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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände




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Tōkyō Ken (Tokyo Fist) - TSUKAMOTO Shin'ya, J 1995



Die Geschichte eines Versicherungsvertreters, einer Bürokauffrau (seine Frau) und eines fanatischen Boxers. Scheinbar zufällig gerät der zwar erfolgreiche, aber gelangweilte Vertreter in die eigentümliche Welt des Ringkampfs, als er für einen Kollegen einen kleinen Botendienst übernimmt. Als sein alter Schulkamerad, eben der Boxfanatiker, bei ihm Zuhause auftaucht, und alte Wunden einer tragischen Geschichte aus der Vergangenheit aufreißen, werden alle drei in einen eigentümlichen Strudel von immer exzessiverer Selbst- und Fremdschindung hineingezogen, der scheinbar mühelos immer weitere Eskalationsschritte nach sich zieht.

Eigentümliche Farbästhetik - graublaue Hochhäuser, Mietskasernen, verwinkelte Gassen und Stadtautobahnen wechseln mit sepiafarbenen Sequenzen, oft wechseln die Schauplätze zwischen diesen beiden Tönen. Verwinkelte Innenräume auch; die Wohnung des Paares, seltsam ausgeleuchtet, kein Blick von drinnen nach draußen. Auch keine großartige Aussicht aus der heruntergekommenen Bude des Boxers oder dem zwielichtigen Boxclub. Der Ablauf der Bilder der Stadt, der Gebäude und Straßen, der Anonymität, durchaus noch in der Tradition von Tetsuo, unterbrochen durch eine zumindest ansatzweise logische Handlungsfolge der drei Protagonisten. Hier keine Transformation Mensch in Maschine, dafür extremste Deformationen des Fleisches. Diese steigern sich immer mehr in ihre wahnhaften Schmerzfantasien,der Kampf der Boxer gegeneinander, der Kampf der Partner, der Kampf schließlich jeder gegen jeden, immer weiter und extatischer, am meisten gegen das jeweilige Selbst.

Doch bleibt die Handlung fragmentarisch, die Schicksale der Protagonisten eigentümlich ungreifbar. Der eigentliche Protagonist - die Stadt und die anonymen Abläufe in ihr, die Autokolonnen, die Pendler in den U-Bahnen, die leere Weite der Betonwüsten. Zusammengehalten dies alles durch bewährte Techniken, 90er Jahre Videoclip, Expressionismus, Manga-ultraviolence. Innenräume und Außenräume, sie bleiben einerseits scheinbar strikt getrennt. Ebenso Innenleben und Außenleben der handelnden Personen. Andererseits die wahnhaften Eruptionen als Ausruck des inneren Kampfes - gegen die Stadt, die Gesellschaft, das eigene Ich? Tokyo Fist ist als "japanischer Fight Club" beschrieben worden. Das könnte es auf einer möglichen Ebene treffen, so wie Dangan Runner das "japanische Lola rennt" sein mag. Ein Zwischenschritt für Tsukamoto, in Nightmare Detective etwa werden die Gewichtungen zwischen formaler und inhaltlicher Ebene wieder anders ausfallen.

Tsukamoto Stadt Boxer Schmerz Anonymität