlich anzubieten. Für Abwechslung ist ja sonst auch wenig gesorgt für gelangweilte Hausfrauen auf einem Gangsterlandsitz in der Ära vor Playstation, Satellitenfernsehen und Internetpoker, weshalb die Hure nicht minder heftig dem Schnappes zuspricht als alle beteiligten Herrschaften.

Silva pfeift das Lied vom Tod, bevor er jemanden umlegt, und er legt so oft Leute um, daß man irgendwann den Überblick verliert, welcher Tote jetzt gerade zu welcher Familie gehört. Vermutlich, um sie selbst besser unterscheiden zu können, fährt er schon mal welche mit einer Dampfwalze zu dicken Fladen platt. Bianchi erspart dem Zuschauer nichts. Wenn Silva endlich zum ersten mal über die nymphomanische Sadomasochistin (Schlampe allein reicht ja nicht) Barbara Bouchet herfällt, dann rammelt er die laut protestierende Prostituierte von hinten geradewegs in einen zum Ausbluten im Wohnzimmer aufgehängten Schweinekadaver hinein, bis ihr das Schweineblut nur so über die Backen läuft (war das deine Idee, Landi?). Beim zweiten und letzten Liebesakt der Turteltauben prügelt er sie mit einem Gürtel windelweich, schließlich mit der Metallschnalle nach außen geradewegs ins Gesicht, um die Halbtote hernach in einem Dunghaufen zu vergewaltigen, so dass im Vergleich dazu Clint Eastwood aus der möglicherweise als hiesiges Szenenvorbild dienenden Eröffnung von "High Plains Drifter" wie Mozarts Rosenkavalier dagegen wirkt. Ganz wie in Bianchis berüchtigtem Zombiefilm werden natürlich auch Kopfschüsse in Zeitlupe verteilt, Hinterköpfe wie Frühstückseier an Steinen aufgedotzt oder direkt mit der Bandsäge halbiert. Wahrscheinlich ist Bianchi sogar der Mafia zu brutal, aber zur Abschreckung haben sie ihn mal machen lassen.

Wem die Story von den beiden schwerbewaffneten rivalisierenden Clans und dem zu beiderlei Ungunsten operierenden Fremdling merkwürdig vertraut vorkommt: Ja, sie machen mal wieder "Yojimbo". Oder "Für eine Handvoll Dollar", oder "Django", wenn man so will. Überhaupt kann man das Ding irgendwie als den Film von Bianchi betrachten, der einem Italowestern formal am nächsten kommt. Und das liegt keineswegs nur an den hitzeflirrenden Kulissen. Ein verkrüppelter Junge weckt bei Silva höhere Instinkte und beim Zuschauer Assoziationen zum schauerlichen Jungzwerg aus Bianchis "Rückkehr der Zombies". Überhaupt kann man sich selten des Eindrucks erwehren, als sei Bianchi besonders in seinen Exzessen hundertprozentiger Überzeugungstäter. Das Finale vermag die geweckten Erwartungen (wie so gerne im Italothriller) nicht zu erfüllen, hat mich (im Gegensatz zu anderen) aber auch nicht gerade heraus enttäuscht.

So is it any good? Auch, wenn man nicht nur auf spektakuläre Gewaltakte aus ist? Ich finde: Volle Lotte. Silva legt sich richtig ins Zeug, zeigt Momente hoher Schauspielkunst, wenn er zum Beispiel während eines Vortrages des Don Ricuzzo geistig völlig abschweift und sogar das einmalige Angebot überhört, als Vollmitglied dessen Organisation beizutreten. Die Synchronisation ist für zeitgenössische deutsche Verhältnisse eher durchschnittlich geraten und schleppt sich so dahin. Angesichts der Wucht der Bilder und expressiven Mimik aller Beteiligter macht das aber nur wenig, und man bekommt jederzeit mit, was passiert. Falls man sich überhaupt wirklich für die verwinkelte Story interessiert oder das Ding nicht lieber guckt wie einen in der Sonne festgepflockten Argentofilm. "Die Rache des Paten" ist ein Film wie wenige andere. Zügellos, skrupellos, hitzig und schön. Sex, Murder, Art. Ein besonderer Film. Etwas, was sich längst kein Schwein mehr traut. Trotz Torture Porn und Toilet Humour. Ragt heraus, aus seinem Genre sowieso, und tut auch nach vielen Jahren noch hundertprozentig seine Arbeit. In dem er dir eins über den Schädel zieht.

Bearbeitet von hoolio21, 29. Juni 2009, 18:33.

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#66 hoolio21

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Geschrieben 22. Juli 2009, 23:42

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Beim insgesamt recht gelungenen Tropic Thunder (US 08) fiel mir auf, wie sehr sich der typische Ben-Stiller-Charakter inzwischen in meinen Augen abgenutzt hat. Da spielt er wieder genau so einen Typ wie in "Zoolander", "Neid" oder "Meet the Fockers". Den grundguten, stets leicht angepissten, nicht immer ganz hellen Durchschnittskerl, der so lange verarscht wird, bis er sich endlich wehrt. Und dann kommt alles noch schlimmer. Hat auch hier seine Momente, doch zuweilen wird die Sache breiter getreten als nötig, wirkt aufdringlich (Stichwort: "Simple Jack"). Sensationell dagegen Tom Cruise. Den habe ich immer schon für einen guten Schauspieler gehalten, wenn auch keinen besonders charismatischen oder sympathischen, trotz seiner good looks. Hier ist er kaum wiederzuerkennen als pyknischer Producer mit Platte und liefert den Gastauftritt des Jahres, wenn nicht Jahrzehnts. Auch, weil er im Gegensatz zu Stiller einen ziemlich lustigen Charakter spielt. Habe jedenfalls erst von der anschließenden Lektüre über den Film erfahren, dass er überhaupt da mitspielt. Habe ihn nicht erkannt, bei der flüchtigen Erstbetrachtung. Hut ab.

Andrea Bianchi hat ja auch mal mit Orson Welles gedreht. Und zwar bei dieser ominösen multieuropäischen "Schatzinsel"-Version von 1972, wo der karrieretechnisch etwas neben der Spur befindliche Welles den Long John Silver (bzw. Chubby Old Silver) spielt. Offiziell wird da John Hough von "Kesse Mary Irrer Larry" als Directeur geführt, aber einen Teil der Arbeit haben offenbar Bianchi und Antonio „Pizza“ Margheriti erledigt. Ist nichts besonderes, aber immerhin ein solider Kinderfilm geworden, was ich beurteilen kann, weil ich ein Kind war, als er zu Weihnachten im Fernsehen lief. So wird man mal eben von Harry Alan Towers aufs European Trash Cinema geeicht und merkt es nicht einmal. Falls in der vorangegangen Abteilung der Eindruck entstanden sein sollte, ich hielte Andrea Bianchi für einen guten Regisseur, dann möchte ich das korrigieren. Ich halte Bianchi lediglich für einen bemerkenswert skrupellosen Begänger spektakulärer Leinwand-Greuel und (ähnlich wie übrigens auch James Glickenhaus und Jean Rollin) für einen begabten Darsteller intensiven Ablebens. Und das, nun ja, appelliert an meine niederen Instinkte. Wie sehr der Künstler mit dem in deutschen Ohren so feminin anmutenden Vornamen aber auch noch eine frauenverachtende Sau ist, das wird mir erst jetzt langsam richtig bewusst.

Obgleich ein typischer Italothriller der Gattung „Giallo“ (komplett mit schwarzen Handschuhen), wirkt Der geheimnisvolle Killer (I 75) moderner als alles, was ich sonst von Bianchi kenne. Könnte an den auffälligen Ähnlichkeiten mit "Die Augen der Laura Mars" liegen, denn hier wie da entfaltet sich der Stalk&Slash-Reigen rund um das Studio einer Modephotografin samt zahlreichen Besuchen auf Photo Shootings und Exkursionen hinter Garderobentüren bzw. auf Casting Couches. Freie Bahn also für ein Hauptanliegen des Films, die Präsentation unbekleideter Weiblichkeit. Edwige Fenech gibt sich da unter anderem die Ehre, ihres Zeichens dürftig beschürzter Mittelpunkt zahlreicher gemeinhin als tumb eingestufter Mittelmeerschwänke und des einen oder anderen Thrillers wie diesem. In Zombie- oder Kannibalenfilmen hat man die Fenech nie gesehen, weshalb sie später von den Subkultur-Cineasten entdeckt wurde als andere, unlängst aber immerhin durch "Hostel 2" schreiten durfte (immer noch ganz die elegante Schönheit). In "Der geheimnisvolle Killer" gibt sie eine Photografin, die sich entschließt, ihren guten Job an den Nagel zu hängen und lieber ein bisschen vor der Kamera die Beine zu spreizen. Vielleicht gelingt es ihr ja auf diese Weise, ihren widerlichen Kollegen und Beschäler (der bizarre Held dieser sinnlos-Grütze) davon abzuhalten, mit jeder Bauchtänzerin, die er im Stadtbad aufreißt, sogleich das Lotterbett zu teilen. So ist das Frauenbild von Bobo Bianchi, und von der Sorte Schoten bekommt man mehr an den Kopf geworfen, als jeder unter Umständen neben einem sitzenden Lebensgefährtin zuträglich sein dürfte. Den Vogel ab schießt mit der virtuellen Elefantenbüchse eine aufstrebende Laufstegschönheit, die sich weniger an der versuchten Vergewaltigung durch einen schwer adipösen Studiobesitzer stört als an dessen vergeblichen Versuchen, „ihn hochzukriegen“. Was in anderen Bianchi-Filmen die Gewaltdarstellung, das ist hier das rustikale Frauenbild. Over the top, hemmungslos, geradeheraus böse. Und das ist ja auch mal ganz interessant.

Don Claudio (Fausto Tozzi) hat beim Besuch in Europa spontan eine propere blonde Trapezkünstlerin gefreit (Dominique Wilms, der Typ Frau, den der liebe Gott für Eddie Constantine, Agent OSS 117 und mich geschaffen hat). Mit der kann er jetzt noch mehr angeben, daheim auf der Farm in den grenzenlosen Weiten der argentinischen Pampa, wo ohnehin schon alles nach seiner Pfeife tanzt. Don Claudio ist der Herr über tausende Quadratkilometer Land, hunderte von Hirten, Scherer und Bedienste sowie ein bewegliches Meer von etwa 50.000 Schafen. Und eine junge, stolze schwarzhaarige Hausverwalterin, die fest damit rechnete, nach Claudios Rückkehr selbst die First Lady zu werden. Der Schaustellerin indes wird es in der Einöde an der Seite eines landestypischen Machoschöngeist schnell langweilig. Eine Alternative wäre der heiße Vorarbeiter. Doch wenn Claudio davon erführe, gäb’s Mord und Totschlag. Oder wenigstens Mord und Arschvoll. Liebe am Ende der Welt (I 60) heißt das epische italienische Melodram, und wenn dir die verbotene heißblütige Romanze mit gewagten Anspielungen, Actioneinlagen und einem "Hunting Party"-Finale in den Anden nicht als Grund zum Anschauen ausreicht, dann tut es vielleicht die sagenhaft schöne Landschaftsphotografie des argentinischen Kameramanns Humberto Peruzzi. Habe das Ding nachts auf dem Mitteldeutschen Rundfunk entdeckt, wo mitunter Filme laufen, die sonst nirgendwo kommen, und es hat mich richtig schön weggeblasen.


Vom Ledger gezogen

Als 1989 der erste große "Batman" die Klinge mit dem Joker kreuzte und Jack Nicholson sich mit einem klugen Merchandisingdeal dumm und dümmer verdiente, ist euer ergebener Chronist im Kino eingepennt. Das war damals gerade die Zeit, wo ein guter Freund von mir als Filmvorführer im Kino von Rottach-Egern jobbte, und ich saß stockbetrunken in einer Mitternachts-Exklusivvorführung. Vielleicht wäre ich aber auch eingeschlafen, wenn ich den Film an einem strahlenden Sommertag um 15 Uhr Nachmittags im genauso leeren und angenehm kühlen Münchner Mathäser-Kino gesehen hätte, wie drei Jahre später "Batman Returns", den ich immer noch für den unterhaltsamsten der ganzen Bande halte, wg. Danny De Vito, Christopher Walken und Michelle Pfeifer als Catwoman. Trotzdem wäre ich auch da wieder am liebsten nach einer Stunde gegangen. Bin eben nicht die Zielgruppe für allzu ernst gemeinte Verfilmungen amerikanischer Superheldencomics. Die mich schon als Groschenhefte im Kindesalter kalt ließen. Was war denn so ein einfältiger Superheld-gegen-Superverbrecher-Kitsch gegen den feingeistigen Humor und das detailfreudig rekonstruierte historische Szenario eines Asterix. Oder auch bloß gegen den Charme oder die clevere Alltagssatire eines Donald Duck. Von traditionellen europäischen Sagen- und Märchenwelten ganz zu schweigen.

Also flog der Flattermann vergeblich über das Pinguinnest, und auch bei Dark Knight (US 08) frage ich mich, ob es die pathostriefende, prätentiöse Gegenwartsgleichnisscheiße nicht etwas auflockern und bereichern würde, wenn man in die hektisch montierten, sowieso komplett am schwerlosen Computerbildschirm designten, für gewöhnlich in tiefe Finsternis gehüllten Actionszenen hier und da ein „Zisch“ oder „Peng“ in Lautschrift einfügen würde, ganz so wie damals in den 60ern, als niemand Batman ernst nahm (schon gar nicht das deutsche Feuilleton) und Cesar Romero den Joker spielte. Zweiter Eindruck: Gott, ist das Ding wieder lang. 152 Minuten, damit etwas mehr Zeit bleibt für noch eine Nebenfigur und noch eine. Schließlich wollen Gary Oldman, Aaron Eckhart, Maggie Gyllenhaal und Eric Roberts auch noch ihre kleinen Geschichtchen erzählen, nicht nur der große, weil tote Heath Ledger. Guter Abgang, muß auch ich sagen, apropos. Wenn er direkt nach "Brothers Grimm" gestorben wäre, hätte es wohl nicht so viel Staub aufgewirbelt. Superbösewicht zu sein ist bei Batman auf jeden Fall ein Vorteil, denn die hinterlassen den Eindruck, während der schwarze Mann mit den albernen Öhrchen als maskierter Feuerwehrmann in guter Tradition wieder mal völlig verblasst selbst gegen Morgan Freeman und Michael Caine, die hier als Dank für vierzig bis fünfzig Jahre herausragende Charakterdarstellerdienste als Grüßauguste in Sekundenauftritten in einem Kinderfilm verheizt werden (letzterer lässt sich immerhin in den Credits vor Heath Ledger nennen). Die relativ unspektakulären Attacken des Jokers auf die braven Bürger von Gotham City (aber Hongkong heißt Hongkong, oder was?) wirken dagegen trotz maßloser Überlänge allesamt fragmentarisch und mittendrin abgehackt, aber das scheint ein Trademark von Nolan zu sein. Dem Goldfischgedächtnis der anvisierten Zielgruppe dürfte es nichts ausmachen, mich aber erinnerte es auf qualvolle Weise an öffentlich-rechtliche Versuche einer Live-Schaltung. Watch "Punisher: War Zone" instead.

Bin immer wieder überrascht, in welch unbefangener Weise manche Vertreter des sogenannten Gay Cinema sich die Realität zurecht fantasieren, selbst wenn sie es in genau denselben Filmen betreffend Beziehungsalltag und Rollenklischees nicht an wacher Beobachtungsgabe und ironischer Distanz fehlen lassen. Big Eden (US 00) ist die Story von Henry Hart (Arye Gross), der einst vom Land in die große Stadt ging, um sich als Künstler zu entfalten, und nun den Weg zurück findet, weil den Vater der Schlag getroffen hat. Henry ist schwul, sein ehemals bester Schulkumpel ist auch schwul, und als sich die beiden in der Kirche nach so langer Zeit wieder zuzwinkern, scheint klar, dass hier einer glücklichen Beziehung nichts mehr im Wege steht. Doch ach: Die beiden Turteltauben haben die Rechnung ohne die Anziehungskraft des 2-Meter-Indianers aus dem örtlichen Drogeriemarkt gemacht. Montana liegt, wie Roger Ebert treffend anmerkt, direkt neben Wyoming, wo vor gar nicht allzu langer Zeit ein junger Mann namens Matthew Shepard von Rednecks nach bester Mittelaltermethode hingerichtet wurde, weil er sich als Homosexueller in ihre Bar getraut hatte. Im Örtchen Big Eden aber existieren keine Schwulenhasser, nicht einmal Schwule-nicht-so-toll-Finder, ausnahmslos alle vom Familienpatriarchen über den Pfarrer bis zu den Cowboys auf der Straße heben vielmehr anerkennend den Daumen und sparen nicht mit Ermunterung, wenn Jungs einander den Hof machen und der Herr den Herr zum Tanze führt. Damit wir es auch ja kapieren, wie sehr Montana auf warme Brüder steht, endet der Film mit einem Close-Up auf ein männliches Paar, wie es sich eng verschlungen und weltvergessen im Licht von Scheinwerfer umgeben von der versammelten Dorfgemeinde minutenlang den feuchtesten Zungenkuss der Filmgeschichte aufdrückt (Heteros mitgerechnet). Das fand ich dann schon eher kontraproduktiv.

Etwas besser gefiel mir 3-Day Weekend (US 08), obwohl hier in einem vorhersehbaren Szenario einfach nur acht miese Schauspieler übers Wochenende in einer hübschen Blockhütte am See kritische Selbstanalyse betreiben. Und zwischendurch mal einen wegstecken. Unnötig zu sagen, dass auch hier der Wunsch Vater des Gedankens ist und die acht Freunde sich sämtlicherweise aus Unterwäschekatalog-tauglichen Traumtypen mit Mörderbizeps, Waschbrettbauch und Strahlegrinsen von einem hohen Wangenknochen zum anderen rekrutieren. Die wissen halt, wie man eskapiert, diese Gays. Keine Plauze, keine Halbglatze, nicht mal Geheimratsecken oder Hühnerbrust trüben die Szene, nur unverschämt gut aussehende Lustknaben, die auch alle noch die hohe Schule des coolen Auftritts besucht und da als bester abgeschlossen haben, baden den Body in der Sonne. Wenn solche Typen dann anfangen, Probleme zu diskutieren, weißt du, dass es nicht zu anstrengend wird, ihren Gedanken zu folgen. Hier ist alles schön: Die strahlende Farbphotografie, die von Michelangelo gemeißelten Hunks, und der entspannte Lounge-Jazz im Hintergrund (die einsame Stimme der Weiblichkeit). Warum eigentlich laufen nur in schwulen Selbstfindungsdramen alle dauernd nackend herum, und nie in heterosexuellen. Fühle mich diskriminiert.

Lesbendramen sind seltener und fallen in der Regel ein wenig weniger plump aus. The Dark Side of Tomorrow a.k.a. "Just the Two Of Us" (US 70) ist auch gar nicht wirklich ein Stück Gay Cinema, sondern vielmehr ein typischer Low-Budget-Exploitationfilm der frühen 70er in der der Tradition der Nudies und Roughies. Produzent Harry H. Novak, dem wir solche Sumpfblüten wie "Please Don’t Eat My Mother", "The Godson" oder "Mantis in Lace" a.k.a. "Lila" verdanken, hatte bereits gut zwei Dutzend solcher Kolportagen geschaffen, als ihm 1970 die Idee kam, den sensationslüsternen Autokinogängern mal ein paar Lesben zu zeigen, die kannten so etwas ja nur vom Hörensagen. Daß ihm dies dann handwerklich besser, ästhetisch ansprechender und inhaltlich klüger gelingen würde als den meisten ambitionierten Gay-Cinema-Dramen, die ich sah, spricht erstens nicht für letztere und liegt zweitens bestimmt an Regisseurin Barbara Peters, aus der dann später mit Filmen wie "Bury Me an Angel" oder „Humanoids From the Deep" noch eine gestandene B-Movie-Größe wurde, und die den Stoff mit genau jenem Einsatz und Feingefühl interpretiert, den er verdient, ohne dabei die Bedürfnisse des anvisierten Kinogängers zu vernachlässigen.

Zwei gelangweilte Damen der Mittelklasse, Nachbarinnen und Freundinnen aus derselben genormten Eigenheimvorstadt, beobachten eines Tages beim Bummel durch die Stadt in einem offenbar auch von Beatniks frequentieren Cafe den Austausch öffentlicher Zärtlichkeiten (dezent) zwischen zwei Damen ihres Alters. Davon inspiriert und vom handelsreisenden Gatten nach allen Regeln der Kunst vernachlässigt (und betrogen) schlägt die eine Freundin der anderen ein erotisches Techtelmechtel in den ungestörten eigenen vier Wänden vor. Während die experimentierfreudigere der beiden Frauen darauf auf den Geschmack kommt und mehr will, belässt es die andere (fürs erste) beim Experiment und wendet sich dem nächsten Brusthaartoupet zu. Ihre Freundin aber sucht Sinneskitzel im Reich der Subkultur und wird im Kalifornien der späten Sechziger entsprechend fündig. Bezaubernde Einblicke ins zeitgenössische Art Deco mit Schauspielern und Production Values etwas über dem Niveau von Herschell Gordon Lewis-Filmen. Kein moralisierendes Hollywood-Ende, sondern ein richtig beispielhaftes und befriedigendes. Seht selbst. ProFun hat das Ding ausgegraben, und Interessierte finden es in der Queer-Film-Nische, die jeder Medienmarkt von Welt sich heutzutage leistet. Ich aber will noch viel mehr Nudies und Roughies sehen als nur die paar wenigen, die ich schon kenne (vielleicht hundert von vorsichtig geschätzten 2.000).

Ken Kesey schluckte Trips für MK Ultra und verarbeitete seine Erfahrungen dann in "Einer flog über das Kuckucksnest". MK Ultra hieß während des gesamten Kalten Krieges ein historisches CIA-Projekt betreffend Gedankenkontrolle, Psychofolter, Gehirnwäsche und Drogenanwendung in Verhören. Wer wissen will, wo das Horror-, Sf- und Verschwörungskrimikino der 70er und frühen 80er eine Menge Inspiration bezog, googelt MK Ultra oder betrachtet die bemerkenswerten TV-Dokumentationen, die es darüber gibt. In The Killing Room (US 09) stellen sich Peter Stormare und Chloe Sevigny in die Tradition von MK Ultra (nennen es sogar so), wenn sie in der Gegenwart ein Quartett scheinbar beliebig zusammen gewürfelter freiwilliger menschlicher Versuchskaninchen / Randexistenzen in einem kalten weißen Raum mit Spiegelfassade und am Resopalboden festgeschraubten Zweckmöbeln in unschönster Absicht gegeneinander hetzen. Stormare ist der alte, erfahrene Mengele, Sevigny der zögernde Frischling, und Jonathan Liebesman von "Texas Chainsaw Massacre: The Beginning" der etwas risikoscheue Direktor. Geht ganz gut los mit einem veritablen Paukenschlag, gibt sich auch Mühe, aber das Thema hätte mehr hergegeben. Passt als Horror-Laborsituation in der Tradition von "Cube" und "Saw" ganz gut aufs Fantasy Filmfest, läuft dort auch, und ist schon mal deutlich besser als der entfernt verwandte "Senseless" letztes Jahr. Bei der Gelegenheit gleich noch drei Sachen vom kommenden

Fantasy Filmfest 2009 :

Ein Typ fährt übers Land, muß wegen irgend etwas ausweichen und braust unkontrolliert in die Botanik. Dort wartet schon Rotkäppchen, lächelt den Verletzten freundlich an und lotst ihn immer tiefer in die Wildnis zu einem Knusperhäuschen, in dem drei sonderbare Kinder in verstörender Idylle seltsame Dinge tun (im Himmel ist immer Weihnachten). Am nächsten Tag würde der Gast gerne das Weite suchen, doch das entpuppt sich als gar nicht so einfach. So beginnt Hansel & Gretel (Kor 07) vom koreanischen Regisseur Yim Pil-sung. Dessen letztes Werk, "The Antarctic Journal", ließ die Fachwelt teils etwas ratlos zurück, und auch hier werden Freunde überschaubarer Handlungen und sinnmachender Erklärungen nicht auf ihre Kosten kommen. Dafür sollten sich Liebhaber kunstvoller Fantasy-Szenarien und berückender Bildcollagen den Termin im Spielplan rot ankreuzen. Wird nicht umsonst allenthalben mit "Pans Labyrinth" und Gilliams "Tideland" verglichen, und hat auch mir zuweilen hübsch die Härchen aufgestellt.

Eindeutig in die Abteilung Partyfilm gehört Pig Hunt (US 08) von "Jason X"-Regisseur James Isaac. Fünf junge Städter beiderlei Geschlechts fahren ins kalifornische Hinterland zur Wildschweinjagd. Auch die örtlichen Hillbillies dort gehen gern auf Sauhatz und erzählen sich die Mär von einem kapitalen Keiler, gegen den selbst "Razorback" wie ein Marzipanschweinchen rüberkommt. Natürlich geraten sich Honkies und Städter irgendwann ins Gehege, und dann werden wie gewöhnlich aus Jägern Gejagte. Hat man alles schon irgendwo gesehen, aber das ist ja im Genrefilm nicht unbedingt ein Nachteil. Zumal es "Pig Hunt" nicht bei einem Motiv belässt. Es gibt die Städter gegen die Rednecks, es gibt wilde Verfolgungsjagden mit skurrilen Vehikeln und noch skurrileren Fahrern, es gibt eine Horrorfilmheldin, die lieber schießt statt quiekt, es gibt eine kiffende und grasproduzierende Hippiekommune, wo sich Charles Manson und die Elfen aus "Ritter der Kokosnuß" Gute Nacht sagen, und es gibt natürlich ein Wunderwarzenschwein, mit dem nicht gut Trüffel suchen ist. Die Tonlage ist rauh, aber herzlich, und wer so einen richtigen Schenkelklopfer mit Blut und Möpsen, trockener Situationskomik und ironischem Genrezitat sucht, sitzt bei der Schweinejagd in der ersten Reihe.

Hoch droben in Arktis taut das ewige Eis, und am kanadischen Polarkreis staunt das wissenschaftliche Team von Dr. David Kruipen (Val Kilmer) über einen nun langsam vom Permafrost freigegebenen Mammutkadaver. Unterdessen schnüren weitab in der Zivilisation Kruipens schöne Tochter und ein paar ihrer Uni-Kommilitonen die Rucksäcke, um den Biologen in der Einöde einen lehrreichen Besuch abzustatten. Papa Kruipen ist über die anrückenden Feldforscher alles andere als erfreut, denn in dem Mammut, so schwant ihm inzwischen, wohnt eine Lebensform, die, käme sie einmal in Kontakt mit der Zivilisation, vielleicht das Ende derselben bedeuten würde. Von den ersten Minuten hat mich The Thaw a.ka. "Frozen" (US 09) gepackt und an John Carpenters "The Thing" erinnert, da hätte es nicht einmal der vielen Ähnlichkeiten im weiteren Verlauf der Handlung bedurft. Eine einsame Forschungsstation im kalten Nirgendwo, ein paar Typen, die sich gegenseitig belauern, weil sie nicht wissen, wer schon infiziert ist und wer noch nicht, Gewehre, ein Hubschrauber, wissen, was das Richtige ist, und doch das Falsche mal versuchen. Leben wollen. Überleben. Klaustrophobie im Eis, fieses, schmerzhaftes Bodysnatchers-Gewimmel. Freunde des stimmungsvollen schleichenden Schreckens und der wohlplacierten Schockentladung genehmigen sich das im Kino.

Bearbeitet von hoolio21, 23. Juli 2009, 02:39.

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#67 hoolio21

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Geschrieben 20. August 2009, 00:29

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Vorletzten Freitag wieder zwanglose Runde in der Maistraße. Alle möglichen Nahrungsgruppen sind vertreten, Medientypen und Kulturschaffende von hier wie da, dazu auch mal ein Konditor, nen Doktor, eine Lehrerin, oder ein Weinhändler. Einzige Gemeinsamkeit: Filmfreunde. Die meisten Gäste sind jünger als ich, viele zwischen 30 und 40, die jüngsten so um die 20, nur Florian und Thomas Gaschler sind, wenn sie denn mal mit von der Partie sind, älter als ich. Wir sind die einzigen unserer und der älteren Generation, die sich ganz und gar dem Computerspiel geöffnet haben, die GTA, Counter Strike und Doom spielen, ältere als uns gibt es da nicht, alle anderen sind jünger. Glauben wir manchmal. Der Blick in meine Generation und die davor scheint uns recht zu geben. Kurz, ich komm mit den Jüngeren besser klar, finde sie oft interessanter, weniger limitiert und festgefahren in ihren Interessen und Ansichten. Vielleicht irre ich mich, aber ich habe das Gefühl, dass die heute 35jährigen und 25jährigen offener für Horizonterweiterung sind, als die meisten meiner Generation es heute sind oder damals waren, als ich 35 und 25 Jahre alt war. In den 80ern haben sich viele kulturell oder politisch in eine Schublade gesetzt und das Ding von ihnen zugezogen. Selbstdefinition per Abgrenzung, die niedrigste aller Bewußtseinsformen.

Heutzutage habe ich Hiphopper wie den Alin, der zum Fußball geht, Animé liebt, aufs Metallica-Open-Air fährt, Nazis aufs Maul haut, Schwule hasst und liebend gern zu irgendwelchem Discozeug abtanzt. Und auf 22 Kinder spekuliert wie die Verwandten in den Emiraten, damit er zwei Fußballmannschaften gegeneinander spielen lassen kann. Dieser Alin, mit dem sich die meisten meiner schwulen Bekannten gut verstehen würden, hat mir letztens erklärt, was ihn so an der Natur und der Schöpfung fasziniert. Als Beispiel brachte er die japanische Honigbiene, über die er mal eine Dokumentation auf einem Bildungskanal gesehen hatte.

Im Vergleich zur sprichwörtlich bienenfleißigen europäischen Honigbiene ist so eine japanische Honigbiene offenbar ein ziemlicher Faulpelz. Also hat man in Japan europäische Honigbienen importiert, auf dass die Honigproduktion gesteigert werde. Auftritt japanische Hornisse. Die japanische Hornisse ist ein begeistertes Leckermaul und ein gnadenloser Bienenkiller. Wenn so eine Hornisse ein Bienennest entdeckt, fliegt sie hinein, inspiziert gründlich örtliche Gegebenheiten sowie Stärke des Gegners und fertigt eine abstrakte Wegbeschreibung an. Wenn sie dabei von den aufgeregten Bienen attackiert wird, stört sie das nicht, denn deren Stachel prallen an ihrem Panzer ab. Dann fliegt die Hornisse fort und holt ihre Freunde. Gemeinsam knöpft man sich den Bienenstock voll dicker, fleißiger Eurobienen vor. Diese lassen sich zur Verteidigung nicht lange bitten und greifen die japanischen Hornissen wie wild an. Die Hornissen aber betreten in Ruhe die Kammern, lassen sich von den Angreifern nicht stören, und beißen einfach nur jeder Biene, die ihnen gerade zu nahe kommt, den Kopf ab. Knaps. Knaps. Knaps. Die japanische Hornisse hat alle Zeit der Welt. Knaps. Am Ende herrscht beinahe so etwas wie Friedhofsruhe. Die Hornissen tun sich am Honig gütlich, und der Boden des Bienenstocks ist nicht mehr zu sehen vor säuberlich separierten Körpern und Köpfen. Nicht eine einzige Biene bleibt übrig. So erging es der europäischen Honigbiene in Japan.

Und nun alle Scheinwerfer auf den Faulpelz. Bemerkt die japanische Honigbiene, dass eine neugierige Späherhornisse ihren Bau betritt, versucht sie erst gar nicht, diese zu stechen. Stattdessen stürzt sich der ganze Schwarm wie ein dicker Lappen kollektiv auf den Eindringling, setzt sich auf ihn drauf und hindert ihn auf diese Weise, sich zu bewegen, Bienen zu töten oder das Weite zu suchen. Nun, wo der ganze Bienenhaufen dicht an dicht, Biene an Biene, Schicht für Schicht, auf der Hornisse hockt, fangen alle gleichzeitig an zu brummen und mit den Flügeln zu rasseln. Und erhöhen auf diese Weise die Temperatur in ihrem Inneren. Nicht viel, nicht sonderlich dramatisch, nur so bis auf Körpertemperatur der Biene und ganz knapp drüber. Die Hornisse hat eine etwas niedrigere Körpertemperatur als die Biene. Die Biene weiß das. Und sie weiß, wie sie es anstellen muß, ihr einzuheizen. Der Späher wird abgebrüht, seine Leute werden nie erfahren, wo die Bienen ihr Nest haben. Japanische Honigbienen überleben. Meistens. Ist das nicht ergreifend? Wahre, anrührende Größe. Wer hat ihnen den schwarzen Monolithen hingestellt, in ihr japanisches Zuckerwachsmuseum. Das macht den Alin sprachlos. Und dafür liebe ich ihn.

Something to play with

Am Freitag vor einer Woche ging der Fußball wieder los. Das bedeutet für meine Gäste, zumindest für die darunter, die vor 22 Uhr kommen (du kannst auch noch um 3 klingeln), das sie der Tortur mindestens eines Fußballspiels ausgesetzt sind. Meistens das Spiel der 1. Bundesliga um 20.00 Uhr auf Premiere. Mein Gast von Premiere erzählt, dass man da inzwischen beinahe rausgeworfen wird, wenn man noch das Wort Premiere benutzt. Sky! Sie trauen sich in Unterföhring nicht mal mehr mit ihren Premiere-Schirmen auf die Straße, wenn es regnet, denn man könnte als Mitarbeiter deswegen abgemahnt werde. Neue Sky-Schirme sind aber noch nicht angekommen. Habe mal bei dem Kackladen gearbeitet, als er noch DF 1 hieß. Da haben sie mir 3.000 Dehmark pro Monat gezahlt, bloß, damit ich einmal in der Woche zu einer Konferenz komme und ihnen Vorschläge unterbreite, wie sie ihr Programm in punkto Sex und Gewalt tunen können, ohne zuviel Ärger mit der Zensur zu riskieren. Die haben damals ne Menge gute Vorschläge von mir bekommen, viel darüber gelacht, und nicht einen davon verwirklicht. Ich denke, sie haben meine Papiere heute noch da in der Schublade, und ab und zu, wenn die obersten Krawatten brav waren, kommt der Chef und liest ihnen zur Belohnung ein bisschen daraus vor. Und dann lachen sie.

Ha ha. Seht nur. Um Zwanziguhr, direkt gegen die Tagesschau, wollte der eine Nachrichtensendung setzen! Wo dann eine nackte Frau mit mächtigen natürlichen Brüsten und einem ebenso natürlichen Sprachfehler (Stottern, vielleicht) die ganz normalen Nachrichten des Tages mit den ganz normalen Bildern dazu vorliest. Die Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums gibt bekannt, dass die Kassenbeiträge für Freizeitsportler im kommenden Jahr drastisch angehoben werden. Und so weiter. Das wäre doch gleich viel interessanter als die übliche Krawatte. Warum sollte denn ein gesunder heterosexueller Kulturmensch noch die Nachrichten auf ARD oder RTL II gucken, wenn man sie bei uns alle Tage mit dicken Titten bekäme. Drei Fliegen / Formate mit einer Klappe: Information, Erotik, Comedy. Von allem nicht zu knapp. Plus garantierter Aufmerksamkeit in den Medien, samt Wo-soll-das-alles-enden-Debatte in der Quasselbude. Das beste: Rechtlich kaum zu beanstanden. An besonderen Katastrophentagen, wie beim Attentat aufs World Trade Center etwa, hätte man ihr einfach mit einem Stück schwarzen Klebeband die Nippel überklebt und vorher eine paar getafelt (für die Tränen). Wir hätten die Scheiß-Tagesschau abgeschossen. Aber glaubt ihr, die feigen Memmen hätten sich das getraut? Nix da ! Lieber haben sie irgendwann angefangen, mir nicht mehr regelmäßig 3.000 Mark zu zahlen für solche Geistesblitze. Und genau deshalb krepelt Ihr heute bei 1,4 Mio. Abonnenten rum. Nach Abzug der Karteileichen und Geschenkabos. Ihr habt es ja so gewollt. Ha ha.

Oh, ich bin wieder abgeschweift. Na dennchen. Auf meinen legendenumwobenen Freitagstreffen laufen immer gleich mehrere Dinge gleichzeitig zur optischen Berieselung oder Ablenkung im Hintergrund. Auf dem TV-Schirm zumeist ein selbstgefertigter, unkommerzieller Filmausschnitt- und Videoclip-Mix. Entweder eine Glockenbach Rundschau (das alternative Dvd-Herrenkulturmagazin aus München), oder eines meiner ca. fünfzig Arche-Mixtapes, die als Fenster zu meiner Filmsammlung dienen und auf vier Stunden Laufzeit jeweils so um die fünfzig Ausschnitte aus diversen in meinem rechtmäßig erworbenen Besitz befindlichen Spiel- und Dokumentarfilmen beinhalten. Das plätschert dann mehr oder weniger unauffällig im Hintergrund, bis von Zeit zu Zeit etwas kommt, was alle interessiert, und liefert immer mal wieder gute Stichworte für Debatten. Außerdem weckt es zuweilen den Appetit der Gäste auf Filme, die sie noch nicht kannten oder wieder einmal gucken sollten. In einer anderen Ecke des Wohnzimmers läuft auf einem zweiten Bildschirm, dem des Computers, Sliderbaby (The Big Butt and Spanking Slideshow), eine repräsentative Chronik des 21. Jahrhunderts in 10.002 erotischen Bilddateien. Diese zwei Bildschirme nennt man auch die zwei Lavalampen, weil sie ständig laufen und demjenigen Ablenkung versprechen, der sich vom Diskurs gerade etwas zurück nimmt oder einfach nur die Beine hochlegen möchte, um etwa den Kamillentee auf seine Neuronen wirken zu lassen. Und nun gibt es stattdessen wieder immer erst zwei Stunden Fußball. Zumindest auf einem der Schirme.

Für manche meiner Gäste ist das die volle Zumutung. Sie jammern und zagen wie kleine Mädchen („schon wieder Fußball“), und kommen an solchen Tagen bewusst erst später. Andere dagegen mögen die Abwechslung und wissen es zu schätzen, wenn ihnen der Einblick in eine fremde Kultur durch sachkundige und erhellende Kommentare wie die meinigen erschlossen wird („Ey, du Fotze! … Ohne Hitler gäb’s doch Wolfsburg gar nicht … Das ist Lehmann, den hassen wir.“). Und wenn die Fußball-Laien etwas mal nicht so ganz verstehen, dann glänzen sie durch kluges Nachfragen.

„Wer ist denn Wir?“

Wie bitte meinen? „Ja, wer ist wir? Du sagst schon die ganze Zeit immer wir oder uns.“ Leises Glucksen im Rund. Den Mund des Fragestellers umspielt ein maliziöses Lächeln. Jetzt hat er mich am Wickel. „Nun, wir, das wäre in diesem Fall wir Bayern. Im Sinne von FC Bayern München.“ Ein großes Gelächter hebt an. „Du bist das also, harharhar! Spielst du da mit?“ Langsam erhebe ich mich aus meiner unbedingt lendenwirbelgerechten Sofa-Lümmellage. Es wird wohl Zeit für etwas Grundsätzliches. Also Kinder, gebt fein acht.

Ich gehe jetzt seit über dreißig Jahren zu Spielen von Bayern München. In einer Zeit, in der es in Bundesligastadien nicht so gesittet und fröhlich zuging wie heute und der Besuch eines Auswärtsspiels in gegnerischen Farben leicht zu ernsthaften Verletzungen führen konnte, bin ich mit Kutte, Trikot, Gang-Sticker auf der Jacke und/oder langem rotweißen Schal von Deutschlands bestgehasstem Verein in Städten wie Gelsenkirchen, Köln, Dortmund und Düsseldorf aufgelaufen. Schließlich hatte ich es als Kind des Potts zunächst ein bisschen weit zu den Heimspielen. Manchmal sind wir rund um so ein Spiel nur um unser Leben gerannt, bis wir irgendwann genug Erfahrung und Wut und gute Leute gesammelt hatten, dass auch die anderen mal gerannt sind. Ich habe mir für den FC Bayern Knochen brechen, mich anpissen und vor den Kopf treten lassen. Wir sind mit Steinen beworfen worden, in Leverkusen ist auf uns geschossen worden, und in D-Dorf haben uns die Spaßvögel in hohem Bogen mit Scherben gefüllte Plastiktüten über den Zaun in den Block geworfen. Ich habe Anzeigen bekommen für den Verein, Blut und Tränen vergossen für den Verein, und abertausende von Kilometern zurückgelegt, um den Verein zu unterstützen, obwohl ich pekuniär lange ein armes Schwein war. Später, als ich etwas ruhiger (und wohlhabender) wurde, wechselte ich auf die Tribüne und kaufte mir eine Dauerkarte für einen Block, in dem noch viele andere alte Südkurvler sitzen. Dort unterstützen wir den Verein bis heute, opfern ihm Geld, Freizeit, Nerven, Gesundheit. Ich bin mehr Bayern als jeder Profi, der für ein paar Jahre das rote Trikot trägt, und ich werde es noch sein, wenn die längst weiter gezogen sind und anderswo ihre Schecks einlösen. Das ist wir. Mir san mir.


Tee im Harem des Archimedes
(F 85 "Le Thé au harem d’Archimede")

Natürlich interessierten mich und meine Freunde Filme, die von Jugendbanden handelten, immer ganz besonders. Kann mich gut erinnern, mit welchen Gefühlen wir im Herbst 1979 in "The Warriors" strömten, und wie danach Mitglieder unserer großen Gruppe schon direkt vor dem Kino randalierten und das Gezeigte unter lautem Kampfgeschrei in kleinen Vorführungen interpretierten. Für ein, zwei Jahre beschäftige uns der wirklich. Eine Kutte musste es danach schon sein, auch wenn zur selben Zeit bereits die ebenfalls verlockende grüne Bomberjacke in große Mode kam (hauptsächlich wegen Martin Shaw in "Die Profis", wie ich mich zu erinnern glaube). Später allerdings erkannte ich, was für einem weltfremden Christopher-Street-Day-Umzug man da aufgesessen war, mit seiner komischen Streetgang, in der alle Rassen Freunde waren und niemand Drogen nahm, Unschuldige angriff oder sonst etwas Böses tat. Mit geschminkten und aufgetakelten Streetfightern, die auf Rollschuhen zu ner Schlägerei kamen. Solche Gegner hätten wir auch gerne gehabt.

Eine andere Sache war "Uhrwerk Orange". Vor dem standen und staunten wir wie die Steinzeitmenschen in "2001" vor dem schwarzen Monolithen. Doppelbödig, bildgewaltig, künstlerisch, monumental. In Gänze für uns unentschlüsselbar (das wäre heute noch ne Aufgabe), aber irgendwie wie eine große gloriose Verherrlichung unserer schlimmsten Gedanken. Wie passend, daß ich auch noch auf Beethoven stand (hörte als Kind überhaupt nur Klassische Musik). "Uhrwerk Orange" im Kino zu besuchen, galt als Mutprobe, weil hier Leute zu Interpretationen des Gezeigten inspiriert wurden, die nicht unbedingt nur aufgeputschte Jugendliche wie wir waren. Sondern richtig gemeine, erwachsene Schläger, vor denen wir mit Fug und Recht einen Heidenrespekt hatten. "Uhrwerk Orange" war klug, kalt und stylish. Das brannte sich in unseren Kopf und veränderte uns. Machte ein Stück erwachsener und bereit für mehr Ultrabrutales (und bessere Filme). Wenn ich mal über den schreibe, was irgendwann gewiss hier geschieht, staubt es. Mein Lieblingsfilm, der Film meines Lebens. Aber weder "The Warriors" noch "Clockwork Orange" hatten bei näherer Betrachtung viel mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun. Auf einen Film, der das leistete, warteten wir lange vergeblich. 1986 war er da.

Madjid (Kader Boukhanef) und Pat (Remi Martin) sind die besten Kumpels. Gemeinsam wohnen der Algerier und der Franzose draußen vor den Toren von Paris in der kuscheligen Trabantenvorstadt. Madjid bei seiner Familie in einer der Betonburgen, und Pat, der von zu Hause weggelaufen ist, irgendwo im aufgebrochenen Keller derselben. In der Trabantenstadt lebten damals noch viele Franzosen, weshalb neben Schwarzen und Algeriern auch einige Weiße zu der lockeren Clique gehören, die sich jeden Morgen mit Pat und Madjid im kleinen Bistro von Malouda an der Bushaltestelle zum ersten Croissant trifft. Madjid erzählt seiner Mutter gern, er sei auf Jobsuche, doch in Wahrheit hat er dazu nach der soundsovielten Ablehung wegen des falschen Passes keine große Lust mehr. Pat kennt solche bürgerlichen Anwandlungen überhaupt nicht mehr, seit er die Schule geschmissen hat, lässt er sich stets von der Laune des Augenblicks treiben. Wenn Pat und Madjid nichts besseres vorhaben, fahren sie mit der Metro in die Stadt, um irgend einem achtlosen Landei die Brieftasche zu stibitzen, oder sie gehen auf den Spielplatz, holen die verlebte Säufermutter ab und schicken sie für ein paar Franc auf den benachbarten Gleisarbeiterstrich. In Acht nehmen müssen sie sich vor der Gang der Älteren, doch wenn es gegen Cops oder die Spießer aus dem Haus geht, stehen die Älteren zu den Jüngeren. Pat und Madjid haben aber auch eine weiche Seite, wenn sie traurige Schwestern aufheitern, den im Algerienkrieg traumatisierten Vater aus der Kneipe abholen und mal schnell den Kleinen vom Kindergarten herbei schaffen, damit die verzweifelte Hausfrau sich das mit dem Sprung aus dem achten Stock noch einmal überlegt.

"Tee im Harem des Archimedes" hat keine zu Musik choreographierten Schlägereien oder Zeitlupengewalt. Er benutzt keine trendigen Charts-Titel und setzt kein Ausrufezeichen hinter irgendeinen (konstruierten) subkulturellen Dresscode. Er hat nicht einmal eine richtige Bande, die einen richtigen Namen trüge und mit einer Art Erkennungszeichen herum liefe. Und vielleicht auch deshalb haben manche von uns sich in den beiden Typen da sofort wieder erkannt, und praktisch jede ihrer Handlungen nachvollziehen können. Wie sie der besorgten Mutter zu Hause vorspielen, sie gingen einer ordentlichen Tätigkeit nach. Und dann doch den ganzen Tag herumlungern. Wie sie die Chefs und Lehrer nicht ernst nehmen und verarschen und nicht an morgen denken. Wie sie jedes Anzeichen von erwachsener Autorität als nackte Provokation interpretieren und nicht immer mit Bedacht darauf reagieren. Wie sie sich mit ihren eigenen Vätern kloppen wie die Kesselflicker in den Kellerkatakomben und dann noch ein Auto flambieren (wir sind schließlich in Paris). Wie sie ins Kino gehen, und es läuft natürlich ein Kettensägenfilm (der Zuschauer hört ihn nur, aber es reicht). Wie sie in der Disco die Mädels aus der besseren Gegend der Stadt abschleppen, doch etwas Ernsthaftes würden die mit den beiden Losern nie anfangen. Wie sie entdecken, dass die Schwester des besten Freundes eine Hure ist, und nicht wissen, wie sie ihm das sagen sollen. Wie sie einen Wagen klauen, nicht, um ihn zu verscherbeln, sondern um damit ans Meer zu fahren. Wie sie wenigstens noch mal kurz durch die Wellen springen, bevor Madjid da auf der Uferpromenade verhaftet wird („Wenn wir das Meer sehen, denken wir, wir sind zu Hause.“). Und wie Pat, der den Bullen entkam, am Ende der Straße wartet und den Daumen in den Wind hält, wenn die Flics mit seinem Kumpel vorbei fahren.

"Tee im Harem des Archimedes" ist groß, kraftvoll und aufrichtig. Kein effekthascherischer Genrefilm, kein weinerlicher Pathos, und keine Glorifikation irgendeiner romantisch interpretierten Form von Gewalt. Es gibt sogar nur relativ wenig Gewalt in "Tee im Harem des Archimedes", angesichts der Lebensumstände derer, von denen er handelt. Lieber zeigt man minutenlang den niederschmetternden Versuch einer völlig hoffnungslosen Frau, ihrem von all den Sorgen nichts ahnenden, hyperaktiven Schreikind Abendessen und Nachtlager zu bereiten. Bevor sie selbst völlig erschöpft auf ihr Bett sinkt und ihren Kopf leider nicht ausschalten kann wie die Lampe, in ihrem Betonsilo ohne Arbeit, Perspektive, Mitleid, Liebe, Licht. Aus. Mehdi Charefs Paris ist nicht das romantische Paris der Verliebten der Amelie (das es auch gibt, zweifellos), und auch nicht das stilvolle gefarbfilterte Möchtegern-Superghetto von "Banlieu 13" (das es nicht gibt). Es ist das ganz normale Großstadt-Frankreich abseits der repräsentativ heraus geputzten Innenstädte, wie es dich auch in Lyon, Marseille oder Rennes angähnt. Bevölkert von den dazu gehörigen Typen, die eben in der Regel keine Streetfighter oder Drogendealer sind, sondern Rentner, ungelernte Fabrikarbeiter, die als erste fliegen, Stützeempfänger und kinderreiche Migrantenfamilien. Filme wie solche entwickeln manchmal die Tendenz, unangenehm den Zeigefinger zu heben, Schuldgefühle beim Betrachter zu suggerieren (so etwas passiert, während DU ein Schnitzel isst) oder gar ein ideologisches Süppchen darauf zu kochen. Nicht bei Regisseur Charef. Er zeigt die Dinge, wie sie eben sind, weist unaufdringlich auf mögliche Alternativen hin, vergisst nicht, hier und da einen Hoffnungsschimmer oder eine Prise Humor einzuweben, und ist voller Sympathie für seine Bande von Verlierern, denen es in Wahrheit nicht an guten Anlagen mangelt. Wer weiß, vielleicht wird ja der eine oder andere von ihnen später ein Poet. Oder ein Filmschauspieler. Oder ein Prime Time TV-Gestalter (tihi). Tot und blutend im Rinnstein liegt jedenfalls am Ende keiner. Muß ja auch nicht immer sein.

Bearbeitet von hoolio21, 20. August 2009, 03:21.

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#68 hoolio21

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Geschrieben 03. September 2009, 19:56

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Ein Grünspecht! Nachdem ich schon den ganzen Sommer über bei meinen täglichen Ausflügen auf dem alten Münchner Südfriedhof eine neue kräftige Schreistimme vernahm und immer mal wieder für Bruchteile einen großen hellen Vogel wahrzunehmen glaubte, der nicht in die bekannten Schablonen passte, hat er sich mir heute offenbart in seiner ganzen Pracht und Größe. Nachdem ich lange genug reglos dagesessen hatte mit der Süddeutschen und dem Messingköpfchen in der Hand, peilte er, der gerne pfeilschnell einen halben Meter über dem Boden saust, den Grabstein keine zwei Meter mir gegenüber an. Diesen umkletterte er sodann auf der Suche nach einem fetten Käfer in vollem Umfang, zeigte sich von allen Seiten, um dann meinen Blick zu treffen und wie der Blitz wieder dreißig Meter zwischen sich und den Homo Sapiens zu bringen. Dabei hätte ich ihm gerne den Unterschied zwischen Homo Sapiens und Homo erklärt, wie er im Glockenbachviertel auch häufig anzutreffen ist. Na gut, dann eben beim nächsten mal. Ziemlich matt noch das Grün im Grünspecht und auch das rote Mützchen, vermutlich ein Jungtier. Aber immerhin.

Als Kind interessierten mich sowohl Filme und Filmschauspielerinnen (bzw. was ich dafür hielt) als auch Lego, Lesen oder Klassische Musik. Wenn aber das Wetter gut und die Bedingungen nicht allzu unwirtlich waren, begab ich mich hinaus ins Grüne, um in den weitläufigen Wäldern, Wiesen und Feldern rund um mein Heimatstädtchen Ennepetal Naturbeobachtungen anzustellen und mit meinen begrenzten Kindermitteln zu jagen und zu sammeln. Begleitet wurde ich dabei in der Regel von meinem guten Freund Christian, dem Sohn eines mächtigen Industriekapitän, Arbeitgeber und Besitzer einer im Herzen des Städtchens gelegenen Schraubenfabrik von Weltrang (ABC, um präzis zu sein). Gemeinsam streiften wir durch die Natur, legten viele Kilometer zurück, ohne, dass unsere Eltern ahnten, wo wir uns befanden, und sammelten Tierbeobachtungen (und manchmal ganze Tiere) wie andere Leute Pokale, Bierdeckel oder Actionfiguren.

Wenn ich heute auf den Südfriedhof oder in die Isarauen gehe, stehen meine Aufenthalte dort auch in dieser Tradition. Und nie hätte ich mir als Kind träumen lassen, was heutzutage mitten in so einer Großstadt naturlich möglich ist. Als Kinder waren wir der festen Überzeugung, dass im Jahr 2009 die Welt zubetoniert wäre. Deshalb haben wir später auch "Blade Runner" nicht geradeheraus ausgelacht. Als Kindskopf habe ich wirklich geglaubt, die Umweltverschmutzung werde einmal den Himmel verfinstern und den Wald fressen. Und in den frühen 70ern am Rand des Ruhrgebietes konnte es einem auch manchmal so vorkommen. Heute lebe ich in einer Stadt, in der es 3000 Füchse gibt. Drei Tausend. Wenn die nach 23 Uhr ihre gemütlichen Quartiere in den Grünanlagen verlassen, um die Müllcontainer hinter den Restaurants, Küchen und Kantinen abzuklappern, sind sie vermutlich schon spezialisiert auf regionale Delikatessen. Die einen Füchse gehen lieber zum Chinesen, die anderen stehen mehr auf Döner, und wieder anderen fressen am liebsten den Whopper vom Burgerking. Wenn es stimmt, was manche Wissenschaftler glauben, dass nämlich die Intelligenz des Menschen mit der Zunahme gegarter Speise einher ging, dann schnallen sich unsere Füchse demnächst wahrscheinlich vor der Restaurantpatrouille Armbanduhren um („Zwölf nach, Alter. Die U6 nach Thalkirchen!“).

Der Schakal

In den Isarauen haben Waschbären(!) ein ähnliches Verhalten kultiviert, wenn es darum geht, langweilige Bucheckern sinnvoll mit Kalorienbomben zu ergänzen. Tagsüber pennen sie in den Baumkronen der die Ufer säumenden Baumriesen, nachts statten sie den Grillplätzen der Humanoiden auf den Kiesterrassen entlang des Flusses Visiten ab. Und seit in Wien der erste Goldschakal am Speiseabfallcontainer gesichtet wurden, erwarten wir auch in der Hauptstadt der Bewegung stündlich die Ankunft dieses südlichen Balkanbewohners. Danach wird er nicht mehr vom Aussterben bedroht sein. Im gerade meterbreiten und -tiefen Glockenbach, nach dem mein Heimatviertel benannt ist, stehen jetzt im Spätsommer unterarmlange, dicke Saiblinge oder Forellen vor und hinter quasi jeder Fußgängerbrücke und können daselbst von einem geschickten Schwarzangler, der bloß eine Schnur mit kleinem Haken und Weißbrot am Zeigefinger benötigt, in Massen geerntet werden. Glaube kaum, dass einer der benachbarten Bohemiens, Rosa-Liste-Wähler (stellen bei uns den Bürgermeister!) und Waldorfmuttis sonderlichen Anstoß daran nähme. In der Straße, in der ich wohne, stellen in den Abendstunden Scharen von Kleinen Hufeisennasen im Licht der Straßenlaternen den Faltern nach, und wenn man ein bißchen auf dem nächtlichen Balkon verweilt, wird man wahrscheinlich Augenzeuge, wie der Steinmarder zu Streifzügen in die Hinterhöfe ansetzt und dazu den Knick zwischen Bordsteinkante und Straße unter den geparkten Autos als rundum geschützte Rennpiste nutzt. Dann kommt es schon mal zu Konfrontationen mit Hauskatzen, welche meist dergestalt verlaufen, daß der Marder reglos auf den Boden verharrt und die Katze gebannt fixiert, während diese im Halbkreis gemessenen Schrittes einen Bogen um das Wildtier schlägt und es dabei ebenfalls keine Sekunde aus den Augen lässt. Laute nächtliche Kämpfe sind keine Seltenheit, finden aber, so weit ich das beurteilen kann, ausschließlich Marder gegen Marder oder Katze gegen Katze, kaum aber zwischen den Arten statt. Jedenfalls nicht bei denen.

Auf dem Südfriedhof rockert eine ganze Kolonie von Buntspechten herum und liefert sich mit den ebenfalls zahlreich vertretenen Eichhörnchen wilde Streitereien um dieselben Nisthöhlen, Schmieden und Laufwege. Weil es so viele von beiden gibt, siedeln sich zunehmend Greifvögel an, darunter ein echter Riese, der nur in den höchsten Wipfeln hockt und selbst da einen Menschen, der ihn entdeckt hat (ein Vogel weiß das immer), nicht näher als zwanzig Meter an den Stamm heran lässt, auf dem er hockt, ohne das Weite zu suchen. Trotzdem wohnt dieses ungeheuer scheue Tier auf dem Südfriedhof oder in seiner Umgebung mitten im Zentrum einer Millionenstadt. Genauso wie das Wanderfalkenpaar, dass seit einigen Jahren im ausnehmend hässlichen Turm des Heizkraftwerks Süd haust. Für einen Wanderfalken oder einen Habicht oder eine Fledermaus oder auch bloß einen Buntspecht wären wir als Kinder kilometerweit gelaufen und hätten uns tagelang zuregnen lassen, bloß um aus vierzig Metern Entfernung einen kurzen Blick darauf zu erhaschen. Einfach nur mal einen Buntspecht gesehen haben (sie sehen aus wie fliegende Edelsteine). Von einem Uhu ganz zu schweigen, wie er oben an der Allianz Arena nahe der Isar jagt und schon oft von uns am Himmel beobachtet wurde, beim Rückweg von irgendwelchen Champions League-Spielen. Wahrscheinlich holt er sich nachher die superfeine Thüringer, die sie unten direkt am Aufgang von der U-Bahn Fröttmaning verkaufen.

Ich mußte in eine Großstadt ziehen, um meinen ersten Buntspecht zu sehen, meinen ersten Uhu, meinen ersten Gänsesäger, die kleine Hufeisennase vor meinem Balkon, den ersten Kauz, wie er direkt vor meinen Füßen eine Maus fängt und wegträgt (ein leises langes quiiiiek …). Auf meinen kindlichen Exkursionen und sommerlichen Bergwanderungen war mir derlei nie vergönnt. Und ich musste bloß den Sportteil aufschlagen, wo dieselben Experten, die letzte Woche noch auf unserem Grab tanzten, heute das Zerwürfnis zwischen Van Gaal und Ribery besingen, bevor ich den ersten Grünspecht meines Lebens sah und, ja, persönlich traf, möchte ich beinahe sagen. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, doch ich fühle mich, wieder einmal, von Gott berührt. Und schätze es noch ein Stück mehr, in dieser Zeit in diesem Viertel in dieser Stadt zu leben. Wo gestern das Fantasy Filmfest losging. Aber das ist eine andere Geschichte.


District 9
(US/NZ 09)

Wie diese zum Beispiel. Eine Pressevorführung letzte Woche Donnerstag im Gabriel, und alle, wirklich alle sind gekommen. Ich entdecke Ecki Vollmar und Frank Brauner, Thorsten Krüger und Peter Koberger. Gebhard Hölzl von den Misfits ist da (… gib mir Tiernamen), Göttler von der SZ, Pauli vom Focus, der halbe Entertainment Media Verlag, und die beste Ex von allen. Und der, und der, und die. Warum bloß der Andrang? Und warum bin ich da? Ich, der im Jahr so im Schnitt auf drei bis vier Pressen geht. Obwohl er auf jede könnte, und sie wirklich vor der Haustür stattfinden. Nun, ich bin da, weil Ecki die Karte fürs Wolfsburg-Spiel hat. Und ich mal gucken wollte, ob sich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden lässt. Von dem Film weiß ich wenig bis nichts. Nur so viel: Daß er auf dem Fantasy Filmfest einen prominenten Platz einnimmt, von Peter Jackson produziert wurde, und wohl dem Genre Science fiction zuzuordnen ist. Vor Ort in der Lobby erfahre ich mehr. Ein Hammereröffnungswochenende an Amerikas Kinokassen soll er hingelegt haben, und euphorisch gefeiert werden in den Internet-Fanforen, als ziemlicher Nobody. Nun, ein bekannter Star spielt da tatsächlich nicht mit. Produzent Jackson ist von allen Beteiligten überhaupt der einzige, dessen Namen ich schon einmal gehört habe. Ein südafrikanischer Regisseur habe da einen südafrikanischen Film gedreht, raunt man, und es sei vielleicht der Sf-Film des Jahres. Na dann bin ich ja richtig. Ein Käffchen noch, und los mag’s gehen.

Am darauf folgenden geselligen Freitagabend wieder mal festgestellt, wie sehr "Independence Day" Maßstäbe gesetzt hat (denn drei der Anwesenden hatten "District 9" gesehen, und zufällig lief das Mixtape mit dem Buchstaben i). Was für gute CGI-Effekte "Independence Day" hat. Besonders, wenn sich die fette Untertasse erstmals über Manhattan schiebt. "District 9" geht so ähnlich los. Mit einem riesigen runden Raumschiff, wie es einfach nur von einem Tag auf dem anderen da ist, auf die Schwerkraft scheißt und vom Himmel hängt wie eine umgedrehte Pyramide direkt über dem Ghetto von Johannisburg, so, als hätte es schon eine Ahnung, wo es am ehesten hingehört. Nicht über den Times Square, so viel steht mal fest. Es schwirren keine Angreifer heraus, es fährt kein Todesblitz darnieder. Statt dessen müssen die Menschen irgendwann selbst mal nachsehen, was es denn auf sich hat mit diesem Ding, und sich mit Schweißbrennern hinein schneiden, denn offenbar bekommen die Aliens ihre eigene Tür nicht auf. Die Außerirdischen sind dementsprechend die volle Enttäuschung. Große Wesen mit Gliedmaßen wie Menschen und entfernt an Krabben erinnerndem Outfit. Irgendwie kränklich, schimmelig, ohne rechten Antrieb, sich in Klicklauten unterhaltend, die auch dann nicht zu großer Philosophie werden, nachdem man sie entschlüsselt hat. Man nennt sie Prawns nach den Garnelen, denen sie in unseren Augen ähneln, und steckt sie in notdürftig errichtete Zeltstädte, aus denen dann in den folgenden Jahren ein Slum wächst mit Zäunen und Mauern drum herum. Ein wilder, zügelloser Slum, von dem keiner so genau weiß, was für gruselige Details sich darin abspielen. Und irgendwann schenkt dann der Führer den Krabben eine Stadt.

Sympathy for the Eichmann

Ein unscheinbarer, schlecht rasierter Bürobüttel mit zerknittertem Anzug und wenig gewinnendem Auftreten soll unterstützt von zahlreichen Amtspersonen und Schießprügeln die Umsiedlung planen und unter kalkulierten Kollateralschäden durchführen. Nur zu begeistert nimmt Wikus van de Merve (Luke-Wilson-Lookalike Sharlto Copley) den Auftrag an, winkt ihm doch als Belohnung nicht bloß ein Sprung auf der Karriereleiter, sondern obendrein die Hand der schönen blonden Tochter des IG Farben-Chefs. Doch just, als er mit seiner Arbeit beginnt, hat die außerirdische Resistance nach zwanzig Jahren mühseliger Kleinarbeit den Dreh zum Wiederbetrieb der außerirdischen Maschinen gefunden. Zwei Wettläufe gegen die Zeit nehmen fortan ihren Lauf (Menschen wollen Aliens umsiedeln, Aliens wollen ihnen zuvor kommen), aus denen bald drei werden, denn van de Merve wird mit etwas infiziert, das ihn in einen Prawn verwandelt. Und so wird er zu unserem Helden, denn mit diesem Dr. Kimble, der zu Cronenbergs Fliege mutiert, gehen wir für den Rest des Filmes auf die Flucht. Und sehen ihm zu, wie er den Prawn als Lebewesen zu respektieren lernt (seit ihm ein Arm wie diesem wächst).

"District 9" ist ein typisches effektgeladenes Science fiction-Abenteuer, das sich in alter Genretradition politisch ziemlich wichtig nimmt und mit einer simplen Metapher den Eindruck zu erwecken sucht, eine Allegorie auf Flucht und Vertreibung, Toleranz und Xenophobie, ja, den Umgang des Menschen mit Minderheiten im allgemeinen zu sein. Das mag aus einer recht naiven Perspektive für eine Zeit lang zutreffen, doch irgendwie führt "District 9" seine Gedanken und Ansätze dann in ebenso alter Genretradition nicht weiter aus, malt schiefe Bilder, verrät die eigene Position (die unfreiwilligen „Emigranten“ wollen weder Integration noch Toleranz, sie wollen nur wieder weg und höchstens noch ein bisschen Drogen und Rache) und opfert schließlich auch den letzten klugen Gedanken jenem effekthascherischen Actionfinale, mit dem so ein Science-fiction-Abenteuer nun einmal zu enden hat, ob es nun aus Hollywood oder aus Neuseeland oder aus Südafrika stammt. Und ob es dreihundert oder dreißig Millionen gekostet hat.

Was die Zeichnung des Feindbildes betrifft, macht es sich "District 9" sehr einfach und geht davon aus, dass die moderne Menschheit im Falle einer Begegnung mit Außerirdischen jene pauschal wie Dreck behandelt, ohne die ungeheuren Chancen wahrzunehmen, die in jedem anderen Vorgehen liegen würden. Selbst, wenn die Aliens wirklich missmutige Flaschen ohne jede Eigeninitiative wären, dürfte es immer noch Scharen von Idealisten und Soziologen und Wissenschaftlern (und bestimmt eine Partei oder Bürgerrechtsbewegung) geben, die sich für sie interessieren und ihre Integration befördern würden. Nicht so in dieser Vision der trüben Tassen, wo demokratische Regierungen plus UNO die fremden Wesen in unkontrollierbare Ghettos der dritten Welt pferchen und ihre Verwaltung einem skrupellosen Biotech-Konglomerat mit undurchsichtigsten Interessen übertragen. Wo der Staat die Prawns mitten in der Einkaufsmeile in militärwissenschaftlichen Folterkammern verheizt und ihnen als einzige Schnittstelle mit der menschlichen Gesellschaft kriminelle Banden erlaubt. Für dieses Tages- und Tauschgeschäft vor Ort eignen sich laut Drehbuch zauberkundige nigerianische Gangsterbanden besonders gut, was dem Film mancherorts Vorwürfe der Diskriminierung eingetragen hat, nach meinem bescheidenen Erkenntnisstand aber bloß der alltäglichen afrikanischen Realität geschuldet ist. Bei uns regt sich ja auch keiner mehr auf, wenn der Sizilianer als Mafioso, der Ire als Schluckspecht oder der Deutsche als Mordroboter gezeichnet wird.

Der einzige sympathische Charakter weit und breit ist ein vollanimiertes, kryptisch radebrechendes Alienkind. Der eigentliche Held der Geschichte aber, durch den der Zuschauer die Geschichte erkennt und liest, ist ein unterbelichteter, rückgratloser, weinerlicher Waschlappen, der stets die falschen Entscheidungen trifft, nicht das geringste psychologische Einfühlungsvermögen besitzt, aber ständig den Zeigefinger hebt, und selbst dann erst mal feige Fersengeld gibt, wenn sein bester Freund gerade schreiend geschlachtet wird und er einen Kampfroboteranzug findet, mit dessen Hilfe man einen begrenzten Nuklearkrieg gewinnen könnte. Vom Typ her erinnerte er mich an den Muttersöhnchen-Helden von "Braindead", und nicht nur in diesem Moment hatte ich das Gefühl, einen typischen Wingnut-Film vor mir zu haben. Tolle Effekte und Variationen bekannter Genremotive in farbenfrohen, grobkörnigen Digitalbildern, bevölkert von beliebig motivierten Abziehbildern und pittoresken Mummenschanzfiguren, inhaltlich wenig mehr als Vorwände für Effekte oder spektakuläre Szenen. Wer nicht mehr als das erwartet (und das ist ja schon was), sollte auf seine Kosten kommen. Warum man aber um diesen Film so einen Wind macht (Top 50 in der imdb-Bestenliste!), will sich mir auch nach längerem Reflektieren nicht erschließen.

Bearbeitet von hoolio21, 03. September 2009, 20:12.

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#69 hoolio21

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Geschrieben 14. Oktober 2009, 23:18

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„Ich liebe dich, obschon du Scheiße bist.“
(Das Evangelium nach Maulus)

Weil man nach landläufiger Ansicht zur Schaffung von etwas Herausragendem ruhig einen an der Klatsche haben darf, schafft sich der Künstler sein eigenes moralisches Universum. Auch wenn das bedeutet, als vierundvierzigjähriger Hollywoodregisseur ein dreizehnjähriges Mädchen, mit dem man allein zu Haus ist und von dem man natürlich weiß, daß es 13 Jahre alt ist, bis zum Hemdkragen mit Pillen und Alkohol abzufüllen, alle noch so eindeutigen Neins zu überhören und es gründlich durchzuficken. Und in den Arsch abzuspritzen, damit es einem am Ende nicht noch ein Kind anhängt. Noch eines, quasi.

„Das macht man einfach nicht mit einem dreizehnjährigen Mädchen.“
(Ecki)

Roman Polanski, der, nebenbei bemerkt, einer meiner fünf Lieblingsregisseure ist, sitzt also im Gefängnis, weil dieser Schokoladenschurkenstaat, den wir vermutlich aus Gründen der bequemen Steuerflucht noch immer nicht unter Italien, Frankreich und Deutschland aufgeteilt haben, beschlossen hat, dem neuen US-Präsidenten Obama Bin Baden eine Morgendreingabe zu machen, auf daß dieser schützend seine Hand über ihr Bankgeheimnis halte. Mal schauen, ob das schon reicht. Bin keiner, der sich hinstellt und Polanski deswegen großartig Vorwürfe macht. Waren halt die 70er, die Kleine war wohl auch keine Jungfrau mehr, er war breit, und ich hab auch schon Dreizehnjährige gevögelt. Als ich fünfzehn war. Und falls man das so nennen konnte. Interessant jedenfalls zu beobachten, wie sich Kulturbürger und -schaffende jeden Kalibers ungefragt gleich scharenweise mit der verfolgten Unschuld solidarisierten. Und wie der Tod der Mutter im KZ oder der Mord an seiner Frau in diesem Zusammenhang als mildernder Umstand bemüht wird. Da mag es sich manifestieren, das alternative moralische Universum.

War mal ein bißchen am Meer und habe mir den Wind durch die langen Haare wehen lassen. Bretagne, wie meistens, mit dem Mecki und dem Chris. Ein Surfer, ein Photograf und ein Angler. Da mieten wir uns dann auf einer dreiseitig vom Atlantik eingerahmten Landzunge (Cap Sizun) in einem kleinen keltischen Dorf mit fünfzig Einwohnern (think "Straw Dogs") ein kleines Häuschen, von dem aus es fünf Autominuten zu jenem Strand sind, den man im Bild von meinem Filmtagebuchbeitrag mit der Nr. 64 im Hintergrund sieht, und eine Viertelstunde Fußweg zu einer kleinen Mole unterhalb hoher Klippen, an der ich die Fische für das Abendessen fange. Das Haus ist beachtliche drei Stockwerke hoch, hat drei Schlafzimmer, eine optimal ausgestattete Küche (wichtig!) und eine Badewanne mit Atlantikblick. Dazu eine Waschküche, einen großen Garten mit Apfelbäumen, einen Schuppen voll nützlichem Krempel (Eimer, Bälle, Fahrräder, Boogie Boards, Riesenspinnen, Mistgabeln, Äxte). Und einen Fernseher mit Satellitenschüssel und DVD-Player, was ja auch nicht ganz unwichtig ist. Für letzteren hinterlasse ich der reizenden Dame, die uns ihr Haus vermietet (alleinerziehende Soccer Mom mit zwei schulpflichtigen Surferknaben, alle drei blond wie Bier), in guter Tradition jedes Mal fünf DVDs, „für die ganze Familie“. Diesmal gab es "Borat", "Gladiator", "Ananas Express", "Evil Dead" (in Frankreich ab 12!) und "Die Bären sind los". Besonders letzteren fand ich wichtig, der charmanten Parallelen wegen, falls man sich mal persönlich kennenlernt.

Nicht, daß ich im Urlaub häufig vor dem Fernseher säße. Denn nach dem Frühstück geht man raus und kommt erst wieder rein, wenn es dunkel ist. Ich ändere extra meinen Biorythmus für diese paar Wochen, von der Fledermaus zum Frühaufsteher, und nehme auch irgendwie Urlaub von den Filmen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich daheim inzwischen im Schnitt drei Filme am Tag nur für die Arbeit gucke. Und man will ja auch noch welche aus Spaß sehen (nicht, daß sich das nicht manchmal überschneiden würde). In der Bretagne gucke ich einen in drei Tagen. Höchstens. Lieber hängen wir abends vor der Kiste und zappen durch die normalen deutschen Sender, die ich zu Hause kaum noch sehe wegen DVD, Sky und Internet. Oder durch die fünf oder sechs freien französischen Kanäle, die der Bürger jenseits des Rheins sich gönnt. Da gibt es dann genug zu lernen und zu lachen für drei Leute, die mit offenem Visier durch die Gegend eiern und Spaß an Extremitäten haben.

Nachrichten sind bei meinen Begleitern eher nicht so gefragt. Nur unwichtiges negatives Zeug sei das, finden sie, Boulevard-trächtig aufgeblasene kriminelle Exzesse, Kriege und Katastrophen anderer Erdteile, Zeug also, das einen runter ziehe, obwohl es einem genauso gut am Arsch vorbei gehen könne. Dazu jener notorische Verlautbarungsjournalismus, wo Parteibonzen, Beamte und Lobbyisten, von denen man die Hälfte eigentlich getrost aufknüpfen könne, kryptische Rechtfertigungen für parasitäre Vermögensvernichtung absondern. Kurzum, ein großes Ärgernis. Kann ich selbstverständlich fast genau so unterschreiben, bin aber viel zu sehr Katastrophentourist, um auf exotische Blutbäder, Bayernergebnisse oder Andrea Nahles auf dem Oktoberfest verzichten zu wollen. Also erfahren wir doch noch so en passent, wie in München am Tag unserer 15-stündigen Hinfahrt (mon croix!) zwei jugendliche Eimer Scheiße einen rechtschaffenen Bürger erschlugen, weil dieser sie in der S-Bahn beim Berauben anderer Jugendlicher störte.

Jetzt ist wieder alles vom Bundespräsident bis zum Brückenpenner in heller Aufregung und diskutiert, was mit unserer Jugend falsch läuft. Und warum sie keine Werte mehr kennt (Was, trotz Mauli?), wie unsere Generation, oder die davor. Die flammende Rede ans Volk hält Uli Hoeneß in der Allianzarena (… wenn ich mal nicht da bin), und ich wäre gerne Zeuge gewesen, wie die alten Kämpen aus der großen Fußballrandalezeit dabei ein Tränchen der Rührung zerdrückten. Einen hergelaufenen Oberlehrer hätten wir früher auf unseren Amokläufen sicherlich viel mehr respektiert. Habe mal an anderer Stelle hier im Forum aus gegebenem Anlass ein paar Gedanken über Zivilcourage und die hohe Kunst des aktiven Sich Einmischens bei Gewaltverbrechen geäußert. Das lief im wesentlichen auf ein klares Tu Es Besser Nicht hinaus. Gib lieber einen guten Zeugen, merk dir wichtige Details und rufe professionelle Hilfe. Außer, du bist für so etwas ausgebildet. Aber ich muß mich von Politikern und Kommentarzeilenschindern eines Besseren belehren lassen. Der Herr, der sich da einmischte und dabei starb, sei ein moderner deutscher Held gewesen, ein Vorbild für uns alle. Und Typen, die in solchen Situationen nur zusehen oder weglaufen anstatt einzugreifen, betrieben unterlassene Hilfeleistung. Alles klar, Leute. Euch möchte ich sehen. Und vielleicht kommt eines Tages der Tag. Dann stehe Gott uns bei. Einstweilen lasst euch schön gegen Schweinegrips impfen, das hilft hungernden Ärzten.


(nednätsmU retnu tshcänmed) .DVD fua ueN

Zeug, das gern im Kino gelaufen wäre: In Largo Winch (F 08) stirbt ein Konzernchef einen gewaltsamen Tod, und das ganze große Vermögen fällt zum Entsetzen des Vorstands in die Hände des scheinbar komplett verantwortungslosen Adoptivsohn, Abenteurer und Funsportpunk Largo Winch (Tomer Sisley). Da muß doch was zu machen sein, denkt sich darauf manch Pfeffersack, und bald stoßen auch dem Erben fortwährend schlimme Sachen zu. Der aber zeigt sich gewappnet. Hochglanz-Actionquatsch in reicher Ausstattung, schöne Menschen tun schöne Dinge, ein Design wie das Reisevideo auf Vox, und eine Geschichte wie ein belgisches Comic Book. Wer seinen Eskapismus nicht allzu tiefschürfend mag, könnte auf seine Kosten kommen.

Ich bin ja schon froh, wenn Filme nicht komplett im Dunkeln spielen, und in sofern ist nicht nur "Largo Winch", sondern auch A Perfect Getaway (US 09) von "Pitch Black"-Regisseur David Twohy ausdrücklich zu begrüßen. Milla Jovovich und Steve Zahn, das Flintenweib aus "Resident Evil" und der Waschbärenschreck aus dem wunderbaren "Saving Silverman", erkunden als frisch verheiratetes Pärchen zu Fuß und bewaffnet vorerst nur mit zwei Rucksäcken die sonnige Ferieninsel Hawaii, um möglichst baden zu gehen in einem jener Wasserfälle, die uns aus den Reisevideos auf Vox so bekannt vorkommen. Auf Hawaii, so lernt uns der schwarzweiße Rückblend und die Schlagzeile vom Tage, geht aber justament auch ein pärchenmordendes Pärchen um. Und weil jede Insel nun mal ein ziemliches Dorf ist, dürften sich die Wege jener Mörder und unsere Strahlehelden sicherlich schon an der nächsten Weggabel kreuzen. Richtich geraten. Doch welches unter den nunmehr vier zuweilen gemeinsam reisenden Pärchen ist die Mörder? Vielleicht ja "Deadwood"-Sheriff Timothy Olyphant, der hier den Kriegsveteranen mit Survival Instinct spielt, und von einer Tussi begleitet wird, die Tiere auszunehmen vermag. Verdächtig, verdächtig.

Zwei ambitionierte Hollywoodproduktionen, die in Kürze bei uns als DVD-Premieren erscheinen, widmen sich mehr oder minder berühmten amerikanischen Medienskandalen. Beide behandeln Geschichten aus dem Bereich der Printmedien, die eine in Zeiten zurück datierend, in denen jene noch große Nummern waren, die andere nicht allzu weit zurück liegend bereits in der Internet-Ära und ohne Netz so nicht denkbar. In Der große Bluff - Das Howard Hughes Komplott (US 06 "The Hoax") spielt der wie ein krasser Botox-Kasper aussehender Richard Gere den zwanzig Jahre jüngeren Schreiberling Clifford Irving, als dieser im Jahr 1971 erfolgreich versucht, seinem Arbeitgeber, der sein letztes Manuskript nicht hatte drucken wollen, dem altehrwürdigen Buchhaus McGraw-Hill also, die hundertprozentig echten Memoiren des Howard Hughes unterzujubeln. Howard Hughes, das war, wir erinnern uns, dieser sonderbare steinreiche Freak, der von Leonardo DiCaprio in Martin Scorseses "The Aviator" gespielt wurde. Jemand, der eine geraume Zeit lang als Entdecker, Ingenieur, Geschäftsmann und Filmproduzent erfolgreicher war als die meisten anderen Entdecker, Ingenieure, Geschäftsmänner und Filmproduzenten, Affären hatte mit Katharine Hepburn, Jean Harlow, Bette Davis, Ginger Rogers und Ava Gardner, und die letzten Jahre seines Lebens praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit in mythenumrankter Einsamkeit und Umnachtung verbrachte. Irving rechnete offenbar damit, von so einem Wrack nicht mehr verklagt zu werden oder vorher mit dem Geld davon zu kommen, doch in beiden Punkten hatte er sich verrechnet. Wie er verzweifelt versucht, den Betrug aufrecht zu erhalten, wie er und sein Kompagnon (Alfredo Molina) tricksen, täuschen und improvisieren am Rande des Nervenzusammenbruchs, erinnert an ähnliche Bemühungen von George und Ochsenknecht in Helmut Dietls Hitlertagebücherfilm "Schtonk". Im Gegensatz zu letzterem verzichtet "Der große Bluff" auf ein Klamauk-Element, stattdessen bekommt man ganz gut mit, unter welchem Druck selbst etablierte Schriftsteller arbeiten.

Für eine altehrwürdige liberale Zeitung namens The New Republic arbeitet Stephen Glass, der jugendliche Titelheld von Shattered Glass (US/Can 03). Dargestellt von Anakin Skywalker ist er der heiße neue Scheiß in seiner etwas verschnarchten Redaktion, gewinnt mit frechen und ungewöhnlichen Reportagen über wirklich interessante Themen (Hacker erpressen Weltkonzerne, Jungrepublikaner feiern wie wilde Tiere) die Herzen der Chefs im Flug. So charmant und überzeugend tritt die jungenhafte Edelfeder auf, dass die älteren Redakteure ganz ihre Aufgaben vergessen und nicht einmal nachprüfen, ob ihr Supertalent den ganzen Krempel, den er da zu teuer Papier bringt, nicht vielleicht einfach bloß frei erfunden hat. Das erledigen dann aber andere für sie, schlechter bezahlte Redakteure und Autoren bei weniger gut beleumundeten Adressen, die sich von ihren Chefs schurigeln lassen müssen, warum sie denn nicht auf solche Ideen kommen und so tolle Sachen schreiben. Steve Zahn, Chloe Sevigny, Rosario Dawson und Peter Sarsgaard sind mit von der Partie bei diesem klugen und interessanten Drama über den Wunsch nach Anerkennung, Medienmechanismen und die vielzitierte journalistische Ethik.

Witzigkeit kennt kein Pardon

Wenn ich der Klops aus King of Queens wäre, würde ich dem Herren auf Knien danken für das unverschämte Dummenglück, mit so einem heißen Hasen das Lotterbett teilen zu dürfen. Und dann würde ich dem Monster aus dem Keller mit einer silbernen Kohleschaufel den Schädel spalten und das Ganze dem Hausarzt meines Vertrauens (seinem!) als Unfall beim Eierköpfen verkaufen. Ganz ehrlich, ich wundere mich nicht, dass Ben Stiller der ist, der er ist, wenn ich seinen Alten sehe (und seine Alte, die bei "King of Queens" die spankende Mama von Spence spielt). In King of the B-Movies (US 00 "The Independent") gibt Jerry Stiller an der Seite von Janeane Garofalo, die zuvor lange Zeit eine bevorzugte kreative Partnerin seines Sohnes war, einen B-Movie-Produzenten namens Morty Fineman, dessen Schaffen verdächtig an das des Roger Corman erinnert. Seine paar hundert Filme, die über fünf Jahrzehnte entstanden, tragen Titel wie "Teenie Weenie Bikini Beach", "Foxy Chocolate Robot" oder "Groovy Hippie Slumber Party" und handeln zum Beispiel von Ökorebellinnen auf schweren Maschinen und siamesischen Zwillingsbrüdern, die für bzw, gegen den Vietnamkrieg sind und dann eingezogen werden. Fineman hat keine Welle ausgelassen und gewissen Kultstatus erlangt, doch heute sind seine Filme höchstens noch den Preis des Zelluloids wert, auf das sie gebannt wurden. Und werden pfundweise verkauft, denn Morty, der natürlich wieder einen Schrottfilm dreht, braucht Geld. Da kommen Vater und Tochter Fineman auf die Idee, den Kult zu Geld zu machen im Rahmen einer Fineman-Retro auf einem namhaften Festival. Berühmte Filmemacher wie Nick Cassavetes, Peter Bogdanovich, Ron Howard und natürlich auch der richtige Roger Corman schauen auf einen In-Joke vorbei, es gibt eine Menge gut gemeinter und rührend detailfreudig inszenierter Fineman-Trailer, doch trotzdem kommt die an sich nicht schlecht erdachte Geschichte nicht wirklich in Fahrt. Wirkt alles zu künstlich und konstruiert, gewollt kultig. Und Stiller ist einfach nur Stiller, könnte also auch Arthur Spooner oder Frank Costanza heißen und ist wahrscheinlich im Leben derselbe Typ wie auf dem Bildschirm. Was anderes spielen kann er jedenfalls nicht. Und weil Garofalo hier so wunderbar in die Carrie-Spooner-Schablone fällt, wirkt es streckenweise wie ein unheimliches Deja Vu.

Über Big Fat Important Movie (US 08 "An American Carol") habe ich mich etwas geärgert. Und zwar nicht, weil diese satirisch lackierte Variante von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte den dicken Michael Moore und den Wirbel um seine manipulativen Pseudodokumentationen im Sinne der Bush-Administration durch den Kakao zieht. Sondern weil der Film erstens ganz einfach schlecht ist und zweitens ein paar Typen, die in der Vergangenheit mal für liberale Glanztaten der Traumfabrik standen, hier ganz demonstrativ und in dümmstmöglicher Pose den Erzrepublikaner heraushängen lassen. Namentlich erwähnt seien Dennis "Easy Rider" Hopper, James Woods aus "Salvador" und "Another Day in Paradise" sowie, at his worst, Kelsey "Frasier" Grammer als General Patton (of all things). Vom hirntoten Jon Voight und dem aus einer anderen Epoche stammenden Leslie Nielsen hatte man wenigstens nichts anderes erwartet. Oder Bill O’Reilly, for that matter. Nicht ein gelungener Gag in dieser überspannten Klamödie (Regie: David Zucker!), die vor nacktem, ungebremsten Hass auf den fetten Europäerfreund, der bestimmt heimlich mit Taliban rummacht, einen Bart hat er ja schon, manchmal schier nicht laufen kann. Dann schon lieber so etwas wie Delta Farce (US 07). In dieser auch recht simplen Militärklamotte und quasi-Neuversion von "Die drei Amigos" und "Die glorreichen Sieben" zu gleichen Teilen fallen Redneck Comedian Larry the Cable Guy und der dürre "Road Trip"-Supernerd DJ Qualls als schlechteste Reservisten, die Uncle Sam zu bieten hat, statt im Irak über der Provinz von Mexiko aus dem Flugzeug und brauchen schier Wochen, um trotz Sombreros, Marienstatuen in Ortszentren und Taco-Ständen an jeder Ecke zu kapieren, dass sie nicht im Nahen Osten gelandet sind. Die Eingeborenen aber halten die Doofmannen für Retter in der Not, wird doch ihre Gegend seit Jahr und Tag von Danny Trejos wüster Outlawbande terrorisiert ...

Wer hat "Clever & Smart" gesehen? Da gibt es doch diesen krassen Schlägermutanten, der immer an einer bestimmten Straßenecke herum lungert. Den unsere Helden mit einem Hypnosetrick überführen, um bei ihrem Chef Eindruck zu schinden. Bevor Jeff Smart dann zu ihm in die Zelle gesperrt wird und LEIDEN muß. Die türkische Gesellschaftssatire Recep Ivedik 2 (TR 09) erweckt erfolgreich den Eindruck, sich komplett um diesen Typen und sein Universum zu ranken und erhebt ihn obendrein zum strahlenden Helden. Denn was auch immer Sahan Gökbakar, der Comedian in der Hauptrolle, als Titelheld falsch macht, er fällt die Leiter rauf. Ein riesiger unrasierter Dummkopf mit Pranken wie Schreibmaschinen verbreitet so lange Angst und Schrecken in seinem Heimatviertel, bis Mutti ihm den Kopf wäscht und ihn zur Aufnahme ehrlicher Arbeit zwingt (die übliche Türkenjugend, scheinbar). Fortan verbreitet Recep Angst und Schrecken in der Arbeitswelt, probiert mal dies (Apotheker!), mal jenes aus (Stewardess!!), findet seine wahre Berufung aber erst, als er einfach nur Chef in einem Büro wird (don’t ask). Er bindet sich sogar eine Krawatte um und lässt sich von einem Computernerd zum Gesellschaftslöwen abrichten, doch insgesamt lernt er weder etwas dazu noch wird irgendwie menschlich reifer. Vielmehr steuern ihn immer noch dieselben atavistischen Triebe wie früher, und seine Manieren sind nicht einen Deut besser geworden. Er steckt jetzt bloß in einem Anzug und weiß, was eine Gabel ist. Im VideoMarkt habe ich es irgendwo zwischen Bud Spencer und den Three Stooges verordnet, aber wegen seiner unterschwelligen Kapitalismuskritik und zuweilen staubtrockenen Situationsfrechheit hätte ich auch The Marxist Stooge Brothers schreiben können. Bruder Togan Gökbakar hat’s inszeniert. Besonders gelungen in diesem Zusammenhang der deutsch(türkisch)e Untertitel: "Chaos im realen Sektor". Oh gewiß. OmU.

Dicke weiße Flocken über München. Vor zwei Wochen noch im sonnigen Sand gelegen, oder mich von Wellen sanft schaukeln lassen. Aber wenn schon, denn schon.

The Horror

Wehrmachtzombie. Ein Begriff aus einer anderen Zeit, untrennbar damit verbunden. Wie Schallplatte, oder sozialliberale Koalition. Klingt es nicht wie die 70er, als in der Kunst alles ging und die Welt noch in Ordnung … Doch ach. Die meisten von uns haben die Wehrmachtzombies erst Ende der 80er und in den 90ern entdeckt, als die Fachgeschäfte aufkamen, die Fanzines, und die Filmbörsen. In den Bahnhofskinos der Willy-Brandt-Ära dagegen waren die Wehrmachtzombies so wenig ein Thema wie Konzentrationslagersexfilme, die ja auch nur in äußerst seltenen Fällen und dann zumeist sinnentstellend gekürzt ein zeitgenössisches deutsches Publikum erreichten ("Wüstenfüchse kennen kein Erbarmen"). Nun aber: Dead Snow (Nor 09). Der Horror aus dem ewigen Schnee. Zombies unterm Hakenkreuz. Der Nazihorror. Totschnee. In Wahrheit ist es gar kein Nazihorror. Bzw., es könnte auch jeder x-beliebige sein. Piraten, wie in "The Fog", oder Templer, wie in "Die Nacht der reitenden Leichen". Es geht nämlich nur um untote Typen aus einer anderen Zeit, die einen Schatz bewachen. Sonst nichts. Hier tragen sie zufällig unsere alten Uniformen. Und im Sommer sitzen sie offenbar zwischen den Heidelbeeren, denn begraben sind sie alle nur von einer dünnen Schneedecke. Wir erfahren das, als ein paar junge Leute vorbei kommen und in der Blockhütte einen Ringelpiez aufführen. Dafür müssen sie natürlich geschlachtet werden. Ein langweiliger Film, der seine Effekte in tiefster Dunkelheit versteckt und, erschreckend humorlos angesichts der Exposition, nichts als sattsam bekanntes Klischee serviert. Fand aber auch schon "Kill Buljo" nichts Besonderes.

Auf einer abgelegenen irischen Insel erfordert ein Fall von Körperverletzung beim Babysitting die Anwesenheit einer Kinderpsychologin aus der großen Stadt. Die Dame stößt auf eine reservierte Bevölkerung und einen weiblichen Problemteenager, in dem sich periodisch andere Persönlichkeiten zu manifestieren scheinen. Eine gewisse Wandlungsfähigkeit kann man Jenn Murray, der jugendlichen Hauptdarstellerin von Dorothy Mills (Ire 08), wahrhaftig nicht absprechen. Trotzdem holt der Film nicht alles heraus und verlässt sich zu oft auf bequeme Klischees in seiner hübsch konstruierten Grundidee, die sich weniger an Fällen typischer Horrorkinder, sondern eher am doppelbödigen Realitätsverlusthorror des M. Night Shyalaman orientiert. Von It’s Alive (US 08) fühlte ich mich bei weitem nicht so beleidigt wie andere Rezensenten offenbar, vielmehr fand ich die Umsetzung stimmungsvoll und angenehm nah am geschätzten Original von Larry Cohen. Ein junges Ehepaar erwartet und erhält Nachwuchs, jeder, der ihrem Baby zu nahe kommt, segnet auf spektakulär blutige Weise das Zeitliche. Und zwar schon im Kreissaal, den außer Mutter und späteren Opfern niemand betreten hat. Bestimmte Aspekte des Schwangerschaftshorrors fand ich recht anrührend dargestellt, zum Beispiel die Bissverletzungen, die ihr die kleine Ratte beim Stillen zufügt, oder den universellen elterlichen Wunsch, sich entgegen anderslautender Realitäten so lange wie möglich eine heile Welt zusammen zu fantasieren.

Eine interessante Variante des Horrorkinderthemas sowie des ebenfalls recht beliebten Hinterwäldlerkannibalismus serviert auf angenehm reduzierte und kaum sehr effekthascherische, dafür aber vergleichsweise originelle Weise der Horrorthriller Beutegier (US 09 "Offspring") frei nach einer Erzählung von Jack Ketchum. Hier begibt sich Ketchum auf klassisches King-Territorium, zumindest, was die Auswahl der Lokalität angeht (Maine), und erzählt von einer reisenden Kannibalensippe, die es in bester "Freibeuter des Todes"-Tradition verstanden hat, durch Wander- und Versteckspiel über die Jahrhunderte ihre Existenz vor den Augen der neugierigen Zivilisation zu verbergen. Entlang ihrer Reiseroute kam und kommt es immer wieder zu spektakulären Massakern, was inzwischen auch einen einzelnen Cop die richtigen Stränge hat verbinden lassen. Für die Familie und ihre Besucher, in deren idyllisch am Atlantik gelegenen Vorgarten die kryptisch radebrechenden Mansons gerade aufgetaucht sind, kommen seine Erkenntnisse jedoch ein bisschen spät. Kannibalenkinder sind für Zensoren schon schwer zu schlucken, doch diese hier haben richtig fiesen Spaß beim Quälen und Töten und treffen auf einen Regisseur, der ihren Aktivitäten bereitwillig den gebührenden Platz einräumt. Spannend inszeniert und hervorragend gespielt, in jedem Fall.

Was man auch von Pontypool (Can 08) behaupten kann. Der Geheimtip vom diesjährigen Fantasy Filmfest beschränkt seine Handlung praktisch auf einen Raum und zeichnet das bedrückende Bild einer umfassenden Katastrophe der Zivilisation (die verdächtig einem Zombieaufstand ähnelt) allein durch aufgeregte Anrufe bei einem lokalen provinziellen Radiosender. Wir aber verfolgen die Geschichte durch die Augen eines Gastmoderators (Stephen McHattie zeigt, was er kann), der dort vorübergehend aushilft, schon am Morgen so ein komisches Gefühl hatte und dem totalen Chaos möglicherweise etwas sinnvoll Sinnloses entgegen zu setzen hat. Originell nicht nur die Machart, sondern auch Wendungen und Auflösung in diesem sehenswerten und klugen Spiel mit Genremechanismen, Horrorklischees und Sprache. Sollte dem vollendeten Verständnis wegen im Original gesehen werden, aber das gilt ja ohnehin für das meiste.

Zwei Horrorkomödien verbinden Elemente des Splatter Movies mit einer Art Gesellschaftssatire und erzielen trotz unterschiedlicher Ansätze dasselbe Ergebnis: Ich empfehle sie. In Porn Horror Movie (US 08 "One-Eyed Monster") begibt sich eine Filmcrew in die verschneiten Berge, um auf einer Skihütte einen Porno zu kurbeln. Mit von der Partie sind die berühmten Pornostars Veronica Hart und Ron Jeremy, die sich beide selber spielen. Letzterer erlebt einen spektakulären Fall von außerirdischer Besessenheit, als sich sein nicht minder berühmter Phallus selbständig macht und die Besetzung zu dezimieren beginnt. Zum Glück wohnt ein vom Kampf gezeichneter, erfahrener alter Penisjäger (Charles Napier) in der Gegend und verrät den Überlebenden des Übeltäters Achillesferse. Das Beste an diesem bizarren und natürlich auch ziemlich prüden Trashfilm ist der heilige Ernst, mit dem alle Beteiligten zu Werke gehen. Der Film sieht sehr schön aus, ist keine schummrige Garagenproduktion mit Raumklang und amoklaufenden Amateuren, sondern ein hübsch ausgestattetes, handwerklich properes und recht effektvolles Stück Unterhaltungskino, das auf Festivals auch zum Schenkelklopfer für die Massen taugt.

Etwas sperriger präsentiert sich Maniacts (US 01), der mir gleichwohl doch um einiges besser gefiel. Ein wahnsinniger Serienschlitzer, ein Mad Slasher, ein Michael Meyers gleichsam, der ein furchtbares Blutbad unter feinen Leuten anrichtete, landet hinter den Gittern einer psychiatrischen Anstalt für geisteskranke Kriminelle oder kriminelle Geisteskranke und verliebt sich dort in eine Mitgefangene, selbst von Beruf irre Massenmörderin. Sounds weit hergeholt? Nicht mehr als die meisten Slasher Movies. Dieser ist anders. Du empfindest aufrichtige Sympathie mit dem Unhold und gönnst ihm sein romantisches Glück. Denn er hat Sinn für Humor, ein reines Herz und tötet Typen, um die es nicht schade ist. Die wahren Kriminellen sind die Betreiber der Anstalt, hassenswerte Sadisten ihre folternden Wärter und Büttel. Irgendwann gelingt unseren Helden die Flucht (unter Hinterlassung eines hübschen Leichenberges), und sie beginnen ein neues Leben als Bauern auf einer kleinen Farm. Was so lange glänzend funktioniert, bis Verbrecher auftauchen. Und die Königin von England. Habe in meinem Leben keinen besseren Film mit dem Schauspieler Jeff Fahey ("Der Rasenmähermann") gesehen. Als diese romantische Komödie für Splatterfans. Die Oliver Stones "Natural Born Killers" mehr verdankt als den Slasher Movies, die man vordergründig parodiert. Und nie in Albernheiten verfällt oder etwa ihre liebevoll gezeichneten Figuren zugunsten eines billigen Effekt verraten würde. Seht, staunt, und liebt.

Shocking Asia

Böses Erwachen für Homophobe (ja ja, ich weiß): Seit "Brokeback Mountain" wird auch im fernöstlichen Massenunterhaltungsfilm mit Schwulitäten experimentiert. Jetzt geht der Held nicht mehr mit der Jugendfreundin ins Bett, sondern mit dem anderen Helden. Bis eine Frau kommt und ihn heilt. Denn noch sind wir in Korea, meine Herren. Blood & Flowers (Kor 08 "Ssang-hwa-jeom") erzählt die tragische und angeblich historisch verbriefte Geschichte vom koreanischen König, der den Chef seiner Leibgarde liebte, den Konventionen seiner Zeit (15. Jahrhundert) und der Staatsräson zuliebe aber die chinesische Prinzessin ehelichen mußte. Weil er diese Ehe jedoch nie vollzieht, sondern lieber den Hengst bestallt, ist die Prinzessin und damit China sauer. Um größeren Schaden (erobert zu werden) abzuwenden, muß ein Sohn gezeugt werden, und wer, wenn der König nun partout nicht will, könnte da auf die Schnelle besser helfen als der potente und treue Chef der königlichen Leibgarde. So geht der Lover des Königs mit der Frau vom König ins Bett, und es passiert, was in solchen Fällen immer passiert. Sie verlieben sich unsterblich ineinander. Man mag "Blood & Flowers" nicht ernsthaft vorhalten, dass er den heterosexuellen Liebesspielen mehr Raum und Detailfreude zukommen lässt als den homosexuellen. Daß Liebesspiele überhaupt in solchem Rahmen gezeigt werden dürfen, ist eigentlich schon Wunder genug in dieser wunderbaren Filmnation, die noch vor gerade einmal zehn Jahren Filme schon zensierte, wenn bloß einem Polizeibeamten die Mütze schief saß.

Den "Weißen Hai" haben sie in Südkorea auch gut gefunden. Legt jedenfalls Keiler (Kor 09 "Chaw") nahe. In der koreanischen Provinz haben sie ein Wildschweinproblem. Nicht so eins wie in Berlin oder München, wo Borstenviecher Stadtbewohner werden und dir im Vorgarten die Blumenzwiebeln ausbuddeln. Sondern so eins wie in "Razorback", wo ein mutiertes Monsterwildschwein Amok läuft und achtlose Erntehelfer schon mal in Mitte durchbeißt. Kommissar Shin aus Seoul soll nach dem rechten sehen, was da in Koreas angeblich friedlichstem Hinterwaldnest falsch läuft, und stößt auf eine mächtige Landwirtelobby, die angesichts drohender Ernteausfälle einen ringelschwänzigen Monsterwüstling nicht an die allzu große Glocke hängen mag. Schwarze Situationskomik, die in stillen Momenten besser wirkt als in den lauten, Typen wie bei Spielberg, ein hundserbärmlicher Morph als böser Wutz und eine viel zu lange Laufzeit.

Das war ja zu erwarten: Das Vordringen ausgefallener Computereffekte in den Low-Budget-Sektor schlägt sich im gehäuften Auftreten körpermodifizierter Einzelkämpferamazonen nieder. Spärlich bekleideter Einzelkämpferamazonen, wie sich wohl versteht, denn wir sind in Japan. Nicht immer treten sie so direkt in neckischen Sexshop-Outfits auf wie die in der Endzeit gegen Zombies fechtenden Schlampen aus Zombie Killer – Vortex (Jap 08 "Oneechanbara: The Movie"), aber auch die Samurai Princess (Jap 08) und Hard Revenge Milly (Jap 09) haben meistens nicht viel an. Bei letzteren handelt sich um Mädels, denen bestimmte Waffen direkt in den Körper eingebaut wurden, und wenn ich jetzt noch verrate, daß hinter dem von Faschingsnarren bevölkerten und komplett in einem Laubwald spielenden "Samurai Princess" die Macher der "Tokyo Gore Police" stecken, haben manche schon eine ungefähre Vorstellung von den Details dieser superseltsamen Splattergroteske, in der Menschen actually quer in Scheiben geschnitten und falsch wieder aufeinander gebaut werden. "Hard Revenge Milly", basierend auf einem gleichnamigen Kurzfilm, ist der beste von dem Haufen, will heißen, er leistet sich hübsche Kulissen, etwas Tiefgang und eine Heldin, die ihr Wirken hinterfragt. Für niederste Budgetverhältnisse und dort besonders im internationalen Vergleich sind sie aber alle nicht wirklich schlecht geraten sowie potentiell Saufabend-tauglich.

Bearbeitet von hoolio21, 15. Oktober 2009, 01:44.

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#70 hoolio21

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Geschrieben 11. Dezember 2009, 01:42

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Die Blockade zu brechen. Wird schon.


Irgendwann am späten Abend in Münchens lauschiger City. Der Ecki kommt von einem Treffen mit Freunden im Bergwolf und geht zur U-Bahn in die Station Fraunhoferstraße hinunter. Im Bergwolf gibt’s angeblich die beste Currywurst von ganz München. Bzw. das, was einer nordrheinwestfälischen Currywurst (also einer echten) am nächsten kommen soll (* Berlin, Berlin, wir scheißen auf Berlin *). Als ich das letzte mal im Bergwolf speiste, fand ich die Currywurst zu klein, ihre Haut zu zäh, und die Pommes zu indiskutabel. Immerhin war eine ungefähre richtige Absicht erkennbar. Aber in Wahrheit habe ich die Suche nach einer korrekten Currywurst in Bayern schon vor einem Vierteljahrhundert aufgegeben. Doch egal. Dafür können sie Weiß- und Schweinswürstl. Hm, Schweinswürstl. Der Ecki geht also runter zum Bahnsteig, betritt die ankommende U-Bahn Richtung Schwabing im hinteren Teil und hat immerhin so viel Augustiner Green Label intus, dass er sich bei der Anfahrt besser mal an einer dieser neckischen Stangen festhält, die sie da vermutlich aufstellen, damit unsere Studentinnen auf den langen Fahrten von den Vorstadtghettos ins Bahnhofsviertel für den Job üben können.

Die U-Bahn ist fast leer, nur in einiger Entfernung hat sich eine Gruppe junger Burschen niedergelassen. Besser: Breitgemacht. Laut, frech, pöbelnd, mit dem Habitus und dem Outfit des Hiphoppers. Offene Bierflasche in der einen, brennende Kippe in der anderen Hand. Pack. Proleten. Schwörer. Kanacken. Ich nenne das bewusst so, mit aller implizierten Verachtung und Wertschätzung. War selbst so einer. Denn nur ein Nigger darf einen Nigger einen Nigger nennen. Der Ecki aber will in Schwabing am anderen Ende der U-Bahn aussteigen. Und der Ecki ist ein betrunkener Erwachsener, der mal bei 60 geboxt hat (dem Verein, nicht den Fans) und sich schon von sogenannten Autoritäten nichts gefallen lässt. Geschweige denn von Pack. Also geht der Ecki auf die Gruppe zu, von denen einer inzwischen so im Sitz lungert, dass seine ausgestreckten Beine den Mittelgang versperren. Ecki bleibt also stehen, weil er nicht einsieht, wegen einem minderjährigen Schädling die Beine zu lupfen wie ein Dressurpferd, und gibt dem Kerl, der zu den Beinen gehört, wortlos seinen zieh-die-Kackstelzen-weg-or-else-Blick. Der zieht die Beine weg. Dann geht Ecki zwischen den Typen durch, bleibt noch mal stehen, nimmt dem Raucher die Kippe aus den Fingern und zertritt sie wortlos auf dem Boden. Ohne Zorn, einfach mit dem Ausdruck des Genervten. Dann setzt er seinen Weg in den vorderen Teil der U-Bahn in aller Ruhe fort. Kein Wort, keine Reaktion hinter ihm. Vorne nimmt er Platz und denkt sich: Was für Fotzen. Die Fotzen aber sind ihm weder gefolgt, noch lauern sie ihm später vor irgendeiner Überwachungskamera auf.

Noch später, als der Ecki zurück nach Hause kommt und wieder etwas nüchterner wird, da geht es ihm durch den Kopf. Dass es auch anders hätte ausgehen können. So ein gepflegtes unfaires Eins gegen Drei mit vielleicht noch dem unfriedlichen Einsatz von Bierflaschen. Und er ist ziemlich erleichtert, dass alles glatt gegangen ist. Daß seine Kinder ihren Vater noch haben. Aber so läuft das eben. Es ist wie beim Pokern. Die Jünglinge wussten nicht, was für ein Blatt Ecki hatte, und konnten es auch nicht erahnen. Weil der Bluff, so er denn überhaupt einer war, selbstbewusst und in allen Punkten schlüssig vorgetragen war. Ohne Zögern, ohne Interesse an einer Reaktion des Gegners, ohne unnötige Schnörkel. Kalt, sachlich, autoritär. Das kennt der Schwörer von Stärkeren, vom Vater, von richtigen Gangstern, von Polizisten, oder von einem, der vielleicht eine Waffe hat. Also hält er sein Maul und wartet auf irgendein Opfer, das vor Angst stinkt. Oder die falsche Art von Autorität vermittelt. Wie der erschlagene Helfer von Solln, der erkennbar „bloß“ ein braver Bürger war. Den Eindruck hat der Ecki nicht vermittelt.

Was uns die Geschichte lernt. Nixe. Sollte nur unterhalten. Und Du solltest dich hüten, so etwas nachzumachen. Es sei denn, Du hast mal geboxt. Oder musst dringend im Waggon nach vorne.


Avanti! Avanti!
(US 72 "Avanti!")

Erstsichtung, erstaunlicherweise. Nichts Besonderes erwartet, nichts Besonderes bekommen. Aber gut unterhalten worden. Viel Lemmon gesehen, zuletzt. "The Out of Towners", "Some Like It Hot", "Buddy, Buddy". Dazu dieses neue Remake von "Buddy, Buddy" durch fucking Francis Veber, was insofern interessant war, weil Veber früher mal das Vorbild von "Buddy, Buddy" namens "Die Filzlaus" gedichtet hat. Der neue von Francis Veber hatte den originalgetreuen Look und die Dramaturgie einer spät-60er-/früh-70er-Produktion, was auf der einen Seite heimelig schön und auf der anderen Seite irgendwie tragisch traurig aussah. Wie wenn da einer schwer in der Murmeltierschleife steckt.

Der unverheiratete, fünfzigjährige Industriellensproß Wendell Armbruster reist auf die italienische Insel Ischia, um die sterblichen Überreste seines Vaters zurück ins heimische Baltimore zu überführen. Sein Vater ist bei einem Autounfall im Urlaub verblichen, und bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass er nicht allein Auto saß, als er das Zeitliche segnete. Eine Gespielin befand sich ebenfalls im Wagen und ist offenbar cogestorben. Der pedantische Zwangscharakter Wendell trägt die Neuigkeiten alles andere als gefasst. Der tadellose Vater, sein Vorbild, der geachtete Patriarch - ein schnöder Ehebrecher! Nicht ein mal, nein, über Jahrzehnte traf der Alte regelmäßig im Sommer eine Mätresse. Das ganze Palasthotel und jeder Olivenbauer in der Gegend weiß davon, nur die Familie in Amerika nicht. Wenn das die Mama wüßte! Und es kommt schlimmer. Die Tochter jener Person (dieser Hure), ist ebenfalls vor Ort und Wendell schon auf der Anreise im Vorfeld der Enthüllungen peinlich in die Quere gekommen. Jetzt muß er ausgerechnet mit ihr manch letzte Dinge klären. Für deren komplizierte Auswucherung im weiteren Verlaufe die spezifisch italienischen Verhältnisse schon sorgen. Es kommt, wie es kommen muß. Gegensätze ziehen sich an. Hoffen wir, daß es nicht seine Schwester ist.

Ein Film der alten Herren. Mit Altherrenerotik. So nennen es mit leicht abfälligem Unterton Feuilletonisten, wenn alternde Künstler befreit von diesem oder jenem Zwange ihrer Begeisterung für die natürlichen Sachen der Welt freien Lauf lassen. Hollywoods Regietitan Billy Wilder, der gezwungen war, in der prüdesten aller Zeiten mit der heißesten aller Frauen Sexkomödien zu drehen, hatte diesbezüglich Nachholbedarf. Und mit Kraftausdrücken musste er sich auch zurückhalten, damals, im Frühling und Sommer seiner Karriere. Was vielleicht erklärt, wieso die Leute manchmal so reden, wie sie eben reden, in "Avanti! Avanti!" oder in "Extrablatt". Hauptdarsteller Jack Lemmon ging es ähnlich. Erstens war er auch schon in dem Ding mit der Sexbombe dabei gewesen, zweitens bereitet es ihm sichtlich Vergnügen, mit großem Gestus zu fluchen oder im Adamskostüm den Überraschten zu markieren. Partnerin Juliet Mills, einem breiteren Publikum zuvor bekannt geworden mit der Mary-Poppins-Fernsehserienantwort "Nanny und der Professor" (verwertungsketten gab es immer schon), ist erfreulicherweise in diesem Zusammenhang keine Lolita-Fantasie, sondern eine mit beiden festen Beinen im Leben stehende Dame in den besten Jahren, an der, wie alle Beteiligten nicht müde werden zu unterstreichen, Magersuchtfetischisten nicht viel Freude haben. Also eine Dame ganz nach dem Geschmack eures ergebenen Chronisten. Ihr fällt die dankbare Rolle zu, das gehemmte Nervenbündel für das Leben und die Freuden davon zurück zu gewinnen, seinen amerikanischen Düsenantrieb zu entschleunigen und ihm mit ein paar tieferen Einblicken die alberne Prüderie auszutreiben.

In Italien lässt sich die Seele baumeln lassen, lautet das Klischee, und „Krawattenseele, brich mal aus“ die Botschaft dieses entspannten Films über eine kleine Entdeckung der Unmoral. Und viel Aufregenderes, als das zwei Streithähne sich finden, passiert darüber hinaus auch nicht. Manch Rezensent fand und findet das ein wenig bieder und nicht besonders aufregend für immerhin bollywoodhafte zweieinhalb Stunden Lauflänge bzw. eine Kapazität solchen Kalibers, und so gilt "Avanti!" nicht als Juwel in Wilders strahlender Krone. Interessant fand ich, wie sich in Wilders Vision die alte deutsche Italienromantik spiegelt, wie er dem spezifisch italienischen Improvisationstalent Rechnung trägt, ohne die ganze Bande in Bausch und Bogen als faule, Opern knödelnde Gauner und Mafiosi, Papagalli und Paparazzi zu disqualifizieren (obwohl …), und wie es entsprechend dem hackenschlagenden hunnischen Sekretär in "Eins, zwei, drei" einen der guten alten Duce-Zeit nachtrauernden Chauffeur gibt. Leider gibt es nicht auch solch zündende Pointen wie ebenda. Juliet Mills blieb für Ovido Assonitis "Chi Sei" in der Nähe, und vor nicht allzu langer Zeit sah frau sie für das ZDF eine Pilcher-Heldin spielen. Wilder und Lemmon wandten sich als nächstes Matthau und dem "Front Page“-Remake zu. Juliet Mills paßt besser zu Lemmon als Susan Sarandon, und ob Matthau für den Hoteldirektor bloß keine Zeit oder Lust hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenig mir bekanntes Italopersonal in Nebenrollen, einzig Janet Agren setzt als Krankenschwester optische Akzente (von einer Sprechrolle kann man schlecht sprechen). Wer keine Perle der Filmkunst sucht, sondern bloß eine stilvolle Realitätsflucht mit ein wenig luxuriösem Flair, Algen- und Thymianduft, kann theoretisch nach schlimmeren Sachen greifen.

Bearbeitet von hoolio21, 11. Dezember 2009, 05:18.

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