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This is an adventure.

Erinnerungen an eine Zeit, die es nie gab.




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UP IN THE AIR (USA 2009, Jason Reitman)



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Jason Reitman deutet zunächst an, die Apologie eines Arschlochs erzählen zu wollen - und verblüfft schlussendlich mit einer so nicht erwarteten Unversöhnlichkeit gegenüber einem verächtlichen Protagonisten. Die Hollywood'sche Geste der Versöhnung darf zwar nicht komplett fehlen, doch wird die Läuterung hier nur der folgenden Generation zugestanden. Für die Akteure des dehumanisierten Kapitalismus ist alles lange zu spät, für Clooneys unerlösten Verwalter der kalten Ratio gibt es längst keine Hoffnung und keine Vergebung mehr. Dass der Film das so kalt wie unbeirrt erzählt - zwar gibt es einige sehr komische Momente, aber eine Komödie ist UP IN THE AIR ganz sicher nicht - nötigt Respekt ab.




Verstehe das Wort kalt in dem Zusammenhang nicht, weil Reitman, wie üblich, nicht die Traute hat, irgendwen oder -was unsympathisch erscheinen zu lassen. Er bleibt stets dem oberflächlichen Symptom verhaftet und meint, daß mit ein paar Lackarbeiten die Risse im System gekittet werden können. Er ist sozusagen die SPD unter den Filmemachern.
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Möchte ich Dir, Kingsley, entschieden widersprechen: es ist lediglich Clooneys Charakter, der in der Kritik steht - seine Geliebte ist ja, überraschenderweise, in sicheren Händen: zuhause wartet die Family samt Kindern. Dass Clooney am Ende nicht als geläutert strahlender Held aus der Sache geht, hat mich auch positiv überrascht (der Film zur Wirtschaftskrise). Sehr erbost war ich dann aber schon darüber, dass das alleinige Heil wieder mal nur in der Familie zu finden sei. Clooney wird ja auch als Berufsjugendlicher diffamiert; alleinig aus dem Grund, da er sich nicht binden wolle: er sei nicht "reif" für diesen Schritt. Zum Kotzen konservativ.
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Überraschenderweise, ja, und damit vollkommen unlogisch. Die Frau ist ja kein fieser Knochen, die würde ihn nie so auflaufen lassen nach DEN gemeinsamen Erlebnissen. Ergo nur auf Überraschung des Publikums hingebogen.

Ui, da gibt es ja noch einen, der diesen allgemein wohlgefühlten Film so haßt wie ich.
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Da hast Du, Bastro, im Grunde recht. Diese Figur scheint mir ohnehin sehr schwer greifbar - eigentlich bleibt sie fast völlig leer, gewinnt am ehesten noch Konturen als Clooneys Projektionsfläche. Wie erfahren ja auch über ihren Job und ihre Familie im Grunde nichts, erfahren nur die "Symptome" davon. Letztlich ist sie vielleicht eher als ein richtiger Charakter so etwas wie die persongewordene böse Pointe des Films?

Mir scheint der ganze Film sehr auf das Paar Clooney / Kendrick zugeschnitten, und ich finde tatsächlich bemerkenswert, dass er seinen Hoffnungsschimmer ganz auf die Zukunft konzentriert. Die Gegenwart schleppt schon so viel Vergangenheit mit sich herum, dass sie nicht mehr zu retten ist.

(Und das "Familienglück" von Farmiga ist ja nun auch zumindest ein beschädigtes - das ist ja schon durch die Ausgangsposition der Erzählung, die Affäre mit Clooney, gegeben. Als Leitbild taugt das also auch nicht sonderlich. Im Grunde geht doch Reitman da sogar recht subtil vor, indem er dem Publikum hintenherum das Ideal wieder wegnimmt, das er ihm gerade noch - bei der Hochzeit der Schwester - verscherbelt hat.)
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Und, Critic: Das ist doch gerade das Unversöhnte an diesem Film: Im Endeffekt bleibt alles oberflächlich Sympathische an den Figuren Maskerade, weil es sich in ihren Taten nicht einlöst. So sehr der Film auch so getan hat, als wolle er uns liebenswerte, zur Läuterung fähige Protagonisten präsentieren, so eindeutig bleibt am Ende - von Kendrick, der personifizierten Hoffnung, abgesehen - jeder das charismatische Arschloch, das er von Beginn an war. Von Kapitalismusapologie à la TWO WEEKS NOTICE ist das m.E. meilenweit entfernt.
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Wieso Arschloch, raunt es durchs Publikum. Haben die nicht auch Bauchschmerzen, wenn sie jemanden rauswerfen? Sind sie ergo nicht Fleisch von unserem Fleische, Blut von unserem Blute? Wer könnte also was gegen das System sagen, wenn wir doch alle im selben Boot sitzen?

Die Begründung für die allgemeine Zustimmung ist seine angebliche Mischung aus kritischer Distanz zur gesellschaftlichen Krisenrealität und wohliger Gefühligkeit. Daß das eine vorgespielt ist, um das andere zu ermöglichen, fällt seltsamerweise kaum auf. Ehrlich gesagt wäre mir eine richtige Gefühlslüge, die jeder sofort als solche erkennen kann, lieber. Wie schon bei Thank you for smoking gefällt sich aber Reitman in seiner Imitation des kritischen Impetus - und siehe da: Eine Oscarnominierung springt raus. Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, daß kein progressiver Moment im Film stecken würde.
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The Critic sagte am 04. March 2010, 22:27:

Überraschenderweise, ja, und damit vollkommen unlogisch. Die Frau ist ja kein fieser Knochen, die würde ihn nie so auflaufen lassen nach DEN gemeinsamen Erlebnissen. Ergo nur auf Überraschung des Publikums hingebogen.

Noch nie was getan, von dem Du weißt, dass es andere Menschen verletzen könnte, Du es aber trotzdem tust? Und wieso wird hier indirekt nach Ausbuchstabieren in Filmen geschrien. Verstehe ich nicht. Vera Farmigas Figur mag wissen, dass sie unmoralisch handelt und Menschen tief kränken könnte, doch offenbar kann sie nicht anders als das prickelnde Abenteuer abseits ihrer Familie fortlaufen zu lassen. Und in einem Punkt irrst Du Dich: Sie lässt Clooney ja nicht "auflaufen", denn er findet die Wahrheit von sich aus raus. Die Frau wollte vermutlich ihr prickelndes Doppelleben weiterführen.

Ergo: Das einzige, das man dem Film hier vorwerfen könnte, ist dass er nicht zeigt, was in dieser Frau vorgeht und warum sie so handelt wie sie handelt. Das macht ihr Handeln aber nicht automatisch unlogisch oder unverständlich.

Nichtsdestotrotz fand ich die zweite Hälfte von "Up in the Air" so richtig scheiße und bieder und weichgespült. Aber dazu habe ich ja auf kino.de detailliert in Diskussionen ausgeführt.
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Kingsley Zissou sagte am 04. März 2010, 22:34:

Diese Figur scheint mir ohnehin sehr schwer greifbar - eigentlich bleibt sie fast völlig leer, gewinnt am ehesten noch Konturen als Clooneys Projektionsfläche. Wie erfahren ja auch über ihren Job und ihre Familie im Grunde nichts, erfahren nur die "Symptome" davon. Letztlich ist sie vielleicht eher als ein richtiger Charakter so etwas wie die persongewordene böse Pointe des Films?
Ja, würde ich unterschreiben.

Zitat

(Und das "Familienglück" von Farmiga ist ja nun auch zumindest ein beschädigtes - das ist ja schon durch die Ausgangsposition der Erzählung, die Affäre mit Clooney, gegeben. Als Leitbild taugt das also auch nicht sonderlich. Im Grunde geht doch Reitman da sogar recht subtil vor, indem er dem Publikum hintenherum das Ideal wieder wegnimmt, das er ihm gerade noch - bei der Hochzeit der Schwester - verscherbelt hat.)
Und schade eigentlich, dass diese Figur im Dienste Clooneys "mißbraucht" wird - hat sie doch eigentlich Spannendes zu bieten: verheiratet mit zwei Kindern, erfolgreiche Geschäftsfrau und romantisch/egoistisch genug, sich auf eine Affäre einzulassen. Warum soll das eigentlich so schlecht sein? Ist das nicht viel eher konsequent und verständlich - nach x Ehejahren und ständig auf Geschäftsreise (die ehestabilisierende Affäre). Entsetzt reagiert sie bei seinem Überraschungsbesuch: Mann, da hättest du mir richtig was kaputt machen können! Ist das nicht schön, dass diese Frau weiß was sie will? Dass der Film den Rezipienten permanent auf die falsche Fährte lockt, ist ja nicht ihre Schuld. Eine Affäre zu haben muss aber kein kaltherziges Geschäft sein. Vielleicht taugt sie nicht zum Leitbild, scheint mir aber recht komplex angelegt.

Die Frage hinter allem ist wohl, auf welchem moralischen Gesellschaftsbild der Film überhaupt fußt, und ob er einen moralischen Auftrag hat. Und da sehe ich eben ärgerlicherweise das konservative, anachronistische Ideal "Familie" hochgehalten. Am deutlichsten in der Familie Clooneys vertreten: gebeutelte Sympathiefiguren "mit dem Herzen am rechten Fleck" kämpfen sie gegen die Unbilden des Lebens und finden Erlösung im Familienbund - als Höhepunkt s. die Szene, in der der zukünftige Schwager Clooneys guten Rat braucht. Anschließend ist auch Clooney selbst rehabilitiert... Nun ja.

PS: Ich finde den Film aber auch ästhetisch/stilistisch sehr unausgegoren und zusammengemixt; man muß sich nur mal den Vorspann und den Abspann zusammendenken.
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scarlett, aber auch Bastro: Verstehe ich nicht. Wir sind uns sicher einig, daß die Frau klug und zielbewußt ist. Aber derart egoistisch, wie ihr sie beschreibt? Ihre Affäre, ein selbsternannter Junggeselle, lädt sie auf die Hochzeit seiner Schwester ein, nimmt sie an die romantischen Plätze seiner Jugend mit - und sie, die noch eben voller Verständnis die emotionale Welt der Jungkarrieristin analysiert hat, sieht nicht, welches Problem sich zukünftig ergeben wird? Ich bitte euch. Für mich gibt es nur die drei Varianten Boshaftigkeit, Dummheit und Drehbuchzwang; bei dieser Figur würde ich letzteres favorisieren.

Bastro, schon klar, wobei ich dem Film zugute halten würde, daß er die zersplitterte Familie neben der Reinstallation des Ideals als Realität akzeptiert. Keine Selbstverständlichkeit in Hollywood.
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Wie ich bereits ausgeführt habe, gibt es noch eine vierte, sehr plausible Möglichkeit, die offenbar auf taube Ohren stößt. Aber meinem filmforen-Idol Critic erkläre ich's natürlich gerne noch mal:

Sie weiß, dass ihr Verhalten andere Menschen (Clooney, ihren Mann) verletzen könnte, dennoch möchte sie die auf Lügen basierte Affäre aufrecht erhalten versuchen. Nicht, weil sie ein schlechter Mensch wäre. Sondern weil sie nicht anders kann, weil das Abenteuer außerhalb der Ehe eine zu große Anziehungskraft auf sie ausübt. Weil sie das glücklich macht und sie im Geiste bereitwillig ausblendet, dass das Ganze nur auf Lügen basiert und im emotionalen Desaster enden könnte.

Finde ich irgendwie logisch als mögliche Erklärung. Immerhin ist ja nichts Neues, dass der berauschte Mensch negative Aspekte einer Sache verdrängt.

Und dass der Film offen lässt, was in der Frau genau vorgeht, ist eher ein Pluspunkt, weil das dem Zuschauer die Interpretationshoheit gibt.
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Habe ich schon verstanden, will ich aber nicht akzeptieren, daß Menschen (i.e.: diese Frau) so handeln. Weil: dann wäre jegliche Sympathie für sie (i.e.: diese Frau, aber auch die Menschen) dahin.
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The Critic sagte am 05. März 2010, 00:11:

Wieso Arschloch, raunt es durchs Publikum. Haben die nicht auch Bauchschmerzen, wenn sie jemanden rauswerfen?
Bist du schon mal das Opfer unternehmerischer Kostenminderung geworden?
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Tornhill sagte am 06. März 2010, 13:21:

The Critic sagte am 05. März 2010, 00:11:

Wieso Arschloch, raunt es durchs Publikum. Haben die nicht auch Bauchschmerzen, wenn sie jemanden rauswerfen?
Bist du schon mal das Opfer unternehmerischer Kostenminderung geworden?
Das solltest du das raunende Publikum fragen, nicht Critic, der nur das raunende Publikum zitiert... :huh:
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The Critic sagte am 05. March 2010, 21:26:

Habe ich schon verstanden, will ich aber nicht akzeptieren, daß Menschen (i.e.: diese Frau) so handeln. Weil: dann wäre jegliche Sympathie für sie (i.e.: diese Frau, aber auch die Menschen) dahin.

Dass Menschen aus egoistischen Gründen die Verletzung der Gefühle anderer Menschen in Kauf nehmen, muss man ja gar nicht akzeptieren; zur Kenntnis nehmen reicht.

Aber ich denke, wir kommen auf keinen gemeinsamen Nenner, was Vera Farmigas Rolle angeht. Ist ja nicht schlimm. Ich zieh mich dann mal aus diesem Thread zurück.
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Tornhill sagte am 06. März 2010, 12:21:

The Critic sagte am 05. März 2010, 00:11:

Wieso Arschloch, raunt es durchs Publikum. Haben die nicht auch Bauchschmerzen, wenn sie jemanden rauswerfen?
Bist du schon mal das Opfer unternehmerischer Kostenminderung geworden?

Nein.
Wobei ich nicht verstehe, was das zur Sache tut.
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The Critic sagte am 05. März 2010, 09:41:

scarlett, aber auch Bastro: Verstehe ich nicht. Wir sind uns sicher einig, daß die Frau klug und zielbewußt ist. Aber derart egoistisch, wie ihr sie beschreibt? Ihre Affäre, ein selbsternannter Junggeselle, lädt sie auf die Hochzeit seiner Schwester ein, nimmt sie an die romantischen Plätze seiner Jugend mit - und sie, die noch eben voller Verständnis die emotionale Welt der Jungkarrieristin analysiert hat, sieht nicht, welches Problem sich zukünftig ergeben wird? Ich bitte euch. Für mich gibt es nur die drei Varianten Boshaftigkeit, Dummheit und Drehbuchzwang; bei dieser Figur würde ich letzteres favorisieren.
Kann da scarletts Punkt gut nachvollziehen. Denke auch, dass sie eventuelle Verletzungen anderer ein Stück weit in Kauf nimmt. Wie man so ein Verhalten bewertet ist dann wiederum etwas anderes. Man mag das "derart eroistisch" nennen - oder auch nur "egoistisch". Skandalös finde ich ihr Verhalten jedoch nicht, eher menschlich und deshalb verständlich. Die Probleme, die auf sie zukommen, sieht sie sicherlich und schiebt sie auf die lange Bank. Vielleicht genießt sie auch, sich geschmeichelt zu fühlen. Ein fieser Knochen ist sie sicherlich nicht - vom Drehbuch in die Enge getrieben, nimmt sie ihn aber dann beim Wort seiner selbstgewählten, unverbindlichen Lebensmaxime.

Zitat

Bastro, schon klar,
Okay, das waren basale Gedanken. War nicht unbedingt an dich gerichtet, vielleicht auch nur an mich selbst. :D

Zitat

wobei ich dem Film zugute halten würde, daß er die zersplitterte Familie neben der Reinstallation des Ideals als Realität akzeptiert. Keine Selbstverständlichkeit in Hollywood.
Gut. Wenn das eine Leistung sei, dann mag ich sie anerkennen. Kein Wunder ist das ein tendenziell doofes Filmland.
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Nun, ich schon, aber das ist schon ein paar Jahre her. Worum es mir aber geht ist, dass eben solche Individuen der Gattung Mensch, die in einem positiven Licht erscheinen, bei mir Brechreiz auslösen.
Und der Film zur Wirtschaftskrise ist das auch nicht. Da blicke ich eher auf Oliver Stones WALL STREET, der seinerzeit in einem völlig anderen Klima entstand.
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Tornhill sagte am 06. März 2010, 21:12:

Nun, ich schon, aber das ist schon ein paar Jahre her. Worum es mir aber geht ist, dass eben solche Individuen der Gattung Mensch, die in einem positiven Licht erscheinen, bei mir Brechreiz auslösen.
Und der Film zur Wirtschaftskrise ist das auch nicht. Da blicke ich eher auf Oliver Stones WALL STREET, der seinerzeit in einem völlig anderen Klima entstand.

:haeh:

Aber das ist doch genau mein Punkt. Das Zitierte war doch ironisch konnotiert.
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