Geschrieben 03. Juli 2004, 16:28
Die FR zum Thema "I want a famous face"
Triumph des Wahnsinns
Frankenstein-TV: MTV unterschreitet die letzte Schamgrenze
"I want a famous face", MTV, Sonntag, 21.30 Uhr.
VON JÜRGEN ROTH
Wer angesichts solcher medialen Innovationen wie Dschungelcamp-Contests, Übertragungen aus Containervollzugsanstalten oder Starlettentreffen mit Jodelkür auf den Gedanken verfiel, das Fernsehen endlich abzuhaken, darf sich jetzt über finale Argumente gegen einen Apparat freuen, dessen Kopf- und Schamlosigkeit in die offen perverse Verwirrung mündet.
Am Sonntag strahlt MTV die erste von sechs Folgen einer aus den USA herübergereichten Show aus, in der gezeigt wird, wie sich junge Menschen einer Schönheitsoperation unterziehen. Das Konzept der "Operations-Fernsehshow" (netzeitung) ist nicht ganz neu. Bereits im vergangenen Jahr lief auf ABC die Sendung Extreme Makeover (RTL arbeitet an einer Version für den hiesigen Markt), und Fox reüssierte mit The Swan (die deutschen Rechte hat Pro 7 erworben).
Während in The Swan 17 Frauen, die meinen, hässliche Entlein zu sein, auf eigenen Wunsch chirurgisch traktiert werden und eine der Beneidenswerten schließlich den Titel des "Schwans" oder Dummerjans verliehen bekommt, dreht MTV die Schraube allerdings noch ein Stück weiter. Für I want a famous face (Ich will ein berühmtes Gesicht) hat man pubertierende und spätpubertierende Wesen rekrutiert, die sich mittels Brecheisen, Hammer, Hacke, Feile, Meißel und Messer das Gesicht eines Stars verpassen lassen.
Man hört und sieht zwar vermeintlich nicht richtig, die Sache ist jedoch, trotz des Fake-Charakters des Fernsehens, wahr und nochmals wahr. Eine Jeanette will durch Body-Lifting zur Kate Winslett mutieren, ein Jesse durch Shape-Modelling zu Elvis, eine Sha möchte als Clownklon der Pappmachébombe Pamela Anderson durch eine Welt spazieren, die vor Scham über ihre Bewohner endlich zusammenkrachen sollte.
Für Aufregung, ist zu lesen, habe I want a famous face in den USA gesorgt. Einen Skalpellskandal möchte man indes vorderhand nicht darin erkennen, dass "MTV im richtigen Moment die Kamera draufgehalten" (netzeitung) hat und blutig-detailliert vorführt, wie sich diverse Zwanzigjährige auf Senderkosten (10 000 bis 13 000 Dollar pro Rundumbehandlung) die Nasen zertrümmern, die Lippen beschnippeln, die Zähne aufmörteln, die Kinnknochen fräsen und Silikon in die Fressen frickeln lassen.
Wirklich "zum Erbrechen" (Karl Kraus) ist, dass das Fernsehen keine Hemmung mehr besitzt, auch noch jene Ich-Schwäche und jenen Mangel an Selbstbewusstsein auszubeuten, die das gegenwärtige ökonomische System erzeugt. Adornos Satz, bei den meisten Menschen sei es eine Unverschämtheit, wenn sie "Ich" sagten, ist angemessener denn je, und das Fernsehen treibt den Markttrotteln den allerletzten Rest von Würde aus.
Womöglich tickt aber auch die menschliche Gattung einfach nicht mehr im Takt, zumindest ein erheblicher Teil ihrer nördlicheren Populationen. In den USA stieg die Zahl junger Leute, die sich operativ aufpeppen lassen, seit 1997 um 300 Prozent, in Deutschland steuern die plastischen Eingriffe auf die Halbmillionengrenze zu, und jeder vierte dieser armen Verwirrten ist zwischen 15 und 25 Jahre alt.
Die Zwillings-Akne-Gesichter Matt und Mike haben sich zum Auftakt von I want a famous face jeweils in Brad Pitt verwandeln lassen und ließen verlauten, sehr zufrieden zu sein. "Ich würde es noch zehnmal machen, wenn es die gleichen Chirurgen sind. Ich bin ein erstklassiges Beispiel ihres artistischen Könnens", plapperte Matt herum, und Mike erläuterte, ihre alten Antlitze seien das einzige gewesen, was zwischen ihnen und einer Hollywood-Karriere stehe.
Erst obsiegte die TV-Taktlosigkeit, nun triumphiert der Wahnsinn. Die Unterhaltungsindustrie lauert auf eine neue Jennifer Lopez (ehemals Jessica) und eine neue Britney Spears (formerly Mia). Hierzulande ersehnen wir derweil mehr eine volkstümlich inspirierte, sämtliche Altersgruppen berücksichtigende Fassung von I want a famous face und wünschen uns daher wenigstens ein Ergänzungsformat, das die Transformation von Brigitte Mustermann in Caroline Reiber und Papa Schlumpf in Karlheinz Wildmoser präsentiert.
Vielleicht packt's ja das ZDF an, in Kooperation mit der Gala und dem Kicker. Arbeitstitel: I want a Faltenface.
"Was für Idioten, was für eine Dreckskaste. Ein solcher Korpsgeist wie in der deutschen Presse findet sich allenfalls noch bei alten Wehrmachtsoffizieren."
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)