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Marvellous-looking beggars

Javiers Filmtagebuch




Foto

4 x Peter Lorre



M- EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER
|Fritz Lang|D 1931|
»Will nicht! Muss!«

Wie wunderbar die Schauplätze aussehen, die primitiven, allgegenwärtigen Werbeplakate. Wie atemlos ich mit dem Mann losrennen möchte, der Beckert kurz darauf mit dem M brandmarken wird, als der Blinde seine Schlussfolgerungen mühsam hervorholt und man schon weiß was er sagen will. Wie großartig körperlich Gründgens' Schränker aus Ungeduld eine Tür einrennt, wie souverän und präzis' Lang mit Beckerts Präsenz umgeht. Wie klein Lang das verständnisvolle Nicken eines alten Verbrechers der weiß wie es ist, von sich selbst verfolgt zu werden, in dem sich aufheizenden Mob einbaut. Wie gekonnt Lang die Konferenzen der Unterwelt und der Polizei zusammenschneidet, wie wach und aufmerksam er den Zuschauer hält
Wie unfassbar eigenartig Lorre diese Rede am Schluss gestaltet, das "Ende der Normalität", und doch überwältigend aufrichtig, intelligent und unmittelbar, wie furchtlos er sich in die animal areas begibt, mit was für einer rasanten Bandbreite an Gefühlen, im Gesicht, im Körper, im Timbre. Wie fein die retardierende Befragung der Zeugen vor dem Gericht der Unterwelt gesetzt und gespielt ist, wie herrlich die kleine Nebenrolle des bei der Razzia nach seinem Ausweis Gefragten ist, der mit einem frechen, aber wissenden Grinsen "Ham wa nich'" antwortet, worauf Lohmann sagt "Alex!" und der Grinsende, immer noch wissend, mit einem "Pech jehabt" aus dem Bild und aus dem Film verschwindet.


THE MASK OF DIMITRIOS
[Die Maske des Dimitrios]
|Jean Negulesco|USA 1944|
»Vielleicht sind Sie auch verrückt. Aber in diesem Fall kann ich Ihnen nur Ihren Spaß lassen und das Beste für mich hoffen.«

Das Thema ist Höflichkeit. Die Höflichkeit der Unterwelt und dieser eine, dieser Herr McGuffin oder Dimitrios, der als einziger auf Höflichkeit scheißt. So viel Höflichkeit auch mit Lüge zu tun haben mag, sie bedingt auch eine gewisse Ehrlichkeit. Denn Höflichkeit verlangt immer auch, dass man das Interesse und die Aussagen des Gegenüber zumindest nach außen für wahr und frei von Hintergedanken hält. Wenn man Interesse erfolgreich heuchelt, muss man auch damit leben, dass es bedient wird. Höflichkeit ist ein Bestehen auf die Vernunft und den humanistischen Anstand – bei sich und anderen. Dieser Verhaltenskodex eröffnet, gerade in Intrigenspielen und Täuschungsmanövern, eine weitere mögliche Ebene und damit direkt mehr Eleganz, Eloquenz und Nuancierung. Hinter Höflichkeit kann man vieles verstecken, und wenn das versteckte doch mal sein Köpfchen reckt, dann wird es auch bemerkt.
Man sieht hier auch schon die Wurzeln der 90er-Postmoderne-Gangsterwelle. Die hat die Höflichkeit und Eleganz zumeist durch wisecracking, Straßenslang ersetzt.

Das Drehbuch zu Dimitriosens Maske schrieb Frank Gruber nach dem Roman von Eric Ambler. Strukturell ist Negulescos Film vergleichbar mit Citizen Kane und Mr Arkadin von Orson Welles (der übrigens zeitnah zu Dimitrios Amblers Journey into Fear verfilmte) : Auf der Suche nach einer Legende werden Stationen abgeklappert, bei denen jeder der alten Weggefährten zwecks Erhellung des Gesamtbildes eine Flashback-Episode erzählt. Vergangenheit ist untrennbar mit der Gegenwart verzahnt, Dimitrios mag mit seiner Vergangenheit abschließen, sobald er sich umdreht und noch bevor das Opfer auf dem Boden aufschlägt, aber sie hat noch nicht mit ihm abgeschlossen. Er lässt - Anfängerfehler - öfters wen am Leben, der von ihm berichten kann: Frauen, ehemalige Geschäftspartner, häufig "kleine Männer", mal "arm" und "verwirrt", mal "lustig" und "dick". Immer "klein". Wie der Film diese Randerscheinungen in feinen Seitenblicken zeichnet, ist neben dem Spaß, den Herren Lorre und Greenstreet beim Parlieren zuzusehen, eine der Stärken des Films.

Sidney Greenstreet und Peter Lorre verfolgen also die Spur von Dimitrios, aus Motiven, die gar nicht so monetär sind, wie sie sich gegenseitig weismachen wollen. Eine Konstellation, die in manchem den Maltese Falcon anklingen lässt, und warum auch nicht. Hier aber geht es nicht um Geld, wie sie erst alle glauben, und auch nicht um Frauen. Die beiden üblichen Katalysatoren für Verrat und Ränkespiele sind also eliminiert. Eine schöne Variation für das Genre.

Auch wenn der gute Dimitrios nach all dem Gerede und Gerenne dann in persona doch milde enttäuscht, ist sein Film ein manierlicher Genrevertreter, diszipliniert inszeniert, gut gespielt.


THE BEAST WITH FIVE FINGERS
[Die Bestie mit den fünf Fingern]
|Robert Florey|USA 1946|

Lorre als Sekretär eines alten Pianisten, dessen abgetrennte Hand in den Erbstreit nach seinem Tod eingreift, indem sie die erbschleichenden Aasgeier erwürgt und nächtens in der Villa Klavier spielt. In einer schönen Szene, in der Lorre und Andrea King vom Treppenaufgang auf das Klavier hinunterblicken und nur einer von beiden die Hand klimpern hören kann, wird dem labilen Lorre eingeredet, dass er für die Morde verantwortlich sei. Dabei hat er vorher noch alles getan um weiteres Morden zu unterbinden. Nämlich die Hand erst in eine Schreibtischschublade geworfen und sie, als sie sich befreite, auf den Schreibtisch genagelt. Was wegen des durch die nächtliche Villa hallenden Hämmerns Kings love interest zu dem treffenden Satz inspiriert: "Was hämmert der denn da?!" Sam Raimi lässt schön grüßen.
Lorre steht hier immerzu am Rand, in Ecken, drückt sich an Wänden entlang. Das Bild flackert, es vibriert vor Möglichkeiten, wenn dieser kleine Gnom im Raum ist. Der Hays Code, die Moral, die Gesellschaft, die menschliche Rasse: alles scheint dann in Gefahr, zu kippen.


QUICKSAND
|Irving Pichel|USA 1950|
»There's only nine nickles there, buddy.«
»Yeah? Who's cheating who?«

Mickey Rooney ist keine einssechzig groß, sah mal aus wie ein abgerundeter Steve Zahn – als könnte er Mickey Mouse in einer Realverfilmung spielen -, hat so viele Sterne auf dem Walk of Fame wie Oscarnominierungen (vier), verdankt seinen Ruhm einem guten Dutzend Heile-Welt-Musicals mit Judy Garland, ist seit mehr als 80 Jahren im Geschäft und der letzte noch aktive Stummfilmschauspieler. 1950 war der lächelnde Mann karrieretechnisch schon auf dem absteigenden Ast und gerade mit Martha "She tried to sit in my lap while I was standing up" Vickers verheiratet. Spielsucht, Trunksucht, Pleite, wiedergeborener Christ, Black Stallion, Cap & Capper, Nachts im Museum.
Und zu einer Zeit, da die Exklusivverträge, die bestimmte Darsteller an bestimmte Studios banden, in Auflösung begriffen waren und man schauen musste wo man blieb, eben auch mal ein kleiner Noir wie Quicksand.

Ein harmloser Automechaniker (Rooney) entwendet einen Zwanziger aus der Kasse der Werkstatt, um eine Frau (Jeanne Cagney) auszuführen. Mit der festen Absicht, es am nächsten Tag zurückzulegen. Wie das so ist mit guten Absichten in Noirs, werden diese gründlich vom Zufall in den Staub getreten. Der Vertuschungsaufwand wird größer, die Scheiße in der er landet tiefer.
Wenn die Dame des Herzens die kleine Schwester von einem gewissen James Cagney ist (dem sie wie aus dem Gesicht geschnitten ist, der hier aber leider nicht mit tut) und Peter Lorre ihr verbitterter Ex ist – ja, dann sieht das halt mal schlecht aus.

Ziemlich okayer kleiner Noir (der frei verfügbar auf archive.org zu haben ist), von dem man allerdings keine Wunderdinge erwarten darf. Lorre ist hier, kurz vor seinem letzten Aufbäumen Der Verlorene, als Spielhallenbesitzer Nick Dramoshag sehenswert in seiner sanftzüngigen Verkommenheit. Die Müdigkeit ist ihm hier auch schon in die Seele gekrochen, aber vielleicht ist das auch nur die Rolle. Für eine kurze, überraschend glaubwürdige Rauferei mit Rooney reicht es aber noch. Lorre gewinnt – der war immerhin mal Mr Moto, im Fernsehen, und neben Babyface Rooney sieht jeder aus wie ein veritabler Knochenbrecher. Schöne Szene.

Lorre Lang Greenstreet Negulesco Noir



An Peter Lorre kann ich persönlich mich ja nicht sattsehen. Einer der wenigen Schauspieler, die ein eindrucksvolles Filmerlebnis durch ihre reine Präsenz garantieren können. Insofern :cheers: zu deinem Eintrag

Falls du übrigens den Florey irgendwie digitalisiert hast, wäre ich für eine zeitnahe pm dankbar :D
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Solltest du zufällig auch mal an Negulesco's "Three Strangers" (1946) rankommen: unbedingt anschauen! Diese seltsam faszinierenden Noirs mit beinahe mystischem Einschlag veranlassten mich mal zu einer Besprechung von "Three Coins In the Fountain", weil ich einfach verstehen wollte, was den Regisseur, der einst Lorre so gut zu führen verstand, später zu einem der mühsamsten Kitschlieferanten der Traumfabrik machte.
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@ Funxton: Jep, Lorre ist selbst in "nicht so guten" Filmen noch wie ein Botschafter aus einer anderen Welt. Und ist mit einem Gesicht und einer Stimme gesegnet, von der ich nicht glaube, dass sie ihre Fazination jemals verliert. Finde die Smileys hier nicht, also sag ich einfach mal so "Cheers".;)
Den Florey hab ich leider nicht digital, sorry.

@Zodiac: Three Strangers steht selbstredend auf der Liste.;) Aber: dann mal raus damit, hast du verstanden, wie die Wandlung zustande kommen konnte?:)
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Negulesco erwies sich auf unangenehme Weise als "flexibel", was ja auch ein böses Ende nehmen sollte (seine Filme aus den 60ern sind ungeniessbar, und die Kritiker interessierten sich nicht mehr für den Mann, der dümmliche Statements über die Schönheit der amerikanischen Mädchen abgab). Er war aber auch einer der frühen Meister des Cinemascope-Verfahrens, und dies verlockte ihn zu der Art von Hollywood-Filmen, die in den 50ern gefragt waren. - Interessant: Er war regelrecht auf die Zahl Drei fixiert und und liess mehrmals drei Handlungsstränge nebeneinander herlaufen. --- Auf seine frühen Noirs kam ich nur durch Zufall: Das ZDF strahlte sie vor vielen Jahren aus. Der Schritt zum Melodrama der 40er war noch irgendwie nachvollziehbar; aber was später kam... - Ein eigenartiger Kerl, der in die Geschichte des Films hätte eingehen können.
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