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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Die Erschöpfung



Ich glaube zwar kaum, daß irgend jemand meine Beiträge in der letzten Zeit wirklich vermißt hat, aber möglicherweise ist es ja doch dem einen oder anderen aufgefallen, daß ich mich hier zuletzt ziemlich rar gemacht habe. Das hat verschiedene Gründe, aber der fraglos wichtigste ist ganz einfach der, daß ich in der jüngeren Vergangenheit kaum Filme gesehen habe.
Nun ist ein Zeitabschnitt, während dem man wenige Filme sieht, auch unter Filmfreunden vermutlich nicht so außergewöhnlich (außer vielleicht bei den Enthusiasten, die es auf mehr Filme im Jahr bringen, als dieses Tage hat); doch ich habe mittlerweile den Eindruck, daß es sich in meinem Fall bei diesem Abschnitt nicht nur um eine kurze Episode handelt, sondern um eine neue Phase in meinem Werdegang als Filmliebhaber. Dieser begann einst mit dem schlafenden Interesse, als ich zwar ab und zu mal Filme sah, ohne mich aber für die Kunstform bzw. das Medium näher zu interessieren; dann erwachte (vor etwa zwanzigeinhalb Jahren) dieses Interesse schlagartig, und ich trat in meine klassische Entdeckungsphase ein, in der sich meine filmischen Vorlieben zum großen Teil herausbildeten. Als ich dann bei kino.de aktiv wurde, folgte meine erweiterte Entdeckungsphase, in der ich aufgeschlossener denn je Filme sah, auch solche, um die ich früher einen großen Bogen gemacht hätte, während der sich meine Vorlieben (und Abneigungen) aber trotzdem nur noch in Nuancen, nicht so sehr grundsätzlich änderten.
Inzwischen gibt es für mich aber keinen Zweifel mehr daran, daß ich in eine neue Phase eingetreten bin: es ist die der Erschöpfung.
Natürlich kann ich nicht genau sagen, wann die Erschöpfung begonnen hat, aber es gibt zumindest Anhaltspunkte. Da ich seit recht vielen Jahren alle Filme, die ich sehe, notiere, weiß ich auch, wie viele Filme ich in einem Jahr erstmals gesehen habe. Und da zeigen die Zahlen eine deutliche Tendenz: 2009 sah ich noch 101 Filme zum ersten Mal (dazu kommen natürlich in allen Jahren immer noch die Filme, die ich vorher schon mal gesehen hatte), 2010 waren es immerhin noch 97, 2011 noch 71, 2012 nur noch 52 und im letzten Jahr gerade einmal 28. In diesem Jahr könnten es sogar noch weniger werden.
Es gibt natürlich auch ganz praktische Gründe dafür: meine wichtigste filmische Fundgrube war in all den Jahren das Fernsehen. Doch inzwischen mache ich dort kaum noch Neuentdeckungen, denn entweder laufen Filme, die ich schon kenne, oder solche, die mich nicht besonders interessieren. Außerdem sah ich noch eine wesentlich geringere Anzahl von Filmen im Kino, manchmal aktuelle Filme, aber auch immer wieder ältere in Programmkinos. Allzu viele Kinobesuche konnte ich mir freilich schon früher nicht leisten, und inzwischen muß ich mich noch viel stärker einschränken; auch dies ist ein Grund dafür, daß ich kaum noch ins Kino gehe.
Aber diese praktischen Gründe sind nicht die einzigen dafür, daß ich mittlerweile so wenig Filme sehe. Ich merke an zahlreichen Symptomen, daß auch mein Interesse spürbar nachgelassen hat. Ich bin ungeduldiger geworden; natürlich gab es auch früher Filme, die mir auf die Nerven gingen, aber ich habe trotzdem viele Jahre jeden noch so blöden Film bis zum Ende ertragen. Inzwischen kommt es (wenn auch immer noch sehr selten) vor, daß mein Geduldsfaden reißt und ich vorzeitig abbreche; so habe ich gerade erst vor wenigen Wochen ein fast überall hochgelobtes Werk nach einer Dreiviertelstunde abgebrochen, weil ich darin nur eine Nummernrevue ohne Sinn und Verstand erkennen konnte. Heutzutage ist es auch so, daß ich mich viel leichter als früher davon abschrecken lasse, mir einen Film überhaupt anzusehen: so ist meine Bereitschaft, überlange Filme zu sehen, deutlich gesunken; um manche Filme mache ich aber auch einen Bogen, weil mich ihr Thema abschreckt (um gleich ein Beispiel zu nennen: ich weiß, daß heute abend mit Hanekes "Liebe" einer der meistgelobten und meistprämierten Filme der letzten Jahre im Fernsehen gezeigt wird, aber ich habe nicht die geringste Lust, mir den anzusehen). Am liebsten sehe ich zur Zeit eigentlich Filme, die ich bereits kenne, und von denen ich weiß, daß ich sie mag; und selbst das mache ich nicht allzu oft. Daß ich infolgedessen auch nur wenig über Filme schreibe und diskutiere, ist die fast logische Konsequenz. Natürlich kann ich mich auch jetzt noch für einzelne Filme begeistern, doch momentan geschieht dies eher sporadisch.
Ich weiß nun freilich nicht, ob diese Phase der Erschöpfung nun das letzte Stadium meines Werdegangs als Filmliebhaber ist oder ob es sich um eine Übergangsphase handelt; vielleicht durchlaufe ich auch eine Phase der Regeneration, auf die eine "Wiedergeburt" meines Filminteresses folgen wird.
Darauf wetten würde ich allerdings nicht.




Ach Settembrini, ich weiß das klingt immer so einfach aber laß dir gesagt sein : Diese Phase geht vorüber und ja ich denke, es ist nur eine Phase. Auch ich hatte vor etlichen Jahren eine Zeit, in der ich wesentlich weniger gesehen habe, einfach weil mir vieles andere wichtiger war. Vielleicht ist ja auch bei dir mal wieder eine chronologische Regie-Reihe ein Stubser in die richtige Richtung. Etwas wozu man sich zwingen muß, dafür aber meist reichhaltig belohnt wird.
Ich fänd es auf jeden Fall schön mal wieder mehr von Dir zu lesen ! :)
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Unschön, das. Kommt mir zwar irgendwie bekannt vor. Möchte dennoch Short Cut sekundieren, daß man sich ab und an mal zu einer Regie-Schauspieler-Genre-oder-was-weiß-ich-Reihe zwingen sollte. Ist schließlich heute dank allgemeiner digitaler Verfügbarkeit viel leichter als früher. Der Erkenntnisgewinn kann phänomenal sein (siehe auch: sicomastikundford).
Aber wie schon erwähnt: leichter gesagt als getan. Vermutlich werde ich heute wohl doch nur wieder leichtkonsumierbare Serienware zum Einschlafen hinkriegen.

P.S.: Dachte erst, es gäbe einen Film Erschöpfung. Klang interessant.
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The Critic sagte am 23. September 2014, 18:08:

.P.S.: Dachte erst, es gäbe einen Film Erschöpfung. Klang interessant.

Mir ging es ähnlich. Ich habe auf einen Bergman-Film
getippt... Und dann das.

P.S.
Ich hoffe du gewinnst dein cineastisches Feuer und Neugier
wieder, denn deine Beiträge sind doch sehr leseswert
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hmmm ja schwierig .... alles ist möglich .... kommt echt drauf an was du sonst so für werte kultivierst :D
wenn man so 19-20 uhr nachhause kommt, dann noch sport macht.... da kann man auch nicht so viel gucken.
und auch was genau dich am film anzieht ....
und natürlich, was du alles schon gesehen hast....

es kommen zwar immmer wieder neue raus, dennoch sinkt ja das potential wenn du schon alle klassiker (und die welche dich interessieren) gesehen hasst....
wenn man also an einem bestimmten punkt ist, ist es verständlich das man mal nicht so viele filme gucken kann...

die verfügbarkeit ist auch relevant... wenn du so auf 100 neue filme kommen willst, kann das schon ins geld gehen. Wieviel kostet die flat grad .... obwohl bei den neuen tarifen ... bei amazon grad .... 10€ im jahr fürs free streaming und 3-4€ fürs kostenpflichtige streamen/film.
da du ja beim free nich so die auswahl hast, kannst du da aber auch locker auf hunderte € kommen wenn du so 100 filme gucken willst. (+serien)

Fernsehen is irgendwie auch irgendwie langweilig und du musst immer warten bis der film kommt den du wohlmöglich sehen willst .... is ja oft schon so das man seine lieblinge hat die man dann auch sehen will ... die hasst du doch auch oder?
dann die ganze arbeit um den einen guten film zu finden der die woche läuft. Sendertechnisch kann man das ja meist einschränken auf so 6 kanäle.

ich hatte auch mal ne phase wo ich nich so viel geguckt hab, was eher am qualitätsmangel lag .... doch wenn man mal richtig guckt, kann auch ein niedriges potential immer wieder überraschend gesteigert werden mit irgendwelchen klassikern und raritäten. Da momentan unheimlich viele serien am start sind, ist das aber gar nciht so nötig.
Ich hab hier und da noch einige klassiker rumliegen, zu denen ich gar nicht komme weil es so viele neue serien und filme gibt die ich gucken will.

ich sach mal so, jede woche einen film zu gucken ist doch egtl gar nciht so schwer. Da kommt man immerhin auf ca 50 filme. Das is doch ne gute nummer. Wobei das ganz schnell dann auch hundert sein können ....

...

so mittagspause vorbei ....
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Schöne analytische Bestandsaufnahme, geht mir ganz ähnlich. Vielleicht ist es, wenn es mit den Filmen nicht mehr so einfach klappt wie früher, wieder an der Zeit, mehr Musik zu hören oder Bücher zu lesen oder Sport zu machen oder was auch immer. Man kann sich eben nicht gleichzeitig mehreren Dingen mit der gleichen Intensität und Hingabe widmen. Und dann gibt es auch Phasen, in denen nichts so recht gelingen will... Alles hat eben seine Zeit...

Das Projekt der Magical History Tour zum Beispiel hat mir ziemlich geholfen, was die Auseinandersetzung mit dem Medium Film betrifft.
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ja gutes beispiel, ich wollt ja egtl einsteigen, bin aber so zu mit serien, musik und filmen etc kultur ... abgesehen von revolution, arbeit, fitness ..... sowie socializing .... also sowohl positive, neutrale als auch negative belastungen .... das ich für die Magical Mystery Tour keine "energie" mehr hab.

man könnte auch fragen, da sowieso alles sinnlos ist, wieso sollte man seine zeit mit filmen verbringen und nicht mit ... ?

nun ja einfache antwort, es gibt nicht viele dinge die mehr ablenkung/begeisterung etc verursachen ... wenn man den überhaupt zeit für sowas hat .... es gibt ja viele die haben keine zeit, weil sie ihren luxus durch arbeit hochschrauben wollen, dann vermindert sich sehr wahrschenlich eine gewisse quantität, aber es gibt wohlmöglichg bessere qualität was zB urlaub und so angeht.
bei filmen ist das dann natürlich irrelevant, weil filme an sich alle in einer erschwinglichen preislage sind. Aber das zeitmanagement wird hier dann schon relevant.

dann halt die sinnfrage, man findet es einfach nicht mehr erheiternd/interessant ... was aber auch für eine depression sprechen kann .... frage wäre also, ist man nur von filmen erschöpft, oder auch von anderen dingen?
in so phasen kommt man ja manchmal, wie schon erwähnt wurde.

oder man ist ausgebucht, weil man noch viele andere coole sachen macht .... zB jede woche pilze essen oder haschgiftspritzen inhalieren .... oder mit der freundin kuscheln ....
ich kann nur sagen, das sich solche sachen auch sehr gut kombinieren lassen
so viel zur sinn frage ....
;)

im letzten fall als auch im zweiten würde ich aber dann schon gern wissen was dann genau sache ist???

so, mittagspause wieder vorbei
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