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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





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TAXI DRIVER (Martin Scorsese/USA 1976)



"Loneliness has followed me my whole life. Everywhere. In bars, in cars, sidewalks, stores, everywhere. There's no escape. I'm God's lonely man."

Taxi Driver ~ USA 1976
Directed By: Martin Scorsese


Der einsame New Yorker Vietnamveteran Travis Bickle (Robert De Niro) nimmt einen Job als Taxifahrer an und arbeitet ausschließlich in der Nachtschicht. Ist er ohnehin schon äußerst unzufrieden mit dem üblen Zustand der urbanen Rotlichtbezirke, so veranschaulichen ihm seine Touren durch das neonbeleuchtete Manhattan nur umso deutlicher, dass es so nicht weitergehen kann mit dieser Stadt. Zwei Begegnungen führen schließlich dazu, dass Travis auf seine Weise "mobil macht": Die attraktive Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd) lässt ihn abblitzen, nachdem er sie in ein Pornokino ausführt, von der minderjährigen Prostituierten Iris (Jodie Foster), die ihm nächtens zweimal begegnet, glaubt er derweil einen leisen Befreiungswunsch zu vernehmen, den er ihr unbedingt erfüllen möchte.

Nachdem Charles Bronson als Paul Kersey anno 74 erstmals als rotsehender Rächer durch den nächtlichen Central Park tingelte um dort Kleinkriminelle zu erledigen, betrieben Paul Schrader und Scorsese nur zwei Jahre später bereits zielgerichteten Ikonoklasmus: Ihr Vigilant präsentiert sich als kaputter Soziopath, als "avenger without a cause", der sich nach seinem abschließenden Amoklauf nur deshalb nicht selbst zu richten vermag, weil er zuvor alle Magazine leegefeuert hat. Die größte Form von Zynismus erfolgt allerdings erst durch die ihn umgebende, ihn zum Helden und Retter stilisierende Mediengesellschaft. Scorsese folgt Travis' psychischem Niedergang so nüchtern und kommentarlos wie nur möglich, kommuniziert über Bilder und Impressionen anstatt vage Beweggründe zu ermitteln oder vordergründige Charakteranalyse zu betreiben - die vielleicht größte Stärke des Films. Bernard Herrmanns bald romantisch angehauchter Jazzscore dudelt dazu, als betreibe "Taxi Driver" auch noch ganz bewussten Stilbruch.
Die großstädtische Anonymität, in der der ohnehin schwer traumatisierte Kriegsheimkehrer Travis Bickle sich bewegt, ist angefüllt mit dysfunktionalen Sozialgliedern: Seine Arbeitskollegen sind verlogene Dummschwätzer, seine Angebetete entpuppt sich gleich beim ersten unglücklichen Treffen als kaum mehr denn ein oberflächliches Modepüppchen, das sich einzig darum liberal gibt, um auch auf intellektueller Ebene als schick zu gelten. Der Politiker Palantine (Leonard Harris) ergießt sich in hohlem Populismus und betreibt leere Wähleranbiederung, ein sich bourgeois gebender nächtlicher Fahrgast (Martin Scorsese) entlarvt sich selbst als zugekokster Größenwahnsinniger, ganz ähnlich wie der gewaltbereite Eckladenbetreiber (Victor Argo) von nebenan. Der Kindernutten auf die Straße schickende Zuhälter Sport schließlich vereint nur die allermiesesten Eigenschaften in sich und bietet daher das dankbarste Ziel für Travis' aufgestaute Triebentladung. Bei der Vorstellung all dieser Figuren geht der Film geschickt genug vor, sein Publikum zu heimlichen Komplizen des seinerseits selbst schwer gestörten Titelcharakters zu machen, eine gleichermaßen perfider und intelligenter Ansatz.
Ohne "Taxi Driver" hätte das New Yorker Underground-Kino nie die Blüte der nächsten Jahre erreicht, wäre das Werk von Autoren wie Abel Ferrara, Frank Hennenlotter, William Lustig oder James Glickenhaus, das teils direkten Bezug nimmt auf Scorseses archetypisches Meisterwerk, kaum denkbar. So genuin gemein, schwarzhumorig und hinterhältig war seitdem nicht viel.

10*/10

Veteran Insomnie Madness Vigilantismus Paul Schrader New York Martin Scorsese Nacht New Hollywood



Kann Deinen Rundumschlag der "dysfunktionalen Sozialglieder" um Travis herum nicht teilen. Ich finde ganz im Gegenteil, dass Scorsese diese gelungenerweise, wie eben auch Travis selbst, als gebrochene Charaktere anlegt. Das beschädigte Leben öffnet sich ja dem Zuschauer zum Verständnis.
Wenn sich die Taxifahrer nachts auf einen Kaffee treffen und zwischen Arbeits- und Männergesprächsgequatsche eines sozialen Miteinanders versichern, so ist das doch nicht "verlogen".
Seine Angebetete ist doch kein hirnloses Modepüppchen. Sie ist eine intelligente junge Frau, die sich auf einen rasanten Flirt einläßt, dann aber von diesem Unbekannten ins Pornokino geführt wird. Wenn man da vor den Kopf gestoßen ist, dann ist das doch kein Zeichen für Pseudo-Liberalität; und Intellektualität spielt niegends eine Rolle!
Selbst Harvey Keitel als Sport möchte ich verteidigen, der zwar der übelsten Profession nachgeht, die man sich denken kann, doch aber in den Momenten, in denen wir ihn kennenlernen weder unsympathisch, noch aggressiv ist.
Ich weiß auch nicht, ob man einem gehörnten Ehemann in hocherregter Stimmung seinen Hass vorwerfen kann, oder einem Politiker seine Phrasen, wenn er sich zwei Sekunden lang mit einem Taxifahrer unterhält, der es hinbekommt, sich in den beiden Sätzen, die in der kurzen Zeit zu sagen bleiben, sich selbst zu desavouieren.
Abgesehen davon mag ich das Ende mit der drangepappten Medienschelte nicht.
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Erstmal danke für deine Einlassung :cheers:

Bastro sagte am 27. Juli 2010, 08:43:

Kann Deinen Rundumschlag der "dysfunktionalen Sozialglieder" um Travis herum nicht teilen. Ich finde ganz im Gegenteil, dass Scorsese diese gelungenerweise, wie eben auch Travis selbst, als gebrochene Charaktere anlegt. Das beschädigte Leben öffnet sich ja dem Zuschauer zum Verständnis.
Wenn sich die Taxifahrer nachts auf einen Kaffee treffen und zwischen Arbeits- und Männergesprächsgequatsche eines sozialen Miteinanders versichern, so ist das doch nicht "verlogen".
Ich weiß nicht, wie gut du die "coffee break talks" der Taxi-Truppe noch im Kopf hast, aber allein Peter Boyle als Wizard, wie er mit obercoolem Impetus davon berichtet, dass er einen vermeintlich schwulen Fahrgast zur Hölle geschickt habe (wobei - Boyles Schauspielkunst sei Dank - die zweite Hälfte dieser Geschichte zweifellos der Fabuliererei zuzuschreiben ist) und Travis, als dieser ihn "um Hilfe" bittet, nur mit hohlen Gemeinplätzen begegnet, Marke "Ich schätze, das ist der Punkt. Dass man sich nicht drum schert." u.ä. - das ist in Dialog gegegossene Oberflächlichkeit. Travis' Kollegen, auch Doughboy und Charlie T, wirken auf mich allesamt wie entleerte Pappfiguren, die sich in ihre Form haben pressen lassen, um nie mehr daraus hervorzukommen. Geradezu deprimierend.

Bastro sagte am 27. Juli 2010, 08:43:

Seine Angebetete ist doch kein hirnloses Modepüppchen. Sie ist eine intelligente junge Frau, die sich auf einen rasanten Flirt einläßt, dann aber von diesem Unbekannten ins Pornokino geführt wird. Wenn man da vor den Kopf gestoßen ist, dann ist das doch kein Zeichen für Pseudo-Liberalität; und Intellektualität spielt niegends eine Rolle!
Oh doch! Als sie Kris Kristoffersen zitiert und durchblicken lässt, dass seine Protestsongs in ihrem bourgeoisen und innerhalb der Textur des Films somit verständnislosen Mund zur bloßen Phrase verkommen. Was den Gang ins Pornokino mitsamt anschließender Abfuhr anbelangt: Das kann man vermutlich so oder so auffassen. "Taxi Driver" stammt immerhin aus einer Zeit des sexuellen Liberalismus, in der die Betrachtung eines Pornofilms einen anderen Stellenwert besaß als heute. Zudem wird hier wiederum Betsys Naivität deutlich: Wenn sie das alles so anwidert, warum lässt sie sich angesichts der Plakatwerbung überhaupt erst mit in den Kinosaal nehmen? Übrigens wurde das als höchst zickig geltende Model Cybill Shepherd zu Zeiten New Hollywoods ganz gezielt in solchen Rollen eingesetzt.

Bastro sagte am 27. Juli 2010, 08:43:

Selbst Harvey Keitel als Sport möchte ich verteidigen, der zwar der übelsten Profession nachgeht, die man sich denken kann, doch aber in den Momenten, in denen wir ihn kennenlernen weder unsympathisch, noch aggressiv ist.
Ich weiß auch nicht, ob man einem gehörnten Ehemann in hocherregter Stimmung seinen Hass vorwerfen kann, oder einem Politiker seine Phrasen, wenn er sich zwei Sekunden lang mit einem Taxifahrer unterhält, der es hinbekommt, sich in den beiden Sätzen, die in der kurzen Zeit zu sagen bleiben, sich selbst zu desavouieren.
Abgesehen davon mag ich das Ende mit der drangepappten Medienschelte nicht.
Du erachtest es nicht als widerwärtig, wie Sport sich Iris mittels gezielt romantischen Gesäusels gefügig macht oder wie Palantine sich subtil, aber hocharrogant über Travis, den "Mann des Volkes" in dessen Taxi auslässt? Hmm, gut. Ich empfinde dieses gesammelte Personenkaleidoskop als ein leidenschaftliches Manifest der Misanthropie, das natürlich besonders durch die Augen von Travis beobachtet, erst wirklich zu einem solchen wird. Die einzig wirklich sympathische Figur des Films ist vermutlich der Street-Percussionist :muhaha:
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:o Du wirkst überzeugend. Habe den Film vielleicht tatsächlich nicht mehr so richtig präsent und sollte ihn erstmal auffrischen, bevor ich mich hier derart bloßstelle. :D Danke für Deine Nachsicht. :cheers:
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:love:
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James Glickenhaus ein Underground-Filmer? Der passt m. E. überhaupt nicht mit die diese Reihe. Ich kann mich noch an ein Interview mit ihm erinnern, als er mit Ken Wahl auf Deutschlandtour war. Der Typ war einfach nur oberpeinlich, aber nicht im Sinne von gewollt-intellektuell, sondern von prollig bis zur Schmerzgrenze.
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Jetzt fährt er am liebsten Rennen.
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Ja, und er wird auf der Ferrari-Seite als 'Amerikanischer Milliardär' bezeichnet. Aber EINE Großtat hat er tatsächlich vollbracht: Er hat einen Action-Held namens McBain erschaffen, der durch die Simpsons unsterblich wurde. :blush:

Vielleicht solltest Du seinem Schaffen mal ein paar Einträge widmen...
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Funxton

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