Michael Haneke sagt 1997 in einem Interview: "Um zu vermitteln, was ich denke, bediene ich mich hier [bei Funny Games, S.H.] des Thrillers - und nutze die Erwartung des Zuschauers ans Genre: Dort darf das Furchtbare geschehen, solange nur am Ende die Ordnung wiederhergestellt ist. Der Abgrund, der aufgerissen wird, nur um letztlich wieder zugeschüttet zu werden: Mit dieser Verlogenheit machen Genrefilme ihr Geld." (Spiegel 38/1997, S. 146) Gut, er hat Kalifornia wohl nicht gekannt Aber die Ausschließlichkeit, mit der er seine Genre-"Theorie" hier darlegt, zeigt schon, dass für die Erzählung eines solchen Films gar nicht "sensibel" genug sein kann.
Worum geht's in Kalifornia? Erzählt wird die Geschichte vom Publizisten Brian und seiner Freundin Carrie, die Fotografin ist. Die beiden wollen eine Tour durch die USA zu den Orten, an denen Serienmörder ihre Taten begannen haben, unternehmen. Brian versucht seine Recherchen dort mit plastischen Eindrücken und Tatortfotos zu illustrieren. Um die lange Riese nicht allein finanzieren zu müssen, nehmen sie Early, einen gewalttätigen und offenbar wegen Mordes vorbestraften (wovon die beiden aber nichts wissen) und dessen Freundin Grace mit. Es kommt, wie es kommen muss: Early begeht auf der Reise einen Mord nach dem anderen - zunächst unentdeckt. Doch als Carrie die Anwesenheit der beiden Mitfahrer immer unangenehmer wird uns sie Brian bittet, sie rauszuwerfen, eskaliert die Situation: Early begeht einen brutalen Raubüberfall auf eine Tankstelle und nimmt die Brian und Carry als Geiseln. Er überfällt ein Haus und bringt dort den Hausherren und dann seine Freundin Adele um. Brian schlägt er nieder und Carrie verschleppt er. Und erst an dieser Stelle wird aus dem "brutalen Roadmovie" ein Thriller: Brian begibt sich auf die Suche nach Carry und ihrem Entführer, findet sie schließlich, ermordet Early und befreit seine offenbar vergewaltigte Freundin.
Das besondere an diesem Genrefilm ist seine reflektierende Haltung gegenüber seinem Sujet: Da ist auf der einen Seite der etwas arrogante Schriftsteller und seine intellektuelle Freundin, die gleichermaßen fasziniert und abgestoßen vom poor-white-trash-Pärchen Early und Grace sind. Brian hat "keine Ahnung", was Serienmörder wirklich sind. Für ihn ist das Phänomen Serienmord ein Gegenstand kultureller Reflexion, ein Gedankenspiel, in das er seine psychogenetischen Theorie über Tatmotivation und Täterbiografie einfügen kann.
Auf der anderen Seite steht Early, für den Mord ein modus vivendi ist: Er tötet, um aus unangenehmen Situationen zu fliehen, aus Rache, aus Geldgier und zeitweise schlicht aus Langeweile. Brian versucht, als er später über Early Bescheid weiß, hinter die Motivantion zu kommen, jedoch erfolglos. Schließlich reduziert er es auf die Erkenntnis, dass das einzige, was den Serienmörder vom normalen Menschen unterscheidet, das mangelhafte oder fehlende Schuldbewusst sein ist.
Early indes belustigt sich über die intellektuellen Spielchen Brians. Er macht ihm mehr als zynisch klar, dass seine Taten nichts mit seinem Vater zu tun haben (die Erschießung des Polizisten ist wohl die sarkastischste und entlarvendste Filmszene, die je ein Serienmörderfilm gezeigt hat). Und dass er Schuldbewusstsein besitzt, macht er auch klar: Er reagiert sehr verstört auf seine eigenen Taten und reflektiert sogar über einen der von Brian besuchten Serienmörder-Schauplätze und dass der nie gefasste Täter wohl heute jeden Tag an seine Taten zu denken gezwungen ist.
Brians Theorien gehen also nicht auf. Serienmord als kulturelles Phänomen betrachtet, bleibt ein elitäres Gedankenspiel. Selbst als er am Schluss gezwungen ist (?) Early aus Rache an der Vergewaltigung Carries zu erschießen, zeigt er kein Verständnis für den Akt des Tötens. Danach geht es weiter für das Pärchen wie zuvor: Sie veröffentlicht ihre Fotos in einer Ausstellung und er kommt mit seinem Buchprojekt, in das er nun sogar einen Erlebnisbericht einfügen kann, "gut voran".
Doch irgendwie ist die Stimmung des Films im Epilog brüchig geworden. Die heile Welt, die uns der Thriller als Genrefilm verspricht (und die Haneke dem Ende eines Genrefilms an sich attestiert) ist nicht zu finden. Das liegt nicht etwa daran, dass Brian gezwungen wurde selbst zu töten, oder dass der Zuschauer mit ihm durch die Hölle gegangen ist, sondern vielmehr daran, dass der Film es geschafft hat, die intellektuell-unterkühlte Reflexion über seinen Gegenstand als blanken Zynismus zu entlarven. Sowohl die Täter als auch die Opfer und erst Recht die Zeugen sind nicht das, was uns die Kulturproduktion suggeriert: Sie dürfen weder allein als Ingredienzien einer Story noch als Variablen eines intellektuellen Gedankenexperiementes (Funny Games) dienen. Sie sind auch Platzhalter für reale Schicksale. Wer das nicht mit berücksichtigt, ist ein Zyniker (wie eben Haneke).
maX
P.S. Die DVD von MGM ist so schkecht un pixelig, ds es sogar mir aufgefallen ist.
