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long live the new flesh-das kino des david cronenberg - Filmforen.de

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long live the new flesh-das kino des david cronenberg


22 Antworten in diesem Thema

#1 Opagraui

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Geschrieben 25. Juli 2004, 20:27

da wohl nur wenige regisseure eine derart werkdurchziehende topoiwahl haben wie cronenberg, dachte ich mir das der thread hier ganz gut aufgehoben ist, auch wenn es sich hier primär erst einmal um shivers gehen soll, wobei das natürlich kein hindernis sein soll andere filme ins gespräch zu bringen (auch das ist ziel des freds). also zu shivers: der film erzeugt ein leicht ambivalentes gefühl bei mir. einerseits sind hier (in einem langspielfilmdebüt!!!) schon zahlreiche themen wie das eindringen durch verschiedene fremdkörper in den des menschen, sexualität, tod, die abhängigkeit des körpers vom verstand usw. äußerst eindeutig formuliert, andererseits wirkt das ganze auf mich sehr selbstzweckhaft, ja nahezu exploitativ. ruf ich mir jetzt noch noch die stellenweise amateurhafte inszenierung, ausstattung und das laienhafte schauspiel zurück ins gedächtnis, wird es schwer zu dem film stellung zu beziehen, was sagt ihr dazu (sicherlich einiges hoff ich, cronenberg hat hier ja, zurecht meiner meinung, ein sehr hohes ansehen)?

#2 rocknrollriot

    höhenflieger

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Geschrieben 25. Juli 2004, 22:51

mein bisheriger favorit, noch vor rabid und videodrome... :love:
gerade auf grund der von dir geäußerten kritikpunkte... :P
Drei Elemente vornehmlich: der Geschlechtstrieb, der Rausch, die Grausamkeit -
alle zur ältesten Festfreude des Menschen gehörend, alle insgleichen im anfänglichsten
»Künstler« überwiegend.

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#3 Opagraui

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Geschrieben 26. Juli 2004, 10:39

so, gerade the fly gesehen und hier meine gedanken:

weitaus intelligenter und komplexer nähert sich cronenberg in diesem film seinen lieblingsthemen und benutzt dabei zwei modelle des berühmten psychoanalytikers freud (zumindest meiner ansicht nach), die er mit für ihn typischem "body-horror" koppelt, zum einen den femininen ödipuskomplex, zum anderen die fixe idee von über-ich, ich und es, welche zwangsläufig mit dem thema narzissmuss gekoppelt ist, doch erstmal langsam, mit stathis präsentiert und cronenberg eine vaterfigur (bart, alt, altklug) wie aus dem bilderbuch, veronika versucht nun sich von ihm zu lösen und lernt brundle, der ihr als vaterersatz fungiert, kennen, bis zu brundles experiment scheint das zu funktionieren, doch nach fehlschlag orientiert sich veronika wieder zur vaterfigur (logisch, da der ersatz fehlt), der schwangerschaftstraum ist bezeichnend, das phallusartige geschöpf und die angstschreie veronicas symbolisieren die "kastrationsangst", das experiment brundles ist, wie riepe in einer f.lm ausgabe feststellt, eine art narzisstischer spiegel (der affe wird auch "gespiegelt"), der brundle, welcher ja schon zu beginn durchaus durch gewisse eigenliebe und selbstvertrauen auffällt, zu einer art ich-ideal macht (das sage ich jetzt, riepe geht da andere, viel schwierigere wege ), wodurch die überwachende instanz, das über-ich überflüssig wird, daraufhin entwickelt sich seth mit kurzem halt beim "normalen" ich in eine art es, ein triebgesteuertes tier, da das über-ich fehlt, das ist sicherlich eine etwas eigene interpretation des freudschen modells (von mir und infolge dessen auch von cronenberg)

#4 Hick

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Geschrieben 26. Juli 2004, 12:06

Ich mache ja derzeit in Bonn eine Komplett-Retro zu Cronenberg (in der Uni) mit wechselnden Vorträgern.

Letzte Woche haben wir "The Brood" geguckt. Ich habe eine Einführung - gemäß meiner Perspektive auf Cronenberg als "Film-Theoretiker" gemacht, die sich mit der Psychologie in "The Brood" auseinandersetzt und zwar genauer gesagt mit der Hysterie-Theorie Freunds und Cronenbergs. Folgende Beobachtungen habe ich gemacht:

1. Die Probesitzung mit der der Film beginnt, ist eine direkte Inversion zur von Freud entwickelten psychoanalytischen Rede-Kur, denn a) schauen sich Therapeut und Patient beim Gespräch direkt in die Augen (Freud betont jedoch immer wieder, dass der Therapeut "ganz Ohr" werden muss), b) ist die Aufforderung "Sprich nicht! Zeig mir deine Wut!" exakt das Gegenteil der Therapie nach Freud, in der das Reden genau das Gegenteil bewirken soll, nämlich Symptome verschwinden zu lassen. (Hinweis: Manfred Riepe hat das auch entdeckt, legt es jedoch gegensätzlich aus. Er vermutet hinter dem Therapie-Modell Raglans ein esotherisches Verfahren, wie es auch in Sekten eingesetzt wird, dass den Körper über die Ratio stellen soll.)

2. Das Interessante an der Symptombildung ist nun, dass es sozusagen "rückwärts" die Konversionstheorie Freuds belegt: Freud vermutete, dass hysterische Patientinnen (die ja immer irgendwelche Sprachstörungen, Schmerzen, Lähmungserscheinungen etc. ohne körperlichen Befund zeigten) ein traumatische Erlebnis im Unbewussten "abgelegt" haben, dass man durch die Redekur freilegen könne. Das Reden über das traumatische Erlebnis beseitigt dann die Symptome. Das hat - wenn man Freuds Fallgeschichten zur Hysterie glauben darf - auch immer funktioniert. "The Brood" verfährt nun ganz anders herum. Der Analytiker erteilt Redeverbot um körperliche Symptome zu produzieren. Das funktioniert auch: In der öffentlichen Therapiesitzung wachsen dem Patienten mit dem ausgeprägten Kastrationskomplex* überall Pusteln, die mehr als einmal von der Literatur als "Brustwarzen" interpretiert wurden. Gemäß der Übertragung**, die wir zu sehen bekommen, in der der Analytiker die Rolle des drohenden Vaters einnimmt, der "seinen Sohn" lieber als Mädchen sähe (also mit Kastration bedroht), wäre diese Symptombildung plausibel.

3. Metatheoretisch lassen sich auch einige Bezüge von "The Brood" zur Theorie der Hysterie herstellen. Auffällig sind die Arten von Symptomen, die durch die "psychoplasmotische Therapie" Raglans verursacht werden: a) Brustwarzenbildung, b) Lymphdrüsenkrebs, c) eine externalisierte Gebärmutter. Diese Symptome lassen sich "hysteriegeschichtlich" gut zuordnen: a) die Hysterie-Theorie Freuds, die auf - zumeiste - sexuellen Traumata basiert und die im Film den Kastrationskomplex bebildert, b) Die Hysterie-Theorie von Fließ, der vermutet hat, dass eine Verbindung zwischen dem Sexualapparat über die verschiedenen Schleimhäute im Körper besteht (Wilhelm Fließ hat zur Behandlung hysterischer Frauen öfter Nasenoperationen durchgeführt!): Hier wäre das "Fluidum", das Lymphsystem, dass bei der Figur in The Brood erkrankt ist, ein passendes Gegenstück: Die Körpersäfte revoltieren, nachdem Raglan einen psychischen Deffekt freigelegt hat. Und in c) zeigt sich sogar besonders schön die eigentliche Bedeutung von "Hysterie" (hysteria = Gebärmutter): Die antike Medizin nahm an, dass Hysterie dadurch entstünde, dass die Gebärmutter der Frau durch deren ganzen Körper zu wandern begänne. Nun, in "The Brood" tut sie das: Sie wandert bis an die äußere Grenze von Nolas Körper, stülpt sich aus - in Folge der psychoplasmatischen Behandlung.

Wer weitere Beobachtungen dieser Art in "The Brood" macht, kann sie hier gern posten. Ich bin gespannt.

Ich werde dann im Verlauf der Cronenberg-Retro hier öfter mal ein paar Diskussionsergebnisse reinposten.

maX

* Kastrationskomplex: Der Knabe fürchtet die Kastration als Realisierung einer väterlichen Drohung und als Antwort auf seine sexuelle Aktivität; daraus entsteht bei ihm eine heftige Kastrationsangst. (Laplanche/Pontalis)


** Übertragung: Vorgang, wodurch die unbewussten Wünsche an bestimmten Objekten im Rahmen eines bestimmten Beziehungstypus, der sich mit diesen Objekten ergeben hat, aktualisiert werden. Dies ist in höchstem Maße im Rahmen der analytischen Beziehung der Fall. (Laplanche/Pontalis)

#5 Opagraui

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Geschrieben 26. Juli 2004, 12:17

auch wenn ich das jetzt nicht beurteilen kann, da ich den film (noch) nicht kenne, zeigt es doch die zusammengehörigkeit bzw. die gemeinsamen topoi der filme cronenbergs. da lassen sich schon einige freudianische einflüße erkennen. was sagst du denn zu shivers? fingerübung mit interessanten ansätzen oder mehr?

#6 Hick

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Geschrieben 26. Juli 2004, 12:33

opagraui sagte am 26.07.2004, 13:17:

auch wenn ich das jetzt nicht beurteilen kann, da ich den film (noch) nicht kenne, zeigt es doch die zusammengehörigkeit bzw. die gemeinsamen topoi der filme cronenbergs. da lassen sich schon einige freudianische einflüße erkennen. was sagst du denn zu shivers? fingerübung mit interessanten ansätzen oder mehr?
Shivers zeigen wir nicht chronologisch. Der kommt übernächste Woche mit einem Einführungsvortrag von Dr. Brigitte Weingart, die Assistentin bei meinem Doktorvater ist. Die hat jüngst ein Buch über Seuchen-Metaphorik geschrieben und wird in ihrer Einleitung zu Shivers genau diese Perspektive auf den Film einnehmen: "AIDS & Shivers". (Die Veranstaltungen sind übrigens offen für alle und der Eintritt ist frei! ;))

Was Motivgeschichten angeht, finde ich das bei Cronenberg nicht mehr so interessant, zumal das solche Leute wie dieser unsängliche Thomas Dreibrodt und Wacker/Oetjen in ihren Büchern schon zu Genüge abgegrast haben.

Bei Shivers gefällt mir persönlich die Ausformulierung der Libido als Wanderpenis ganz gut. :D Und folgenden Monolog lass ich mir irgendwann mal auf den Oberarm tätowieren:

"I had a very disturbing dream last night. In this dream, I found myself making love to a strange man. Only I'm having trouble you see, because... He's old. And dying. And he smells bad, and I find him repulsive. But then he tells me that everything is erotic. That everything is sexual. You know what I mean? He tells me that even old flesh is erotic flesh. That disease is the love of two alien kinds of creatures for each other. That even dying is an act of lust. That talking is sexual. That breathing is sexual. That even to physically exist is sexual. And I believe him. And we make love beautifully."

maX

#7 Opagraui

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Geschrieben 26. Juli 2004, 12:36

"Was Motivgeschichten angeht, finde ich das bei Cronenberg nicht mehr so uninteressant, zumal das solche Leute wie dieser unsängliche Thomas Dreibrodt und Wacker/Oetjen in ihren Büchern schon zu Genüge abgegrast haben."

nicht mehr so uninteressant oder uninteressant?

bei shivers finde ich es erstaunlich, dass manche motive in dotd und alien fast wieder 1 zu 1 aufgegriffen werden

Bearbeitet von opagraui, 26. Juli 2004, 12:36.


#8 Hick

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Geschrieben 26. Juli 2004, 12:38

opagraui sagte am 26.07.2004, 13:36:

nicht mehr so uninteressant oder uninteressant?
Müsste sich aus dem Zusammenhang erschlossen haben ... hab's aber trotzdem korrigiert. :D

maX

#9 Tornhill

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Geschrieben 26. Juli 2004, 19:15

@ maX
Was ist denn eure Quelle für die älteren Filme von Cronenberg (SHIVERS, BRUT)? Zeigt ihr die auf Zelluloid oder auf Video (VHS bzw. DVD)? Wenn auf Video: auf TV oder über Projektor? Und in welcher Sprache?
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#10 Hick

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Geschrieben 26. Juli 2004, 19:21

Tornhill sagte am 26.07.2004, 20:15:

@ maX
Was ist denn eure Quelle für die älteren Filme von Cronenberg (SHIVERS, BRUT)? Zeigt ihr die auf Zelluloid oder auf Video (VHS bzw. DVD)? Wenn auf Video: auf TV oder über Projektor? Und in welcher Sprache?
Der Kürze halber: Das einzige, was nicht geboten wird, ist Zelluloid. :)

maX

#11 Waingro

    Gulaschextremist

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Geschrieben 26. Juli 2004, 21:43

maX sagte am 26.07.2004, 13:06:

Die antike Medizin nahm an, dass Hysterie dadurch entstünde, dass die Gebärmutter der Frau durch deren ganzen Körper zu wandern begänne.
wird das in den briefen an fließ erwähnt oder wo bist du auf diese information gestossen? :)
»Wenn Bauten im Stile von Le Corbusier und Gropius zum Ambiente von Fernsehserien wie Denver und Dallas geworden sind, muß man sich einfach was anderes einfallen lassen.« (Herbert Schnädelbach)

#12 Tornhill

    Innocent Bystander

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Geschrieben 27. Juli 2004, 20:19

maX sagte am 26.07.2004, 20:21:

Tornhill sagte am 26.07.2004, 20:15:

@ maX
Was ist denn eure Quelle für die älteren Filme von Cronenberg (SHIVERS, BRUT)? Zeigt ihr die auf Zelluloid oder auf Video (VHS bzw. DVD)? Wenn auf Video: auf TV oder über Projektor? Und in welcher Sprache?
Der Kürze halber: Das einzige, was nicht geboten wird, ist Zelluloid. :)

maX
Danke. :)
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#13 Hick

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Geschrieben 28. Juli 2004, 05:03

kazanian sagte am 26.07.2004, 22:43:

maX sagte am 26.07.2004, 13:06:

Die antike Medizin nahm an, dass Hysterie dadurch entstünde, dass die Gebärmutter der Frau durch deren ganzen Körper zu wandern begänne.
wird das in den briefen an fließ erwähnt oder wo bist du auf diese information gestossen? :)
Nein, das war schon vor Freud "bekannt". Hippokrates, der Erfinder der Medizin, hat die Behauptung aufgestellt:

Zitat

Konzeptionell ging man davon aus, dass die Gebärmutter, so sie nicht regelmässig mit Samen (Sperma) "gefüttert" wird, im Körper suchend umherschweift und sich dann am Gehirn festbeisst, was dann zum typisch "hysterischen" Verhalten führt.

Heute gucken wir übrigens "Fast Company" mit eine Einführung von philosophus. :)

maX

#14 philosophus

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Geschrieben 28. Juli 2004, 09:52

maX sagte am 28.07.2004, 06:03:

Heute gucken wir übrigens "Fast Company" mit eine Einführung von philosophus. :)
I'm in love with my car, gotta feel for my automobile
Get a grip on my boy racer rollbar,
Such a thrill when your radials squeal.


#15 Hick

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Geschrieben 28. Juli 2004, 10:18

philosophus sagte am 28.07.2004, 10:52:

maX sagte am 28.07.2004, 06:03:

Heute gucken wir übrigens "Fast Company" mit eine Einführung von philosophus. :)
I'm in love with my car, gotta feel for my automobile
Get a grip on my boy racer rollbar,
Such a thrill when your radials squeal.
jaja, die Jugend. Erst Loblieder auf's Fahrrad singen und dann mit dem Auto durchbrennen:

Zitat

Bicycle Race (Mercury)

Bicycle bicycle bicycle
I want to ride my bicycle bicycle bicycle
...

Hey, ich kann als Vorfilm ja das Video zu "Bicycle Race" mitbringen. Das hat damals nen ordentlichen Skandal ausgelöst: 200 spltternackte Frauen radeln durch die Gegend. B)

maX

#16 Tornhill

    Innocent Bystander

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Geschrieben 28. Juli 2004, 11:36

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#17 Hick

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Geschrieben 04. August 2004, 06:58

Gestern lief in unserer Reihe "Shivers" mit einer sehr instruktiven Einführung von Brigitte Weingart über Kristevas Theorie des Abjekten. Dazu ist mir im Verlauf des Films folgende Frage gekommen: Was genau ist eigentlich der Parasit in dem Film?

Angeschlossen an den psychoanalytischen Diskurs von Weingart und meiner Überlegung zu "The Brood", dass Cronenberg in seinen Filmen psychoanalytische Theorie inszeniert, habe ich mir folgendes überlegt:

Freud beschreibt die (sexuelle) Entwicklung des Kindes in drei Phasen:

1. die orale Phase: Die sexuelle Lust entsteht über die Reizung der Mundschleimhäute und Lippen und ist eng an die Nahrungsaufnahme gekoppelt. Es ist die früheste Stufe, die die Bindung zur (ernährenden) Mutter als erste Objektbeziehung etabliert.

2. die anale Phase (auch: analsadistische Stufe): zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr. Hier wird die Libido unter dem Primat der analen erogenen Zonen organisiert. "Die Objektbeziehung hat Bedeutungen, die an die Defäkationsfunktion (Ausstoßen-Zurückhalten) und an den symbolsichen Wert des Fäces gebunden sind. Man sieht hierin eine Äußerungsfunktion des Sadomasochismus in der Beziehung zur Entwicklung der Muskelbildung." (Lapanche/Pontalis, 62f.)

3. die genitale Stufe: hier werden die Partialtriebe unter dem Primat der Genitalzonen gekennzeichnet. Sie wird unterschieden in einen ersten, phallischen Abschnitt (infantile Genitalorganisation) und einen zweiten, die eigentlche Genitalorganisation, die in der Pubertät erreicht wird.

Soweit zu den Vorbedingungen. Mich interessiert nun - ins Besondere wegen des AUSSEHENS des Parasiten (ihr wisst schon: :deepshit:) und wegen des VERHALTENS der Infizierten nur die ZWEITE, die ANALE Phase.

Bei Freud wird die anal-erotische Phase des Öfteren mit Charaktereigenschaften wie Geiz oder Ordentlichkeit - in pathologischer Ausformung auch der Ausbildung von Zwangsneurosen - in Verbindung gebracht. Außerdem ist der Analerotiker jemand, der sich mit sich selbst (bzw. mit seiner analen Lusterzeugung) beschäftigt und kein "Gegenüber" zur sexuellen Stimulation benötigt (die anale Phase kommt ja noch vor der genitalen).

In Shivers gibt es nun etliche Szenen, in denen man Tudor auf dem Bett liegen sieht und mit seinem Bauch (dort wo sich der Verdauungsapparat befindet) spielt. Die Parasiten unter seiner Bauchdecke bewegen sich und ihr Betasten und ihre Bewegungen erzeugen in ihm starke Lust. Als er einmal besonders laut stöhnt, kommt seine Frau ins Schlafzimmer und fragt ihn, ob er Schmerzen habe oder ob sie ihm helfen könne. Er sagt erst gar nichts und brüllt sie dann an, sie solle ihn allein lassen. Kaum ist sie - weinend - aus dem Zimmer gegangen, beginnt er wieder mit seinem "Kot" zu spielen.

Hier schiebe ich jetzt mal einen kleinen Exkurs aus der Medizin ein: Bei akutem Darmverschluss kommt es - wenn der Verschluss nicht behandelt wird - an einem bestimmten Zeitpunkt der Krankheit zu KOTERBRECHEN (Misere).

Auch im Film brechen die Parasiten aus dem Inneren dem Bauch und dem Mund Tudors hervor - und zwar genau in dem Moment, als seine Frau ihm den Sex verweigert, den er sich sogar mit Gewalt erzwingen will. In meine Vermutung übertragen, dass Tudor in seiner anal-sadistischen Phase steckt und an die medizinische Beschreibung des Koterbrechens gekoppelt, könnte man behaupten, dass Tudor so lange zurückgehalten hat, bis sich sein Kot eben einen anderen Weg gesucht hat.*

Überall im Gebäude kommt es zu Szenen, wo Nichtinfizierte zu erst gewalttätig überfallen und überrumpelt werden, nur um dann - nach dem der Parasit über den Mund des Infizierten in den Mund des zu Infizierenden gelangt ist, in genital-erotische Orgien zu münden.

Zweiter medizinischer Exkurs: Bei besonders schweren Formen von Schizophrenie tritt eine Form der Perversion auf, die sich "Koprophagie" und meint, dass sexuelle Stimulanz über das Essen des eigenen oder fremden Kots erreicht wird. (Mittlerweile ist Koprophagie aber auch eine "nicht-psychiatrische" sexuelle "Spielart" -> Scat-Games). Auch hier spielen natürlich anal-erotische (und selbstverständlich oral-erotische) Komponenten eine Rolle.

Sobald der Parasit den Körper des einen verlassen und den des anderen betreten hat, ist der Akt beendet (Cronenberg zeigt jedenfalls nichts weiter folgendes). Die Infektionskette wird nun vom Neuinfizierten fortgeführt.

In einer möglichen psychoanalytischen Deutung im Zusammenhang mit der Anal-Erotik haben sich mir da folgende Überlegungen aufgedrängt:

1. Der Parasit sieht nicht nur aus wie :deepshit:, sondern könnte auch dessen symbolische Funktion einnehmen.

2. Die symbolischen Funktion des Parasiten wäre dann die des extrem zurückgehaltenen Kots, der sich schließlich seinen Ausweg auf anderem Wege sucht: Durch Kot-Erbrechen (oder bei Tudor auch durch die Bauchdecke, weswegen seine Zwischenmenschlichen Kontakte auch nie erotischer, sondern immer gewaltätiger Natur sind).

3. Nachdem der Kot den Körper verlassen hat wird die sadistische Agression (anal-sadistische Phase) in Erotik (genitale Phase) gewandelt.

Interessant scheint mir hier, dass Shivers auf den ersten Blick äußerst sexual-antiaufklärerisch wirkt: Der Parasit, der ja - zumindest bei oberflächlicher Betrachtung :D - "für Sex steht", wird von den nicht infizierten Hausbewohnen extrem gefürchtet. Dabei kommt doch aber niemand ums Leben, der infiziert ist - einzig seine Triebe werden durch die Infektion völlig enthemmt. Cronenberg zufolge kulminiert der Film ja in einem "Happy End", als schließlich alle infiziert sind und aus dem Hochhaus in die Welt hinaus fahren (Radiodurchsagen warnen vor einer Sex-epidemie, die in der Stadt grassiert). Aber wie sehen denn die Leute aus, die aus der Garage rausfahren? Richtig: Wie ruhige, befriedigte Menschen, die keine Probleme (mehr) haben.

maX

* Das würde auch ziemlich gut zur häufig bei Cronenberg vorkommenden Kopplung von psychischen mit physischen Phänomenen. In der Literatur wird das oft auf das Phänomen des "Leib-Seele-Problems" und bei Riepe auch als "wörtlich genommene Metapher" gedeutet.

#18 Hick

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Geschrieben 01. September 2004, 10:12

Einführung für das heutige Scanners-Screening ... hier schon mal vorab. Gerade runtergerissen. Ich hoffe, es ist nicht der totale Unsinn. :D


Die Organisation des Denkens
Organmetaphern in der Geistesgeschichte und Cronenbergs Scanners


1. Organ und Werkzeug

Parallel zur Intellektualisierung des Menschen in der Geschichte verläuft seine körperliche „Fragmentarisierung“. Sein Körper löst sich in Einzelteile auf – in Organe, die mit je eigenen Funktionen und Bauweisen beschrieben werden. Der Körper wird seit der Antike nicht mehr nur als Ganzes von den Göttern Gegebenes verstanden, sondern zusehends als ein Zusammen von funktionellen Einheiten.

Das Organ (organon = Werkzeug), das zunächst als rein biologistische Metapher etabliert wird, nämlich als Funktionseinheit, die im Körperganzen einen Teil bildet und zu größeren Einheiten (Atmungsorgane, Sinnesorgane, ...) zusammengefasst wird, erfährt parallel zur Fragmentarisierung des Körpers auch eine Rückübertragung des Metaphorischen ins Konkrete. Der Werkzeuggedanke wird wieder wörtlich genommen. Nun aber nicht mehr auf die Körper-Organe begrenzt, sondern auf körperexterne Werkzeuge, die dem Menschen mehr und mehr zugerechnet werden.

Wiederum parallel dazu entsteht der Gedanke die konkretisierte Werkzeugmetapher zu abstrahieren – dem Werkzeug seinen „Zeug“-Charakter zu nehmen. Die Bedeutung wird schon bei Platon wieder „hinübergetragen“ und erstmals Sprache als ein Organ (eben: Werkzeug) gesehen.


2. Das intellektuelle Organ in der Philosophiegeschichte

Für Platon ist nicht nur die Seele ein Organ im körperlichen Sinne (Politeia, 6. Buch), sondern die Sprache ein Werkzeug im Organon-Sinn: „Also ist auch das Wort ein Werkzeug. [...] Was machen wir, wenn wir benennen, mit dem Worte, da es ja auch ein Werkzeug ist? [...]Teilen wir vielleicht einander etwas mit und zerteilen die Dinge je nach ihrer Art? [...]Das Wort ist also ein mitteilendes und das Wesen zerteilendes Werkzeug [...].“ (Kratylos)

Sprache, hier als noch konkret erfahrbares und zer- sowie mitteilendes Werkzeug. Aristoteles kritisiert die Totalität dieser Position: „Die Rede bedeutet zwar etwas, aber nicht wie ein Werkzeug, sondern, wie gesagt, vermöge Übereinkommens.“ (Organon/Kategorie/Hermeneutika/4. Buch) In seinem von der byzantinischen Philosophie als „Organon“ getauften logischen Werk wird die Logik selbst ein Werkzeug der Erkenntnis von Wahrheit. Aristoteles analogisiert mit seinem doppeldeutigen Organbegriff Natur und Kunst (Technik) – techne-siert damit aber auch die Organmetapher.

Francis Bacon lehnt sein Werk „Die große Erneuerung der Wissenschaften“ (Originaltitel: „Novum Organon“) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an Aristoteles an. Für ihn ist das Organ des Denkens allerdings rein auf Erfahrungen angewiesen. Er begründet damit nicht nur den englischen Empirismus sondern gleich die empirischen Wissenschaften überhaupt und reformiert auf diese Weise die neuzeitlichen Naturwissenschaften.

Die Organmetapher hat aber noch für weitere Disziplinierung im Denken gesorgt: Ernst Kapp, Hegelianer, prägt 1877 in seinen „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ als erster eine Organmetapher als Erweiterung (Extension) des biologischen menschlichen Körpers. Kapp interpretiert alle körperexternen, künstlichen Werkzeuge als prinzipiell den menschlichen Organen gleichend und nachempfunden. Der Hammer ist für ihn „eine in das grob Stoffliche übertragene Faust“. Sein reflexives Organ-Werkzeug-Verständnis überträgt Kapp vom Kleinen (dem Menschen als Organ) auf das Große (dem Staat also Organismus): „Der Staat ist das allmählich ins Bewußtsein tretende Nachbild des leiblichen Organismus.“

Konjunktur feiert die Organisation des Denkens und der Welt erstmals in den 1930er Jahren. 1929 eröffnet Freud die medientheoretischen Implikationen der Metaphorik. In „Das Unbehagen in der Kultur“ schreibt er: „Der Mensch ist eine Art Prothesengott.“ Damit meint er, dass über die Jahrtausende eine Erweiterung des Körpers stattgefunden habe, die den Menschen mit scheinbar grenzenloser Macht über seine Umwelt ausgestattet hat: Vom Haus (als Ersatz für den sicheren Mutterleib) aus erfindet er Fahrzeuge und Motoren (die seine Bewegung beschleunigen und seine Muskelkraft verstärken), erweitert seine Sinne mit Kameras, Grammophonen, Telefonen und der Schrift (welche als Distanzmedium ein Ersatz für die Sprache des materiell Abwesenden wird).

1934 holt Karl Bühler mit seinem Organon-Modell der Kommunikation die Sprache zurück in den Raum der Organmetapher. Von Platon bis hin zu Wilhelm von Humboldt (nach ihm ist „die Sprache das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äußerung gelangt“, schriebt er 1836 in seinem Hauptwerk „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“) ist Sprache als Werkzeug interpretiert worden. Bühler differenziert diesen Charakter: Er bezieht sich auf Platons Verständnis der Sprache als Organ und charakterisiert sie als Werkzeug „mittels deren einer dem andere etwas über die Dinge mitteilt.“ Was zunächst trivial klingt, wird in der Aufteilung der Sprache in drei Funktionen der sprachlichen Zeichen zu einem Novum: Symptom (Ausdrucksfunktion), Signal (Appellfunktion) und Symbol (Darstellungsfunktion). Dass das „Symptom“ eben die „Innerlichkeit des Senders ausdrückt“ (Bühler) unterstreicht nur den organischen Charakter der Sprache.


3. Medium und Netz

Marshall McLuhan war es, der Freuds Organ-Metapher der Medien aufgriff, weiter differenzierte und auf eine Medientheorie übertrug. Medien verstand er 1968 in „Understanding Media: The Extensions of Man“ als Ausweitung des Menschen. Wie Freud beschreibt er auch die Rückwirkung der neuen Organe auf den Organismus. Der Mensch wird durch die Verwendung seiner technischen Mittel physiologisch verändert. Er wird „zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt“. Dies ist sicherlich auch so zu verstehen, dass der Mensch es letztlich ist, der durch die biologische Reproduktion die Fortentwicklung der Technologie sicherstellt.

Eine neue Qualität erhält die Organmetapher bei McLuhan in ihrer Anorganisierung. Einem neuen Medienbegriff folgend („Der Inhalt eines Mediums ist ein anderes Medium“) verändert sich das Verständnis von Medium: Vom Träger/materiellen Übermittler (Freud: Grammophon, Telefon, Kamera) wird nun die gespeicherte Information selbst zum Medium. Dazu zählt unter anderem auch die elektrische Ladung: Im Zeitalter der Elektrizität ist das elektrische Netz „naturgegebenes Modell des ZNS, erweitert und nach außen verlegt“, Meta-Medium insofern es „die verschiedenen Medien unserer Sinnesorganisation koordiniert.“ (McLuhan) Dieses erweiterte Verständnis von „Netz“ findet sich vor allem in seinem gesellschaftstheoretisch orientiertem Essay „War and Peace in the Global Village“ von 1968, in der er die Welt – vermittelt und verbunden durch das Fernsehen – kurzerhand zum „globalen Dorf“ erklärt, in der Raum und Zeit aufgelöst sind.


4. Der Organ als Medium: Scanners

Im Werk David Cronenbergs ist die Organmetapher omnipräsent. Wie Riepe schreibt, ist das „wörtlich nehmen von Metaphern“ ein Problem psychotischer Natur. Ich will mich diesem Verständnis nicht anschließen und es als genuin „filmisches Denken“ verstehen.

In Videodrome (1982) hatte sich bereits angedeutet, wie Cronenberg McLuhan liest. Er nimmt die Organmetapher des Landsmannes ganz wörtlich und seinem Protagonisten Max Renn verwächst eine Waffe mit der Hand („handgun“). Später gerät auch die andere Hand zur Waffe („hand grenate“). Infiziert mit dieser Wörtlichkeit hat ihn das Videodrome-Signal, das die Transgression des elektrischen Impulses in das körperliche Symptom leistet. Der Erfinder, Professor Brian O’Blivion, ist das erste Opfer seiner Erfindung geworden. Das Signal hat einen Gehirntumor bei ihm ausgelöst, den er jedoch anders verstanden wissen will: „I believe that the growth in my mead – this head – this one right here. I think that is not really a tumor [...] but that it is in fact a new organ ... a new part of the brain.“ Wie O’Blivion, der diese Mitteilung nur noch per Videoaufzeichnung (deshalb die Deixis „this head – this one right here“?) übermitteln kann, geht auch Max später vollständig im Medium auf, verschmilzt mit ihm: „I am the video word made flesh.“ Noch gegenständlicher lässt sich Sprache als Organ nicht mitteilen.

Der zwei Jahre zuvor entstandene Film Scanners ist Cronenbergs erster Kontakt mit der mediatisierten Organmetapher. Thema des Films ist die Telepathie. Ein schwieriges Thema, wie Cronenberg zugibt: „The problem with movies about telepathy has always been how to make it physical. And I do mean physical, since for me it’s never enough just to make something visual.“ Anders gesagt: „How to make the video word flesh?“

Filmisch gelingt diese Antwort in Scanners in der Tat nur recht unbefriedigend: Dass telepathischer Kontakt zwischen zwei Menschen besteht, ist zu hören an seltsamen Stimm-Geraune im Soundtrack und körperlichen Symptomen der Verbunden (vom starren Blick über Zittern bis hin zum epileptisch-konvulsivischem Zucken). Erst mit der optischen Illusion der „Auflösung von Raum und Zeit“ (McLuhan) gelingt es Cronenberg vom Affekt der Darstellerkörper zum Effekt im Film überzugehen.

In Scanners belässt er es vorerst beim diskursiven Annähern an das Phänomen der Telepathie, versieht es aber mit den medientheoretischen Implikationen McLuhans. Nicht nur gibt es ganz profan eine Scanner-Untergrund-Organ-isationen mit einem tyrannischen Oberscanner als Kopf (Daryll Revok, der in der Mehrzahl der Einstellungen des Films tatsächlich nur als Head-Shot zu sehen ist). Auch führt Scanners eine Reihe von Szenen vor, die die Netz-Gedanken McLuhans mehr oder weniger direkt abbilden.

Die Scanner bilden ein „unfreiwilliges Netzwerk“ mit den Menschen ihrer Umgebung. Auf sie dringen die Stimmen und Gedanken ihrer Umwelt ohne Filter ein. Sie sind krank, missgebildet, oder wie Wissenschaftler Ruth es definiert: „Scannen, das ist eine Störung der Synapsen, die man Telepathie nennt.“ Erst durch das Verabreichen der Droge Ephemerol (ephemer = flüchtig, nur einen Tag überlebend) verschwinden die Stimmen für kurze Zeit und der geplagte Scanner fühlt sich „kristallklar“ (Cameron Vale). Ganz so, als wären die arme die Antennen zum Empfang der telepathischen Gedankenwellen, wird die Ephemerol-Spritze stets in die Hand verabreicht. Erst nachdem der Scanner sie bekommen hat, kann er vom unkoordinierten Sende- und Empfangsgerät auf bestimmte Wellen eingestellt werden. Zwei Vorführungen, die zeigen, zu was der Scanner dann in der Lage ist, eröffnen den Film.

Doch, so Ruht, „Telepathie besteht nicht nur aus Gedankenlesen. Es ist die direkte Verbindung zweier Nervensysteme, die räumlich voneinander getrennt sind.“ Diese Definition ähnelt nicht grundlos dem Verständnis von Telekommunikation. In Scanners wird auf diese Weise nicht nur tele-kommuniziert sondern eben auch tele-pathologisiert: „Scanners – Their thoughts can kill! “, so die Werbezeile des Verleihers. In dem Moment, wo die Scanner durch das Ephemerol „kristallklar“ geworden sind, werden sie zur Waffe. Ruths Organisation „Consec“ versucht aller 237 Scanner habhaft zu werden, um eine Armee gegen den Wahnsinnigen Scanner Revok zu koordinieren. Revok selbst – Inhaber der Organisation „Bicarbone Amalgamate“ – ebenfalls eine als Chemiefirma getarnte Untergrundorganisation – versucht alle Scanner, die sich ihm nicht anschließen wollen, zu töten.

Als es zum finalen Konflikt zwischen Vale und Revok kommt, überschlagen sich die Ereignisse: Es kommt heraus, dass der Arzt Ruth Erfinder von Ephemerol ist, der dieses Mittel Schwangeren als Beruhigungsmittel verabreicht hat. Die Kinder wurden daraufhin mit einer telepatischen Missbildung geboren – der Scannerfähigkeit. Seine beiden Söhne haben diese Fähigkeit aufgrund der frühen Verabreichung von Ephemerol besonders stark ausbilden können: Cameron und Daryll.

Kurz vor dem Showdown wird Cronenberg mit seiner technologisierten Organmetapher konsequent. Vale will die Firma Daryll Revoks zerstören, die Unmengen Ephemerol produziert, um dies Schwangeren zu verabreichen und eine neue Scanner-Armee zu gründen. Da ihm der Zugang zum Gebäude verwährt ist, entschließt er sich Kontakt über das Distanzmedium Telefon aufzunehmen und den Computer zu scannen: „Sie haben ein Nervensystem, das einem Computer vergleichbar ist. Damit können Sie ihn scannen, den Computer, als ob er ein Mensch wäre“, gibt Ruth Vale mit auf den Weg. Cronenberg nimmt hier eine Verschaltung des Nerven- und Telefonnetzes vor – ein Internetz zwischen Mensch und Maschine. Die entseelte Maschine per se (der Computer, der in der Science Fiction unzählige Male zum seelenlosen Widersacher des Menschen geworden ist) wird von Cameron Vales Verstand überwältigt – im Wortsinne – und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die Firma Revoks explodiert (und das Telefon, durch das Vale Kontakt aufgenommen hat, gleich mit).

Ich komme zum Kurzschluss: Dagegen nimmt sich der Showdown des Films fast wieder zurückhaltend aus: Die beiden Brüder stehen sich endlich gegenüber, scannen sich gegenseitig. Antipoden, die sie sind, kommt es zum Kurzschluss. Das „scanning“ versagt in dem Moment, wo es auf sich selbst angewendet wird. Das fleischgewordene Medium lässt sich nicht remedialisieren. Hat die Anfangssequenz das Ergebnis dieses Kurzschlusses schon als Explosion (eines Kopfes) vorgeführt, so zeigt das Ende des Films dies als Implosion (eines Körpers in einen anderen – der Verschmelzung der Brüder).

#19 Trakl

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Geschrieben 04. September 2004, 09:45

Sehr interessant. Dankesehr! Mehr davon, bitte.

Trakl

#20 Hick

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Geschrieben 15. September 2004, 13:34

Wieder einmal: Nur schnell reingehackt ... Schreib- & Denkfehler daher bitte ignorieren/korrigieren. :)


The Room inside
Gedanken zum Raum in der Filmografie Cronenbergs vor allem an eXistenZ


Eine mögliche Unterteilung des Cronenberg'schen Oeuvres kann unter der Perspektive der Raum-Theorie vorgenommen werden. Ich versuche damit einen weiteren Aspekt von Cronenberg als „Film-Theoretiker” zu beleuchten und eine Entwicklungsgeschichte seiner eigenen Raumtheorie nachzuzeichnen. Signifikant für eine solche Betrachtung scheinen mir seine Filme „Dead Zone", „Videodrome", „Scanners“, „eXistenZ” und „Spider". Sie behandeln allesamt ein Phänomen, das ich als „kinematografische Abbildung des Simulationsraums” definieren möchte. Was ist ein Simulationsraum?

1. Simulationsraum

Zunächst bezeichnet „Simulationsraum” einen Raum, in dem Experimente gemacht werden. Diese Experimente sollen in einer simulierten Umgebung stattfinden, um eine virtuelle Situation, die außerhalb des Labors vielleicht gar nicht existiert, möglichst perfekt inszenieren zu können. Auf diese Weise können Verfahren, Materialien und Methoden getestet werden, die später in einer dem Simulationsraum ähnlichen Umgebung zur Anwendung kommen. Simulationsräume können real oder virtuell (im Computer) sein.

Auch in der Medientheorie gibt es Simulationsräume: 1990 schreibt Jean Baudrillard in „Das Jahr 2000 findet nicht statt": „Vor allem die modernen Medien haben jedem Ereignis, jeder Erzählung und jedem Bild einen Simulationsraum mit grenzenloser Flugbahn eröffnet. Jedes Faktum, jedes politische, historische oder kulturelle Merkmal erhält bei seiner Verbreitung durch die Medien eine kinetische Energie, die es für immer seinem eigenen Raum entreißt und in einen Hyperraum vorantreibt ... Wir brauchen keine Science-fiction mehr.” (Baudrillard 1990, 9) Hier beschreibt Baudrillard – mit einem von seiner Simulationstheorie etwas abweichenden Vokabular – wie sich reale Ereignisse in den Medien „verhalten": Entbunden von ihrer Faktizität bekommen sie ein durch das Medium und seine Diskurse gespeistes „Eigenleben". Sie werden verkürzt oder ergänzt ... da dies im „Hyperraum” (ein anderer Ausdruck von „Hyperrealität") stattfindet, unterliegen sie nicht mehr die Kategorien von wahr und falsch. Ihre Wahrheit ist nicht mehr nachweisbar.

Das Verständnis von Simulationsraum, das ich auf die Filme Cronenbergs anwenden möchte, basiert auf Baudrillards Simulationstheorie. Baudrillard schreibt 1978 in „Die Agonie des Realen", dass live übertragene Dokusoaps einen Effekt simulieren würden, der beim Zuschauer den Eindruck erweckt „als ob wir [also das Filmteam, SH] nicht dabei gewesen wären” was für Baudrillard denselben Stellenwert „als ob Sie [also die Zuschauer, SH] dort gewesen wären.” (Baudrillard 1978, 45). Hier kommt bereits ein räumliches Vermögen von Medien (speziell den Bildmedien) zum Ausdruck: Sie können die Raumgrenze zwischen Zuschauer und Darstellung scheinbar auflösen. Sie etablieren einen „Raum", in dem beides stattfindet: die Zuschauerpräsenz und die mediale Erzählung.

In seinem Buch „Medien-Zeit – Medien-Raum” zeichnet Götz Großklaus 1997 die These Baudrillards historisch nach: Er untersucht die (mediale) „Zeichenwerdung der Welt” (Großklaus 1997, 8) in Hinblick auf die Auswirkungen auf unser Raum- und Zeit-Verständnis: „Die ikonische Simulation des Fernsehens zielt auf die Verwischung der Grenzen zwischen traditionell getrennten Raumbereichen des Nahen=Eigenen und den Fernen=Fremden; des Privaten und des Öffentlichen; des Intimen und des Spektakulären.” (130)

Aus dieser „Verwischung", Grenzauflösung oder -überwindung resultiert nicht das Verschwinden des Raums, sondern die Indifferenz der Räume, deren Grenzen verwischt wurden. Ein Effekt, der sich im Kino sehr leicht nachvollziehen lässt: „Von der Rezeptionsseite stellt der abgedunkelte Kinoraum mit der magisch erleuchteten Leinwand [...| schon den simulatorischen Kontext dar, aus dem die spezifisch einbeziehende und teilnehmende Wahrnehmung von ikonischer Simulation möglich wird.” (Großklaus 1997, 125) Für das Fernsehen konstatiert er einen ähnlichen, jedoch viel radikaleren Effekt, denn dort wird die Simulation durch das Phänomen der „Echtzeit” noch potenziert, denn die „Echtzeit allein verbürgt das Authentische des Bildes – alles, was zeitlich aus diesem simultanen Feld, in dem Ereignis und Fernwahrnehmung zusammenfallen, herausfällt und nachzeitig wird [wie im Kino, SH], verliert an Authentizität. Vor allem aber geht die simulatorische Kraft verloren, die Erlebniszustände des unmittelbaren Dabei-Seins, der Teilhabe und Nähe erzeugt. Das Echtzeit-Bild simuliert räumliche Nähe bei realer Ferne – simuliert Intimität bei realer Öffentlichkeit der Fernseh-Institution – simuliert Öffentlichkeit bei realer Privatheit der Betrachter-Situation.” (Großklaus 1997, 130)

In der Computersimulation – und dies sage ich mit Blick auf die Betrachtung von „eXistenZ” – erreicht der Simulationseffekt ein Maximum: „Der Computer ist eine Möglichkeits-Maschine, in der sich das simulatorische Vermögen absolut setzt.” (Großklaus 1997, 135) Die „Möglichkeiten", die der Computer bei der Generierung jedweder „Realität” hat, finden ihre Grenzen nur noch in der Kreativität des Programmierers. Raum- und Zeitdifferenz zwischen dem in Echtzeit generierten Bild und seinem Betrachter sind verschwunden. „Die Visualisierungsgeschichte unserer Kultur gipfelt in der Erzeugung eines abstandslosen Bildes von Wirklichkeit und Möglichkeit, in der visuellen Simulation des Jetzt und Hier, im Zusammenfall aller raumzeitlichen Trennungen und in der enormen Verdichtung des präsentischen Augenblicks.” (Großklaus 1997, 141f.)

Beziehen wir diese Möglichkeiten medialer Entgrenzung und Annäherung auf meine Vorstellung von Simulationsraum, so erhält dieser folgende Eigenschaften: Er „präsentiert” alle möglichen Ereignisse in nächster Nähe und absoluter Unmittelbarkeit. Er nivelliert die Unterschiede zwischen Nah und Fern (seien sie zeitlicher oder räumlicher Art). In ihm haben die Kategorien von wahr oder falsch keine Gültigkeit – denn ein Ereignis im Simulationsraum veri- oder falsifizieren zu wollen, würde eine Metaperspektive voraussetzen. Das Problem dieser Perspektive liegt in der Ununterscheidbarkeit von Subjekt und Objekt, die sich durch die Entgrenzung unendlich aneinander annähern. Zudem übertragen die Medien nicht nur Informationen, sondern auch ihr Verständnis des Realen, das für den Rezipienten während der Rezeption unhinterfragbar ist, weil er – nach der Simulationstheorie – selbst Teil der Erzählung wird.

2. Okkulte Medien: Scanners und Dead Zone

Medien spielen in Cronenbergs Filmen eine maßgebliche Rolle. Sein Medienbegriff ist jedoch nicht auf den der technischen (oder gar elektronischen) Medien beschränkt. Vielmehr bebildert er in seinen Filmen die zahlreichen Konnotationen, die der Begriff besitzt und nähert sich auf diese Weise einer „filmischen Theorie des Mediums” an. Medien, das sind bei Cronenberg Übermittler, Membrane, Psychosen, elektrischer Strom, Organe – und manchmal auch Kommunikationsmedien.

Seine erste – im Hinblick auf die Fragestellung des Simulationsraums interessante – Betrachtung von „Medien” unternimmt er 1980 in „Scanners“. Hier sind es die unter dem Scanner-Syndrom mehr leidenden als davon zehrenden Telepathen, die als Medien fungieren. Sie sind in der Lage Kommunikationskanäle zu öffnen, die anderen Menschen verschlossen bleiben. Dies ist eine Eigenschaft des „Mediums” im okkultistischen Sinne: Gedanken oder Gefühle von Menschen (und in „Scanners” sogar vom Computer) zu empfangen und in für alle verstehbare Sprache übersetzen, das ist die Fähigkeit der Scanner-Medien. Dass sie keine andere Wahl haben, als dies zu tun, ist das Drama des Films. Scanning ist ein „Distanzmedium": Es verkürzt die Distanz zwischen zwei Bewusstseinen oder zwei Nervensystemen virtuell auf ein Minimum. Auf diese Weise wird aus zwei Bewusstseinen eines, aus zwei Nervensystemen eines – mit teilweise verheerenden Folgen für die miteinander verbundenen.

In „Dead Zone” schafft Cronenberg es erstmals dieses Prinzip zu bebildern. War er in „Scanners” noch darauf beschränkt, zitternde, konvulsivisch zuckende Leiber (gescannter Menschen) oder eine pulsierend-blinkende Platine (eines gescannten Computers) abzubilden, so verfährt er in „Dead Zone” genau anders herum. John Smith, nach einem Autounfall mit der Fähigkeit der Hellsicht ausgestattet, findet sich bei jedem körperlichen Kontakt zu Menschen in deren „Welt” wieder. In einer der ersten Prägkognitionsszenen des Films wird dies besonders deutlich: Smith liegt im Krankenhausbett und hält die Hand einer Pflegerin. Plötzlich befindet er sich in einem anderen Raum – im Haus der Pflegerin – liegt im Bett im Kinderzimmer, das lichterloh brennt und sieht die in der Ecke zusammengekauerte Tochter der Frau, deren Hand er im Krankenhaus hält. Seine Telepathie (dt. Fern-Empfindung) hat ihm ermöglicht zur selben Zeit in zwei Räumen zu sein. Cronenberg versinnbildlicht dies, indem er bestimmte Motive des einen Raums (Smith im Bett, der den Arm zur Krankenschwester streckt) mit denen eines anderen Raums (das Kinderzimmer mit dem Mädchen darin) zur Deckung bringt. Aus zwei weit von einander entfernten Räumen wird einer.

Doch John Smiths Fähigkeiten überbrücken nicht nur Räume, lösen nicht nur Raumgrenzen auf. Seine Gabe wird zum Fluch, als auch die Zeit für ihn zum durchwanderbaren Raum wird. Ob er nun seinen behandelnden Arzt in einen Gewissenskonflikt stürzt, weil er in dessen Vergangenheit sieht und eine Erkenntnis von dort (die Trennung des Arztes von seiner Mutter als er noch ein Kind war) mit einer Erkenntnis von jetzt (die Mutter lebt noch) koppelt. Oder ob er in die Zukunft eines viel versprechenden Präsidentschaftskandidaten sieht und erkennen muss, dass dieser die Welt in ein nukleares Desaster führt. Hier wird die Gabe Johns zum Fluch – denn John sieht sich zum Handeln gezwungen, ein Handeln für Außenstehende jenseits aller Logik, denn nur er ist das Medium, das die Wahrheit kennt.

3. Medien als Membrane: Videodrome

1982 dreht Cronenberg „Videodrome“, einen seiner radikalsten Beiträge zur Medientheorie. Die Konsequenzen aus „Scanners” sind hier noch deutlicher als im ein Jahr später entstandenen „Dead Zone“. Die Medien – und Videodrome „handelt” auch von Medien – haben das Bewusstsein ihrer Nutzer bereits vollständig affiziert. Dies dem Rezipienten zu verdeutlichen greift Cronenberg zu einer radikalen Form der „Entgrenzung“. Wir bekommen den Film „Videodrome“, der die Leidensgeschichte seines Protagonisten Max Renn ist, aus dessen Perspektive zu sehen. Das bedeutet hier jedoch erstmals nicht, dass der Film aus der Ich-Perspektive gefilmt wäre. Nein, die Bilder suggerieren Objektivität: Max Renn – der Erzähler des Films – ist gleichzeitig der Gegenstand des Films. Wir sehen ihn und die Bilder, die er sieht, gleichzeitig.

Dieses Prinzip kann als Verdopplung des Simulationsraums gesehen werden. Cronenberg bildet einen Raum ab, in dem die Virtualität des Mediums von der Realität dessen Rezipienten nicht mehr unterscheidbar ist. Diese Ununterscheidbarkeit verdoppelt er, indem er den Zuschauer über Subjekt- und Objekt-Status des Gezeigten verwirrt. Während Max auf der Suche nach jener Reality-TV-Show „Videodrome” ist, sitzen wir selbst im Videodrome. Die Verwirrung, die das Videodrome-Signal in seinem Bewusstsein auslöst, ist die Verwirrung, die der Videodrome-Film bei uns auslöst.

Die Sinnfälligkeit, mit der Cronenberg diesen Effekt inszeniert, findet sich in etlichen Bilder. Etwa in der Szene, in der Max seinen Kopf in die Fernsehmattscheibe steckt, die mediale „Membran” durchdringt, ganz so als wolle und könnte er „dabei sein” (und die Bilder zeigen uns ja, dass er es kann). Als sich Max später mit einem VR-Helm dem Videodrome-Signal direkt aussetzt, überschreitet er die Membran und findet „den Raum Videodrome” in seinem Bewusstsein. Dort foltert er einen Fernseher, in dem verschiedene Freundinnen von ihm abgebildet sind. Schließlich zeigt uns Cronenberg in der Schlussszene den „letzten Effekt” der Simulation, als Max sich selbst im TV sieht und einer Show seines eigenen Suizids folgt, den er dann – als hätte das Medium in angeleitet oder -gestiftet – selbst vollzieht, worauf dann unser Bild schwarz wird. Dies sind Indizien der Raumauflösung zwischen unserer Sessel-Situation und der Videodrome-Erzählung. Medium ist hier vor allem das Fernsehen mit seinem Effekt der Echtzeit und der damit verbundenen Raumauflösung.

4. Vom organischen Medium: eXistenZ ...

Die Implosion der Räume setzt Cronenberg 1998 in „eXistenZ” ein weiteres mal filmisch um und doppelcodiert auch hier seine Raum-Theorie: Es geht um die virtuelle Realität der Computerspiele, Riepe zufolge um die Frage nach der „Logik der Simulation” (Riepe, 179) bzw. der „Reflexion darüber was Realität ist” (Riepe, 174) – was in der medialen Hyperrealität dieselbe Frage ist.

Die Anspielungen auf diese Frage finden sich in „eXistenZ” in zahlreichen Szenen. Einmal abgesehen von den Fragen, die die Unterscheidung von Virtualität und Realität bei den Protagonisten aufwerfen, bebildert Cronenberg in „eXistenZ” die „Verwischung der Raumgrenzen” zwischen dem User und der Software. Als Ted Pikul und Allegra Geller das Spiel ausprobieren, das mittels einer Nabelschnur direkt am Rückenmark der Spieler angeschlossen wird, verwischen sofort die Bilder des Raums, in dem sich beide befinden und werden zu Bildern des Spielraums, den die Spieler durchwandern und in dem sie Abenteuer erleben, ohne sich aus dem „realen” Raum fortzubewegen. Auch hier stiftet Cronenberg wieder Verwirrung. Aber dieses Mal nicht durch die Annäherung von Subjekt und Objekt, sondern durch das Spiel mit der prinzipiell unmöglichen Außenperspektive. „eXistenZ” ist ein Schachtelfilm. Hinter jeder Grenze, die Spiel und Realität trennt, zeigt sich eine neue Ebene der Realität, die die vorherige als Spiel desavouiert. Auch „eXistenZ” endet mit einem Schuss und einer Schwarzblende. Er ist in seiner Schlussszene jedoch geschwätziger (und damit weniger subtil) als „Videodrome“. Einer der Protagonisten fragt, kurz bevor er erschossen wird, ob er noch immer im Spiel sei. Er will die Wahrheit nicht glauben (zu Recht!), dass er sich eventuell abermals nur auf einer höheren Stufe – einer virtuellen Realität – befindet, in der sein Tod nicht mehr einfach negative Auswirkungen auf seine Counter hätte, sondern unweigerlich zum „Game over” führen würde.

Die Medien in „eXistenZ” sind nur auf den ersten Blick „Computer” (wenn man die organischen Game-Pods überhaupt so nennen kann). Es sind vielmehr die Körper der Protagonisten selbst, die zum Medium werden. Denn die Game-Pods verschmelzen mit diesen. Das Computerspiel „zeigt” nicht mehr einfach eine virtuelle Spielwelt, sondern es „impft” diese direkt ins Gehirn und zentrale Nervensystem der Spieler. Die Grenze zwischen dem Spiel (als Gerät) und dem Spiel (als Handlung) verwischt, je tiefer die Protagonisten in die Erzählung von „eXistenZ” eindringen. Schließlich ist das Spiel nur noch ein daumengroßes Organ, das vollständig im Körper verschwindet und diesen zum Spielfeld macht. Die „Schnittstellen” sind so genannte „Bioports” – „virtuelle Wunden” (Riepe, 187) – im Rückenmark der Spieler. Löcher, die in den Rücken gestanzt werden, um direkten Zugang zum ZNS zu bekommen. Die totale Evokation vom simulierten Geschehen kann nur erreicht werden, wenn der Rezipient mit dem Medium (dem Game-Pod) verwächst, wenn Körper und Medium eins werden. Das ist kein Subjekt-Objekt-Tausch mehr, sondern deren Verschmelzung. Die Indifferenz von Spielhardware und Spieler führt dann auch zu unguten Transgressionseffekten – Krankheiten werden aus der Spielhandlung in die Realität eingeschleppt – „eine seltsame Osmose” nennt Allegra Geller diese Form der Durchflutung des Realitätsprinzips.

Der Zuschauer, der, anstatt von einem Virtualitätslevel auf das nächst höher- oder tiefer liegende, von einer Rahmenhandlung in die nächst höher liegende oder tiefer liegende Wechselt, kann den Effekt, den die Game-Pods auf ihre Nutzer (Wirte!) haben, nur schwer nachvollziehen. Cronenberg ist mit seiner Raum-Metaphorik in „eXistenZ” an der Grenze des Darstellbaren angelangt und wiederholt nur (die Effekte aus „Dead Zone” und die Erzählung aus „Videodrome). Einzig die „Verwischung” kann er noch bebildern und die verschwörerische Frage aufwerfen, ob denn alles vielleicht virtuell sei.

5. ... zum psychotischen Medium: Spider

In „Spider” (2002) besinnt er sich deshalb vom Mediendiskurs (im engeren Sinne) auf einen weiten Medienbegriff zurück. Die Geschichte von Spider, dem aus der Psychiatrie entlassenen jungen Mann, liefert keine effektgeladenen „Verwischungs“-Szenen mehr. Spider ist ein Zeitreisender, der erst am richtigen Raum angelangen muss (in seiner Heimatstatt), um durch die Zeit zu reisen. Als in sich selbst eingeschlossener Autist mit einer dissoziativen Amnesie bereist er die Orte seiner Kindheit, um seinen Freud’schen Familienroman (fertig) zu schreiben. Wir begleiten ihn dabei und nehmen es fast schon mit ruhiger/beruhigender Selbstverständlichkeit zur Kenntnis, dass wir nicht die Welt, in der Spider lebt, sehen, sondern seinen Blick auf seine Welt präsentiert bekommen. Die paranoiden Wahnvorstellungen werden zu kohärenzbildenden Momenten der Erzählung des Films. „Spider” lässt uns nicht nur im Unklaren über den so genannten „situativen Kontext” der Erzählung, er belügt uns sogar über die wahren Kausalverhältnisse, wenn er uns die verzerrte Wahrnehmung seines Protagonisten vorführt.

Die Zeitreisen, die Spider in seine Kindheit unternimmt, werden von Cronenberg wörtlich genommen. Spider reist (körperlich) in seine Vergangenheit und trifft auf sich selbst, seine Eltern und seine Traumata. Dass letztere es sind, die ihm seine Zeitreise erst ermöglichen (denn sie ist eine Reise in seine Wahnwelt), eröffnet uns der Film erst ganz am Ende, wenn die für Spider immer gleich aussehenden Personen wieder zu verschiedenen werden und damit seine Selbstlüge (und die des Films) auffliegt.

Mit „Spider“, so scheint es mir, hat Cronenberg einen Versuch unternommen, die Raum-Theorie auf eine neue Qualitätsstufe zu erheben. Die medialen Effekte auf den Raum werden nicht mehr vordergründig inszeniert – sie werden als „bekannt” vorausgesetzt. Cronenberg hat sein Publikum nun so weit, dass es den Simulationsraum und seine Effekte kennt. Er kann voraussetzen, dass es keinen Unterschied zwischen Hier und Dort, zwischen Gestern und Heute, zwischen Zeigen und Gezeigtem mehr gibt. Diese Voraussetzung könnte die Bedingung für eine völlig neue Form von Erzählung werden.

Stefan Höltgen
[*] Großklaus, Götz : Medien-Zeit – Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne. Frankfurt: Suhrkamp 1997.
[*] Baudrillard, Jean: Die Agonie des Realen. Berlin: Merve 1978.
[*] Baudrillard, Jean: Das Jahr 2000 findet nicht statt. Berlin: Merve 1990.
[*] Riepe, Manfred: Bildgeschwüre. Körper und Fremdkörper im Kino David Cronenbergs. Bielefeld: transcript 2003.

#21 Hick

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Geschrieben 15. September 2004, 21:34

So, noch mal überarbeitet und korrigiert.

Liest das Zeuch überhaupt irgendwer? :))

#22 Hick

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Geschrieben 17. Oktober 2004, 06:09

http://www.phil.uni-mannheim.de/romanistik...ract_weimar.htm

schönes abstract (auch als "Raum"-Tipp an Philosophus) ... Buch bestellt. :)

#23 Hick

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Geschrieben 21. Oktober 2004, 07:14

just gehackt:

THE FLY

Ein sehr instruktiver Vortrag von Arno Meteling, der die Phänomene "Übersetzen" und "Interpretieren", die im Film auf "lebende Materie" angewandt werden, in den Diskurs über den Film überträgt und fragt: Wie fähig ist die wissenschaftliche Psychoanalyse, ohne vorhrige Modifikation ein Kunstwerk wie einen Film zu "interpretieren", ohne dass dabei "etwas" verloren geht?

Ich selbst habe über meinen anstehenden Simulationsraum-Artikel zu Cronenberg nachgedacht.

In "The Fly" gibt es diesen Simulationsraum ganz konkret und nach der eigentlichen naturwissenschaftlichen Bedeutung: Der Computer schaltet sich wie ein "virtueller Raum" zwischen die Telepods. Materie wird im ersten Raum aufgelöst, durchläuft dann die Simulationsphase, in der ihre Stofflichkeit (also das Signifikat) in "reine neutrale Informationseinheiten" (also den Signifikant bzw. das Simulacrum) aufgelöst werden. Im Raum 2 werden diese Simulacren wieder in Realität übersetzt.

Doch diese neue Realität unterscheidet sich von der alten. Sie sieht ihr zwar ähnlich, doch fehlt ihr etwas ganz Wesentliches, das Cronenberg mit "Poesie des Fleisches" benennt. In das strukturalistische Modell übertragen wäre diese "Poesie" der zwar arbiträre aber dennoch konventionalisierte Bedeutungszusammenhang zwischen Signifikat und Signifikant - das "Blatt Papier", von dem de Saussure spricht (auf dessen einer Seite das Zeichen und auf der anderen dessen Bedeutung steht). Die Übersetzung mit "Konventionsneutralisation" muss scheitern. Wie Meteling sagt: Übersetzung ist nicht möglich. Und Schuld daran ist die Beschaffenheit des virtuellen Raums, der aus Fakten Daten macht. Alles, was ihn durchläuft, wird zum "müden Abklatsch" seiner selbst. Erst als Brundle der Maschine die "Poesie" beibringt, ist er in der Lage, "Fakten zu schaffen".

Interessanter ist meines Erachtens aber der Teleportationsprozess, bevor Brundle die "Poesie des Fleisches" darin hinein programmiert. Denn in dieser "falschen Vorform" zeigt sich ja die eigentliche Leistung von Computern (wie sie auch jetzt schon existieren): Das "umkrempeln" des Pavians ist nicht etwa dessen "Interpretation", sondern vielmehr dessen "Analyse" (gr. analysis = Auflösung). Der Computer zeigt Brundle "was die Welt im Innersten zusammenhält." Er funkioniert perfekt - denn "analysieren und simulieren" und nicht "interpretieren und synthetisieren" ist seine Aufgabe.

Science Fiction wird "The Fly" erst, als das metaphysische Moment "Poesie des Fleisches" eingeführt (und in den Computer einprogrammiert) wird. Ab da wird der Computer "unheimlich menschlich". Kein Wunder, dass Brundles wissenschaftliche Überlegungen von Cronenberg genau in diesem Moment nicht mehr wissenschaftlich ausformuliert werden. Beim Sex hat Brundle den Aha-Effekt, steht auf spricht ab dann nur noch in Metaphern. Diese Metaphorik Brundles ist - das hat Riepe mit Lacans Metaphern-Verständnis ja sehr schön klargemacht - auch die "wörtlich genommene Metaphorik" Cronenbergs.

Ich setze noch eines drauf und behaupte: Metaphorik wird nicht nur wörtlich genommen, sondern sogar "etymologisch-wörtlich": Metapher in seiner urprünglichen Bedeutung ("metaphorein" = etwas "hinübertragen") ist sogar das eigentliche Thema des Films. Und filmischer Gegenstand ist nicht etwas das Objekt (also "was" hinübergetragen wird), sondern der Raum (also "über was" etwas hinüber getragen wird). Und diesen Raum, behauptet "The Fly", gibt es nur "in" den Medien. Cronenberg zeigt dies einerseits dadurch, dass er ständig Medien "dazwischen" schaltet: Nichts passiert, ohne dass die Videokamera oder ein Diktiergerät mitläuft - oder eben der Computer seine Arbeit aufnimmt. Andererseits macht "The Fly" sehr deutlich klar, dass dieser ®Übertragungsprozess eine unsichtbare Simulation ist und bleiben muss: Kohäsion gibt es nur im Film ... zwar "schwenkt" Veronica mit ihrer Handkamera zwischen den beiden Pods hin und her, um so den "Zaubertrick" der ®Übertragung kohäsiv abzubilden; "The Fly" macht dies jedoch nicht: Es gibt zu keiner Zeit im Film einen Schwenk zwischen den beiden Pods. Stets: Pod 1 - SCHNITT (- Computer - SCHNITT) - Pod 2. Ein "Dazwischen" ist und bleibt virtuell. Der Raum der Simulation ist hier nicht abbildbar.





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