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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände

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C'era una volta il West (Once Upon a Time in the West) - Sergio LEONE, I/USA 1968


Es gibt die epochemachenden Filme, und es gibt die epochemachenden, mythischen Filme. Hier geht es gar nicht so um die Frage, ob gut oder schlecht, da epochemachende Filme per definitionem jenseits von gut und böse sind, wenn solch plakative Rede hier gestattet ist. Epochemachende (welch schönes deutsches Wort, gibt es wohl in keiner anderen Sprache) Filme sind selten, epochemachende mythische Filme sind noch seltener, seltsamer. Mit einem solchen hat man es in Spiel mir das Lied vom Tod, jenem dem Wortsinn widersinnig, dem Inhalt jedoch korrekt übertragenem Titel von C´era una... zu tun.

Leone ist ja der Meister der Sequenz, soll meinen, seine Filme sind in Sequenzen unterteilt, die mal harsch, mal smooth nebeneinaner stehen, einander bedingen, einander Bedeutung geben. Und mag die Sequenzfolge in Il Buono, il Brutto, il Cattivo perfektioniert sein, der schlechthinnige mythische Western ist und wird auf Ewigkeit bleiben C´era una Volta il West. Warum das so ist, kann und soll an dieser Stelle gar nicht versucht werden zu klären. Ein seltenst-seltsamster Film, eine mythische Überhöhung so ziemlich aller topoi des Wilden Westens. Eine kollektive Geschichte vom Fortschritt, der sich unabdinglich den Weg gen Westen, zum Pazifik hin, bahnt. Gleichzeitig eine individuelle Erzählung der Rache.

Zerfurchte Gesichter, zerfurchte Landschaften. Bronson, Fonda, Cardinale, und nicht zu vergessen Jason Robards in der Rolle des Cayenne. Extrem stilisierte Darstellungen. Die Musik Morricones, gleichzeitig effektiv wie plakativ. Schräge Kameraperspektiven, nie fügten sie sich so problemlos in eine konventionelle Kinematographie ein. Die Eröffnungssequenz klar eine Hommage an High Noon, nur besser. Das Ende ein Rätsel, ein Antiklimax. Die Summe ist mehr als ihre Teile. Noch so ein Gemeinplatz.

Was soll man noch sagen.

Western Mythos Bronson Cardinale Morricone Leone


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Kuroneko - SHINDO Kaneto, J 1968


Eine Horde verhungerter Samurai nähert sich einer einsamen Hütte am Waldesrand, die von zwei Frauen, Mutter und Tochter, bewohnt wird. Die Männer stillen ihr Verlangen nach Essen und Trinken, vergehen sich an den Frauen, legen die Hütte in Brand und rauschen wieder ins Unterholz ab. In den verkohlten Resten der Hütte taucht eine schwarze Katze auf und schleicht um die leblosen Körper der ehemaligen Bewohnerinnen. Diese existieren hinfort als ruhelose Geister weiter, schwören grauenvolle Rache: allen Samurai, denen sie hinfort begegnen, sollen sie verführen und ihnen das Blut aussaugen.

Und so lauert die jüngere der beiden Frauen am Rashomon-Tor auf passierende Samurai und lockt sie durch einen Bambushain in ihr Verderben. Nach und nach fallen so einige der besten Samurai eines lokalen Kriegsherren zum Opfer, was diesem natürlich nicht verborgen bleibt. Als sich einer seiner Vasallen als besonders fähig herausstellt, setzt er diesen auf die mysteriösen Geistergestalten an. Als sich herausstellt, dass es sich bei diesem Samurai um den Mann / (Schwieger)sohn der getöteten Frauen handelt, nimmt die Handlung eine für alle Beteiligten unvorhersehbare Wendung.

Ein in strengen, bühnenhaften Bildern komponierter Klassiker des kaidan-eiga (Verfilmung japanische Geistergeschichten), der mit einer ganz eigentümlichen, minimalistischen Inszenierung eine irreale Atmosphäre erschafft. Die immer wiederkehrenden Elemente des Films sind die vertikalen Stämme der Bambuswälder, der Nebel und eine perferkte Ausleuchtung dieser abstrakten Welt, die zwar vor einem realen geschichtlichen Hintergrund spielt, im Grunde aber jeder historischen Realität enthoben ist. Die Nahaufnahmen der Gesichter, die katzenhaften Bewegungen, die Überblendungen, die traumtänzerischen Kämpfe zwischen den Samurai und den Geisterfrauen...

Die perfekte Inszenierung dieses Meisterwerks Shindos, der im Mai dieses Jahres hundertjährig verstorben ist, schafft eine unbeschreibliche Atmosphäre, die effektvoller ist als der Großteil der J-Horror Produktionen der 90er / 00er Jahre. Unbedingt einer der besten japanischen Horrorfilme überhaupt, dessen Stärke die elliptische Erzählweise und die reduzierte, kabukihafte Ästhetik ist.

kaidan-eiga Samurai Katzen Shindo


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Charisma - KUROSAWA Kiyoshi, J 2000


カリスマ

Bei einer Geiselnahme erhält ein Tokyoter Polizist eine seltsame Nachricht: "Stellen Sie die Weltordnung wieder her!". Der Einsatz scheitert, sowohl Geiselnehmer als auch Geisel (ein "Minister") sterben. Der Polizist wird vom Dienst suspendiert und macht sich auf in eine bergwaldige Wildnis, um Abstand zu gewinnen. In der Gegend, in die es ihn verschlägt, gibt es einen seltsamen Baum, genannt Charisma, in dessen Umfeld alle Vegetation abzusterben scheint. Eine Reihe von seltsamen Menschen lebt in dem Landstrich, alle haben ihre scheinbar bestimmte Meinung zu dem Baum.

Der Polizist gerät zwischen die Fronten und wird von den handelnden Personen (einer Gruppe von Umweltschützern / Bodenkundlern, einem eremitischen jungen Mann, der den Baum beschützt, einer Biologieprofessorin und ihrer scheinbar schwachsinnigen Schwester) zu einer Entscheidung gedrängt, auf welcher Seite er denn nun stehe: Ist es der Baum, der schützenswert ist, und gegenüber dem Wald eine Sonderstellung einnimmt, oder ist der Wald das eigentlich Wichtige und der sonderbare Baum der Störfaktor? Es zeigt sich, dass die unterschiedlichen Meinungen dem Baum gegenüber nicht ein für alle mal feststehen, die Handlung nimmt im Fortschreiten eine Reihe von surrealen Wendungen, und am Ende sieht sich der Polizist einer Situation ganz ähnlich wie am Beginn gegenüber...

Dies ist einer jener verrätselten Filme Kurosawas, die weder etwas mit seinen frühen Yakuzafilmen, noch mit seinen eigenwilligen J-Horror Variationen zu tun haben. In einer ganz eigentümlichen, elliptisch inszenierten Weise wird hier eine Art Allegorie auf das Verhältnis Individuum vs. Gemeinschaft, Natur vs. Kultur, bzw. Subjektives vs. Objektives gegeben. Wollte der Protagonist am Anfang des Films allen Beteiligten helfen, blieb aber passiv, so findet er am Ende zu einer Entscheidung, die allerdings auch nicht eindeutig ist. Die Handlung des Films erklärt dabei nichts, es gibt einfach eine Abfolge von Ereignissen, oft aus distanzierter Perspektive und mit spärlicher Kamerabewegung. Von den dargestellten Räumen (abstrakte Wald / Berglandschaft, verfallene Gebäude) erinnert manches gar an die kinematographischen Bilder Tarkowskijs.

Ein Film, der einem zunächst eine relativ einfache Intepretation geradezu aufdrängt, die dann aber doch als allzu einfache Antwort wieder zu verwerfen ist. Ein Film auch abseits des Genrekinos und vielleicht deswegen auch nicht leicht konsumierbar. Aber eben vielleicht gerade deswegen eine lohnende Sache.

Allegorie Dialektik Wald Natur-Kultur Kurosawa K


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Nihon no yoru to kiri (Nacht und Nebel über Japan) - OSHIMA Nagisa, J 1960


日本の夜と霧


Die Rahmenhandlung: Auf einer Hochzeitsgesellschaft treffen die unterschiedlichen Ansichten diverser linker/linksradikaler Gruppierungen zum sogenannten AMPO ("Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika") aufeinander, der im Winter 1960 unterzeichtet wurde und im Kalten Krieg Japan stärker an "den Westen" gebunden hat.

In einer vielfachen Rückblendenstruktur erläutert die Handlung nun die unterschiedlichen Ansichten / Entwicklungen des Kampfes gegen diesen Pakt, wobei das zentrale Motiv die ideologischen Grabenkämpfe zwischen orthodoxer "Partei" und diverser "neulinken" Strömungen ist. Elitäre Grabenkämpfe zwischen den Fraktionen, gegenseitige Verdächtigungen, Beschuldigungen, Nabelschau und Selbstzerfleischung der selbsternannten Eliten, die vermeinen, "Das Volk" bzw. "die Arbeiterschaft" hinter sich zu haben, sich in Wahrheit aber nur mit sich selbst beschäftigen, wie so oft oder eigentlich immer bei radikalen / ideologisch verblendeten Aktivisten...

Filmisch interessant jedenfalls die Erzählstruktur in Rückblenden, die insgesamt drei Zeitebenen umfasst und zwei ästhetische Besonderheiten aufweist: zum einen die in (teils extremen) Kameraschwenks inszenierten Plansequenzen der Hochzeitsgesellschaft(en) und politischen Versammlungen, zum anderen die geradezu bühnenhaft-theatralisch Beleuchtungen und Stilisierungen der Demonstrationen. Alles wirkt sehr abstrakt, auch die Außenaufnahmen bewusst künstlich, das gesamte Geschehen spielt bei Nacht und wirkt eben wirklich wie ein Theaterstück. Ebenso der Nebel aus dem Filmtitel ist direktes Element der Inszenierung. Auch die Tonspur weist eine irritierende Besonderheit auf: Musik / Gesang im Film (ein immer wiederkehrendes Motiv die Studenten / Protestgesänge) und Filmmusik überlagern, "stören" einander.

Insgesamt gesehen ein radikaler filmischer Entwurf Oshimas, ein bedeutendes Frühwerk des Regisseurs um eine Sache, die in Japan bis in die Gegenwart hinein ein großes Thema zu sein scheint. Jedenfalls haben sich immer wieder bedeutende Regisseure der japanischen Nuberu bagu, nicht zuletzt der vor kurzem verstorbene Wakamatsu, mit der AMPO / Radikalismus - Thematik auseinandergesetzt.

Nachkriegsjapan Politik Protest Ideologie Oshima


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L'Armée des Ombres (Armee im Schatten) - Jean Pierre MELVILLE, F 1969


Vichy-Frankreich im Winter 1942/43. Eine lose Gruppe von Widerstandskämpfern kämpft gegen die Naziherrschaft. Im Zentrum der Erzählung steht ein Ingenieur (Lino Ventura), der zunächst in einem Gefangenenlager inhaftiert ist und dort auf die unterschiedlichsten Gruppen von Inhaftierten trifft. Durch die Widerstandsgruppe wird er in einer verdeckten Operation befreit. Im Folgenden stehen erneute Flucht und die Jagd nach (vermeintlichen) Kollaborateuren / Verrätern im Mittelpunkt, sowie eine abenteuerliche Flucht aus Frankreich nach London mittels U-Boot (wohl um von dort aus den heimischen Widerstand zu koordinieren) und kurz darauf eine ebenso abenteuerliche Wiedereinreise per Fallschirm.

Mehrere Mittglieder der Résistance-Gruppe werden verhaftet und gefoltert, eine spektakuläre Befreiungsaktion scheitert. Überhaupt wird relativ schnell klar, dass die Widerstrandsgruppe auf ziemlich verlorenem Posten steht und eigentlich mehr mit sich selbst (wer ist loyal, wer nicht?) als mit dem aktiven Kampf gegen die Besatzer beschäftigt ist. Im Mittelpunkt einer weiteren spektakulären Befreiungsaktion steht die einzige Frau der Gruppe (überhaupt die einzige erwähnenswerte Frauenrolle im Film), ihre Bemühungen wird sie jedoch teuer bezahlen müssen - gegen Ende des Films vielleicht die deprimierendste Entwicklung einer Reihe von unschönen Ereignissen. Am Ende steht, wie sich unschwer abzeichnet, das totale Scheitern. Am Anfang und Ende der Triumphbogen, ironischerweise.

Melville, selbst während des Zweiten Weltkriegs in der Résistance tätig, hat den Film nach einem französischen Roman (von einem gewissen Joseph Kessel) gedreht. Wieviel nun aus den eigenen Erfahrungen des Regisseurs in die Produktion eingeflossen ist, das ist die Frage. Die Inszenierung jedenfalls ist durchgehend deprimierend - schmutzige, beige-grau-braune Landschaften, Menschen und verfallene Interieurs; maskenhafte, leere, illusionslose Gesichter, Nihilismus. Besonders die Tatsache der offensichtlichen totalen Unwirksamkeit der Widerstandsaktivitäten verbunden mit deren eigener Unerbittlichkeit machen die Sichtung des Films zu einem nicht wirklich angenehmen Erlebnis. Sind die Protagonisten etwa in Le Samourai oder Le Cercle Rouge isolierte Individuen, die gewissermaßen in ihrem Privatkosmos agieren, so hat man es hier mit einem realen geschichtlichen Hintergrund und mehr oder weniger real nacherzählten Ereignissen zu tun. Natürlich gilt das für jeden Krieg oder jede Extremsituation, in der sich Menschen befinden. Melville hat es jedenfalls wie wenige geschafft, solche Schreckenszeiten distanziert-intensiv darzustellen.

Zweiter Weltkrieg Résistance Frankreich Untergrundkampf Lino Ventura J.P. Melville


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Koroshi no rakuin (Branded to kill) - SUZUKI Seijun, J 1967


殺しの烙印


Killer Nummer Drei, zielsicher, kein Auftrag zu schwierig in abstrakter Kulisse. Merken Sie sich diese Nummer. Das Glasaug und der Waschbeckenabfluss. Flucht in luftige Höhen. Der Duft von gekochtem Reis. Die schöne Unbekannte in strömendem Regen, steig ein. Toter Vogel am Spiegel, Schmetterlinge daheim zerfallen massig wie Laub. Ein Exemplar auf dem Gewehrlauf, Auftrag vermasselt. Hinfort: Nummer Drei auf der Liste vom Kollegen Nummer Eins (Wer ist die Nummer Eins?)!

Abstrakte Räume durchschreitend, Innenwelt und Außenwelt. Nummer Drei zwischen den Frauen. Kopf über dem Reiskocher. Verrat! Sind wir denn Tiere? Nummer Eins und Nummer Drei, Katz und Maus. Doch woher die Rangordnung? Husarenstück am Leuchtturm, doch kein Sieg. Langsame Zermürbungstaktik, die Räume werden enger. Der Protagonist wird nervös, verliert ein bisserl den Verstand. Die Dinge verschwimmen ihm etwas. Sie machen es unter sich aus, Killer-Kollegen, Hand in Hand. Get in the ring! Doch - allein! Wer ist hier die Nummer Eins!?

Seinerzeit weitestgehend unverstanden (Das Nikkatsu-Studio war not amused), hat sich dieser absurde Yakuzastreifen (der den bisher geltenden Genrekonventionen komplett zuwiderläuft) längst zu einem Kultklassiker entwickelt. Wieder einmal, wie so oft: Die Logik unterliegt ganz bewusst der Präsentation und der Ästhetik. Sehr stark die Ausgestaltung unlogischer Räume, wie schon ansatzweise in früheren Arbeiten. Stylisches Schwarz-Weiß nach einigen Farbexperimenten in den Vorgängerfilmen. Trotz mehrfacher Sichtung eine Filmerfahrung, die einem irgendwie durch die Finger rinnt und sich vielleicht gerade dadurch zu unvergesslichen Bildern formt.

Jim Jarmusch hat mit Ghost Dog eine wirklich gelungene Hommage geliefert.

Yakuza abstrakter Raum Reiskocher Shishido chipmunk Joe Suzuki Absurdität


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Vermischte Sichtungen - Midnight Eye relaunch


Nun also nicht mehr "the latest and best", dafür aber "visions of Japanese cinema".

http://www.midnighteye.com/

Schön, dass sie weitermachen. In letzter Zeit war auf der Seite ja nicht mehr viel los, und sogar irgendwelche spammer haben schon ihr Unwesen getrieben.

Das layout noch minimalistischer als vorher. gefällt.


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Shin Zatoichi: Yabure! Tojin-ken (Zatoichi meets the One-armed Swordsman) - YASUDA Kimiyoshi, J 1971


獨臂刀大戰盲俠


Exilchinese, einarmiger Schwertmeister, Immigrant, ein neues Leben in Japan erhoffend, rettet kleinen chinesischen Jungen vor ritueller Wut der fürstlichen Prozessionssamurai. Erweiterters Massaker, Lug und Trug.

Zatoichi nearby, lässig lästige Verfolger abschüttelnd. Der Blinde trifft auf den Versehrten: Unverständnis. Obwohl gleichen Charakters, ähnlichen Temperaments, gleicher Meisterschaft, können einander nicht verstehen. Die Sprachbarriere überbrückend, das chinesische Kind: sowohl des Chinesischen wie des Japanischen mächtig, doch ein lausiger Dolmetsch: kein Interesse an erwachsener Diplomatie.

Trug und Intrige im eigenen Lager: Verrat. Die beiden Schwertkampfmeister nähern sich einander an, bleiben sich jedoch fremd. Doch die weit größere Fremdheit der beiden in ihrem je eigenen Umfeld! Alles auf einen ungewollten Klimax zusteuernd, den beide erahnen aber doch eigentlich nicht wollen. Kaltes Schicksal.

Anerkennung und Respekt schlagen um in Hass, doch wieso und warum? Das Nichtverstehenkönnen letztlich rätselhaft, da doch genug Anknüpfungspunkte vorhanden.

Chanbara-Ästhetizismus: Verzerrter Klang, artifizielles Schmatzen der Schwerter, Genre-Konvention.

Clash of Genregrößen, clash of Civilizations.

Das einander Verstehenkönnen und eben Nichtverstehen rein an der gesprochenen Sprache festgemacht: wo liegt das Hindernis? Physische und psychische Blindheit.

Am Ende die Erkenntnis, doch zu spät. Unaufgelöste Handlung: bringt die Zukunft Verbesserung?

Die Geschichte wird lehren: nein.

Japan-China Kommunikationsprobleme Chanbara Katsu Yasuda


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Exte (Hair Extensions) - SONO Sion, J 2007


エクステ


In einem japanischen Hafen wird eine Containerladung entdeckt, die voll Menschenhaar ist. Mitten darin ein lebloser
menschlicher Körper, dem diese Haare wachsen. Die Polizei steht zunächst vor einem Rätsel. Der Körper gerät in die Fänge eines abartigen Haarfetischisten, der die wuchernde Haarpracht hinfort, als Haarverlängerungen, an Friseursalons vertickt. Die Haarteile entwickeln ein mörderisches Eigenleben und nach und nach werden die Hintergründe und das Schicksal der Frau aus dem Container deutlich.

In einem der Salons, der die Haarverlängerungen kauft, arbeitet eine junge, ambitionierte Stylistin, die sich nebenher um die Tochter ihrer Schwester kümmern muss. Auch hier offenbaren sich bald tragische Details, eine düstere Familiengeschichte um verdrängter Schuld und Misshandlung. Nur langsam gewinnt das kleine Mädchen Vertrauen zu der angehenden Haarstylistin, die in ihr eine Seelenverwandte sieht (tatsächlich sieht sie aus wie ihre Tochter und nicht wie ihre Nichte, beide sehen übrigens irgendwie aus wie Pocahontas Lilo). Die beiden Handlungselemente verknüpfen sich sozusagen durch die ominösen Haarverlängerungen, bis es am Ende fast zu spät ist, um der haarigen Rache der Containerfrau und den Gelüsten des hentai-Haarfreaks Einhalt zu gebieten...

Im wahrsten Sinn des Wortes haariger J-Horror des vielerorts als (nach Miike) neuer Kultregisseur gefeierten Sono, der es tatsächlich schafft, dem doch arg limitierten Genre und seinen Motiven (schreckliche Rache der Toten an den Lebenden) neue Seiten abzugewinnen. Das gelingt vor allem durch die Verbindung der beschriebenen Schicksale der Protagonistinnen und durch eine durchgehend tadellose Inszenierung, geprägt durch den eigenen, surrealen visuellen Stil des Regisseurs. Und am Ende gibt es gar ein happy end und einen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft. Wiederum einmal sollte man aber nicht zu viel Wert auf Realismus und Logik legen, was in dem Genre aber auch wohl nicht wirklich gefragt ist.

Haare Friseur J-Horror Sono


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Ninjo kami fusen (Humanity and Paper Balloons) - YAMANAKA Sadao, J 1937


人情紙風船


Eine Geschichte vom Leben kleiner Händler, Handwerker, Spieler und verarmter Samurai im Japan des 18. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen ein Ronin, der vergeblich versucht, bei einem reichen Beamten Arbeit zu finden sowie ein diebischer Friseur, der sein Geld mit verbotenem Glückspiel macht. Dabei kommen die beiden einem skrupellosen Pfandhausbetreiber bzw. einem Clan in die Quere, welche die Geschäfte in dem Armenviertel kontrolliert. Die Geschichte wird durch die geplante Verheiratung der Tochter des Pfandhändlers mit einem reichen Samurai vorangetrieben. Der Film beginnt und endet tragisch.

Ein klassisches frühes Beispiel des jidai-geki (Historienfilms) von Yamanaka, der sich einerseits stark an amerikanischen Regisseuren wie Hawks oder Ford orientiert hat (wie übrigens auch Ozu in seiner Frühzeit). Andererseits ist dabei aber durchaus etwas sehr "japanisches" (wie immer man es definieren möchte) herausgekommen - ein realistisches Portrait des Lebens einfache Menschen der Edo-Zeit, das den Schwerpunkt noch nicht so, wie schon wenige Jahre später und dann natürlich mit Kurosawa auf die Action, sonder auf die Charakterisierung legt. Der Wechsel des Wetters (eine besondere Ästhetik liegt hier, und etwas anders als bei Kurosawa, in der Inszenierung des Regens) ist für die Inszenierung zentral, ebenso wie, bei aller Tragik und Pessimismus, ein feiner, situationskomischer Humor in der Darstellung der Protagonisten.

Der Film beginnt mit der Entdeckung, dass ein verarmter Samurai Selbstmord durch Erhängen verübt hat. Ehrenvoller wäre es gewesen, hara-kiri zu begehen, so ein Mieter der im Zentrum der Handlung stehenden Armensiedlung. Worauf ein anderer entgegnet, dass er nur ein Bambusschwert besessen habe, und sich damit folglich nicht umbringen habe können. Genau dieses Motiv sollte später etwa Kobayashi in seinem Meisterwerk Seppuku / Harakiri handlungsbestimmend aufgreifen. Auch andere Elemente kommen dem am japanischen Film Interessierten sogleich bekannt vor, wie etwa die Figur des blinden Masseurs. Zahllose Regisseure dürften sich an diesem Klassiker (leider einer von nur drei Tonfilmen Yamanakas, die nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten geblieben sind) orientiert haben, stellvertretend sei hier etwa das geniale Spätwerk Yamada Yojis, besonders Tasogare Seibei (Twilight Samurai) genannt.

jidai-geki Edo-Zeit Samurai Yamanaka