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Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen

Cjamangos neues Filmtagebuch




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Wo Bartel den Most holt



Calvaire (FR-DVD)

Marc Stevens ist Sänger und verdient sein Geld mit Auftritten im Butterfahrtsstil. Er fährt von Hü nach Hott und kommt niemals wirklich an. Bei einer Fahrt zu einem Weihnachts-Gig streikt nämlich der Wagen, und dies mitten in der belgischen Pampa. Zum Glück ist die Herberge von Monsieur Bartel ganz in der Nähe. Monsieur Bartel ist freundlich und jovial, obwohl er nicht mehr so richtig lachen kann, seit damals, als seine Frau weggelaufen ist. Er war ja früher Humorist, und der Enthusiasmus – so wird er nicht müde zu betonen – ist der Schlüssel zum Erfolg. Man spürt, daß von diesem Mann Unheil droht. Was immer man sich in dieser Hinsicht aber vorstellen mag – man wird eines weitaus Schlimmeren belehrt...

CALVAIRE ist ein Film über die Einsamkeit. Man hat schon im Anfangsteil, bei Marcs Auftritt in einem Altersheim, ein wunderhübsches Einsamkeitstableau. Sogar die Pflegerin (ein hübscher Gastauftritt von Brigitte Lahaie) kommt um vor ungestillter Bindungswut. Der mysteriöse Monsieur Bartel ist ein eigentümlicher alter Purzel, und man teilt Marcs offensichtliches Unbehagen ob der Aufdringlichkeit des Mannes. Marc ist ein lieber Kerl und geht darauf ein. Er singt ihm abends sogar eines seiner Lieder vor, ein Liebeslied, das später eine unschöne Bedeutung bekommen soll. In den ersten 30 Minuten baut der Film eine dichte, äußerst bedrückende Atmosphäre auf. Bartel warnt Marc davor, in das nahegelegene Dorf zu gehen, sagt aber nicht, weshalb. Marc begibt sich in Spuckweite des Dorfes, kommt an einer Scheune vorbei und bemerkt, wie in der Scheune mehrere Dörfler ein Schwein begatten. Dieser Tritt in die 12 deutet schon einmal an, daß sich die Dinge nicht zum Guten wenden werden. Der junge belgische Regisseur Fabrice du Welz geht in seinem ersten Langfilm durchaus subtil vor. Die meisten Grausamkeiten werden nicht splattermäßig ausgewalzt, sondern nüchtern präsentiert, häufig sogar nur angedeutet. Durch den sparsamen, aber äußerst geschickten Musikeinsatz werden sie als dunkle Kehrseite der schönen Natur präsentiert, die gegen Ende des Filmes sogar den Charakter eines hoffnungslosen Weltuntergangsszenarios bekommt. Vor nicht allzulanger Zeit habe ich den amerikanischen Film PIG HUNT gesehen, der sozusagen die Partyversion dieses Sujets liefert, die Kaspernummer. CALVAIRE macht ernst. Ich kannte Du Welz´ hervorragenden zweiten Film, VINYAN, bereits. Obwohl jener sich ganz anders anfühlt, teilt er doch gewisse inhaltliche Komponenten, denn auch in ihm geht es um Einsamkeit, um Verlust, um das Unbehagen, das man bei andersartigen Menschen verspürt. Die Höllenfahrt des Marc Stevens wird seinerzeit vermutlich von der Werbung in die „Torture Porn“-Ecke gerückt worden sein, weil das bei diesem Stoff irgendwie naheliegt. Das ist aber völliger Kappes, zumal sich CALVAIRE eigentlich weniger mit den „Survival Horror“-Aspekten beschäftigt, als mit einer detaillierten Schilderung der feindlichen Umgebung des Protagonisten, von Menschen, die von ihrer Einsamkeit (na ja, und den Haien im Genpool!) zu etwas ganz anderem gemacht worden sind... Ganz Feierabend ist, wenn man auch die anderen Dörfler kennenlernt, beim geselligen Zusammensein in der Kneipe. Wenn die grenzdebilen, völlig eingeschmuddelten Männer zu den Klängen eines Klavierspielers anfangen, eine Art Debil-Polka-Pogo zu tanzen, weiß man endgültig, wo Bartel den Most holt. Ein exzellent gemachter, sehr sinnlicher Film, den man möglicherweise als allzu zartbesaiteter Zuschauer eher meiden sollte.

Den bestelle ich mir jetzt erst einmal!




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