Dirty Harry
„Well, then the law is crazy!“ – Dirty Harry, Pauline Kael und rechtes Wunschdenken
Kael
Regisseur Don Siegel und Schauspieler Clint Eastwood hatten bereits bei drei Filmen zusammen gearbeitet – namentlich Coogan’s Bluff (1967), Two Mules for Sister Sara (1969) und The Beguiled (1970) – als sie sich 1971 wiederum zusammentaten um den Film zu drehen, der zu einem Höhepunkt in beider Künstler Karrieren werden sollte: Dirty Harry. Für Eastwood war die Rolle nicht allzu schwer zu meistern, erinnerte doch vieles an Harry Callahan an Eastwoods Western-Rollen, und Siegel hatte bereits 1967 zwei Filme gedreht, die ihn auf diesen vorbereiten sollten: Madigan und den bereits genannten Coogan’s Bluff. Beide Werke wurden von Kritikern für ihren lakonischen Humor gelobt, bei Madigan wurde der Realismus positiv hervorgehoben und Coogan’s Bluff verschaffte Siegel Übung darin, Eastwoods Mythos vom Western in die Großstadt zu transferieren.
Diese neuste Zusammenarbeit der Beiden war aber nicht nur ein großer Erfolg an den Kinokassen und avancierte sofort zum Meilenstein des Action- beziehungsweise Polizeifilms, sondern provozierte auch heftige Attacken von wütenden Kritikern, die dem Film vorwarfen er sei reaktionär und rechts-gerichtet. Die berühmte Kritikerin Pauline Kael, vielleicht die prominenteste Gegnerin des Films, war die erste, aber bis heute wahrlich nicht die einzige, die sogar noch weiter ging und meinte Dirty Harry sei: „ein faschistischer Film“, „ein rechter Wunschtraum, (…) der para-legale Polizeigewalt und Selbstjustiz propagiert“ und „ein bemerkenswert zielstrebiger Angriff auf liberale Werte”. Ihr Fazit: „Das Action-Genre hat immer faschistisches Potential gehabt und in diesem Film tritt es zutage.“ Ist dem so? Ist Dirty Harry, der Film Eastwoods, dessen Popularität bei den Fans derjenigen der Für-eine-Handvoll-Dollar-Trilogie entsprechen dürfte, also ein filmischer Sendbote des Faschismus?
Bevor man dieser Frage größere Aufmerksamkeit widmet, ist es angebracht erst einmal mit dem simpelsten Schritt zu beginnen, nämlich dem Versuch zu definieren was ein „faschistischer Film“ ist und dann zu sehen, ob diese Definition auf Dirty Harry anwendbar sei. Aber schon hier ergeben sich Probleme: Historisch besehen, ist ein „faschistischer Film“ ein Werk, das in einem faschistischen Land gedreht wurde, die Ideologie dessen Herrscher transportiert (Veit Harlans Jud Süß) und das sich oft durch den Hang zu einem gewissen heroischen visuellen Stil auszeichnet, wie ihn Leni Riefenstahl in ihren Dokumentationen maßgeblich geprägt hat. Diese Definition kann nun aber nicht auf einen amerikanischen Film des Jahres 1971 angewendet werden, weswegen eine zweite allgemeinere Begriffsbestimmung versucht werden kann, die einzig und allein auf die Botschaft eines Filmes achtet. Demnach müsste ein „faschistischer Film“ faschistisches Gedankengut verbreiten, also eine Mischung aus extremem Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und Antiliberalismus. Nun wurde Dirty Harry selbst von seinen schärfsten Kritikern lediglich in zwei dieser Kategorien für schuldig befunden – weil sie den Protagonisten für einen Rassisten hielten und den Film generell als anti-liberal empfanden – aber das Wesen des Faschismus, und damit auch des faschistischen Films, zeichnet sich nun einmal durch die Verquickung dieser Faktoren aus, weshalb es – besonders in Anbetracht der Schwere des Vorwurfs – eine unzulässige, unseriöse und letztlich falsche Verwendung von Begriffen darstellt, wenn Kael und alle die ihr bis heute folgen Dirty Harry als „faschistisch“ brandmarken.
Damit ist natürlich noch nichts über die Berechtigung der eigentlichen Vorwürfe gegen den Film gesagt (dazu mehr im Folgenden), aber die Ausführungen sollten aufzeigen, dass es wünschenswert wäre, wenn Kritiker bei der Betrachtung von Filmen ihre eigenen politischen Ansichten nicht die Oberhand gewinnen lassen, denn genau das scheint hier passiert zu sein: Pauline Kael war 1971 ein junge, liberale Kritikerin, die bekannt geworden war als sie Bonnie and Clyde wortgewandt gegen die Angriffe älterer Kritikergenerationen verteidigte, die den für damalige Verhältnisse in Bezug auf die Darstellung von Sexualität und Gewalt ungemein freizügigen Film für eine unmoralische Ausgeburt des Sittenverfalls hielten. Vergleicht man Kaels Reaktion auf beide Filme, drängt sich der Verdacht auf, dass sie, wie viele andere ihrer Generation, zweierlei Maß anlegte: Bonnie and Clyde ist ja politisch auch kein ganz unproblematischer Film, sondern dreht und verdreht seine historische Vorlage so, dass seine Protagonisten als Identifikationsfiguren für die aufsässige Jugend Amerikas taugten, dass sie als moderne Robin Hoods erscheinen, als romantisch verklärte Rebellen, die vom „System“ schließlich hinterrücks ermordet wurden. Kael hatte nie Probleme mit der Manipulation des Zuschauers und der Romantisierung des Gangsterlebens in diesem Film und akzeptierte seine politische Voreingenommenheit – übrigens zu Recht, denn Bonnie and Clyde ist schließlich ein hervorragend gemachter und mitreißender Film –, reagierte aber überzogen, als sie bei Dirty Harry eine ähnliche, aber politisch anders gelagerte Vorgehensweise zu entdecken glaubte. Und eben in dieser fast reflexartigen Überreaktion liegt Kaels Fehler: Wenn sie Siegels Film als konservativ empfand, dann ist das ihr gutes Recht und nicht mal abwegig, ihn aber als „faschistisch“ zu diffamieren, ist inakzeptabel. Wie Ekkehard Knörer schreibt: Pauline Kael, die sich immer einen etwas begrenzten Begriff von dem gemacht hat, was Kino heißt, hat sich nicht anders zu helfen gewusst, als Dirty Harry zu hassen und Clint Eastwood und Don Siegel gleich hintendrein. Beredtes Beispiel dafür ist ein Interview von 1998, in dem sie äußerte: In a Clint Eastwood movie, you identify with the guy with the biggest gun, not the victim.Aber verteidigt der guy with the biggest gun denn nicht die Opfer? Oder wollte Kael allen Ernstes vorschlagen, dass einer wie Scorpio, der Erpresser, Vergewaltiger und Mörder aus Dirty Harry, zu den Opfern zählt, mit denen sich der Zuschauer im Rahmen dieses Filmes identifizieren sollte? Wenn dem so wäre, müsste man wieder auf Bonnie and Clyde verweisen und fragen, warum es dort nicht Kaels Widerspruch herausforderte, wenn der Tod zweier gewöhnlicher, mehrfacher Raubmörder als emotionaler Höhepunkt des Films dient, wohingegen viele Opfer der Beiden nur kurz oder gar nicht erwähnt werden.
All die eben angestellten Betrachtungen waren nur Antwort auf einen oberflächlichen Vorwurf, dementsprechend konnte dabei nicht näher ins Detail gegangen werden. Aber es gibt auch Kritik an Dirty Harry, die sich nicht mit einfachen semantischen Betrachtungen beiseite fegen lässt. Wenn man ihr begegnen will, ist es am sinnvollsten die beiden Hauptfiguren des Films näher zu betrachten, weil die meisten negativen Äußerungen gegen den Film direkt mit der Gestaltung des Polizisten Harry Callahan und des von ihm gejagten Verbrechers Scorpio zu tun haben.
Scorpio
Scorpio ist in der Tat einer der skrupellosesten und unmenschlichsten Verbrecher, die man sich vorstellen kann: Er erpresst die Stadt San Francisco, droht willkürlich Bürger zu erschießen, wenn man nicht auf seine Geldforderungen eingeht (If I do not hear from you it will be my next pleasure to kill a catholic priest or a nigger, steht am Ende des Erpresserbriefes, dessen letztes Wort der Polizeichef bei der Lagebesprechung gar nicht auszusprechen wagt), er kidnappt, missbraucht und quält ein junges Mädchen als er sich von der Stadt betrogen fühlt, hat sichtlichen Spaß daran Callahan bei der Geldübergabe zu schlagen. Andy Robinson spielt diesen Scorpio angsteinflößend glaubwürdig und gibt Eastwoods Harry Callahan eine starke Motivation für sein Handeln. Viele liberale Kritiker hatten mit Scorpio ihre Probleme, da sie ihn als unrealistische Figur empfanden und als Verkörperung des böswilligen rechten Klischees vom verrückten Hippie. Beide Vorwürfe kann man entkräften: Das Drehbuch ist durchaus nicht unrealistisch, basiert es doch, zumindest für die anfänglich von Scorpio begangenen Verbrechen, auf dem wahren Fall des „Zodiac Killers“ (man beachte allein den Zusammenhang zwischen den Namen: „zodiac“ = „Sternzeichen“, „Scorpio“ = „Sternzeichen Skorpion“), der ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr wahllos Menschen ermordete und nur bei Zahlung eines hohen Geldbetrages damit aufhören wollte. (Der reale Fall wurde übrigens nie geklärt.) Der andere Punkt (Scorpio als evil hippie) ist von größerer Bedeutung – würde er tatsächlich zutreffen, könnte man dem Film durchaus reaktionäre Tendenzen vorwerfen – kann aber ebenso widerlegt werden wie der erste: Es gibt im ganzen Film keinen wirklichen Hinweis darauf, dass Scorpio sich mit der Hippie-Bewegung identifizieren würde. Die von Kritikern immer wieder erwähnte Gürtelschnalle in Form des peace-Zeichens, die Scorpio bei weitem nicht während des ganzen Filmes trägt, sondern die nur in zwei kurzen Szenen sichtbar wird, ist ein schwaches Indiz, weil sie erst sehr spät im Film auftaucht, weil sie nur kurz sichtbar ist, weil es sich dabei nicht um ein reguläres peace-Zeichen handelt, sondern um ein seltsam verzerrtes, dass durchaus Scorpios verschrobene Psyche symbolisieren kann. Des weiteren wird, als Callahan Scorpios Wohnung aufbricht, am Kühlschrank des verrückten Mörders eine amerikanische Flagge sichtbar. Würde man der ähnliche Beachtung wie der Gürtelschnalle schenken – es handelt sich hier schließlich um eine Dekoration, die Scorpio in seiner abgeschiedenen Wohnung für sich gut sichtbar angebracht hat – dann könnte man mit der gleichen Berechtigung behaupten, Scorpio sei ein typisches Beispiel für einen jener fanatisch-verwirrten Patrioten, die man in Amerika häufiger trifft, als in anderen Ländern der westlichen Zivilisation. Dies wäre aber ebenfalls eine irrige Annahme. Sinnvoller wäre es die Leichtigkeit und Unbeschwertheit mit der Scorpio die beiden Symbole annimmt ohne sich daran zu stören, dass diese üblicherweise unterschiedliche politische Richtungen repräsentieren, als Indiz für seine Formlosigkeit zu nehmen: Er ist deswegen so bedrohlich, weil man nicht weiß, was dieser Mann eigentlich will oder warum er es will. Die verschiedenartigen Gewaltverbrechen, die Scorpio begeht, scheinen unzusammenhängend, planlos und undurchschaubar. Und da er in San Francisco lebt, der Hauptstadt der Blumenkinder, in der er umgeben ist von den Symbolen und Spuren der Hippies, ist es gut vorstellbar, dass er deren bekanntestes Markenzeichen trägt, ohne die dadurch verkörperten Ideale auch nur ansatzweise zu teilen, sondern weil es ein angepasstes modisches Accessoire ist. Insofern hat die fiktive Gestalt Scorpio sogar wesentlich weniger mit den Hippies zu tun, als der leider reale Charles Manson und seine „Familie“. Außerdem macht es sich der Film bei weitem nicht so einfach wie die Kritiker. So gibt es zum Beispiel eine Szene in der Callahan von seinem Vorgesetzten Lieutenant Bressler jene berüchtigte Frage gestellt bekommt, die damals normalerweise für die besorgten Eltern rebellischer Kinder reserviert war: When the hell you going to get a haircut? Callahan straft diese Frage mit einer für ihn typischen schnippischen Antwort ab, aber in der Tat ist seine Frisur weit von dem zackig-militärischen Kurzhaarschnitt entfernt, den man eigentlich bei einem harten rechten Polizisten erwarten würde. Dennoch macht ihn dieses Detail ebenso wenig zum Hippie, wie die Gürtelschnalle dies bei Scorpio tun könnte. Hätte Don Siegel Scorpio als prototypischen Hippie darstellen wollen, dann hätte er dies ohne weiteres tun können. Stattdessen hat er ihn aber zu einem unauffälligen Mann gemacht, dessen sinnlose Verbrechen ein Abbild seiner Gesichtslosigkeit sind. Scorpio ist damit weit entfernt von einem Klischee, erst recht von einem rechten.
Callahan
Viele Vorwürfe gegen den Film richten sich direkt gegen die Figur des Helden, gegen Inspektor Harry Callahan. Da wäre zum Beispiel die Frage, ob dieser ein Rassist sei. In dieser Frage Hilfe bei Äußerungen des Regisseurs zu suchen, stiftet auf den ersten Blick Verwirrung, da Siegel verschiedene Antworten parat hat. Statement Nummer 1: Dirty Harry is a tough cop, a racist son of a bitch, who's faced with a crazy sniper and naturally blames everything on blacks and other minorities.Würde dieser Satz von einem Kritiker geäußert, man müsste daran zweifeln, ob er den Film überhaupt gesehen hat. Wie Siegel auf die Idee kommt, dass Callahan „den Schwarzen und anderen Minderheiten die Schuld für alles gibt“ bleibt rätselhaft. Unter anderem auch wegen Statement Nummer 2, in dem sich Siegel zu einer Szene äußert, die nach dem Banküberfall zu sehen ist, bei dem der Polizist zwei schwarze Bankräuber erschossen hat, dabei selbst angeschossen wurde und nun von einem schwarzen Arzt (offenbar ein alter Freund des Inspektors) behandelt wird: The studio thought it was unnecessary, and had it taken out of the script. I've put it back. (…) The scene cost only $500 and it says a hell of a lot about Harry – that he isn't just a bundle of prejudices, that he has a certain amount of humanity as well.Callahan ist aber nicht nur seit Jugendtagen mit (mindestens) diesem einen Schwarzen befreundet, sondern er legt während des Films auch kein rassistisches Verhalten an den Tag. Der Verweis darauf, dass er bei dem von ihm vereitelten Banküberfall den verletzten schwarzen Räuber mit dem berühmt-berüchtigten Do you feel lucky-Monolog quält, ist kein Beweis für Rassismus, sondern nur ein Beispiel für Callahans rohen und zynischen Humor. (Eine andere wichtige Funktion dieser Szene wird später noch erläutert werden.) Als Beweis dafür kann man die Art nehmen, wie Callahan mit allen seiner Mitmenschen umgeht, denn er verschont niemanden mit seinem ruppigen Humor, nicht einmal den (weißen) Mann, der sich von einem Häuserdach in den Tod zu stürzen droht. Der Rassismusvorwurf wird selbst im Film angesprochen, als Chico Gonzales (sein neuer Partner, mit offensichtlich mexikanischen Wurzeln) Callahan nach dem Ursprung seines Spitznamen fragt:
Gonzales: Why do they call you “Dirty Harry”?
De Georgio: That’s one thing about our Harry. (…) Harry hates everybody: limeys, micks, hebes, dagos, niggers, honkies, chinks. (…)
Gonzales: How does he feel about Mexicans? (…)
Callahan (De Georgio kaum merklich zublinzelnd): Especially spics.
Die schlagfertige Antwort Callahans alleine macht klar, dass De Georgios Aussage nicht ernst zu nehmen ist, das verschwörerische Zublinzeln unterstreicht das Ganze noch. Jenseits dieses eindeutig als Scherz erkennbaren Moments, wird man Mühe haben Beweise zu finden um Callahan auch nur ansatzweise des Rassismus zu bezichtigen.
Ein weiterer Vorwurf gegen den Film war und ist, er sei reaktionär, weil er Selbstjustiz verherrliche. Dieser Punkt wird noch nicht mal von vielen Fans des Filmes bestritten. So kann man beispielsweise in der für die DVD-Veröffentlichung des Filmes neu produzierten Dokumentation Dirty Harry: The Original unter anderen Arnold Schwarzenegger sagen hören, dass er glaube, Harry Callahan sei eine so beliebte Figur, weil er außerhalb des Rahmens der Gesetze arbeite. Dies ist übrigens auch der übereinstimmende Tonfall fast der gesamten Dokumentation, die zwar viel über die Sichtweise konservativer Hollywoodgrößen auf diesen Film aussagt, aber nicht viel über den Film selbst. Schaut man aber genauer hin, offenbart sich, dass der Film wesentlich differenzierter vorgeht.
Da wäre zum Beispiel der Banküberfall am Anfang des Filmes: Callahan sitzt in einem Imbiss, in einer nahegelegenen Bank findet ein Überfall statt, Callahan greift ein und bringt die Räuber – immer noch auf Resten seines Hotdogs kauend – zur Strecke. Schwarzenegger beschreibt seine Erinnerung an diese Szene in der bereits erwähnten Dokumentation so, als ob Callahan sich – ohne einen Gedanken an die Regeln der Polizeiarbeit zu verschwenden – einfach ins Geschehen gestürzt und das Feuer auf die Verbrecher eröffnet hätte. Dem ist aber nicht so. Der Inspektor bittet den Besitzer des Imbisses die Polizei zu rufen und hat überhaupt nicht vor, ohne Unterstützung etwas zu unternehmen: Now, if they’ll just wait till the cavalry arrives… Den Gefallen tun ihm die Bankräuber aber nicht und erst jetzt entschließt sich Callahan einzuschreiten, woraufhin die Ganoven als erste das Feuer auf ihn eröffnen.
Als Callahan später als Bote das von der Stadt aufgebrachte Lösegeld für das entführte Mädchen an Scorpio übergeben soll, handelt er zuwider der Anweisungen seines Vorgesetzten und nimmt seinen Partner Gonzales als Rückendeckung mit. Dies erweist sich als gute Idee, denn während Gonzales sich so unauffällig verhält, dass er die Geldübergabe nicht platzen lässt, kann er doch zur Rettung seines Partners einschreiten, als Scorpio sich anschickt den Inspektor nach der erfolgten Überbringung des Geldes zu töten. Callahans Handeln ist einerseits nur ein kleiner Verstoß gegen die Regeln, andererseits aber eine sinnvolle Entscheidung – Callahans Chef schreckte davor zurück, weil er von Scorpios ungewöhnlichem und skrupellosem Vorgehen so eingeschüchtert ist, dass er keinerlei Risiko einzugehen gewillt ist. Callahan aber, und nichts anderes soll durch sein Handeln ausgedrückt werden, ist aus einem anderen Holz geschnitzt: Er will die Geldübergabe – und damit die Unversehrtheit der Gekidnappten – nicht gefährden, will aber auch nicht einsehen, warum sich die Behörden einem geistesgestörten Verbrecher passiv und devot ausliefern oder dessen Versprechen blindlings Glauben schenken sollten. Das ist keine Selbstjustiz, sondern gesunder Menschenverstand.
Aber die wirklich problematischen Szenen folgen erst noch. Noch in der Nacht der entgleisten Geldübergabe (Scorpio entwaffnet, demütigt und verletzt Callahan, wird von Gonzales davon abgehalten ihn zu töten, schießt Gonzales an und kann mit einer Stichwunde im Bein fliehen) kann der lädierte Inspektor die Verfolgung des Missetäters wieder aufnehmen, da sich ein Arzt bei der Polizei meldet, der einen Mann mit einer Stichwunde behandelt hat. Mehr noch: Der Arzt kann sich daran erinnern woher er den Mann kennt und wo dieser wohnt, nämlich als Hausmeister in einem nahegelegenen Footballstadion. (Alvy Singer empfindet diese Konstruktion als sehr weit hergeholt und daher als Beispiel für bad screenwriting. So recht widersprechen kann man dem nicht. Aber die Brillanz der durch diese arg simple Konstruktion ermöglichten folgenden Szene im Stadion entschädigt den Zuschauer dafür allemal.) Callahan tritt die Tür von Scorpios Wohnung ein und durchsucht diese ohne eine entsprechende richterliche Genehmigung dafür zu haben. Was folgt ist noch schlimmer: Als Callahan Scorpio schließlich findet, schießt er diesen an, obwohl er sich schon ergeben hatte und foltert ihn, indem er mehrfach gegen Scorpios frische Wunde tritt. Callahan übertritt hier eindeutig die Grenze des Gesetzes, aber es ist äußerst wichtig zwei Dinge zu dieser Szene festzuhalten: (1.) Die Art wie das Geschehen präsentiert wird, macht klar, dass Callahan etwas falsches tut. Nichts ist hier heroisch oder glorifizierend. Die tiergleichen Schreie des verwundeten Mörders, die pulsierende wilde Musik, die Kamera, die den Ort des Geschehens in einer Rückwärtsbewegung verlässt bis die beiden Männer schließlich in der das Stadion umgebenden Dunkelheit verschwinden – all diese Elemente schaffen eine von Wahnsinn und Schmerz geprägte Atmosphäre, welche Callahans Akt der Gewalt nicht entschuldigt, sondern klar betont, dass er hier zu weit geht. (2.) Obwohl im Film eine gewisse Symmetrie zwischen dem Polizisten und dem Kriminellen etabliert wird (das Verschwimmen der Beziehung von Jäger und Gejagtem, vergleichbares Handeln der Beiden [Callahan lauert dem Heckenschützen Scorpio auf, indem er sich ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr bewaffnet], visuelle Gegenüberstellungen), so werden sie einander doch nicht gleichgestellt. Callahan foltert Scorpio, so wie Scorpio nur wenige Stunden zuvor Callahan folterte – der Unterschied dabei ist, dass Scorpio aus purem Sadismus handelte und es genoss den Polizisten leiden zu sehen, während Callahan auf diese Weise lediglich den Aufenthaltsort des entführten und um sein Leben kämpfenden Mädchens herausfinden will. Er mag kein Mitleid für Scorpio empfinden, aber er findet auch keinen Gefallen an dessen Leiden. Callahans Motivation und seine Gefühle während des Gewaltaktes sind völlig verschieden von denen des Killers. Die Argumente der beiden aufgeführten Punkte zusammenfassend, kann man also feststellen, dass der Film nachvollziehbar macht, warum Callahan so handelt wie er es tut, dies aber keinesfalls entschuldigt oder gutheißen würde.
Diese Szene stellt in bezug auf ihre Radikalität den Höhepunkt des Films dar. Für die Kritiker, die in Dirty Harry rechte Propaganda sehen, sind aber auch die Folgen der Stadionszene Bestätigung ihrer These: Callahans brutales und unrechtmäßiges Handeln führt dazu, dass Scorpio freigelassen werden muss, denn die in der Wohnung bei der unrechtmäßigen Durchsuchung gefundenen Beweisstücke würden bei einer Verhandlung nicht zugelassen werden und die Verhaftung entsprach keinen Vorschriften. Does Escobedo ring a bell? Miranda?, fragt der aufgebrachte Staatsanwalt den Inspektor und verweist auf zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA, die vor unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen schützen sollten (Escobedo) und festlegten, dass einem Verdächtigen bei seiner Festnahme seine Rechte vorgetragen werden müssen (Miranda). Callahan antwortet auf diese Frage nicht, blickt den Richter aber mit derartig gerunzelter Stirn an, als hätte er davon tatsächlich noch nie etwas gehört. What I’m saying is, that man had rights, fährt der Staatsanwalt fort, worauf Callahan nur eine, wie gewohnt trockene, Antwort hat: Well I’m all broken up about the man’s rights. Der Staatsanwalt eröffnet Callahan dann, dass er es nicht zum Prozess kommen lassen werde, da es ihm nicht erlaubt sei Scorpios Gewehr als Beweis anzuführen.
Callahan: Who says that?
District Attorney: It’s the law!
Callahan: Well, then the law is crazy!
Scorpio ist ein freier Mann, weil Callahan dessen Rechte verletzt hat. Der Inspektor ist wütend: And Ann Mary Deacon, what about her rights? She’s raped and left in a hole to die! Who speaks for her?Zusammen mit Callahans ominöser Ankündigung, dass Scorpio sich nicht allzu lange draußen herumtreiben werde, ergeben all diese Äußerungen natürlich den Eindruck, der Film unterstelle der modernen Rechtssprechung sie kümmere sich mehr um die Rechte der Täter als um die der Opfer und dass man deswegen die Sache selbst in die Hand nehmen müsse. Dass es dem Film aber nicht darum geht das Recht zu diskreditieren oder liberale Vorstellungen zu verleumden wird in diesen Szenen trotzdem deutlich. Der Staatsanwalt ist schließlich nicht sauer auf Callahan, weil ihm alleine Scorpios Wohl am Herzen liegen würde, sondern weil er wegen des skrupellosen Vorgehens des Inspektors einen unzweifelhaft schuldigen Mann freilassen muss: I’ve got a wife and three kids. I don’t want him on the street any more than you do.Es ist weder die Schuld der Justiz, dass Scorpio nicht belangt werden kann, noch entspricht dies den Wünschen der Vertreter des Gesetzes. Es tut sich hier aber eine Kluft auf, zwischen Recht und Gerechtigkeit. Die Autoren und der Regisseur dieses Filmes haben sich dies aber nicht aus den Fingern gesogen, sondern dabei lediglich eine Debatte in den Film miteingearbeitet, die in der amerikanischen Öffentlichkeit geführt wurde und die bis zum heutigen Tage jedem Bürger von Staaten mit einem geregelten Rechtssystem vertraut ist. Dirty Harry erhebt dabei keinen Anspruch darauf einen allgemeingültigen Fall zu präsentieren: Nicht dass Scorpio unvorstellbar wäre, aber reale Reibungen zwischen Gerechtigkeitsempfinden der Öffentlichkeit und dem Buchstaben des Gesetzes ergeben sich selten in Fällen der totalen Kapitulation des Rechts (wie bei Scorpio), sondern eher dort, wo Urteile gesprochen werden, die in keinerlei Verhältnis zu den begangenen Taten zu stehen scheinen, wie man es auch hierzulande oft bei Prozessen gegen Sexualstraftäter erleben kann. Dirty Harry greift dieses Dilemma auf um seinen Helden zu motivieren und daraus eine emotionale Wucht zu ziehen, der sich der Zuschauer kaum verweigern kann – sogar Pauline Kael gab gerne zu, dass der Film unheimlich effektiv ist –, aber, und dies ist wichtig, der Film maßt sich nicht an eine Lösung parat zu haben. Denn im Anschluss an das Gespräch mit dem Staatsanwalt geht Callahan, trotz seiner dies implizierenden Drohung, nicht etwas los und tötet Scorpio in einem Akt der Selbstjustiz, sondern er verfolgt und beschattet ihn vielmehr auf eigene Rechnung, weil er weiß, dass Scorpio früher oder später wieder tätig werden wird. Damit bleibt Callahan letztlich im Rahmen des Gesetzes, versucht weder Scorpio etwas anzuhängen oder ihn zu provozieren, zeigt ihm lediglich, dass er nicht aufgeben wird.
Die finale Konfrontation zwischen dem Polizisten und dem Verbrecher fällt weniger radikal aus, als die im Stadion. Scorpio kidnappt einen Bus voller Schulkinder und verlangt Lösegeld, Callahan weigert sich zum zweiten Mal bag boy zu spielen und macht sich stattdessen auf Scorpio zu stellen, zwingt diesen den Bus zu verlassen, jagt ihn über das Gelände einer Kiesgrube und verletzt ihn schließlich mit einem Schuss. Was folgt ist eine Wiederholung dessen, was sich am Anfang des Films bei dem Banküberfall zutrug: Der Inspektor steht dem verletzten Verbrecher gegenüber, der nach seiner Waffe zu greifen versucht und hält seinen Do you feel lucky-Monolog. Aber auch hier wird man, wenn man nur näher hinsieht, bemerken, dass jene Kritiker irren, die dem Film vorwerfen: Verbrechen wird darin nicht als soziales Phänomen gesehen, sondern alle Verbrechen und alle Verbrecher werden mit dem psychopatischen Scorpio gleichgestellt (Alain Silver, Elisabeth Ward). Denn der Unterschied zwischen Callahans Einstellung gegenüber den beiden Verbrechern und deren jeweilige Reaktion ist offensichtlich: Während Callahan dem Bankräuber mit einem verspielten Zynismus gegenübertritt (man beachte seinen entspannten Gesichtsausdruck), ist er bei Scorpio wirklich angewidert, spricht mit großer Verachtung und spuckt ihm das Wort „Punk“ förmlich ins Gesicht – er macht also durchaus einen Unterschied zwischen den verschiedenen Verbrechen. Des weiteren macht auch der Film diesen Unterschied klar: Der Bankräuber sieht ein, dass er verloren hat, gibt vernünftigerweise auf. Scorpio hingegen, der nicht aus finanziellen Motiven, sondern aus purer Mordlust gehandelt hat, ist wahnsinnig genug, die Herausforderung des Polizisten anzunehmen anstatt sich verhaften zu lassen. Die Szene macht klar: Callahan würde selbst einen Verbrecher wie Scorpio nicht töten, wenn dieser ihn nicht direkt bedroht. Tatsächlich stellt er diesen lediglich vor die Wahl, bietet ihm quasi an zu bewiesen, dass Callahan sich in ihm getäuscht hat und er in seinem tiefsten Inneren doch vernünftig genug ist sein Leben zu retten, oder andernfalls zu bestätigen, dass er dumm genug ist nach seiner Waffe zu greifen und somit Callahan zu zwingen, ihn in Notwehr zu töten.
Nach dieser finalen Konfrontation wirft Callahan in einer Referenz an High Noon seine Polizeimarke dem toten Scorpio hinterher in den See. Warum? Ist es weil er den Glauben an das Gesetz verloren hat, weil er nicht mehr bereit ist sich zu engagieren, wenn ihm von liberalen Paragraphenreitern die Arbeit zunichte gemacht wird, oder vielmehr weil er spürt, dass er doch zu weit gegangen ist, dass Leute wie er nicht mehr in diese Zeiten passen und selbst die Gesetze behindern, die sie doch vertreten sollen? Auch wenn der letzte Punkt durch die nachfolgenden Fortsetzungen eher unwahrscheinlich scheint, kann er doch auf den Film alleine bezogen durchaus in Betracht gezogen werden.
Genre
Nach diesem erschöpfenden Versuch, den Vorwurf der Glorifizierung von Selbstjustiz anhand von Betrachtungen zur Handlung und den Charakteren zu entkräften, sollten noch ein paar allgemeinere Dinge über den Film und seine Einordnung in Genres angestellt werden, die ebenfalls der Entlastung des Films dienen sollen.
Man kommt nicht umhin festzustellen, dass Dirty Harry kein klassischer Detektiv- oder Polizeifilm ist. Zwar weist Callahan Ähnlichkeiten mit den Helden der hard boiled-Romane und -Filme auf, aber in seiner Geschichte geht es kaum um das Sammeln von Beweisen, das Befragen von Zeugen und das Ziehen kluger Schlussfolgerungen – Dirty Harry ist eher ein klassischer Actionfilm, der sich mit der Jagd auf einen Mann beschäftigt und weist auch einige Ähnlichkeiten mit Western auf. Innerhalb der Konventionen dieser Genres (und auch anderer) ist das gezeigte Geschehen bis hin zum Tod des Bösewichts durch die Hand des Helden keineswegs ungewöhnlich. (Kritisiert man Dirty Harry, käme man nicht umhin auch anderen Filmen ähnliche Vorwürfe zu machen: Ist nicht der Held von The Big Sleep ein Privatdetektiv, der mehrfach Gesetze bricht, nicht viel für die Polizei übrig hat und Menschen tötet oder in den Tod jagt? Ist das in High Noon gezeigte Bild der Gesellschaft nicht auch absichtlich böswillig, unrealistisch und negativ konstruiert? Diese Vorwürfe klingen freilich absurder als jene gegen Dirty Harry, könnten aber tatsächlich als konsequente Weiterführung der Kritik an Siegels Film gesehen werden.)
Dirty Harry wird auch als „Großstadtwestern“ bezeichnet, also als Film, der spezifisch Western-typische Elemente in eine andere Zeit und Umgebung versetzt. Inspektor Callahan ersetzt hier den Sheriff der Westernstadt und ist außerdem eine Inkarnation des silent stranger, einer Figur, die Eastwood vor und nach Dirty Harry wiederholt verkörperte. Diese Figur hat keine persönliche oder historische Identität, sondern ist ein anonymer einsamer Mann ohne Vergangenheit oder Zukunft (Franz Everschor). Dies passt als Beschreibung ebenso auf Callahan wie auf seine Western-Gegenstücke, weil der Inspektor als Mann mit kaum Freunden gezeigt wird, als jemand, der keine Frau hat (der Tod seiner Frau wird nur kurz von ihm angerissen und fügt dem Charakter keine psychologische Tiefe oder Motivation hinzu), keinen Hobbys nachgeht oder irgendeine Art Privatleben vorweisen könnte. Genau wie der schweigsame Fremde, der aus dem Nichts auftaucht und Gerechtigkeit bringt oder wie der Sheriff, der seiner Gemeinde dient, definiert sich Callahan darüber, dass er „seine“ Stadt schützt – jenseits seines beruflichen Engagements ist der Mann nahezu nicht existent, ein kaum greifbarer Geist. (Wobei nicht ignoriert werden sollte, dass Eastwood einen gewissen Einfluss auf die Wortkargheit seines Helden hatte, wie beispielsweise John Milius zu berichten weiß, der das Script für den zweiten Teil schrieb. Eastwood sei oft zu ihm gekommen und habe sich beklagt: Hier habt ihr mir zu viel Text gegeben. Ich bin nicht gut im Aufsagen von Texten. Aber ich kann gut starren…)
Da die Figur des silent stranger oft mit einem gewissen religiösen Subtext verbunden ist, wie in Eastwoods Filmen High Plains Drifter und Pale Rider oder in Sergio Corbuccis Il grande silenzio) ist es nicht verwunderlich, dass eben diese Motive auch in Dirty Harry zu finden sind: Eine große Kirche dominiert den Platz an dem Scorpio seinen zweiten Mord plant und Callahan überblickt ihn von einem Häuserdach aus, auf dem ein rotierendes Neon-Schild verkündet: „Jesus saves“. Für die Geldübergabe wählt Scorpio einen Park, der von einem gigantischen Kreuz beherrscht wird (Nicole v. Elert, Aruna Vasudevan). Scorpio zwingt Callahan sich gegen jenes Kreuz zu lehnen und verprügelt ihn dann dort. Des weiteren ist das erste im Film gesprochene Wort: „Jesus!“ Natürlich soll Callahan hier nicht mit Jesus identifiziert werden, wegen der Aufladung mancher Bilder mit christlichen Motiven, könnte man ihn aber als modernen biblischen Racheengel sehen, ein Eindruck der noch verstärkt wird von den zahlreichen Szenen in denen Callahan auf erhöhter Position steht und von dort die Stadt – seine Stadt! – überblickt.
Sinn dieser Betrachtungen sollte sein, darauf zu verweisen, dass Dirty Harry in erster Linie ein Genreprodukt ist, dass gewissen Konventionen unterworfen ist und dessen Botschaft – wenn man denn überhaupt eine erwartet – nicht an der Oberfläche liegt, sondern in den Zwischentönen zu suchen ist.
Fazit
Es ist auch heute noch faszinierend zu sehen, wie die Kontroverse um Dirty Harry weiterlebt, wobei sie manches Mal auch ärgerliche Züge annimmt, wenn etwa Kritiker sich damit begnügen beiläufig Äußerungen in den Raum zu stellen (besonders in bezug auf die Vokabel „faschistisch“) und sich nicht einmal die Mühe machen diese argumentativ zu untermauern. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films war der Aufstand noch nachvollziehbar: Dirty Harry erschien 1971 in einer Zeit, in der innerhalb weniger Wochen ebenfalls Sam Peckinpahs schockierender Straw Dogs und Stanley Kubricks Clockwork Orange in die Kinos kamen, und zusammen sorgten diese Filme für eine erhitzte Diskussion über Filmgewalt, die eigentlich in keinem der drei Fälle jemals wirklich beendet worden ist. Heutzutage sollte es aber möglich sein, in diesen Filmen mehr zu sehen, als es die moralische Entrüstung damaliger Kritiker zuließ. Natürlich haben aber auch in der Vergangenheit sowohl die Art der Vermarktung, als auch der Tunnelblick einiger Fans des Films dazu beigetragen, dass Dirty Harry einen zwielichtigen Ruf behält. Letzteres wird durch die bereits erwähnten Äußerungen Schwarzeneggers bewiesen und den ersten Punkt bestätigt ein Zitat aus dem originalen amerikanischen Kinotrailer zum Film: This is a movie about a couple of killers, heißt es da, Harry Callahan and a homicidal maniac. The one with the badge is Harry. Folgte man dieser Aussage, dann stünde zwischen Callahan und Scorpio nicht viel mehr als die Polizeimarke des Inspektors – sonst wären sich die Männer gleich! Einspruch scheint da angebracht.
Zusammenfassend sei hier festgestellt, dass weder der Vorwurf, Dirty Harry sei ein „faschistischer Film“ gerechtfertigt ist, noch die Behauptung es sei sein Ziel liberale Rechtsprechung zu diskreditieren. Der eher liberale Regisseur Don Siegel und sein eher konservativer Schauspieler Clint Eastwood haben seit jeher darauf hingewiesen, dass der Film nie als politisches Statement gemeint war. Eastwoods Meinung nach geht es in dem Film einfach um die Frustration des Protagonisten. Im Subtext – und wie bei klassischen B-Filmen muss man hier auf eben jenen achten – verweist dies auf soziale und politische Bedingungen einer bewegten Zeit, ohne hierzu Lösungen anbieten zu wollen. So wie die Vertreter des critical western in erster Linie Genreprodukte waren, die aber unterschwellig ihre Kraft aus den Ungerechtigkeiten und amerikanischen Verbrechen des Vietnamkrieges zogen, so gehört Dirty Harry zu jenen Filmen, die die Ängste und Unsicherheiten der amerikanischen Öffentlichkeit ob der stetig steigenden Verbrechenszahl der 70er Jahre reflektieren, die verstärkt wurden, durch den Eindruck, dass die Opfer dieser Verbrechen den Behörden weniger Aufmerksamkeit wert seien, als die Täter. Harry Callahan selbst gehört zu jenen von urban alienation gezeichneten Protagonisten, die von dem Leben in der Großstadt völlig entfremdet sind. Als er einmal bei Nacht durch den Rotlichtbezirk der Stadt fährt und die Menschen anschaut, die dort anzutreffen sind, sagt er: Those loonies! Somebody ought to throw a net over the hole bunch!In diesem Moment klingt er wie ein alter ego Travis Bickles, des sozial verkrüppelten Protagonisten aus Martin Scorseses Taxi Driver. Und da sich Bickle vor seinem Amoklauf eine Smith and Wesson .44 Magnum kauft – eben jene legendäre Waffe Callahans – und sich ein Messer mit Klebeband ans Fußgelenk klebt, so wie es der Inspektor vor der Geldübergabe im Park macht, kann man sicher sein, dass Siegels Film (fünf Jahre vor dem Scorseses gedreht) zu den Inspirationsquellen für Taxi Driver zählte und sowohl Scorsese als auch Drehbuchschreiber Paul Schrader sich der Verwandtschaft der Figuren und der Thematik bewusst waren.
Ausblick
Besonders offensichtlich wird die Qualität von Dirty Harry wenn man ihn mit den zahlreichen law and order-, Selbstjustiz- und Rachefilmen vergleicht, die von seinem Erfolg zu profitieren suchten. Spätestens hier sollte auffallen, dass Dirty Harry eindeutig zu den besten Filmen dieser Kategorie zählt, dass er sein Thema erstaunlich wenig plakativ behandelt. Diese Qualität ging den Fortsetzungen langsam aber sicher verloren, wenn auch keine von ihnen je ein so erbärmliches Bild abgab, wie beispielsweise John Waynes kläglicher Versuch mit Brannigan auf diese Welle aufzuspringen.
Callahans zweiter Auftritt in Magnum Force war eindeutig geprägt von dem Versuch das negative Image des Helden bei liberalen Kritikern zu thematisieren, denn der Inspektor bekommt es in diesem Film mit eine Gruppe von selbsternannten Rächern zu tun, die auf eigene Faust Verbrecher ermorden. Ihre Versuche Callahan auf ihre Seite zu ziehen müssen fehlschlagen und bieten dem Inspektor Gelegenheit sich von diesen Mördern zu distanzieren – allein die Kritiker wollten es nicht verstehen und zeigten sich amüsiert ob des vermeintlichen Widersinns dieses Vorgangs. Darüber hinaus ist Magnum Force aber ein lupenreiner Actionfilm, ein blutiges und gewalttätiges Vehikel bei dem Callahan an allen Ecken und Enden der Stadt Überfälle, Geiselnahmen und andere Verbrechen mit trockenem Humor und gezielten Schüssen zu beenden weiß. Trotz (oder wegen?) dieser Schwerpunktverlagerung ist er ein unterhaltsamer Film, dessen Anspruch aber unter dem des Originals liegt. Ab hier zeigt sich in der Serie das, was Pauline Kael das „faschistische Potenzial“ des Actionkinos nannte – „faschistisch“ ist es natürlich nicht, aber eine zynische Gleichgültigkeit gegenüber dem Einsatz von letaler Gewalt lässt sich nicht mehr leugnen. Oder wie Callahan es formuliert: …nothing wrong with shooting people, as long as the right people get shot.
Der nächste Film The Enforcer ist der vielleicht schwächste aller Teile, weil er – des leidigen Themas offenbar überdrüssig – auf die Diskussion der Selbstjustiz-Thematik verzichtet und Callahan stattdessen eine Bande von linken Terroristen jagen lässt, die in Wirklichkeit aber keine Ideale haben, sondern nur auf Geld aus sind. Für Unterhaltung sorgt aber immerhin die weibliche Partnerin, die dem raubeinigen Inspektor zugeteilt wird. Insgesamt handwerklich uninteressant, ist der Film nur etwas für den harten Kern der Anhänger Callahans.
Sudden Impact ist ein sehr harter Film geworden, der unter der routinierten Regie Eastwoods, vor allem wegen der rape and revenge-Thematik in Erinnerung bleibt, zu der er aber, wie bereits seine beiden direkten Vorgänger, keinen ernsten Diskussionsbeitrag leisten kann. Hier fällt endlich der legendäre Satz: Go ahead, make my day.
The Dead Pool ist schließlich ein unspektakulärer Ausklang der Reihe, der mit Liam Neeson und Patricia Clarkson immerhin zwei Nebendarsteller aufweisen kann, die man heute zum erlesenen Kreis der guten Charakterdarsteller zählt und in dem die Talente eines weiteren Nebendarstellers mit dessen frühem Filmtod geahndet werden: Jim Carreys kurzer Auftritt als Axl Rose-Verschnitt (oder vielmehr: Parodie) erheitert gerade im Rückblick ungemein, weil Carrey bereits hier exakt dieselbe Show abzieht, die ihn später reich machen sollte. Interessant wäre es zu erfahren, was Pauline Kael dazu zu sagen hatte, dass in dem Film eine verbitterte Filmkritikerin von einem Irren ermordet wird.
Insgesamt sind die Fortsetzungen also mehr oder weniger gelungene Erzählungen aus dem Leben und Werk Harry Callahans, die kaum mehr die Ernsthaftigkeit und Meisterschaft des Originals erreichen und sich damit zufrieden geben den body count hoch zu halten.
Texte aus kino.de-Zeiten
„Well, then the law is crazy!“ – Dirty Harry, Pauline Kael und rechtes Wunschdenken
Kael
Regisseur Don Siegel und Schauspieler Clint Eastwood hatten bereits bei drei Filmen zusammen gearbeitet – namentlich Coogan’s Bluff (1967), Two Mules for Sister Sara (1969) und The Beguiled (1970) – als sie sich 1971 wiederum zusammentaten um den Film zu drehen, der zu einem Höhepunkt in beider Künstler Karrieren werden sollte: Dirty Harry. Für Eastwood war die Rolle nicht allzu schwer zu meistern, erinnerte doch vieles an Harry Callahan an Eastwoods Western-Rollen, und Siegel hatte bereits 1967 zwei Filme gedreht, die ihn auf diesen vorbereiten sollten: Madigan und den bereits genannten Coogan’s Bluff. Beide Werke wurden von Kritikern für ihren lakonischen Humor gelobt, bei Madigan wurde der Realismus positiv hervorgehoben und Coogan’s Bluff verschaffte Siegel Übung darin, Eastwoods Mythos vom Western in die Großstadt zu transferieren.
Diese neuste Zusammenarbeit der Beiden war aber nicht nur ein großer Erfolg an den Kinokassen und avancierte sofort zum Meilenstein des Action- beziehungsweise Polizeifilms, sondern provozierte auch heftige Attacken von wütenden Kritikern, die dem Film vorwarfen er sei reaktionär und rechts-gerichtet. Die berühmte Kritikerin Pauline Kael, vielleicht die prominenteste Gegnerin des Films, war die erste, aber bis heute wahrlich nicht die einzige, die sogar noch weiter ging und meinte Dirty Harry sei: „ein faschistischer Film“, „ein rechter Wunschtraum, (…) der para-legale Polizeigewalt und Selbstjustiz propagiert“ und „ein bemerkenswert zielstrebiger Angriff auf liberale Werte”. Ihr Fazit: „Das Action-Genre hat immer faschistisches Potential gehabt und in diesem Film tritt es zutage.“ Ist dem so? Ist Dirty Harry, der Film Eastwoods, dessen Popularität bei den Fans derjenigen der Für-eine-Handvoll-Dollar-Trilogie entsprechen dürfte, also ein filmischer Sendbote des Faschismus?
Bevor man dieser Frage größere Aufmerksamkeit widmet, ist es angebracht erst einmal mit dem simpelsten Schritt zu beginnen, nämlich dem Versuch zu definieren was ein „faschistischer Film“ ist und dann zu sehen, ob diese Definition auf Dirty Harry anwendbar sei. Aber schon hier ergeben sich Probleme: Historisch besehen, ist ein „faschistischer Film“ ein Werk, das in einem faschistischen Land gedreht wurde, die Ideologie dessen Herrscher transportiert (Veit Harlans Jud Süß) und das sich oft durch den Hang zu einem gewissen heroischen visuellen Stil auszeichnet, wie ihn Leni Riefenstahl in ihren Dokumentationen maßgeblich geprägt hat. Diese Definition kann nun aber nicht auf einen amerikanischen Film des Jahres 1971 angewendet werden, weswegen eine zweite allgemeinere Begriffsbestimmung versucht werden kann, die einzig und allein auf die Botschaft eines Filmes achtet. Demnach müsste ein „faschistischer Film“ faschistisches Gedankengut verbreiten, also eine Mischung aus extremem Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und Antiliberalismus. Nun wurde Dirty Harry selbst von seinen schärfsten Kritikern lediglich in zwei dieser Kategorien für schuldig befunden – weil sie den Protagonisten für einen Rassisten hielten und den Film generell als anti-liberal empfanden – aber das Wesen des Faschismus, und damit auch des faschistischen Films, zeichnet sich nun einmal durch die Verquickung dieser Faktoren aus, weshalb es – besonders in Anbetracht der Schwere des Vorwurfs – eine unzulässige, unseriöse und letztlich falsche Verwendung von Begriffen darstellt, wenn Kael und alle die ihr bis heute folgen Dirty Harry als „faschistisch“ brandmarken.
Damit ist natürlich noch nichts über die Berechtigung der eigentlichen Vorwürfe gegen den Film gesagt (dazu mehr im Folgenden), aber die Ausführungen sollten aufzeigen, dass es wünschenswert wäre, wenn Kritiker bei der Betrachtung von Filmen ihre eigenen politischen Ansichten nicht die Oberhand gewinnen lassen, denn genau das scheint hier passiert zu sein: Pauline Kael war 1971 ein junge, liberale Kritikerin, die bekannt geworden war als sie Bonnie and Clyde wortgewandt gegen die Angriffe älterer Kritikergenerationen verteidigte, die den für damalige Verhältnisse in Bezug auf die Darstellung von Sexualität und Gewalt ungemein freizügigen Film für eine unmoralische Ausgeburt des Sittenverfalls hielten. Vergleicht man Kaels Reaktion auf beide Filme, drängt sich der Verdacht auf, dass sie, wie viele andere ihrer Generation, zweierlei Maß anlegte: Bonnie and Clyde ist ja politisch auch kein ganz unproblematischer Film, sondern dreht und verdreht seine historische Vorlage so, dass seine Protagonisten als Identifikationsfiguren für die aufsässige Jugend Amerikas taugten, dass sie als moderne Robin Hoods erscheinen, als romantisch verklärte Rebellen, die vom „System“ schließlich hinterrücks ermordet wurden. Kael hatte nie Probleme mit der Manipulation des Zuschauers und der Romantisierung des Gangsterlebens in diesem Film und akzeptierte seine politische Voreingenommenheit – übrigens zu Recht, denn Bonnie and Clyde ist schließlich ein hervorragend gemachter und mitreißender Film –, reagierte aber überzogen, als sie bei Dirty Harry eine ähnliche, aber politisch anders gelagerte Vorgehensweise zu entdecken glaubte. Und eben in dieser fast reflexartigen Überreaktion liegt Kaels Fehler: Wenn sie Siegels Film als konservativ empfand, dann ist das ihr gutes Recht und nicht mal abwegig, ihn aber als „faschistisch“ zu diffamieren, ist inakzeptabel. Wie Ekkehard Knörer schreibt: Pauline Kael, die sich immer einen etwas begrenzten Begriff von dem gemacht hat, was Kino heißt, hat sich nicht anders zu helfen gewusst, als Dirty Harry zu hassen und Clint Eastwood und Don Siegel gleich hintendrein. Beredtes Beispiel dafür ist ein Interview von 1998, in dem sie äußerte: In a Clint Eastwood movie, you identify with the guy with the biggest gun, not the victim.Aber verteidigt der guy with the biggest gun denn nicht die Opfer? Oder wollte Kael allen Ernstes vorschlagen, dass einer wie Scorpio, der Erpresser, Vergewaltiger und Mörder aus Dirty Harry, zu den Opfern zählt, mit denen sich der Zuschauer im Rahmen dieses Filmes identifizieren sollte? Wenn dem so wäre, müsste man wieder auf Bonnie and Clyde verweisen und fragen, warum es dort nicht Kaels Widerspruch herausforderte, wenn der Tod zweier gewöhnlicher, mehrfacher Raubmörder als emotionaler Höhepunkt des Films dient, wohingegen viele Opfer der Beiden nur kurz oder gar nicht erwähnt werden.
All die eben angestellten Betrachtungen waren nur Antwort auf einen oberflächlichen Vorwurf, dementsprechend konnte dabei nicht näher ins Detail gegangen werden. Aber es gibt auch Kritik an Dirty Harry, die sich nicht mit einfachen semantischen Betrachtungen beiseite fegen lässt. Wenn man ihr begegnen will, ist es am sinnvollsten die beiden Hauptfiguren des Films näher zu betrachten, weil die meisten negativen Äußerungen gegen den Film direkt mit der Gestaltung des Polizisten Harry Callahan und des von ihm gejagten Verbrechers Scorpio zu tun haben.
Scorpio
Scorpio ist in der Tat einer der skrupellosesten und unmenschlichsten Verbrecher, die man sich vorstellen kann: Er erpresst die Stadt San Francisco, droht willkürlich Bürger zu erschießen, wenn man nicht auf seine Geldforderungen eingeht (If I do not hear from you it will be my next pleasure to kill a catholic priest or a nigger, steht am Ende des Erpresserbriefes, dessen letztes Wort der Polizeichef bei der Lagebesprechung gar nicht auszusprechen wagt), er kidnappt, missbraucht und quält ein junges Mädchen als er sich von der Stadt betrogen fühlt, hat sichtlichen Spaß daran Callahan bei der Geldübergabe zu schlagen. Andy Robinson spielt diesen Scorpio angsteinflößend glaubwürdig und gibt Eastwoods Harry Callahan eine starke Motivation für sein Handeln. Viele liberale Kritiker hatten mit Scorpio ihre Probleme, da sie ihn als unrealistische Figur empfanden und als Verkörperung des böswilligen rechten Klischees vom verrückten Hippie. Beide Vorwürfe kann man entkräften: Das Drehbuch ist durchaus nicht unrealistisch, basiert es doch, zumindest für die anfänglich von Scorpio begangenen Verbrechen, auf dem wahren Fall des „Zodiac Killers“ (man beachte allein den Zusammenhang zwischen den Namen: „zodiac“ = „Sternzeichen“, „Scorpio“ = „Sternzeichen Skorpion“), der ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr wahllos Menschen ermordete und nur bei Zahlung eines hohen Geldbetrages damit aufhören wollte. (Der reale Fall wurde übrigens nie geklärt.) Der andere Punkt (Scorpio als evil hippie) ist von größerer Bedeutung – würde er tatsächlich zutreffen, könnte man dem Film durchaus reaktionäre Tendenzen vorwerfen – kann aber ebenso widerlegt werden wie der erste: Es gibt im ganzen Film keinen wirklichen Hinweis darauf, dass Scorpio sich mit der Hippie-Bewegung identifizieren würde. Die von Kritikern immer wieder erwähnte Gürtelschnalle in Form des peace-Zeichens, die Scorpio bei weitem nicht während des ganzen Filmes trägt, sondern die nur in zwei kurzen Szenen sichtbar wird, ist ein schwaches Indiz, weil sie erst sehr spät im Film auftaucht, weil sie nur kurz sichtbar ist, weil es sich dabei nicht um ein reguläres peace-Zeichen handelt, sondern um ein seltsam verzerrtes, dass durchaus Scorpios verschrobene Psyche symbolisieren kann. Des weiteren wird, als Callahan Scorpios Wohnung aufbricht, am Kühlschrank des verrückten Mörders eine amerikanische Flagge sichtbar. Würde man der ähnliche Beachtung wie der Gürtelschnalle schenken – es handelt sich hier schließlich um eine Dekoration, die Scorpio in seiner abgeschiedenen Wohnung für sich gut sichtbar angebracht hat – dann könnte man mit der gleichen Berechtigung behaupten, Scorpio sei ein typisches Beispiel für einen jener fanatisch-verwirrten Patrioten, die man in Amerika häufiger trifft, als in anderen Ländern der westlichen Zivilisation. Dies wäre aber ebenfalls eine irrige Annahme. Sinnvoller wäre es die Leichtigkeit und Unbeschwertheit mit der Scorpio die beiden Symbole annimmt ohne sich daran zu stören, dass diese üblicherweise unterschiedliche politische Richtungen repräsentieren, als Indiz für seine Formlosigkeit zu nehmen: Er ist deswegen so bedrohlich, weil man nicht weiß, was dieser Mann eigentlich will oder warum er es will. Die verschiedenartigen Gewaltverbrechen, die Scorpio begeht, scheinen unzusammenhängend, planlos und undurchschaubar. Und da er in San Francisco lebt, der Hauptstadt der Blumenkinder, in der er umgeben ist von den Symbolen und Spuren der Hippies, ist es gut vorstellbar, dass er deren bekanntestes Markenzeichen trägt, ohne die dadurch verkörperten Ideale auch nur ansatzweise zu teilen, sondern weil es ein angepasstes modisches Accessoire ist. Insofern hat die fiktive Gestalt Scorpio sogar wesentlich weniger mit den Hippies zu tun, als der leider reale Charles Manson und seine „Familie“. Außerdem macht es sich der Film bei weitem nicht so einfach wie die Kritiker. So gibt es zum Beispiel eine Szene in der Callahan von seinem Vorgesetzten Lieutenant Bressler jene berüchtigte Frage gestellt bekommt, die damals normalerweise für die besorgten Eltern rebellischer Kinder reserviert war: When the hell you going to get a haircut? Callahan straft diese Frage mit einer für ihn typischen schnippischen Antwort ab, aber in der Tat ist seine Frisur weit von dem zackig-militärischen Kurzhaarschnitt entfernt, den man eigentlich bei einem harten rechten Polizisten erwarten würde. Dennoch macht ihn dieses Detail ebenso wenig zum Hippie, wie die Gürtelschnalle dies bei Scorpio tun könnte. Hätte Don Siegel Scorpio als prototypischen Hippie darstellen wollen, dann hätte er dies ohne weiteres tun können. Stattdessen hat er ihn aber zu einem unauffälligen Mann gemacht, dessen sinnlose Verbrechen ein Abbild seiner Gesichtslosigkeit sind. Scorpio ist damit weit entfernt von einem Klischee, erst recht von einem rechten.
Callahan
Viele Vorwürfe gegen den Film richten sich direkt gegen die Figur des Helden, gegen Inspektor Harry Callahan. Da wäre zum Beispiel die Frage, ob dieser ein Rassist sei. In dieser Frage Hilfe bei Äußerungen des Regisseurs zu suchen, stiftet auf den ersten Blick Verwirrung, da Siegel verschiedene Antworten parat hat. Statement Nummer 1: Dirty Harry is a tough cop, a racist son of a bitch, who's faced with a crazy sniper and naturally blames everything on blacks and other minorities.Würde dieser Satz von einem Kritiker geäußert, man müsste daran zweifeln, ob er den Film überhaupt gesehen hat. Wie Siegel auf die Idee kommt, dass Callahan „den Schwarzen und anderen Minderheiten die Schuld für alles gibt“ bleibt rätselhaft. Unter anderem auch wegen Statement Nummer 2, in dem sich Siegel zu einer Szene äußert, die nach dem Banküberfall zu sehen ist, bei dem der Polizist zwei schwarze Bankräuber erschossen hat, dabei selbst angeschossen wurde und nun von einem schwarzen Arzt (offenbar ein alter Freund des Inspektors) behandelt wird: The studio thought it was unnecessary, and had it taken out of the script. I've put it back. (…) The scene cost only $500 and it says a hell of a lot about Harry – that he isn't just a bundle of prejudices, that he has a certain amount of humanity as well.Callahan ist aber nicht nur seit Jugendtagen mit (mindestens) diesem einen Schwarzen befreundet, sondern er legt während des Films auch kein rassistisches Verhalten an den Tag. Der Verweis darauf, dass er bei dem von ihm vereitelten Banküberfall den verletzten schwarzen Räuber mit dem berühmt-berüchtigten Do you feel lucky-Monolog quält, ist kein Beweis für Rassismus, sondern nur ein Beispiel für Callahans rohen und zynischen Humor. (Eine andere wichtige Funktion dieser Szene wird später noch erläutert werden.) Als Beweis dafür kann man die Art nehmen, wie Callahan mit allen seiner Mitmenschen umgeht, denn er verschont niemanden mit seinem ruppigen Humor, nicht einmal den (weißen) Mann, der sich von einem Häuserdach in den Tod zu stürzen droht. Der Rassismusvorwurf wird selbst im Film angesprochen, als Chico Gonzales (sein neuer Partner, mit offensichtlich mexikanischen Wurzeln) Callahan nach dem Ursprung seines Spitznamen fragt:
Gonzales: Why do they call you “Dirty Harry”?
De Georgio: That’s one thing about our Harry. (…) Harry hates everybody: limeys, micks, hebes, dagos, niggers, honkies, chinks. (…)
Gonzales: How does he feel about Mexicans? (…)
Callahan (De Georgio kaum merklich zublinzelnd): Especially spics.
Die schlagfertige Antwort Callahans alleine macht klar, dass De Georgios Aussage nicht ernst zu nehmen ist, das verschwörerische Zublinzeln unterstreicht das Ganze noch. Jenseits dieses eindeutig als Scherz erkennbaren Moments, wird man Mühe haben Beweise zu finden um Callahan auch nur ansatzweise des Rassismus zu bezichtigen.
Ein weiterer Vorwurf gegen den Film war und ist, er sei reaktionär, weil er Selbstjustiz verherrliche. Dieser Punkt wird noch nicht mal von vielen Fans des Filmes bestritten. So kann man beispielsweise in der für die DVD-Veröffentlichung des Filmes neu produzierten Dokumentation Dirty Harry: The Original unter anderen Arnold Schwarzenegger sagen hören, dass er glaube, Harry Callahan sei eine so beliebte Figur, weil er außerhalb des Rahmens der Gesetze arbeite. Dies ist übrigens auch der übereinstimmende Tonfall fast der gesamten Dokumentation, die zwar viel über die Sichtweise konservativer Hollywoodgrößen auf diesen Film aussagt, aber nicht viel über den Film selbst. Schaut man aber genauer hin, offenbart sich, dass der Film wesentlich differenzierter vorgeht.
Da wäre zum Beispiel der Banküberfall am Anfang des Filmes: Callahan sitzt in einem Imbiss, in einer nahegelegenen Bank findet ein Überfall statt, Callahan greift ein und bringt die Räuber – immer noch auf Resten seines Hotdogs kauend – zur Strecke. Schwarzenegger beschreibt seine Erinnerung an diese Szene in der bereits erwähnten Dokumentation so, als ob Callahan sich – ohne einen Gedanken an die Regeln der Polizeiarbeit zu verschwenden – einfach ins Geschehen gestürzt und das Feuer auf die Verbrecher eröffnet hätte. Dem ist aber nicht so. Der Inspektor bittet den Besitzer des Imbisses die Polizei zu rufen und hat überhaupt nicht vor, ohne Unterstützung etwas zu unternehmen: Now, if they’ll just wait till the cavalry arrives… Den Gefallen tun ihm die Bankräuber aber nicht und erst jetzt entschließt sich Callahan einzuschreiten, woraufhin die Ganoven als erste das Feuer auf ihn eröffnen.
Als Callahan später als Bote das von der Stadt aufgebrachte Lösegeld für das entführte Mädchen an Scorpio übergeben soll, handelt er zuwider der Anweisungen seines Vorgesetzten und nimmt seinen Partner Gonzales als Rückendeckung mit. Dies erweist sich als gute Idee, denn während Gonzales sich so unauffällig verhält, dass er die Geldübergabe nicht platzen lässt, kann er doch zur Rettung seines Partners einschreiten, als Scorpio sich anschickt den Inspektor nach der erfolgten Überbringung des Geldes zu töten. Callahans Handeln ist einerseits nur ein kleiner Verstoß gegen die Regeln, andererseits aber eine sinnvolle Entscheidung – Callahans Chef schreckte davor zurück, weil er von Scorpios ungewöhnlichem und skrupellosem Vorgehen so eingeschüchtert ist, dass er keinerlei Risiko einzugehen gewillt ist. Callahan aber, und nichts anderes soll durch sein Handeln ausgedrückt werden, ist aus einem anderen Holz geschnitzt: Er will die Geldübergabe – und damit die Unversehrtheit der Gekidnappten – nicht gefährden, will aber auch nicht einsehen, warum sich die Behörden einem geistesgestörten Verbrecher passiv und devot ausliefern oder dessen Versprechen blindlings Glauben schenken sollten. Das ist keine Selbstjustiz, sondern gesunder Menschenverstand.
Aber die wirklich problematischen Szenen folgen erst noch. Noch in der Nacht der entgleisten Geldübergabe (Scorpio entwaffnet, demütigt und verletzt Callahan, wird von Gonzales davon abgehalten ihn zu töten, schießt Gonzales an und kann mit einer Stichwunde im Bein fliehen) kann der lädierte Inspektor die Verfolgung des Missetäters wieder aufnehmen, da sich ein Arzt bei der Polizei meldet, der einen Mann mit einer Stichwunde behandelt hat. Mehr noch: Der Arzt kann sich daran erinnern woher er den Mann kennt und wo dieser wohnt, nämlich als Hausmeister in einem nahegelegenen Footballstadion. (Alvy Singer empfindet diese Konstruktion als sehr weit hergeholt und daher als Beispiel für bad screenwriting. So recht widersprechen kann man dem nicht. Aber die Brillanz der durch diese arg simple Konstruktion ermöglichten folgenden Szene im Stadion entschädigt den Zuschauer dafür allemal.) Callahan tritt die Tür von Scorpios Wohnung ein und durchsucht diese ohne eine entsprechende richterliche Genehmigung dafür zu haben. Was folgt ist noch schlimmer: Als Callahan Scorpio schließlich findet, schießt er diesen an, obwohl er sich schon ergeben hatte und foltert ihn, indem er mehrfach gegen Scorpios frische Wunde tritt. Callahan übertritt hier eindeutig die Grenze des Gesetzes, aber es ist äußerst wichtig zwei Dinge zu dieser Szene festzuhalten: (1.) Die Art wie das Geschehen präsentiert wird, macht klar, dass Callahan etwas falsches tut. Nichts ist hier heroisch oder glorifizierend. Die tiergleichen Schreie des verwundeten Mörders, die pulsierende wilde Musik, die Kamera, die den Ort des Geschehens in einer Rückwärtsbewegung verlässt bis die beiden Männer schließlich in der das Stadion umgebenden Dunkelheit verschwinden – all diese Elemente schaffen eine von Wahnsinn und Schmerz geprägte Atmosphäre, welche Callahans Akt der Gewalt nicht entschuldigt, sondern klar betont, dass er hier zu weit geht. (2.) Obwohl im Film eine gewisse Symmetrie zwischen dem Polizisten und dem Kriminellen etabliert wird (das Verschwimmen der Beziehung von Jäger und Gejagtem, vergleichbares Handeln der Beiden [Callahan lauert dem Heckenschützen Scorpio auf, indem er sich ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr bewaffnet], visuelle Gegenüberstellungen), so werden sie einander doch nicht gleichgestellt. Callahan foltert Scorpio, so wie Scorpio nur wenige Stunden zuvor Callahan folterte – der Unterschied dabei ist, dass Scorpio aus purem Sadismus handelte und es genoss den Polizisten leiden zu sehen, während Callahan auf diese Weise lediglich den Aufenthaltsort des entführten und um sein Leben kämpfenden Mädchens herausfinden will. Er mag kein Mitleid für Scorpio empfinden, aber er findet auch keinen Gefallen an dessen Leiden. Callahans Motivation und seine Gefühle während des Gewaltaktes sind völlig verschieden von denen des Killers. Die Argumente der beiden aufgeführten Punkte zusammenfassend, kann man also feststellen, dass der Film nachvollziehbar macht, warum Callahan so handelt wie er es tut, dies aber keinesfalls entschuldigt oder gutheißen würde.
Diese Szene stellt in bezug auf ihre Radikalität den Höhepunkt des Films dar. Für die Kritiker, die in Dirty Harry rechte Propaganda sehen, sind aber auch die Folgen der Stadionszene Bestätigung ihrer These: Callahans brutales und unrechtmäßiges Handeln führt dazu, dass Scorpio freigelassen werden muss, denn die in der Wohnung bei der unrechtmäßigen Durchsuchung gefundenen Beweisstücke würden bei einer Verhandlung nicht zugelassen werden und die Verhaftung entsprach keinen Vorschriften. Does Escobedo ring a bell? Miranda?, fragt der aufgebrachte Staatsanwalt den Inspektor und verweist auf zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA, die vor unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen schützen sollten (Escobedo) und festlegten, dass einem Verdächtigen bei seiner Festnahme seine Rechte vorgetragen werden müssen (Miranda). Callahan antwortet auf diese Frage nicht, blickt den Richter aber mit derartig gerunzelter Stirn an, als hätte er davon tatsächlich noch nie etwas gehört. What I’m saying is, that man had rights, fährt der Staatsanwalt fort, worauf Callahan nur eine, wie gewohnt trockene, Antwort hat: Well I’m all broken up about the man’s rights. Der Staatsanwalt eröffnet Callahan dann, dass er es nicht zum Prozess kommen lassen werde, da es ihm nicht erlaubt sei Scorpios Gewehr als Beweis anzuführen.
Callahan: Who says that?
District Attorney: It’s the law!
Callahan: Well, then the law is crazy!
Scorpio ist ein freier Mann, weil Callahan dessen Rechte verletzt hat. Der Inspektor ist wütend: And Ann Mary Deacon, what about her rights? She’s raped and left in a hole to die! Who speaks for her?Zusammen mit Callahans ominöser Ankündigung, dass Scorpio sich nicht allzu lange draußen herumtreiben werde, ergeben all diese Äußerungen natürlich den Eindruck, der Film unterstelle der modernen Rechtssprechung sie kümmere sich mehr um die Rechte der Täter als um die der Opfer und dass man deswegen die Sache selbst in die Hand nehmen müsse. Dass es dem Film aber nicht darum geht das Recht zu diskreditieren oder liberale Vorstellungen zu verleumden wird in diesen Szenen trotzdem deutlich. Der Staatsanwalt ist schließlich nicht sauer auf Callahan, weil ihm alleine Scorpios Wohl am Herzen liegen würde, sondern weil er wegen des skrupellosen Vorgehens des Inspektors einen unzweifelhaft schuldigen Mann freilassen muss: I’ve got a wife and three kids. I don’t want him on the street any more than you do.Es ist weder die Schuld der Justiz, dass Scorpio nicht belangt werden kann, noch entspricht dies den Wünschen der Vertreter des Gesetzes. Es tut sich hier aber eine Kluft auf, zwischen Recht und Gerechtigkeit. Die Autoren und der Regisseur dieses Filmes haben sich dies aber nicht aus den Fingern gesogen, sondern dabei lediglich eine Debatte in den Film miteingearbeitet, die in der amerikanischen Öffentlichkeit geführt wurde und die bis zum heutigen Tage jedem Bürger von Staaten mit einem geregelten Rechtssystem vertraut ist. Dirty Harry erhebt dabei keinen Anspruch darauf einen allgemeingültigen Fall zu präsentieren: Nicht dass Scorpio unvorstellbar wäre, aber reale Reibungen zwischen Gerechtigkeitsempfinden der Öffentlichkeit und dem Buchstaben des Gesetzes ergeben sich selten in Fällen der totalen Kapitulation des Rechts (wie bei Scorpio), sondern eher dort, wo Urteile gesprochen werden, die in keinerlei Verhältnis zu den begangenen Taten zu stehen scheinen, wie man es auch hierzulande oft bei Prozessen gegen Sexualstraftäter erleben kann. Dirty Harry greift dieses Dilemma auf um seinen Helden zu motivieren und daraus eine emotionale Wucht zu ziehen, der sich der Zuschauer kaum verweigern kann – sogar Pauline Kael gab gerne zu, dass der Film unheimlich effektiv ist –, aber, und dies ist wichtig, der Film maßt sich nicht an eine Lösung parat zu haben. Denn im Anschluss an das Gespräch mit dem Staatsanwalt geht Callahan, trotz seiner dies implizierenden Drohung, nicht etwas los und tötet Scorpio in einem Akt der Selbstjustiz, sondern er verfolgt und beschattet ihn vielmehr auf eigene Rechnung, weil er weiß, dass Scorpio früher oder später wieder tätig werden wird. Damit bleibt Callahan letztlich im Rahmen des Gesetzes, versucht weder Scorpio etwas anzuhängen oder ihn zu provozieren, zeigt ihm lediglich, dass er nicht aufgeben wird.
Die finale Konfrontation zwischen dem Polizisten und dem Verbrecher fällt weniger radikal aus, als die im Stadion. Scorpio kidnappt einen Bus voller Schulkinder und verlangt Lösegeld, Callahan weigert sich zum zweiten Mal bag boy zu spielen und macht sich stattdessen auf Scorpio zu stellen, zwingt diesen den Bus zu verlassen, jagt ihn über das Gelände einer Kiesgrube und verletzt ihn schließlich mit einem Schuss. Was folgt ist eine Wiederholung dessen, was sich am Anfang des Films bei dem Banküberfall zutrug: Der Inspektor steht dem verletzten Verbrecher gegenüber, der nach seiner Waffe zu greifen versucht und hält seinen Do you feel lucky-Monolog. Aber auch hier wird man, wenn man nur näher hinsieht, bemerken, dass jene Kritiker irren, die dem Film vorwerfen: Verbrechen wird darin nicht als soziales Phänomen gesehen, sondern alle Verbrechen und alle Verbrecher werden mit dem psychopatischen Scorpio gleichgestellt (Alain Silver, Elisabeth Ward). Denn der Unterschied zwischen Callahans Einstellung gegenüber den beiden Verbrechern und deren jeweilige Reaktion ist offensichtlich: Während Callahan dem Bankräuber mit einem verspielten Zynismus gegenübertritt (man beachte seinen entspannten Gesichtsausdruck), ist er bei Scorpio wirklich angewidert, spricht mit großer Verachtung und spuckt ihm das Wort „Punk“ förmlich ins Gesicht – er macht also durchaus einen Unterschied zwischen den verschiedenen Verbrechen. Des weiteren macht auch der Film diesen Unterschied klar: Der Bankräuber sieht ein, dass er verloren hat, gibt vernünftigerweise auf. Scorpio hingegen, der nicht aus finanziellen Motiven, sondern aus purer Mordlust gehandelt hat, ist wahnsinnig genug, die Herausforderung des Polizisten anzunehmen anstatt sich verhaften zu lassen. Die Szene macht klar: Callahan würde selbst einen Verbrecher wie Scorpio nicht töten, wenn dieser ihn nicht direkt bedroht. Tatsächlich stellt er diesen lediglich vor die Wahl, bietet ihm quasi an zu bewiesen, dass Callahan sich in ihm getäuscht hat und er in seinem tiefsten Inneren doch vernünftig genug ist sein Leben zu retten, oder andernfalls zu bestätigen, dass er dumm genug ist nach seiner Waffe zu greifen und somit Callahan zu zwingen, ihn in Notwehr zu töten.
Nach dieser finalen Konfrontation wirft Callahan in einer Referenz an High Noon seine Polizeimarke dem toten Scorpio hinterher in den See. Warum? Ist es weil er den Glauben an das Gesetz verloren hat, weil er nicht mehr bereit ist sich zu engagieren, wenn ihm von liberalen Paragraphenreitern die Arbeit zunichte gemacht wird, oder vielmehr weil er spürt, dass er doch zu weit gegangen ist, dass Leute wie er nicht mehr in diese Zeiten passen und selbst die Gesetze behindern, die sie doch vertreten sollen? Auch wenn der letzte Punkt durch die nachfolgenden Fortsetzungen eher unwahrscheinlich scheint, kann er doch auf den Film alleine bezogen durchaus in Betracht gezogen werden.
Genre
Nach diesem erschöpfenden Versuch, den Vorwurf der Glorifizierung von Selbstjustiz anhand von Betrachtungen zur Handlung und den Charakteren zu entkräften, sollten noch ein paar allgemeinere Dinge über den Film und seine Einordnung in Genres angestellt werden, die ebenfalls der Entlastung des Films dienen sollen.
Man kommt nicht umhin festzustellen, dass Dirty Harry kein klassischer Detektiv- oder Polizeifilm ist. Zwar weist Callahan Ähnlichkeiten mit den Helden der hard boiled-Romane und -Filme auf, aber in seiner Geschichte geht es kaum um das Sammeln von Beweisen, das Befragen von Zeugen und das Ziehen kluger Schlussfolgerungen – Dirty Harry ist eher ein klassischer Actionfilm, der sich mit der Jagd auf einen Mann beschäftigt und weist auch einige Ähnlichkeiten mit Western auf. Innerhalb der Konventionen dieser Genres (und auch anderer) ist das gezeigte Geschehen bis hin zum Tod des Bösewichts durch die Hand des Helden keineswegs ungewöhnlich. (Kritisiert man Dirty Harry, käme man nicht umhin auch anderen Filmen ähnliche Vorwürfe zu machen: Ist nicht der Held von The Big Sleep ein Privatdetektiv, der mehrfach Gesetze bricht, nicht viel für die Polizei übrig hat und Menschen tötet oder in den Tod jagt? Ist das in High Noon gezeigte Bild der Gesellschaft nicht auch absichtlich böswillig, unrealistisch und negativ konstruiert? Diese Vorwürfe klingen freilich absurder als jene gegen Dirty Harry, könnten aber tatsächlich als konsequente Weiterführung der Kritik an Siegels Film gesehen werden.)
Dirty Harry wird auch als „Großstadtwestern“ bezeichnet, also als Film, der spezifisch Western-typische Elemente in eine andere Zeit und Umgebung versetzt. Inspektor Callahan ersetzt hier den Sheriff der Westernstadt und ist außerdem eine Inkarnation des silent stranger, einer Figur, die Eastwood vor und nach Dirty Harry wiederholt verkörperte. Diese Figur hat keine persönliche oder historische Identität, sondern ist ein anonymer einsamer Mann ohne Vergangenheit oder Zukunft (Franz Everschor). Dies passt als Beschreibung ebenso auf Callahan wie auf seine Western-Gegenstücke, weil der Inspektor als Mann mit kaum Freunden gezeigt wird, als jemand, der keine Frau hat (der Tod seiner Frau wird nur kurz von ihm angerissen und fügt dem Charakter keine psychologische Tiefe oder Motivation hinzu), keinen Hobbys nachgeht oder irgendeine Art Privatleben vorweisen könnte. Genau wie der schweigsame Fremde, der aus dem Nichts auftaucht und Gerechtigkeit bringt oder wie der Sheriff, der seiner Gemeinde dient, definiert sich Callahan darüber, dass er „seine“ Stadt schützt – jenseits seines beruflichen Engagements ist der Mann nahezu nicht existent, ein kaum greifbarer Geist. (Wobei nicht ignoriert werden sollte, dass Eastwood einen gewissen Einfluss auf die Wortkargheit seines Helden hatte, wie beispielsweise John Milius zu berichten weiß, der das Script für den zweiten Teil schrieb. Eastwood sei oft zu ihm gekommen und habe sich beklagt: Hier habt ihr mir zu viel Text gegeben. Ich bin nicht gut im Aufsagen von Texten. Aber ich kann gut starren…)
Da die Figur des silent stranger oft mit einem gewissen religiösen Subtext verbunden ist, wie in Eastwoods Filmen High Plains Drifter und Pale Rider oder in Sergio Corbuccis Il grande silenzio) ist es nicht verwunderlich, dass eben diese Motive auch in Dirty Harry zu finden sind: Eine große Kirche dominiert den Platz an dem Scorpio seinen zweiten Mord plant und Callahan überblickt ihn von einem Häuserdach aus, auf dem ein rotierendes Neon-Schild verkündet: „Jesus saves“. Für die Geldübergabe wählt Scorpio einen Park, der von einem gigantischen Kreuz beherrscht wird (Nicole v. Elert, Aruna Vasudevan). Scorpio zwingt Callahan sich gegen jenes Kreuz zu lehnen und verprügelt ihn dann dort. Des weiteren ist das erste im Film gesprochene Wort: „Jesus!“ Natürlich soll Callahan hier nicht mit Jesus identifiziert werden, wegen der Aufladung mancher Bilder mit christlichen Motiven, könnte man ihn aber als modernen biblischen Racheengel sehen, ein Eindruck der noch verstärkt wird von den zahlreichen Szenen in denen Callahan auf erhöhter Position steht und von dort die Stadt – seine Stadt! – überblickt.
Sinn dieser Betrachtungen sollte sein, darauf zu verweisen, dass Dirty Harry in erster Linie ein Genreprodukt ist, dass gewissen Konventionen unterworfen ist und dessen Botschaft – wenn man denn überhaupt eine erwartet – nicht an der Oberfläche liegt, sondern in den Zwischentönen zu suchen ist.
Fazit
Es ist auch heute noch faszinierend zu sehen, wie die Kontroverse um Dirty Harry weiterlebt, wobei sie manches Mal auch ärgerliche Züge annimmt, wenn etwa Kritiker sich damit begnügen beiläufig Äußerungen in den Raum zu stellen (besonders in bezug auf die Vokabel „faschistisch“) und sich nicht einmal die Mühe machen diese argumentativ zu untermauern. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films war der Aufstand noch nachvollziehbar: Dirty Harry erschien 1971 in einer Zeit, in der innerhalb weniger Wochen ebenfalls Sam Peckinpahs schockierender Straw Dogs und Stanley Kubricks Clockwork Orange in die Kinos kamen, und zusammen sorgten diese Filme für eine erhitzte Diskussion über Filmgewalt, die eigentlich in keinem der drei Fälle jemals wirklich beendet worden ist. Heutzutage sollte es aber möglich sein, in diesen Filmen mehr zu sehen, als es die moralische Entrüstung damaliger Kritiker zuließ. Natürlich haben aber auch in der Vergangenheit sowohl die Art der Vermarktung, als auch der Tunnelblick einiger Fans des Films dazu beigetragen, dass Dirty Harry einen zwielichtigen Ruf behält. Letzteres wird durch die bereits erwähnten Äußerungen Schwarzeneggers bewiesen und den ersten Punkt bestätigt ein Zitat aus dem originalen amerikanischen Kinotrailer zum Film: This is a movie about a couple of killers, heißt es da, Harry Callahan and a homicidal maniac. The one with the badge is Harry. Folgte man dieser Aussage, dann stünde zwischen Callahan und Scorpio nicht viel mehr als die Polizeimarke des Inspektors – sonst wären sich die Männer gleich! Einspruch scheint da angebracht.
Zusammenfassend sei hier festgestellt, dass weder der Vorwurf, Dirty Harry sei ein „faschistischer Film“ gerechtfertigt ist, noch die Behauptung es sei sein Ziel liberale Rechtsprechung zu diskreditieren. Der eher liberale Regisseur Don Siegel und sein eher konservativer Schauspieler Clint Eastwood haben seit jeher darauf hingewiesen, dass der Film nie als politisches Statement gemeint war. Eastwoods Meinung nach geht es in dem Film einfach um die Frustration des Protagonisten. Im Subtext – und wie bei klassischen B-Filmen muss man hier auf eben jenen achten – verweist dies auf soziale und politische Bedingungen einer bewegten Zeit, ohne hierzu Lösungen anbieten zu wollen. So wie die Vertreter des critical western in erster Linie Genreprodukte waren, die aber unterschwellig ihre Kraft aus den Ungerechtigkeiten und amerikanischen Verbrechen des Vietnamkrieges zogen, so gehört Dirty Harry zu jenen Filmen, die die Ängste und Unsicherheiten der amerikanischen Öffentlichkeit ob der stetig steigenden Verbrechenszahl der 70er Jahre reflektieren, die verstärkt wurden, durch den Eindruck, dass die Opfer dieser Verbrechen den Behörden weniger Aufmerksamkeit wert seien, als die Täter. Harry Callahan selbst gehört zu jenen von urban alienation gezeichneten Protagonisten, die von dem Leben in der Großstadt völlig entfremdet sind. Als er einmal bei Nacht durch den Rotlichtbezirk der Stadt fährt und die Menschen anschaut, die dort anzutreffen sind, sagt er: Those loonies! Somebody ought to throw a net over the hole bunch!In diesem Moment klingt er wie ein alter ego Travis Bickles, des sozial verkrüppelten Protagonisten aus Martin Scorseses Taxi Driver. Und da sich Bickle vor seinem Amoklauf eine Smith and Wesson .44 Magnum kauft – eben jene legendäre Waffe Callahans – und sich ein Messer mit Klebeband ans Fußgelenk klebt, so wie es der Inspektor vor der Geldübergabe im Park macht, kann man sicher sein, dass Siegels Film (fünf Jahre vor dem Scorseses gedreht) zu den Inspirationsquellen für Taxi Driver zählte und sowohl Scorsese als auch Drehbuchschreiber Paul Schrader sich der Verwandtschaft der Figuren und der Thematik bewusst waren.
Ausblick
Besonders offensichtlich wird die Qualität von Dirty Harry wenn man ihn mit den zahlreichen law and order-, Selbstjustiz- und Rachefilmen vergleicht, die von seinem Erfolg zu profitieren suchten. Spätestens hier sollte auffallen, dass Dirty Harry eindeutig zu den besten Filmen dieser Kategorie zählt, dass er sein Thema erstaunlich wenig plakativ behandelt. Diese Qualität ging den Fortsetzungen langsam aber sicher verloren, wenn auch keine von ihnen je ein so erbärmliches Bild abgab, wie beispielsweise John Waynes kläglicher Versuch mit Brannigan auf diese Welle aufzuspringen.
Callahans zweiter Auftritt in Magnum Force war eindeutig geprägt von dem Versuch das negative Image des Helden bei liberalen Kritikern zu thematisieren, denn der Inspektor bekommt es in diesem Film mit eine Gruppe von selbsternannten Rächern zu tun, die auf eigene Faust Verbrecher ermorden. Ihre Versuche Callahan auf ihre Seite zu ziehen müssen fehlschlagen und bieten dem Inspektor Gelegenheit sich von diesen Mördern zu distanzieren – allein die Kritiker wollten es nicht verstehen und zeigten sich amüsiert ob des vermeintlichen Widersinns dieses Vorgangs. Darüber hinaus ist Magnum Force aber ein lupenreiner Actionfilm, ein blutiges und gewalttätiges Vehikel bei dem Callahan an allen Ecken und Enden der Stadt Überfälle, Geiselnahmen und andere Verbrechen mit trockenem Humor und gezielten Schüssen zu beenden weiß. Trotz (oder wegen?) dieser Schwerpunktverlagerung ist er ein unterhaltsamer Film, dessen Anspruch aber unter dem des Originals liegt. Ab hier zeigt sich in der Serie das, was Pauline Kael das „faschistische Potenzial“ des Actionkinos nannte – „faschistisch“ ist es natürlich nicht, aber eine zynische Gleichgültigkeit gegenüber dem Einsatz von letaler Gewalt lässt sich nicht mehr leugnen. Oder wie Callahan es formuliert: …nothing wrong with shooting people, as long as the right people get shot.
Der nächste Film The Enforcer ist der vielleicht schwächste aller Teile, weil er – des leidigen Themas offenbar überdrüssig – auf die Diskussion der Selbstjustiz-Thematik verzichtet und Callahan stattdessen eine Bande von linken Terroristen jagen lässt, die in Wirklichkeit aber keine Ideale haben, sondern nur auf Geld aus sind. Für Unterhaltung sorgt aber immerhin die weibliche Partnerin, die dem raubeinigen Inspektor zugeteilt wird. Insgesamt handwerklich uninteressant, ist der Film nur etwas für den harten Kern der Anhänger Callahans.
Sudden Impact ist ein sehr harter Film geworden, der unter der routinierten Regie Eastwoods, vor allem wegen der rape and revenge-Thematik in Erinnerung bleibt, zu der er aber, wie bereits seine beiden direkten Vorgänger, keinen ernsten Diskussionsbeitrag leisten kann. Hier fällt endlich der legendäre Satz: Go ahead, make my day.
The Dead Pool ist schließlich ein unspektakulärer Ausklang der Reihe, der mit Liam Neeson und Patricia Clarkson immerhin zwei Nebendarsteller aufweisen kann, die man heute zum erlesenen Kreis der guten Charakterdarsteller zählt und in dem die Talente eines weiteren Nebendarstellers mit dessen frühem Filmtod geahndet werden: Jim Carreys kurzer Auftritt als Axl Rose-Verschnitt (oder vielmehr: Parodie) erheitert gerade im Rückblick ungemein, weil Carrey bereits hier exakt dieselbe Show abzieht, die ihn später reich machen sollte. Interessant wäre es zu erfahren, was Pauline Kael dazu zu sagen hatte, dass in dem Film eine verbitterte Filmkritikerin von einem Irren ermordet wird.
Insgesamt sind die Fortsetzungen also mehr oder weniger gelungene Erzählungen aus dem Leben und Werk Harry Callahans, die kaum mehr die Ernsthaftigkeit und Meisterschaft des Originals erreichen und sich damit zufrieden geben den body count hoch zu halten.
Texte aus kino.de-Zeiten