Habe ich mal aus dem alten Forum rübergerettet, weil ich da vielleicht demnächst was draus mache ...
Der gute Ton
"Listen to the Bloody Music" - Die Kölner Philharmonie bringt Filmmusiken ins Konzerthaus
Die Beliebtheit von Filmmusik-CDs bei Filmfans und die Tatsache, dass sich etablierte Künstler der ernsten Musik auch nicht gerade selten auf das Gebiet der Filmmusik verirren sind hinreichende Belege dafür, dass Soundtracks weit mehr als Gebrauchsmusiken zur Untermalung von Bildern darstellen.
Dieser Tatsache ist wohl auch das Sonderkonzert des Gürzenich Orchesters in der Kölner Philharmonie vom 15. Oktober 2002 zu verdanken gewesen. Unter dem Motto „just listen to the bloody musik“ würden in einem dreistündigen Programm Scores von den Komponisten
William Waltens,
Alex North,
Bernard Hermann,
Ron Goodwin und
Sir Malcolm Arnold gebracht. Letzterer, der für seinen Soundtrack zu
The Bridge over the River Kwai 1957 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, befand sich auch im Publikum.
Das Konzert war in vier Segmente unterteilt. Die einzelnen Segmente wurden eingeführt und kommentiert von
Christian Brückner – eine exzellente Sprecherwahl, weil Brückner in nicht wenigen Filmen der dargebotenen Soundtracks eine Sprecherrolle innehatte; doch hierzu später mehr. Zunächst wurde – als Prolog - unter der Rubrik „Vom Master of the Lean’s Music“ natürlich ein Rahmenprogramm von Arnolds Schaffen geboten. Eingeführt mit der pompösen und voluminös instrumentierten Rhapsodie op. 37 aus seinem Soundtrack zu
The Sound Barrier (dt.
Der unbekannte Feind) von 1952 in der deutschen Uraufführung wurde dem 1921 geborenen Arnold die gesamte Veranstaltung gewidmet.
Der erste Hauptpart des Konzertes umfasste zwei „ungenutzte Soundtracks“ in Auszügen. Zum einen die viele Jahre verkannte Filmmusik zu Kubricks
2001 von
Alex North, die als Konzertsuite überarbeitet hier mit sechs Stücken ihre Europapremiere feierte. North wurde 1967 von Kubrick beauftragt, den kompletten Score für
2001 zu schreiben, jedoch nach der Hälfte der Arbeit nach Hause geschickt mit der Ausrede: „Den Rest des Filmes werde ich Toneffekte verwenden.“
North, der bis zur Premiere angenommen hatte, sein Soundtrack würde Verwendung finden, erlitt bei der Londoner Uraufführung von
2001 fast einen Zusammenbruch, als er dort eine „beliebige Hitparade für Musikfreunde“ (Programmheft des Konzertes) hören musste. Klug genug war er, die Partituren nicht zu verwerfen und etliche Elemente daraus in späteren Kompositionen zu verarbeiten. Schließlich erschien vor einigen Jahren dann der komplette Soundtrack als CD.
William Waltens Musik zu
The Battle of Britain von 1969 (dt. Luftschlacht um England) stellte den zweiten Teil der „unveröffentlichten Filmmusiken“ dar. Auch dies eine Premiere in Deutschlands Konzerthäusern.
Im zweiten Hauptpart wurden für Filme komponierte Klavierkonzerte dargeboten. Das seines gleichen suchende Concerto macabre für Klavier und Orchester, dass
Bernard Hermann 1945 für den Film
Hangover Square geschrieben hat wurde hier in einer kurz vor seinem Tod 1975 noch überarbeiteten Fassung aufgeführt. Die Musik zu dem Film über einen schizophrenen Klavierkomponisten wurde mit unglaublicher Feinfühligkeit und dem typischen Bernard’schen Temperament interpretiert und von Sorina Aust-Loan am Klavier kongenial widergegeben. Das wohl einzige Klavierkonzert der Musikgeschichte, das mit einem Klaviersolo endet, stellte mit Sicherheit einen der Höhepunkte des gesamten Konzertabends dar.
Als zweites Klavierkonzert wurde
Arnolds Ballade für Klavier und Orchester in der Welturaufführung gebracht. Diese Musik wurde für den 1952 entstanden Film Stolen Face komponiert – ein Film, der damals von der Hammer-Gesellschaft produziert (wohlgemerkt, bevor diese sich dem Horrorgenre zuwandten). Auch hier wird eine Klaviervirtuosin vor dem geistigen Zusammenbruch beschrieben und von daher passte sich die Darbietung an Hermans Stück an, ohne dies jedoch in seiner Finesse erreichen zu können.
Nach der Pause erreichte das Konzert mit seinem dritten Teil „Hitch-Musiken und filmmusikalische Städteportraits“ seinen Höhepunkt. Hier wurden zunächst drei Stücke aus
Bernard Hermanns Vertigo-Soundtrack gebracht – eine Filmmusik, die zu den besten „aller Zeiten“ (glaubt man einer Wahl der Zeitschrift Screenshot) gehört. Die Interpretation durch das Gürzenich-Orchester gelangte hier zu ihrem Gipfel. Sowohl Intention als auch Empathie des Original-Soundtracks wurde in vollem Umfang widergegeben. Mit dieser Aufführung bestätigte sich die eingangs erwähnte Nähe von Filmmusik zur E-Musik vollends (der Enkel Richard Wagners soll anlässlich einer Vorführung des Soundtracks gesagt haben: „Das hört sich ja an, als wäre es von meinem Großvater!“).
Ron Goodwins Thema und Monolog des Richard Ian Blaney aus
Hitchcocks Soundtrack zu
Frenzy (1971) sorgte für einen ungewöhnlichen Umschwung der Atmosphäre im Konzertsaal. Denn plötzlich betrat
Christian Brückner, der zuvor mit viel Verve und Fachkompetenz die einzelnen Korzert-Parts eingeführt hatte, abermals die Bühne, hastig sich eine Krawatte um den Hals bindend und ein für ihn geschriebenes Monolog-Stück aus
Frenzy zum Soundtrack rezitierend. Das gesamte Stück näherte sich damit einem Hörspiel an – was vom Publikum mit minutenlangen Ovationen belohnt wurde.
Die danach von
Sir Malcolm Arnold The Inn of the Sixth Happiness (dt. Die Herberge zur Sechsten Glückseligkeit) von 1958 dargebotene Konzertsuite stand sicherlich noch im Schatten der
Frenzy-Darbeitung – und wurde wohl auch schon in Voraussicht dessen im Gegensatz zur Programmankündigung um zwei Sätze gekürzt.
Denn danach betrat
Brückner abermals die Bühne, um ein extrem virtuos inszeniertes Monolog-Patchwork aus
Taxi Driver (1975) zur Musik
Bernard Hermanns zu präsentieren. Hermann, der seinen Soundtrack kurz vor seinem Tod für Scorseses Meisterwerk schrieb, hat all die musikalischen Finessen und Stilelemente, die er sich während seines Schaffens erarbeitet hatte, noch einmal in diesem Score konzentriert. Die Monologe Travis Bickles (von
Robert de Niro gespielt – eine der ganz frühen Synchronarbeiten
Christian Brückners) schienen sich nachgerade in diesen Soundtrack integrieren zu wollen. Der Ausdruck „Gesamtkunstwerk“ passt wohl auf nur wenige Filme besser, wie auf
Taxi Driver, dessen gesamte düstere Atmosphäre sich in das Auditorium der Kölner Philharmonie übertrug. Gerade dieser Part des Konzertes schreit geradezu nach einer weiteren Aufführung und Veröffentlichung auf CD (angemerkt sei, dass die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung in Kürze im WDR-Radio zu hören sein wird).
Den pompösen Abschluss fand die Veranstaltung in der Darbietung von Arnolds Oscar-prämierter Musik zu
The Bridge over the River Kwai. Die fünf Stücke aus dem Soundtrack – ergänzt durch ein da capo ebenfalls aus diesem Score – bildeten den Epilog der gesamten Veranstaltung und gleichsam deren rhythmischen Höhepunkt.
An dieser Stelle muss sowohl das Konzept der gesamten Veranstaltung als auch die Direktion Scott Lawtons hervorgehoben werden. Letzterer schien im Medium „Filmmusik“ geradezu aufzugehen und konnte sich dabei auf ein Gürzenich-Orchester verlassen, welches die Stücke virtuos und mit „optischen Verständnis“ für die Bildhaftigkeit der Musiken darbot. Für den Fall, dass die Kölner Philharmonie weitere Events in dieser Richtung plant, kann sie sich eines begeisterten Publikums gewiss sicher sein.
Stefan Höltgen