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Mille Fleurs, Baby!

Filmtagebuch




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Krieg der Welten



Krieg der Welten

Spielberg pervers

Alter Hollywoodscherz: „Was ist der Unterschied zwischen George Lucas und Steven Spielberg? – George Lucas glaubt er sei Gott. Gott hingegen glaubt er sei Steven Spielberg.“ Die Kluft zwischen den Kumpels Lucas und Spielberg ist zwar nicht so groß wie die zwischen dem Robert Rodriguez und seinem ungleich talentierteren Spezi Quentin Tarantino, aber wenn man sich die diesjährigen Giganto-Produktionen vor Augen hält, wird klar: Lucas bemüht sich angestrengt, wo Spielberg Dinge scheinbar locker aus dem Ärmel schüttelt.
Ich will den Vergleich der beiden Regisseure und ihrer Filme nicht übermäßig auswalzen, weil so etwas ja schnell ermüdet, aber ganz grob betrachtet lassen sich doch ein paar Vergleichspunkte zwischen den „Kriegen“ – dem der Sterne und dem der Welten – ausmachen: Beide wurden im Bewusstsein gedreht, gigantische Geldmaschinen zu sein, beide erzählen eigentlich nicht bahnbrechend überraschende Geschichten (beim einen Film weiß man um das Ende, weil man ein Prequel zu Bekanntem sieht, beim anderen zählt die Geschichte inklusive Auflösung eigentlich zur Allgemeinbildung) und beide sind verhältnismäßig düster ausgefallen, wenn man bedenkt, dass ihre Regisseure einst als die Könige der glücksverheißenden hollywood’schen Zuckergussmaschinerie galten.
Hier hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf, denn Spielberg trumpft von Anfang an auf und liefert, was Lucas nicht bieten konnte: Seine Figuren haben Seele, sind gut gezeichnet und bringen das Publikum zum Lachen, ohne dass die dunkle Seite (!) der Geschichte nicht spürbar würde. Beispiel: Wenn Tom Cruise als geschiedener Vater seine Kinder übers Wochenende bekommt, während seine Ex-Frau mit ihrem neuen Mann verreist, bröckelt der Putz der heilen Leinwandfamilien-Welt an allen Ecken und Enden. Nicht nur ist Cruise geschieden, er hat auch keinen Zugang zu seinen Kindern, die wiederum keinen Zugang zu ihm haben. Und seine Ex-Frau ist von ihrem neuen Gatten sogar schon schwanger – ein neues Kind und Geschwisterchen ist unterwegs, womit Cruises Familie immer weiter von ihm wegdriftet, während er alleine in seiner Bude hockt und an Motoren herumbastelt. Klingt nicht gerade nach unterhaltsamem Kinostoff, aber die Reibungen zwischen dem Vater und seinen entfremdeten Kindern sind mit einer Prise grimmigen Humors inszeniert, der sehr unterhaltsam anzusehen ist. Wir halten fest: Die Mischung aus ernstem Grundton und comic relief funktioniert wunderbar.
Bleiben wir mal kurz bei dem düsteren Grundton, der den ganzen Film durchzieht und listen ohne bestimmte Reihenfolge kurz auf, was „Krieg der Welten“ da anzubieten hat: (1) Neben den nicht näher identifizierten Invasoren, werden auch die Menschen recht negativ dargestellt. Das beginnt bei vergleichsweise Harmlosem wie den Reportern, die auch im Angesicht des Weltuntergangs immer noch nach „der Story“ suchen, geht über die von Tim Robbins gespielte Figur bis hin zu dem deprimierenden Mob, der das Auto bestürmt, mit dem Cruise und seine Kindern flüchten, und sich um dessen Willen selbst zerfleischt. Angesichts einer Bedrohung von Außen, den Blick auf den „Inneren Feind“ zu werfen, ist für einen Film dieser Größenordnung durchaus gewagt, wenn man bedenkt, was beispielsweise Roland Emmerich bei solchen Gelegenheiten üblicherweise an multikulturellem, politisch korrektem und im Angesicht des Schreckens seine Differenzen überwindendem Personal zusammenzuscharen beliebt.
(2) „Krieg der Welten“ vollzieht mittendrin sogar einen Umschwung vom Spektakel zum Kammerspiel. Gemeint ist die Tim-Robbins-Episode, bei der wiederum die Gefahr von außen und innen ausgespielt wird. Letzteres sogar mit implizierten Schrecken, die – auch wenn sie unausgesprochen bleiben – bedrohlicher wirken, als die Invasoren aus dem All.
(3) Der Film ist durchzogen von Landschaften der Zerstörung und des Todes: Sei es die realistische Flugzeugabsturzstelle, die poetische inszenierte Szene in der Cruises Tochter am Fluss steht oder auch die stilistisch überhöhte blutrote Studiolandschaft am Ende, die ohne Änderung auch in ein Horrormärchen a la „Sleepy Hollow“ gepasst hätte.
(4) Die ständige Bedrohung von Cruises Tochter (gespielt von Dakota Fanning): Es war nicht umsonst eine der Regeln der Selbstzensurregeln des alten Hollywoods, also des production code, dass Kinderfiguren in Filmen möglichst nicht bedroht werden sollten. Hier ist das Mädchen (potenzielles) Opfer seiner eigenen Klaustrophobie, eines aufgeputschten Mobs, eines zwielichtigen Mannes und natürlich auch der Außerirdischen. Dass sie unter der Trennung von ihrer Mutter leidet, gehört auch dazu und wird dadurch verstärkt, dass sie in einer Szene sogar Gefahr läuft auch noch Bruder und Vater zu verlieren. Wenn man bereit ist, sich auch nur ein bisschen auf den Film einzulassen, ist eine solche umfassende Gefahrenkulisse gegenüber einem Kind sicherlich auch heutzutage nicht ohne heilsames Fingernägel-Kauen zu verkraften.
Fügen wir noch als Nummer (5) die „Sandmännchen-Szene“ hinzu, ergibt sich das Bild eines Films, der viel düsterer und bedrohlicher geworden ist, als man das hätte erwarten können / erhoffen dürfen. Besonders die letzten beiden Punkte sind es, die zur Überschrift dieses Textes geführt haben: Steven Spielberg hat mit „Schindler’s List“ oder „Saving James Ryan“ schon länger bewiesen, dass er mehr ist, als nur das Wunderkind, das der Filmwelt harmlose Schonkost wie „E.T.“ schenkte. Aber „Krieg der Welten“ hat gegenüber Spielbergs ernsten Werken inhaltlich genügend Potenzial in einen positiven, ermunternden, aufbauenden, kurz: klassischen „Spielbergfilm“ verwandelt zu werden. Gerade deswegen fällt es auf, dass der Regisseur viele Gelegenheiten nutzt, um eine andere Richtung zu steuern – die erbaulichen Details werden einem dunklen Tonfall geopfert. Statt „typisch Spielberg“ gibt es hier „Spielberg pervers“. (Dass dieser Begriff nicht einmal ansatzweise negativ konotiert ist, sollte schon anhand meiner Prozentwertung für den Film klar sein.)
Natürlich gibt es auch positive Töne: Cruises Sohn, der sich vom passiven Zuschauer zu einem aktiven Helfer entwickelt (ohne, dass die davon abweichende Haltung seines Vaters diskreditiert würde, was an sich schon ein lobenswerter Zug der Story ist) oder Cruises finale Tat der Selbstbehauptung, die zwar für das Überleben der Menschheit von geringem Interesse ist, die aber nicht nur sein Überleben und das seiner Tochter sichert, sondern auch positiven Einfluss auf ihr künftiges Miteinander haben wird, weil der Vater sich bewiesen hat – sich selbst und seinem Kind gegenüber.
Aber trotz dieser Elemente wird der Film von einer „erwachsenen“, „ernsthaften“, düsteren Note überlagert. (Anführungsstriche sollen nur kenntlich machen, dass wir es hier mit relativen Begriffen zu tun haben; relativ zur Natur des Films als Blockbuster.) Da passt es auch, dass Spielberg an der eigentlichen Pointe der Romanvorlage nichts geändert hat, die hier mehr denn je als grimmer Seitenhieb auf die eigentliche Ohnmacht des Menschen und vielleicht auch auf die Banalität eines jeden happy endings erscheint.
Für eine Sekunde traut man dem Film sogar zu, dass er das Endmotiv aus John Fords meisterlichem „The Searchers“ übernehmen könnte. Das tut er zugunsten einer positiveren Endnote dann doch nicht, aber man wird das Gefühl nicht los, dass Spielberg nur eine Winzigkeit davon entfernt war, es darauf ankommen zu lassen.
Da es mir an einer passenden Überleitung vom dominierenden Thema dieser Kritik (düstere Grundstimmung) zu den unabwendbaren Banalitäten einer Filmbesprechung fehlt, mache ich es kurz und halte fest: „Krieg der Welten“ ist handwerklich auf allen Ebenen mehr als solide. Spielberg zaubert teilweise richtig lange Einstellungen mit fließenden Kamerabewegungen, die prächtig anzusehen sind. Sei es bei wilden Fluchten zu Fuß oder während einer Autofahrt – Spielberg übt sich in reinster Schönschrift des kommerziellen Kinos. Dabei sind diese Dinge bei ihm nicht (nur) Spielerei und Geprotze, sondern sie tragen sehr wohl zur atmosphärischen Dichte mancher Szenen oder zum Spannungsaufbau bei. Und dass Spielberg auch bei Actionszenen eine ruhige Hand beweist und nicht wild herumschneidet, kommt seinen gigantischen und perfekt animierten Spezialeffekten nur zu Gute – denn wenn es wie bei diesem Film um die schiere Größe des Gezeigten geht, warum sollte man dann alles kurz und klein schneiden, und dadurch über das handwerkliche Hintertürchen seiner Größe berauben?
Fazit: Highlight, das hervorragend zwischen krachiger Action und ruhigeren Szenen, die die Action erst richtig interessant und spannend machen, vermittelt.

Texte aus kino.de-Zeiten



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