Mein erster Film in diesem Tagebuch ist The Insider von Michael Mann. Zusammen mit StephenDedalus wollten wir uns in nächster Zeit die Kombination Collateral/Miami Vice reinziehen, beides Filme die ich eigentlich im Kino ansehen wollte, aber es, wie leider allzu oft, nicht getan habe. Heat schien mir bisher der einzige Mann-Film zu sein, der mir bekannt war und ist wahrscheinlich mein am häufigsten gesehener Film überhaupt. Direkt daneben im Regal hatte ich The Insider stehen und erst vorhin beim Suchen nach einem geeigneten Filmerlebnis für einen einsamen Samstagabend ist mir aufgefallen, dass auch dieser ein Michael Mann ist.
The Insider hatte ich, ohne allzu große Erinnerung daran, vor einigen Jahren mal auf VHS gesehen. Die Grundthematik des Zigarettenindustrieskandals und die Verbindung zu wahren Geschehnissen war mir noch in Erinnerung, ebenso die angespannte Atmosphäre und ein permanent verzweifelter Russell Crowe.
Ich wurde nicht enttäuscht, denn auch hier zeigt Michael Mann vieles, was mich an Heat immer so beeindruckt hat.
Da wäre zuerst einmal die Wahl der Schauspieler: Pacino und Crowe passen wunderbar in ihre Rollen, ebenso wie alle Nebendarsteller; es gab wirklich keinen der aus der Rolle gefallen wäre.
Visuell ist der Film mehr als nur grundsolide, die Mischung aus kräftigen Farben, Nahaufnahmen der prägnanten Gesichter, sowie eine fast unscheinbare, aber doch permanente Unruhe in der Kameraführung schaffen eine Atmosphäre von Qualität. Die Welt im Film wirkt geleckt; wie ein Neuwagen mit dem ihm so eigenen chemischen Industriegeruch auf den alle immer so abfahren. Doch irgendetwas scheint mit dieser Plastik, auch wenn schwer zu beschreiben, nicht zu stimmen und genau davon handelt der Film.
Exponiert er noch als konventioneller Wirtschafts-Gesundheits-Journalismus-Skandalfilm, so wird einem spätestens nach der Aufnahme des Interviews mit Crowe klar, dass es hier um viel mehr geht, als nur einen grundsolide gestrickten Plot durchzuziehen. Der anfängliche Kampf eines einzelnen gegen einen riesigen Tabakkonzern und die ganze mit damit zusammenhängende Industrie entpuppt sich als weitaus komplexer und vielschichtiger. Plötzlich ist es nicht mehr nur der moralische Anspruch des Journalisten Pacino oder das schlechte Gewissen des ehemals Suchtmittelverstärker für Zigaretten entwickelnden Chemikers Crowe, die den Zuschauer in den Bann zieht, sondern vielmehr die großen Zusammenhänge zwischen Industrie, Presse, öffentlicher Meinung, Exekutive und Judikative. Der Film expandiert aus den Einzelgeschichten der Hauptfiguren auf ein höchst komplexes Geflecht riesiger Ausmaße und scheut sich dabei nicht, den gewöhnlichen Spannungsaufbau zu durchsprengen.
Und genau das gelingt Mann in grandioser Weise und zwar so gut, dass man selbst anfängt, an dem anfangs so klar definierten Idealismus der Beteiligten zu zweifeln. Erst über diesen Zweifel schafft er es, dem Ende des Films eine berührende und heftige Authentizität zu verleihen, in der zwar letzten Endes das große Ganze zu einem gutem Schluss geführt wird, aber jeder der Protagonisten mit schweren und schwersten Verletzungen den Platz verletzt. Alle haben sowohl für sich selbst, als auch für ihre Ideale gekämpft, doch der Preis ist riesig und nicht wieder gutzumachen.
Trotzdem vermute ich, dass es eine jener Situationen ist, in welcher keine zwei Menschen die selben Entscheidungen treffen würden. Vielleicht macht genau das eine solche Geschichte erzählenswert.
9/10


Daseiender no eiga no nikki
Erstellt von Der Daseiende, 20.10.2007, 22:38
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