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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Im DVD-Regal gestöbert... (Teil 3)



Das Stöbern ging in eine dritte Runde... und folgende Filme habe ich mir angesehen:

Gattaca
In einer kalten, auf Perfektion getrimmten Zukunftswelt, in der "gute" Gene die unverzichtbare Voraussetzung für beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg sind, nimmt der natürlich gezeugte, als "invalid" geltende Vincent Freeman, der davon träumt, als Raumfahrer an einer Titan-Mission teilzunehmen, die Identität Jerome Morrows an, der zwar geradezu perfekte Gene hat, aber im Rollstuhl sitzt.
Der Stil des Films paßt perfekt zu der Welt, die er zeigt: Gattaca erzählt seine bewegende Geschichte in vorwiegend kühlen, oft von Blautönen beherrschten Bildern, und die Ausstattung verstärkt noch den Eindruck der leblosen Makellosigkeit, von der diese Zukunft erfüllt ist - eine Zukunft, die von der Gegenwart gar nicht so weit entfernt erscheint. Dementsprechend unterkühlt agieren auch die Darsteller, deren oft etwas zurückgenommenes Spiel perfekt zur Atmosphäre des Films paßt. Dabei erzählt der Film eigentlich zwei Geschichten: zum einen die von Vincent, der es immer wieder schafft, das System auszutricksen; zum anderen aber die von Jerome, der unter dem Fluch der Perfektion zu leiden hat. Der ebenso schöne wie kluge Film, der praktisch ohne Spezialeffekte auskommt, gehört zu meinen liebsten Vertretern des Science-Fiction-Genres.

Nach meiner schon kommentierten Wiederbegegnung mit Double Indemnity nach langer Zeit hatte ich Lust, gleich noch ein wenig bei Billy Wilder zu bleiben:

Sunset Boulevard
Wilders entlarvendes und desillisionierendes Meisterwerk über die (Alp)traumfabrik Hollywood und ihre dunkelsten Seiten, das mittlerweile längst selbst eine Hollywood-Legende ist. Der erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis landet auf der Flucht vor seinen Gläubigern auf dem Anwesen der alternden (und weitgehend vergessenen) Stummfilmdiva Norma Desmond. Die plant ihre Rückkehr auf die Leinwand im ganz großen Stil und hat dazu schon ein fürchterliches Drehbuch verfaßt, das Gillis nun bearbeiten soll. Er tut das dann auch und wird schließlich auch ihr Liebhaber, wobei er zum Teil aus opportunistischen Motiven, zum Teil aus Mitleid so handelt (wie immer bei Wilder ist die Selbstverleugnung des Protagonisten überzeugend motiviert) - und so sein Schicksal besiegelt.
Wie schon in Double Indemnity läßt Wilder seine Hauptfigur das Geschehen retrospektiv erzählen, wobei er dies hier noch radikalisiert: ein Toter erzählt, wie er sein Leben verloren hat (Jahrzehnte später fand der Kunstgriff in American Beauty abermalsüberzeugende Verwendung). Dabei treffen auch zwei verschiedene Schauspielstile aufeinander: während Gloria Swanson ihre Norma Desmond mit allerlei dramatischen Gebärden und Blicken ausstattet, ist William Holdens Spiel eher zurückgenommen und nuanciert - so spiegelt sich der Kontrast von Stumm- und Tonfilm auch im Agieren der Darsteller wider. Besonders erwähnenswert ist auch Norma Desmonds Haus: durch die Szenen darin weht ein Hauch von Expressionismus, zugleich könnte dieses Haus aber auch der Schauplatz eines Horrorfilms sein (und in einem etwas weiter gefaßten Sinn ist Sunset Boulevard ja auch genau das). Höchst geschickt verwischt der Film zudem die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, so spielen einige Hollywood-Berühmtheiten (wie etwa Cecil B. DeMille) sich selbst, und wenn Norma Desmond sich einen ihrer alten Filme ansieht, ist dies tatsächlich ein alter Swanson-Film. Und natürlich sollten die herausragenden Dialoge, die einige der besten Filmsätze ("I am big! It's the pictures that got small!") enthalten, nicht unerwähnt bleiben. Sunset Boulevard ist der wohl bis heute beste Film über das Haifischbecken Hollywood, in dem selbst große Stars schnell in Vergessenheit geraten können, während andere gar nicht erst die Stufen des Erfolgs erklimmen, sondern von der Welt unbeachtet scheitern.
Ein großer Verehrer des Films ist übrigens David Lynch, in dessem eigenem Werk Wilders Film auch so manche Spuren hinterlassen hat: so trägt der (von Lynch selbst gespielte) schwerhörige FBI-Abteilungschef in Twin Peaks den Namen einer Nebenfigur aus Wilders Films: Gordon Cole. Am deutlichsten sind die Anklänge an Sunset Boulevard natürlich in Mulholland Drive (was neben der engen thematischen Verwandtschaft schon damit beginnt, daß genau wie bei Wilder auch in Lynchs Film der Titel nicht in Form der üblichen Einblendung, sondern als Straßenschild ins Bild kommt).
Wilder selbst variierte das Thema der alternden Schauspielerin noch einmal in seinem vorletzten Film Fedora: ein wirklich guter Film (wieder mit William Holden), der es mit dem früheren Meisterwerk aber bei weitem nicht aufnehmen kann.

Der heiter-romantische Abschluß meiner kleinen Wilder-Reihe war dann

Sabrina
Die Tochter des Chauffeurs einer schwerreichen Familie liebt den jüngeren der beiden Söhne David. Als der anfängt, ihre Gefühle zu erwidern, wittert sein Bruder Linus, der sich um die Geschäfte kümmert, Gefahr für die gewünschte Verbindung mit der Tochter eines Zuckerfabrikanten, und beginnt nun, selbst Sabrina den Hof zu machen, mit der fiesen Absicht, sie so vom seinem Bruder zu trennen. Insofern ist die Konstellation die eines modernen Märchens: das Aschenbrödel, der Millionärssohn bzw. Märchenprinz, und der Schurke, der sie auseinanderbringen will. Doch der Film variiert dieses Schema auf sehr originelle Weise: denn einerseits ist der Märchenprinz ein eher oberflächlicher und leichtsinniger Lebemann; auf der anderen Seite erliegt sein berechnender Bruder selbst Sabrinas Charme und entwickelt, zunächst ohne es selbst so recht zu bemerken, wirkliche Gefühle...
Sabrina ist sicherlich einer der romantischsten Wilder-Filme, gedreht in einem geradezu strahlenden Schwarzweiß, das an den Glanz vieler Lubitsch-Filme erinnert; auch die auffallend vielen Aufnahmen vom Mond (so gleich zu Beginn des Films) tragen zur Stimmung des Films bei. Auf der anderen Seite ist Sabrina auch das typische Beispiel einer Wilder-Komödie, die sehr oft eben nicht geradlinig auf ein Happy-End zusteuern, sondern vielmehr Geschichten erzählen, die nur so gerade eben mit knapper Not zu einem guten Ende kommen. Wie so oft bei Wilder (und überhaupt im amerikanischen Kino) ist Paris dabei die Stadt der Sehnsüchte und Träume. Ein schöner Film, in dem Audrey Hepburn nicht nur William Holden und Humphrey Bogart, sondern auch den Zuschauer verzaubert.

So, mal schauen, ob ich die nächsten Kommentare etwas knapper hinbekomme, schließlich hatte ich eigentlich die Absicht, hier Kurzkommentare zu schreiben:

Solaris
Der Psychologe Kris Kelvin soll entscheiden, ob und wie die Erforschung des Planeten Solaris, auf dem sich ein offenbar intelligenter Ozean befindet, weitergehen soll, doch auf der Raumstation wird er statt dessen mit seinem innersten Selbst konfrontiert.
Stanislaw Lem mochte Tarkowskis Verfilmung seines Romans nie besonders, was von seinem Blickwinkel aus verständlich ist, da Tarkowski weit weniger als Lem an den im Roman recht zentralen erkenntnistheoretischen Problemen interessiert ist. Vielmehr geht Tarkowski mit Solaris (hier noch durch die Science-Fiction-Elemente motiviert) zur Visualisierung von Innenwelten über, die auch für sein weiteres Werk typisch ist. Das Ergebnis ist ein grandioser und meditativer Film, der sich mit den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis und den mit der Forschung verbundenen ethischen Fragestellungen auseinandersetzt, vor allem aber damit, was das Menschsein selbst eigentlich bedeutet. Dabei wirkt Solaris trotz seiner vielen (und klugen) Dialoge vor allem durch seine vieldeutigen und oftmals poetischen Bilder, durch die Tarkowskis Film nicht nur zu einem der besten, sondern auch schönsten Science-Fiction-Filme wird.

Der Kontrakt des Zeichners
Der Zeichner Mr. Neville übernimmt den Auftrag, zwölf Ansichten vom Garten des reichen Mr-Herberts zu zeichnen und läßt sich dafür vertraglich neben Kost und Logis auch erotische Gegenleistungen von Seiten Mrs. Herberts zusichern. Dabei gerät er aber zusehends in eine tödliche Intrige hinein, ohne sie zu durchschauen...
Greenaways Film ist eine sehr intelligente Reflexion über Kunst und deren Interpretation sowie über die Möglichkeiten, Wahrheit(en) durch ein Kunstwerk sichtbar zu machen - und über die Rolle des Künstlers innerhalb der Gesellschaft. Dabei befinden sich Inhalt und Form auf das wunderbarste miteinander im Einklang, und nahezu alle im Film geführten Diskurse über die Abbildung von Realität und allegorische Bedeutungen eines Kunstwerks lassen sich auch auf Greenaways Film selbst anwenden. Dabei ist der Film ein audiovisueller Hochgenuß: die Bilder sind von überwältigender Schönheit (für mich persönlich übertrifft Der Kontrakt des Zeichners in dieser Hinsicht sogar noch Barry Lyndon, aber das ist sicher Ansichtssache), und Michael Nyman hat eine großartige Filmmusik dazu komponiert. Greenaway Geniestreich gehört zum engeren Kreis meiner Lieblingsfilme; leider kann da keiner seiner anderen Filme, soweit ich sie kenne, auch nur entfernt mithalten.

Spiel mir das Lied vom Tod
Ein Western als große Oper: in diesem Meisterwerk hat Sergio Leone seinen Stil wohl zur Perfektion geführt, unter tatkräftiger Unterstützung Ennio Morricones, dem hier seine sicherlich berühmteste, vielleicht auch beste Filmmusik gelungen ist, sowie Tonino Delli Collis, dessen Arbeit für Leone (auch in dessen anderen Filmen) ebenfalls besondere Würdigung verdient. Leone dehnt einzelne Szenen bis zum Äußersten, besonders in den Momenten, die den Gewaltausbrüchen vorausgehen, vergißt aber über allen großartigen Einzelheiten niemals seine Geschichte, in der es gleich vier zentrale Figuren gibt. Es ist natürlich (wie eigentlich immer im Italowestern) eine Rachegeschichte, vor allem aber auch eine zutiefst melancholische Geschichte von gescheiterten Träumen; besonders deutlich wird das an der Figur der Prostituierten Jill, deren Traum von einem bürgerlichen Familienleben bereits (in einer der eindringlichsten und grausamsten Szenen der gesamten Filmgeschichte) zerschossen wird, bevor sie selbst das erste Mal im Film zu sehen ist. Ein überwältigender Film, in dem es gleich mehrere Szenen von ungeheurer Intensität gibt, und der wohl den Höhepunkt des Italowesterns darstellt - vielleicht sogar das Westerngenres überhaupt.

Es war einmal in Amerika
Für viele Filmfreunde ist Der Pate der Gangsterfilm schlechthin, für mich ist es eben Es war einmal in Amerika, und so könnte ich einige Sätze aus meinem Kommentar zu Spiel mir das Lied vom Tod auch nahezu unverändert übernehmen. Dabei ist Leones letzter Film zugleich sein melancholischster, der die Geschichte eines fehlgeschlagenen Lebens erzählt und sich abermals mit den Schattenseiten des amerikanischen Traums befaßt. Ähnlich wie die Revolverhelden in Leones Western, die von der Zeit überholt und von Geschäftsleuten, die mit Geldscheinen statt Pistolen kämpfen, verdrängt werden, ergeht es auch dem Gangster Noodles, der noch an die Freundschaft glaubt und in eine Zeit, in der Berufsverbrecher in das ganz große Geschäft und die Politik einsteigen, nicht mehr hineinpaßt. Leones Schwanengesang, der in erzählerischer Hinsicht seinen vielleicht kunstvollsten Film darstellt, ist aber zugleich auch ein wehmütiger Abgesang auf das Genre. Ein wahrhaft gewaltiger Film, dem seine extreme Überlänge kaum anzumerken ist; ich persönlich schätze besonders den etwa 50minütigen Teil, der die Jugend des Protagonisten schildert - einige der schönsten Szenen des Films fallen in diesen Teil des Films. Die vielleicht schrecklichste allerdings auch.

Damit hat das Stöbern im DVD-Regal vorläufig ein Ende: in der nächsten Zeit gilt es mal wieder Filme zu entdecken, die ich noch nicht kenne.




Sunset Boulevard

Ist ein grandioses Meisterwerk, dass auch ich sehr schätze.
Deinen infomativen und passenden Ausführungen habe ich wenig
hinzuzufügen. Ich möchte allerdings Erich von Stroheim als
Max von Mayerling, Regisseur, Exehemann, Diener, der mit der alternden, vergessenen Diva in einer offensictlich sadomasochistischen Beziehung verbunden ist, noch erwähnen.
Diese "jenseitige" Figur trägt sehr viel zur jenseitigen Atmosphäre
in dem Geisterhaus bei.
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Aber "The Draughtman's Contract" wird überschätzt. Das behaupte ich selbstbewusst für den Rest meines traurigen Lebens. Denn ich weiss eine Autorität hinter mir: meinen ehemaligen Anglistik-Professor. :D Er sah sich den Film anlässlich eines jener krampfhaften Seminarabende ("we are a community!") an und liess tatsächlich ein Wort fallen, das nur aus vier Buchstaben besteht. Ich konnte seinem "Shit!" nur beipflichten. ;)
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@Antoine: Klar, die Beziehung von Norma Desmond zu Max ist auch noch sehr interessant, da hat wohl auch Erich von Stroheim einige Ideen zu beigesteuert, etwa die von Max geschriebenen Briefe angeblicher Verehrer an die Diva. Aber der Kommentar ist so schon recht ausufernd geraten.
@Zodiac: Nein, nein, nein: Auf den "Kontrakt des Zeichners" lasse ich nichts kommen. Der hat mich beim ersten Sehen begeistert und bei jedem weiterem wieder. Wenn es allerdings um Greenaways "Bettlektüre" geht, halte ich das aus vier Buchstaben bestehende Wort für durchaus angebracht...
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