Ich will an dieser Stelle wieder meine diesjährigen Eindrücke von der Berlinale festhalten. Leider war es ein eher mittelmäßiger Festivaljahrgang, oder ich hatte diesmal nicht so viel Glück mit meiner Auswahl, bei der mir lange Zeit die wirklichen Höhepunkte und Lieblingsfilme fehlten, wobei ein wirklich starker Abschluß den Gesamteindruck etwas verbesserte. Meine eigentlichen Festivalhöhepunkte waren aber letztlich nicht so sehr die Filme, sondern die verschiedenen Begegnungen mit ehemaligen kino.de-Mitgliedern, an denen ich viel Freude hatte.
Nun aber zu den einzelnen Filmen:
Mein Auftaktfilm war:
How green was my valley (Schlagende Wetter/So grün war mein Tal) [Retrospektive]
Ein in der Welt walisischer Kohlenarbeiter angesiedeltes Sozialdrama, in dessen Mittelpunkt die Familie Morgan steht, das aber zugleich auch als Milieustudie angelegt ist. Zum größten Teil überzeugt der Film: so werden die Spannungen, zu denen es in der Familie nach dem Ausbruch eines Streiks kommt, eindringlich dargestellt, und die Szenen unter Tage sind visuell eindrucksvoll. Lediglich in einigen sentimental eingefärbten Szenen schwächelt der Film etwas. Die Fotografie ist, wie eigentlich immer bei Ford, ausgezeichnet. Ein guter Film, der allerdings nicht zu Fords besten Werken gehört (und sicherlich nicht mit The Maltese Falcon oder Citizen Kane konkurrieren kann, denen er bei der Oscar-Verleihung vorgezogen wurde - was man aber nicht dem Film, sondern nur der Academy vorwerfen sollte).
Weiter ging es mit:
Vic+Flo ont vu un ours (Vic+Flo Saw a Bear/Vic+Flo haben eine Bären gesehen) [Wettbewerb]
Eine aus dem Gefängnis entlassene Frau sucht in einem Haus in den kanadischen Wäldern Ruhe, aber auch die Zweisamkeit mit ihrer Geliebten. Diese wird allerdings vom Bewährungshelfer gestört, und dann taucht noch eine nette Nachbarin auf, die sich jedoch als grausamer Racheengel entpuppt...
Letztlich hat mich der Film ein wenig ratlos zurückgelassen. Es gibt sehr gelungene Details wie die von trockenem Humor geprägte Eröffnungsszene, auch das Ende ist zumindest recht kraftvoll und es gibt einige Überraschungen. Dazwischen stellt sich aber auch immer wieder Leerlauf ein. Alles in allem konnte der Film meine Erwartungen nicht wirklich erfüllen, zumal ich schon so einige frankokanadische Filme gesehen habe, die bei mir doch einen stärkeren Eindruck hinterlassen haben.
Es folgte:
The Cold Lands [Generation 14+]
Ein Junge lebt mit seiner Mutter zusammen, die möglichst unabhängig sein will. Als sie wenig später stirbt, flüchtet er in die nahen Wälder, um nicht in fremde Obhut zu kommen und trifft dort auf einen tatsächlich weitgehend unabhängig lebenden Strauchdieb, mit dem er sich zusammentut. Einer der besseren Filme, die ich in diesem Jahr bei der Berlinale sah, wobei ich allerdings die größte Mühe hatte, die leider nicht untertitelten Dialoge zu verstehen.
(Witzig fand ich die Erklärung der Mutter, wer Elvis war: "He was the Justin Bieber of his time.")
Dann sah ich den mit Spannung erwarteten:
Pardé (Closed Curtain) [Wettbewerb]
In dem heimlich gedrehten Film reflektiert Jafar Panahi über den Zustand seines Landes, seine eigene Situation und die Frage, wie unter solchen Bedingungen Kunst entstehen und was sie bewirken kann. Panahi wählt dafür eine komplexe Form, in der sich eine Spielfilmhandlung (ein Mann versteckt sich mit seinem Hund, der als unrein gilt, in einem Haus, wo eine Frau, die sich auf offenbar auf der Flucht befindet, auftaucht) und eine weitere Ebene (Panahi tritt nun selbst in Erscheinung) durchdringen. Ein guter und vielschichtiger Film mit vielerlei Symbolen (besonders die das Haus absperrenden Gitter in der ersten und letzten Einstellung seien hier erwähnt), der aber auch seine Längen hat und es dem Zuschauer nicht gerade leicht macht.
Es folgte ein weiterer Abstecher in die Sektion Generation:
Shopping [Generation 14+]
Ein neuseeländisches Sozialdrama um einen Jugendlichen mit einem weißen Vater und einer samoanischen Mutter, der an eine Gang gerät und dadurch in die größten Schwierigkeiten bekommt. Die Beziehung des Jungen zu seinem kleinen Bruder ist überzeugend und geradezu anrührend dargestellt, doch ich verlor zwischenzeitlich ein wenig den Überblick über die Handlung und die (Neben)figuren; letztlich war ich nicht so besonders begeistert von dem Film, zumal ich von dieser Sektion stärkere Filme gewohnt bin.
Extrem verschieden waren die Eindrücke, die ich aus dem folgenden Kurzfilmprogramm mitnahm:
Berlinale Shorts IV
Dieses Programm stellte sich aus fünf Filmen zusammen: Between Regularity and Irregularity, Ba bi lun shao nian, Die Ruhe bleibt, dem aus dem Jahr 1978 stammenden Film Step by Step und Tabato. Letzterer scheint mit einem im Forum gezeigten Langfilm in Verbindung zu stehen (derselbe Regisseur, teilweise übereinstimmende Darsteller, Schwarzweiß und rot), weiß aber nicht, ob es sich beim Kurzfilm um eine Kurzfassung oder ein ergänzendes "Nebenkapitel" handelt. Mit dem Kurzfilm konnte ich jedenfalls nicht sehr viel anfangen, vielleicht wäre das bei Kenntnis des langen Films anders. Step by Step, in dem ein syrisches Dorf porträtiert wird,ist dagegen, wenn man auf das gegenwärtig stattfindende Gemetzel in Syrien schaut, trotz seines Alters sehr aktuell. Ba bi lun shao nian war ganz gut anzuschauen. Der absolute Tiefpunkt meiner diesjährigen Berlinale war dagegen Between Regularity and Irregularity: eine grauenhafte Zusammenstellung von abstrakten, oftmals flackernden Bildern (auf der Onlineseite der Berlinale wurde, wie ich erst hinterher gesehen habe, eine Epilepsiewarnung wegen stroboskopischer Effekte ausgesprochen!) und noch schlimmeren Geräuschen, darunter ekelhafte Pfeiftöne. Bereits nach der ersten Minute dieses insgesamt achtminütigen filmischen Anschlags auf die Gesundheit war ich bereit, alles zu gestehen, um nicht länger zusehen und -hören zu müssen, und blieb nur, weil noch vier Filme ausstanden. Ich glaube nicht, daß die internationale Genfer Konvention die Aufführung solcher Filme zuläßt!
Um so erfreulicher war dagegen Die Ruhe bleibt, in dem der junge Tom, dem man ein Set-Praktikum bei Filmdreharbeiten versprochen hat, die tolle Aufgabe hat, mit einer Pilone auf der Straße herumzulaufen und diese abzusperren und wieder freizugeben. Der in einer einzigen Einstellung gedrehte Film besaß eine Menge Witz (etwas, was ich bei dieser Berlinale sonst schmerzlich vermißt habe) und war wohl mein diesjähriger Festivalliebling.
Eher unglücklich verlief dagegen meine Begegnung mit:
Sieniawka [Forum]
Der Film fing pünktlich, kurz nach 18.30 an. Die ersten Eindrücke waren so schlecht nicht: ziemlich lange Einstellungen, die vor allem eine wohl recht heruntergekommene Gegend zeigen. Offenbar ein kontemplatives Werk. Zwischendurch irrte mal ein Kosmonaut (?) durchs Bild, dann unterhielten sich zwei Männer, kurz darauf vergrub der eine die Leiche des anderen, ohne daß klar wurde, wie dieser ums Leben gekommen ist. Es ging auf 19.00 Uhr zu, ohne daß so richtig etwas passiert wäre, und der Film fing allmählich an, mir auf die Nerven zu gehen.
Um 19.00 Uhr dachte ich dann daran, daß zu dieser Zeit in der Retrospektive eine Aufführung von Lubitschs To Be Or Not To Be begann. Aber man besucht ja eigentlich keine Festivals, um Filme zu sehen, die man schon einige Male gesehen hat, oder?
Nun wurde ein Männerasyl Schauplatz des Films. Erst einmal wurde Suppe ausgeschenkt, dann begann ein alter Mann recht jämmerlich auf einem Klavier zu klimpern und dazu mit dünner Stimme ein langweiliges Lied zu singen. Diese Szene nahm und nahm kein Ende, und ich dachte nun voller Neid an die Leute, die sich zu dieser Zeit bei Lubitsch amüsierten.
Der Alte klimperte immer noch, während mir erstmals die Augen zufielen. Ich fragte mich nun, warum zum Teufel ich hier eigentlich noch weit über eine Stunde herumsitzen sollte.
Ich wartete noch ein paar Minuten ab, und obwohl die Klimperszene schließlich doch endete, hatte ich keine Lust mehr, weiter zuzusehen und ging nach Hause - höchst verbittert darüber, mir eine Karte für diesen Film besorgt zu haben und nicht für To Be or Not To Be.
Ein wirklich starker Abschluß entschädigte mich dann aber ein wenig für das vergleichsweise mäßige Festival:
Uroko Garmonii (Harmony Lessons) [Wettbewerb]
Der 13jährige Aslan ist ein Außenseiter und erfährt in der Schule Demütigungen und Gewalt, besonders von der Seite des brutalen Bolat, der von anderen Schülern Schutzgelder erpreßt, aber seinerseits Gewalt von älteren Jungen erfährt, die schon ganz tief in einem mafiösen System, von dem die ganze Schule (und sicher nicht allein diese) verseucht ist, drinstecken. Aslan, der immer wieder zwanghafte Rituale ausübt, sinnt auf einen Weg, sich gegen Bolat zu wehren, wird vom Opfer zum Täter und erfährt dadurch bald die repressiven Methoden des Staates.
Der finstere Film hat mich von Beginn an in seinen Bann geschlagen. Gewalt ist hier praktisch allgegenwärtig, und auch in den Momenten, in denen augenscheinlich nichts besonderes geschieht, stets latent spürbar. Die Erzählweise ist sehr elliptisch, viele Ereignisse werden nicht direkt gezeigt. Für Hoffung läßt der Film so gut wie keinen Raum: der Ausweg, auf den Aslan verfällt, ist selbstzerstörerisch, und an den eigentlichen Verhältnissen hat sich auch am Ende nichts geändert; der Film stellt nicht allein die alltägliche physische und verbale Gewalt dar, sondern macht vor allem die sich dahinter verbergende strukturelle Gewalt sichtbar. Für mich war Harmony Lessons der stärkste Langfilm, den ich bei der diesjährigen Berlinale gesehen habe.
Und das war's dann.
Nun aber zu den einzelnen Filmen:
Mein Auftaktfilm war:
How green was my valley (Schlagende Wetter/So grün war mein Tal) [Retrospektive]
Ein in der Welt walisischer Kohlenarbeiter angesiedeltes Sozialdrama, in dessen Mittelpunkt die Familie Morgan steht, das aber zugleich auch als Milieustudie angelegt ist. Zum größten Teil überzeugt der Film: so werden die Spannungen, zu denen es in der Familie nach dem Ausbruch eines Streiks kommt, eindringlich dargestellt, und die Szenen unter Tage sind visuell eindrucksvoll. Lediglich in einigen sentimental eingefärbten Szenen schwächelt der Film etwas. Die Fotografie ist, wie eigentlich immer bei Ford, ausgezeichnet. Ein guter Film, der allerdings nicht zu Fords besten Werken gehört (und sicherlich nicht mit The Maltese Falcon oder Citizen Kane konkurrieren kann, denen er bei der Oscar-Verleihung vorgezogen wurde - was man aber nicht dem Film, sondern nur der Academy vorwerfen sollte).
Weiter ging es mit:
Vic+Flo ont vu un ours (Vic+Flo Saw a Bear/Vic+Flo haben eine Bären gesehen) [Wettbewerb]
Eine aus dem Gefängnis entlassene Frau sucht in einem Haus in den kanadischen Wäldern Ruhe, aber auch die Zweisamkeit mit ihrer Geliebten. Diese wird allerdings vom Bewährungshelfer gestört, und dann taucht noch eine nette Nachbarin auf, die sich jedoch als grausamer Racheengel entpuppt...
Letztlich hat mich der Film ein wenig ratlos zurückgelassen. Es gibt sehr gelungene Details wie die von trockenem Humor geprägte Eröffnungsszene, auch das Ende ist zumindest recht kraftvoll und es gibt einige Überraschungen. Dazwischen stellt sich aber auch immer wieder Leerlauf ein. Alles in allem konnte der Film meine Erwartungen nicht wirklich erfüllen, zumal ich schon so einige frankokanadische Filme gesehen habe, die bei mir doch einen stärkeren Eindruck hinterlassen haben.
Es folgte:
The Cold Lands [Generation 14+]
Ein Junge lebt mit seiner Mutter zusammen, die möglichst unabhängig sein will. Als sie wenig später stirbt, flüchtet er in die nahen Wälder, um nicht in fremde Obhut zu kommen und trifft dort auf einen tatsächlich weitgehend unabhängig lebenden Strauchdieb, mit dem er sich zusammentut. Einer der besseren Filme, die ich in diesem Jahr bei der Berlinale sah, wobei ich allerdings die größte Mühe hatte, die leider nicht untertitelten Dialoge zu verstehen.
(Witzig fand ich die Erklärung der Mutter, wer Elvis war: "He was the Justin Bieber of his time.")
Dann sah ich den mit Spannung erwarteten:
Pardé (Closed Curtain) [Wettbewerb]
In dem heimlich gedrehten Film reflektiert Jafar Panahi über den Zustand seines Landes, seine eigene Situation und die Frage, wie unter solchen Bedingungen Kunst entstehen und was sie bewirken kann. Panahi wählt dafür eine komplexe Form, in der sich eine Spielfilmhandlung (ein Mann versteckt sich mit seinem Hund, der als unrein gilt, in einem Haus, wo eine Frau, die sich auf offenbar auf der Flucht befindet, auftaucht) und eine weitere Ebene (Panahi tritt nun selbst in Erscheinung) durchdringen. Ein guter und vielschichtiger Film mit vielerlei Symbolen (besonders die das Haus absperrenden Gitter in der ersten und letzten Einstellung seien hier erwähnt), der aber auch seine Längen hat und es dem Zuschauer nicht gerade leicht macht.
Es folgte ein weiterer Abstecher in die Sektion Generation:
Shopping [Generation 14+]
Ein neuseeländisches Sozialdrama um einen Jugendlichen mit einem weißen Vater und einer samoanischen Mutter, der an eine Gang gerät und dadurch in die größten Schwierigkeiten bekommt. Die Beziehung des Jungen zu seinem kleinen Bruder ist überzeugend und geradezu anrührend dargestellt, doch ich verlor zwischenzeitlich ein wenig den Überblick über die Handlung und die (Neben)figuren; letztlich war ich nicht so besonders begeistert von dem Film, zumal ich von dieser Sektion stärkere Filme gewohnt bin.
Extrem verschieden waren die Eindrücke, die ich aus dem folgenden Kurzfilmprogramm mitnahm:
Berlinale Shorts IV
Dieses Programm stellte sich aus fünf Filmen zusammen: Between Regularity and Irregularity, Ba bi lun shao nian, Die Ruhe bleibt, dem aus dem Jahr 1978 stammenden Film Step by Step und Tabato. Letzterer scheint mit einem im Forum gezeigten Langfilm in Verbindung zu stehen (derselbe Regisseur, teilweise übereinstimmende Darsteller, Schwarzweiß und rot), weiß aber nicht, ob es sich beim Kurzfilm um eine Kurzfassung oder ein ergänzendes "Nebenkapitel" handelt. Mit dem Kurzfilm konnte ich jedenfalls nicht sehr viel anfangen, vielleicht wäre das bei Kenntnis des langen Films anders. Step by Step, in dem ein syrisches Dorf porträtiert wird,ist dagegen, wenn man auf das gegenwärtig stattfindende Gemetzel in Syrien schaut, trotz seines Alters sehr aktuell. Ba bi lun shao nian war ganz gut anzuschauen. Der absolute Tiefpunkt meiner diesjährigen Berlinale war dagegen Between Regularity and Irregularity: eine grauenhafte Zusammenstellung von abstrakten, oftmals flackernden Bildern (auf der Onlineseite der Berlinale wurde, wie ich erst hinterher gesehen habe, eine Epilepsiewarnung wegen stroboskopischer Effekte ausgesprochen!) und noch schlimmeren Geräuschen, darunter ekelhafte Pfeiftöne. Bereits nach der ersten Minute dieses insgesamt achtminütigen filmischen Anschlags auf die Gesundheit war ich bereit, alles zu gestehen, um nicht länger zusehen und -hören zu müssen, und blieb nur, weil noch vier Filme ausstanden. Ich glaube nicht, daß die internationale Genfer Konvention die Aufführung solcher Filme zuläßt!
Um so erfreulicher war dagegen Die Ruhe bleibt, in dem der junge Tom, dem man ein Set-Praktikum bei Filmdreharbeiten versprochen hat, die tolle Aufgabe hat, mit einer Pilone auf der Straße herumzulaufen und diese abzusperren und wieder freizugeben. Der in einer einzigen Einstellung gedrehte Film besaß eine Menge Witz (etwas, was ich bei dieser Berlinale sonst schmerzlich vermißt habe) und war wohl mein diesjähriger Festivalliebling.
Eher unglücklich verlief dagegen meine Begegnung mit:
Sieniawka [Forum]
Der Film fing pünktlich, kurz nach 18.30 an. Die ersten Eindrücke waren so schlecht nicht: ziemlich lange Einstellungen, die vor allem eine wohl recht heruntergekommene Gegend zeigen. Offenbar ein kontemplatives Werk. Zwischendurch irrte mal ein Kosmonaut (?) durchs Bild, dann unterhielten sich zwei Männer, kurz darauf vergrub der eine die Leiche des anderen, ohne daß klar wurde, wie dieser ums Leben gekommen ist. Es ging auf 19.00 Uhr zu, ohne daß so richtig etwas passiert wäre, und der Film fing allmählich an, mir auf die Nerven zu gehen.
Um 19.00 Uhr dachte ich dann daran, daß zu dieser Zeit in der Retrospektive eine Aufführung von Lubitschs To Be Or Not To Be begann. Aber man besucht ja eigentlich keine Festivals, um Filme zu sehen, die man schon einige Male gesehen hat, oder?
Nun wurde ein Männerasyl Schauplatz des Films. Erst einmal wurde Suppe ausgeschenkt, dann begann ein alter Mann recht jämmerlich auf einem Klavier zu klimpern und dazu mit dünner Stimme ein langweiliges Lied zu singen. Diese Szene nahm und nahm kein Ende, und ich dachte nun voller Neid an die Leute, die sich zu dieser Zeit bei Lubitsch amüsierten.
Der Alte klimperte immer noch, während mir erstmals die Augen zufielen. Ich fragte mich nun, warum zum Teufel ich hier eigentlich noch weit über eine Stunde herumsitzen sollte.
Ich wartete noch ein paar Minuten ab, und obwohl die Klimperszene schließlich doch endete, hatte ich keine Lust mehr, weiter zuzusehen und ging nach Hause - höchst verbittert darüber, mir eine Karte für diesen Film besorgt zu haben und nicht für To Be or Not To Be.
Ein wirklich starker Abschluß entschädigte mich dann aber ein wenig für das vergleichsweise mäßige Festival:
Uroko Garmonii (Harmony Lessons) [Wettbewerb]
Der 13jährige Aslan ist ein Außenseiter und erfährt in der Schule Demütigungen und Gewalt, besonders von der Seite des brutalen Bolat, der von anderen Schülern Schutzgelder erpreßt, aber seinerseits Gewalt von älteren Jungen erfährt, die schon ganz tief in einem mafiösen System, von dem die ganze Schule (und sicher nicht allein diese) verseucht ist, drinstecken. Aslan, der immer wieder zwanghafte Rituale ausübt, sinnt auf einen Weg, sich gegen Bolat zu wehren, wird vom Opfer zum Täter und erfährt dadurch bald die repressiven Methoden des Staates.
Der finstere Film hat mich von Beginn an in seinen Bann geschlagen. Gewalt ist hier praktisch allgegenwärtig, und auch in den Momenten, in denen augenscheinlich nichts besonderes geschieht, stets latent spürbar. Die Erzählweise ist sehr elliptisch, viele Ereignisse werden nicht direkt gezeigt. Für Hoffung läßt der Film so gut wie keinen Raum: der Ausweg, auf den Aslan verfällt, ist selbstzerstörerisch, und an den eigentlichen Verhältnissen hat sich auch am Ende nichts geändert; der Film stellt nicht allein die alltägliche physische und verbale Gewalt dar, sondern macht vor allem die sich dahinter verbergende strukturelle Gewalt sichtbar. Für mich war Harmony Lessons der stärkste Langfilm, den ich bei der diesjährigen Berlinale gesehen habe.
Und das war's dann.