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Marvellous-looking beggars

Javiers Filmtagebuch




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Noir-Randgebiete etc.



BLOOD & WINE
|Bob Rafelson|UK 1996|
"Hast du danach wenigstens die Scheiß Laken gewaschen?!"

Noireskes Drama rund um einen Kriminalfall, aber eigentlich um Menschen, deren Leben sie kaputtmacht, die aber nicht anders können, als sich mit jedem Versuch, das zu ändern, weiter reinzureiten. Der Vergleich mit Lumets downward spiral Before the Devil Knows You're Dead liegt nahe und muss für meinen Geschmack gar nicht mal gescheut werden, auch wenn Lumet die Sache natürlich zwingender und einsaugender zu inszenieren wusste. Könnte zum Teil aber auch einfach eine reine Stilfrage sein, weiß ich nicht.

Michael Caine hat richtig Spaß mit seiner Rolle als festgefahrener Altgangster, der sich durch nichts davon abhalten lässt, seine misanthropische, gewaltbereite Routine abzuspulen. Auch nicht dadurch, dass er danach regelmäßig Blut kotzt. Im Audiokommentar zu The Quiet American wird er erwähnen, dass es diese Rolle war, die ihn aus einem Loch holte und ihm erlaubte, sich als Nebendarsteller und Diener des Films neu zu erfinden.

Jack Nicholson ist hier in einer dieser Rollen zu sehen, wie er sie immer mal wieder bewusst zu suchen schien und wie sie ihm von vielen Leuten nicht verziehen werden, weil er sie verunsichert, wenn er manchmal richtig in die schmierigen Vollen geht. Ohne das zu relativieren und sich mit Frechheit und Humor abzusichern. Seinen Haifisch-Charme erkauft er sich immer mit einer Schmierigkeit und mit einem Potential zum Anstößigen. Nur manchmal weigern er und ein Film sich, das erstens bis ins karikatureske auszureizen und zweitens als etwas Liebenswertes darzustellen. Diese Rollen lassen die Jackness zwar noch aufblitzen, aber fahren sie so weit zurück, dass dahinter wirklich ein Mensch zu erkennen ist. Und das ist dann kein guter, sympathischer mehr, eher ein jämmerlicher, kleiner: "Sag mir, wo sie ist, damit ich aus deinem Leben verschwinden kann."
Er braucht Geld für seine Geliebte (Jennifer Lopez), und er weiß, dass er dafür seine Frau wie Dreck behandelt hat. Das tut ihm vielleicht sogar leid, aber ändern will er es doch nicht, weil die Prioritäten andere sind. Er ist verliebt und er ist verheiratet, nur nicht in dieselbe Frau. Das alles wächst ihm über den Kopf, er läuft schon zu lange im roten Bereich. Aber er, ein unermüdlicher Optimist zumindest insofern, dass er aus jedem Scheiß irgendwie rauskommen zu können glaubt, dreht trotzdem weiter an der Schraube. Und das ist dann sein Untergang.

Schmutzig, character-driven, den Vorbildern verpflichtet und damit zufrieden. Mag ich.



INSOMNIA
[Todesschlaf]
|Erik Skjoldbjaerg|N 1997|
"Ich habe es so verdammt satt, Tote wieder auferstehen zu lassen."

Ein düsteres, dichtes, unnachgiebiges Drehbuch. Eine konsequent entworfene und eindrucksvoll erschlossene Welt, die dem Sünder nicht einmal die kleinsten Möglichkeiten der Gnade, nämlich Schlaf und Dunkelheit, erlaubt. In Stellan Skarsgard ein Hauptdarsteller der sich dieser Welt mit Haut und Haaren in den Rachen wirft. Ein gleißend helles Noir-Juwel.



WHERE THE TRUTH LIES
[Wahre Lügen]
|Atom Egoyan|USA 2005|
»This is America, we don't say "hazard a guess", we say "yes" or "no".«

Sex, Lügen, Intrigen, alte Wunden, Verfall und Verzweiflung hinter makelloser Oberfläche, ein bewusst verworrener Plot und ein Ende, bei dem alle etwas verloren haben, niemand mit der Wahrheit glücklich ist und es höchstens noch ein bisschen Schadensbegrenzung gibt. Schön.
"Having to be a nice guy is the toughest job in the world when you're not" sagt Kevin Bacon als Lanny Morris einmal, und das gelingt ihm und Firth vom ersten Moment an ausgezeichnet: Zwei, die ganz genau wissen, dass sie keine netten Menschen sind, spielen auf der Bühne vor einem Millionpublikum genau das was sie nicht sind. Man sieht, dass sie nur durch Choreografien gehen. Die Bewegungen, die Attitüde, alles einstudiert. Zugleich aber sehen sie genau so aus wie man es von den Teams aus Gentleman und Tramp aus dieser Zeit zu kennen glaubt. Wenn man will, kann man darin auch gutes, altes Entertainment sehen. Denn irgendwie war es doch immer so. Ironischerweise werden dann sogar die Momente, in denen die Maske verrutscht, als Teil der Vorstellung interpretiert. Mal unabsichtlich, wie die Tränen, die Lanny in den Augen hat, als ein kleines Mädchen von ihrer überstandenen Krankheit erzählt, er aber an etwas völlig anderes denkt; mal wird es zynisch zum Teil der Show gemacht, als Lanny eine routiniert alberne Version von diesem "I'm just a gigolo" - Song spielt, während Vince hinter der Bühne einen Zuschauer verprügelt, der Lanny als "kike" beschimpfte.

Nebenbei darf Firth ein schönes Bonmot zum New Journalism darbieten:
»Whenever I read one of those interviews where the writer says "this is how I felt the morning I woke up to meet the pope, this is how I felt when the pope greeted me and how the pope reminded me so much of my very best friend Mike", I always think "Who the fuck is Mike?"«



THE THIN MAN
[Der dünne Mann]
|W. S. van Dyke|USA 1934|
»Kannst du nicht einschlafen, Liebling?«
»Nein.«
»Dann nimm doch 'n Drink. Vielleicht hilft das.«
»Nein danke.«
»Dann werd ich einen für dich nehmen.«

Ballett für zwei Personen und einen Hund. Höchst erbaulich.



THE UNSUSPECTED
[Der Unverdächtige]
|Michael Curtiz|USA 1947|
»Sei klug und pack deine Koffer, Steven.«

Claude Rains parliert auf unnachahmliche Weise durch einen gefälligen Noir und lässt auch nach zwei Vertuschungsmorden seine Manieren nicht schleifen.
Geht immer, sowas. Dafür kannste mich nachts um drei wecken.



NIGHT AND THE CITY
[Die Ratte von Soho]
|Jules Dassin|UK 1950|
"Harry is an artist without an art."

Dazu kann ich gar nicht viel sagen, außer das so ziemlich alles passt und ich den abgöttisch liebe.

Vielleicht noch, dass mir außer Carpenters They live kein Film einfällt, der so bereitwillig eine Vollbremsung macht, damit zwei Menschen sich ausgiebigst beharken können.



THE LADY FROM SHANGHAI
[Die Lady von Shanghai]
|Orson Welles|USA 1948|
"I'm aiming at you, lover!"

Ein sirrendes Chaos aus Kitsch und Kunst, irgendwie ungesund, fiebrig. Definitiv faszinierend. Glenn Anders' aufgerissene Augen, Everett Sloanes "lover…" und Rita Hayworths Close-up nimmt man mit in die Träume.



Apropos Welles...



ME & ORSON WELLES
[Ich & Orson Welles]
|Richard Linklater|USA 2009|
»Come on now. Uncle Orson's got a game he wants you all to play.«

Eine federleichte Hymne auf Theater in den 30ern, in denen die Möglichkeiten für einen jungen, staunenden Burschen (Zac Efron) nur so in der Luft lagen und er von der Straße weg von Orson Welles für's Mercury Theater engagiert werden konnte. Efrons ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, sauber inszeniert, gut gespielt.
Das Milieu, die Strahlkraft der Zeit und der Personen elektrisiert auch die eigentlich altbekannte Geschichte des Jungen. Kluge Entscheidung von Linklater, auch andere Figuren glänzen zu lassen und Welles als Nebenfigur zu belassen, die zwar mit der Wucht einer Dampflok immer mal wieder ins Bild hineinrauscht, es aber eben auch wieder verlässt. Und auch dann funktioniert der Film. Ich jedenfalls kriege eine klitzekleine Gänsehaut, wenn James Tupper als Joe Cotten aus dem Schatten einer Gasse tritt wie Harry Lime, und dem soeben von Claire Danes abservierten Efron zuraunt: "Want an advice from an old pro, kid?"

Aber vor allem ist der Film eine Bühne für den "octopus of ego", den jungen Orson Welles. Als würde man ihm tatsächlich bei der Arbeit zusehen können. Er jongliert mit Jobs, Ressourcen, Menschen. Er fährt im Krankenwagen mit Blaulicht durch die Stadt zu Radiohörspielen ("Who says ambulances are only for ill people?"), die das Geld fürs Theater einbringen sollen. Er umgarnt, befiehlt, schmettert und flüstert ("Ambersons is about… how everything is taken away from you."). Christian McKay wischt alle Bedenken beiseite, zieht alle Blicke auf sich und zeigt uns ein Genie, in dessen Lächeln die Gewissheit liegt, dass "his happiness would make the world's day" (Graham Greene). Und dessen Gewissheit reicht, um einen ganzen Theatersaal voller Menschen, vor und hinter der Bühne, davon zu überzeugen, dass sie Zeuge, wenn nicht sogar Teil von etwas Großem sein werden, wenn sie sich nur in seiner Nähe halten können. Danke sehr, Mr McKay.




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